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eine aussTellung über sTreeT arT und MenschenrechTe in ägypTen

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TiTel<br />

Text<br />

© Amnesty International<br />

Wände des<br />

WidersTands<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> <strong>aussTellung</strong> <strong>über</strong><br />

<strong>sTreeT</strong> <strong>arT</strong> <strong>und</strong> <strong>MenschenrechTe</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>ägypTen</strong>


MiT Farbe <strong>und</strong> p<strong>in</strong>sel<br />

gegen Tränengas<br />

die „revoluTion<br />

des 25. Januar“<br />

Am 25. Januar 2011 begannen <strong>in</strong> Ägypten Massendemonstrationen gegen Präsident<br />

Hosni Mubarak. Polizei <strong>und</strong> regierungstreue Schlägertrupps g<strong>in</strong>gen mit massiver<br />

Gewalt gegen die <strong>über</strong>wiegend friedlichen Proteste vor. Doch schon 18 Tage später trat<br />

Mubarak zurück. Mehr als 840 Menschen waren während des Aufstands ums Leben<br />

gekommen. Der Beg<strong>in</strong>n der Proteste gab den Ereignissen ihren Namen: Die „Revolution<br />

des 25. Januar“.<br />

Auf Mubarak folgte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> 17-monatige Militärherrschaft: Der Oberste Militärrat unter<br />

Leitung von Mohamed Husse<strong>in</strong> Tantawi <strong>über</strong>nahm die Macht. Obwohl er versprach,<br />

die Menschenrechte zu achten, wurden Protestierende weiterh<strong>in</strong> verprügelt <strong>und</strong><br />

erschossen. Tausende wurden von Militärgerichten <strong>in</strong> unfairen Schnellverfahren<br />

zu langen Haftstrafen verurteilt.<br />

Doch die Ägypter ließen sich ihre erkämpfte Freiheit nicht mehr nehmen.<br />

Sie forderten weiter ihre Rechte e<strong>in</strong> – <strong>und</strong> zwar nicht nur mit Sprechchören, Bannern<br />

oder <strong>in</strong> den sozialen Netzwerken des Internets. Aktivisten <strong>und</strong> Künstler griffen auch<br />

zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Medium, das jeder sieht <strong>und</strong> versteht: Graffiti. Die Mauern der ägyptischen<br />

Städte wurden zu Wänden des Widerstands.<br />

„Mit Farbe <strong>und</strong> P<strong>in</strong>sel gegen Tränengasgranaten“ steht an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Wand <strong>in</strong> Kairo.<br />

Der Satz könnte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Art Leitmotiv der jungen ägyptischen Graffiti-Aktivisten se<strong>in</strong>.<br />

Mit der Sprühdose kritisieren sie die Polizeigewalt, fordern die Freilassung Gefan-<br />

gener, erheben die bei Protesten Getöteten zu Märtyrern <strong>und</strong> bekannte Aktivisten<br />

zu Helden. Sie fordern gleiche Rechte für Frauen <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Ende der Militärgerichts-<br />

verfahren gegen Zivilisten. Sie kommentieren Wahlkämpfe <strong>und</strong> das aktuelle<br />

politische Geschehen.<br />

„Wir nutzen Graffitis als <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Art ‚Ersatzmedium“, da die eigentlichen Medien<br />

kontrolliert werden <strong>und</strong> nicht alles sagen können“, sagt Ammaar Mustapha Ali, Street-<br />

Artist <strong>und</strong> Assistent an der Kunsthochschule <strong>in</strong> Kairo. „Deshalb sagen wir es so,<br />

dass es die Menschen reizt, darauf zu reagieren <strong>und</strong> die Wahrheit zu erfahren.“<br />

Dafür greifen sie zu den unterschiedlichsten Stilmitteln: Kunstvolle Wandgemälde<br />

s<strong>in</strong>d umgeben von schnell gesprühten Sprüchen, schlichte, per Schablone gesprühte<br />

„Stencils“ stehen neben Malereien mit altägyptischen Motiven.<br />

Quellen der <strong>aussTellung</strong><br />

Soraja Morajef: Blog „Suze<strong>in</strong>thecity“, http://suzee<strong>in</strong>thecity.wordpress.com.<br />

Ralf Rebmann: Interview mit Soraja Morajef für das Amnesty Journal im Januar 2013.<br />

Amnesty International: Interviews mit ägyptischen Graffiti-Künstlern im Oktober 2012.<br />

Samuli Schielke / Jessica W<strong>in</strong>egar: „The Writ<strong>in</strong>g on the Walls of Egypt“, W<strong>in</strong>ter 2012, www.merip.org.<br />

Kathar<strong>in</strong>a Pfannkuch: „Street Art <strong>in</strong> Kairo – Die Wand gehört dem Widerstand“, 24.9.2012, www.spiegel.de.<br />

Mona Sarkis: Revolutionsgraffiti <strong>in</strong> Ägypten <strong>und</strong> Syrien. Wenn Wände schreien, 20.12.2012, www.nzz.ch.<br />

Bahia Shehab: „Tausendmal Ne<strong>in</strong>“, Juni 2012, www.ted.com.<br />

FoTos<br />

Die Fotos dieser Ausstellung entstanden zwischen März <strong>und</strong> Dezember 2012.<br />

Die Aufnahmen wurden teilweise mit Handy-Kameras gemacht, daher ist die Bildqualität sehr unterschiedlich.<br />

Bildrechte: Amnesty International, falls nicht anders angegeben.<br />

h<strong>in</strong>Weis<br />

Die <strong>in</strong> den Texten <strong>und</strong> Bildern gemachten <strong>und</strong> wiedergegebenen Aussagen der Künstler<br />

<strong>und</strong> Aktivisten entsprechen nicht <strong>in</strong> jedem Fall der Me<strong>in</strong>ung von Amnesty International.<br />

Alle Angaben Stand Februar 2013.<br />

KünsTler mittleres Bild: Omar Fathy „Picasso“, l<strong>in</strong>kes <strong>und</strong> rechtes Bild: unbekannt<br />

TexTe l<strong>in</strong>kes Bild: „Freiheit für die Gefangenen“, mittleres Bild: „Straße der Augen der Freiheit“,<br />

rechtes Bild: oben: „ehre dem Märtyrer“, auf gelber Sprühdose: „Entferne es <strong>und</strong> ich werde es wieder malen“.<br />

die „sTrasse der augen<br />

der FreiheiT“<br />

Das Herz der Kairoer Street Art-Szene schlägt <strong>in</strong> der Mohamed-Mahmoud-Straße.<br />

Sie geht vom Tahrir-Platz ab, dem Zentrum der ägyptischen „Revolution des 25.<br />

Januar“. Die Straße war mehrfach Schauplatz gewaltsamer Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

zwischen Demonstrierenden <strong>und</strong> Sicherheitskräften. Im November 2011 wurden<br />

dort bei Protesten 51 Menschen getötet. Polizisten zielten teilweise mit Schrot-<br />

fl<strong>in</strong>ten direkt auf die Augen der Protestierenden. Bei e<strong>in</strong>igen Ägyptern heißt die<br />

Mohamed-Mahmoud-Straße daher heute „Straße der Augen der Freiheit“.<br />

Im Februar 2012 protestierten dort Tausende gegen den Tod von mehr als<br />

70 Fußballfans, die <strong>in</strong> der Stadt Port Said bei Krawallen zwischen rivalisierenden<br />

Fußballfans ums Leben gekommen waren. Der Polizei wurde vorgeworfen, sie habe<br />

die Täter gewähren lassen. Inmitten von Tränengaswolken malte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gruppe von<br />

Künstlern die Toten von Port Said auf die Mauer der American University of Cairo.<br />

„Die Künstler wechselten zwischen dem Malen der gerade begrabenen Märtyrer <strong>und</strong><br />

dem Demonstrieren <strong>in</strong> der ersten Reihe der Proteste h<strong>in</strong> <strong>und</strong> her“, beschreibt<br />

die Blogger<strong>in</strong> Soraja Morajef die Entstehung der sogenannten „Wand der Märtyrer“.<br />

Sie verfolgt das revolutionäre <strong>und</strong> künstlerische Treiben auf den Wänden Ägyptens<br />

seit 2011 akribisch <strong>und</strong> veröffentlicht regelmäßig neue Fotos.<br />

„EntfErnE Es <strong>und</strong> ich wErdE<br />

Es wiEdEr malEn!“<br />

Street Art gab es <strong>in</strong> Ägypten auch schon vor der „Revolution des 25. Januar“.<br />

Doch mussten die Künstler früher im Untergr<strong>und</strong> arbeiten. Hier <strong>und</strong> da tauchte<br />

e<strong>in</strong> Graffiti <strong>in</strong> den Straßen von Kairo auf. Doch war es meist schnell <strong>über</strong>malt.<br />

Heute stellen Männer <strong>und</strong> Frauen am helllichten Tag ihre Leitern auf <strong>und</strong> fangen<br />

an zu sprühen oder zu p<strong>in</strong>seln. Es ist aber immer noch gefährlich. Daher arbeiten<br />

die Künstler meist <strong>in</strong> Gruppen <strong>und</strong> warnen sich, wenn Ärger droht.<br />

Auch viele ihrer Werke s<strong>in</strong>d nur sehr kurz im Orig<strong>in</strong>alzustand zu sehen.<br />

Unliebsame Kritik an Politikern wird von den Behörden oder von Anhängern der<br />

Kritisierten <strong>über</strong>tüncht. „Wenn sie entfernt werden, bedeutet das, dass unsere<br />

Arbeit beachtet wird <strong>und</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reaktion provoziert“, sagt Mohamed, der s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n<br />

Nachnamen nicht nennen möchte. „Das ist das, was wir wollen. Es motiviert uns,<br />

weiterzumachen.“ Unter manchen Graffitis ist zu lesen: „Entferne es <strong>und</strong> ich<br />

werde es wieder malen!“.<br />

Viele Motive dieser Ausstellung s<strong>in</strong>d daher gar nicht mehr auf der Straße zu<br />

sehen. Dafür entstehen ständig neue. So legt sich <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Schicht von Bildern <strong>und</strong><br />

Botschaften <strong>über</strong> die nächste. „Ich denke, man kann die jüngste Geschichte<br />

m<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Landes durch diese Graffitis lesen, als <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Chronologie von Protesten,<br />

Triumphen <strong>und</strong> Niederlagen, Sterben <strong>und</strong> Feiern“, schreibt Soraja Morajef.<br />

„Die Wände von Kairos Straßen s<strong>in</strong>d jetzt von vielen Schichten Graffitis<br />

<strong>und</strong> Postern, Schmutz <strong>und</strong> Rauch bedeckt. Das Studium dieser Schichten ist<br />

wie das Lesen <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Buches <strong>über</strong> all das, was diese Mauern erlebt haben.“


TiTel<br />

Text<br />

© Amnesty International<br />

„0h regiMe, das angsT<br />

vor p<strong>in</strong>sel <strong>und</strong> sTiFT haT“<br />

Unter der Szene steht weiß auf rotem Gr<strong>und</strong>: „Oh Regime, das Angst<br />

vor P<strong>in</strong>sel <strong>und</strong> Stift hat, du warst ungerecht <strong>und</strong> trittst diejenigen,<br />

die Unrecht erlitten haben. / Wärst du den rechten Weg gegangen, hättest<br />

du k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Angst vor dem Gezeichneten. / Am Ende kämpfst du gegen Wände,<br />

versuchst besser als Striche <strong>und</strong> Farben zu se<strong>in</strong>. / Aber <strong>in</strong>nerlich bist du<br />

e<strong>in</strong> Feigl<strong>in</strong>g; du kannst das Zerstörte niemals wieder aufbauen.“<br />

KünsTler Omar Fathy „Picasso“<br />

TexT rechts oben: „Vere<strong>in</strong> der revolutionären Künstler“.


das neue <strong>ägypTen</strong><br />

<strong>in</strong> alTen bildern<br />

Alaa Awad, Dozent für Wandmalerei an der Hochschule für<br />

Bildende Künste <strong>in</strong> Luxor, kam nach den Fußballkrawallen von<br />

Port Said im Februar 2012 nach Kairo. Er ergänzte die „Wand<br />

der Märtyrer“ <strong>in</strong> der Mohamed-Mahmoud-Straße mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

Begräbnisszene, für die er altägyptische Motive benutzte <strong>und</strong><br />

teilweise neu <strong>in</strong>terpretierte.<br />

Die Szene der „Klageweiber“, die trauern <strong>und</strong> sich die Haare<br />

raufen, kopiert Darstellungen aus antiken ägyptischen Gräbern<br />

(oberes Bild). Alaa Awad sagte, er wolle damit s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Trauer<br />

<strong>über</strong> die Toten von Port Said zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen. Der Ba-<br />

Vogel – halb Tier, halb Mensch – steht vermutlich für die Seele<br />

der Verstorbenen. Der Panther stellt für Awad die Wut des<br />

Volkes dar.<br />

Im Herbst 2012 malte Alaa Awad das altägyptische Motiv<br />

„Der Pharao erschlägt s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Fe<strong>in</strong>de“ (unteres Bild). Neben dem<br />

Bild steht: „Ich b<strong>in</strong> der Hüter des östlichen Tores, die Fe<strong>in</strong>de<br />

sollen nicht zurückkehren.“ In der altägyptischen Tradition<br />

waren die „Fe<strong>in</strong>de“ <strong>in</strong> solchen Darstellungen die Bewohner des<br />

östlichen Mittelmeerraums. Wen Alaa Awad hier mit dem<br />

Pharao <strong>und</strong> den Fe<strong>in</strong>den me<strong>in</strong>t, bleibt offen.<br />

KünsTler Alaa Awad<br />

bildrechTe Bild oben: Thomas Claes, Bild unten: Dorien Marres


TiTel<br />

Text<br />

„Wir s<strong>in</strong>d alle<br />

Khaled said“<br />

Khaled Said wurde zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Symbolfigur der Proteste gegen<br />

Hosni Mubarak. Der Blogger saß im Juni 2010 <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Internet-<br />

Café <strong>in</strong> Alexandria, als zwei Polizisten <strong>in</strong> Zivil here<strong>in</strong>stürmten<br />

<strong>und</strong> ihn ergriffen. Sie stießen ihn auf die Straße <strong>und</strong> prügelten so<br />

lange auf ihn e<strong>in</strong>, bis er starb. Der 28-Jährige hatte wenige Tage<br />

zuvor e<strong>in</strong> Video <strong>in</strong>s Internet gestellt, das zeigte, wie Polizisten<br />

nach <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Drogenrazzia das beschlagnahmte Rauschgift unter<br />

sich aufteilten.<br />

© Amnesty International<br />

Der Tod von Khaled Said war <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r der Auslöser der Proteste<br />

gegen Mubarak e<strong>in</strong> halbes Jahr später. Junge ägyptische Akti-<br />

visten machten den Blogger zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Ikone des Widerstands.<br />

Über die Facebook-Seite „We are all Khaled Said“ wurden<br />

die ersten Massendemonstrationen im Januar 2011 organisiert.<br />

Khaled Saids Porträt wird immer wieder an die Wände gemalt<br />

oder gesprüht.<br />

Im Oktober 2011 verurteilte e<strong>in</strong> Gericht die beiden Polizisten<br />

wegen Totschlags zu sieben Jahren Haft. Ägyptische Aktivisten<br />

kritisierten das Urteil als viel zu milde.<br />

KünsTler unbekannt<br />

TexT unter dem Porträt steht: „Khaled Said – zwei Jahre <strong>und</strong> noch immer gibt es k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gerechtigkeit“.


das „no Walls“-proJeKT<br />

Im Februar 2012 ließ der Oberste Militärrat <strong>in</strong> den sieben<br />

Seitenstraßen der Mohamed-Mahmoud-Straße Wände aus Betonelementen<br />

errichten, um das Innenm<strong>in</strong>isterium vor Demonstrationen<br />

zu schützen. Am 9. März 2012 reagierte <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gruppe von<br />

Aktivisten <strong>und</strong> Künstlern darauf mit dem „No Walls“-Projekt:<br />

Sie durchbrachen die Wände virtuell mit gemalten Ausblicken<br />

<strong>und</strong> positiven Zukunftsfantasien.<br />

Ende 2012 waren e<strong>in</strong>ige der Wände erneut mehrfach <strong>über</strong>malt.<br />

Auf der Mauer mit dem großen Smiley stand wenig später <strong>in</strong><br />

riesigen Buchstaben auf Englisch: „THE WALL WILL FALL“.<br />

Auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r anderen Betonmauer malte der Künstler Mostafa Tefa<br />

das Porträt von Essam Ali Atta (Bild unten rechts). Der 23-Jährige<br />

war 2011 von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Militärgericht zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r zweijährigen Haft-<br />

strafe verurteilt worden. Berichten zufolge wurde er <strong>in</strong> der Haft<br />

gefoltert <strong>und</strong> starb an den Folgen. Nach Angaben des Innen-<br />

m<strong>in</strong>isteriums starb Atta an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r „Drogenvergiftung“, was laut<br />

Generalstaatsanwaltschaft durch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Autopsie bestätigt wurde.<br />

Das Untersuchungsverfahren wurde e<strong>in</strong>gestellt. Auf Druck ägyp-<br />

tischer Menschenrechtler wurde das Verfahren im September<br />

2012 wieder aufgenommen, nachdem e<strong>in</strong> forensischer Experte<br />

Zweifel an der offiziellen Todesursache geäußert hatte.<br />

KünsTler des „no Wall“-proJeKTs Salma al-Tarzi, Mohamed al-Moshir, Hossam Shukrallah,<br />

Hanaa al-Degham, El-Zeft, Amr Nazeer, Laila Maged, Ammar Abo-Bakr, Mostafa Tefa<br />

TexTe Bild rechts unten, neben dem Porträt von Essam Ali Atta steht:<br />

l<strong>in</strong>ks: „Es muss <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Tag geben, an dem für das Unrecht bezahlt wird.“,<br />

rechts: „Weiß für jeden, dem Unrecht widerfahren ist. Schwarz für jeden, der Unrecht tut.“.<br />

bildrechTe l<strong>in</strong>kes Bild oben <strong>und</strong> Bild rechts unten: Dorien Marres, alle anderen: Thomas Claes


„broT, FreiheiT <strong>und</strong><br />

soziale gerechTigKeiT“<br />

Als die Ägypter im Januar <strong>und</strong> Februar 2011 massenhaft<br />

gegen Mubarak demonstrierten, g<strong>in</strong>g es nicht nur um den Sturz<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>r autokratischen Regierung <strong>und</strong> demokratische Reformen.<br />

Viele arme Ägypter erhofften sich auch <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Verbesserung ihrer<br />

Lebensverhältnisse, die sich durch den stetigen Anstieg der<br />

Lebensmittel- <strong>und</strong> Energiepreise immer weiter verschlechtert<br />

hatten. „Brot, Freiheit <strong>und</strong> soziale Gerechtigkeit“, lautete der<br />

Slogan der Proteste. Dass diese Hoffnungen enttäuscht wurden,<br />

zeigt das Graffiti aus dem Herbst 2012: „Wo ist das Brot?“.<br />

Die Künstler<strong>in</strong> Hanaa El Degham verewigte das tägliche Leiden<br />

der Ägypter auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Wand <strong>in</strong> der Mohamed-Mahmoud-Straße.<br />

Ihr unvollendetes Werk thematisiert die schwierige Beschaffung<br />

von Gasflaschen, die zum Kochen für die Ägypter unentbehrlich s<strong>in</strong>d.<br />

Trotz staatlicher Subventionen s<strong>in</strong>d sie sehr teuer, <strong>und</strong> die Preise<br />

steigen stetig. An den Verkaufsstellen kommt es oft zu Range-<br />

leien. Zwischen den Figuren kleben aktuelle Zeitungskommentare.<br />

Auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Gasflasche steht das Wort „Wandel“ (nicht im Bild).<br />

KünsTler<strong>in</strong> Hauptbild: Hanaa El Degham, kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Bilder: unbekannt<br />

TexTe l<strong>in</strong>kes Bild: „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit!“, rechtes Bild: „Wo ist das Brot?“.<br />

bildrechTe Thomas Claes


<strong>ägypTen</strong> unTer<br />

KonTrolle der arMee<br />

„nieder MiT der<br />

MiliTärherrschaFT!“<br />

Am 11. Februar 2011 trat Präsident Mubarak zurück. Die Führung des Landes <strong>über</strong>nahm<br />

der Oberste Militärrat unter Mohamed Husse<strong>in</strong> Tantawi. Politische Gefangene<br />

wurden freigelassen, bislang verbotene politische Parteien konnten sich offiziell<br />

registrieren lassen, <strong>und</strong> es bildeten sich unabhängige Gewerkschaften.<br />

Doch der anfängliche Jubel <strong>über</strong> den Sturz des langjährigen Machthabers verebbte<br />

schnell, denn der Oberste Militärrat g<strong>in</strong>g mit brutaler Gewalt gegen neuerliche Proteste<br />

vor. Dabei wurden mehr als 120 Menschen getötet. Tausende Zivilisten wurden von<br />

Militärgerichten <strong>in</strong> unfairen Schnellverfahren verurteilt. Nach 17 Monaten Militärherrschaft<br />

<strong>über</strong>gab der Oberste Militärrat im Juni 2012 die Führung des Landes an <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

zivile Regierung. Doch die Armee sicherte sich weiterh<strong>in</strong> ihren E<strong>in</strong>fluss <strong>und</strong> entzog sich<br />

der gerichtlichen Kontrolle.<br />

Die Frustration <strong>und</strong> Ernüchterung der Menschen spiegelten sich im Spott der<br />

Sprayer. Ihre Graffitis zeigen, wie die Generäle den Umbruch ausbremsen. Sie kritisieren<br />

die Nähe des Obersten Militärrats zur alten Mubarak-Regierung <strong>und</strong> die dom<strong>in</strong>ante<br />

Rolle der Armee <strong>in</strong> der Politik. An den Wänden Kairos war häufig zu lesen: „Nieder mit<br />

der Militärherrschaft!“ <strong>und</strong> „Ne<strong>in</strong> zum Militärrat!“.<br />

E<strong>in</strong> schlichtes schwarz-weißes „Stencil“ zeigt <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n zweigeteilten Redner h<strong>in</strong>ter<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Pult mit dem ägyptischen Wappen. Er trägt den Anzug <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Zivilisten, doch<br />

die Mütze <strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Militärs. Anstelle des Gesichts steht das Datum „30. Juni“ (2012),<br />

der Tag an dem der gewählte Präsident Mohamed Mursi se<strong>in</strong> Amt antrat. Die Bot-<br />

schaft ist klar: Wer auch immer Präsident wird, das Militär hat weiterh<strong>in</strong> den Hut auf.<br />

KünsTler unbekannt<br />

TexTe l<strong>in</strong>kes Bild oben: „Nieder mit der Militärherrschaft!“,<br />

Bild unten: „Ich glaube an Gott, aber ich habe m<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Glauben an den Obersten Militärrat verloren.“.<br />

bildrechTe alle Bilder: Dorien Marres<br />

gerechTigKeiT<br />

Für die opFer von polizei-<br />

<strong>und</strong> MiliTärgeWalT!<br />

Amnesty International dokumentiert kont<strong>in</strong>uierlich <strong>und</strong> umfassend<br />

die Gewalt von Polizei <strong>und</strong> Militär <strong>in</strong> Ägypten. Unter der Übergangsregierung<br />

des Obersten Militärrats kamen mehr als 120 Menschen bei Protesten<br />

ums Leben. Tausende wurden schwer verletzt, viele erbl<strong>in</strong>deten.<br />

Frauen wurden Opfer gezielter sexueller Gewalt. Seit der Amts<strong>über</strong>nahme<br />

von Präsident Mohamed Mursi im Juni 2012 starben mehrere Dutzend<br />

Ägypter im Zuge politischer Gewalt.<br />

Bisher wurden jedoch nur e<strong>in</strong>ige wenige e<strong>in</strong>fache Soldaten <strong>und</strong> Sicherheitskräfte<br />

vor Gericht zur Rechenschaft gezogen. Die meisten Verantwort-<br />

lichen <strong>und</strong> Täter genießen weiter Straffreiheit. Amnesty fordert, dass alle<br />

Fälle von Polizei- <strong>und</strong> Militärgewalt umfassend aufgeklärt, die Verantwortlichen<br />

vor zivilen Gerichten angeklagt <strong>und</strong> Opfer <strong>und</strong> Angehörige entschädigt<br />

werden. Zudem muss der ägyptische Sicherheitsapparat gr<strong>und</strong>legend<br />

reformiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> Menschenrechtsfragen geschult werden.<br />

E<strong>in</strong> weiteres Ziel ist das Ende unfairer Militärgerichtsverfahren:<br />

Zwischen Februar <strong>und</strong> August 2011 wurde mehr als 12.000 Zivilisten auf<br />

diesem Wege der Prozess gemacht. Sie wurden teilweise <strong>in</strong> wenigen<br />

M<strong>in</strong>uten zu langen Haftstrafen oder <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen sogar zum Tode verurteilt,<br />

darunter auch e<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>derjährige. Amnesty International lehnt<br />

die Verurteilung von Zivilpersonen durch Militärgerichte ab, da dies<br />

das Recht auf e<strong>in</strong> faires <strong>und</strong> öffentliches Verfahren verletzt.<br />

Sowohl <strong>in</strong> Ägypten als auch weltweit gab es Proteste gegen die Militärge-<br />

richtsverfahren gegen Zivilisten. Mit ersten Erfolgen: Die Zahl der Verfahren<br />

nahm spürbar ab. Präsident Mursi ließ alle Gefangenen <strong>über</strong>prüfen,<br />

die im Zusammenhang mit den Demonstrationen <strong>in</strong>haftiert worden waren.<br />

Tausende Menschen wurden daraufh<strong>in</strong> freigelassen.<br />

Anfang 2013 befanden sich jedoch weiterh<strong>in</strong> etwa 1.000 Zivilisten im<br />

Gefängnis, die <strong>in</strong> unfairen Verfahren von Militärgerichten verurteilt worden<br />

waren. Zudem erlaubt die im Dezember 2012 angenommene Verfassung<br />

weiterh<strong>in</strong> Militärgerichtsverfahren für Zivilpersonen. Der entsprechende<br />

Artikel wurde <strong>in</strong> letzter M<strong>in</strong>ute auf Druck der Armee geändert.<br />

Amnesty International fordert, Militärgerichtsverfahren gegen Zivilisten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zu beenden, alle betroffenen Personen entweder freizulassen<br />

oder für e<strong>in</strong> faires Verfahren vor zivilen Gerichten zu sorgen.


„parKen verboTen,<br />

ausser an den grenzen<br />

des vaTerlandes.“<br />

So steht es auf dem unteren Bild. Der Mann auf dem Panzer im oberen Bild<br />

ist Mohamed Husse<strong>in</strong> Tantawi, der als Vorsitzender des Obersten Militärrats<br />

(Englisch: Supreme Council of the Armed Forces – SCAF) nach dem Rücktritt<br />

von Präsident Hosni Mubarak die Macht <strong>über</strong>nahm.<br />

KünsTler Bild oben: vermutlich Abu Ghada, Bild unten: unbekannt<br />

TexT Bild unten: rechts <strong>über</strong> dem Panzer steht: „Abu Ghada, der Bruder der Märtyrer“.<br />

bildrechTe Bild unten: Dorien Marres


„die revoluTion<br />

gehT WeiTer“<br />

Das Doppelporträt <strong>in</strong> der Mohamed-Mahmoud-Straße zeigt<br />

die Gesichtshälften von Hosni Mubarak <strong>und</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Nachfolger<br />

Mohamed Husse<strong>in</strong> Tantawi. Dar<strong>über</strong> steht: „Die Revolution<br />

geht weiter“. Darunter ist zu lesen: „Wer Befehle gegeben hat,<br />

ist nicht gestorben“. Der Satz ist e<strong>in</strong> Wortspiel mit dem arabi-<br />

schen Sprichwort: „Wer K<strong>in</strong>der gezeugt hat, ist nicht gestorben“.<br />

Geme<strong>in</strong>t ist, dass Tantawi die Politik s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Vorgängers fortsetzt.<br />

Das Doppelporträt wurde im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen<br />

2012 um die Gesichter der beiden Kandidaten Ahmed Schafik<br />

<strong>und</strong> Amr Moussa erweitert. Schafik war während der „Revolution<br />

des 25. Januar“ kurzzeitig M<strong>in</strong>isterpräsident unter Mubarak,<br />

Moussa war bis 2001 Außenm<strong>in</strong>ister Ägyptens <strong>und</strong> danach<br />

Generalsekretär der Arabischen Liga.<br />

Im Mai 2012 <strong>über</strong>strichen städtische Angestellte das Porträt,<br />

doch schon am nächsten Tag hatten der Künstler Omar Fathy –<br />

genannt „Picasso“ – <strong>und</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Fre<strong>und</strong>e es erneut gemalt.<br />

Im Herbst 2012 malte Picasso das gleiche Motiv an die Mauern<br />

des Präsidentenpalasts. Diesmal ist das Gesicht h<strong>in</strong>ter Mubarak<br />

<strong>und</strong> Tantawi der neue Präsident Mohamed Mursi. Nichts hat<br />

sich geändert, sagen die Künstler.<br />

KünsTler Omar Fathy „Picasso“<br />

TexTe Bild oben: rechts <strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks neben dem Doppelporträt: „Vere<strong>in</strong>t euch oder sterbt –<br />

Ägypten ist den Amtsverzicht wert“, l<strong>in</strong>ks unter der Waage: „Das Recht – wer ist se<strong>in</strong> Herr?“,<br />

l<strong>in</strong>kes Bild unten: rechts oben unter der Faust: „Vere<strong>in</strong> der revolutionären Künstler“.<br />

bildrechTe alle Bilder: Dorien Marres


„siehsT du eTWas?“<br />

Der Zahnarzt Ahmed Harara zählt für viele Ägypter zu den Helden der „Revo-<br />

lution des 25. Januar“. Während der Proteste am sogenannten „Tag des Zorns“,<br />

dem 28. Januar 2011, wurde er auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Auge von Schrotkugeln getroffen<br />

<strong>und</strong> erbl<strong>in</strong>dete. Der 31-Jährige sagte Amnesty: „Als die Polizei auf uns schoss,<br />

hatten wir unsere Hände erhoben <strong>und</strong> riefen: ‚friedlich, friedlich!’“.<br />

Am 20. November 2011 nahm er an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Demonstration <strong>in</strong> der Mohamed-<br />

Mahmoud-Straße teil, als Polizisten direkt auf die Augen der Protestierenden<br />

zielten. Dabei wurde Hararas anderes Auge getroffen <strong>und</strong> der Sehnerv zerstört.<br />

Dennoch demonstriert er weiter: „Wir haben k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Angst, getötet, verletzt<br />

oder gefoltert zu werden. Angst gibt es nicht mehr. Die Menschen wollen <strong>in</strong><br />

Würde leben. Deshalb werden wir nicht aufhören.“ Wegen der Vorfälle im<br />

November 2011 wurde nur e<strong>in</strong> Polizist angeklagt. Er war dabei gefilmt worden,<br />

wie er direkt auf die Augen der Demonstrierenden zielte.<br />

Hararas Porträt mit der Augenklappe wurde mehrfach an Kairos Wände gemalt.<br />

Das Porträt des Vorsitzenden des Obersten Militärrats Tantawi mit der Augen-<br />

klappe ist offenbar <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reaktion darauf. Darunter steht: „Siehst du etwas?“.<br />

Das kalligraphische Graffiti von Bahia Shehab ist ebenfalls <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Reaktion<br />

auf Hararas Schicksal. Die Kunsthistoriker<strong>in</strong> beschäftigte sich schon vor der<br />

„Revolution des 25. Januar“ mit kalligraphischen Schreibweisen des arabischen<br />

Wortes „Ne<strong>in</strong>“. In <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Vortrag im Juni 2012 berichtet sie, wie sie im Herbst<br />

2011 begann, an die Wände zu sprühen, wogegen sich ihr „Ne<strong>in</strong>“ alles richtet:<br />

z.B. „Ne<strong>in</strong> zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m neuen Pharao“ oder „Ne<strong>in</strong> zum Notstandsgesetz“.<br />

Hier möchte sie „Ne<strong>in</strong> zur Zerstörung von Heldenaugen“ sagen.<br />

KünsTler Hauptbild: unbekannt, l<strong>in</strong>kes Bild: unbekannt, rechtes Bild: Bahia Shehab<br />

TexTe Hauptbild: auf der Augenb<strong>in</strong>de steht: „28. Januar“, r<strong>und</strong> um den Kopf steht immer „Harara“,<br />

kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Bild rechts: <strong>über</strong> dem großen Zeichen für „Ne<strong>in</strong>“ steht: „Gruß an den Helden Ahmed Harara“,<br />

darunter: „Gegen privilegierte Schichten“.


„Wir Werden es<br />

nichT vergessen“<br />

Im Dezember 2011 entblößten <strong>und</strong> misshandelten ägyptische Soldaten <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Demonstrant<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Nähe des Tahrir-Platzes. Die Aufnahmen vom „Mädchen<br />

im blauen BH“ lösten <strong>in</strong> Ägypten <strong>und</strong> weltweit Entsetzen <strong>über</strong> die Brutalität<br />

der Armee aus. E<strong>in</strong> Graffiti auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Mauer an der Mohamed-Mahmoud-Straße<br />

hat die Szene festgehalten. Später versah jemand die Soldaten mit Teufels-<br />

hörnern <strong>und</strong> -schwänzen <strong>und</strong> verdeckte den blauen BH.<br />

Auch Bahia Shehab griff die Szene <strong>in</strong> ihrem „Stencil“ auf: „Ne<strong>in</strong> zum Ausziehen<br />

von Menschen“, heißt es da. Auf dem Fußabdruck darunter steht: „Lang lebe<br />

die friedliche Revolution“. In <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Vortrag im Juni 2012 sagte die Künstler<strong>in</strong>:<br />

„Der blaue BH soll uns an unsere Schande als Nation er<strong>in</strong>nern – dass wir zulassen,<br />

dass <strong>e<strong>in</strong>e</strong> verschleierte Frau auf der Straße ausgezogen <strong>und</strong> geschlagen wird.“<br />

Es gab jedoch <strong>e<strong>in</strong>e</strong>, die nicht tatenlos zusah. Azza Suleiman versuchte der<br />

jungen Frau zu helfen, als diese entblößt am Boden lag. Daraufh<strong>in</strong> schlugen<br />

die Sicherheitskräfte Azza Suleiman ebenfalls zusammen. Sie lag tagelang<br />

im Koma <strong>und</strong> leidet bis heute unter Gedächtnisstörungen. Doch sie wehrte sich<br />

<strong>und</strong> reichte Klage wegen Körperverletzung e<strong>in</strong>. Amnesty International<br />

unterstützt Azza Suleiman <strong>in</strong> ihrem Kampf um Aufklärung.<br />

KünsTler Bild oben <strong>und</strong> kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Bild: unbekannt, Bild unten: Bahia Shehab<br />

TexT Bild oben <strong>und</strong> kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Bild: <strong>über</strong> dem Graffiti steht: „Wir werden es nicht vergessen,<br />

oh Mutter aller Mädchen“ (ägyptische Bezeichnung für „Führer<strong>in</strong> aller Mädchen“).<br />

bildrechTe Bild unten: Thomas Claes, kl<strong>e<strong>in</strong>e</strong>s Bild: Dorien Marres


MiT „JungFräulichKeiTs-<br />

TesTs“ geFolTerT<br />

Polizisten <strong>und</strong> Soldaten g<strong>in</strong>gen bei Demonstrationen häufig<br />

mit brutaler Gewalt gezielt gegen Frauen vor. Viele wurden misshandelt<br />

<strong>und</strong> erlitten sexuelle Gewalt, doch nur wenige sprachen<br />

öffentlich dar<strong>über</strong>. E<strong>in</strong>e, die es wagte, ist Samira Ibrahim.<br />

Die 25-Jährige wurde im März 2011 zusammen mit 17 weiteren<br />

Frauen festgenommen <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Militärgefängnis gebracht.<br />

Sie wurden mit Schlägen <strong>und</strong> Elektroschocks gequält. E<strong>in</strong>ige<br />

Frauen wurden von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Militärarzt zwangsweise sogenannten<br />

„Jungfräulichkeitstests“ unterzogen. Man drohte ihnen, sie<br />

würden wegen Prostitution angeklagt, sollte sich herausstellen,<br />

dass sie „nicht mehr jungfräulich“ seien. Statt verschämt zu<br />

schweigen, klagte Samira Ibrahim gegen den brutalen E<strong>in</strong>griff.<br />

E<strong>in</strong> Gericht <strong>in</strong> Kairo gab ihr nach langem Kampf Recht <strong>und</strong><br />

entschied, erzwungene „Jungfräulichkeitstests“ seien rechts-<br />

widrig. Der Militärarzt wurde jedoch im März 2012 von<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Militärgericht freigesprochen.<br />

Die Reaktion der Graffiti-Künstler ließ nicht lange auf sich<br />

warten: E<strong>in</strong>en Tag nach dem Freispruch prangte Ibrahims Konter-<br />

fei an <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Wand. Mit ernstem <strong>und</strong> entschlossenem Blick<br />

schaut sie <strong>über</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Gruppe von Soldaten h<strong>in</strong>weg, die alle die<br />

Gesichtszüge des freigesprochenen Arztes tragen.<br />

KünsTler unbekannt<br />

bildrechTe Bild unten: Dorien Marres


TiTel<br />

Text<br />

© Amnesty International<br />

drei Jahre geFängnis<br />

Für <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n blog<br />

Maikel Nabil war 2010 der erste Kriegsdienstverweigerer<br />

<strong>in</strong> Ägypten. Während <strong>und</strong> nach der „Revolution des 25. Januar“<br />

setzte sich der Blogger im Internet für die E<strong>in</strong>haltung der<br />

Menschenrechte e<strong>in</strong>. Nach dem Sturz Mubaraks bekam er<br />

die ganze Härte der neuen Militärregierung zu spüren.<br />

In s<strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Blog prangerte er die exzessive Gewalt des Militärs<br />

gegen Demonstrierende an. Se<strong>in</strong> Resümee: „Die Revolution<br />

hat es geschafft, den Diktator loszuwerden, aber nicht<br />

die Diktatur“. Maikel Nabil wurde verhaftet <strong>und</strong> von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m<br />

Militärgericht <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m unfairen Schnellverfahren zu<br />

drei Jahren Gefängnis verurteilt.<br />

Nach <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Hungerstreik <strong>und</strong> weltweiten Protesten wurde<br />

er schließlich im Januar 2012 begnadigt. Amnesty International<br />

hatte sich für s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Freilassung e<strong>in</strong>gesetzt, zahlreiche Eil-<br />

aktionen gestartet <strong>und</strong> die ägyptische Regierung immer<br />

wieder aufgerufen, den Blogger aus der Haft zu entlassen.<br />

Inzwischen studiert Maikel Nabil <strong>in</strong> Deutschland.<br />

KünsTler unbekannt<br />

TexTe direkt <strong>über</strong> Maikel Nabils Porträt steht: „Freiheit für Maikel Nabil“,<br />

dar<strong>über</strong>: „Ne<strong>in</strong> zu Militärgerichtsverfahren für Zivilisten. Freiheit für Ali El-Halib“.<br />

bildrechTe Dorien Marres


die „Wand der MärTyrer“<br />

Während der „Revolution des 25. Januar“ spielten Fußballfans – die soge-<br />

nannten „Ultras“ – <strong>e<strong>in</strong>e</strong> besondere Rolle. Vor allem die Fans des Kairoer Vere<strong>in</strong>s<br />

Al-Ahly standen bei den Demonstrationen Anfang 2011 an vorderster Front.<br />

Sie hatten Erfahrungen, was Straßenkämpfe mit der Polizei ang<strong>in</strong>g, <strong>und</strong><br />

verteidigten den Tahrir-Platz im Januar <strong>und</strong> Februar 2011 gegen die Angriffe<br />

regierungstreuer Kräfte.<br />

Dabei kam ihnen zugute, dass sie bereits unter Mubarak gut organisiert waren.<br />

Denn das Fußballstadion war neben der Moschee der e<strong>in</strong>zige öffentliche Ort,<br />

an dem die Menschen ihrem Unmut Ausdruck verleihen konnten.<br />

Ihre Macht demonstrierten die Ultras von Al-Ahly 2012, als sie die Wiederauf-<br />

nahme des Spielbetriebs der ägyptischen Fußballliga verh<strong>in</strong>derten. Sie verlangten,<br />

vorher müsse die Stadionkatastrophe von Port Said aufgeklärt werden. Bei gewaltsamen<br />

Zusammenstößen rivalisierender Fußballfans waren am 2. Februar 2012<br />

mehr als 70 Anhänger von Al-Ahly ums Leben gekommen. Den Sicherheitskräften<br />

wurde vorgeworfen, nichts unternommen zu haben, um die Gewalt zu verh<strong>in</strong>dern.<br />

Alle Bilder: Künstler unbekannt<br />

Kurz danach verewigte der Künstler Ammar Abo-Bakr die Toten auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Mauer<br />

<strong>in</strong> der Mohamed-Mahmoud-Straße. Die Flügel symbolisieren für die Graffiti-<br />

Künstler den „Märtyrertod“. Anders als viele andere regierungskritische Wand-<br />

gemälde blieb die sogenannte „Wand der Märtyrer“ lange erhalten. Als sie<br />

im September 2012 doch <strong>über</strong>malt wurde, führte das zu <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m öffentlichen<br />

Aufschrei. Der M<strong>in</strong>isterpräsident sah sich gezwungen, öffentlich zu erklären,<br />

die Übermalung sei nicht von der Regierung angeordnet worden.<br />

Ende Januar 2013 wurden zunächst 21 Männer wegen der tödlichen Krawalle<br />

von Port Said von <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Gericht <strong>in</strong> Kairo zum Tode verurteilt. Amnesty kritisierte<br />

die Verhängung der Todesstrafe als <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Verletzung des Rechts auf Leben.<br />

Der Richterspruch löste gewaltsame Proteste von Unterstützern der Verur-<br />

teilten aus, bei denen mehr als 30 Menschen starben.<br />

KünsTler Ammar Abo-Bakr & Fre<strong>und</strong>e<br />

TexTe rechtes Bild oben: Auf dem T-Shirt ist das Logo der Al-Ahly-Fans zu sehen.<br />

bildrechTe Bild Mitte <strong>und</strong> unten: Thomas Claes, l<strong>in</strong>kes <strong>und</strong> rechtes Bild oben: Dorien Marres


nichTs isT nur<br />

Für Männer da<br />

FrauendisKriM<strong>in</strong>ierung<br />

geseTzlich veranKerT<br />

Bei den Demonstrationen gegen Hosni Mubarak standen Frauen im Kampf um<br />

Freiheit, Würde <strong>und</strong> soziale Gerechtigkeit <strong>in</strong> der ersten Reihe. Sie erhofften sich auch<br />

e<strong>in</strong> Ägypten ohne Frauendiskrim<strong>in</strong>ierung, die sowohl gesetzlich verankert als auch<br />

gesellschaftlich tief verwurzelt ist.<br />

. Das ägyptische Strafrecht schützt Frauen nicht wirksam vor Gewalt <strong>in</strong> der Familie<br />

oder Vergewaltigung <strong>in</strong> der Ehe.<br />

. Während Männer ihre Frauen e<strong>in</strong>fach „verstoßen“ können, müssen Frauen für <strong>e<strong>in</strong>e</strong><br />

Scheidung vor Gericht gehen.<br />

. Frauen erhalten nur die Hälfte des Erbes, das <strong>e<strong>in</strong>e</strong>m Mann zusteht.<br />

Vor allem <strong>in</strong> ländlichen Gebieten können Frauen ihren Erbanspruch <strong>in</strong> den seltensten<br />

Fällen durchsetzen.<br />

. Weibliche Genitalverstümmelung ist zwar seit 2008 verboten, wird aber noch<br />

immer durchgeführt <strong>und</strong> bleibt straffrei, wenn „mediz<strong>in</strong>ische Gründe“ angeführt<br />

werden können.<br />

. Abtreibung ist <strong>in</strong> allen Fällen verboten, selbst bei Vergewaltigung oder wenn<br />

das Leben der Frau bedroht ist.<br />

Bisher wurden die Hoffnungen der ägyptischen Aktivist<strong>in</strong>nen enttäuscht. Von der<br />

politischen Neugestaltung des Landes waren Frauen größtenteils ausgeschlossen.<br />

Bei den ersten freien Parlamentswahlen im Dezember 2011 <strong>und</strong> Januar 2012<br />

erhielten Frauen nur zwölf der 508 Sitze. In der zweiten Verfassunggebenden<br />

Versammlung waren von 100 Mitgliedern nur sieben weiblich. Präsident Mursi<br />

berief gerade mal zwei Frauen <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Kab<strong>in</strong>ett <strong>und</strong> hielt se<strong>in</strong> Versprechen nicht,<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Frau zur Vizepräsident<strong>in</strong> zu machen.<br />

KünsTler Nooneswa<br />

TexTe l<strong>in</strong>kes Bild: „Sortier mich nicht <strong>in</strong> Schubladen!“, rechtes Bild: „Mädchen <strong>und</strong> Jungen s<strong>in</strong>d gleich“,<br />

Bild unten: „Nichts ist nur für Männer da“.<br />

bildrechTe l<strong>in</strong>kes Bild: Thomas Claes, rechtes Bild <strong>und</strong> Bild unten: Dorien Marres<br />

„darF <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Frau so eTWas<br />

auF der sTrasse Machen?“<br />

Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit <strong>und</strong> Frauenrechten f<strong>in</strong>den sich<br />

auch <strong>in</strong> den Graffitis wieder, zum Beispiel <strong>in</strong> den Arbeiten des Künstlerkollektivs<br />

Nooneswa: „Mädchen <strong>und</strong> Jungen s<strong>in</strong>d gleich“ oder „Nichts ist nur für Männer<br />

da“ steht unter ihren Motiven mit ägyptischen Filmstars. Ihr Motiv „Sortier mich<br />

nicht <strong>in</strong> Schubladen!“ wurde <strong>in</strong>zwischen von fem<strong>in</strong>istischen Aktivist<strong>in</strong>nen <strong>in</strong><br />

Tunesien aufgegriffen.<br />

Unter den Graffiti-Künstlern s<strong>in</strong>d nur wenige Frauen. Sie haben es oft<br />

schwerer als ihre männlichen Kollegen. So berichtet die Künstler<strong>in</strong> Laila Majid:<br />

„Es gab bisher zwei Reaktionen der Leute: Entweder haben sie Angst, wenn sie<br />

e<strong>in</strong> Mädchen auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Leiter sehen, das die Wand anmalt. Sie verstehen es nicht,<br />

sagen nichts, gucken mir e<strong>in</strong>fach zu <strong>und</strong> machen Fotos. Oder sie werden aggressiv<br />

<strong>und</strong> sagen D<strong>in</strong>ge wie: „Darf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Frau so etwas auf der Straße machen?<br />

Das ist doch k<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Kunst“.<br />

FrauenrechTe<br />

sTärKen!<br />

1981 ratifizierte Ägypten die <strong>in</strong>ternationale Frauenrechtskonvention.<br />

Die Regierung ist damit verpflichtet, die Gleichstellung von Mann <strong>und</strong> Frau<br />

zu garantieren. Doch derzeit ist das Land noch weit davon entfernt.<br />

Besonders beunruhigend ist, dass die im Dezember 2012 angenommene<br />

Verfassung Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> des Geschlechts nicht ausdrücklich<br />

untersagt. Stattdessen soll der Staat e<strong>in</strong> ausgewogenes Verhältnis<br />

zwischen den familiären Verpflichtungen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Aufgaben<br />

der Frau herstellen. Die Scharia wird als Gr<strong>und</strong>lage der Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> Gesetzgebung def<strong>in</strong>iert, was zur E<strong>in</strong>schränkung von Frauenrechten<br />

genutzt werden könnte.<br />

Amnesty International fordert daher von der ägyptischen Regierung,<br />

sicherzustellen, dass Frauen gleichberechtigt an der politischen Gestaltung<br />

des Landes teilnehmen können. Ägypter<strong>in</strong>nen müssen alle öffentlichen<br />

Ämter besetzen dürfen. Alle Gesetze, die Frauen diskrim<strong>in</strong>ieren, müssen<br />

abgeschafft oder entsprechend <strong>in</strong>ternationaler Normen geändert werden.<br />

Frauen müssen vor Gewalt <strong>und</strong> sexueller Belästigung geschützt werden.


TiTel<br />

Text<br />

© Amnesty International<br />

„ne<strong>in</strong> zu sexueller<br />

beläsTigung“<br />

Sexuelle Belästigung ist <strong>in</strong> Ägypten weit verbreitet. Bei <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Umfrage des<br />

„Egyptian Center for Women’s Rights“ im Jahr 2008 gaben 83 Prozent der<br />

Frauen an, schon e<strong>in</strong>mal physisch oder verbal belästigt worden zu se<strong>in</strong>.<br />

Doch sozialer Druck führt dazu, dass nur sehr wenige Frauen Anzeige erstatten.<br />

Diejenigen, die es tun, erhalten nur selten Unterstützung durch Polizei <strong>und</strong><br />

Justiz. Oft wird ihnen sogar <strong>e<strong>in</strong>e</strong> Mitschuld an der Belästigung unterstellt.<br />

Mit dem Umsturz <strong>und</strong> dem Reformprozess verbanden viele Ägypter<strong>in</strong>nen<br />

auch die Hoffnung auf <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gesellschaftliche Ächtung sexueller Belästigung.<br />

Doch das Gegenteil trat e<strong>in</strong>. Aktivist<strong>in</strong>nen der „Egyptian Initiative for Personal<br />

Rights“ berichteten im Herbst 2012, dass die Übergriffe zunehmend auf-<br />

dr<strong>in</strong>glicher <strong>und</strong> gewalttätiger werden. Im Juni 2012 attackierten Männer <strong>in</strong><br />

Zivil <strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Protestmarsch gegen sexuelle Belästigung <strong>in</strong> Kairo; die Teilnehmer-<br />

<strong>in</strong>nen der Demonstration wurden tätlich angegriffen <strong>und</strong> sexuell belästigt.<br />

Zu drastischen Vorfällen kam es Ende Januar 2013 auf dem Tahrir-Platz.<br />

Bei Protesten anlässlich des 2. Jahrestags der „Revolution des 25. Januar“<br />

sahen sich Frauen plötzlich von zahlreichen Männern e<strong>in</strong>gekreist. Sie rissen<br />

den Frauen die Kleider vom Leib, begrapschten <strong>und</strong> belästigten sie.<br />

Ägyptische Menschenrechtsorganisationen bildeten daraufh<strong>in</strong> Notwehr-<br />

Teams, die den Opfern helfen <strong>und</strong> die Täter ergreifen sollen.<br />

Die Erklärungsversuche für die zunehmenden Übergriffe s<strong>in</strong>d vielfältig:<br />

Gewalt gegen Frauen wird fast nie bestraft, Krim<strong>in</strong>elle nutzen die <strong>in</strong>stabile<br />

politische Lage aus, <strong>und</strong> für die Politiker <strong>und</strong> Behörden hat das Thema<br />

k<strong>e<strong>in</strong>e</strong>rlei Priorität. Außerdem werden Frauen auf diese Weise systematisch<br />

von öffentlichen Plätzen <strong>und</strong> Protesten ferngehalten.<br />

KünsTler<strong>in</strong> Mira Shihadeh<br />

TexT unter der Spraydose steht: „Ne<strong>in</strong> zu sexueller Belästigung“.


„Wenn du <strong>in</strong> geFahr bisT,<br />

WirsT du sehen, dass ich<br />

dich schüTze“<br />

Das steht s<strong>in</strong>ngemäß auf dem „Stencil“ (oberes Bild). Frauen demonstrierten<br />

von Anfang an Seite an Seite mit den Männern. Graffiti-Künstler würdigten<br />

die wichtige Rolle der Aktivist<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> ihren Werken.<br />

KünsTler Bild oben: unbekannt, Bild unten: Alaa Awad<br />

bildrechTe Dorien Marres


„ohne euch<br />

häTTen Wir es nieMals<br />

so WeiT gebrachT.“<br />

Der Künstler El-Zeft schreibt <strong>über</strong> s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Nofretete mit der Gasmaske:<br />

„E<strong>in</strong> Tribut an alle Frauen, die an unserer geliebten Revolution teilnehmen.<br />

Ohne euch hätten wir es niemals so weit gebracht.“ Neben der Nofretete<br />

steht auf der Wand: „Mit Farbe <strong>und</strong> P<strong>in</strong>sel gegen Tränengas-Granaten“.<br />

KünsTler El-Zeft<br />

TexT Die Sprühdose ist die Signatur des Künstlers, dar<strong>in</strong> steht se<strong>in</strong> Name „El Zeft“. Das heißt wörtlich „Teer“<br />

<strong>und</strong> bedeutet <strong>in</strong> der ägyptischen Umgangssprache so viel wie „Zeug“ oder „Scheiß“.


neuer präsidenT,<br />

neues <strong>ägypTen</strong>?<br />

der sTreiT uM<br />

die verFassung<br />

Die ersten Monate nach dem Amtsantritt von Präsident Mohamed Mursi im Juni 2012<br />

waren von politischem Streit <strong>über</strong> die zukünftige Verfassung geprägt. Die liberalen,<br />

säkularen <strong>und</strong> christlichen Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung legten<br />

nach <strong>und</strong> nach ihr Mandat nieder. Übrig blieben die Vertreter der Muslimbrüder<br />

<strong>und</strong> der Salafisten.<br />

Im Dezember 2012 stand <strong>e<strong>in</strong>e</strong> gerichtliche Entscheidung <strong>über</strong> die Rechtmäßigkeit<br />

der Versammlung an. Um ihrer Auflösung zuvorzukommen, verfügte Präsident Mursi<br />

Ende November per Dekret, s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Entscheidungen seien ab sofort nicht mehr ge-<br />

richtlich anfechtbar. Gleichzeitig erklärte er die Verfassunggebende Versammlung<br />

faktisch für unauflösbar. Außerdem erließ er e<strong>in</strong> Gesetz zum „Schutz der Revo-<br />

lution“, das es unter anderem ermöglichte, Menschen für Kritik an der Regierung<br />

bis zu sechs Monate <strong>in</strong> Untersuchungshaft zu halten.<br />

KünsTler unbekannt<br />

TexTe l<strong>in</strong>kes Bild: Über dem Porträt steht: „Ne<strong>in</strong> zum Pharao!“, darunter: „rechtswidrig“ (das wurde jedem<br />

nachgerufen, der zum alten System zählte. Es bedeutet unter anderem „schlecht“ <strong>und</strong> „nicht mehr gut“.).<br />

Bild unten: l<strong>in</strong>ks <strong>und</strong> rechts neben Gikas Porträt steht <strong>in</strong> Rot <strong>und</strong> Schwarz: „Öffne die Türen des Schweigens <strong>und</strong><br />

schreie mit <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r Stimme“, im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> abwechselnd: „Ne<strong>in</strong> zur Verfassung“ <strong>und</strong> „Ne<strong>in</strong> zu den Muslimbrüdern“.<br />

bildrechTe alle Bilder: Dorien Marres<br />

e<strong>in</strong> neuer „pharao“?<br />

Die Dekrete Mursis <strong>und</strong> der <strong>über</strong>hastete <strong>und</strong> von islamistischen Kräften domi-<br />

nierte Verfassungsprozess lösten <strong>in</strong> ganz Ägypten Proteste aus. Sie wurden durch<br />

die ersten Todesopfer seit Mursis Amtsantritt weiter angefacht. Darunter war<br />

der 17-jährige Gaber Salah, genannt „Gika“. Er starb am 20. November 2012 durch<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong>n Kopfschuss <strong>in</strong> der Mohamed-Mahmoud-Straße. Geme<strong>in</strong>sam mit Tausenden<br />

anderen wollte er der 51 Menschen gedenken, die e<strong>in</strong> Jahr zuvor bei Protesten<br />

gegen den Obersten Militärrat <strong>in</strong> dieser Straße ums Leben gekommen waren.<br />

Se<strong>in</strong> schreiendes Porträt malten Aktivisten an die Wand des Präsidentenpalasts<br />

<strong>und</strong> auf viele andere Mauern Kairos. Der Graffiti-Künstler Mohamed Issam Gouda<br />

sagte Amnesty: „Für mich hat Mursi mit dem Tod Gikas s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Legitimität verloren“.<br />

Auf den Mauern des Präsidentenpalasts wurde nun Mursi – wie zuvor Hosni<br />

Mubarak – als neuer Pharao kritisiert, der sich selbst weitreichende Sondervollmachten<br />

verlieh.<br />

Zwar lenkte Mursi Anfang Dezember e<strong>in</strong> <strong>und</strong> hob s<strong>e<strong>in</strong>e</strong> Verfügungen teilweise<br />

wieder auf. Aber der Verfassungsentwurf wurde am 30. November 2012 <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>e</strong>r<br />

nächtlichen Sitzung der Verfassunggebenden Versammlung durchgepeitscht.<br />

Trotz heftiger Kritik ließ Mursi bereits im Dezember per Referendum <strong>über</strong> die<br />

Verfassung abstimmen. Sie wurde mit 63,8 Prozent der Stimmen angenommen,<br />

die Wahlbeteiligung lag jedoch nur bei 33 Prozent.<br />

<strong>MenschenrechTe</strong><br />

<strong>in</strong> die verFassung!<br />

Amnesty International kritisiert an der neuen ägyptischen Verfassung<br />

unter anderem folgende Punkte:<br />

Die Gr<strong>und</strong>sätze von Gleichheit <strong>und</strong> Freiheit von Diskrim<strong>in</strong>ierung gelten<br />

nur für ägyptische Staatsbürger. Flüchtl<strong>in</strong>ge, Asylbewerber <strong>und</strong> Migranten<br />

s<strong>in</strong>d nicht geschützt. Diskrim<strong>in</strong>ierung aufgr<strong>und</strong> des Geschlechts,<br />

der Religion oder Herkunft ist nicht ausdrücklich verboten.<br />

Folter <strong>und</strong> andere Misshandlungen s<strong>in</strong>d verboten. Doch da die Pr<strong>in</strong>zipien<br />

des Scharia-Rechts die Gr<strong>und</strong>lage der Rechtsprechung bilden, könnten<br />

Körperstrafen auf diesem Weg gerechtfertigt werden.<br />

Die Beleidigung <strong>und</strong> Diffamierung von Propheten sowie jeglicher Person<br />

ist verboten. Dies kann weiterh<strong>in</strong> genutzt werden, um Diffamierung als<br />

Straftatbestand zu def<strong>in</strong>ieren <strong>und</strong> so die Me<strong>in</strong>ungsfreiheit e<strong>in</strong>zuschränken.<br />

Die Verfassung beschränkt die Religionsfreiheit auf Islam,<br />

Judentum <strong>und</strong> Christentum. Andere Religionen s<strong>in</strong>d nicht geschützt.<br />

Wirtschaftliche, soziale <strong>und</strong> kulturelle Rechte s<strong>in</strong>d kaum festge-<br />

schrieben, obwohl das Thema soziale Gerechtigkeit bei den Protesten<br />

<strong>e<strong>in</strong>e</strong> große Rolle spielte.<br />

K<strong>in</strong>derrechte s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Verfassung nicht geschützt.

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