* 09 * 09 *10*16*19*21*22 *23 - Schauspiel Stuttgart
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Arbeit/<br />
Armut/<br />
Reichtum/<br />
*<strong>09</strong> *10 *22 *19 *<strong>09</strong> *21 *16 <strong>*23</strong><br />
Glaube/<br />
Gewalt/<br />
Angst/ Ver-<br />
antwortung<br />
frei nach homers ‚odyssee‘<br />
23 last exit ithaka<br />
Die<br />
DER<br />
heilige<br />
Johanna<br />
STURM<br />
der<br />
Schlachthöfe<br />
von William ShakeSpeare<br />
von Bertolt<br />
Brecht<br />
frei nach homers ‚odyssee‘<br />
T
das projekt ‚patenklasse‘<br />
Die Inszenierung ‚Last Exit Ithaka‘ wurde von der Klasse 11/3 (Schuljahr 2006/07)<br />
des Ernährungswissenschaftlichen Gymnasiums der Mathilde-Planck-Schule in<br />
Ludwigsburg begleitet (Deutschlehrerin: Elke Melber).<br />
Die Schüler begleiteten den Entstehungsprozess der Inszenierung und setzen sich<br />
in eigenen Arbeiten mit der ‚Odyssee‘ auseinander. Das Projekt ermöglichte einen<br />
direkten Austausch mit den Theatermachern und eine intensive Beschäftigung<br />
mit zentralen Themen und ästhetischen Formen einer Inszenierung. Gleichzeitig<br />
wurde bei den Schülern ein kreativer Arbeitsprozess angestoßen, in den sie ihre<br />
unterschiedlichen Ideen und Interessen einbringen konnten. Die Arbeitsergebnisse<br />
der Schüler finden Sie auf der Theaterpädagogikseite unserer Homepage:<br />
www.staatstheater-stuttgart.de.<br />
Dr. Cantz‘sche Druckerei, Ostfildern<br />
druck<br />
Strichpunkt, <strong>Stuttgart</strong> / www.strichpunkt-design.de<br />
gestaltung<br />
Christian Holtzhauer, Christian Mahlow<br />
redaktion<br />
Hasko Weber<br />
intendant<br />
<strong>Schauspiel</strong> <strong>Stuttgart</strong> / Staatstheater <strong>Stuttgart</strong><br />
herausgeber<br />
Hamburg 2001; Homer, Die Odyssee, deutsch von Anton Weiher, Darmstadt 1986<br />
Mythos Odysseus; T. E. Runge, F. Weibel, W. T. Ruegg (Hg.), Odysseus im Konzern,<br />
Achilles in Vietnam; Günter Kunert, Heimkehr, in: Bernhard Zimmermann (Hg.),<br />
Hamburg 1998; Tim O’Brian, The Things They Carried, zitiert nach: Jonathan Shay,<br />
des Odysseus, Frankfurt am Main 1993; Jonathan Shay, Achilles in Vietnam,<br />
Zimmermann (Hg.), Mythos Odysseus, Leipzig 2004; Peter Bürger, Die Tränen<br />
Atwood, Die Penelopiade, Berlin 2006; Konstantin Kavafis, Ithaka, in: Bernhard<br />
Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 2004; Margaret<br />
Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1996; Max Horkheimer und<br />
Herfried Münkler, Odysseus und Kassandra, Frankfurt am Main 1990; Hans<br />
textnachweis<br />
impressum
last exit ithaka<br />
frei nach Homers ‚Odyssee‘<br />
eine koproduktion mit der<br />
staatlichen hochschule für musik<br />
und darstellende kunst stuttgart,<br />
fachbereich schauspiel<br />
Premiere am 24. November 2006 im Depot<br />
Spieldauer: ca. 1:30 Stunden<br />
www.staatstheater-stuttgart.de
s: 4 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
Besetzung<br />
Mit:<br />
Sonja Dengler<br />
Folkert Dücker<br />
Lisa Friederich<br />
Boris Koneczny<br />
Caroline Junghanns<br />
Aliki Schäfer<br />
Florian Schmidtke<br />
Martin Weigel<br />
regie und textfassung Ulf Otto<br />
bühne und kostüme Moritz Müller<br />
musikalische einrichtung Jens-Karsten Stoll<br />
dramaturgie Christian Holtzhauer<br />
regieassistenz Annika Hartmann<br />
bühnenbildassistenz Christine Bentele<br />
kostümassistenz Tanja Plankensteiner<br />
dramaturgieassistenz Christian Mahlow<br />
videomontage Dominique Geisler<br />
inspizienz Hans Beck<br />
soufflage Hermann J. Wolter<br />
regiehospitanz Friederike Hammer<br />
bühnenbildhospitanz Anna Welsch<br />
kostümhospitanz Corinna Straub<br />
Technische Direktion: Karl-Heinz Mittelstädt // Technische Direktion<br />
<strong>Schauspiel</strong>: Andreas Zechner // Technische Einrichtung: Manuel Willi //<br />
Licht: Rainer Hülswitt // Video: Robert Seidel // Ton: Maik Waschfeld //<br />
Requisite: Uwe Puschmann // Leitung Dekorationswerkstätten: Bernhard<br />
Leykauf // Technische Produktionsbetreuung: Katrin Lessner // Malsaal:<br />
Maik Sinz // Bildhauerei: Michael Glemser // Dekorationsabteilung:<br />
Donald Pohl // Schreinerei: Frank Schauss // Schlosserei: Patrick Knopke //<br />
Leitung Maske: Heinz Schary // Maske: Renate Löw, Bettina Löffler //<br />
Kostümdirektion: Werner Pick // Produktionsleitung Kostüme: Doris<br />
Berger // Gewandmeisterinnen: Renate Jeschke (Damen), Elke Betzner,<br />
Ellen Deilke (Herren) // Färberei: Martina Lutz // Rüstmeisterei: Rolf Otto<br />
// Schuhmacherei: Alfred Budenz, Verena Bähr // Modisterei: Eike<br />
Schnatmann // Kunstgewerbe: Heidemarie Roos-Erdle, Eva Schwarz<br />
s: 5 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka
ITHAKA TODAy<br />
Wer bei der ‚Odyssee‘ nur an abenteuer denkt, an irrfahrt, einäugige<br />
Riesen, schöne Zauberinnen und todbringende sängerinnen, übersieht,<br />
dass der griechische Dichter homer in seinem berühmten epos einen<br />
weitaus größeren Bogen spannt. es geht ihm nicht um das schicksal des<br />
mythischen heerführers Odysseus allein, des erfinders des ‚trojanischen<br />
Pferdes‘, mit dessen hilfe die Griechen endlich die Festung troja bezwin-<br />
gen konnten. Vielmehr verknüpft der Dichter der ‚Odyssee‘ verschiedene<br />
Motive zu einer großen erzählung: Neben die Geschichte vom siegreichen<br />
Feldherrn und seiner leidvollen Rückkehr nach ithaka, einer insel<br />
im ionischen Meer, tritt als dritter erzählstrang die schilderung einer<br />
Gesellschaft, die seit der abreise ihres herrschers Odysseus in einen<br />
merkwürdigen Zustand der lähmung verfallen ist. Mehr als einhundert<br />
Fürsten – zumeist stammen sie von den benachbarten inseln – halten<br />
um die hand Penelopes an, der Gattin des verschollenen königs. sie und<br />
ihr sohn müssen mit ansehen, wie die aufdringlichen Freier hab und<br />
Gut des hausherrn verzehren.<br />
Die ereignisse geraten ins Rollen, als Penelope, die noch immer davon<br />
überzeugt ist, dass ihr Mann lebt und nach hause kommen wird, die auf<br />
s: 6 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
eine entscheidung drängenden Freier nicht länger hinhalten kann. sie<br />
wird über kurz oder lang einen von ihnen heiraten müssen. Der glückliche<br />
auserwählte würde dann könig – und telemach, der sohn des Odysseus,<br />
müsste seine hoffnungen auf den thron für lange Zeit begraben. Noch<br />
dazu haben die Freier beschlossen, den zu einer Bedrohung für sie heranwachsenden<br />
telemach zu ermorden. Genau in diesem Moment lässt<br />
homer seinen helden wieder in see stechen. Zwei verschiedene Welten<br />
sind kurz davor, aufeinander zu treffen: Odysseus, an dem der krieg<br />
und die irrfahrt sicher nicht spurlos vorübergegangen sind, und ithaka,<br />
das sich während seiner abwesenheit spürbar verändert hat.<br />
Denn diesem Zustand des Wartens, in dem die Bewohner der insel verharren,<br />
lassen sich durchaus auch positive aspekte abgewinnen. solange<br />
Penelope sich nicht für einen der Freier entscheidet, müssen die anderen<br />
nicht fürchten, dass die Party für sie bald vorbei ist. Ob Penelope, die<br />
im haus und im staat während der abwesenheit ihres rechtmäßigen<br />
Gatten immerhin das sagen hat, sich ohne weiteres wieder in der Rolle<br />
der hausfrau fügen wird, sobald Odysseus zurück ist, darf auch bezweifelt<br />
werden. Und auch für telemach ändert sich durch die Rückkehr<br />
des Vaters nicht viel. Zwar braucht er seine hilfe, um die dreisten Freier<br />
hinauszuwerfen, die thronbesteigung aber ließe weiter auf sich warten.<br />
s: 7 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka
s: 8 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
es ist also immerhin vorstellbar, dass die Bewohner ithakas sich in dem<br />
Machtvakuum, das Odysseus hinterlassen hat, ganz bequem eingerichtet<br />
haben. Was aber tun, um sich die Zeit zu vertreiben? homers schilde-<br />
rungen entnehmen wir, dass kaum ein tag ohne ein Festmahl zu ende<br />
geht. Nach dem Mahl greift der sänger in die saiten seiner harfe und<br />
beginnt zu singen – und zwar von den ruhmreichen taten des Odysseus.<br />
Was die sänger bei homer singen, und ob ihre schilderungen auch nur<br />
im entferntesten den tatsachen entsprechen, wissen wir nicht. Ob aller-<br />
dings Odysseus, als er dann endlich dazu kommt, seine Version der<br />
Geschichte zu erzählen, tatsächlich den wahren hergang der ereignisse<br />
schildert, können wir ebensowenig überprüfen. schließlich hat keiner<br />
seiner Gefährten die Reise überlebt, und Odysseus trägt nicht von<br />
Ungefähr den Beinamen ‚der listenreiche‘. Was aber nun wahr ist, und<br />
was erfunden, spielt letztlich keine Rolle. Wichtig ist nur, woran wir zu<br />
glauben beschließen. Das weiß Odysseus, und das wissen die Bewohner<br />
ithakas. ist es aber, wenn ohnehin jeder sein eigenes Bild vom helden<br />
im kopf hat, überhaupt noch wichtig, ob und wann der ‚wahre‘ Odysseus<br />
zurückkommt?<br />
christian holtzhauer<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
nim Was nis für duipsum eine Närrin er am num er aus ver mir alis gemacht am quatiss hat, equam, sagen sisiscil einige. ipsumsa Das ndia- war<br />
met eines utem seiner velisse Talente: dolor si Leute estrud. zum Ulla acing Narren et augiam zu halten. elendipsummy Er kam mit nonsed<br />
dolor allem sis davon, nostis was et acip ein ea weiteres corercillum seiner nim quat Talente incipsumsan war: davonzukom-<br />
voluptat, coreetu<br />
mmodio men. Was commodo er sagte, luptat. klang Tat wismod immer dignim so plausibel. doloreet, Viele quat nisis Leute exer glaubten, sed min<br />
heniat dass seine ad mod Version dolobore der tatue Geschehnisse ver sumsan volore die wahre tet vel doloreet sei, vielleicht ad delesti- ein<br />
nibh exerosto conse eugait lor sum eu feum dolute core dolore tet dunt wisi<br />
paar Morde, ein paar schöne Verführerinnen, ein paar einäugige<br />
blan hendigna feum et vel iuscin et at vercidunt la ad modignis nit dolor secte<br />
Ungeheuer mehr oder weniger. Selbst ich habe ihm geglaubt, ab<br />
venim quam accum dolore commy nostie feuipit irit, quis nos num endigna aut<br />
und zu. Ich wusste, wie verschlagen er war und was für ein<br />
eum quat do endionsenim in vel duisi.<br />
Lügner, ich glaubte nur nicht, dass er seine Verschlagenheiten und<br />
enibh Lügen eliquisiiduis<br />
an mir ausprobieren würde. War ich nicht treu gewesen?<br />
˚ wörter und körper erzählt vom Umgang mit Gespenstern auf der Suche<br />
Hatte ich nicht gewartet und gewartet und gewartet, trotz der<br />
nach einem Ort der Geborgenheit.« (Martin Heckmanns)<br />
Versuchung – fast dem Zwang –, es nicht zu tun? Und was wurde<br />
der Rezession. Das Geschäft müsste geführt werden. Albert hat die Welt gese-<br />
aus hen, mir, aber sobald weiß nichts die von offizielle Buch führung. Version Die an Nachbarstochter Boden gewann? kommt Eine zu<br />
erbauliche Besuch. Sie ist Legende. stiller geworden. Ein Stock, Sie schwärmt mit dem für andere Albert Frauen jetzt fast geschlagen<br />
ohne<br />
wurden. Ausdruck. Warum Zwischen konnten ihnen liegt sie Zeit. nicht Sie so sagt: rücksichtsvoll ‚Es gibt keine sein, Menschen. so Nur<br />
vertrauenswürdig, ein großes Vermissen.‘ so Aber alles es erduldend, der Rezession. wie Das ich Geschäft es gewesen müsste war? geführt<br />
werden. Albert hat die Welt gesehen, aber weiß nichts von Buch führung. Die<br />
Auf diese Linie einigten sie sich, die Sänger, die Garnspinner.<br />
Nachbarstochter kommt zu Besuch. Sie ist stiller geworden. Sie schwärmt für<br />
Folgt meinem Beispiel nicht, möchte ich in eure Ohren schreien!<br />
Albert jetzt fast ohne Ausdruck. Zwischen ihnen liegt Zeit. Sie sagt: ‚Es gibt<br />
keine Menschen. Nur ein großes Vermissen.‘<br />
aus: margaret atwood, die penelopiade<br />
s: 9 ˚
s: 10 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
ODySSEUS UND KASSANDRA<br />
Nur Kurzsichtige glauben, der Trojanische Krieg sei auf dem Schlachtfeld<br />
entschieden worden. Das Ende der Ilias ist nicht das Ende des Krieges, und<br />
Homer besingt nicht den Krieg, sondern nur eine seiner Episoden. Heldendichtung<br />
ist eines, Kriegshistoriographie ein anderes. Die Entscheidung über<br />
Sieg und Niederlage ist in den Köpfen der Menschen gefallen: bei den Achäern<br />
[Griechen], indem sie sich auf die List des Odysseus einließen und ein Pferd<br />
bauten, dessen Bauch mit Kriegern gefüllt und das als Weihegabe getarnt<br />
werden konnte; bei den Trojanern, indem sie die Warnungen der Kassandra<br />
in den Wind schlugen, eine Bresche in die Stadtmauer rissen und das Pferd in<br />
die Stadt zogen. In der darauffolgenden Nacht entstiegen dem Pferd achäische<br />
Elitekrieger, und das zurückgekehrte Heer der Achäer stürmte durch die<br />
Bresche in der Stadtbefestigung nach Troja hinein. Die Trojaner selbst hatten<br />
dem Feind den Weg gebahnt. Odysseus’ Plan war aufgegangen. Die Warnungen<br />
der Kassandra waren vergebens gewesen. Nicht Hektor und Achill, sondern<br />
Odysseus und Kassandra sind die zentralen Figuren des Krieges. Hektor und<br />
Achill kämpfen mit Waffen um Waffen, Odysseus und Kassandra hingegen mit<br />
Worten um Definitionen: darum, was Krieg, was Frieden und was eine Waffe<br />
ist. Odysseus hat sich vor diesem Krieg drücken wollen, doch nachdem er sich<br />
entschlossen hatte, mitzumachen, betrieb er den Krieg mit einer Energie wie<br />
sonst keiner der Achäer. Sein strategischer Plan setzte auf Eskalation. Front<br />
und Hinterland – eine Unterscheidung, die für Odysseus keine Bedeutung<br />
besaß. Er setzte auf Effizienz, und das hieß, der Krieg musste mit allen Mitteln<br />
geführt werden, mit ehrenhaften und mit unehrenhaften. Odysseus ist der<br />
Dogmatiker des Erfolgs. Um zum Erfolg zu kommen, ist Odysseus jedes Mittel<br />
willkommen, auch solche, die verpönt sind.<br />
aus: herfried münkler, odysseus und kassandra<br />
s: 11 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
IDENTITäT UND ABENTEUER<br />
Kein Werk aber legt von der Verschlungenheit von Aufklärung<br />
und Mythos beredteres Zeugnis ab als das homerische, der<br />
Grundtext der europäischen Zivilisation. In den Stoffschichten<br />
Homers haben die Mythen sich niedergeschlagen; der Bericht von<br />
ihnen aber, die Einheit, die den diffusen Sagen abgezwungen<br />
ward, ist zugleich die Beschreibung der Fluchtbahn des Subjekts<br />
vor den mythischen Mächten. Die Irrfahrt von Troja nach Ithaka<br />
ist der Weg des leibhaft gegenüber der Naturgewalt unendlich<br />
schwachen und im Selbstbewusstsein erst sich bildenden Selbst<br />
durch die Mythen. Die Vorwelt ist in den Raum säkularisiert, den<br />
er durchmisst, die alten Dämonen bevölkern den fernen Rand<br />
und die Inseln des zivilisierten Mittelmeers, zurückgescheucht in<br />
Felsgestalt und Höhle, woraus sie einmal im Schauder der Urzeit<br />
entsprangen. Die Abenteuer aber bedenken jeden Ort mit seinem<br />
Namen. Aus ihnen gerät die rationale Übersicht über den Raum.<br />
Der zitternde Schiffbrüchige nimmt die Arbeit des Kompasses vorweg.<br />
Die Abenteuer, die Odysseus besteht, sind allesamt gefahrvolle<br />
Lockungen, die das Selbst aus der Bahn seiner Logik heraus-
s: 12 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
ziehen. Er überlässt sich ihnen immer wieder aufs neue, probiert<br />
es als unbelehrbar Lernender, ja zuweilen als töricht Neugieriger,<br />
wie ein Mime unersättlich seine Rollen ausprobiert. Das<br />
Wissen, in dem seine Identität besteht und das ihm zu überleben<br />
ermöglicht, hat seine Substanz an der Erfahrung des Vielfältigen,<br />
Ablenkenden, Auflösenden, und der wissend Überlebende ist<br />
zugleich der, welcher der Todesdrohung am verwegensten sich<br />
überlässt, an der er zum Leben hart und stark wird. Das Selbst<br />
macht nicht den starren Gegensatz zum Abenteuer aus, sondern<br />
formt in seiner Starrheit sich erst durch diesen Gegensatz.<br />
Odysseus, wie die Helden aller eigentlichen Romane nach ihm,<br />
wirft sich weg gleichsam, um sich zu gewinnen; die Entfremdung<br />
von der Natur, die er leistet, vollzieht sich in der Preisgabe an<br />
die Natur, mit der er in jedem Abenteuer sich misst, und ironisch<br />
triumphiert die Unerbittliche, der er befiehlt, indem er als<br />
Unerbittlicher nach Hause kommt, als Richter und Rächer der<br />
Erbe der Gewalten, denen er entrann.<br />
aus: max horkheimer und theodor adorno,<br />
dialektik der aufklärung<br />
ARBEIT AM MyTHOS<br />
s: 13 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
Im Gegensatz zu aller Geschichte, in der die Epochen sich mit dem Bewusstsein<br />
ablösen, jetzt endlich würde es ernst, nach so viel Leichtfertigkeit im Vertun<br />
der besten Möglichkeiten des Menschen ginge es jetzt und endlich ums Ganze,<br />
ist jeder Schritt der Arbeit am Mythos Abtragung des alten Ernstes – selbst<br />
die Kunstmythen vom Ende der Kunst oder vom Tode Gottes sind so gemacht.<br />
Es gibt kein Ende des Mythos, obwohl es die ästhetischen Kraftakte des<br />
Zuendebringens immer wieder gibt. Wir haben Vergleichbares als ästhetisches<br />
Ereignis, wenn es sich um ein vorgegebenes Formular handelt: Eine Inszenierung<br />
wage ein Äußerstes, liefere ein ‚Endspiel‘, das ist uns geläufige<br />
Phrase geworden. Es gehört zum Erlebnis selbst des Zuschauers, sich fragen<br />
zu müssen: Was wäre nach diesem noch möglich?<br />
Weshalb sollte die Welt fortbestehen müssen, wenn nichts mehr zu sagen ist?<br />
Wie aber, wenn doch noch etwas zu sagen wäre?<br />
aus: hans blumenberg, arbeit am mythos
s: 14 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
s: 15 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka
s: 16 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
s: 17 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka
KONSTANTIN KAVAFIS: ITHAKA<br />
s: 18 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
Und brichst du auf nach Ithaka,<br />
bitte darum, der Weg sei weit,<br />
von Abenteuern voll und von Erkenntnissen.<br />
Die Lästrygonen und Zyklopen,<br />
den zornigen Poseidon fürchte nicht.<br />
Dergleichen findest du auf deinem Wege nie,<br />
wenn dein Denken hoch, und wenn erlesenes<br />
Gefühl an Geist und Leib dir rühren.<br />
Den Lästrygonen und Zyklopen, dem ungebärdigen Poseidon,<br />
wirst du nicht begegnen, wenn du<br />
sie nicht in deiner Seele mit dir trägst, wenn<br />
deine Seele sie nicht vor dich hinstellt.<br />
…<br />
aus: konstantin kavafis, ithaka<br />
s: 19 ˚<br />
Und findest du es arm, Ithaka betrog dich nicht.<br />
So weise, wie du nun geworden, mit so viel Erfahrung,<br />
da hast du ohnehin verstanden, was die Ithakas bedeuten.<br />
…<br />
Immer behalte Ithaka in deinem Sinn.<br />
Dort anzukommen, ist dein Ziel.<br />
Doch keinesfalls beeil‘ dich auf der Reise.<br />
Besser, dass sie viele Jahre währt;<br />
Und erst, wenn du alt geworden, lande<br />
auf der Insel, reich an allem,<br />
was du unterwegs erworben hast, und<br />
hoffe nicht, daß Ithaka dir Reichtum schenkt.<br />
Ithaka gab dir die schöne Reise.<br />
Ohne Ithaka wärst du nie aufgebrochen.<br />
Anderes kann es dir nicht mehr schenken.<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka
last exit ithaka<br />
s chausp iels tuttgart<br />
s: 21 ˚<br />
last exit ithaka<br />
s chausp iels tuttgart<br />
s: 20 ˚
last exit ithaka<br />
s chausp iels tuttgart<br />
s: 23 ˚<br />
last exit ithaka<br />
s chausp iels tuttgart<br />
s: 22 ˚
s: 12 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
DIE TRäNEN DES ODySSEUS<br />
s: 25 ˚<br />
Homer berichtet, dass Odysseus bei den Phäaken den Sänger<br />
Demodokos auffordert, die Geschichte von der Eroberung Trojas<br />
zu berichten. Als Demodokos seiner Bitte nachkommt und die<br />
Geschichte vom hölzernen Pferd und von der List des Odysseus<br />
vorträgt, beginnt dieser zu weinen. Warum weint Odysseus? Hat<br />
er nicht selbst den Sänger aufgefordert, vom Untergang Trojas so<br />
zu berichten, wie er sich zugetragen hat? Weil er in der Erzählung<br />
des Demodokos sich selbst begegnet als einem Toten – so hat<br />
Foucault die Stelle gedeutet. [Doch] nicht Odysseus ist tot, wohl<br />
aber etwas, was ihm so nahe ist wie einer trauernden Frau ihr von<br />
den Feinden getöteter Mann: das eigene Tun. Dieses begegnet<br />
ihm in der Erzählung des Demodokos als seinem tätigen Eingreifen<br />
entzogene Vergangenheit. Als erzählte tritt sie ihm gegenüber,<br />
abgeschlossen und unveränderlich. Er, der Erlebende und alle<br />
Fährnisse Überlebende, der so oft schon unterschiedliche Versionen<br />
seiner Irrfahrt erzählt hat, der die Erzählung gebraucht hat<br />
als Werkzeug listiger Selbstbehauptung, erfährt, dass er nicht<br />
Herr ist über das eigene Tun. Im Lied des Demodokos begegnet<br />
s: 13 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
Odysseus der eigenen Vergangenheit als einer Welt, in die er<br />
nicht mehr einzugreifen vermag. Der Sänger nimmt ihm sein<br />
vergangenes Tun und sein Wissen davon. Er enteignet ihn.<br />
Die Wahrheit über Odysseus’ Taten vor Troja hat ihren Ort jetzt<br />
im Lied. Was Odysseus erschüttert, ist die Erfahrung, dass er<br />
eine Vergangenheit hat, zu der er keinen privilegierten Zugang<br />
besitzt. Das Geschehen löst sich von dem ab, der es ins Werk<br />
gesetzt hat. Er kann seiner Wege gehen. Die Erzählung, und nur<br />
sie, ist fortan der Ort der Wahrheit. Vielleicht kann man es auch<br />
so ausdrücken: Odysseus wird erzählt. Das Lied holt ihn ein,<br />
überholt ihn, und er bleibt zurück als einer, der sein eigenes<br />
Zurückbleiben beweint.<br />
aus: peter bürger, die tränen des odysseus<br />
s: 24 ˚
s: 10 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
Eine wahre Kriegsgeschichte ist nie eine moralische. Sie lehrt<br />
s: 27 ˚<br />
keine Tugend noch ermutigt sie zur Tugendhaftigkeit. Sie propagiert<br />
keine Modelle angemessenen menschlichen Verhaltens, und sie<br />
hält die Menschen nicht davon ab, die Dinge zu tun, die sie immer<br />
schon getan haben. Wenn eine Geschichte eine Moral zu beinhalten<br />
scheint, dann sollte man sie nicht glauben. Wenn man sich am Ende<br />
einer Kriegsgeschichte gehoben fühlt oder wenn man das Gefühl<br />
hat, dass ein kleines bisschen Rechtschaffenheit aus einer riesigen<br />
Einöde gerettet worden ist, dann ist man zum Opfer einer sehr alten<br />
und dummen Lüge geworden. Es gibt hier keinerlei Rechtschaffenheit<br />
irgendwelcher Art. Es gibt hier keine Tugend. Die erste Faustregel<br />
zum Erkennen einer wahren Kriegsgeschichte besteht in ihrer absoluten<br />
und kompromisslosen Treue in der Darstellung von Obszönitäten<br />
und Übel ... Eine wahrhaftige Kriegsgeschichte löst immer Verwirrung<br />
aus. Wenn Ihnen Obszönitäten gleichgültig sind, in diesem Fall ist<br />
Ihnen auch die Wahrheit gleichgültig; wenn Ihnen die Wahrheit gleichgültig<br />
ist, dann sollten Sie darauf achten, wie Sie wählen. Wenn man<br />
Leute in den Krieg schickt, muss man damit rechnen, dass sie schmutzige<br />
Ausdrücke im Mund führen, wenn sie nach Hause kommen.<br />
aus: tim o’brian, the things they carried<br />
s: 11 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
s: 26 ˚<br />
ICH WAR GERADE [AUS DEM KRIEG] ZURÜCKGE-<br />
KEHRT, UND DIE ELTERN MEINER FRAU GABEN<br />
EIN ESSEN FÜR MICH UND MEINE ELTERN SOWIE<br />
IHRE BRÜDER UND DEREN FRAUEN. NACH DEM<br />
DINNER SASSEN WIR ALLE IM WOHNZIMMER, UND<br />
IHR VATER SAGTE: »So, nun erzähl doch mal,<br />
wie eS war.« UND ICH BEGANN ZU SPRECHEN<br />
UND ERZäHLTE IHNEN ALLES. DOCH INNERHALB<br />
VON FÜNF MINUTEN WAR DAS ZIMMER LEER.<br />
SIE WAREN ALLE GEGANGEN, NUR MEINE FRAU<br />
NICHT. DANACH HABE ICH NIEMANDEM MEHR<br />
ERZäHLT, WIE ES WIRKLICH WAR.<br />
ungenannter vietnam-veteran, zitiert nach: jonathan shay,<br />
achilles in vietnam
s: 8 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
IRRWEGE EINER NACHWUCHSKRAFT<br />
Wir sind geneigt, in Odysseus das Rollenmodell für das Heldentum<br />
schlechthin zu sehen. Selbst wenn damit Opfer, Entbehrungen und<br />
Prüfungen aller Art verbunden sind, sind nicht gerade die karrierebewussten<br />
Junioren bereit, einiges auf sich zu nehmen, um ihre Sehnsucht<br />
nach Erfolg und Anerkennung zu befriedigen?<br />
Es ist genau dieser Punkt, an dem es sich lohnt, die Herausforderung<br />
von Körper und Geist gleichermaßen zu verstehen. In der Tat haben<br />
die enormen körperlichen Belastungen nur Sinn, wenn wir sie nicht als<br />
Quälerei der Götter sehen, sondern als Anlass, Ausdruck und Verdeutlichung<br />
des Reifeprozesses unseres Helden. Dem Kampf nach außen<br />
steht ein mächtiger Kampf nach innen gegenüber, der es Odysseus erst<br />
erlaubt, gestärkt nach Hause zu gehen. Hiermit wird auch klar, dass<br />
das Überleben nicht Selbstzweck ist. In unserer Kultur steht und handelt<br />
das Individuum immer mit Bezug zu einer Gemeinschaft. Erst<br />
nach einem strapaziösen Entwicklungsprozess kann es geläutert seine<br />
neuen Aufgaben in der Gemeinschaft übernehmen (…)<br />
Wer nicht den Willen hat, die Strapazen eines Management Developments<br />
auf sich zu nehmen, verbaut sich die Chance der Entwicklung<br />
selbst – und des sinnvollen Einsatzes als Führungskraft, sei es in<br />
der Wirtschaft oder in der Öffentlichkeit.<br />
aus: runge/weibel/ruegg, odysseus im konzern<br />
s: 9 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
HEIMKEHR<br />
Wiedererkannt hat ihn nur<br />
sein alter Hund. Gewisse Geschöpfe<br />
erwittern unbeirrt ihresgleichen.<br />
Reise wohin es dich trägt, du bleibst<br />
dennoch derselbe. Ich höre den Nachhall<br />
von Penelopes inquisitorischen Fragen,<br />
höre die Mär von den Freiern, aber<br />
der Hund! Der Hund gab sich<br />
ohne Zögern unter deine müde Hand.<br />
Schweigen verhindert Misstrauen.<br />
Wahre Liebe bedarf keiner Worte.<br />
Wo eine Berührung genügt,<br />
haben die Götter<br />
ihr böses Spiel verloren.<br />
günter kunert
Ich bin Odysseus,<br />
s: 6 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
der Sohn des Laertes; von all meinen Listen<br />
Singen und sagen die Menschen: es dringt mein Ruhm bis zum Himmel.<br />
Ithaka ist mein Besitz, man sieht es von weitem; es ist wohl<br />
Rauh, doch nährt es gar treffliche Jugend; Es gibt keinen Anblick,<br />
Den ich an Süße vergleiche mit jenem der eigenen Heimat.<br />
Wahrlich, es hielt mich zurück eine hehre Göttin Kalypso,<br />
Wünschte, ich würde ihr Gatte in ihrer geräumigen Grotte.<br />
Gradeso wollte die listige Kirke, ich sollte Aiaia,<br />
Sollte ihr Haus nicht verlassen, und wünschte, ich würde ihr Gatte.<br />
Doch mein Gemüt in der Brust ist keiner hörig geworden.<br />
Lässt sich doch nichts an Süße mit Eltern vergleichen und Heimat,<br />
Mag einer hausen in üppiger Fülle in anderem Lande<br />
Draußen im Weiten, doch fern von den Eltern.<br />
aus: homer, die odyssee, ix. gesang<br />
s: 7 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
DIE IRRFAHRT – EINE BILANZ<br />
Es liegt in der Natur von Heldensagen, dass sie sich zumeist um ein einziges,<br />
herausragendes Individuum ranken. Doch Odysseus war ja nicht allein von Troja<br />
aufgebrochen. Welches Schicksal widerfuhr seinen Gefährten auf der Heimkehr<br />
nach Ithaka? Hier einige der wichtigsten Stationen – und Katastrophen:<br />
1. Insel der Kikonen: 72 Männer sterben.<br />
2. Land der Lotophagen: Durch Drogenkonsum fast die Heimkehr vergessen.<br />
3. Höhle des Kyklopen: Aus purer Neugier in die Falle getappt. Sechs<br />
Männer werden von dem Ungeheuer verspeist. Odysseus verhöhnt<br />
den Kyklopen, der daraufhin den Gott des Meeres bittet, Rache zu üben.<br />
Damit beginnt die zehn Jahre währende Irrfahrt.<br />
4. Bei den Laistrygonen: 11 Schiffe werden von den Riesen zerstört, die im<br />
Wasser schwimmenden Gefährten werden gefressen.<br />
5. Insel der Kirke: 22 Männer werden in Schweine verwandelt. Ein Freund<br />
des Odysseus stirbt unbemerkt und wird nicht einmal beerdigt.<br />
6. Durchfahrt durch die Meerenge von Skylla und Charybdis: 6 Männer sterben.<br />
7. Auf Thrinakia, der Insel des Sonnengottes: Die Gefährten verzehren wider<br />
besseres Wissen die Rinder des Sonnengottes Helios. Zur Strafe vernichten<br />
die Götter die Schiffe, alle Gefährten ertrinken.<br />
Bilanz: Auf seiner Reise verliert Odysseus 12 Schiffe mitsamt ihren Besatzungen,<br />
also etwa 600 Mann. Er überlebt als einziger.<br />
christian mahlow
DIE HEIMKEHR DES ODySSEUS<br />
Zwanzig Jahre ist es her, seit Odysseus ithaka verlassen hat. Das ist nicht<br />
nur eine lange Zeit für ein land ohne herrscher, zwanzig Jahre sind auch<br />
eine lange Zeit im leben eines Menschen. Odysseus weiß immerhin, dass<br />
er eines tages nach hause zurückkehren wird. Was ihn dort tatsächlich<br />
erwartet, weiß aber auch er nicht.<br />
hinter die fantastischen abenteuer-erzählungen, die homer in der<br />
‚Odyssee‘ ausbreitet, tritt die Geschichte des kriegsheimkehrers Odysseus<br />
etwas zurück. Dabei ist nicht zuletzt sie es, die bis in unsere Gegenwart<br />
für das ungebrochene interesse an diesem stoff gesorgt hat. Gerade<br />
das zwanzigste Jahrhundert gab fortwährend anlass für die Geschichten<br />
von Umherirrenden, heimatlosen, kriegsheimkehrern, die nach ihrer<br />
Rückkehr feststellen mussten, dass das leben zu hause auch ohne sie<br />
weiter gegangen war.<br />
hätten wir es nicht so eindeutig mit einer sage, einem Mythos aus ferner<br />
Vorzeit zu tun, würden die schilderungen des Odysseus wahrscheinlich<br />
unser Vorstellungsvermögen übersteigen. Zu den erfahrungen zahlreicher<br />
kriegsheimkehrer gehört, dass sie nicht über ihre erlebnisse sprechen<br />
s: 4 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka<br />
können. Und zwar nicht etwa deshalb, weil die sprache nicht den<br />
notwendigen Wortschatz bereithalten würde, nein, es sind die Zuhörer,<br />
die nicht wissen wollen, was wirklich passiert ist. Für den, der über<br />
seine erfahrungen nicht berichten kann oder darf, der nicht herr ist<br />
über die eigene Geschichte, erscheint die Rückkehr ins zivile leben<br />
fast aussichtslos.<br />
Odysseus hatte Glück – seine Frau hielt ihm tatsächlich zwanzig Jahre<br />
lang die treue, und auch den thron konnte er wieder besteigen. Um aber<br />
dort anknüpfen zu können, wo er bei seiner abreise aufgehört hatte,<br />
musste die Gesellschaft ithakas einen hohen Preis zahlen: mit dem leben<br />
derjenigen, die es gewagt hatten, seine Frau und sein amt für sich zu<br />
beanspruchen. Die Brutalität, mit der Odysseus die Freier bestraft, und<br />
der Raum, den die schilderung dieses Massakers bei homer einnimmt,<br />
lassen den helden in einem anderen licht erscheinen. Odysseus ist auf<br />
einmal nicht mehr nur der ‚listenreiche‘, der ‚Vielgereiste‘ oder der<br />
‚Dulder‘, sondern er macht seinem Namen alle ehre – Odysseus bedeutet<br />
nämlich, wörtlich übersetzt, ‚der Zornige‘.<br />
christian holtzhauer<br />
s: 5 ˚<br />
s chausp iels tuttgart<br />
last exit ithaka
last exit ithaka<br />
frei nach Homers ‚Odyssee‘<br />
eine koproduktion mit der<br />
staatlichen hochschule für musik<br />
und darstellende kunst stuttgart,<br />
fachbereich schauspiel<br />
Premiere am 24. November 2006 im Depot<br />
Spieldauer: ca. 1:30 Stunden<br />
www.staatstheater-stuttgart.de