Bologna-Reform und ihre Folgen - Studienstiftung
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ABENDVERANSTALTUNG<br />
<strong>Bologna</strong> erneut<br />
Seit einem guten Jahrzehnt ist der in <strong>Bologna</strong> angerollte <strong>Reform</strong>prozess im Gange. Zu lange schon, um noch strategische Gr<strong>und</strong>entscheidungen<br />
zu treffen, zugleich aber zu kurz, um bereits Kurskorrekturen zu erwägen – mit diesen Bedenken führte Antonio<br />
Loprieno thematisch in den Abend ein. Das rege Diskussionsinteresse der Studierenden hingegen legte nahe, dass es für sie – die<br />
Hauptbetroffenen – bereits, schon wieder, immer noch <strong>und</strong> vielleicht sogar mehr denn je an der Zeit ist, über die <strong>Folgen</strong> von <strong>Bologna</strong><br />
zu sprechen.<br />
In Italien aufgegleist <strong>und</strong> im Eilzug durch die europäische Welt: Das Modell<br />
<strong>Bologna</strong> (Foto des Bahnhofs <strong>Bologna</strong>, aufgenommen von Jonas Heller am<br />
13.03.2011)<br />
Die Universitätsreform ist für Antonio Loprieno, Präsident<br />
der Schweizerischen <strong>Studienstiftung</strong>, Rektor der Universität<br />
Basel <strong>und</strong> Präsident der Schweizerischen Rektorenkonferenz,<br />
nicht allein <strong>und</strong> nicht einmal primär eine innere Angelegenheit<br />
der Universitäten. Lange vergangen nämlich sind die<br />
Zeiten, als die Universität einen autonomen Bereich mit eigener<br />
Gerichtsbarkeit beanspruchen konnte. Mehr <strong>und</strong> mehr<br />
wurde sie Teil der sie umgebenden Gesellschaft, geriet damit<br />
aber auch zunehmend in die Abhängigkeit von gesellschaftlichen<br />
Forderungen <strong>und</strong> sachpolitischen Zwängen.<br />
Ein Phänomen im Feld der Politik<br />
Den europäischen Hochschulraum zu reformieren, war denn<br />
auch kein Beschluss der bildungsgebenden Universitäten,<br />
sondern der nach Effizienz verlangenden politischen Eliten.<br />
Entsprechend wurde die 1999 in <strong>Bologna</strong> verabschiedete Erklärung<br />
nicht von Professorinnen, sondern von Bildungsministern<br />
unterzeichnet. Was war es, wofür diese im Namen der
Zeit <strong>und</strong> eines zeitgenössischen Europas einstehen wollten?<br />
Es waren mehr Vergleichbarkeit, verkürzte Studiendauern, erhöhte<br />
Mobilität. Kurzum also jene Ziele, von denen Kritiker<br />
sagen, man stünde ihnen heute ferner denn je.<br />
Durchzogene Bilanz<br />
Die Tatsache, dass die Studiendauer im Schnitt länger, die<br />
Mobilität in der Regel schwieriger <strong>und</strong> der Vergleich von Leistungen<br />
– nur schon innerhalb der Schweiz – wegen uneinheitlicher<br />
Kreditpunktevergabe zuweilen schier unmöglich<br />
wurde, hat zu Unwillen geführt – sowohl in der Studierendenschaft<br />
als auch im Lehrkörper. Die Ergebnisse der <strong>Reform</strong><br />
liefern insgesamt ein ambivalentes Bild. Der ursprüngliche<br />
Plan, bis ins Jahr 2010 einen einheitlichen europäischen<br />
Hochschulraum zu schaffen, ist insofern geglückt, als es zur<br />
flächendeckenden Einführung von Bachelor- <strong>und</strong> Masterstudiengängen<br />
kam, <strong>und</strong> insofern misslungen, als Struktur <strong>und</strong><br />
Inhalt dieser Studiengänge kaum vergleichbar sind.<br />
Fest steht, dass das Rad <strong>Bologna</strong>, das auf dem europäischen<br />
Kontinent nun seine Kreise zieht, nicht zurückzudrehen ist.<br />
Eine <strong>Reform</strong> der <strong>Reform</strong> ist zwar denkbar – dass auf die <strong>Reform</strong><br />
eine Revolution folgt, hingegen kaum. Darin geht Michael<br />
Hengartner, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen<br />
Fakultät der Universität Zürich, mit Antonio Loprieno<br />
einig. Allerdings gerät dabei nur allzu leicht die Frage aus<br />
dem Blick, ob sich das Rad, wenn nicht zurückdrehen, so<br />
doch vielleicht steuern liesse.<br />
Von Fakultät zu Fakultät verschieden: Die Frage der Akzeptanz<br />
Das Phänomen <strong>Bologna</strong> ist nicht Ereignis, sondern Prozess.<br />
Dass es da zuweilen abzuwarten gilt, wie sich die europäische<br />
Hochschulsituation entwickelt, versteht sich von selbst.<br />
Insbesondere an den Philosophisch-Historischen Fakultäten<br />
mochte man sich jedoch nicht darauf beschränken, hochschulpolitisch<br />
ein Jahrzehnt lang Tee zu trinken. Der Widerstand<br />
fiel hier deutlich stärker aus als in benachbarten<br />
Fakultäten, an denen eine selbständige Schwerpunktsetzung<br />
während des Studiums nicht als Notwendigkeit des Faches<br />
gilt.<br />
Die Proteste <strong>und</strong> konkreten Postulate haben <strong>ihre</strong> Berechtigung<br />
in der Sache. Denn die fortschreitende Bürokratisierung<br />
innerhalb eines wachsenden administrativen Apparats<br />
brachte eine Erstarrung, von der niemand ernsthaft behaupten<br />
könnte, sie gehöre zu den gesellschaftspolitischen Forderungen,<br />
die einst den Anstoss zur <strong>Reform</strong> gaben. Zugleich<br />
wäre es verkürzt zu schliessen, beim <strong>Bologna</strong>modell handle<br />
es sich per se um einen schlechten Einfall – selbst vom<br />
Standpunkt einer Philosophischen Fakultät stellt dies keine<br />
zwingende Annahme dar. Ebenso wie im Fall von Lizentiats-,<br />
Magister- oder Diplomstudiengängen käme es darauf an, was<br />
im <strong>und</strong> mit dem neuen System gemacht, wie die beschlossene<br />
<strong>Reform</strong> umgesetzt wird.
Die Universität als Teil der Gesellschaft<br />
Die Eingeb<strong>und</strong>enheit der Universität in die Gesellschaft <strong>und</strong><br />
in <strong>ihre</strong> Politik, aber auch die lokalen Entscheidungen auf der<br />
Ebene einzelner Hochschulen, stehen nach Antonio Loprieno<br />
einer koordinierten Steuerung des <strong>Reform</strong>prozesses entgegen.<br />
Eine optimistische Prognose, dass die <strong>Reform</strong> <strong>ihre</strong> ursprünglichen<br />
Ziele innert nützlicher Frist erreiche, sei daher<br />
kaum zu wagen. Und in der Tat stimmen viele der bisherigen<br />
Entwicklungen skeptisch.<br />
Nichtsdestoweniger scheint es vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sehr<br />
fragwürdig, sich an den Universitäten auf einen passiven,<br />
allenfalls staunenden Nachvollzug dessen zu verlegen, was<br />
sich in der Gesellschaft an Unvorhersehbarem alles ereignen<br />
wird. Teil der Gesellschaft zu sein, liesse sich von einem universitären<br />
Standpunkt aus vielmehr – <strong>und</strong> mit Vorteil – auch<br />
ohne solche Resignation verstehen.<br />
Jenseits von Fremdbestimmung<br />
Denn einen Teil der Gesellschaft zu bilden, bedeutet nicht<br />
zwingend eine Fremdbestimmung der Universität auf der einen<br />
Seite durch die gesellschaftlichen Entscheidungsträger<br />
auf der anderen. Teil der Gesellschaft zu sein, kann <strong>und</strong> soll<br />
auch bedeuten, innerhalb der Gesellschaft eine aktive Rolle<br />
einzunehmen, gesellschaftliche Ziele, Prozesse – <strong>und</strong> eben<br />
auch <strong>Reform</strong>en – unter Einbezug des eigenen, kritischen Potenzials<br />
mitzugestalten. Gerade dies wäre die zentrale Aufga-<br />
be einer Universität im Dienst <strong>ihre</strong>r Gesellschaft. Universität<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft hingegen in einem Verhältnis zu denken,<br />
in dem erstere dem Willen letzterer ausgeliefert ist, wird der<br />
Realität insofern nicht gerecht, als es zu einem grossen Teil<br />
die Absolventen von Hochschulen sind, die in der Gesellschaft<br />
entscheidende Positionen besetzen. Für die nächsten<br />
Jahre des <strong>Reform</strong>prozesses bleibt deshalb zu hoffen, dass<br />
die Universitäten in der selbstbewussten Einsicht handeln,<br />
dass <strong>ihre</strong> Zukunft – auch <strong>und</strong> gerade im Zeitalter von <strong>Bologna</strong><br />
– nicht zuletzt in <strong>ihre</strong>m eigenen nährenden Schoss gedeiht.<br />
Nur in dieser Einsicht wird verantwortungsvolles <strong>und</strong> selbstbestimmtes<br />
Handeln überhaupt möglich.<br />
Jonas Heller<br />
Jonas Heller hat einen Master in Geschichte <strong>und</strong> Religionswis-<br />
senschaft an der Universität Basel absolviert. Derzeit schliesst<br />
er Philosophie mit Ergänzung Soziologie als zusätzlichen<br />
Master ab, studiert an der Universität Zürich Chinesisch <strong>und</strong><br />
arbeitet für die Schweizerische Friedensstiftung swisspeace. Er<br />
wird seit dem Jahr 2004 von der <strong>Studienstiftung</strong> gefördert.