Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Mahnworte des VfGH gelten einem „Berufsstand“, an dessen Angehörige<br />
. . . „besondere Anforderungen hinsichtlich der korrekten<br />
Einhaltung von Rechtsvorschriften zu stellen sind“. Wenn ein RA<br />
gerichtlich in erster Instanz (hier wegen Unzucht mit Unmündigen)<br />
verurteilt wird, ist zu besorgen, dass ein mit einem solchen Urteil<br />
belasteter RA „nicht mehr mit dem nötigen Einsatz und der notwendigen<br />
Konzentration auf die Wahrnehmung der Interessen seiner<br />
Mandanten bedacht ist“. Auch das „öffentliche Interesse an einem<br />
gut funktionierenden RA-Stand“ hebt der VfGH hervor. Wenn ein<br />
wegen eines derartigen Sittlichkeitsdeliktes verurteilter RA weiterhin<br />
vor Strafgerichten vertreten könnte, wäre das besondere Vertrauen,<br />
das die Bevölkerung dem RA-Stand entgegenbringt,<br />
schwer erschüttert. Die gg einstwMaßn ist daher „ein notwendiges<br />
und adäquates Mittel zur Erreichung des öffentlichen Zieles“; daher<br />
verstößt § 19 DSt nicht gegen Art 6 EMRK.<br />
Anmerkung: Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung setzt voraus,<br />
dass einstwMaßn unter den Begriff „strafrechtliche Anklage“<br />
iS Art 6 EMRK fallen; das wird vom VfGH ausführlich verneint.<br />
Aber weil sie die Berufsausübung eines RA beschränken, betreffen<br />
sie ein civil right, wenngleich auch nicht in dessen „Kernbereich“.<br />
Da der Besch im gerichtlichen Strafverfahren ausreichend Gelegenheit<br />
hatte, seine Verteidigungsstandpunkte darzulegen und „es<br />
aufgrund der Zielsetzung des § 19 DSt nicht Aufgabe der DisBehörden<br />
sein kann, durch eigene Erhebungen und Feststellungen erneut<br />
das Strafverfahren zu wiederholen oder gleichsam weiterzuführen“,<br />
ist dem Bf „aus verfassungsrechtlicher Sicht“ ausreichend<br />
Gelegenheit geboten worden, seinen Standpunkt darzulegen.<br />
Auch Verletzungen von Grundrechten wie des Gleichheitsgrundsatzes<br />
(durch willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre<br />
eingreift), durch Entzug des gesetzlichen Richters<br />
und durch Verletzung des Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung<br />
liegen nicht vor.<br />
7705<br />
Art 6 EMRK – OBDK=Tribunal<br />
§ 19 DSt 1990, Art 18 B-VG –<br />
einstwMaßn, ab 18 B-VG – Legalitätsprinzip<br />
Art 4 des 7. ZP EMRK –<br />
kein Verstoß gegen Doppelbestrafungsverbot<br />
Strigl<br />
§ 19 DSt verstößt nicht gegen das Legalitätsprinzip.<br />
Die OBDK ist ein „Tribunal“ iS Art 6 EMRK.<br />
Die einstwMaßn der vorläufigen Untersagung<br />
der Ausübung der RA-schaft kann schon deswegen<br />
nicht gegen ein Doppelbestrafungsverbot<br />
verstoßen, weil das Verfahren über die vorläu-<br />
Rechtsprechung<br />
fige Untersagung der RA-schaft kein Strafverfahren<br />
ist.<br />
VfGH 21. 6. <strong>2000</strong>, B 347/99, OBDK 23. <strong>11</strong>. 1998, 12 Bkd 7/98<br />
Aus den Entscheidungsgründen:<br />
1.2. Nach der stRsp des VfGH, von der abzugehen im konkreten<br />
Fall kein Anlass besteht, verstößt § 19 DSt 1990 nicht gegen das<br />
Legalitätsprinzip (vgl zur Vorläuferbestimmung des § 19 DSt<br />
1990 – § 17 DSt 1872 idF des BG BGBl 1933/346 – VfSlg<br />
7440/1974; zu § 19 DSt 1990 vgl VfSlg 13.148/1992, VfGH<br />
4. 10. 1999, B 2598/97, B 997/98 und das Erk des VfGH vom<br />
heutigen Tag, B 537/98). Der Bf ist daher nicht wegen Anwendung<br />
einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt<br />
worden.<br />
2.1. Zur behaupteten Verletzung des Art 6 EMRK führt die Beschwerde<br />
aus, dass die Maßnahme der gänzlichen Untersagung<br />
der RA-schaft nur durch ein Tribunal verhängt werden könne. Ein<br />
solches Tribunal sei im vorliegenden Fall jedoch nicht eingeschritten.<br />
2.2. Zur Widerlegung dieses Vorbringens genügt es, auf die stRsp<br />
des VfGH, wonach der OBDK „Tribunalqualität“ zukommt (vgl<br />
etwa VfSlg <strong>11</strong>.512/1987, <strong>11</strong>.879/1988, 13.580/1993), zu<br />
verweisen. Entscheidet aber in letzter Instanz ein Tribunal, so ist<br />
dem Art 6 EMRK Genüge getan (vgl etwa VfSlg <strong>11</strong>.500/1987).<br />
3. Wenn der Bf behauptet, er sei in dem durch Art 4 des<br />
7. ZPEMRK gewährleisteten Recht auf das Verbot der Doppelbestrafung<br />
verletzt worden, ist ihm entgegenzuhalten, dass es sich<br />
nach der Rsp des VfGH bei einstwMaßn nach § 19 DSt 1990 nicht<br />
um Strafen iSd Art 6 EMRK, sondern um sichernde Maßnahmen<br />
handelt (vgl dazu VfGH 4. 10. 1999, B 2598/97, B 997/98 und<br />
das Erk vom heutigen Tag, B 537/98). Der Umstand, dass es sich<br />
beim Verfahren der vorläufigen Untersagung der RA-schaft, sohin<br />
nicht um ein Strafverfahren handelt, entzieht dem Vorwurf, der Bf<br />
sei in dem durch Art 4 des 7. ZPEMRK gewährleisteten Recht auf<br />
das Verbot der Doppelbestrafung verletzt worden, den Boden.<br />
Anmerkung:<br />
Dass das Legalitätsprinzip durch § 19 DSt nicht verletzt wird und<br />
dass der OBDK „Tribunal-Qualität“ zukommt, ist ständige Judikatur<br />
des VfGH.<br />
Einstweilige Maßnahmen (ebenso auch solche, die von Gesetzes<br />
wegen mit einer „Suspendierung“ verbunden sind, zB eine Gehaltskürzung<br />
VfSlg 12.652) sind keine „Strafen“. Nach der Judikatur<br />
der EMRK und des EuGH ist unter der „strafrechtlichen Anklage“<br />
des Art 6 Abs 1 EMRK (EGMR 1976 Engel, Eu GRZ 1876, 221;<br />
1984 Öztürk Eu GRZ 1985, 62) in „autonomer Interpretation“<br />
nicht das formelle Strafrecht allein, sondern nach dem jeweiligen<br />
staatlichen Recht, lt welchem der die Zuwiderhandlung umschreibende<br />
Gesetzestext systematisch dem Strafrecht zugehört (VfSlg<br />
AnwBl <strong>2000</strong>/<strong>11</strong> 681