27.10.2013 Aufrufe

Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Eine Austrifizierung für den sensiblen Bereich des Strafrechts regte<br />

ich in der 4. Auflage der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

durch Schaffung einer Feststellungskompetenz für Grundrechtsverletzungen<br />

in Strafverfahren des VfGH an24 ), welchen Vorschlag<br />

auch Moos am Österreichischen Juristentag <strong>2000</strong> unterstützte. Das<br />

könne zu einer Erneuerung des Strafverfahrens, wie nach einer<br />

Entscheidung des EuGMR führen. Dafür spräche auch, dass die<br />

ordentlichen Gerichte wenig grundrechtssensibel sind, worauf bereits<br />

Mauro Cappelletti und Louis Favoreu25 ) verwiesen haben.<br />

Meine Vorschläge gehen viel weniger weit als die Korineks.<br />

Auch Jabloner26 ) hat einen Vorschlag gemacht, der mit dem Titel<br />

„Statt Urteilsbeschwerde: Subsidiarantrag“ einerseits die Normenkontrolle<br />

verstärken solle, andererseits aber keinesfalls zum<br />

Beschreiten eines Weges führe, der eine Überlagerung der Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

durch verfassungskonforme Interpretation<br />

durch den VfGH bewirken werde. Er schlägt daher einen Subsidiarantrag<br />

auf Gesetzesprüfung für einen im neuen System nicht<br />

mehr bestehenden Art 144 Abs 1 zweiter Fall B-VG vor, der das<br />

geltende Individualantragsrecht nach Art 140 ergänzen solle. Bei<br />

einer Aufhebung könne das System des Anlassfalles als Modell<br />

dienen. Aufgrund einer festzulegenden Bindungswirkung des VfGH<br />

an die Gesetzesauslegung des VwGH würde eine verfassungskonforme<br />

Alternativauslegung durch den VfGH inhibiert.<br />

Der Vorschlag Korineks ist diesem Ergebnis vorzuziehen.<br />

Korinek schlägt aus der Sicht einer umfassenden Reform vor:<br />

„..... verstehen sich der OGH und der VwGH heute als Höchstgerichte.<br />

Aber ebenso wie der VfGH in Fragen der EMRK schon<br />

lange nicht mehr Höchstgericht ist . . . . ., verhält es sich in Verfassungsfragen<br />

eben auch mit diesen Gerichten. Bedenkt man die<br />

Sache genau, so würden mit der vorgeschlagenen Systemänderung<br />

Verfassungsbeschwerden gegen ihre (OGH und VwGH)<br />

Urteile – soweit sie überhaupt erhoben werden – kaum Erfolgschancen<br />

. .... Der hier ausgebreitete Vorschlag sucht das Element<br />

des Vorlagesystems zu verstärken und das Element des Beschwerdeverfahrens<br />

so zu reduzieren, daß ihm nur mehr subsidiäre Bedeutung<br />

zukäme.“ 27 )<br />

Korinek meint: Die Einrichtung erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte,<br />

für die entsprechende Vorschläge vorliegen, nachdem darüber<br />

seit 10 Jahren diskutiert wurde, so dass höchster Handlungsbedarf<br />

besteht, würde zu einer wesentlichen Entlastung beitragen<br />

und den Weg für das neue System freimachen. Der VwGH wäre<br />

berufen, ein Vorlageverfahren zu praktizieren, und zwar in Gemeinschaftsfragen<br />

an den EuGH und in Verfassungsfragen an den<br />

VfGH. Erst gegen die Entscheidung des VwGH käme subsidiär die<br />

Verfassungsbeschwerde zum Zug.<br />

Analoges gälte für den OGH.<br />

Die Systemänderung wäre am telos bestmöglicher Effektivität der<br />

Verfassungsordnung ausgerichtet und stünde auch mit der guten<br />

Tradition österreichischer Rechtsstaatlichkeit im Einklang.<br />

Abhandlungen<br />

Zu diesen Gedanken Korineks, für die ich starke Sympathien empfinde,<br />

ist vor allem die Frage zu stellen, ob die maßgeblichen Politiker<br />

die Kraft besitzen, das grundsätzlich sehr erörterungswürdige<br />

Telos-Ziel zu erwägen und allenfalls zu ergänzen. Wenn das System<br />

Korineks nur die Normenkontrolle im Auge hat, dann wäre die<br />

Grundrechtskontrolle der Normanwendung dem VfGH entzogen<br />

und damit auch die verfassungskonforme Interpretation kein Vorlagethema.<br />

Ich glaube, dass es aber Modifikationen des Systems<br />

Korinek gäbe, auch diese Fragen rechtsschutznahe zu lösen, etwa<br />

in Richtung des Vorlagesystems an den EuGH. Wie dem auch sei,<br />

bleibt aber die entscheidende Frage offen, ob der Vorlagepflicht<br />

durch die ordentlichen Gerichte, für sie allenfalls durch den OGH<br />

oder das Letztgericht, effektiv entsprochen würde, was künftig von<br />

diesen eine Verfassungssensibilität erfordern würde, die die Latte<br />

des Maßstabes höher legen müsste, als sie für den VfGH bei amtswegigen<br />

Prüfungen besteht. Ich fürchte, dass nur Anwälte als Beschwerdevertreter<br />

diese Radikalität aufbringen. Dort hatte wohl<br />

auch der Vorschlag Kelsens seine Wurzel, Generalanwälte für Verfassungsfragen<br />

vorzuschlagen. Vielleicht wäre es sinnvoll, auf<br />

diese ursprüngliche Vorstellung zurückzukommen.<br />

Der 80. Jahrestag des VfGH ist von der Gründung dieses Gerichts<br />

offensichtlich noch nicht so weit entfernt, dass Erwägungen seines<br />

Konstrukteurs jede Aktualität verloren hätten.<br />

Als Kern der Verfassung erweist sich also der Rechtsschutz durch<br />

den VfGH.<br />

13. Der Rechtsschutzstaat als prägende Bezeichnung für das<br />

österreichische Modell gewinnt aber nun auch Gewicht für die EU<br />

und wird zu deren Nagelprobe.<br />

Der Bonner Grundrechtskonvent28 ) ist nicht nur zufolge des Katalogs,<br />

der erörtert wird, von europäischer Bedeutung, sondern auch<br />

im Hinblick auf die Entscheidung, wie die stipulierten Rechte justiziabel<br />

sein sollen, ob sie nicht nur die Mitgliedstaaten zum Adressaten<br />

haben sollen, sondern auch die EU Bürger, deren Rechte sie<br />

gewährleisten sollten, und damit auch für die Frage, ob sie den<br />

Kern einer Europäischen Verfassung bilden werden. Der Individualrechtsschutz<br />

wird die zentrale Gewährleistungsfrage bilden.<br />

14. Vielleicht ist es daher angebracht, in diesem Zusammenhang<br />

abschließend auf das Dok 3562 des Europarates zurückzukommen,<br />

das keiner Erledigung zugeführt wurde. Es betraf einen<br />

Antrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, das<br />

Recht auf eine gerechte Rechtsprechung zu garantieren und, da es<br />

zum Zweck der vollständigen Durchführung dieser Bestimmung<br />

24) Machacek, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit 332.<br />

25) Favoreu, Das Modell des Verfassungsgerichts, Verfassungstag 1993, 16.<br />

26) Jabloner, Strukturfragen der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts,<br />

ÖJZ 1998, 168.<br />

27) Nochmals Korinek, in Symposion aus Anlass des 60. Geburtstages von<br />

Richard Novak, Juristische Schriftenreihe, Band 152.<br />

28) Iglesias, Verfassungsperspektiven der europäischen Gerichtsbarkeit,<br />

Verfassungstag 1996, 17.<br />

AnwBl <strong>2000</strong>/<strong>11</strong> 657

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!