Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Eine Austrifizierung für den sensiblen Bereich des Strafrechts regte<br />
ich in der 4. Auflage der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
durch Schaffung einer Feststellungskompetenz für Grundrechtsverletzungen<br />
in Strafverfahren des VfGH an24 ), welchen Vorschlag<br />
auch Moos am Österreichischen Juristentag <strong>2000</strong> unterstützte. Das<br />
könne zu einer Erneuerung des Strafverfahrens, wie nach einer<br />
Entscheidung des EuGMR führen. Dafür spräche auch, dass die<br />
ordentlichen Gerichte wenig grundrechtssensibel sind, worauf bereits<br />
Mauro Cappelletti und Louis Favoreu25 ) verwiesen haben.<br />
Meine Vorschläge gehen viel weniger weit als die Korineks.<br />
Auch Jabloner26 ) hat einen Vorschlag gemacht, der mit dem Titel<br />
„Statt Urteilsbeschwerde: Subsidiarantrag“ einerseits die Normenkontrolle<br />
verstärken solle, andererseits aber keinesfalls zum<br />
Beschreiten eines Weges führe, der eine Überlagerung der Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
durch verfassungskonforme Interpretation<br />
durch den VfGH bewirken werde. Er schlägt daher einen Subsidiarantrag<br />
auf Gesetzesprüfung für einen im neuen System nicht<br />
mehr bestehenden Art 144 Abs 1 zweiter Fall B-VG vor, der das<br />
geltende Individualantragsrecht nach Art 140 ergänzen solle. Bei<br />
einer Aufhebung könne das System des Anlassfalles als Modell<br />
dienen. Aufgrund einer festzulegenden Bindungswirkung des VfGH<br />
an die Gesetzesauslegung des VwGH würde eine verfassungskonforme<br />
Alternativauslegung durch den VfGH inhibiert.<br />
Der Vorschlag Korineks ist diesem Ergebnis vorzuziehen.<br />
Korinek schlägt aus der Sicht einer umfassenden Reform vor:<br />
„..... verstehen sich der OGH und der VwGH heute als Höchstgerichte.<br />
Aber ebenso wie der VfGH in Fragen der EMRK schon<br />
lange nicht mehr Höchstgericht ist . . . . ., verhält es sich in Verfassungsfragen<br />
eben auch mit diesen Gerichten. Bedenkt man die<br />
Sache genau, so würden mit der vorgeschlagenen Systemänderung<br />
Verfassungsbeschwerden gegen ihre (OGH und VwGH)<br />
Urteile – soweit sie überhaupt erhoben werden – kaum Erfolgschancen<br />
. .... Der hier ausgebreitete Vorschlag sucht das Element<br />
des Vorlagesystems zu verstärken und das Element des Beschwerdeverfahrens<br />
so zu reduzieren, daß ihm nur mehr subsidiäre Bedeutung<br />
zukäme.“ 27 )<br />
Korinek meint: Die Einrichtung erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte,<br />
für die entsprechende Vorschläge vorliegen, nachdem darüber<br />
seit 10 Jahren diskutiert wurde, so dass höchster Handlungsbedarf<br />
besteht, würde zu einer wesentlichen Entlastung beitragen<br />
und den Weg für das neue System freimachen. Der VwGH wäre<br />
berufen, ein Vorlageverfahren zu praktizieren, und zwar in Gemeinschaftsfragen<br />
an den EuGH und in Verfassungsfragen an den<br />
VfGH. Erst gegen die Entscheidung des VwGH käme subsidiär die<br />
Verfassungsbeschwerde zum Zug.<br />
Analoges gälte für den OGH.<br />
Die Systemänderung wäre am telos bestmöglicher Effektivität der<br />
Verfassungsordnung ausgerichtet und stünde auch mit der guten<br />
Tradition österreichischer Rechtsstaatlichkeit im Einklang.<br />
Abhandlungen<br />
Zu diesen Gedanken Korineks, für die ich starke Sympathien empfinde,<br />
ist vor allem die Frage zu stellen, ob die maßgeblichen Politiker<br />
die Kraft besitzen, das grundsätzlich sehr erörterungswürdige<br />
Telos-Ziel zu erwägen und allenfalls zu ergänzen. Wenn das System<br />
Korineks nur die Normenkontrolle im Auge hat, dann wäre die<br />
Grundrechtskontrolle der Normanwendung dem VfGH entzogen<br />
und damit auch die verfassungskonforme Interpretation kein Vorlagethema.<br />
Ich glaube, dass es aber Modifikationen des Systems<br />
Korinek gäbe, auch diese Fragen rechtsschutznahe zu lösen, etwa<br />
in Richtung des Vorlagesystems an den EuGH. Wie dem auch sei,<br />
bleibt aber die entscheidende Frage offen, ob der Vorlagepflicht<br />
durch die ordentlichen Gerichte, für sie allenfalls durch den OGH<br />
oder das Letztgericht, effektiv entsprochen würde, was künftig von<br />
diesen eine Verfassungssensibilität erfordern würde, die die Latte<br />
des Maßstabes höher legen müsste, als sie für den VfGH bei amtswegigen<br />
Prüfungen besteht. Ich fürchte, dass nur Anwälte als Beschwerdevertreter<br />
diese Radikalität aufbringen. Dort hatte wohl<br />
auch der Vorschlag Kelsens seine Wurzel, Generalanwälte für Verfassungsfragen<br />
vorzuschlagen. Vielleicht wäre es sinnvoll, auf<br />
diese ursprüngliche Vorstellung zurückzukommen.<br />
Der 80. Jahrestag des VfGH ist von der Gründung dieses Gerichts<br />
offensichtlich noch nicht so weit entfernt, dass Erwägungen seines<br />
Konstrukteurs jede Aktualität verloren hätten.<br />
Als Kern der Verfassung erweist sich also der Rechtsschutz durch<br />
den VfGH.<br />
13. Der Rechtsschutzstaat als prägende Bezeichnung für das<br />
österreichische Modell gewinnt aber nun auch Gewicht für die EU<br />
und wird zu deren Nagelprobe.<br />
Der Bonner Grundrechtskonvent28 ) ist nicht nur zufolge des Katalogs,<br />
der erörtert wird, von europäischer Bedeutung, sondern auch<br />
im Hinblick auf die Entscheidung, wie die stipulierten Rechte justiziabel<br />
sein sollen, ob sie nicht nur die Mitgliedstaaten zum Adressaten<br />
haben sollen, sondern auch die EU Bürger, deren Rechte sie<br />
gewährleisten sollten, und damit auch für die Frage, ob sie den<br />
Kern einer Europäischen Verfassung bilden werden. Der Individualrechtsschutz<br />
wird die zentrale Gewährleistungsfrage bilden.<br />
14. Vielleicht ist es daher angebracht, in diesem Zusammenhang<br />
abschließend auf das Dok 3562 des Europarates zurückzukommen,<br />
das keiner Erledigung zugeführt wurde. Es betraf einen<br />
Antrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, das<br />
Recht auf eine gerechte Rechtsprechung zu garantieren und, da es<br />
zum Zweck der vollständigen Durchführung dieser Bestimmung<br />
24) Machacek, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit 332.<br />
25) Favoreu, Das Modell des Verfassungsgerichts, Verfassungstag 1993, 16.<br />
26) Jabloner, Strukturfragen der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts,<br />
ÖJZ 1998, 168.<br />
27) Nochmals Korinek, in Symposion aus Anlass des 60. Geburtstages von<br />
Richard Novak, Juristische Schriftenreihe, Band 152.<br />
28) Iglesias, Verfassungsperspektiven der europäischen Gerichtsbarkeit,<br />
Verfassungstag 1996, 17.<br />
AnwBl <strong>2000</strong>/<strong>11</strong> 657