Anwaltsblatt 2000/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Abhandlungen<br />
1964 deren Transformation in österreichisches Verfassungsrecht.<br />
Die EMRK gab Österreich den Grundrechtskatalog und ergänzte<br />
die liberalen Grundrechte des StGG 1867 durch materielle Grundund<br />
Freiheitsrechte. Österreich hatte dem EuGMR durch sein<br />
Reichsgericht der Monarchie die Entscheidungskompetenz für die<br />
bloße Feststellung der Verletzung des Beschwerdeführers in subjektiven<br />
(Bürger-)Grundrechten vorgezeichnet.<br />
Der Ausbau des Individualrechtsschutzes durch die B-VGNov<br />
1975 und 1988 aktivierte die verfassungsgesetzlich gewährleisteten<br />
(Grund-)Rechte auch als Maßstab für den Gesetzgeber.<br />
Der Beitritt zur EU mit 1. Januar 1995 bewirkte eine Gesamtänderung<br />
der Verfassung, zusätzlich zu der, die bereits durch die<br />
Rechtsfortschreibung des EuGMR unerkannt eingetreten war18 ) und<br />
unbeschadet des Umstandes, dass die EU selbst den Grund- und<br />
Freiheitsrechten und damit der EMRK verpflichtet ist. Art 6 des<br />
EU-Vertrages stützt sich zudem auf die traditionellen materiellen<br />
Werte der Demokratie, wie sie allen Staaten Europas gemeinsam<br />
sind.<br />
Damit bleibt wenig Raum für eine 3. Republik. Vielmehr deuten die<br />
Beratungen des Grundrechtskonvents von Bonn eher auf das beginnende<br />
Werden einer Europäischen Verfassung!<br />
Constitutio semper reformanda! Stourzh19 ) setzt dies an das Ende<br />
seiner Überlegungen. Es drängt mich aber, anzufügen, dass die<br />
Aussage eher den Anfang neuer Überlegungen bildet.<br />
10. Wohl hat es wiederholte Vorschläge für Änderungen der Verfassung<br />
gegeben, die Welan20 ) aufzeigt:<br />
Esterbauer plädierte für die Direktwahl der Exekutive und ein gewaltentrennendes<br />
System nach Vorbild der Schweizer Kantone.<br />
Brünner meinte, wir lebten in einem Nachkriegssystem der Verfassung.<br />
Es sei höchste Zeit, Institutionen und Kulturen fortzuentwickeln.<br />
Das Regierungssystem müsse Integrations- und Entscheidungskapazität<br />
entfalten. Damit sei er für eine Unvereinbarkeit<br />
zwischen Spitzenfunktionären und Vertretern der Sozialpartner sowie<br />
von Parlamentariern und Regierungsmitgliedern.<br />
Welan spricht sich für eine Abschaffung des Bundespräsidenten<br />
aus, dessen Funktionen auf das Parlament und die Regierung übergehen<br />
sollten. Entscheidend sei, eine Streitkultur aller Beteiligten zu<br />
finden.<br />
Haider wollte zunächst eine 3. Republik, präzisierte sich aber auf<br />
die Forderung nach einer grundlegenden Staatsreform, mit Vorrang<br />
des Wahlprinzips vor dem Ernennungsprinzip. Der Bundespräsident<br />
solle eine Richtlinienkompetenz erhalten. Für Organe der<br />
Vollziehung und Angehörige des Parlaments habe eine strenge Unvereinbarkeit<br />
zu gelten. Adamovich21 ) erblickt in diesen Vorschlägen<br />
Haiders eine starke Tendenz der Personalisierung.<br />
Keiner dieser Vorschläge hat das Licht parlamentarischer Diskussion<br />
erblickt.<br />
<strong>11</strong>. Die politischen Entwicklungstendenzen können mit dem Verfassungstext<br />
des B-VG 1920 idF 1929 offensichtlich leben, die<br />
Parteien können ihre Politik ungeachtet der fehlenden Gebote für<br />
eine Verfassungskultur oder gerade deshalb ausleben.<br />
Sensibel wird Österreichs Bürgerverhalten im Rechtsschutzbereich.<br />
Ist das der eigentliche Kern unserer Bundesverfassung, mit dem sie<br />
lebt und stirbt? Vieles spricht tatsächlich dafür, wie die Geschichte<br />
zeigt.<br />
Aufmerksamkeit hat daher dieser Thematik besonders zuzukommen:<br />
12. In der FS Koja spricht sich Korinek22 ) für eine umfassende<br />
Reform der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts aus. Der Vorschlag<br />
Korineks ist durch das Konzept der dt Bundesverfassungsgerichtsbarkeit<br />
offensichtlich beeinflusst und macht deren Konzept<br />
für seine Vorschläge nutz- und vorstellbar.<br />
Vorweg sei darauf verwiesen, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit<br />
einer Reform im von Korinek vorgeschlagenen Sinne schärfstens<br />
entgegentreten würde. Es genügt, hiezu auf die Ausführungen Steiningers23<br />
) beim Verfassungstag 1994 zu verweisen. Im Kern besagen<br />
diese, dass eine Kognition des VfGH im Bereich der ordentlichen<br />
Gerichtsbarkeit traditionswidrig, aber auch überflüssig wäre,<br />
da die Erfolgsquote sich in anderen Staaten, die ein solches System<br />
haben, zB die BRD, wo Art 93 Bonner Grundgesetz die<br />
Beschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen an das Bundesverfassungsgericht<br />
zulasse, sich auf ein halbes Prozent beliefe.<br />
Demgegenüber sei der OGH durchaus effektiver in der Lage, die<br />
Grundrechte zu wahren, wie das Grundrechts-Beschwerdegesetz<br />
1993 beweise; schon im ersten Jahr seiner Gültigkeit hätten 16%<br />
der Beschwerden zu Erfolg geführt. Die knappe Antwort Steiningers<br />
zu einer Änderung, die eine Anrufbarkeit des VfGH öffne, ist<br />
daher ein klares NEIN.<br />
Für eine Anrufbarkeit des VfGH haben sich 1956 Pfeifer und 1978<br />
Kopp und Pressinger ausgesprochen. Spanner bekannte sich beim<br />
1. Österreichischen Juristentag 1961 zu einem ja/NEIN. Ermacora<br />
sprach sich gegen die partielle Verfassungskontrolle durch den<br />
OGH, im Hinblick auf das fehlende Moment der Fremdkontrolle<br />
der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus.<br />
Dagegen ist allerdings für den Grundrechtsbereich auf die Möglichkeit<br />
der Beschwerde an den EuGMR zu verweisen. Die Effektivität<br />
dieser Kontrolle erzwang letztlich die Einführung des Instituts<br />
der Erneuerung des Strafverfahrens nach §§ 363a bis 363c StPO.<br />
18) VfGH 13. 10. 1987, B 267/86 (VfSlg <strong>11</strong>.500), 362f.<br />
19) Stourzh, siehe FN 5, Verfassungstag 1991, 39.<br />
20) Welan, siehe FN 3, 59.<br />
21) Adamovich, siehe FN 4, Verfassungstag 1995, 19.<br />
22) Der Beitrag Korineks geht auf einen Vortrag zurück, den er bereits am<br />
21. Mai 1997 bei einem Kolloquium, das zu Ehren von Hans Hugo<br />
Klein an der bayrischen Akademie für Wissenschaften in München<br />
stattfand, gehalten wurde.<br />
23) Steininger, Empfiehlt es sich, die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes<br />
durch Einführung einer umfassenden, auch Akte der Gerichtsbarkeit<br />
erfassenden Individualverfassungsbeschwerde zu erweitern? Verfassungstag<br />
1994.<br />
656 AnwBl <strong>2000</strong>/<strong>11</strong>