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Leseprobe - Europa-Lehrmittel

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Bernitzke, F., Barth, H.D.<br />

Theorie trifft Praxis<br />

Handlungskompetenz im sozialpädagogischen Berufspraktikum<br />

EUROPA-FACHBUCHREIHE<br />

für Berufe in der Sozialpädagogik<br />

VERLAG EUROPA-LEHRMITTEL · Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG<br />

Düsselberger Straße 23 · 42781 Haan-Gruiten<br />

<strong>Europa</strong>-Nr.: 67619


Autoren:<br />

Barth, Hans-Dietrich Dozent Fachschule, 20 Jahre Heimerziehung Speyer<br />

Bernitzke, Fred Leiter einer Fachschule Ludwigshafen<br />

Verlagslektorat:<br />

Claudia Nühs M. A.<br />

Bildbearbeitung:<br />

Zeichenbüro des Verlags <strong>Europa</strong>-<strong>Lehrmittel</strong>, Ostfildern<br />

Das vorliegende Buch wurde auf der Grundlage der aktuellen amtlichen Rechtschreibregeln erstellt.<br />

1. Auflage 2010<br />

Druck 5 4 3 2 1<br />

Alle Drucke derselben Auflage sind parallel einsetzbar, da sie bis auf die Behebung von Druckfehlern<br />

untereinander unverändert sind.<br />

ISBN 978-3-8085-6761-6<br />

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der<br />

gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.<br />

© 2010 by Verlag <strong>Europa</strong>-<strong>Lehrmittel</strong>, Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG, 42781 Haan-Gruiten<br />

http://www.europa-lehrmittel.de<br />

Umschlag: braunwerbeagentur, 42477 Radevormwald<br />

Satz: Daniela Schreuer, 65549 Limburg<br />

Druck: Medienhaus Plump, 53619 Rheinbreitbach


Vorwort<br />

Das vorliegende Werk schließt eine Lücke im Lehrbuchbereich. Für das dritte Ausbildungsjahr zur<br />

staatlich anerkannten Erzieherin liegen lediglich von Schulen entwickelte Hilfen für die Berufspraktikantinnen<br />

und Praxisanleiterinnen vor. Eine umfassende Darstellung des Berufspraktikums mit<br />

seinen Anforderungen, rechtlichen Rahmenbedingungen sowie eine Auseinandersetzung mit typischen<br />

Fragestellungen der Berufspraktikantinnen kann dabei nicht geleistet werden.<br />

Das vorliegende Buch umfasst vier Schwerpunkte:<br />

Im ersten Teil wird das Ausbildungskonzept anhand des Ausbildungsverständnisses, den Sichtweisen<br />

der an der Lernortkooperation Beteiligten sowie den Zielen des Berufspraktikums erörtert. Außerdem<br />

werden wesentliche Anleitungsmethoden dargestellt.<br />

Der Verlauf der Ausbildung mit seinen verschiedenen Phasen wird im zweiten Kapitel erläutert und<br />

mit Hilfen zur Evaluation versehen. Das Kapitel „Ausbildungsprozess“ behandelt auch das Erstellen<br />

von Beurteilungen.<br />

Im dritten Kapitel geht es um wesentliche Kompetenzen, die eine Praktikantin aufweisen muss, um<br />

den Anforderungen des Berufspraktikums gerecht zu werden und es erfolgreich abzuschließen.<br />

Das vierte Kapitel beinhaltet eine Darstellung von bundesweit gültigen rechtlichen Regelungen<br />

(Berufsbildungsgesetz sowie Tarifvertrag).<br />

Ein umfangreiches Glossar erläutert die wesentlichen im Buch verwendeten Fachbegriffe und schafft<br />

darüber hinaus eine gemeinsame begriffliche Grundlage für alle, die an der Durchführung des<br />

Berufspraktikums beteiligt sind.<br />

An welche Zielgruppen richtet sich das Fachbuch?<br />

Adressaten sind Fachschülerinnen im zweiten Ausbildungsjahr zur staatlich<br />

anerkannten Erzieherin, um sie auf das Berufspraktikum grundlegend vorzubereiten;<br />

die umfangreichen Regelungen sollen transparenter und nachvollziehbar sein.<br />

Das Fachbuch richtet sich an Berufspraktikantinnen, die umfassend über<br />

das Praktikum informiert und zur verantwortungsbewussten, aktiven Mitgestaltung<br />

befähigt werden; häufig während des Berufspraktikums auftretende<br />

Fragen werden geklärt.<br />

Die dritte Zielgruppe sind Praxisanleiterinnen in den sozial- und sonderpädagogischen<br />

Einrichtungen. Sie erhalten eine Darstellung des inhaltlichen und<br />

rechtlichen Rahmens zur Gestaltung des Berufspraktikums. Die zentralen Aufgaben der Praxis, die verantwortungsvolle<br />

Anleitung und Qualifizierung der Praktikantinnen sowie die Erstellung eines Ausbildungsplans<br />

für das Berufspraktikum, werden detailliert behandelt. Weiterhin kann das Buch im Rahmen<br />

der Fort- und Weiterbildung zur Qualifizierung von anleitenden Fachkräften eingesetzt werden.<br />

Die Lehrkräfte an den Fachschulen für Sozialpädagogik erhalten mit dem Lehrbuch eine Arbeitshilfe<br />

für die Gestaltung des Berufspraktikums und die Beratung der Praktikantinnen.<br />

Zur schreibtechnischen Vereinfachung wird für alle Wörter, die sich auf die Personen im Berufspraktikum<br />

beziehen nicht die Doppelbenennung (z. B. Berufspraktikant/ Berufspraktikantin), sonder<br />

durchgehend die weibliche Form verwendet. Die männlichen Personen, die die Ausbildung zum<br />

staatlich anerkannten Erzieher wahrnehmen, die Praxisanleitung oder schulische Begleitung im<br />

Berufspraktikum übernehmen, sind selbstverständlich darin eingeschlossen.<br />

Sommer 2010<br />

3


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Ausbildungskonzept ....................................................7<br />

1.1 Ausbildungsziele .......................................................7<br />

1.2 Lernorte ..............................................................9<br />

1.2.1 Lernort Fachschule ......................................................9<br />

1.2.2 Lernort Praxisstelle ......................................................9<br />

1.3 Anleitungsverständnis. .................................................10<br />

1.4 Anleitungsmethoden ...................................................11<br />

1.4.1 Kollegiale Fallberatung ..................................................14<br />

1.4.2 Beratungsgespräch .....................................................18<br />

1.4.3 Reflexionsgespräch. .....................................................24<br />

1.4.4 Kritikgespräch .........................................................28<br />

2 Ausbildungsprozess ....................................................31<br />

2.1 Auswahl .............................................................31<br />

2.2 Ausbildungsabschnitte: Phasen und Inhalte ................................38<br />

2.2.1 Einführungsphase ......................................................39<br />

2.2.2 Erprobungsphase ......................................................46<br />

2.2.3 Verselbständigungsphase .................................................49<br />

2.3 Beurteilung ..........................................................52<br />

2.3.1 Beurteilungsfehler ......................................................52<br />

2.3.2 Beurteilungsverfahren ...................................................53<br />

3 Kompetenzen der Berufspraktikantin .....................................65<br />

3.1 Selbstkompetenzen ....................................................65<br />

3.1.1 Sich auf die eigenen Stärken besinnen (Ressourcen-Management). .................65<br />

3.1.2 Zielorientiert, effektiv arbeiten (Zeitmanagement). .............................66<br />

3.1.3 Selbstsicherheit gewinnen (Individuelles Management) ..........................67<br />

3.1.4 Mit Stress umgehen (Stressmanagement) ....................................68<br />

3.2 Methodenkompetenzen. ................................................68<br />

3.2.1 Literatursuche und -auswertung ...........................................69<br />

3.2.2 Berichtserstellung ......................................................73<br />

3.2.3 Präsentationstechniken ..................................................79<br />

3.2.4 Prüfungsvorbereitung ...................................................87<br />

3.3 Fachkompetenzen .....................................................92<br />

3.3.1 Bildungsprozesse von Kindern beobachten und dokumentieren ...................92<br />

3.3.2 Gespräche mit Kindern und Jugendlichen ...................................100<br />

3.3.3 Beteiligung der Kinder / Jugendlichen. .....................................111<br />

3.3.4 Hilfeplanverfahren – Hilfeplan ...........................................120<br />

4


4 Rechtliche Grundlagen ................................................127<br />

4.1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) ...........................................127<br />

4.2 Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD) ..................................135<br />

4.2.1 TVöD – allgemeiner Teil (Auszüge). .......................................135<br />

4.2.2 TVöD – Sozial- und Erziehungsdienst (Änderung zum 1.11.2009) ................149<br />

4.3 Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD) – Praktikantinnen/Praktikanten ......161<br />

Glossar ...................................................................163<br />

Literaturverzeichnis .........................................................170<br />

Abbildungsverzeichnis .......................................................171<br />

Sachwortverzeichnis .........................................................172<br />

5


1 Ausbildungskonzept<br />

Die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin geschieht in einem dualen System, bestehend<br />

aus den Institutionen Fachschule und Praxisstelle. Der erste Ausbildungsabschnitt findet überwiegend<br />

in der Fachschule statt. Im Berufspraktikum liegt der Schwerpunkt der sozialpädagogischen<br />

Ausbildung in der Praxisstelle. Die Fachschule trägt aber weiterhin die Verantwortung für die Erzieherinnenqualifizierung.<br />

Für die Praktikantin ergeben sich im Berufspraktikum somit zwei Lernorte:<br />

Die betreuende Fachschule und die ausgewählte Praxisstelle.<br />

Beide Einrichtungen haben ihre eigenen konzeptionellen und organisatorischen Rahmen, mit denen<br />

die Praktikantin konfrontiert wird. Ein gemeinsames Konzept für die Ausbildung im Berufspraktikum<br />

schafft die erforderliche Grundlage zum Erreichen der beruflichen Handlungsfähigkeit. Beide<br />

Lernorte müssen sich kontinuierlich abstimmen und eng zusammenarbeiten. Es entsteht dann ein für<br />

die Praktikantin verlässliches und tragfähiges Ausbildungsnetz, das eine fachlich fundierte, praxisnahe<br />

Qualifizierung zur staatlich anerkannten Erzieherin ermöglicht.<br />

Lernort<br />

Fachschule<br />

Lehrerin<br />

1.1 Ausbildungsziele<br />

Ausbildungsnetz<br />

Praktikantin<br />

1.1 Ausbildungsziele<br />

Lernort<br />

Praxisstelle<br />

Anleiterin<br />

Das Berufspraktikum ist auf eine breitgefächerte berufliche Handlungsfähigkeit in den sozialpädagogischen<br />

Berufsfeldern Tageseinrichtungen für Kinder, Einrichtungen der Jugendhilfe und der<br />

Jugendarbeit ausgerichtet. Um den Erziehungsalltag in den verschiedenen Arbeitsfeldern zu bewältigen,<br />

muss sich die Praktikantin fundiertes Fachwissen sowie eine Vielzahl von einzelnen Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten aneignen. Die lassen sich unterteilen in Fach-, Methoden-, Sozial- und Persönlichkeitskompetenz<br />

(eine differenzierte Darstellung findet sich in Barth, Bernitzke, Fischer 2010).<br />

Schrittweise gewinnt die Berufspraktikantin an erzieherischen Erfahrungen und baut eine eigene<br />

pädagogische Haltung auf. Sie erzielt berufliche Handlungsfähigkeit (Kompetenz).<br />

Der Erwerb der pädagogischen Grundfähigkeiten beginnt mit der Erzieherinnenausbildung. Das<br />

Berufspraktikum baut auf den im ersten Ausbildungsabschnitt erreichten Kompetenzen auf. Die<br />

Berufspraktikantin soll befähigt werden, ihre theoretischen Kenntnisse sowie praktische Fähigkeiten<br />

im gewählten sozialpädagogischen Handlungsfeld anzuwenden. Dabei sind die Zielsetzung und die<br />

Organisationsstruktur der jeweiligen Praxisstelle zu berücksichtigen.<br />

In der folgenden Übersicht werden wesentliche Kompetenzen zum Erwerb der beruflichen Handlungsfähigkeit<br />

im Verlauf der Erzieherinnenausbildung dargestellt.<br />

7<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

Kompetenzen der Berufspraktikantin<br />

Kompetenzen 1. Ausbildungsabschnitt Berufspraktikum<br />

Fachkompetenz Arbeitsfeldorientierte Fachkenntnisse<br />

aneignen<br />

Fachkenntnisse anwenden und überprüfen<br />

Pädagogische Ansätze kennenlernen Einen eigenen pädagogischen Standpunkt<br />

entwickeln<br />

Konzeptionen erstellen Konzeptionen reflektieren und weiterentwickeln<br />

Interkulturelle und integrative Sensibilität Interkulturelles und integratives pädago-<br />

entwickeln<br />

gisches Handeln lernen und festigen<br />

Berufliche Identität suchen Berufliche Identität aufbauen und vertiefen<br />

Methoden- Techniken der Informationsbeschaffung Techniken der Informationsbeschaffung<br />

kompetenz und -auswertung erarbeiten und üben und -auswertung anwenden und sichern<br />

Organisations- und Verwaltungsaufgaben Organisations- und Verwaltungsauf gaben<br />

thematisieren und üben<br />

erproben und festigen<br />

Moderation, Diskussionsleitung, Moderation, Diskussionsleitung,<br />

Gesprächstechniken kennenlernen und Gesprächstechniken erproben und ver-<br />

üben<br />

tiefen<br />

Planungsformen erarbeiten Planungsformen reflektieren und weiterentwickeln<br />

Problemlösungstechniken kennenlernen Lösungsorientiertes pädagogisches Han-<br />

und üben<br />

deln lernen<br />

Entwicklungs- und Bildungsprozesse Entwicklungs- und Bildungsprozesse<br />

kennenlernen und reflektieren<br />

beobachten, dokumentieren und begleiten<br />

Sozialkompetenz Teamarbeit kennenlernen und üben Teamarbeit erfahren, reflektieren und<br />

beeinflussen<br />

Gruppenprozesse und gruppenpädagogi- Gruppenprozesse analysieren, gruppensche<br />

Prinzipien erlernen<br />

pädagogische Prinzipien gezielt einsetzen<br />

und Gruppen selbstständig führen<br />

Kommunikationsformen kennenlernen Kommunikationsformen anwenden und<br />

und üben<br />

festigen<br />

Konfliktlösungsmodelle erarbeiten und Konfliktlösungsmodelle erproben und<br />

üben<br />

festigen<br />

Partnerschaftliche Grundhaltung Partnerschaftliche Grundhaltung anwen-<br />

thematisieren und praktizieren<br />

den und festigen<br />

Persönlichkeits- Positive Berufseinstellung suchen und Positive Berufseinstellung aufbauen und<br />

kompetenz formulieren<br />

festigen<br />

Belastbarkeit reflektieren Belastbarkeit erproben und vergrößern<br />

Verlässlichkeit thematisieren Verlässlichkeit üben und festigen<br />

Einfühlungsvermögen reflektieren Einfühlungsvermögen üben und vertiefen<br />

Veränderungsbereitschaft thematisieren Veränderungsbereitschaft erproben<br />

Selbstkritische Reflexion üben Selbstkritische Reflexion anwenden und<br />

differenzieren<br />

8


1.2 Lernorte<br />

1.2.1 Lernort Fachschule<br />

Der erste Ausbildungsabschnitt liegt hinter der Schülerin. Sie ist jetzt Praktikantin und soll im<br />

Berufspraktikum die erworbenen Lerninhalte in die gewählte Erziehungspraxis übertragen. Dort<br />

spielt sich ein wesentlicher Teil des Lernens im zweiten Ausbildungsabschnitt ab. Die Fachschule<br />

bleibt aber weiterhin ein wichtiger Lernort für die Praktikantin.<br />

Hier erfährt sie Beratung und Hilfestellung, schon bei der Auswahl der Praxisstelle. Die Fachschule<br />

trägt durch Tagungen für die Anleiterinnen zu einer qualifizierten Praxisanleitung bei. Während des<br />

Berufspraktikums findet in der Fachschule begleitender und ergänzender Unterricht statt. Lerninhalte<br />

des ersten Ausbildungsabschnittes werden vertieft und auf ihre Anwendbarkeit in den ausgewählten<br />

sozialpädagogischen Berufsfeldern überprüft. Beobachtungen und Fragen aus der Erziehungspraxis werden<br />

gesammelt und reflektiert. Die Praktikantin wird gezielt auf ihren Berufsabschluss vorbereitet.<br />

Die Lehrkräfte der Schule stehen in enger Verbindung zur Praxisstelle. Durch Besuche machen sie sich<br />

ein Bild von der pädagogischen Arbeit der Berufspraktikantin. Lerninhalte der Fachschule treffen in<br />

dem jeweiligen Berufsfeld auf Praxiserfahrungen. Es setzt ein Diskurs zwischen Theorie und Praxis ein.<br />

Die Praktikantin muss am Lernort Fachschule die Kompetenzen vermittelt bekommen, die zu einem<br />

erfolgreichen Theorie-Praxis-Transfer und der angestrebten pädagogischen Handlungsfähigkeit führen.<br />

1.2.2 Lernort Praxisstelle<br />

1.2 Lernorte<br />

Die Praktikantin hat sich für ein bestimmtes Berufsfeld (Tageseinrichtungen für Kinder, Einrichtungen<br />

der Jugendhilfe und der Jugendarbeit, sonderpädagogische Einrichtungen, Ganztagsschule)<br />

entschieden. Die gewählte sozialpädagogische Einrichtung wird für die Praktikantin zum zweiten<br />

Lernort neben der Fachschule.<br />

Im Lernort Praxisstelle muss sich die Berufspraktikantin mit der entsprechenden pädagogischen<br />

Konzeption und der jeweiligen Organisationsstruktur vertraut machen. Das Berufspraktikum muss<br />

in den Erziehungsalltag der gewählten Einrichtung integriert werden. So muss sich die Praktikantin<br />

z. B. in einer offenen pädagogischen Arbeit zunächst einmal einen Überblick über das räumliche<br />

und thematische Angebot verschaffen. Sie begegnet einer größeren Zahl von Kindern als in einer<br />

Einrichtung mit festen Gruppen und arbeitet mit mehreren Erzieherinnen zusammen. Planung und<br />

Durchführung des Berufspraktikums werden von solchen unterschiedlichen konzeptionellen und<br />

organisatorischen Gegebenheiten maßgeblich bestimmt.<br />

Die Berufspraktikantin geht neue, unterschiedlich intensive Beziehungen ein, die eine unabdingbare<br />

Grundlage ihrer pädagogischen Arbeit bilden. Sie trifft auf ein bestehendes Erzieherinnenteam.<br />

Sie erlebt die Individualität von Erzieherinnenpersönlichkeiten und erfährt unterschiedliche pädagogische<br />

Vorgehensweisen. Innerhalb des Erzieherinnenteams ergibt sich von der Aufgabenstellung<br />

„Praxisanleitung“ her ein besonderes Arbeitsverhältnis zwischen der Praktikantin und ihrer Anleiterin.<br />

Eine optimale Praxisanleitung setzt voraus, dass die gegenseitigen Erwartungen zu Beginn des<br />

Berufspraktikums abgeklärt und gemeinsame Zielvorstellungen formuliert werden (siehe Ziele und<br />

Anleitungsverständnis).<br />

9<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

Parallel zur Integration der Praktikantin ins Erzieherinnenteam verläuft der Aufbau von Beziehungen<br />

zu den Kindern/Jugendlichen. Die Berufspraktikantin muss bereit sein, sich auf die Kinder/Jugendlichen<br />

der jeweiligen Praxisstelle einzulassen und ihnen wertschätzend zu begegnen. Das bedeutet, sich<br />

offen, ohne eine vorgefasste Meinung, schrittweise ein umfassendes Bild von den Kindern/Jugendlichen<br />

zu erarbeiten. Die Berufspraktikantin beobachtet systematisch das Tun der Kinder/Jugendlichen,<br />

führt ausgiebige Gespräche und erlebt die individuellen Stärken und Schwächen. Sie tauscht sich im<br />

Erzieherinnenteam regelmäßig aus und reflektiert ihr Bild vom Kind/Jugendlichen kritisch.<br />

Als neues Mitglied im Erzieherinnenteam stellt sich die Berufspraktikantin auch den Eltern vor. Mit<br />

Hilfe ihrer Praxisanleiterin wächst sie Schritt um Schritt in die Elternarbeit hinein. Sie bereitet zum<br />

Beispiel einen Elternabend mit vor, nimmt anfangs an Elterngesprächen teil und führt diese später<br />

selbstständig durch.<br />

Im Lernort Praxisstelle geht es für die Berufspraktikantin um die Anwendung der Kompetenzen, die<br />

sie sich in der Fachschule angeeignet hat. In der Umsetzung in die Erziehungspraxis erlebt die Praktikantin<br />

Selbstwirksamkeit. Sie wird in ihrer Lernentwicklung durch die Anleiterin unterstützt und<br />

gewinnt schrittweise pädagogische Handlungssicherheit. Die Praxiserfahrungen dienen der Praktikantin<br />

dazu, sich Klarheit über ihre erzieherische Einstellung zu verschaffen und eine berufliche<br />

Identität aufzubauen.<br />

1.3 Anleitungsverständnis<br />

Befragt man die Praxisanleiterinnen, was sie unter „Anleiten einer Praktikantin“ verstehen, so assoziieren<br />

sie vor allem die folgenden Tätigkeiten:<br />

Assoziationen zum Begriff „Anleiten“<br />

Die Begriffsassoziationen weisen auf das jeweilige Verständnis von Anleitung hin. Es lassen sich zwei<br />

unterschiedliche Grundauffassungen ausmachen:<br />

1. Anleiten verstanden als „vormachen, eingreifen und helfen“.<br />

2. Anleiten verstanden als „Erfahrungen machen lassen, begleiten und unterstützen“.<br />

10<br />

Fehler zulassen vormachen zusammenarbeiten<br />

loben anregen hospitieren lassen<br />

begleiten Orientierung geben miteinander reden ermutigen<br />

führen Gefühle zulassen offen sein planen<br />

helfen ANLEITEN<br />

respektieren<br />

informieren Erfahrungen machen lassen schützen strukturieren<br />

beraten trösten motivieren unterstützen<br />

geduldig sein gemeinsam reflektieren beobachten miteinander abklären<br />

loslassen konsequent sein Grenzen aufzeigen


Im ersten Fall nimmt die Anleiterin eine sehr aktive, helfende Rolle ein. Im Erziehungsalltag gibt sie<br />

der Praktikantin viel vor. Sie sieht sich als die erfahrene Pädagogin, von der die unerfahrene Berufsanfängerin<br />

lernen soll. In Konfliktsituationen greift sie lenkend ein.<br />

Im zweiten Fall verhält sich die Anleiterin zurückhaltender. Sie lässt die Praktikantin ihre eigenen<br />

Erfahrungen machen und gibt ihr allenfalls Anregungen. Den Erziehungsalltag reflektiert sie<br />

gemeinsam mit der Praktikantin. In Problemsituationen leitet sie die Praktikantin zu lösungsorientiertem<br />

pädagogischen Handeln an.<br />

In Gesprächen mit Berufspraktikantinnen kommt zum Ausdruck, dass sie sich „Anleiten“ mehrheitlich<br />

so vorstellen, wie der Begriff in der zweiten Auffassung definiert wird. Sie wollen sich ausprobieren<br />

und schrittweise zu einem eigenständigen erzieherischen Handeln finden. Gleichzeitig fühlen<br />

sich die Berufspraktikantinnen im täglichen Erziehungsgeschehen noch unsicher und brauchen die<br />

Begleitung und Unterstützung ihrer erfahrenen Kolleginnen.<br />

Auf dem Weg zur beruflichen Handlungsfähigkeit ist die Anleiterin für die Praktikantin ein kompetentes<br />

Gegenüber, wenn sie sich unverstellt, echt verhält. Das heißt, wenn das, was sie denkt, sagt<br />

und tut, überein stimmt. Die Praktikantin erlebt die Anleiterin als ganze Person mit individuellen<br />

Gedanken, Meinungen und Gefühlen, die im pädagogischen Handeln zum Tragen kommen.<br />

Sie lernt, sich mit einer fremden Persönlichkeit auseinanderzusetzen und ihren eigenen Standort<br />

zu bestimmen. Die Praxisanleiterin sollte der Berufspraktikantin offen, tolerant und wertschätzend<br />

begegnen. Anleiten bedeutet auf der Grundlage dieser Einstellung:<br />

Zulassen, zutrauen, ermöglichen, begleiten aber auch zumuten.<br />

Die Praktikantin hat zum Beispiel eine Idee für ein Projekt mit Kindern. Sie tauscht sich mit ihrer<br />

Anleiterin aus.<br />

„Zulassen“ heißt, die Anleiterin zeigt sich offen für die Projektidee und reflektiert sie mit der Praktikantin.<br />

„Zutrauen“ bedeutet, die Anleiterin geht von den Stärken der Praktikantin aus und ermutigt sie.<br />

„Ermöglichen“ will sagen, die Anleiterin schafft den erforderlichen äußeren Rahmen und nimmt<br />

das Projekt in die Planung der Einrichtung auf.<br />

„Begleiten“ beinhaltet, die Anleiterin verfolgt das Projekt interessiert und gibt der Praktikantin konstruktives<br />

Feedback.<br />

„Zumuten“ meint, die Anleiterin befähigt die Praktikantin dazu, schwierige Projektphasen anzunehmen<br />

und lösungsorientiert zu handeln.<br />

Anleiten kann somit als eine wichtige, unterstützende Tätigkeit verstanden werden, die die Praxis im<br />

Ausbildungssystem des Berufspraktikums leistet. Grundlage des Anleitungsprozesses ist ein offenes,<br />

tolerantes und wertschätzendes Arbeitsverhältnis zwischen Anleiterin und Praktikantin. Die Anleitung<br />

hilft der Praktikantin, den Bezug zwischen sozialpädagogischer Theorie und Praxis herzustellen<br />

und berufliche Handlungskompetenz zu erreichen.<br />

1.4 Anleitungsmethoden<br />

1.4 Anleitungsmethoden<br />

Die berufsbegleitende Anleitung im Rahmen des Praktikums erfordert ein methodisch vielfältiges,<br />

den Erfordernissen der Erziehungspraxis angemessenes Vorgehen. Das Konzept der kollegialen<br />

11<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

Supervision, das auf den Trainingsverfahren professioneller Supervisoren beruht, erscheint geeignet,<br />

der Praktikantin die angestrebte berufliche Handlungskompetenz umfassend zu vermitteln. Supervision<br />

kann als ein „Nachdenken unter Anleitung“ verstanden werden und zielt auf eine Erhöhung<br />

der Professionalität ab. Die kollegiale Supervision ist als Erkennens-, Lern- und Verstehensprozess<br />

zu sehen, der zu neuen Handlungsmöglichkeiten und zur Bewältigung schwieriger beruflicher Situationen<br />

führt. Darüber hinaus trägt die kollegiale Supervision zur Persönlichkeitsentwicklung der<br />

Berufspraktikantin bei, die ihre Rolle reflektiert und neu definiert, Stärken entwickelt und auf Herausforderungen<br />

des beruflichen Alltags besser vorbereitet wird. Die kollegiale Supervision ist demnach<br />

ein strukturiertes Reflexionsverfahren, das eine systematische und ganzheitliche Begleitung<br />

beruflichen Handelns beinhaltet.<br />

Ziele der kollegialen Supervision<br />

Mit Hilfe der kollegialen Supervision soll die professionelle Kompetenz der Mitarbeiterin bzw. Praktikantin<br />

verbessert werden. Die Ziele beziehen sich auf den Supervisionsprozess, den einzelnen Mitarbeiter<br />

mit seinem Anliegen und das Team.<br />

Den Prozess der kollegialen Supervision kennzeichnen folgende Ziele:<br />

Bewusstmachen von Handlungsmustern und äußeren Handlungseinflüssen<br />

Erkennen zunächst verborgener Handlungsauslöser, Zielvorstellungen oder Erwartungen<br />

Verbesserung der pädagogischen Kompetenz (z. B. Problemlösungskompetenz)<br />

bessere Bewältigung von beruflichen Situationen<br />

Die Mitarbeiterin mit ihrem Anliegen verfolgt folgende Absichten:<br />

differenziertere Eigenwahrnehmung (Verhalten, Gefühle, Bewertungen)<br />

Erkennen der eigenen Stärken und Schwächen, Kompetenzen und Grenzen<br />

Überprüfung und Erweiterung der eigenen Wahrnehmung und des Handelns (z. B. Konfliktlösungs<br />

muster)<br />

kritische Reflexion der Wirksamkeit des eigenen beruflichen Handelns<br />

Kennenlernen unterschiedlicher Sichtweisen / Perspektiven<br />

Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung (z. B. Abbau von Ängsten, Stärkung des Selbstbewusstseins,<br />

bessere Verarbeitung von Problemsituationen)<br />

Förderung der Arbeitszufriedenheit<br />

Erhöhung der Arbeitsmotivation<br />

Für das Team ergeben sich folgende Zielsetzungen:<br />

Unterstützung der Teamentwicklung / Qualifizierung des Teams<br />

Förderung des Wir-Gefühls (Gruppenkohäsion)<br />

Verbesserung des Problembewusstseins<br />

Nutzen der Gruppenressourcen, d. h. Lernen von anderen Teammitgliedern<br />

Verbreiterung der Wissens- und Handlungsbasis<br />

Grundlagen der kollegialen Supervision<br />

Die kollegiale Supervision berücksichtigt eine Vielzahl unterschiedlicher Theorien. Die Rollentheorie<br />

bildet die Grundlage für die Auseinandersetzung mit wahrgenommenen und erwarteten Rollen<br />

12


1.4 Anleitungsmethoden<br />

sowie für die Entstehung und Bewältigung von Rollenkonflikten. Die Techniken des Psychodramas<br />

finden Anwendung beim Durcharbeiten von Fällen im Rollenspiel. Berufliche Situationen werden<br />

im Rollenspiel inszeniert und somit wieder erleb- sowie veränderbar gemacht. Die systemischen<br />

Ansätze führen zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Fälle und verdeutlichen die vielfältigen<br />

Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten im sozialen Gefüge. Mit Hilfe der Transaktionsanalyse<br />

können problematische Interaktionsstrukturen erkannt und bei der Entwicklung von Hilfen berücksichtigt<br />

werden. Zur Analyse von Interaktionen können die Erkenntnisse der Kommunikationstheorie<br />

herangezogen werden, die sich beispielsweise mit den verschiedenen Aspekten der Informationsweitergabe<br />

und -verarbeitung beschäftigt. Die Prinzipien der Gesprächspsychotherapie,<br />

die beispielsweise im aktiven Zuhören nach Gordon aufgegriffen werden, führen zu einer problembezogenen<br />

Vorgehensweise, die durch Akzeptanz und mitfühlendes Verstehen (Empathie) gekennzeichnet<br />

ist. Die Lerntheorie kann die Entstehung (Wirkmechanismen) und das Aufrechthalten<br />

von Problemsituationen erklären. Zur Erklärung unbewusster Prozesse, Abwehrmechanismen oder<br />

Übertragungsphänomene kann die Psychoanalyse herangezogen werden.<br />

Die kollegiale Supervision führt durch das Verstehen und Reflektieren des beruflichen Alltags zu<br />

einer praxisnahen Wissenserweiterung. Die genannten Theorien bilden die Grundlagen für eine vielseitige<br />

Auseinandersetzung mit der beruflichen Wirklichkeit<br />

Die kollegiale Supervision kann nur dann gelingen, wenn bei den Beteiligten gegenseitige Akzeptanz,<br />

Offenheit und ein vertrauensvolles Miteinander bestehen. Die Teilnahme setzt die Freiwilligkeit<br />

jedes einzelnen Teammitglieds voraus. Über die Inhalte ist Verschwiegenheit zu wahren.<br />

Formen kollegialer Supervision<br />

Im Bereich der Supervision wird unter Berücksichtigung der Adressaten zwischen der Einzelsupervision,<br />

der Gruppen- und Teamsupervision sowie der Institutionssupervision differenziert. Bezogen<br />

auf die kollegiale Supervision können bei Beachtung inhaltlicher Gesichtspunkte folgende vier Formen<br />

unterschieden werden:<br />

Fallberatung<br />

Formen<br />

kollegialer Superversion<br />

Beratungsgespräch<br />

Reflexionsgespräch<br />

Kritikgespräch<br />

13<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

Vergleich und Kennzeichnung der vier Formen kollegialer Supervision:<br />

1.4.1 Kollegiale Fallberatung<br />

Die kollegiale Fallberatung ist ein strukturiertes Beratungsgespräch im Team, bei dem ein Teammitglied<br />

von den übrigen Teammitgliedern nach einem standardisierten Ablauf mit verteilten Rollen<br />

beraten wird. In der kollegialen Fallberatung werden Lösungen für eine konkrete berufliche Handlungssituation<br />

entwickelt. Mit Hilfe der Fallberatung soll der Rückhalt des Gruppenmitglieds durch<br />

das Team gestärkt werden. Die Beratung führt zu einer Entlastung des Betroffenen. Auf der Basis<br />

der kollegialen Fallberatung wird der fachliche Austausch angeregt und eine Unterstützungskultur<br />

im Team aufgebaut.<br />

Der Begriff „Fall“ wird dabei recht weit gefasst und beschränkt sich nicht auf die Auseinandersetzung<br />

mit bestimmten Kindern und Jugendlichen oder auf Ausnahmesituationen, denen ein<br />

Teammitglied zunächst ratlos gegenüber steht. Berufliche Alltagssituationen, die von den Teammitgliedern<br />

routinemäßig bewältigt werden (z. B. Ablauf von Tür-Angel-Gesprächen), können ebenfalls<br />

zum „Fall“ werden, der in der Gruppe reflektiert wird. In der Fallberatung werden Alltagsabläufe<br />

hinterfragt und ggf. verändert. Das Problembewusstsein der Teammitglieder, das in der Fallberatung<br />

auf wenig beachtete Bereiche gelenkt wird, wird gestärkt und kann dazu führen, dass auch andere<br />

berufliche Alltagssituationen auf den Prüfstand gestellt und optimiert werden.<br />

14<br />

Kollegiale<br />

Fallberatung<br />

Anlass Konkrete Situation (z. B.<br />

Erzieherinnenverhalten<br />

in einer aggressiv<br />

geführten Streitsituation<br />

zwischen Kindern; Verhalten<br />

gegenüber einem<br />

verhaltensauffälligen<br />

Kind)<br />

Beratungsgespräch<br />

Auf Wunsch der<br />

Berufspraktikantin,<br />

um Probleme<br />

zu vermindern<br />

Reflexionsgespräch<br />

Vor einer Beurteilung,<br />

nach einer<br />

Beschäftigung, zur<br />

Analyse des Entwicklungsstandes<br />

der Praktikantin<br />

Beteiligte Teammitglieder als<br />

gleichberechtigte Partner<br />

Anleiterin und Praktikantin<br />

Beraterfunktion<br />

Gegenseitige Beratung Anleiterin als Beraterin<br />

Externer<br />

Berater<br />

Nicht erforderlich<br />

Häufigkeit Regelmäßig<br />

(z. B. monatlich)<br />

Nach Bedarf Regelmäßig<br />

Kritikgespräch<br />

Fehlverhalten der<br />

Praktikantin, z. B.<br />

Verstoß gegen Regeln,<br />

Verletzung der Aufsichtspflicht,Abweichen<br />

von der gemeinsamen<br />

pädagogischen<br />

Konzeption<br />

Nach Bedarf bzw.<br />

konkreten Anlass<br />

Dauer 90 – 120 Min. 30 – 60 Min. 10 – 20 Min.<br />

Methoden /<br />

Inhalte<br />

(Beispiele)<br />

Rollenspiel, Rollenanalyse,<br />

Durcharbeiten des<br />

Falles<br />

Aktives Zuhören,<br />

Vermittlung von<br />

Hilfen, Stärkung<br />

der eigenen Hilfsmöglichkeiten<br />

Analyse des pädagogischenVerhaltens<br />

anhand eines<br />

Reflexionsschemas,<br />

Entwicklung von<br />

Alternativen ...<br />

Ich-Botschaften, Grundregeln<br />

wirkungsvoller<br />

Kritik, um Fehlverhalten<br />

zu thematisieren<br />

und Verhaltensveränderungen<br />

einzuleiten


Der Leitfaden für Fallbesprechungen umfasst 9 Phasen und dauert ca. 1 ½ Stunden:<br />

1.4 Anleitungsmethoden<br />

Bei der kollegialen Fallberatung sind die beteiligten Teammitglieder untereinander gleichberechtigt.<br />

Die Sitzungsteilnehmer nehmen bei den Fallbesprechungen wechselnde Rollen ein. Folgende Rollen<br />

sind von den Teilnehmern zu übernehmen:<br />

Die Fallerzählerin präsentiert ihren Fall im Team. Bei der Darstellung werden die Inhalts- bzw.<br />

Sachebene sowie die Gefühlsebene berücksichtigt. Zur Unterstützung der Aussagen kann die Darstellung<br />

z. B. durch Pfeildiagramme visualisiert werden. Hilfreich sind auch bildhafte Darstellungen<br />

wie Metaphern („Mir hat es den Hals zugeschnürt.“) oder Analogien (viele Köche verderben<br />

den Brei).<br />

Leitfaden für die kollegiale Fallberatung<br />

Phase Dauer Aufgabe Leitfragen<br />

Auswahl unter verschiedenen Welche Fälle kommen für die<br />

Fallvorschlägen und Auswah- Fallberatung in Frage? Welcher<br />

Sondierungsphase 10 Min.<br />

lentscheidung der Gruppe im<br />

Konsens;<br />

Rollenvereilung: Moderatorin,<br />

Protokollantin, Fallerzählerin)<br />

Fall soll in der heutigen Besprechung<br />

bearbeitet werden?<br />

Spontaner Fallbericht ohne Was hat sich ereignet? Wie stellt<br />

1. Phase Fallbericht 10 Min. Unterbrechungen und Nach- sich die Situation für die Fallfragenerzählerin<br />

dar?<br />

2. Phase<br />

Schlüsselfragen<br />

5 Min.<br />

Festlegung des Klärungswunsches<br />

und der Klärungsrichtung<br />

Welchen Klärungsbedarf hat<br />

die Fallerzählerin?<br />

Kurzer Überblick über die Wir- Was hat die Falldarstellung bei<br />

3. Phase Blitzlicht 5 Min. kung des Falles auf die Team- mir ausgelöst? Wie fühle ich<br />

mitglieder<br />

mich jetzt?<br />

4. Phase<br />

Äußere Wahrnehmungen<br />

10 Min.<br />

Reflexion des Fallberichts; Auswertung<br />

der Beobachtungen bei<br />

der Falldarstellung<br />

Was ist mir bei der Falldarstellung<br />

(Inhalt und Erzählerin)<br />

aufgefallen?<br />

5. Phase<br />

Innere Wahrnehmungen<br />

5 Min.<br />

Reflexion der Fallwirkung auf<br />

die Zuhörenden<br />

Welche inneren Bilder, Vorstellungen,<br />

Erfahrungen, Gefühle<br />

ruft der Fall bei mir hervor?<br />

6. Phase Durcharbeiten<br />

Vertiefung von Einzelaspekten, Was hat sich genau ereignet<br />

des Falles<br />

15 Min.<br />

Zusatzinformationen, diagnostische<br />

Bewertung, Analyse von<br />

Ursachen<br />

und was löste die Situation bei<br />

den Betroffenen aus?<br />

7. Phase Perspektivenwechsel<br />

10 Min.<br />

Hineinversetzen in die verschiedenen<br />

Rollen<br />

Wie erleben die am Fall Beteiligten<br />

die Situation?<br />

8. Phase Lösungsmöglichkeiten<br />

15 Min.<br />

Entwicklung von Hilfen und<br />

ggf. Erprobung von Lösungen<br />

im Rollenspiel<br />

Welche Handlungsmöglichkeiten<br />

und -alternativen bestehen?<br />

Reflexion der kollegialen Fall- Was ist mir klar geworden? Was<br />

9. Phase<br />

Feedback und<br />

Vorsätze<br />

5 Min.<br />

beratung<br />

werde ich konkret tun? Welche<br />

Rückmeldungen waren besonders<br />

hilfreich und wichtig?<br />

15<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

16<br />

Die Moderatorin ist für den systematischen Ablauf der kollegialen Fallberatung verantwortlich,<br />

indem sie auf den Zeitrahmen achten, zum Thema zurückführt und in den verschiedenen Phasen<br />

des Ablaufs auf die Einhaltung von Kommunikationsregeln achtet.<br />

Die Protokollantin dokumentiert den Beratungsprozess und unterstützt die Moderatorin. Zur<br />

Dokumentation können beispielsweise die Lösungsvorschläge der Teammitglieder auf der Flipchart<br />

festgehalten werden, Argumente der Gruppe notiert oder der Klärungsbedarf der Fallerzählerin<br />

für alle sichtbar visualisiert werden.<br />

Die Beraterinnen sind alle anderen Teammitglieder. Sie konzentrieren sich in der ersten Phase auf<br />

die Falldarstellung und bringen sich vor allem beim Durcharbeiten des Falles, dem Perspektivenwechsel<br />

und der Entwicklung von Lösungsvorschlägen ein. Der Erfahrungs- und Wissenshintergrund<br />

bilden die Basis für die Analyse und die Bearbeitung des Falls.<br />

Ablauf der Fallberatung:<br />

Sondierungsphase<br />

Wenn sich das Team auf eine Situation, die in dieser Sitzung besprochen werden soll, geeinigt hat,<br />

beginnt der eigentliche Ablauf der Fallbesprechung. Bei der Festlegung des Falles ist darauf zu achten,<br />

dass alle Gruppenmitglieder mit der getroffenen Auswahl einverstanden sind. Im Team ist deshalb<br />

Konsens bezüglich des ausgewählten Falls herzustellen. Der Begriff „Fall“ ist nicht nur auf das<br />

Besondere, Außergewöhnliche bzw. Normabweichende zu beziehen, sondern umfasst alle Situationen,<br />

die den normalen Alltag betreffen (z. B. Elterngespräch, Entwicklung eines Kindes) und dem<br />

Teammitglied nachgegangen sind.<br />

In der Sondierungsphase erfolgt auch die Rollenverteilung unter den Teammitgliedern. Wenn sich<br />

das Team auf den Fall, der besprochen werden soll, geeinigt hat, liegt der Fallerzählerin fest. Für die<br />

kollegiale Fallberatung sind von den Teammitgliedern die Rolle des Moderatorin und der Protokollantin<br />

zu besetzen.<br />

1. Phase: Fallbericht<br />

Die Fallerzählerin ist aufgefordert, die Situation spontan, zusammenhängend, ohne Unterbrechung<br />

durch die Teammitglieder darzustellen. Die Gruppenmitglieder hören genau zu, beobachten das Verhalten<br />

der Erzählerin und achten auf die Reaktionen, die der Bericht bei ihnen selbst auslöst.<br />

Da die Darstellung nicht vorbereitet ist, wird sie unstrukturiert, unter Umständen sprunghaft, subjektiv<br />

wertend und häufig sehr emotional sein. Die Betroffenheit der Fallerzählerin und ihre subjektive<br />

Verarbeitung der Situation kommen im Fallbericht zum Ausdruck. Auch wenn die Zuhörenden,<br />

Widersprüche, Lücken, Unklarheiten erkennt, die zum Nachfragen reizen, werden zunächst<br />

keine Fragen zugelassen.<br />

2. Phase: Schlüsselfragen<br />

Nachdem die Fallsituation von der Erzählerin umfassend dargestellt wurde, wird der Klärungsbedarf<br />

der Erzählerin bestimmt. Die Fallerzählerin erläutert, in welchen Bereichen sie Unterstützung<br />

wünscht und verdeutlicht, warum sie die Situation als problematisch empfindet. Im Hinblick auf die<br />

spätere Lösungssuche ist es notwendig, dass der Klärungsbedarf allen Beteiligten bewusst ist.<br />

3. Phase: Blitzlicht<br />

Das Blitzlicht gibt eine schnelle Momentaufnahme über den Stand der Gruppe zum Fall. Jedes<br />

Teammitglied ist aufgefordert sehr kurz mitzuteilen, wie es sich nach dem Fallbericht fühlt. Das


1.4 Anleitungsmethoden<br />

Blitzlicht ermöglicht eine emotionale Einbindung des Teams, die emotionale Betroffenheit der Fallerzählerin<br />

wird durch die emotionale Betroffenheit des Teams erweitert. Die Teammitglieder werden<br />

zu Beteiligte, was ihre Aufmerksamkeit, ihr Engagement bei der Fallbearbeitung erhöht.<br />

Am Ende der Blitzlichtrunde kann die Erzählerin kurz rückmelden, welche Aussagen für sie besonders<br />

wichtig, neu, interessant und hilfreich sind.<br />

4. Phase: Äußere Wahrnehmungen<br />

Nach der emotionalen Reflexion beim Blitzlicht folgt die Auswertung der Beobachtungen zur Wirkung<br />

der Erzählerin bei ihrer Falldarstellung. Durch die spontane Darstellung, die von emotionaler<br />

Betroffenheit beeinflusst ist, können aus der Form der Darstellung wichtige Informationen über die<br />

Wirkung des Falls auf die Erzählerin abgeleitet werden. Die verbalen und nonverbalen Signale der<br />

Erzählerin werden im Team näher beleuchtet. Die Teammitglieder werden aufgefordert, ihre Beobachtungen<br />

wertungsfrei zu äußern. So kann der Berichtenden aus den nonverbalen Informationen<br />

(Sprechtempo, Tonfall, Pausen, Betonungen, Körperhaltung, Mimik) und verbalen Informationen<br />

(Widersprüche, Auslassungen, bildhaften Ausdrücken) ein wichtiges Feedback gegeben werden. Die<br />

Erzählerin wird durch diese Rückmeldungen der Gruppe zu einer differenzierteren Wahrnehmung<br />

des Falls angeregt, da ihr unbewusste, von anderen Gruppenmitgliedern wahrgenommene Signale<br />

rückgemeldet werden.<br />

5. Phase: Innere Wahrnehmungen<br />

Die Teammitglieder analysieren die Wirkung, die der Fall auf sie selbst ausgelöst hat. Der dargestellte<br />

Fall löst Assoziationen zu eigenen Erfahrungen aus und es kann zur Identifikation mit Personen<br />

kommen. Der Fallbericht kann bei den Teammitgliedern zudem Gefühle, Betroffenheit, Überzeugungen,<br />

Phantasien, Bilder usw. hervorrufen. Die subjektive Wirkung des Berichts auf das Team<br />

steht im Mittelpunkt der vierten Phase.<br />

6. Phase: Durcharbeiten des Falls<br />

In dieser Phase werden verschiedene Einzelaspekte des Falles vertieft. Die Durcharbeitung des<br />

Falls umfasst verschiedene Techniken wie Rollenspiel, Rollenwechsel, theoriegeleitete Analyse von<br />

Ursachen, Selbstreflexion der Erzählerin usw. Der Schwerpunkt des Vorgehens kann entweder auf<br />

die Situation der Fallerzählerin oder auf die inhaltliche Bewältigung des Problems bezogen sein.<br />

Werden bei der Fallbesprechung beispielsweise die Probleme im Umgang mit einem hyperaktiven<br />

Kind angesprochen, so könnte zum einen die Erzieherin in ihrer Hilflosigkeit und Überforderung<br />

thematisiert oder zum anderen auf die Hilfsmöglichkeiten für das hyperaktive Kind näher eingegangen<br />

werden.<br />

7. Phase: Perspektivenwechsel<br />

Aus den Aussagen der Gruppenmitglieder kann die Fallerzählerin z. B. Rückmeldung über die Sichtweisen<br />

anderer Personen, auf die sich die Falldarstellung bezieht, erhalten. Dies kann vertieft werden,<br />

wenn Gruppenmitglieder aufgefordert werden, sich in die Situation der verschiedenen Personen, die<br />

im Fall vorkommen, hineinzuversetzen und aus deren Perspektive die Situation und die ausgelösten<br />

Gefühle darzustellen. Die Fallsituation wird anschaulich in das Team hinein geholt und es beginnt<br />

eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Situation und den beteiligten Personen. In dieser Phase<br />

wird die Fallerzählerin mit alternativen Sichtweisen konfrontiert. Aus dieser Erweiterung der<br />

Sichtweise können sich neue Lösungsmöglichkeiten ergeben. In dieser Phase geht es darum, eingefahrene<br />

Sicht- und Denkweisen zu überwinden.<br />

17<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

8. Phase: Lösungsmöglichkeiten<br />

Erst wenn die Fallsituation ausreichend und vielseitig reflektiert wurde, werden gemeinsam Lösungsmöglichkeiten<br />

entwickelt. Werden bereits in frühen Phasen Lösungen eingebracht, so beeinträchtigen<br />

diese Vorschläge die erforderliche Reflexion der Situation und verhindern die Entwicklung angemessener<br />

Hilfen. Die Lösungsvorschläge können sich auf alle Beteiligten im Fall und die Aktivierung<br />

weiterer Institutionen (z. B. Träger, Jugendamt) beziehen. Konkrete Hilfen können im Rollenspiel<br />

erprobt werden. Wichtig ist die Akzeptanz der Hilfe durch die im Fall betroffenen Personen.<br />

9. Feedback und Vorsätze<br />

Am Ende der kollegialen Fallberatung steht die Reflexion der Sitzung. Die Fallerzählerin gibt eine<br />

Rückmeldung, inwieweit ihr Klärungsbedarf, den sie in der zweiten Phase formuliert hat, sich vermindert<br />

hat und welche neuen Anregungen und Hilfen sie umsetzen will. Die beteiligten Teammitglieder<br />

geben im Hinblick auf den Ablauf und das Ergebnis der kollegialen Fallberatung ein Feedback.<br />

Es gibt nicht für alle Fallsituationen perfekte Lösungen, aber die Fallberatung im Team führt für die<br />

Erzählerin zu einer emotionalen Entlastung – sie ist mit ihrem Problem nicht mehr allein.<br />

1.4.2 Beratungsgespräch<br />

Unter Beratung versteht man eine eingreifende, vorbeugende und helfende Beziehung zwischen<br />

Personen, die sprachlich miteinander kommunizieren. Durch anregende und unterstützende Methoden<br />

wird die Ratsuchende innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums befähigt, mit Hilfe ihrer Selbststeuerungs-<br />

und Handlungskompetenz die bestehenden Probleme zu bewältigen.<br />

Ziele<br />

Das Beratungsgespräch ist im beruflichen Alltag ein wichtiges Anleitungsinstrument, um die Entwicklung<br />

der Berufspraktikantin zu fördern. Zwei Ziele stehen dabei im Mittelpunkt:<br />

Entwicklung und Verbesserung der beruflichen Handlungskompetenz durch Erweiterung<br />

der Handlungsmöglichkeiten<br />

(z. B. am Ende des Praktikums den beruflichen Anforderungen gerecht werden, Qualitätsansprüchen<br />

genügen, Gruppenleitung wahrnehmen können …)<br />

Erhalt der beruflichen Handlungsfähigkeit durch Verminderung von Belastungen / Problemen,<br />

die sich hemmend auf die Arbeitsleistung auswirken<br />

(z. B. Abbau von Ängsten, Stärkung des Selbstbewusstseins, Erhöhung der Arbeitszufriedenheit …)<br />

In der Beratung der Berufspraktikantin steht der Entwicklungsaspekt im Vordergrund.<br />

Funktionen<br />

Im Wesentlichen können drei Funktionen unterschieden werden, die mit dem Beratungsgespräch<br />

verknüpft sind:<br />

18<br />

Präventive Funktion<br />

Vorbeugende Maßnahmen, um das Auftreten von Problemen zu vermindern (Anleiterin erkennt,<br />

dass die Berufspraktikantin mit der Zeiteinteilung Probleme hat und festgelegte Abgabetermine<br />

für Berichte der Schule nicht einhalten kann)


Wachstumsfördernde Funktion<br />

Hilfsmöglichkeiten der Ratsuchenden werden bewusst gemacht; dadurch werden Stärken deutlich<br />

erkennbar und die Ratsuchende wird in die Lage versetzt, selbsthelfende Potenziale zu aktivieren;<br />

Helfende Funktion<br />

Die Ratsuchende erhält Hilfen, Anregungen und Impulse zur aktiven Auseinandersetzung und<br />

Bewältigung ihres Problems<br />

Hinweis auf einen Beratungsbedarf:<br />

Denk- und Handlungsblockaden<br />

zirkulär kreisende Gedanken<br />

unsinniges Verhalten<br />

unüberlegtes Verhalten, das die Konsequenzen außer Acht lässt<br />

erhöhte Ablenkbarkeit<br />

geringe Konzentration<br />

zahlreiche Flüchtigkeitsfehler<br />

apathisches Verhalten / Desinteresse<br />

erhöhte Ängstlichkeit<br />

Unsicherheit<br />

Ansatzpunkte der Hilfe<br />

Die angebotenen Hilfen bzw. Techniken dienen zur weitgehend eigenständigen Bewältigung schwieriger<br />

Lebens- bzw. Berufssituationen. Der Helfer nutzt die individuellen Möglichkeiten der Ratsuchenden<br />

und verfährt nach dem Prinzip: Wer das Problem hat, der hat auch die Lösung. Die Hilfen<br />

zur Selbsthilfe fördern eine aktive Problemverarbeitung durch die Ratsuchende und stärken damit<br />

auch ihre Kompetenzen im Hinblick auf weitere Problemsituationen. Das im Alltag oft planlose<br />

Herangehen an schwierige Situationen wird unter Anleitung des Helfenden zum systematischen Vorgehen<br />

bei der Problembewältigung.<br />

Das Phasenmodell der Beratung umfasst sieben Abschnitte:<br />

1. Problembestimmung<br />

2. Perspektivenwechsel<br />

3. Problemanalyse<br />

4. Zielformulierung<br />

5. Entwicklung von Lösungen<br />

6. Bewertung der Lösungsalternativen<br />

7. Umsetzung der Lösung<br />

1.4 Anleitungsmethoden<br />

1. Phase: Problembestimmung<br />

Zunächst geht es um die Abklärung des Problems und dessen näheren Bestimmung. Die beratende<br />

Anleiterin zeigt ein einfühlendes, nicht-wertendes Verstehen (Empathie) und signalisiert der Berufspraktikantin<br />

Verständnis. Das aktive Zuhören (siehe Gordon „Familienkonferenz“) fördert die<br />

Selbstreflexion der Ratsuchenden. Die akzeptierende Grundhaltung der Anleiterin verdeutlicht der<br />

Praktikantin, dass sie mit ihren Problemen ernst genommen wird. Die Anleiterin verzichtet auf eigene<br />

Bewertungen der Problemsituation und argumentiert nicht aus ihrem eigenen Standpunkt heraus,<br />

um den anderen zu überzeugen. Die geforderte Gesprächsgrundhaltung beinhaltet Aufrichtigkeit<br />

19<br />

Kapitel 1


Kapitel 1<br />

1 Ausbildungskonzept<br />

und Echtheit sowie Ehrlichkeit im Umgang mit der Berufspraktikantin. Im Gespräch entwickelt<br />

sich eine Vertrauensbeziehung, die nicht ausgenutzt werden darf. Schweigepflicht und Vertraulichkeit<br />

müssen eingehalten werden.<br />

In der Phase der Problembestimmung ist besonders auf Wahrnehmungsfilter zu achten, die zu einer<br />

unbewussten Informationsverfälschungen oder -selektion führen können.<br />

Die erste Phase darf nicht zu kurz gefasst werden. Die Anleiterin sollte sich für eine umfassende, differenzierte<br />

Problembestimmung Zeit lassen.<br />

20<br />

Gesprächshinweise für die erste Phase:<br />

• aufmerksam zuhören, ausreden lassen<br />

• wiedergeben (spiegeln), was der andere mitteilt<br />

• auf Gefühle näher eingehen, mitfühlendes Verstehen<br />

• Aussagen durch Beispiele konkretisieren lassen<br />

• wesentliche Inhalte zusammenfassen<br />

• ermutigen<br />

• eigene Verarbeitung / bzw. Wahrnehmung des Gehörten<br />

• offene Fragen formulieren (nicht ausfragen)<br />

• Missverständnisse / Unklarheiten durch Nachfragen beseitigen<br />

2. Phase: Perspektivenwechsel<br />

Im Mittelpunkt der zweiten Phase steht die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung der Problemsituation.<br />

Indem andere Sichtweisen eingebracht und damit die eigene Perspektive relativiert wird,<br />

kommt es zum beabsichtigten Perspektivenwechsel. Eine Perspektivenerweiterung (siehe Abbildung<br />

Problemberg) kann sich auch ergeben, wenn man einen größeren Abstand zum Problem einnimmt.<br />

Das Verhalten der Anleiterin verändert sich im Vergleich zur ersten Phase grundlegend: Stand in der<br />

ersten Phase das uneingeschränkte Wertschätzen und Verständnis im Vordergrund, so wird in der<br />

zweiten Phase eine kritischere Grundhaltung deutlich. Die Anleiterin beginnt die Sichtweise der<br />

Berufspraktikantin zu ändern, indem sie Aussagen hinterfragt und neue Sichtweisen hinzufügt: Das<br />

in der ersten Phase entworfene Bild der Problemsituation beginnt sich zu verändern. Wurde in der<br />

ersten Phase von der Anleiterin rückmeldet, was sie gehört und verstanden hat, geht sie nun in der<br />

zweiten Phase darauf ein, was sie noch gehört haben könnte.<br />

In dieser Phase stößt die Anleiterin häufig auf unterschiedliche lösungsverhindernde Einstellungen<br />

der Berufspraktikantin:<br />

Die Aussagen sind sehr emotional auf sich selbst bezogen.<br />

Die Mitteilungen der Praktikantin sind ambivalent, widersprüchlich.<br />

Die Aussagen haben den Bezug zur Realität teilweise verloren.<br />

Das Denken der Berufspraktikantin erfolgt starr nur in eine Richtung.<br />

Die Praktikantin berücksichtigt nur wenige, ausgewählte Informationen zur Bewertung der Problemsituation.<br />

Die Anleiterin muss der Berufspraktikantin verdeutlichen, dass die Situation bzw. das Problem auch<br />

anders gesehen und erlebt werden kann. Den Perspektivenwechsel erleichtert ein Rollenwechsel,<br />

im dem sich die Berufspraktikantin in die Situation einer anderen Person im Problemfeld versetzt:<br />

„Wenn Sie die Mutter der fünfjährigen Sabine wären, wie hätten Sie die Situation erlebt und was hätten<br />

Sie von der Erzieherin erwartet?“

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