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Ipek Ipekcioglu Berlin à la Turka Kopftuch tragende Türkinnen ...

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<strong>Ipek</strong> <strong>Ipek</strong>cioglu<br />

<strong>Berlin</strong> <strong>à</strong> <strong>la</strong> <strong>Turka</strong><br />

<strong>Kopftuch</strong> <strong>tragende</strong> <strong>Türkinnen</strong>, türkische Cafés gefüllt mit kartenspielenden Männern, türkische Gangboys,<br />

die eine deutsche Frau belästigen. Junge türkische Mädchen, die den Haushalt erledigen und<br />

auf die zahlreichen kleinen Geschwister aufpassen müssen. Türkische Kriminelle und Dealer. Moslems,<br />

die während des Opferfests ihr Lamm in der Badewanne sch<strong>la</strong>chten. Türken, die sich in die hiesige<br />

Gesellschaft immer noch nicht integrieren wollen...So polemisch es auch klingt, das sind die beliebten<br />

klischeebehafteten Szenarien über die Türken in <strong>Berlin</strong>, welche viele in ihren Köpfen tragen.<br />

Die Vielfalt innerhalb der Türkei-stämmigen Community wird von Seiten der Mehrheitsgesellschaft<br />

nicht wahrgenommen, dabei ist die türkische Kultur dynamisch und entwickelt und wandelt sich stetig.<br />

Und die ethnische, politische und kulturelle Vielfalt in der Türkei spiegelt sich auch in <strong>Berlin</strong> wieder:<br />

Großstädter und Bauern, ehemalige Beamte, Intellektuelle, politische Linke und Rechte, Griechische<br />

Türken, Syrische Türken, Alleviten, Türken, Zazas, Tcherkesen, Kurden, Aserbeidschaner, Lasen,<br />

Bulgarien-Türken, Albanien-Türken, Armenier, Jüdische Türken, Christliche Türken u.a. Daher wäre<br />

es angebrachter, von „Türkei-stämmigen“ zu sprechen, um der kulturellen und der religiösen Heterogenität<br />

gerecht zu werden. Die Begrifflichkeiten Gastarbeiter, Ausländer und Immigranten werden diesem<br />

Umstand nicht gerecht, eher schon die Bezeichnung „Zugewanderte“.<br />

1906 lebten 662 Türken in <strong>Berlin</strong>, 1910 bereits 1162, und im Jahr 1917 waren es 2046.“ Durch die<br />

Immigrationswelle in den 60ern hat sich die Zahl der Türkeistämmigen vergrößert. Ca. 2 Millionen Zugewanderte<br />

aus der Türkei leben in Deutsch<strong>la</strong>nd, davon leben derzeit 140.000 in <strong>Berlin</strong>, bestehend<br />

aus türkischen Staatsbürgern sowie 25 000 deutschen Staatsbürgern „türkischen“ Ursprungs und eine<br />

unbekannte Zahl Illegaler.<br />

Türkeistämmige der ersten Generation sind mehrheitlich aus wirtschaftlichen Gründen eingewandert.<br />

Motivationen wie z.B. Flucht vor gesellschaftlichen Konventionen und die politische Situation in der<br />

Türkei spielten eine weitere Hauptrolle. Eines hatten sie jedoch gemeinsam. Sie wurden alle auf die<br />

gleiche Art und Weise empfangen. Zunächst waren sie „Gastarbeiter“. Dafür wurde ihnen eine vielversprechende<br />

Karriere angeboten: „Vom Bauern zum Akkordarbeiter in der Fabrik!“ Dazu mussten<br />

sie jung, kräftig und gesund zu sein; medizinische Untersuchungen sollten die Tauglichkeits- und<br />

Verwertbarkeitsnachweise erbringen. Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte hatte den Charakter<br />

der ‘organisierten Migration’. Die bi<strong>la</strong>teralen Übereinkünfte er<strong>la</strong>ubten den deutschen UnternehmerInnen<br />

ein Rotationsprinzip, das ihnen ermöglichte, je nach Bedarf der Wirtschaft neue ‘unverbrauchte’<br />

junge und gesunde ArbeiterInnen anzuwerben und die ‘verbrauchten’ Arbeiter zurückzuschicken. 1<br />

Trotz des Versuchs mit einem Anwerbestop (1973) die Anzahl der ”Gastarbeiter” zu reduzieren, ist die<br />

Anzahl der in Deutsch<strong>la</strong>nd lebenden Türkeistämmigen nach einem kurzfristigen Rückgang wieder gestiegen,<br />

weil:<br />

• der Familiennachzug sich aufgrund internationaler Verträge nicht verhindern ließ;<br />

• die Rückkehrbereitschaft in die Heimat abnahm, weil sich dort weder die wirtschaftliche noch die<br />

politische Lage besserte;<br />

• die Möglichkeit, mehrmals ein- und auszureisen, aufgehoben wurde, was auch dazu führte, dass<br />

viele sich erstmal entschieden, wenn auch vorläufig, hier zu bleiben; 2<br />

• inzwischen hatten sich viele ZuwandererInnen dem Rotationsprinzip verweigert und lebten schon<br />

1


seit einigen Jahren in Deutsch<strong>la</strong>nd.<br />

Das ist die Sprache der Statistik, aber um es mit Max Frischs Worten auszudrücken: ”Es wurden Arbeiter<br />

gerufen, aber es kamen Menschen!” (1975). Durch die Migration in ein anderes Land erfuhren<br />

die türkeistämmigen Zugewanderten der ersten Generation eine Statusveränderung: Ihre Zugehörigkeit<br />

zu einer sozialen Gruppe in ihrem Herkunfts<strong>la</strong>nd rückte mit der Migration immer mehr in den Hintergrund,<br />

d.h. jemand, der sonst aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Mittelschicht, z.B. als Beamte, gesellschaftliche<br />

Privilegien und Ansehen genoss, wurde im Aufnahme<strong>la</strong>nd zu einem Fabrikarbeiter. So<br />

wurden sie in den Aufnahmeländern zu ‘Gastarbeitern’ ohne Geschichte. Sie kreierten sich eine soziale<br />

Lebenskultur, die sehr stark von dem Wunsch geprägt war, in der Fremde -„Gurbet“- ein Stück Heimat<br />

zu bewahren, und von der Sehnsucht -„Hasret“-, die „Fremde“ zur Heimat zu machen, geprägt<br />

war. Aufgrund der Migrationsituation haben Zugewanderte selbst neue kulturelle Formen entworfen,<br />

die ihre Realität in Deutsch<strong>la</strong>nd widerspiegeln und nicht zuletzt auch das Leben in der Metropole <strong>Berlin</strong><br />

entscheidend bereichern. Aus diesen Bedürfnissen haben sich auch Infrastrukturen entwickelt; seien<br />

es Gemüsehändler, Schneidereien, Imbissbuden, Moscheen, Türkisch-Unterricht an einigen wenigen<br />

Schulen und politische Gruppen wie die türkische oder kurdische Linke, aber auch türkischnationalistischen<br />

Vereinigungen wie die Grauen Wölfe und is<strong>la</strong>misch-fundamentalistischen Gruppierungen.<br />

Diese Infrastrukturen erstrecken sich vom türkischen Branchenbuch bis hin zum türkischen<br />

Fernsehen TD1.<br />

Durch die Konfrontation mit zwei gesellschaftlichen Lebensentwürfen und Normvorstellungen haben<br />

die Türkeistämmigen der weiteren Generationen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Erfahrungshorizonte<br />

in einer bilingualen Umwelt zu erweitern und sich von diesen beiden Kulturformen das zu wählen,<br />

was ihnen entspricht. Sie leben in einem kreativen Spannungsfeld: „Türkischsein“ ist immer ein<br />

Thema und ein wichtiger Teil ihrer Identität - Deutsch<strong>la</strong>nd ist Geburtsort, Lebensmittelpunkt und mittlerweile<br />

Heimat<strong>la</strong>nd. Sie weisen auf die Defizite und auf die Schwächen beider Gesellschaften hin,<br />

und werden dadurch zu KritikerInnen sowohl der Herkunfts- als auch der Mehrheitsgesellschaft – ein<br />

zweifaches Korrektiv.<br />

Die <strong>Berlin</strong>er Szene <strong>à</strong> <strong>la</strong> Turca profitiert aus diesem Spannungsfeld zwischen den Welten und hat daher<br />

viele Gesichter und Facetten. Keine Stadt Deutsch<strong>la</strong>nds ist dermaßen stark von türkeistämmigen<br />

Zuwanderern geprägt wie <strong>Berlin</strong>. Besonders die <strong>Berlin</strong>er Bezirke Neukölln, Wedding, Schöneberg und<br />

Kreuzberg sind beliebte Wohnbezirke. Dort sind viele sozialpädagogisch-orientierte Beratungsstellen,<br />

Kitas und auch Frauenprojekte entstanden, die ihr Angebot auf Türkeistämmige richten. Hierzu zählen<br />

Papatya, Akarsu, Bacim, Komsu, A 13, Türkische Gemeinde zu <strong>Berlin</strong>, ADM-Aids Beratungsstelle für<br />

türkische Mitbürger e.V., TBB-Türkischer Bund <strong>Berlin</strong>-Brandenburg u.a.<br />

Zeitschriften oder Zeitungen wie Hürriyet, Merhaba und die aus finanziellen Gründen nicht mehr existierende<br />

Persembe als TAZ-Bei<strong>la</strong>ge versuchen mit türkeistämmigen Kolumnisten Nachrichten zu vermitteln.<br />

Die 1999 gegründete erste türkischsprachige <strong>Berlin</strong>er Radiostation Metropol FM Frequenz<br />

94,8 behandelt Themen, die speziell Türkeistämmige in Deutsch<strong>la</strong>nd betreffen und sendet 24 Stunden<br />

täglich. Der Musikmix aus türkischem Pop und dem volkstümlicheren "Arabesk" soll den Hörern eine<br />

"emotionale Heimat" geben. Die Nachrichten über Lokales, Bundespolitik und Weltgeschehen berichten<br />

bewusst aus deutsch-türkischer Perspektive. Das Internet-portal www.vaybee.de widmet sich den<br />

Be<strong>la</strong>ngen Türkeistämmiger der zweiten und der folgenden Generation und bietet Chatrooms.<br />

Allein die „Kreuztanbuler“ Szene (Wortspiel Kreuzberg-Istanbul) ist sehr weit gefächert, so dass nicht<br />

von einer einzigen Szene gar keine Rede sein kann. Kreuzberg ist durch seinen hohen Anteil an Türkeistämmigen<br />

(ca. 53.000) Einwohnern sowie seine lesbisch/schwule Subkultur bekannt. Die Angebo-<br />

2


te reichen von Orya, dem alkohol- und drogenfreien linkspolitischen Verein, Männerkaffees, Türkischem<br />

Markt am Kottbusser Tor und am Maybach Ufer bis hin zu Déja Vue, dem Edel-Second-Hand-<br />

Shop einer Kurdin. Hier entstand auch das erste türkische Frauenbad, Hamam, in der Schokofabrik in<br />

der Mariannenstraße. Es gibt mittlerweile ein zweites, gemischtes Hamam in der Bülowstraße in<br />

Schöneberg, ebenfalls von einer türkeistämmigen Frau betrieben.<br />

In den 70er Jahren hat sich eine Theater, Musik-, Kunst- und Kulturszene entwickelt. Dazu zählt der<br />

linksorientierte Chor „Dost<strong>la</strong>r Korosu“, der die Migrationsituation in der BRD und die türkische Politik<br />

thematisierte. Der Leiter dieses Chores, Tahsin Incirci, leitet heute den Chor für k<strong>la</strong>ssische türkische<br />

Musik im Theater Tiyatromin der Alte Jakob Straße in Kreuzberg. In Tiyatrom werden jährlich mehrere<br />

Stücke von internationalen Schriftstellern auf Deutsch und Türkisch aufgeführt. Seit 1995 hat sich das<br />

Diyalog Theaterfest in dem Kreuzberger Ballhaus in der Naunynstraße zu einem wichtigen Forum des<br />

jungen Migrantentheaters in <strong>Berlin</strong> entwickelt. Mürtüz Yolcu, selbst erfahrener Theaterschauspieler, ist<br />

der Gründungsvater dieses Festes. Gleich gegenüber befindet sich die Jugendfreizeiteinrichtung<br />

„Naunyritze“, wo sich bekannte Hiphop-Gruppen wie Kil<strong>la</strong> Hakan, Cool Savas und Is<strong>la</strong>mic Force herausgebildet<br />

haben.<br />

Gastarbeit und Immigration waren und sind immer noch die prägenden Themen, mit denen sich viele<br />

<strong>Berlin</strong>er Autoren wie Aras Ören („Was will Niyazi in der Naunynstraße?“,1973), Emine Sevgi Özdamar<br />

(„Mutterzunge“,1990) u. a. beschäftigten. Es hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten ein zusätzliches<br />

kulturelles und identitäres Selbstbewusstsein in der Kunst-, Kultur-, Musik- und Literaturszene entwickelt.<br />

Hierzu zählen Zafer Senocak („War Hitler Araber?“1994) und der Mannheimer Feridun Zaimoglu<br />

(„Kanak Sprak“, 1995), der zugleich der Gründer der politisch-aktiven und bundesweit agierenden<br />

„Kanak Attak“ ist. Was genau Kanak Attak ist, lässt sich folgendermaßen aus ihrem Manifest entnehmen:<br />

„Kanak Attak ist der selbstgewählte Zusammenschluss verschiedener Leute über die Grenzen<br />

zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter "Identitäten" hinweg. Kanak Attak wendet sich gegen<br />

die Frage nach dem Pass und der Herkunft. Unser kleinster gemeinsamer Nenner besteht darin, die<br />

Kanakisierung bestimmter Gruppen von Menschen durch rassistische Zuschreibungen mit allen ihren<br />

sozialen, rechtlichen und politischen Folgen anzugreifen.“ In der Volksbühne in <strong>Berlin</strong>-Mitte und im<br />

SO36 haben sie mehrere Events veranstaltet.<br />

Die Musikerin AZIZA A. gehörte ebenfalls zu der Gruppe Kanak Attak. Die in <strong>Berlin</strong>-Steglitz aufgewachsene<br />

Wahl - Kreuzbergerin sorgte vor 5 Jahren mit ihrer Debüt - CD "Es ist Zeit" für Sch<strong>la</strong>gzeilen.<br />

Seitdem gilt sie als das weibliche deutsch-türkische Aushängeschild des Oriental HipHop und passt<br />

perfekt ins Klischee der aufmüpfigen Rapperin, die sich gegen die türkische Tradition stemmt. In ihrem<br />

neuen souligen Nu-Oriental Album „Kendi dünyam“ (Meine eigene Welt zu Deutsch) spiegelt sie ihre<br />

vielschichtige persönliche Welt. Nubün, eine Frauenband, die kurdischen Jazz spielt, hat ebenfalls die<br />

<strong>Berlin</strong>er Musikszene geprägt.Die verschiedenen Stilrichtungen der türkeistämmigen Musik von traditionellem<br />

Gesang mit Nuri Karademirli bis hin zu elektronisch-jazzigen Oriental Bands wie Orientation<br />

kann man auf der Orient Bazaar-Bühne beim Karneval der Kulturen zu Pfingsten vier Tage <strong>la</strong>ng erleben.<br />

Wer sich der Musik aus der Türkei widmen will, kann ausführliche Informationen durch die Broschüre<br />

„Al<strong>la</strong> Turca -<strong>Berlin</strong>er Musik aus der Türkei“ von Martin Greve, bekommen, oder besucht das<br />

Konservatorium für türkische Musik in der Solmsstraße in Kreuzberg.<br />

Zum ersten Mal fand dieses Jahr das „Türkische Filmfest“ im Zoopa<strong>la</strong>st mit Produktionen aus der Türkei<br />

und anderen Ländern statt. Regisseur Neco Celik versucht in seinem Debüt-Film „Alltag“(2003)<br />

aus der Sicht eines Deutschen jungen Mannes, der in Kreuzberg aufgewachsen ist, einen Tag und<br />

eine Nacht <strong>la</strong>ng eine Kreuzung in Kreuzberg, genauer gesagt Naunyn- Ecke Mariannenstraße, darzustellen.<br />

Die Wahl-Kreuzbergerin Nursel Köse hat sich als Kabarettistin, Regisseurin, Autorin, Lyrikerin<br />

3


und Dramaturgin seit <strong>la</strong>ngem einen Namen gemacht. In Anam tritt sie erstmals als Hauptdarstellerin in<br />

einem Kinospielfilm auf. Der Film „Anam“ beschreibt die Emanzipationsgeschichte einer türkeistämmigen<br />

Putzfrau, die aus den Konventionen ihrer Ehe heraus und aus Liebe zu ihrem Sohn gegen das<br />

Drogenmilieu kämpft.Nursel Köse und Serpil Ari, beide Gründerinnen der Frauenkabaretttruppe „Die<br />

Bodenkosmetikerinnen“, arbeiten aktuell an ihrem neuen Programm.<br />

Wer das Kreuzberger F<strong>la</strong>ir erleben möchte, sollte an einem sonnigen Nachmittag einen Spaziergang<br />

auf der Oranienstraße mit einer Tüte gerösteten Sonnenblumenkernen, einem traditionellen türkischen<br />

Knabberspaß vom Smyrna, unternehmen. Sich entweder in einem der vielen Straßencafés oder vor<br />

dem Wok<strong>la</strong>den Oregano, der von kurdischen Frauen betrieben wird, nieder<strong>la</strong>ssen, einen Cay trinken<br />

und das pulsierende Leben genießen. Am Abend kann man in einem der Separées der neueröffneten<br />

Orientlounge über der Roten Harfe am Heinrichsp<strong>la</strong>tz Kulinarisches ausprobieren. Bevor man zur<br />

Gayhane oder zum Advena (Wienerstraße) zum Tanzen geht, kann man sich getrost einen Drink beim<br />

Molotow-Coctail gönnen. Nach durchzechter Nacht empfiehlt es sich, zu den 24 Stunden <strong>la</strong>ng geöffneten<br />

Restaurants wie dem Hasir in der Adalbertstraße oder dem Bolkepce in der Skalitzerstraße zu<br />

gehen um dort traditionelle Linsensuppe oder Kuttelsuppe zu essen.<br />

Ein erlebnisreiches Event ist der jährlich stattfindende Kreuzberger Christopher-Street-Day (CSD), ins<br />

Leben gerufen vom Club SO 36 e.V. Der CSD zeigt an diesem Tag die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft:<br />

Es hängen lesbische und schwule Transparente in arabischer und türkischer Sprache und das<br />

Bühnenprogramm ist gefüllt mit türkeistämmiger Travestieshow und arabischer Tanzmusik. Die KreuzbergerInnen,<br />

ob Transe, homo- oder heterosexuell, tanzen und feiern zusammen.Unter den Büroräumen<br />

des SO 36, dem Sub Opus e:V., einem Veranstaltungsort in der Oranienstraße in Kreuzberg,<br />

befinden sich die türkisch-nationalistische Vereinigung Ülkücüler Ocagi und ein is<strong>la</strong>misch-religiöser<br />

Verein. Zu Konflikten ist es bis<strong>la</strong>ng nicht gekommen. In der monatlichen Partyveranstaltung Gayhane-<br />

HomOrientalDancefloor, ebenfalls gegründet von SO 36 e.V., und der türkeistämmigen Kabarettgruppe<br />

Salon Oriental gehen ein Mal im Monat hunderte von türkeistämmigen, deutschen, arabischen,<br />

griechischen und israelischen Lesben, Schwule, Transgenders und deren heterosexuelle Verwandten<br />

oder Freunde, oder auch einfach KreuzbergerInnen aus der Nachbarschaft zum Tanzen und sich zu<br />

amüsieren. Zu diesem An<strong>la</strong>ss wird das SO 36 orientalisch dekoriert, türkische sowie arabische Süßigkeiten<br />

liegen überall aus, Çay (Tee) wird ausgeschenkt und die Gäste werden mit türkischem Kölnischwasser<br />

(Kolonya) begrüßt. Die Disco wird mit arabischer/hebräischer/griechischer/ türkischer/orientalischer<br />

Pop- und Housemusik beschallt.<br />

Den Veranstaltern geht um die Gestaltung einer subkulturellen P<strong>la</strong>ttform, einen sozialen Raum, wo<br />

Lesben, Schwule und Transgenders mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen ausgehen, sich<br />

amüsieren und gleichzeitig ihre bikulturellen Anteile offen leben können. Diese Veranstaltung leistet<br />

einen großen Beitrag zum positiven Selbstverständnis für nicht-deutsche Lesben und Schwule, weil<br />

an diesem Abend die Vielfältigkeit der Lebensformen in unserer Gesellschaft widergespiegelt wird.<br />

Gayhane hat inzwischen in der <strong>Berlin</strong>er Subkultur einen Kultstatus er<strong>la</strong>ngt. Beim 2000 gegründeten<br />

Verein G<strong>la</strong>dt e.V. Gays und Lesbians aus der Türkei geht es um die Schaffung eines Selbstverständnisses<br />

sowie um die Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Transgenders aus der Türkei. Sie treffen<br />

sich wöchentlich im Mann -O- Meter in der Bülowstraße in Schöneberg. In diesem Rahmen geben<br />

Koray Ali Günay und Murat Bahsi „Lubunya“, die Zeitschrift für türkeistämmige Schwule & Lesben und<br />

ihre Freundinnen & Freunde in gedruckter Version und als E-Mail, ein Mal im Monat kostenlos heraus.<br />

Es geht um aktuelle Themen zur Homosexualität, Identität, Familie, Coming-out, Szene in der Türkei<br />

etc. Das lesbisch und schwule Internetportal www.delidivane.com widmet sich ebenfalls zu o.g. Themen,<br />

zusätzlich bietet es Chatrooms und Diskussionsforen.<br />

4


Neben regelmäßigen Clubveranstaltungen in der U-Bahn unter den Warschauerbrücken, wo fast<br />

auschließlich türkischer Pop und Dancemusik spielt, werden ein Mal monatlich Parties in der Advena<br />

Wienerstraße veranstaltet. Zu den erfolreichsten Parties zählen Türk de Lux im BKA-Zelt, das ein Mal<br />

im Monat stattfindet und die B<strong>la</strong>uen Schiffparties. Das Metropol FM veranstaltet unregelmäßig Parties<br />

und holt berühmte Sänger/innen aus der Türkei nach <strong>Berlin</strong>.<br />

Auch meine eigene Arbeit spiegelt die vielfältigen kulturellen Brüche wider und stößt nicht immer auf<br />

Gegenliebe. Schnell hatte ich den Ruf einer „Ethno-Djane“ und da es allgemein bekannt ist, dass ich<br />

eine Türkin bin, werden Musikrichtungen wie Klezmer, Rai, Arabicpop allesamt als türkisch eingeordnet,<br />

was ich für undifferenzierten Eurozentrismus halte. Außerdem werde ich manchmal beim Auflegen<br />

gefragt, ob ich die Inhalte der Texte verstehe, weil sie möglicherweise Sexismus und Gewalt gegen<br />

Frauen propagieren könnten. Erstaunlich ist für mich dabei, dass Patriarchat, Sexismus und Rassismus<br />

als arabische und türkische Phänomene betrachtet werden. Dieselben Inhalte europäischer<br />

und nordamerikanischer Lieder werden nicht hinterfragt. Meine Musikrichtung besteht aus einer Vielfalt<br />

von Stilen, zu der auch anglo-amerikanischer House und Queer-C<strong>la</strong>ssics wie Gloria Gaynor gehören.<br />

Trotz aller Hindernisse habe ich das Auflegen lieben gelernt.“<br />

<strong>Ipek</strong> <strong>Ipek</strong>çioglu hat 1972 in München als Tochter türkeistämmiger Zuwanderer das Licht der Welt<br />

erblickt und lebt seit 1982 in <strong>Berlin</strong>. Die überzeugte Kreuzbergerin hat an der Alice-Salomon-FH in<br />

<strong>Berlin</strong> Diplom Sozia<strong>la</strong>rbeit und Sozialpädagogik studiert und ist heute als Eventmanagerin, DJ,<br />

Sounddesignerin und Autorin tätig.<br />

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