Handout zum Vortrag Sinnglueck - Viktor Frankl Zentrum

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Geführt vom Willen erwirbt der Mensch Geist, der auch seine Gefühle humanisiert. Ein großer Teil der Gefühle des Menschen ist Folge von Willensanstrengung, z.B. das Sinnglück. Auch jene Glücksgefühle, die vom aufmerksamen Schauen und Hören des Schönen in der Natur und Kunst kommen, gehen nicht primär vom limbischen System, sondern vom Assoziationscortex aus. Auch sie sind etwas spezifisch Humanes, und sie wurden deshalb schon von dem großen stoischen Willensphilosophen Panaitios als Komponenten der Humanität gesehen; von ihm stammt die Idee der hohen Menschlichkeit (Pohlenz). Übrigens kommt auch das andere wichtige Glücksgefühl, dessen Mangel im Winter des hohen Nordens zu Selbstmorden führt, nicht primär vom limbischen System, sondern vom Sonnenlicht und seiner Wirkung auf den Hypothalamus, das endokrine System und die Hirnchemie. – Alle menschlichen Gefühle können wie von persönlichem Geiste, so auch von kulturellen Traditionen und Normen beeinflusst werden. Es ist weniger die Intensität gewisser Gefühle, die wir auch bei Tieren (wenigstens von den Vögeln an) annehmen, als vielmehr ihre Bedeutung und Tiefe, die aus seelischem Verstehen, aus höheren Werten, aus der Einsicht in große Zusammenhänge und aus Disziplin und Treue kommen, was cortikale Funktionen beitragen. Das limbische System im weiten Sinne, der Hypothalamus und gewisse Hirnstammkerne sind alte Teile des Motivationssystems, die anatomisch beim Menschen im Vergleich zu den höheren Tieren weitgehend unverändert sind; sie regeln Triebe und Emotionen für Tätigkeitsbereitschaft, Ernährung, Abwehr, Fortpflanzung usw., die noch immer für uns wichtig sind, aber vom besonnenen Willen überformt werden. So sind die menschlichen Gefühle und Antriebe erweitert und geprägt von Kultur und Lernen, wofür die Grundlage die enorm vergrößerten Assoziationsfelder der Großhirnrinde sind (wovon die Hälfte Willenscortex ist). Sinnglück des Schaffenden z.B. ist von willentlicher Tätigkeit frontocortical initiiert; es wird kortikal erlebt, beruht aber auf Mitwirkung subcorticaler Regelungen. Es ist eine innere Belohnung sinnvoller willentlicher Tätigkeit und stabilisiert die Autonomie der Persönlichkeit. I c h f a s s e z u s a m m e n : Auf dem Boden von Willensfreiheit sind wir Menschen, wenn wir etwas erreicht haben, erfolgreich waren und vielleicht etwas Gutes taten, glücklich. Wir haben gehört, dass der Wille beim Kind im Alter von 2 bis 3 Jahren reift, wenn das Kind von der Es-Form in die Ich-Form überwechselt. In der kindlichen Entwicklung zeigt sich dies als Trotzalter. Der Wille ist das komplizierteste am Menschen und kommt in dem Moment in die Welt, in dem ein Kind sagt „ Ich will noch nicht ins Bett!“ und nicht mehr: „Dominik will noch nicht ins Bett.“ Im Trotzalter äußert sich der Wille durch Nein sagen! Dann muss das Kind noch Selbstkritik und Selbstdisziplin lernen, um schulpflichtig zu werden. Anschließend entwickelt sich der Wille weiter bis weit in das Erwachsenenalter hinein. Wahrscheinlich ist Willensbildung ein lebenslanger Prozess. Auch des aufstrebenden Geistes, des Adepten und An-sich-Arbeitenden vielleicht wichtigste Aufgabe ist es, den eigenen Willen zu bilden, ethisch zu formen, zu sublimieren und zu veredeln! Wann stellt Glück sich ein? Dann wenn uns etwas gelungen ist, eben z.B. wenn wir in dem oben Gesagten erfolgreich waren. Wenn wir ein Werk vollbracht haben – für die Hobby-Bastler wenn wir was Schönes gebastelt haben (mit unseren eigenen Händen), wenn wir beim Arbeiten an uns selbst Fortschritte gemacht haben. Diesem Glücksgefühl des Schaffenden – des Kreativen – liegt zugrunde, dass es uns zeigt, dass wir zu etwas nützlich waren, etwas beitragen konnten, etwas Sinnvolles taten, dass wir (noch) zu etwas nütze sind. Glück, das – wie wir eingangs sagten – mit Sinnerfüllung des Lebens assoziiert ist. Gut handeln muss es schon sein, ethisch handeln. Dieses ist im Gehirn lokalisiert und zwar ist es im Frontalhirn (Stirnhirn) derjenige Teil, der der Augenhöhle aufliegt, man nennt das Areal frontoorbital von Orbita, Augenhöhle. Patienten, die dort Hirnläsionen haben, begehen Eigentums- und Sexualdelikte. Also auch ethisches Handeln hat seinen Ort im Gehirn, und so auch all unser moralisches Tun und Lassen. Das Stirnhirn ist der Sitz des Willens. Moralisches, ethisches Tun und Handeln fährt unbedingt unter der Flagge des freien Willens. Im Grunde können wir ja nur auf Taten des freien Willens stolz sein und Sinnglück empfinden. Mutterglück ist Sinnglück. Elternglück. Und um mich selbst einzuschließen Großelternglück. Sinnglück, Daseinsglück. Familienglück – glückliche Familie. Heute kommt man in vermehrtem Maße zu der Auffassung, dass der Mensch auch zu einem großen Teil selbst formend an sich arbeiten kann, um mit Viktor Frankl zu sprechen mit dem Willen, seinem Leben einen Sinn zu geben. Das können wir nur mit freiem Willen, selbst Entscheidungen zu treffen. Somit ist der Mensch auch zu Selbststeuerung und eigener Lebensplanung in der Lage. So ausgestattet (Pico della Mirandola sah die Macht des Menschen wie die eines gestaltenden Künstlers: Durch deinen Willen, so lässt er Gott zu Adam sagen, wirst du deine Natur abgrenzen. … Wir haben dich gemacht, damit du dich nach deinem eigenen Urteil gestaltest …“) kann der Mensch sein Leben durchaus selbst in die Hand nehmen und ist auch – und das ist das Wichtige – durchaus fähig und bereit, selbstverantwortlich für sein Tun und Lassen (letzteres ist oft wichtiger als das Tun) gerade zu stehen. 4

5 Der geistig und seelisch gesunde Mensch ist eben nicht bloßer Spielball seiner Hormone und Instinkte und eben absolut kein "Triebtäter" sondern kann eigenen vernünftigen Willen dagegen setzen, ich meine gegen Anwandlungen von Schlechtem. Wir sind daher auch verantwortlich für unser Tun. Wenn wir Verantwortlichkeiten haben, so haben wir auch Rechte: Mit Fug und Recht dürfen wir dann auch auf unsere guten Taten stolz und glücklich sein. Sinnglück. Behinderte Menschen, z.B. infolge frühkindlicher Hirnschäden, haben oft noch mancherlei Chancen, sich zu entwickeln und Wertvolles beizutragen, wenn man ihnen hilft (Hellbrügge 1981) und wenn sie das mögliche Positive ergreifen und mit eigenem Willen etwas Gutes aus ihren Fähigkeiten machen. Man lese z.B. den bewegenden Vortrag des Psychiaters Peter Willers Jessen auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 1846 in Kiel. Damals waren die psychisch Kranken noch von den Gesunden isoliert in Anstalten, und die Irrenärzte lebten dort mit ihnen. „Ich bekenne frei, dass ich Gemütskranke im allgemeinen höher achte als andere“ sagte er. Es gibt auf allen Ebenen der Gesellschaft einen humanen Adel, der aus langem guten Willen entsteht (Kornhuber 1992). Kungtse hat dies gelehrt; der Edle war ein Hauptbegriff bei ihm: nicht Geburtsadel, sondern der Mensch, der sich selbst zur Güte erzogen hat. Bei den Stoikern war es der Weise. Die empirische Sozialforschung spricht von starken Persönlichkeiten, die in ihrem Kreis auch Meinungsführer sind, unabhängig von der sozialen Schicht (Noelle 1997). Die Jugendpsychologie hat gefunden, dass die Vorbildlichkeit der Anführer von Jugendgruppen in natürlicher Autorität, im Einsatz für die Sache und in Echtheit besteht. Und zum Schluss als Arzt die Frage: Warum dann nicht auch in der Therapie? Viktor Frankl hat es uns gelehrt und vorgelebt. Stärkung des eigenen Willens. Vielleicht sollte man sagen: des eigenen guten Willens! Denn es muss der 'reasonable will' , der vernünftige Wille sein, der von einer modernen Psychotherapie im Sinne Frankls gefördert und gestützt gehört, ein Wille also, der von der Vernunft geleitet wird und sich an ethischen Grundsätzen orientiert. Also: Festigung/Stärkung des Willens als modernes psychotherapeutisches Behandlungselement, ja vielleicht neues Behandlungsprinzip. Systematische Schulung und Stützung des guten vernunftbezogenen Willens. Anregung und Stützung auch von Selbsterkenntnis – γνωτι σεαυτóν [(gnoti seautón) Erkenne dich selbst!] des Apollon-Tempels von Delphi – d.h. Stärken und Schwächen seiner selbst zu erkennen und daran zu arbeiten, die Kantigkeiten unseres Charakters zu glätten. Mit dem (Logo-) Therapeuten zusammen kann der gestärkte vernunftbezogene Wille dann die aus dem Selbsterkenntnisprozess sich ergebenden notwendigen therapeutischen Schritte in die Tat umsetzen. Schließlich findet der Patient wieder Vertrauen zu seiner eigenen Selbstführung und ist willensstark genug, sein Leben nach Entlassung aus der Therapie oder bereits begleitend zu dieser wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das ist die Mobilisierung 'körpereigener Kräfte,' die hier angesprochen wird − die uns zur Verfügung stehenden geistigen wie seelischen Selbststeuerungsmechanismen, Entscheidungs- und Willensfreiheit des Menschen − in der Psychotherapie gezielt einzusetzen, die bei Freud noch fehlte, durch Viktor Frankl mit seiner Logotherapie aber gebührend zu Amt und Würden gekommen ist (Psychotherapie "beyond Freud"). Zu guter Letzt noch zwei Viktor-Frankl-Aphorismen: Der Mensch handelt nicht nur gemäß dem, was er ist, sondern er wird auch wie er handelt und der daraus sich ergebende nächste Aphorismus: Aus dem immer wieder Gutes Tun wird schließlich das Gut-Sein Lüder Deecke Quellen: Hans Helmut Kornhuber / Lüder Deecke (2009) Wille und Gehirn. 2. überarb. Aufl. Edition Sirius, Bielefeld/Basel, Aisthesis-Verlag, 158 Ss. (2009) ISBN 978-3-89528-628-5 Deecke L: Freies Wollen und Handeln aus neurophysiologischer Sicht. In: J Kriz, L Deecke: Sinnorientiertes Wollen und Handeln zwischen Hirnphysiologie und kultureller Gestaltungsleistung. Wiener Vorlesungen, HC Ehalt (Hrsg) Bd 127 Picus Verlag Wien ISBN 987-3-85452-527-1 pp 43-94 (2007) Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. völlig neu bearb. Auflage, 1986

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Der geistig und seelisch gesunde Mensch ist eben nicht bloßer Spielball seiner Hormone und Instinkte und<br />

eben absolut kein "Triebtäter" sondern kann eigenen vernünftigen Willen dagegen setzen, ich meine gegen<br />

Anwandlungen von Schlechtem. Wir sind daher auch verantwortlich für unser Tun. Wenn wir Verantwortlichkeiten<br />

haben, so haben wir auch Rechte: Mit Fug und Recht dürfen wir dann auch auf unsere guten Taten<br />

stolz und glücklich sein. Sinnglück.<br />

Behinderte Menschen, z.B. infolge frühkindlicher Hirnschäden, haben oft noch mancherlei Chancen, sich zu<br />

entwickeln und Wertvolles beizutragen, wenn man ihnen hilft (Hellbrügge 1981) und wenn sie das mögliche<br />

Positive ergreifen und mit eigenem Willen etwas Gutes aus ihren Fähigkeiten machen. Man lese z.B. den bewegenden<br />

<strong>Vortrag</strong> des Psychiaters Peter Willers Jessen auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher<br />

und Ärzte 1846 in Kiel. Damals waren die psychisch Kranken noch von den Gesunden isoliert in<br />

Anstalten, und die Irrenärzte lebten dort mit ihnen. „Ich bekenne frei, dass ich Gemütskranke im allgemeinen<br />

höher achte als andere“ sagte er.<br />

Es gibt auf allen Ebenen der Gesellschaft einen humanen Adel, der aus langem guten Willen entsteht (Kornhuber<br />

1992). Kungtse hat dies gelehrt; der Edle war ein Hauptbegriff bei ihm: nicht Geburtsadel, sondern der<br />

Mensch, der sich selbst zur Güte erzogen hat. Bei den Stoikern war es der Weise. Die empirische Sozialforschung<br />

spricht von starken Persönlichkeiten, die in ihrem Kreis auch Meinungsführer sind, unabhängig von der<br />

sozialen Schicht (Noelle 1997). Die Jugendpsychologie hat gefunden, dass die Vorbildlichkeit der Anführer von<br />

Jugendgruppen in natürlicher Autorität, im Einsatz für die Sache und in Echtheit besteht.<br />

Und <strong>zum</strong> Schluss als Arzt die Frage: Warum dann nicht auch in der Therapie? <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> hat es uns gelehrt<br />

und vorgelebt. Stärkung des eigenen Willens. Vielleicht sollte man sagen: des eigenen guten Willens! Denn es<br />

muss der 'reasonable will' , der vernünftige Wille sein, der von einer modernen Psychotherapie im Sinne<br />

<strong>Frankl</strong>s gefördert und gestützt gehört, ein Wille also, der von der Vernunft geleitet wird und sich an ethischen<br />

Grundsätzen orientiert. Also: Festigung/Stärkung des Willens als modernes psychotherapeutisches Behandlungselement,<br />

ja vielleicht neues Behandlungsprinzip. Systematische Schulung und Stützung des guten<br />

vernunftbezogenen Willens. Anregung und Stützung auch von Selbsterkenntnis – γνωτι σεαυτóν [(gnoti seautón)<br />

Erkenne dich selbst!] des Apollon-Tempels von Delphi – d.h. Stärken und Schwächen seiner selbst zu erkennen<br />

und daran zu arbeiten, die Kantigkeiten unseres Charakters zu glätten. Mit dem (Logo-) Therapeuten<br />

zusammen kann der gestärkte vernunftbezogene Wille dann die aus dem Selbsterkenntnisprozess sich ergebenden<br />

notwendigen therapeutischen Schritte in die Tat umsetzen. Schließlich findet der Patient wieder Vertrauen<br />

zu seiner eigenen Selbstführung und ist willensstark genug, sein Leben nach Entlassung aus der Therapie<br />

oder bereits begleitend zu dieser wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das ist die Mobilisierung 'körpereigener<br />

Kräfte,' die hier angesprochen wird − die uns zur Verfügung stehenden geistigen wie seelischen<br />

Selbststeuerungsmechanismen, Entscheidungs- und Willensfreiheit des Menschen − in der Psychotherapie<br />

gezielt einzusetzen, die bei Freud noch fehlte, durch <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> mit seiner Logotherapie aber gebührend<br />

zu Amt und Würden gekommen ist (Psychotherapie "beyond Freud").<br />

Zu guter Letzt noch zwei <strong>Viktor</strong>-<strong>Frankl</strong>-Aphorismen:<br />

Der Mensch handelt nicht nur gemäß dem, was er ist, sondern er wird auch wie er handelt<br />

und der daraus sich ergebende nächste Aphorismus:<br />

Aus dem immer wieder Gutes Tun wird schließlich das Gut-Sein<br />

Lüder Deecke<br />

Quellen:<br />

Hans Helmut Kornhuber / Lüder Deecke (2009) Wille und Gehirn. 2. überarb. Aufl. Edition Sirius, Bielefeld/Basel,<br />

Aisthesis-Verlag, 158 Ss. (2009) ISBN 978-3-89528-628-5<br />

Deecke L: Freies Wollen und Handeln aus neurophysiologischer Sicht. In: J Kriz, L Deecke: Sinnorientiertes<br />

Wollen und Handeln zwischen Hirnphysiologie und kultureller Gestaltungsleistung. Wiener Vorlesungen, HC<br />

Ehalt (Hrsg) Bd 127 Picus Verlag Wien ISBN 987-3-85452-527-1 pp 43-94 (2007)<br />

Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. völlig neu bearb. Auflage, 1986

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