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Handout zum Vortrag Sinnglueck - Viktor Frankl Zentrum

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Bei Kleinkindern fällt ein Frontalhirnschaden, weil der Wille noch unentwickelt ist, zunächst manchmal nicht<br />

auf, macht sich dann aber zunehmend deutlich bemerkbar als Willensstörung (Eslinger et al. 1992, Anderson<br />

et al. 2000). Besonders wenn die Selbstkontrolle des Verhaltens, eine Schlüsselfunktion (für die besonders der<br />

rechte Frontallappen wichtig ist), gestört ist, kann es viele Folgeprobleme kognitiver und sozialer Art geben<br />

(Jacobs & Anderson 2002).<br />

Die weitere Willensbildung erfolgt vor allem durch Lernen von Vorbildern, denen sich Kinder und Jugendliche<br />

anschließen, aber auch durch freiwillige Zielsetzungen, durch Selbstherausforderung, eigene Anstrengung,<br />

Selbsterkundung und Selbstfindung durch Sinnglückserleben, durch Erfahrung und Kommunikation. Mit<br />

Drill ist da wenig auszurichten, denn er verhindert die Eigeninitiative. Dazu gehören vielmehr eigene Versuche,<br />

Lernen aus Irrtum und Erfolg, Zusammenarbeit, platonische Begeisterung wie aristotelische Übung. Konzertpianisten<br />

und Leistungssportler wissen, wie viel Übung nötig ist, Leistung mit scheinbarer Leichtigkeit zu<br />

erreichen. Aber der Funke zu jenem Ernst mit Begeisterung, der Menschen mit geistigem Willen eigen ist,<br />

springt oft erst über im vertrauten Gespräch, wie Platon im siebenten Brief schrieb. Was Sokratische Erziehung<br />

ist, wurde wiederentdeckt durch Kierkegaard, man findet es zusammengefasst bei Jaspers (1977). Den<br />

Imperativ der Selbstbildung des Willens prägte Pindar in dem berühmten Vers: Werde, der du bist. Worauf es<br />

ankommt ist: die Herausforderungen tätig anzunehmen, aber sich nicht korrumpieren zu lassen. Das Vorbild<br />

in der Antike war Herakles, das Idealbild in der Goethezeit Iphigenie.<br />

Wir haben einen Willen und wir haben bestimmte Grade von Freiheit, nur so können wir Wahrheit erkennen.<br />

Dass wir aber, wenn auch mit vielem Irren, dem Wahren allmählich näherkommen, ist – angesichts der wirksamen<br />

Arzneien, der funktionierenden Technik und des methodisch disziplinierten Fortschreitens der Forschung,<br />

deren Einsichten aus vielen Quellen sich widerspruchsfrei zusammenfügen – kaum zu bezweifeln. Wir<br />

haben selbst Einfluss auf das Suchen nach Wahrheit, überhaupt auf Informationsverarbeitung im Gehirn, auch<br />

auf Triebe und Gefühle, wenn auch begrenzt: Eine optische Täuschung (z.B. die Scheinspirale von Fraser,<br />

1908) bleibt in der Wahrnehmung bestehen, auch wenn wir die Täuschung durchschauen. Sie ist eine Folge<br />

der prinzipiell nicht kopierenden, sondern, wie schon Kant sah, aktiv konstruierenden Arbeitsweise des Gehirns,<br />

um mit Cézanne zu sprechen „parallel zur Natur“. Es gibt in Systemen neue Fähigkeiten, sogar in technischen,<br />

z.B. für Selbstkontrolle. Man kann technisch auch Kreativität simulieren, z.B. durch Kombination von<br />

Regeln mit einem Zufallsgenerator. Aber wie das Leben nicht ganz auf die Chemie reduzierbar ist, so ist auch<br />

der Menschengeist nicht ganz aus der Gehirntätigkeit vorauszusagen, trotz einer Fülle von psychophysischen<br />

Korrelationen.<br />

Wäre unser Leben total determiniert, wie manche Hirnforscher (z.B. Roth und Singer) glauben, wäre es<br />

nicht eine Aufgabe, sondern ein automatisches Geschehen, so wäre es einfacher, aber auch viel ärmer. Es<br />

gäbe weder Skrupel noch Scham, weder Sinnglück hohen Gelingens noch die vielen Verirrungen: Hedonismus,<br />

Selbstbetrug, Histrionik, Grausamkeit usw. Im Menschenleben kommt es auf Ethisches an, auf Wahrheit, Güte,<br />

Tapferkeit usw. Im Blick auf den Januskopf der Freiheit haben tiefe Denker (u.a. Sophokles) erwogen, ob es für<br />

den Menschen nicht besser wäre, nicht geboren zu sein. Da er aber <strong>zum</strong> beherrschenden Lebewesen der Erde<br />

geworden ist, kann er der Aufgabe, sich human zu führen, nicht ausweichen. Ohne Willen <strong>zum</strong> Besseren ist der<br />

Mensch jetzt in Gefahr, ein Übel der Erde zu werden. Eine Konsequenz, die aus dieser Situation zu ziehen ist,<br />

liegt in der Verbindung des sittlichen Willens mit dem Daseinssinn (Reiner 1964). Im guten Willen liegt<br />

Sinn, der standhält; so sah schon Kant die Situation des Menschen. Unsere oberflächliche, deprimierte Zeit<br />

braucht ethischen Impuls, der das redliche Tun mit dem Lebenssinn verbindet, um wieder auf die Füße zu<br />

kommen.<br />

Wir müssen unseren Willen aber nicht nur ethisch entwickeln, sondern auch seine vitale Basis erhalten. Zu<br />

den Kardinaltugenden von Platon und Aristoteles gehörte außer Gerechtigkeit, Besonnenheit und Tapferkeit<br />

auch die Weisheit. Natürlich ist unser Geist vom Gehirn abhängig wie unser Leben von vielem abhängig ist: von<br />

Sonne, Wasser, Pflanzen usw. – eine gänzlich unabhängige Freiheit gibt es nicht. Nicht über Determinismus<br />

sollten wir klügeln, sondern danach streben, besser zu werden und unsere Freiheit zu entwickeln und zu erhalten,<br />

denn vieles bedroht sie: Unwahrheit, Sucht, Depression, Hirntrauma, Schlaganfall usw.<br />

Also Freiheit brauchen wir. Sogar in der empirischen Sozialforschung, in der das Interesse an Freiheit verschwunden<br />

gewesen war, wurde Freiheit jetzt wieder entdeckt (Noelle-Neumann 1978): durch Faktorenanalyse<br />

fand man, dass die Freiheit zu Entscheidungen im Arbeitsleben mit dem Gefühl von Glück verbunden war,<br />

wogegen Freiheit im Sinne von Libertinage nicht mit Glück korrelierte, und dies bei Arbeitern wie Angestellten.<br />

Der Wille pflegt gewöhnlich einen kooperativen Führungsstil im Reich der Anmutungen, Triebe und Gefühle,<br />

und doch sind wichtige Aufgaben des Willens Konzentration auf das Wesentliche und Ausblendung von Ablenkungen.<br />

Aber der Wille ist nicht nur ein „Neinsager des Lebens“, sondern auch Anreger von Innovationen,<br />

Weitungen der Interessen, Änderungen der Prioritäten, Vertiefung der Persönlichkeit.

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