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Handout zum Vortrag Sinnglueck - Viktor Frankl Zentrum

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Sinnglück – das Glück der Schaffenden<br />

Liebe Freunde des <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> <strong>Zentrum</strong>s!<br />

Zunächst <strong>zum</strong> ’Glück’ allein: Brockhauslexikon: Mittelhochdeutsch ’gelücke’, Geschick, Zufall, Schicksal,<br />

Schicksalsmacht. Komplexe Erfahrung der Freude angesichts der Erfüllung von Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen,<br />

des Eintretens positiver Ereignisse, Eins-Sein des Menschen mit sich und dem von ihm Erlebten. Abwesenheit<br />

von Glück ist Unglück. Glück ist Ziel jeden menschlichen Strebens und Handelns, darf es / muss es<br />

lt. Grundgesetz auch sein. … d. h. vom Glück sind alle Menschen angesprochen, insofern es eine jeden in irgendeiner<br />

Weise betreffende Sehnsucht <strong>zum</strong> Ausdruck bringt und mit Sinnerfüllung des Lebens assoziiert<br />

ist.<br />

Im Althochdeutschen findet sich der Bedeutungsinhalt von Glück erstens in »heil« (glücklicher Zufall, Gesundheit,<br />

günstiges Vorzeichen) und in »sälig« (wohlgeartet, gut, gesegnet, selig). Beides ist zusammengefasst<br />

in glückselig.<br />

Im klassischen Altertum gab es auch zwei verschiedene Begriffe für das dt. Wort Glück:<br />

Das Schicksal, die zufällige Gunst der Umstände wurde gr. Eutychia, lat. Fortuna genannt.<br />

Das Gefühl der Glückseligkeit, das Glücksempfinden gr. Eudaimonia, lat. Beatitudo oder Felicitas.<br />

Die Stoa betrachtete das Glück als ein nur für den Weisen realisierbares individuelles Gut, das ähnlich wie bei<br />

Platon vornehmlich durch philosophisch-wissenschaftliche Einsicht zu erlangen ist sowie durch die Apathie<br />

(gemeint ist hier natürlich n i c h t das neurologische Krankheitsbild Apathie, das wir bei Läsionen des Frontalhirns,<br />

des Stirnhirns, finden, sondern das Freisein von Affekten / Emotionen, also ähnlich wie im Buddhismus,<br />

in welchem metaphorisch die Emotionen von einem abperlen wie Wassertropfen von der Lotusblüte. Im<br />

Indischen ist dies Ananda, die höchste absolute Glückseligkeit.<br />

In der christlichen Religion ist das Glück eschatologisch definiert. Im Alten Testament ist der Bund, d.h. die<br />

Gemeinschaft zwischen Gott und V o l k der Inbegriff des Glücks. Das Neue Testament sieht im Bund, in der<br />

Gemeinschaft d e s e i n z e l n e n mit Gott das höchste Gut. Das Erreichen dieses höchsten eschatologischen<br />

Glücks schließt jedoch die Möglichkeit der Abwesenheit irdischen Glücks ein! Zum Beispiel Leid, Kreuz!<br />

Die gängige Verknüpfung von Schicksal mit Glück ist im Christentum aufgrund des Glaubens an einen göttlichen<br />

Heilsplan unmöglich. Die Erfüllung der Glückserwartung in der eschatologischen Gottesnähe (Gottesschau;<br />

in der Mystik »Unio mystica«) findet ihren bildhaften Ausdruck in der P a r a d i e s -Vorstellung. Man<br />

beachte auch die Seligsprechung der Kirche als zweithöchste Kategorie der Sanktifikationen, die Beatifikation.<br />

Wir wollen aber hier im Folgenden durchaus vom irdischen Glück sprechen:<br />

Der Brockhaus fährt fort mit Psychologischen und soziologischen Aspekten: Eine psychologische Definition von<br />

Glück bietet S. Freud, indem er von einer Befriedigung des Luststrebens spricht. Freud hatte ein eher negatives<br />

Menschenbild, für ihn war der Mensch nicht viel mehr als ein Triebwesen. Wir Menschen bestehen aber<br />

nicht nur aus Gefühlsgehirn, und auch: die Gefühle und Triebe des Menschen werden keineswegs allein vom<br />

limbischen System hervorgebracht. Vermutlich werden sogar die meisten Gefühle des Menschen beim Schaffen<br />

letztlich im Frontalhirn initiiert, wenn auch das limbische System im weiten Sinne dabei als Effektor oder<br />

Resonanzboden mitwirkt. Kinder spielen oft mit Lust und sind dann kaum z.B. <strong>zum</strong> Essen zu bewegen: wenn<br />

man sie ansieht – sind es glückliche Kinder, mit Freude völlig ins Spielen vertieft. Die Freude ist dabei Folge<br />

der eigenen Tätigkeit, es ist positive Rückkoppelung, im Gegensatz zur negativen Rückkoppelung, die in der<br />

Triebsättigung (z.B. beim Hunger) ist und die irrig von Freudianern als Prinzip aller Lust angesehen wird. Hölderlin<br />

z.B. bat in seinem Gedicht „An die Parzen“:<br />

„Nur einen Sommer gönnt ihr Gewaltgen und einen Herbst zu reifem Gesange mir, dass williger mein Herz,<br />

vom süßen Spiele gesättigt, dann mir sterbe. Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht nicht ward, sie ruht<br />

auch drunten im Orcus nicht; doch ist mir einst das Heilige, das am Herzen mir liegt, das Gedicht gelungen,<br />

willkommen dann, oh Stille der Schattenwelt. Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel mich nicht hinabgeleitet;<br />

einmal lebt ich wie Götter und mehr bedarf es nicht“.<br />

Dieses Gefühl kommt primär nicht vom limbischen System (das Kunst nicht kennt), sondern ist vom Frontalhirn<br />

initiiert.<br />

Goethe schrieb in den „Lehrjahren“: „Was ist das höchste Glück des Menschen, als dass wir das ausführen,<br />

was wir als recht und gut einsehen? Dass wir wirklich Herren über die Mittel zu unseren Zwecken sind?“


2<br />

Auch in diesem Satz geht es um Glück als Folge der rechten Tätigkeit. Gerade das hatten schon Sokrates,<br />

Platon und Aristoteles so gesehen und zwar sogar im Blick auf das menschliche Leben im Ganzen: das rechtschaffene<br />

Leben selbst ist das glückliche Leben. Auch nach Duns Scotus kommt Glück aus Willen.<br />

Dass Glücksgefühl meist Folge eigener willentlicher Tätigkeit ist, wurde durch empirische Untersuchung von<br />

Czikszentmihalyi (1992) nachgewiesen (sein Buch heißt: „Flow, das Geheimnis des Glücks“, Stuttgart: Klett-<br />

Cotta.<br />

Karl Bühler (1929) nannte die Tätigkeitsfreude der Kinder beim Spielen F u n k t i o n s l u s t .<br />

Nietzsche sprach vom Glück der Künstler und Philosophen und vom Glück Homers („Die fröhliche Wissenschaft“,<br />

viertes Buch)“<br />

„ Der Reiz alles Problematischen, die Freude am X (damit meint er das selbst Erarbeitete) ist aber bei solchen<br />

geistigeren, vergeistigteren Menschen zu gross, als dass diese Freude nicht immer wieder wie eine helle Gluth<br />

über alle Noth des Problematischen, über alle Gefahr der Unsicherheit, selbst über die Eifersucht des Liebenden<br />

zusammenschlüge. Wir kennen ein neues Glück. ...“<br />

„46. Unser Erstaunen. - Es liegt ein tiefes und gründliches Glück darin, dass die Wissenschaft Dinge ermittelt,<br />

die Standhalten und die immer wieder den Grund zu neuen Ermittelungen abgeben: - es könnte ja anders<br />

sein! …“<br />

„ … er (der Künstler) schöpft am glücklichsten von Allen aus dem unteren Grunde des menschlichen Glückes<br />

und gleichsam aus dessen ausgetrunkenem Becher, wo die herbsten und widrigsten Tropfen zu guter- und<br />

böserletzt mit den süssesten zusammengelaufen sind; … ja, als der Orpheus alles heimlichen Elendes ist er<br />

grösser, als irgend Einer, und Manches ist durch ihn überhaupt der Kunst hinzugefügt worden, was bisher<br />

unausdrückbar und selbst der Kunst unwürdig erschien, und mit Worten namentlich nur zu verscheuchen,<br />

nicht zu fassen war, … Aber er weiss es nicht! Er ist zu eitel dazu, es zu wissen.<br />

„302. Gefahr des Glücklichsten. - … Es war das Glück Homer's! Der Zustand Dessen, der den Griechen ihre<br />

Götter, - nein, sich selber seine Götter erfunden hat! Aber man verberge es sich nicht: mit diesem Glücke<br />

Homer's in der Seele ist man auch das leidensfähigste Geschöpf unter der Sonne! Und nur um diesen Preis<br />

kauft man die kostbarste Muschel, welche die Wellen des Daseins bisher an's Ufer gespült haben! … ja, die<br />

kleinen Räthsel sind die Gefahr der Glücklichsten! –„ (Soweit Nietzsche)<br />

Nun weiter aus Wille und Gehirn: Es ist aber auch ein Glück der einfachen rechtschaffenen Menschen; man<br />

könnte es Sinnglück der Schaffenden nennen. Es ist nicht nur Funktionslust, denn es ist nicht nur im guten<br />

Tun, sondern auch in unserer Erinnerung; ein großer Teil des Selbstwertgefühls verinnerlichter Menschen<br />

gründet sich darauf. Es ist ein Stück Unabhängigkeit vom Beifall der andern; es gehört zur inneren Freiheit,<br />

zur humanen Autonomie. <strong>Viktor</strong> E. <strong>Frankl</strong> weist mit Recht auf die große Bedeutung des Willens <strong>zum</strong> Sinn hin.<br />

Wille und Glück sind also verbunden!<br />

Dass ein Kind mit fünf oder sechs Jahren schulreif wird, hängt an der Selbstorganisation des Willens durch<br />

Spiel, Tun, Lernen, Probieren und Sich-Ziele-Setzen. Ein visueller Suchtest, bei dem das Ziel unter ablenkenden<br />

Reizen gefunden werden muss, ein Konzentrationstest also, erreicht bereits mit fünf Jahren die Leistung<br />

von Erwachsenen. Im Tower of Hanoi-Test (allerdings nur mit drei statt vier Scheiben) wird die Leistung von<br />

Erwachsenen bereits mit sechs Jahren erreicht, s. Abb. am Schluss), im Wisconsin Card Sorting-Test mit zehn<br />

Jahren, im Tower of Hanoi-Test mit vier Scheiben aber erst im Erwachsenenalter (Welsh et al. 1991). Bedeutende<br />

Fortschritte in den Leistungen bei Frontalhirnfunktionstests werden erst in der Pubertät gemacht (Levin<br />

et al. 1991). Der Wille braucht, wie die Fasern, Dendriten und Synapsen im Frontalhirn, viele Jahre zur<br />

vollen Selbstorganisation. Die Funktionen der hinteren Hirnlappen, Wahrnehmung und Sprache, reifen durch<br />

spielendes Lernen, ermutigt durch die Eltern, früher als der Wille, und die dadurch mögliche Kommunikation<br />

mit den Erwachsenen und ihrer Besonnenheit hilft dem Willen bei seiner Entwicklung. Die Kinder suchen ihrem<br />

Willen aber auch selbst durch Aktivität hinterer Hirnlappen zu helfen, unter anderem, indem sie mit sich<br />

sprechen. Dieses Lautwerden des inneren Dialogs gibt es wieder bei älteren Menschen mit beginnender Abnahme<br />

von Gedächtnis und Planung; und verbale Selbstermutigung ist auch ein Mittel der Psychotherapie.


3<br />

Bei Kleinkindern fällt ein Frontalhirnschaden, weil der Wille noch unentwickelt ist, zunächst manchmal nicht<br />

auf, macht sich dann aber zunehmend deutlich bemerkbar als Willensstörung (Eslinger et al. 1992, Anderson<br />

et al. 2000). Besonders wenn die Selbstkontrolle des Verhaltens, eine Schlüsselfunktion (für die besonders der<br />

rechte Frontallappen wichtig ist), gestört ist, kann es viele Folgeprobleme kognitiver und sozialer Art geben<br />

(Jacobs & Anderson 2002).<br />

Die weitere Willensbildung erfolgt vor allem durch Lernen von Vorbildern, denen sich Kinder und Jugendliche<br />

anschließen, aber auch durch freiwillige Zielsetzungen, durch Selbstherausforderung, eigene Anstrengung,<br />

Selbsterkundung und Selbstfindung durch Sinnglückserleben, durch Erfahrung und Kommunikation. Mit<br />

Drill ist da wenig auszurichten, denn er verhindert die Eigeninitiative. Dazu gehören vielmehr eigene Versuche,<br />

Lernen aus Irrtum und Erfolg, Zusammenarbeit, platonische Begeisterung wie aristotelische Übung. Konzertpianisten<br />

und Leistungssportler wissen, wie viel Übung nötig ist, Leistung mit scheinbarer Leichtigkeit zu<br />

erreichen. Aber der Funke zu jenem Ernst mit Begeisterung, der Menschen mit geistigem Willen eigen ist,<br />

springt oft erst über im vertrauten Gespräch, wie Platon im siebenten Brief schrieb. Was Sokratische Erziehung<br />

ist, wurde wiederentdeckt durch Kierkegaard, man findet es zusammengefasst bei Jaspers (1977). Den<br />

Imperativ der Selbstbildung des Willens prägte Pindar in dem berühmten Vers: Werde, der du bist. Worauf es<br />

ankommt ist: die Herausforderungen tätig anzunehmen, aber sich nicht korrumpieren zu lassen. Das Vorbild<br />

in der Antike war Herakles, das Idealbild in der Goethezeit Iphigenie.<br />

Wir haben einen Willen und wir haben bestimmte Grade von Freiheit, nur so können wir Wahrheit erkennen.<br />

Dass wir aber, wenn auch mit vielem Irren, dem Wahren allmählich näherkommen, ist – angesichts der wirksamen<br />

Arzneien, der funktionierenden Technik und des methodisch disziplinierten Fortschreitens der Forschung,<br />

deren Einsichten aus vielen Quellen sich widerspruchsfrei zusammenfügen – kaum zu bezweifeln. Wir<br />

haben selbst Einfluss auf das Suchen nach Wahrheit, überhaupt auf Informationsverarbeitung im Gehirn, auch<br />

auf Triebe und Gefühle, wenn auch begrenzt: Eine optische Täuschung (z.B. die Scheinspirale von Fraser,<br />

1908) bleibt in der Wahrnehmung bestehen, auch wenn wir die Täuschung durchschauen. Sie ist eine Folge<br />

der prinzipiell nicht kopierenden, sondern, wie schon Kant sah, aktiv konstruierenden Arbeitsweise des Gehirns,<br />

um mit Cézanne zu sprechen „parallel zur Natur“. Es gibt in Systemen neue Fähigkeiten, sogar in technischen,<br />

z.B. für Selbstkontrolle. Man kann technisch auch Kreativität simulieren, z.B. durch Kombination von<br />

Regeln mit einem Zufallsgenerator. Aber wie das Leben nicht ganz auf die Chemie reduzierbar ist, so ist auch<br />

der Menschengeist nicht ganz aus der Gehirntätigkeit vorauszusagen, trotz einer Fülle von psychophysischen<br />

Korrelationen.<br />

Wäre unser Leben total determiniert, wie manche Hirnforscher (z.B. Roth und Singer) glauben, wäre es<br />

nicht eine Aufgabe, sondern ein automatisches Geschehen, so wäre es einfacher, aber auch viel ärmer. Es<br />

gäbe weder Skrupel noch Scham, weder Sinnglück hohen Gelingens noch die vielen Verirrungen: Hedonismus,<br />

Selbstbetrug, Histrionik, Grausamkeit usw. Im Menschenleben kommt es auf Ethisches an, auf Wahrheit, Güte,<br />

Tapferkeit usw. Im Blick auf den Januskopf der Freiheit haben tiefe Denker (u.a. Sophokles) erwogen, ob es für<br />

den Menschen nicht besser wäre, nicht geboren zu sein. Da er aber <strong>zum</strong> beherrschenden Lebewesen der Erde<br />

geworden ist, kann er der Aufgabe, sich human zu führen, nicht ausweichen. Ohne Willen <strong>zum</strong> Besseren ist der<br />

Mensch jetzt in Gefahr, ein Übel der Erde zu werden. Eine Konsequenz, die aus dieser Situation zu ziehen ist,<br />

liegt in der Verbindung des sittlichen Willens mit dem Daseinssinn (Reiner 1964). Im guten Willen liegt<br />

Sinn, der standhält; so sah schon Kant die Situation des Menschen. Unsere oberflächliche, deprimierte Zeit<br />

braucht ethischen Impuls, der das redliche Tun mit dem Lebenssinn verbindet, um wieder auf die Füße zu<br />

kommen.<br />

Wir müssen unseren Willen aber nicht nur ethisch entwickeln, sondern auch seine vitale Basis erhalten. Zu<br />

den Kardinaltugenden von Platon und Aristoteles gehörte außer Gerechtigkeit, Besonnenheit und Tapferkeit<br />

auch die Weisheit. Natürlich ist unser Geist vom Gehirn abhängig wie unser Leben von vielem abhängig ist: von<br />

Sonne, Wasser, Pflanzen usw. – eine gänzlich unabhängige Freiheit gibt es nicht. Nicht über Determinismus<br />

sollten wir klügeln, sondern danach streben, besser zu werden und unsere Freiheit zu entwickeln und zu erhalten,<br />

denn vieles bedroht sie: Unwahrheit, Sucht, Depression, Hirntrauma, Schlaganfall usw.<br />

Also Freiheit brauchen wir. Sogar in der empirischen Sozialforschung, in der das Interesse an Freiheit verschwunden<br />

gewesen war, wurde Freiheit jetzt wieder entdeckt (Noelle-Neumann 1978): durch Faktorenanalyse<br />

fand man, dass die Freiheit zu Entscheidungen im Arbeitsleben mit dem Gefühl von Glück verbunden war,<br />

wogegen Freiheit im Sinne von Libertinage nicht mit Glück korrelierte, und dies bei Arbeitern wie Angestellten.<br />

Der Wille pflegt gewöhnlich einen kooperativen Führungsstil im Reich der Anmutungen, Triebe und Gefühle,<br />

und doch sind wichtige Aufgaben des Willens Konzentration auf das Wesentliche und Ausblendung von Ablenkungen.<br />

Aber der Wille ist nicht nur ein „Neinsager des Lebens“, sondern auch Anreger von Innovationen,<br />

Weitungen der Interessen, Änderungen der Prioritäten, Vertiefung der Persönlichkeit.


Geführt vom Willen erwirbt der Mensch Geist, der auch seine Gefühle humanisiert. Ein großer Teil der Gefühle<br />

des Menschen ist Folge von Willensanstrengung, z.B. das Sinnglück.<br />

Auch jene Glücksgefühle, die vom aufmerksamen Schauen und Hören des Schönen in der Natur und Kunst<br />

kommen, gehen nicht primär vom limbischen System, sondern vom Assoziationscortex aus. Auch sie sind etwas<br />

spezifisch Humanes, und sie wurden deshalb schon von dem großen stoischen Willensphilosophen Panaitios<br />

als Komponenten der Humanität gesehen; von ihm stammt die Idee der hohen Menschlichkeit (Pohlenz).<br />

Übrigens kommt auch das andere wichtige Glücksgefühl, dessen Mangel im Winter des hohen Nordens zu<br />

Selbstmorden führt, nicht primär vom limbischen System, sondern vom Sonnenlicht und seiner Wirkung auf<br />

den Hypothalamus, das endokrine System und die Hirnchemie. – Alle menschlichen Gefühle können wie von<br />

persönlichem Geiste, so auch von kulturellen Traditionen und Normen beeinflusst werden. Es ist weniger die<br />

Intensität gewisser Gefühle, die wir auch bei Tieren (wenigstens von den Vögeln an) annehmen, als vielmehr<br />

ihre Bedeutung und Tiefe, die aus seelischem Verstehen, aus höheren Werten, aus der Einsicht in große Zusammenhänge<br />

und aus Disziplin und Treue kommen, was cortikale Funktionen beitragen.<br />

Das limbische System im weiten Sinne, der Hypothalamus und gewisse Hirnstammkerne sind alte Teile des Motivationssystems,<br />

die anatomisch beim Menschen im Vergleich zu den höheren Tieren weitgehend unverändert<br />

sind; sie regeln Triebe und Emotionen für Tätigkeitsbereitschaft, Ernährung, Abwehr, Fortpflanzung usw., die<br />

noch immer für uns wichtig sind, aber vom besonnenen Willen überformt werden. So sind die menschlichen<br />

Gefühle und Antriebe erweitert und geprägt von Kultur und Lernen, wofür die Grundlage die enorm vergrößerten<br />

Assoziationsfelder der Großhirnrinde sind (wovon die Hälfte Willenscortex ist). Sinnglück des Schaffenden<br />

z.B. ist von willentlicher Tätigkeit frontocortical initiiert; es wird kortikal erlebt, beruht aber auf<br />

Mitwirkung subcorticaler Regelungen. Es ist eine innere Belohnung sinnvoller willentlicher Tätigkeit und stabilisiert<br />

die Autonomie der Persönlichkeit.<br />

I c h f a s s e z u s a m m e n :<br />

Auf dem Boden von Willensfreiheit sind wir Menschen, wenn wir etwas erreicht haben, erfolgreich waren und<br />

vielleicht etwas Gutes taten, glücklich. Wir haben gehört, dass der Wille beim Kind im Alter von 2 bis 3 Jahren<br />

reift, wenn das Kind von der Es-Form in die Ich-Form überwechselt. In der kindlichen Entwicklung zeigt<br />

sich dies als Trotzalter. Der Wille ist das komplizierteste am Menschen und kommt in dem Moment in die<br />

Welt, in dem ein Kind sagt „ Ich will noch nicht ins Bett!“ und nicht mehr: „Dominik will noch nicht ins Bett.“<br />

Im Trotzalter äußert sich der Wille durch Nein sagen! Dann muss das Kind noch Selbstkritik und Selbstdisziplin<br />

lernen, um schulpflichtig zu werden. Anschließend entwickelt sich der Wille weiter bis weit in das Erwachsenenalter<br />

hinein. Wahrscheinlich ist Willensbildung ein lebenslanger Prozess. Auch des aufstrebenden Geistes,<br />

des Adepten und An-sich-Arbeitenden vielleicht wichtigste Aufgabe ist es, den eigenen Willen zu bilden,<br />

ethisch zu formen, zu sublimieren und zu veredeln!<br />

Wann stellt Glück sich ein? Dann wenn uns etwas gelungen ist, eben z.B. wenn wir in dem oben Gesagten<br />

erfolgreich waren. Wenn wir ein Werk vollbracht haben – für die Hobby-Bastler wenn wir was Schönes gebastelt<br />

haben (mit unseren eigenen Händen), wenn wir beim Arbeiten an uns selbst Fortschritte gemacht haben.<br />

Diesem Glücksgefühl des Schaffenden – des Kreativen – liegt zugrunde, dass es uns zeigt, dass wir zu etwas<br />

nützlich waren, etwas beitragen konnten, etwas Sinnvolles taten, dass wir (noch) zu etwas nütze sind. Glück,<br />

das – wie wir eingangs sagten – mit Sinnerfüllung des Lebens assoziiert ist.<br />

Gut handeln muss es schon sein, ethisch handeln. Dieses ist im Gehirn lokalisiert und zwar ist es im Frontalhirn<br />

(Stirnhirn) derjenige Teil, der der Augenhöhle aufliegt, man nennt das Areal frontoorbital von Orbita,<br />

Augenhöhle. Patienten, die dort Hirnläsionen haben, begehen Eigentums- und Sexualdelikte. Also auch ethisches<br />

Handeln hat seinen Ort im Gehirn, und so auch all unser moralisches Tun und Lassen. Das Stirnhirn ist<br />

der Sitz des Willens. Moralisches, ethisches Tun und Handeln fährt unbedingt unter der Flagge des freien Willens.<br />

Im Grunde können wir ja nur auf Taten des freien Willens stolz sein und Sinnglück empfinden.<br />

Mutterglück ist Sinnglück. Elternglück. Und um mich selbst einzuschließen Großelternglück. Sinnglück, Daseinsglück.<br />

Familienglück – glückliche Familie. Heute kommt man in vermehrtem Maße zu der Auffassung,<br />

dass der Mensch auch zu einem großen Teil selbst formend an sich arbeiten kann, um mit <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> zu<br />

sprechen mit dem Willen, seinem Leben einen Sinn zu geben. Das können wir nur mit freiem Willen, selbst<br />

Entscheidungen zu treffen. Somit ist der Mensch auch zu Selbststeuerung und eigener Lebensplanung in der<br />

Lage. So ausgestattet (Pico della Mirandola sah die Macht des Menschen wie die eines gestaltenden Künstlers:<br />

Durch deinen Willen, so lässt er Gott zu Adam sagen, wirst du deine Natur abgrenzen. … Wir haben dich gemacht,<br />

damit du dich nach deinem eigenen Urteil gestaltest …“) kann der Mensch sein Leben durchaus selbst<br />

in die Hand nehmen und ist auch – und das ist das Wichtige – durchaus fähig und bereit, selbstverantwortlich<br />

für sein Tun und Lassen (letzteres ist oft wichtiger als das Tun) gerade zu stehen.<br />

4


5<br />

Der geistig und seelisch gesunde Mensch ist eben nicht bloßer Spielball seiner Hormone und Instinkte und<br />

eben absolut kein "Triebtäter" sondern kann eigenen vernünftigen Willen dagegen setzen, ich meine gegen<br />

Anwandlungen von Schlechtem. Wir sind daher auch verantwortlich für unser Tun. Wenn wir Verantwortlichkeiten<br />

haben, so haben wir auch Rechte: Mit Fug und Recht dürfen wir dann auch auf unsere guten Taten<br />

stolz und glücklich sein. Sinnglück.<br />

Behinderte Menschen, z.B. infolge frühkindlicher Hirnschäden, haben oft noch mancherlei Chancen, sich zu<br />

entwickeln und Wertvolles beizutragen, wenn man ihnen hilft (Hellbrügge 1981) und wenn sie das mögliche<br />

Positive ergreifen und mit eigenem Willen etwas Gutes aus ihren Fähigkeiten machen. Man lese z.B. den bewegenden<br />

<strong>Vortrag</strong> des Psychiaters Peter Willers Jessen auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher<br />

und Ärzte 1846 in Kiel. Damals waren die psychisch Kranken noch von den Gesunden isoliert in<br />

Anstalten, und die Irrenärzte lebten dort mit ihnen. „Ich bekenne frei, dass ich Gemütskranke im allgemeinen<br />

höher achte als andere“ sagte er.<br />

Es gibt auf allen Ebenen der Gesellschaft einen humanen Adel, der aus langem guten Willen entsteht (Kornhuber<br />

1992). Kungtse hat dies gelehrt; der Edle war ein Hauptbegriff bei ihm: nicht Geburtsadel, sondern der<br />

Mensch, der sich selbst zur Güte erzogen hat. Bei den Stoikern war es der Weise. Die empirische Sozialforschung<br />

spricht von starken Persönlichkeiten, die in ihrem Kreis auch Meinungsführer sind, unabhängig von der<br />

sozialen Schicht (Noelle 1997). Die Jugendpsychologie hat gefunden, dass die Vorbildlichkeit der Anführer von<br />

Jugendgruppen in natürlicher Autorität, im Einsatz für die Sache und in Echtheit besteht.<br />

Und <strong>zum</strong> Schluss als Arzt die Frage: Warum dann nicht auch in der Therapie? <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> hat es uns gelehrt<br />

und vorgelebt. Stärkung des eigenen Willens. Vielleicht sollte man sagen: des eigenen guten Willens! Denn es<br />

muss der 'reasonable will' , der vernünftige Wille sein, der von einer modernen Psychotherapie im Sinne<br />

<strong>Frankl</strong>s gefördert und gestützt gehört, ein Wille also, der von der Vernunft geleitet wird und sich an ethischen<br />

Grundsätzen orientiert. Also: Festigung/Stärkung des Willens als modernes psychotherapeutisches Behandlungselement,<br />

ja vielleicht neues Behandlungsprinzip. Systematische Schulung und Stützung des guten<br />

vernunftbezogenen Willens. Anregung und Stützung auch von Selbsterkenntnis – γνωτι σεαυτóν [(gnoti seautón)<br />

Erkenne dich selbst!] des Apollon-Tempels von Delphi – d.h. Stärken und Schwächen seiner selbst zu erkennen<br />

und daran zu arbeiten, die Kantigkeiten unseres Charakters zu glätten. Mit dem (Logo-) Therapeuten<br />

zusammen kann der gestärkte vernunftbezogene Wille dann die aus dem Selbsterkenntnisprozess sich ergebenden<br />

notwendigen therapeutischen Schritte in die Tat umsetzen. Schließlich findet der Patient wieder Vertrauen<br />

zu seiner eigenen Selbstführung und ist willensstark genug, sein Leben nach Entlassung aus der Therapie<br />

oder bereits begleitend zu dieser wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das ist die Mobilisierung 'körpereigener<br />

Kräfte,' die hier angesprochen wird − die uns zur Verfügung stehenden geistigen wie seelischen<br />

Selbststeuerungsmechanismen, Entscheidungs- und Willensfreiheit des Menschen − in der Psychotherapie<br />

gezielt einzusetzen, die bei Freud noch fehlte, durch <strong>Viktor</strong> <strong>Frankl</strong> mit seiner Logotherapie aber gebührend<br />

zu Amt und Würden gekommen ist (Psychotherapie "beyond Freud").<br />

Zu guter Letzt noch zwei <strong>Viktor</strong>-<strong>Frankl</strong>-Aphorismen:<br />

Der Mensch handelt nicht nur gemäß dem, was er ist, sondern er wird auch wie er handelt<br />

und der daraus sich ergebende nächste Aphorismus:<br />

Aus dem immer wieder Gutes Tun wird schließlich das Gut-Sein<br />

Lüder Deecke<br />

Quellen:<br />

Hans Helmut Kornhuber / Lüder Deecke (2009) Wille und Gehirn. 2. überarb. Aufl. Edition Sirius, Bielefeld/Basel,<br />

Aisthesis-Verlag, 158 Ss. (2009) ISBN 978-3-89528-628-5<br />

Deecke L: Freies Wollen und Handeln aus neurophysiologischer Sicht. In: J Kriz, L Deecke: Sinnorientiertes<br />

Wollen und Handeln zwischen Hirnphysiologie und kultureller Gestaltungsleistung. Wiener Vorlesungen, HC<br />

Ehalt (Hrsg) Bd 127 Picus Verlag Wien ISBN 987-3-85452-527-1 pp 43-94 (2007)<br />

Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. völlig neu bearb. Auflage, 1986


Auszüge aus Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft<br />

„Scherz, List und Rache."<br />

Vorspiel in deutschen Reimen.<br />

2.<br />

Mein Glück.<br />

Seit ich des Suchens müde ward,<br />

Erlernte ich das Finden.<br />

Seit mir ein Wind hielt Widerpart,<br />

Segl' ich mit allen Winden.<br />

9.<br />

Meine Rosen.<br />

Ja! Mein Glück - es will beglücken -,<br />

Alles Glück will ja beglücken!<br />

Wollt ihr meine Rosen pflücken?<br />

Müsst euch bücken und verstecken<br />

Zwischen Fels und Dornenhecken,<br />

Oft die Fingerchen euch lecken!<br />

Denn mein Glück - es liebt das Necken!<br />

Denn mein Glück - es liebt die Tücken! -<br />

Wollt ihr meine Rosen pflücken?<br />

31.<br />

Der verkappte Heilige.<br />

Dass dein Glück uns nicht bedrücke,<br />

Legst du um dich Teufelstücke,<br />

Teufelswitz und Teufelskleid.<br />

Doch umsonst' Aus deinem Blicke<br />

Blickt hervor die Heiligkeit!<br />

41.<br />

Heraklitismus.<br />

Alles Glück auf Erden,<br />

Freunde, giebt der Kampf!<br />

Ja, um Freund zu werden,<br />

Braucht es Pulverdampf!<br />

Eins in Drei'n sind Freunde:<br />

Brüder vor der Noth,<br />

Gleiche vor dem Feinde,<br />

Freie - vor dem Tod!<br />

47.<br />

Niedergang.<br />

"Er sinkt, er fällt jetzt" - höhnt ihr hin und wieder;<br />

Die Wahrheit ist: er steigt zu euch hernieder!<br />

Sein Ueberglück ward ihm <strong>zum</strong> Ungemach,<br />

Sein Ueberlicht geht eurem Dunkel nach.<br />

165.<br />

Vom Glücke der Entsagenden. - Wer sich Etwas gründlich und auf lange Zeit hin versagt, wird, bei einem zufälligen<br />

Wiederantreffen desselben, fast vermeinen, es entdeckt zu haben, - und welches Glück hat jeder<br />

Entdecker! Seien wir klüger, als die Schlangen, welche zu lange in der selben Sonne liegen<br />

239.<br />

Der Freudlose. - Ein einziger freudloser Mensch genügt schon, um einem ganzen Hausstande dauernden Missmuth<br />

und trüben Himmel zu machen; und nur durch ein Wunder geschieht es, dass dieser Eine fehlt! - Das<br />

Glück ist lange nicht eine so ansteckende Krankheit, - woher kommt das?<br />

6

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