Der Wald - Deutscher Forstverein
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Naturathlon 2007<br />
Treffpunkt <strong>Wald</strong><br />
22. Juli - 4. August<br />
<strong>Der</strong> Naturathlon ist eine gemeinsame Aktion von:<br />
WALD<br />
Treffpunkt<br />
Juli | 2007
Niederlande<br />
Belgien<br />
Frankreich<br />
N o r d s e e<br />
Luxemburg<br />
Gelsenkirchen<br />
Köln<br />
Bundesamt für Naturschutz<br />
www.naturathlon2007.de<br />
5<br />
4<br />
HUNSRÜ CK<br />
PFÄ LZERWALD<br />
BERGISCHES<br />
LAND<br />
WESTERWALD<br />
3<br />
2<br />
6<br />
Freiburg<br />
1.800 km mit Muskelkraft durch Deutschland –<br />
der Streckenverlauf des Naturathlons<br />
HOCHSAUERLAND<br />
BIENWALD<br />
Karlsruhe<br />
SCHWARZWALD<br />
1<br />
Schweiz<br />
Frankfurt<br />
Dänemark<br />
SOLLING<br />
7<br />
Hannover<br />
Hamburg<br />
HARZ<br />
9<br />
8<br />
HAINICH<br />
Nürnberg<br />
10<br />
Magdeburg<br />
KYFFHÄ USER<br />
<br />
<br />
München<br />
Rostock<br />
11<br />
ELBAUEN<br />
Österreich<br />
O s t s e e<br />
FELDBERGER<br />
SEENLANDSCHAFT<br />
SCHORFHEIDE<br />
14<br />
12<br />
13<br />
Berlin<br />
GRUNEWALD<br />
Dresden<br />
Tschechien<br />
Stationen<br />
1 Hundseck<br />
2 Dahn<br />
3 Bad Kreuznach<br />
4 Odenthal-Altenberg<br />
5 Gelsenkirchen<br />
6 Möhnesee<br />
7 Schönhagen<br />
8 Bad Harzburg<br />
9 Creuzburg<br />
10 Rathsfeld<br />
11 Schopsdorf<br />
12 Feldberg<br />
13 Eberswalde<br />
14 Berlin<br />
Polen<br />
Quelle: Bundesamt für Naturschutz (BfN), 2006
Sigmar Gabriel im Interview<br />
»WIR BRAUCHEN DIE MENSCHEN ALS VERBÜNDETE« . . . . . . 4<br />
Wilhelm Stölb<br />
MENSCH UND WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Jens-Olaf Weiher<br />
URLAUB UND ERHOLUNG IM WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
Kerstin Arnold und Anke Höltermann<br />
FORSTWIRTSCHAFT UND NATURSCHUTZ IM EINKLANG . . . . 13<br />
Michael Leschnig<br />
DER WALD – WIEGE DER NACHHALTIGKEIT. . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Walter Lang<br />
DIE KASTANIE – DER RÖMISCHE ZAUBERBAUM . . . . . . . . . . . 19<br />
Michael Börth<br />
WAS WALD ALLES KANN: WALD AUF KOHLEHALDEN . . . . . . 21<br />
Ursula Rüping<br />
EINE KLARE SACHE: WASSER AUS DEM WALD . . . . . . . . . . . . 25<br />
Friedrich Beese<br />
REHA FÜR DEN WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Ole Anders<br />
DAS LUCHSAUSWILDERUNGS-PROJEKT IM HARZ . . . . . . . . . 31<br />
EDITORIAL<br />
Naturathlon – ein tolles Projekt!<br />
Wenn es den Naturathlon nicht schon seit einigen Jahren gäbe, müsste man ihn schnellstens<br />
erfinden. Das Zusammenspiel von Sport in der Natur, Wissen um Natur und <strong>Wald</strong> als<br />
Austragungsort ist optimal, eine bessere Kombination kann man sich kaum vorstellen,<br />
um die ökologische und soziale Funktion des <strong>Wald</strong>es zur Geltung zu bringen. Öffentlichkeitsarbeit<br />
für Natur und <strong>Wald</strong> im besten Sinn.<br />
Mitteleuropa mit seinem freien Betretungsrecht für Wälder gibt Wanderern, Joggern,<br />
Radfahrern und Reitern einen Frei raum, wie man ihn sonst auf der Welt nur selten findet.<br />
<strong>Der</strong> Wert dieser (fast) unbegrenzten Möglichkeiten, Möglichkeiten, die an keiner Eigentumsgrenze<br />
Halt machen müs sen, sollte uns in unserem dicht bevölkerten Land immer<br />
wieder neu bewusst werden. Er ist ein hohes Gut und nebenbei auch ein »weicher«<br />
Standortvorteil für Deutschland als Wirtschaftsstandort. Dies der Öffentlichkeit bewusst<br />
zu machen, dazu trägt der Naturathlon bei.<br />
Auch sollten die Nutzer dankbar sein, dass dies in einem <strong>Wald</strong> geschehen kann, der<br />
gleichzeitig Produktionsstandort eines immer wichtigeren, nachwachsenden Rohstoffes<br />
ist (wozu sich in diesem Heft mehrere Beiträge finden!). In wel chem anderen Produktionsort<br />
können Dritte sich so frei bewegen und ihren Hobbys nachgehen?<br />
<strong>Der</strong> DFV hat deshalb gerne das Juli-Heft von proWALD dies em Projekt gewidmet.<br />
Dass dabei unterschiedliche Meinungen zu <strong>Wald</strong> und Naturschutz formuliert werden,<br />
dürfte offensichtlich sein. Die Artikel spiegeln die Auffassung der Autoren wider und<br />
sollen die Diskussion zwischen Forst und Naturschutz beleben.<br />
Ich danke allen Beteiligten, vor allem dem Bundesamt für Naturschutz, den Landesforstverwaltungen,<br />
den Trägern der Kampagne Treffpunkt <strong>Wald</strong> und dem NABU für die<br />
gu te Zusammenarbeit.<br />
Nun bleibt nur zu wünschen, dass auch die Umsetzung ein gro ßer Erfolg wird.<br />
Ihr Dr. Anton Hammer<br />
Präsident des Deutschen <strong>Forstverein</strong>s<br />
NATURATHLON INHALT<br />
Axel Ssymank<br />
NATURA 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
Lars Langhans<br />
BAUM AB? JA BITTE! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
Steffen Schmidt<br />
DAS GÄSTEBUCH EINER ALTEICHE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
Martin Heinze<br />
DER GIPS UND DER KYFFHÄUSER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
Alfons Henrichfreise<br />
ZWISCHEN WASSER UND LAND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
Christine Große<br />
INTAKTE MANG ROVEN HÄTTEN TSUNAMI GEBREMST. . . . . . 47<br />
Manfred Klein und Hagen Kluttig<br />
BIOLOGISCHE VIELFALT IM WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
Gernod Bilke und Christian Hohm<br />
FEUER AUS DEM WALD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
Marc Franusch<br />
FÖRSTER IN BERLIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
Hannes Elster<br />
MEINE 50 QUADRATMETER WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
»Wir brauchen die Menschen<br />
Das Bundesumweltministerium ist derzeit<br />
in vielen verschiedenen Prozessen aktiv.<br />
Beispielsweise auch im Rahmen des neuen<br />
Umweltgesetzbuches, wo eine Novellierung<br />
des Bundesnaturschutzgesetzes ansteht –<br />
welchen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang<br />
für Sie das Thema <strong>Wald</strong> und Naturschutz?<br />
In der Tat ist auch der <strong>Wald</strong> ein<br />
bedeutendes Themenfeld im Naturschutz,<br />
auf den sich die Gesetzgebung auswirkt. Bei<br />
der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes<br />
(BNatSchG) selbst ist es uns wichtig,<br />
dass für alle bewirtschafteten Wälder ein<br />
naturschutzfachlicher Mindeststandard<br />
gewährleistet wird. Eine weitergehende<br />
Etablierung der »guten fachlichen Praxis«,<br />
wie sie schon im aktuellen Gesetz verankert<br />
ist, spielt hierbei eine wesentliche Rolle, um<br />
die Inhalte einer nachhaltigen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />
auch aus Naturschutzsicht klarer<br />
fassen zu können.<br />
Nun wird <strong>Wald</strong> in Deutschland »gegärtnert«,<br />
das heißt, <strong>Wald</strong> ist ein Stück Natur, in das der<br />
Mensch nach Maßgabe der <strong>Wald</strong>gesetzgebung<br />
und auch wohl der wirtschaftlichen Notwendigkeiten<br />
eingreift – Wälder werden bei uns<br />
geplant verjüngt und genutzt. Wie kann das<br />
aus Ihrer Sicht »natur- und umweltschützend«<br />
geschehen? Natürliche Urwälder sind<br />
die zu über 90 Prozent aus Altersklassenwald<br />
bestehenden Forsten in Deutschland tatsächlich<br />
nicht mehr. Die vielfältige Nutzung<br />
der Wälder steht aber nicht grundsätzlich im<br />
Widerspruch zum gleichzeitigen Schutz der<br />
Wälder, sondern kann vielmehr ein wichtiges<br />
Instrument hierfür sein. Vorraussetzung<br />
hierzu ist eine Fortführung der Abkehr vom<br />
4 proWALD : JULI | 2007<br />
als Verbündete im <strong>Wald</strong>«<br />
nadelholzdominierten Altersklassenwald.<br />
Durch eine naturnahe nachhaltige <strong>Wald</strong>wirtschaft<br />
können neben der dauerhaften<br />
Sicherung der Holzproduktion auch viele<br />
Bereiche der Schutz- und Erholungsfunktion<br />
erfüllt werden. Dies ist übrigens auch Ergebnis<br />
des Nationalen <strong>Wald</strong>programms, in<br />
dem fast alle mit dem Thema <strong>Wald</strong> befassten<br />
Institutionen und Organisationen auch Ziele<br />
einer naturnahen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />
konkretisiert haben.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wald</strong> ist in Deutschland Hort der Artenvielfalt<br />
– Biodiversität nennen das die<br />
Fachleute. Worum geht es dabei politisch:<br />
um Konservierung der vorhandenen Artenvielfalt<br />
(und Ausmerzung eingewanderter<br />
oder eingeschleppter Arten) oder um Artenvielfalt<br />
generell? Das mit der Biodiversität<br />
im <strong>Wald</strong> ist so eine Sache, denn nicht jeder<br />
Wirtschaftswald ist mit der natürlichen biologischen<br />
Vielfalt ausgestattet, wenn man an<br />
manche Fichten- und Kiefernforste denkt.<br />
Auch kommt es nicht allein darauf an, wie<br />
viele verschiedene, sondern auch darauf,<br />
welche Arten in einem <strong>Wald</strong> vorkommen.<br />
Denn biologische Vielfalt darf nicht auf die<br />
reine Artenzahl beschränkt werden, weil sie<br />
auch die typische Vielfalt der Lebensräume<br />
und die genetische Vielfalt in unserer Natur<br />
umfasst. Deutschland hat übrigens weltweit<br />
eine ganz besondere Verantwortung für das<br />
Ökosystem Rotbuchenwälder. <strong>Der</strong>en Vorkommen<br />
ist auf Europa beschränkt und hat<br />
in Deutschland seinen Schwerpunkt. Über<br />
zwei Drittel der Landfläche Deutschlands<br />
wären von Natur aus Buchenwald. Heute<br />
bedecken diese jedoch nur knapp 5 % der<br />
Bundesumweltminister<br />
Sigmar Gabriel im Interview<br />
Landfläche. Und lediglich auf 0,1 % dürfen<br />
sie sich zurzeit ohne Nutzungseinfluss natürlich<br />
entwickeln. Dieser Flächenanteil ist<br />
noch sehr ausbaufähig, und deshalb unterstützen<br />
wir natürlich auch die Bemühungen,<br />
weitere Nationalparke – mit Schwerpunkt<br />
Buchenwälder – zu etablieren.<br />
Angesichts der Auswirkungen des Klimawandels<br />
auf unsere Wälder ist aus meiner<br />
Sicht die Orientierung an Naturwäldern<br />
und standortheimischen Baumarten auch<br />
aus wirtschaftlicher Sicht von großer Bedeutung.<br />
Diese sind in der Regel weniger anfällig<br />
gegen Stürme und Käferbefall.<br />
<strong>Wald</strong> ist ja gleichzeitig Erholungsraum für<br />
den Menschen, das heißt, eine Gegend zum<br />
Wandern, Joggen, Radfahren und Grillen.<br />
Inwieweit müssen nun Mensch und Natur<br />
entflochten werden? Oder ist es nicht umgekehrt<br />
wichtig, den Menschen und Bürger als<br />
Verbündeten in den <strong>Wald</strong> zu holen, um seine<br />
Schönheit und Artenvielfalt zu erhalten? Es<br />
ist genau so, wie Sie sagen. Wir brauchen den<br />
Menschen als Verbündeten zur Erhaltung<br />
und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen<br />
Vielfalt. Gerade im <strong>Wald</strong> kann man<br />
erleben, dass Wildnisgebiete einerseits und<br />
eine nachhaltige Forstwirtschaft andererseits,<br />
die im Sinne der UN-Konvention zur<br />
biologischen Vielfalt (CBD) betrieben wird,<br />
den Menschen Erholungs- und Erlebnisraum<br />
bieten, den Pflanzen und Tieren einen<br />
Lebensraum sichern und den nachwachsenden<br />
Rohstoff Holz bereitstellen können.<br />
Ihr Ministerium unterstützt mit sehr viel<br />
Geld und an vielen Stellen – meist über das
Bundesamt für Naturschutz – naturnahen<br />
<strong>Wald</strong>bau und die Forschung im <strong>Wald</strong>.<br />
Nach welchen Leitlinien tun Sie das? Unsere<br />
Forschung und Förderung richten sich<br />
eindeutig nach den Vorgaben des Artikels<br />
12 (Forschung) der CBD. Das heißt, unsere<br />
Forschungsaktivitäten wollen die Erhaltung<br />
und die nachhaltige Nutzung der biologischen<br />
Vielfalt fördern. Dies geschieht z. B.<br />
durch die Methodenentwicklung zur naturverträglichen<br />
Bewirtschaftung.<br />
Geht es nach einigen Naturschutzverbänden,<br />
so reicht dieses bei weitem nicht aus:<br />
Es müssen mehr Schutzgebiete ausgewiesen<br />
werden, es muss mehr Forschung in den <strong>Wald</strong><br />
gesteckt werden, um ihn für die Zukunft »klimawandlungssicher«<br />
zu machen. Dies ist sicher<br />
eine große Herausforderung, die wir in<br />
der Bundesregierung gemeinsam mit dem<br />
Forschungs- und Landwirtschaftsressort<br />
angehen. Sicher ist, je naturnaher ein <strong>Wald</strong><br />
ist, desto besser kann er als gesamtes Ökosystem<br />
auf Klimaänderungen reagieren.<br />
Wie ist die Idee des Naturathlon entstanden?<br />
Sehen Sie, rund 27 Millionen Menschen<br />
treiben Sport, hiervon ungefähr ein Fünftel<br />
Natursport (5,2 Millionen). Diese Zahlen erfassen<br />
aber nur die or ga nisierten Sportler.<br />
Schätzungen gehen davon aus, dass etwa<br />
15 Millionen Menschen in ihrer Freizeit nach<br />
eigenem Belieben, also nicht organisiert,<br />
Sport treiben und Natur erleben wollen. Das<br />
Thema Umwelt und Sport hat deshalb für<br />
mich drei Dimensionen: einmal die gesellschaftspolitische<br />
Bedeutung des Sports und<br />
die Mög lichkeit, den Sport als Multiplikator<br />
für die Umweltpolitik zu nutzen. Zum Zweiten<br />
nutzt der Sport die Natur, was natürlich<br />
nicht ohne Auswirkungen bleibt. Und zum<br />
Dritten wirken sich bestimmte Umweltentwicklungen<br />
auf die Möglichkeit der Sportausübung<br />
aus.<br />
Das sind Ansatzpunkt und Idee für den<br />
Naturathlon. Er soll zeigen, dass Natursport,<br />
Naturschutz und nachhaltige Forstwirtschaft<br />
sich nicht ausschließen, sondern vielmehr<br />
viele gemeinsame Interessen haben.<br />
Was heißt das konkret? Wir wollen neben<br />
unseren schönen <strong>Wald</strong> landschaften vor allem<br />
zeigen, dass der Sport naturverträglich<br />
ausgeübt werden kann. Gemeinsame Interessen<br />
sehe ich z. B. in dem Wunsch nach<br />
möglichst unzerschnittenen Landschaften.<br />
Welche »natürlichen« Besonderheiten gibt<br />
es auf der Tour zu entdecken? Die Route<br />
führt die acht Länderteams vom Schwarzwald<br />
bis zum Wannsee in Berlin durch total<br />
unterschiedliche <strong>Wald</strong> typen. Jeder <strong>Wald</strong>landschaft<br />
ist typisch für eine bestimmte<br />
Kultur- oder Naturlandschaft. Es sind Mittelgebirgslandschaften,<br />
schöne Flussläufe wie<br />
Ruhr und Elbe oder die Seenlandschaften im<br />
Osten Deutschlands dabei.<br />
Mit dem Naturathlon-Treffpunkt <strong>Wald</strong> wird<br />
eine große Öffent lichkeit auf die biologische<br />
Vielfalt im <strong>Wald</strong> aufmerksam gemacht. Wer<br />
soll dadurch vor allem erreicht werden? Auch<br />
wenn es auf den ersten Blick ein »Sportprojekt«<br />
ist, wollen wir den Dialog zwischen<br />
Förstern, Naturschützern und Sportlern<br />
fördern und bei unseren Aktionspunkten<br />
die Natur erlebbar machen. Die breite Öffentlichkeit<br />
und vor allem Freizeitsportler<br />
wollen wir für das Themenfeld biologische<br />
Vielfalt interessieren, denn im nächsten Jahr<br />
ist Deutschland Gastgeber für die Vertragsstaatenkonferenz<br />
der Konvention über die<br />
biologische Vielfalt.<br />
Was passiert an den Aktionspunkten? An den<br />
Aktionspunkten müssen die Sportler Aufgaben<br />
und sportliche Übungen rund um das<br />
Thema Forstwirtschaft und biologische Vielfalt<br />
im <strong>Wald</strong> lösen, z. B. in den Baumwipfeln<br />
Samen pflücken, Holz aus dem <strong>Wald</strong> rü cken<br />
oder ein Floß bauen am Wannsee.<br />
<strong>Der</strong> Naturathlon findet in diesem Jahr zum<br />
vierten Mal statt. Warum wurde dieses Mal das<br />
Thema <strong>Wald</strong> und biologische Vielfalt ausgesucht?<br />
Ich sagte ja bereits, dass Deutschland<br />
im kommenden Mai Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz<br />
der UN-Konvention<br />
über die biologische Vielfalt sein wird. Hier<br />
werden über 190 Staaten unter anderem<br />
auch über die Zukunft der Wäl der der Erde<br />
beraten. Wir wollen die große Aufmerksamkeit,<br />
die die Vertragsstaatenkonferenz auf<br />
sich ziehen wird, nutzen, um im Rahmen<br />
einer breiten Kampagne die Öffentlichkeit<br />
auf die Bedeutung der biologischen Vielfalt<br />
aufmerksam zu machen. Auch der Naturathlon<br />
wird wesentlich dazu beitragen, für<br />
das Anliegen von Schutz und Nutzung der<br />
biologischen Vielfalt zu werben.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
n<br />
JULI | 2007 : proWALD 5
Natur im Bild GmbH<br />
Jede Art hängt von der anderen ab.<br />
Zerstören wir eine, gefährden wir viele.<br />
Mensch und Pfl anzen sind nur zwei Glieder in der Artenkette der Natur. Doch etwa 15.000 Tier- und<br />
Pfl anzenarten weltweit drohen aus dem riesigen Netz des Lebens zu verschwinden. <strong>Der</strong> Mensch ist<br />
Teil dieses Netzes. Wenn wir so weitermachen, zerstören wir nach und nach unsere Lebensgrundlagen.<br />
Im Mai 2008 treffen sich 190 Staaten auf der UN-Naturschutzkonferenz in Bonn, um diesen Verlust<br />
aufzuhalten. Helfen auch Sie mit, die Viefalt der Natur zu bewahren. Mehr unter www.naturallianz.de<br />
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und verständlichen textlichen Erläuterungen, möchten wir das Interesse<br />
der Spaziergänger wecken, sich näher über Pflanzen, Tiere und Lebensräume<br />
zu informieren. Fordern Sie unseren neuen Katalog an.<br />
Auch Ihre Ideen setzen wir gerne um. Wir freuen uns auf<br />
Ihre Anfragen. Hier eine kleine Auswahl unserer Motive:<br />
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Bild: Arcimboldi, <strong>Der</strong> Frühling<br />
Mensch und <strong>Wald</strong> –<br />
wie sich die Beziehung in den letzten 50 Jahren wandelte<br />
»Mit Hermann Löns durch <strong>Wald</strong> und Heide«<br />
geht heute niemand mehr. <strong>Der</strong> alte <strong>Wald</strong>läufer<br />
ist tot, und mit ihm Mümmelmann,<br />
der Heidehase, Schlohwittchen, das Wiesel,<br />
oder Murrjahn, der Dachs. Mancher, der hier<br />
die Wurzeln einer innigen Naturbeziehung<br />
fand, um später vielleicht Förster zu werden,<br />
mag es bedauern. Doch in den 70er-Jahren<br />
musste die beseelte Natur im Bewusstsein<br />
der Menschen der kühlen Umwelt weichen.<br />
Vorbei war es mit jener geheimnisvollen, einer<br />
verstädterten Menschheit verborgenen<br />
anderen Welt draußen – andererseits aber<br />
auch mit ihrer kitschigen Vermenschlichung.<br />
Die Naturwissenschaft übernahm<br />
die Führung, Ökologie wurde zum Leitbegriff.<br />
Und wer noch von Naturliebe sprach,<br />
wurde in die völkische Ecke gestellt: rückständig,<br />
weltfremd, sentimental.<br />
Was die Beziehung zur heimischen Natur<br />
betrifft, entstand in der Öffentlichkeit ein<br />
emotionales Vakuum, das die wenigen mutigen<br />
Einzelkämpfer wie Heinz Sielmann auch<br />
mit bewundernswertem Einsatz nicht füllen<br />
konnten. Zumal ihre »letzten Paradiese«<br />
weniger vor der eigenen Haustür zu finden<br />
waren, als vielmehr weit entfernt in anderen<br />
Ländern. So verblasste der gefühlsmäßige<br />
Bezug zur Natur als Heimatlandschaft. Die<br />
Wertschätzung breiter Massen verlagerte<br />
sich zum einen auf Reisen, zum anderen auf<br />
virtuelle Welten wie Film, Fernsehen, Video.<br />
Jeder Naturfilm bietet eine weitaus höhere<br />
Erlebnisdichte als der vergleichsweise<br />
schnöde deutsche Forst. Zielsicher stieß in<br />
die emotionale Lücke auch die Industrie, die<br />
jetzt alle möglichen Produkte als »natürlich«<br />
verkaufte: vom linksdrehenden Joghurt bis<br />
zur biologischen Gesichtsfaltencreme.<br />
Parallel zu dieser Entfremdung von der<br />
heimischen Natur lief jedoch eine andere<br />
Entwicklung: In den siebziger Jahren entdeckte<br />
der Sport die Wälder. Neue <strong>Wald</strong>läufer<br />
sah man plötzlich rund um die Städte.<br />
Nicht mehr grün angezogen auf stillen<br />
Pfaden der Natur auf der Spur, sondern offen,<br />
flott und unbekümmert ihre Bahn ziehend.<br />
In den Achtzigern gesellten sich die<br />
Radler dazu und in jüngster Zeit schließlich<br />
die »Walker«. Alle haben den <strong>Wald</strong> auf ihre<br />
Weise in Besitz genommen, zum Leidwesen<br />
der Jäger, denen fast jeder zuwiderläuft, der<br />
draußen herumläuft.<br />
Charakteristisch für die neuen, sportlichen<br />
<strong>Wald</strong>freunde ist ihre lockere Beziehung<br />
zum <strong>Wald</strong>, eine gewisse emotionale Distanz.<br />
Naturerleben ist nicht mehr das eigentliche<br />
Ziel. Man läuft durch den <strong>Wald</strong>, nicht in ihn.<br />
Man will Landschaft genießen, doch vor<br />
allem die eigene Aktivität draußen. Wie im<br />
Film gehört Musik dazu. Walkman statt <strong>Wald</strong>mann.<br />
Vorbei ist das neugierige Erforschen<br />
von Schonungen, Fuchsbauten und anderen<br />
<strong>Wald</strong>geheimnissen, welche die alten <strong>Wald</strong>-<br />
läufer magisch anzogen. Sportler verhalten<br />
sich meist hochanständig gegenüber <strong>Wald</strong><br />
und Wild, Probleme gibt es – unbeabsichtigt<br />
– bloß im Winter, wenn Ski- und Schneeschuhwanderer<br />
den Tieren bewegungstechnisch<br />
überlegen sind.<br />
Diese Distanz wäre eigentlich im Sinne<br />
der Jäger, wenn da nicht auch die moderne<br />
Ausrüstung wäre: Stirnlampen erschließen<br />
dem Sportler die Nacht; das Fahrrad macht<br />
ihn ungeheuer beweglich, überhaupt ist der<br />
Sportler sehr schnell und beinahe allgegenwärtig.<br />
Geschwindigkeit gehört zum Wesen<br />
des Sports. Neben dem Aspekt Gesundheit<br />
geht es immer auch um Leistung: etwas<br />
schaffen, Strecke, Höhe machen, sich selbst,<br />
seine Kraft und Ausdauer beweisen, eine<br />
von Wilhelm Stölb<br />
Maschine beherrschen oder auch ein Tier<br />
– das Pferd, den Schlittenhund. Dies macht<br />
einen großen Teil der damit verbundenen<br />
Freude aus.<br />
Egal, wie wir sie sehen, Sportler bilden<br />
heute die größte Fraktion der <strong>Wald</strong>nutzer.<br />
Sie gehören inzwischen mehr zum <strong>Wald</strong> als<br />
die Förster, von denen man meist nur die<br />
Staubwolke des Autos zu Gesicht bekommt.<br />
Natur oder <strong>Wald</strong> erleben, heißt immer auch,<br />
menschliche Beziehung zu ihnen erleben.<br />
Und schön ist, wenn diese Beziehung Freude<br />
ausstrahlt. Das ist die Stärke des Sports!<br />
Eben nicht nur die Hektik des Holzmanagers<br />
oder die Weltflucht des Jägers draußen zu erleben<br />
und nicht das schlechte Gewissen, das<br />
die grünen Herren jahrzehntelang jedem<br />
vermittelten, der in »ihr Reich« eindrang.<br />
Sportler bringen Lockerheit in den <strong>Wald</strong>.<br />
Das ist ebenso neu wie wohltuend. Als ich<br />
einmal auf einer Weitwanderung tagelang<br />
allein durch einsame Wälder ging, habe ich<br />
mich richtig gefreut, im Einzugsbereich einer<br />
Stadt wieder Läufern und Radlern zu<br />
begegnen.<br />
Damit diese Freude auf Dauer bleibt, die<br />
Freude des Sportlers am <strong>Wald</strong>, vielleicht sogar<br />
tiefer und befriedigender wird, wäre allerdings<br />
eines sehr wichtig, das heute kaum<br />
noch stattfindet: Innehalten, gelegentlich<br />
wieder schauen, lauschen, spüren und riechen.<br />
Mit Recht sagt man, Sport verbinde,<br />
und ich bin sicher, dass er nicht nur Menschen<br />
untereinander, sondern auch Mensch<br />
und Natur verbindet. Doch wenn aus einem<br />
Kontakt wirkliche Beziehung werden soll,<br />
dann ist Zeit erforderlich. Zeit zum Wahrnehmen.<br />
Wahrnehmung ist der erste Schritt<br />
zur Liebe.<br />
Umwelt kann man nicht lieben, sie ist<br />
zu sachlich. <strong>Wald</strong> und Natur sehr wohl, auch<br />
wenn wir uns scheuen, das auszusprechen.<br />
Hat es mit der Schnelligkeit zu tun, dass Naturphilosophen<br />
unsere grassierende Umweltkrise<br />
in engstem Zusammenhang mit einer<br />
Wahrnehmungskrise sehen? Dann können<br />
wir vom alten Löns lernen. Immer mal wieder<br />
innehalten, schauen, lauschen, hineinspüren<br />
in den <strong>Wald</strong> – trauen wir’s uns!<br />
n<br />
JULI | 2007 : proWALD 7
8<br />
Urlaub und Erholung im <strong>Wald</strong><br />
proWALD : JULI | 2007<br />
<strong>Der</strong> Schwarzwald als<br />
<strong>Wald</strong> und Erholungsraum<br />
von Jens-Olaf Weiher
Undurchdringliche (»schwarze«) Wälder,<br />
Seen, Moore und Hochweiden zusammen<br />
mit einer modernen touristischen<br />
Infrastruktur – das bietet heute<br />
der Schwarzwald: Naturschutz, Holzlieferant<br />
und Fremdenverkehr existieren<br />
hier einträchtig nebeneinander.<br />
Große zusammenhängende <strong>Wald</strong>flächen<br />
mit mächtigen Tannen und Fichten prägen<br />
den mittleren und nördlichen Schwarzwald,<br />
er ist die waldreichste Landschaft Baden-<br />
Württembergs, zu 75 % bewaldet.<br />
Eingebettet in den schier endlosen <strong>Wald</strong><br />
finden sich Hochmoore, kristallklare Bäche,<br />
eiszeitliche Karseen, die waldfreien »Grinden«<br />
(Bergkuppen) der Hochlagen und gepflegte<br />
Wiesentäler, raue enge Schluchten,<br />
wilde Gebirgsbäche und markante Höhen,<br />
beispielsweise die Hornisgrinde und der<br />
Feldberg.<br />
Die Gäste wählen unter 140.000 Betten<br />
und bringen es im Jahr auf 20 Millionen<br />
Übernachtungen. Kirschwasser und<br />
Schwarzwälder Schinken sind gastronomische<br />
Markenzeichen einer Landschaft,<br />
in der sich einst das Glasmännlein und<br />
der Köhlermichel ein Stelldichein gaben<br />
(im »Kalten Herzen« von Wilhelm Hauff ).<br />
<strong>Der</strong> Schwarzwald ist eine der bekanntesten<br />
deutschen Mittelgebirgslandschaften<br />
und als Black Forest immer noch weltberühmt.<br />
Ursache dafür sind sicherlich<br />
nicht verkitschte Heimatfilme mit ihren<br />
»Bollenhüten« oder Fernsehserien wie die<br />
»Schwarzwaldklinik«, vielmehr diese typische<br />
Landschaft mit ihrer besonderen Geschichte,<br />
die für den Besucher auf eine sehr<br />
sensible Art und Weise erlebbar ist.<br />
Naturschutz wird hier konsequent realisiert.<br />
Über ¾ des Schwarzwaldes sind Natur-<br />
und Landschaftsschutzgebiete, Teil des<br />
europäischen Schutzgebietsnetzes Natura<br />
2000, oder speziell ausgewiesene Schutz-<br />
oder Erholungswälder bzw. Bann- und<br />
Schonwälder.<br />
<strong>Der</strong> Schwarzwald ist eines der letzten,<br />
kaum von Straßen zerschnittenen <strong>Wald</strong>gebiete<br />
in Deutschland. Die oft urwüchsigen<br />
Wälder sind Heimat für eine Vielzahl selten<br />
gewordener Arten – so z.B. auch für den Auerhahn,<br />
den Charaktervogel des Schwarzwaldes.<br />
Er gehört zu den bedrohten Tierarten,<br />
aber im Schwarzwald leben heute etwa<br />
600 Auerhühner, und in den letzten Jahren<br />
hat der Bestand – einmalig in Mitteleuropa<br />
– sogar leicht zugenommen, insbesondere<br />
im Nordschwarzwald.<br />
Gerade die Wälder, in denen Auerhühner<br />
sich wohl fühlen, sind der Inbegriff für<br />
die <strong>Wald</strong>natur des Schwarzwaldes. Denn<br />
der Auerhahn braucht viel Platz, und in den<br />
riesigen Nadelwäldern des Schwarzwaldes<br />
findet er ihn. Auerhühner suchen sich darin<br />
lichte, von der Sonne beschienene Bereiche,<br />
auf denen Heidelbeeren wachsen. Diese<br />
bieten das ganze Jahr über Nahrung (Beeren,<br />
Triebe, Blätter und Knospen) sowie Deckung<br />
vor den Feinden Fuchs, Marder oder<br />
Habicht. In dunklen, dicht zugewachsenen<br />
Wäldern könnte das Tier nicht überleben.<br />
Und so kann es heutzutage sogar notwendig<br />
sein, den <strong>Wald</strong> zu nutzen, viel Holz<br />
zu ernten und so die lichten Auerhuhnwälder<br />
mit ihren besonnten Lücken zu schaffen.<br />
Natur nutzen und Natur schützen ist so kein<br />
Widerspruch.<br />
Schon die alten Römer waren von dem<br />
großen zusammenhängenden <strong>Wald</strong>gebiet<br />
beeindruckt, das sie »silva hercynia«<br />
nannten, was so viel wie »Harzwald« heißt.<br />
Sie brauchten das Harz. Aber nicht nur die<br />
Nutzung des Fichtenharzes war früher weit<br />
JULI | 2007 : proWALD 9
verbreitet. Ebenso spannend war die Geschichte<br />
der Köhlerei, der Glashütten oder<br />
des Holländerholz-Handels im 17. und 18.<br />
Die Tanne<br />
Laien verwechseln die Tanne oft mit der im<br />
Schwarzwald viel häufiger vorkommenden<br />
Fichte. Dabei ist die Unterscheidung<br />
einfach: Die Tanne ist an den aufrecht stehenden<br />
Zapfen zu erkennen, während die<br />
Fichte an den Zweigen nach unten hängende<br />
Zapfen hat. Die Forstleute schätzen<br />
an der Tanne die positiven Wirkungen auf<br />
Boden und <strong>Wald</strong>klima. Durch ihr intensives<br />
Wurzelwerk und ihre Schattenverträglichkeit<br />
bildet sie stabile, in Mischung<br />
mit Buche und Fichte reich strukturierte,<br />
dunkle und urwüchsige Mischwälder. Sie<br />
fühlt sie sich in den feuchtkühlen Bergwäldern<br />
besonders wohl und wird bis zu<br />
600 Jahre alt. Kaum ein anderer Baum bildet<br />
ähnlich mächtige Stämme und ist so<br />
resistent gegen Borkenkäfer. »Die Tanne<br />
ist das Rückgrat des <strong>Wald</strong>es«, versichern<br />
die Förster, »und die Holznutzung ist auch<br />
heute ökologisch und ökonomisch sinnvoll<br />
und überdies klimafreundlich.«<br />
Jahrhundert, als das Holz aus dem Schwarzwald<br />
zum europaweit gefragten Baumaterial<br />
wurde und der abenteuerliche Holztransport<br />
bis nach Amsterdam ein früher Vorbote<br />
der Globalisierung war.<br />
So steht beispielsweise das königliche<br />
Schloss in Amsterdam auf einem Fundament<br />
von rund 14.000 Rammpfählen aus<br />
»Holländertannen«. Diese Weißtanne ist<br />
auch heute noch der Charakterbaum des<br />
Schwarzwaldes. Vor allem die Möbelschreiner<br />
schätzen die Weißtanne als langlebigen<br />
und vor allem nicht harzenden Werkstoff für<br />
Giebel, Terrassen und Erker. Ihr Holz findet<br />
sich in zahlreichen Schwarzwaldhöfen und<br />
heute in Holzbauten auf der Weltausstellung<br />
in Hannover und in der wieder aufgebauten<br />
Dresdner Frauenkirche.<br />
Aber stärker als von der Nutzung der<br />
Rohstoffe waren die Menschen seit je her<br />
von der Wirkung der düsteren, melancholischen<br />
Wälder beeindruckt, in denen sich<br />
der Sage nach Nixen, Feen und Hexen trafen<br />
und die schließlich Namen gebend für den<br />
»schwarzen« <strong>Wald</strong>« waren.<br />
Dieser <strong>Wald</strong> ist heute ein Markenzeichen<br />
für Sport und Erholung. <strong>Der</strong><br />
Schwarzwald ist erschlossen, beispielsweise<br />
durch die Schwarzwaldhochstraße, und hat<br />
seinen unwegsamen Schrecken verloren. Wo<br />
früher Geister und Hexen waberten, wandern<br />
heute friedliche Besucher und tanken<br />
Gesundheit. Woche für Woche nutzen Millionen<br />
den freien Zugang in die Wälder zum<br />
Wandern, Naturerleben und zum Sport. Und<br />
das in allen Jahreszeiten.<br />
Im <strong>Wald</strong> dürfen Kinder toben, hier lernen<br />
sie Natur. Im <strong>Wald</strong> gibt es saubere Luft<br />
und Ruhe, gepaart mit tausendfachen sinnlichen<br />
Eindrücken. Hier engen keine Ladenöffnungszeiten<br />
ein, und anzustehen braucht<br />
man vor den Bäumen auch nicht. Hier kann<br />
pixelquelle.de<br />
jeder für sich Muße finden, und viele zusammen<br />
können an Massensportveranstaltungen<br />
teilnehmen. Ein Beispiel dafür ist der<br />
Hornisgrinde-Marathon, der sich zu einer<br />
der beliebtesten und schönsten Marathonveranstaltungen<br />
Deutschlands und des benachbarten<br />
Auslandes entwickelt hat. Denn<br />
die Marathonstrecke, die zu über 95 % durch<br />
den <strong>Wald</strong>, also durch »Schwarzwald pur« verläuft,<br />
hat trotz der anspruchsvollen Rennerei<br />
etwas Beruhigendes: Sie ist ein Mittel gegen<br />
den Alltagsstress. Darum beteiligen sich immer<br />
mehr »Wiederholungstäter«, von denen<br />
einige schon 10-mal, 20-mal und mehr hier<br />
mitgelaufen sind. Dieser Marathon ist etwas<br />
Besonderes – er ist für all die Läufer, die nicht<br />
in der Masse von Tausenden laufen, sondern<br />
vielmehr die frische Luft genießen wollen.<br />
Gleichwohl ist »Besucherlenkung«<br />
notwendig. Denn gerade im Schwarzwald<br />
finden seltene Tierarten ein Zuhause, eine<br />
Herausforderung für Forst und Naturschutzverwaltung,<br />
die Natur einerseits erlebbar zu<br />
machen und sie andererseits vor einem zu<br />
großen Besucheransturm zu schützen. Mit<br />
einem weiten Netz ausgewiesener Routen<br />
sorgt die Forstverwaltung für ein verträgliches<br />
Miteinander von Mensch und Natur.<br />
Beispiele hierfür sind auch der »Wildnispfad<br />
Baden-Baden« oder der »Lotharpfad«<br />
oder die Erschließung zahlreicher Bannwälder<br />
wie »Wilder See Hornisgrinde«, »Zweribach«<br />
oder »Große Tannen« sowie der Hochmoorflächen<br />
und Karsseen. Wie im übrigen<br />
Baden-Württemberg wird auch hier das Angebot<br />
an Spazier-, Wander-, Rad- und Reitwegen,<br />
Loipen und Lehrpfaden usw. durch<br />
ein vielfältiges Programm an waldpädagogischen<br />
Angeboten und Veranstaltungen<br />
ergänzt. <strong>Der</strong> Großstadtmensch soll auch im<br />
Schwarzwald heimisch werden.<br />
s weiter auf S. 12
Baden-Badener Wildnispfad<br />
Seit Mai 2006 kann der Besucher im Nordschwarzwald Wildnis live erkunden: Durch den<br />
Baden-Badener Wildnispfad wurde eine 70 Hektar große Sturmwurffläche, auf der Orkan<br />
Lothar wütete, zugänglich. Auf einer Länge von 4,5 Kilometern kann man in die Wildnis<br />
eindringen und über das Mikado der Baumstämme in die unberührt erscheinenden <strong>Wald</strong>flächen<br />
hineinklettern. Von einem Felsen aus lässt sich das vom Sturm geworfene Baumstamm-Durcheinander<br />
bestaunen und in einem »Adlerhorst«, einer Holzkanzel in einem<br />
Baumwipfel, ein Überblick gewinnen.<br />
100.000 Euro kostete es den Naturpark und die Stadt Baden-Baden, diese Wildnis erlebbar<br />
zu machen – dennoch sind etwas körperliche Fitness, geeignete Kleidung und entsprechendes<br />
Schuhwerk zur Erkundung notwendig: In der Wildnis sind keine Wanderwege<br />
für den Menschen vorgesehen! Die muss der Mensch erst schaffen. Auf diese Weise ist aber<br />
ein neues Highlight für den Tourismus in Baden-Württemberg entstanden, das über die<br />
Schwarzwaldhochstraße zu erreichen ist.<br />
JULI | 2007 : proWALD 11<br />
Bild: pixelquelle.de
12<br />
Eine wichtige Rolle kommt dabei dem<br />
Naturpark zu. Sein Ziel ist es, die einmalige<br />
Schwarzwaldlandschaft zu erhalten und<br />
Wege in eine nachhaltige Zukunft der Region<br />
aufzuzeigen und aktiv, gemeinsam mit<br />
Gemeinden und Bürgern die Zukunft zu gestalten<br />
und den Schwarzwald als attraktiven<br />
Lebens-, Erholungs- und Wirtschaftsraum<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Diese Bemühungen werden abgerundet<br />
durch ein reichhaltiges Kulinarik- und Wellnessangebot<br />
(Heilbäder, Weinstraße, Bauernmärkte,<br />
Sternerestaurants).<br />
Aber auch der Besucher ist gebeten, seinen<br />
Beitrag zum Schutz der Natur zu leisten,<br />
indem er die unerlässlichen Verhaltensregeln<br />
in den Wäldern akzeptiert. So kann der<br />
Schwarzwald auch zukünftig ein Aushängeschild<br />
für die Integration von Naturschutz<br />
und Natur-Nutzung im <strong>Wald</strong> werden – eine<br />
Integration, die nur durch das Mitwirken aller<br />
im <strong>Wald</strong> Tätigen oder sich Betätigenden<br />
möglich ist.<br />
n<br />
Jens-Olaf Weiher ist Leiter der Stabsstelle<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Landesforstverwaltung<br />
Baden-Württemberg.<br />
Bilder: Archiv Landesforstverwaltung und Landesbildstelle<br />
BW; Tourismusinfo Belchland, Schluchsee und Glottertal<br />
proWALD : JULI | 2007<br />
Flößerei: Exportschlager Holz<br />
Fichten und Tannen aus dem Schwarzwald waren bereits im 17. Jahrhundert<br />
ein Exportschlager. Die Holländer benötigten riesige Mengen<br />
zum Bau ihrer Handels- und Kriegsflotte. Wer den Holländer Michel<br />
aus »Das kalte Herz« von Hauff kennt, weiß, wie die Stämme den langen<br />
Weg auf dem Wasser zurücklegten – sie wurden geflößt.<br />
Hochwasserzeit war im Nordschwarzwald Flößerzeit, der Transport<br />
auf den Wildbächen gelang nur, wenn starke Regenfälle oder<br />
Schneeschmelze sie anschwellen ließen. In speziell angelegten, mit<br />
Stauwehren versehenen Floßweihern wurden dann die »G‘störe« eingebunden.<br />
Das sind rund ein Dutzend Baumstämme, die mit Hilfe<br />
von zähen Weidenruten zusammengezurrt waren. Zehn bis zwölf<br />
G‘störe bildeten schließlich das Floß mit rund 300 Meter Länge und<br />
etwa 50 Meter Breite, das nach dem Öffnen des Stauwehrs auf der<br />
»Schwallung« den ruhigen Floßweiher verließ. Dann ging es den reißenden<br />
Wildbach hinunter, und es galt, möglichst auf der Flutwelle,<br />
dem Schwall, zu bleiben. Gebremst wurde nur im äußersten Notfall.<br />
Heute wird das Holz des Schwarzwaldes immer noch benötigt.<br />
Doch während der Schwarzwald damals durch den kommerziellen<br />
Raubbau ein trostloses Bild bot – mindestens ein Drittel der <strong>Wald</strong>fläche<br />
war an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mehr oder<br />
weniger baumlos –, wird die Holzernte im <strong>Wald</strong> heute trotz großer<br />
Maschinen schonend und nachhaltig betrieben.
<strong>Der</strong> südpfälzische Bienwald besticht<br />
durch eine Vielzahl seltener Tier-<br />
und Pflanzenarten weit über die Landesgrenzen<br />
von Rheinland-Pfalz hinaus.<br />
Im Naturschutzgroßprojekt Bienwald<br />
erarbeiten Naturschützer und Förster<br />
zurzeit gemeinsam Konzepte, um die<br />
wertvollen Lebensräume weiter zu optimieren<br />
und langfristig zu erhalten.<br />
Mit gerade einmal 150 m über dem Meeresspiegel<br />
erhebt sich die Rodungsinsel Büchelberg<br />
als höchster Punkt aus dem Bienwald.<br />
<strong>Der</strong> kleine Ort liegt inmitten des 12.000 Hektar<br />
großen Niederungswaldes. Schweift der<br />
Blick über die ausgedehnten Eichen-, Buchen-<br />
und Kiefernwälder, sieht man im Westen<br />
die Hügelkette des Pfälzerwaldes und der<br />
Nordvogesen. Vor dem im Osten liegenden<br />
Schwarzwald ragen einige Schornsteine aus<br />
der Landschaft. Hier liegt die Rheinebene mit<br />
dem Ballungszentrum Karlsruhe.<br />
<strong>Der</strong> Bienwald ist neben dem im benachbarten<br />
Elsass gelegenen Hagenauer Forst<br />
das größte zusammenhängende <strong>Wald</strong>gebiet<br />
der oberrheinischen Tiefebene. Beide<br />
<strong>Wald</strong>bereiche zählen zu den besterhaltenen<br />
Schwemmfächerlandschaften Mitteleuropas.<br />
Durchquert man den <strong>Wald</strong> auf einem<br />
der schmalen Pfade, wird schnell deutlich,<br />
was den Reiz dieser einmaligen Landschaft<br />
ausmacht. Zahlreiche sommertrockene Bäche<br />
und Gräben durchziehen den <strong>Wald</strong> von<br />
West nach Ost. Hinzu kommt der kleinräumige<br />
Wechsel zwischen trockenen und wassergeprägten<br />
Biotopen.<br />
Vor allem im westlichen Bienwald – wegen<br />
seiner stark vom Grundwasser beeinflussten<br />
Standorte auch »nasser« Bienwald<br />
genannt – stocken Erlenbruchwälder in<br />
unmittelbarer Nachbarschaft zu trockenen<br />
Kiefernwäldern auf bis zu drei Meter hohen<br />
Dünen. In dem reich strukturierten <strong>Wald</strong> fallen<br />
besonders die uralten Bäume und der<br />
hohe Totholzanteil auf.<br />
Forstwirtschaft und<br />
Naturschutz im Einklang<br />
Auf den ersten Blick scheint es, als sei die<br />
Zeit stehen geblieben. Doch bei genauerem<br />
Hinsehen zeugen die dreihundertjährigen<br />
Eichen ebenso wie langsam verlandende<br />
Kulturgräben und Namen wie »Stuttpferch«<br />
oder »Möderhäufel« von jahrhundertlanger<br />
Nutzung. Dabei spielt die nachhaltige Bewirtschaftung<br />
des <strong>Wald</strong>es seit langem eine<br />
wichtige Rolle. So konnte der Bienwald in<br />
weiten Teilen seine Naturnähe bewahren.<br />
Diese bildet neben der Gunst des Klimas eine<br />
der wichtigsten Voraussetzungen für das<br />
bundes- und europaweit bedeutsame Vorkommen<br />
seltener und gefährdeter Tier- und<br />
Pflanzenarten.<br />
Biologen geraten ins Schwärmen, wenn<br />
sie von ihren Beobachtungen erzählen.<br />
Grau- und Kleinspecht besiedeln die Feuchtwälder<br />
des Bienwaldes in hoher Dichte, und<br />
mit über 200 Brutpaaren beherbergt der<br />
Bienwald das größte Mittelspechtvorkommen<br />
in Rheinland-Pfalz. Fledermaus- und<br />
Käferspezialisten messen dem Bienwald<br />
von Kerstin Arnold und Anke Höltermann<br />
gar internationale Bedeutung zu. Mit über<br />
600 verschiedenen Totholzkäferarten weist<br />
der Bienwald die größte jemals in einem<br />
europäischen <strong>Wald</strong>gebiet nachgewiesene<br />
Artenzahl auf. Stellvertretend für die lange<br />
Liste seltener, vom Aussterben bedrohter<br />
Arten steht allerdings zweifelsohne die Wildkatze.<br />
Sie zählt zu unseren seltensten heimischen<br />
Säugetierarten und war bislang nur<br />
aus den Wäldern der Mittelgebirge bekannt.<br />
Im Bienwald leben heute schätzungsweise<br />
40 bis 60 Tiere.<br />
<strong>Der</strong> Bienwald und seine angrenzenden<br />
grünlandgeprägten Niederungsbereiche sind<br />
Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes<br />
Natura 2000. Vor Ort ist man sich der Verantwortung<br />
für dieses besondere Naturgebiet<br />
durchaus bewusst. Gemeinsam haben die<br />
beiden Landkreise Germersheim und Südliche<br />
Weinstraße deshalb die Trägerschaft für<br />
das im Juli 2004 gestartete Naturschutzgroßprojekt<br />
Bienwald übernommen. Mit diesem<br />
Förderprogramm unterstützt der Bund seit<br />
über 25 Jahren die Bundesländer mit dem<br />
JULI | 2007 : proWALD 13
14<br />
proWALD : JULI | 2007<br />
Ziel, großflächige und besonders wertvolle<br />
Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten<br />
langfristig zu sichern. Es handelt<br />
sich dabei um einen der größten Naturschutzfördertitel<br />
in Deutschland mit einem<br />
jährlichen Etat von derzeit 15 Mio. €. Insgesamt<br />
wurden seit 1979 ca. 300 Mio. € Bundesmittel<br />
für die Sicherung und Entwicklung<br />
bundesweit bedeutsamer Landschaftsausschnitte<br />
bereitgestellt. Betreut werden die<br />
Projekte vom Bundesamt für Naturschutz.<br />
Wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung<br />
des Naturschutzgroßprojektes Bienwald leisten<br />
das Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft<br />
und Gewerbeaufsicht sowie Landesforsten<br />
Rheinland-Pfalz, insbesondere durch<br />
die Forschungsanstalt für <strong>Wald</strong>ökologie und<br />
Forstwirtschaft und das Forstamt Bienwald.<br />
Im Bienwald sollen über die nächsten<br />
10 bis 12 Jahre rund 10 Mio. € der Natur zugutekommen.<br />
Diese Kosten werden zu 70 %<br />
vom Bund und zu 20 % vom Land Rheinland-Pfalz<br />
übernommen. Die beiden Landkreise<br />
Germersheim und Südliche Weinstraße<br />
bringen einen Eigenanteil von 10 % ein.<br />
Mit den Fördermitteln können Maßnahmen<br />
durchgeführt werden, die die typischen Arten<br />
und Biotope des Bienwaldes und seiner<br />
angrenzenden grünlandgeprägten Niederung<br />
dauerhaft sichern und entwickeln. Darüber<br />
hinaus soll die Funktion des Gebietes<br />
als wichtiges Scharnier im Biotopverbund<br />
zwischen Pfälzerwald und Rheinauen durch<br />
die gezielte Vernetzung einzelner Lebensräume<br />
gestärkt werden. Eine Investition in<br />
die Zukunft, für deren nachhaltige Sicherung<br />
und naturverträgliche Entwicklung sich das<br />
Land Rheinland-Pfalz und die beiden Landkreise<br />
auch nach Ende des Projektes engagieren<br />
werden.<br />
Wirklicher, dauerhafter Erfolg im Naturschutz<br />
bedarf allerdings der Akzeptanz<br />
und Unterstützung vieler Akteure. Im<br />
Bienwald hat sich in den vergangenen zwei<br />
Jahren eine ganze Region mit dem Projekt<br />
beschäftigt. In zahlreichen Sitzungen und<br />
Exkursionen wurden Leitbilder und Ziele<br />
aufgestellt sowie geeignete Maßnahmen<br />
und Konzepte erarbeitet, die auch die Interessen<br />
der Landnutzer, die Entwicklungsabsichten<br />
der Gemeinden und die Bedürfnisse<br />
der Bevölkerung berücksichtigen. Ein nicht<br />
immer einfacher Prozess, bei dem zu Beginn<br />
zunächst Verständnis für die jeweils andere<br />
Position geschaffen werden musste. Um Naturschutz,<br />
Forst- und Landwirtschaft unter<br />
einen Hut zu bekommen, sind ökonomisch<br />
tragfähige Konzepte erforderlich, die sich in
den täglichen Ablauf des wirtschaftenden Betriebes<br />
einbauen lassen. Nicht zu vergessen<br />
sind aber auch die Bedürfnisse der örtlichen<br />
Bevölkerung. Naherholung und Brennholzwerbung<br />
spielen in den angrenzenden Gemeinden<br />
eine wichtige Rolle.<br />
Nach einer dreijährigen Planungsphase<br />
liegt nun ein Pflege- und Entwicklungsplan<br />
für das Projektgebiet vor, in dem sich die Akteure<br />
unter anderem auf zwei waldrelevante<br />
Maßnahmenbündel verständigt haben.<br />
Im »nassen« Bienwald entsteht auf<br />
einer zusammenhängenden Fläche von<br />
1.680 Hektar ein »Naturwald«. <strong>Der</strong> Mensch<br />
wird die Bewirtschaftung in diesem Bereich<br />
einstellen. Die zukünftige <strong>Wald</strong>entwicklung<br />
wird allein von den Prozessen der Natur gesteuert.<br />
Besucher können die bizarre Schönheit<br />
und Vielfalt dieses Naturwaldes auf speziell<br />
hierzu angelegten Pfaden erleben.<br />
Auf den verbleibenden über 10.000 Hektar<br />
Wirtschaftswald sollen über die bereits heute<br />
angewandten Grundsätze des naturnahen<br />
<strong>Wald</strong>baus hinaus weitere naturschutzfachliche<br />
Ziele im Rahmen der forstlichen Bewirtschaftung<br />
umgesetzt werden. Hierzu zählen<br />
zum Beispiel die Entwicklung naturraumtypischer<br />
<strong>Wald</strong>gesellschaften mit standortheimischen<br />
Baumarten sowie der Erhalt und<br />
die Förderung von überdurchschnittlich viel<br />
Alt- und Totholz. Darüber hinaus soll der Eichenanteil<br />
im Wirtschaftswald erhöht sowie<br />
die natürlichen Verjüngung und Sukzession<br />
durch eine gezielte Schalenwildbewirtschaftung<br />
gefördert werden. Auch die zahlreichen,<br />
für den Bienwald charakteristischen Sonderstandorte,<br />
wie Bruch- und Sumpfwälder oder<br />
lichte Trockenwälder auf Dünen, werden<br />
durch gezielte Maßnahmen in ihrer Qualität<br />
aufgewertet.<br />
Das Naturschutzgroßprojekt Bienwald<br />
gehört zu den ersten Projekten, die zunächst<br />
einen intensiven Planungs- und Diskussionsprozess<br />
durchlaufen haben, bevor die<br />
Umsetzung der Maßnahmen beginnt. Kurz<br />
vor Abschluss der ersten Phase blicken Projektverantwortliche<br />
und Förster optimistisch<br />
in die Zukunft. Gemeinsam haben sie sich<br />
hohe Ziele gesteckt, um den Naturschutz im<br />
Bienwald weiter voranzutreiben und so die<br />
besondere Arten- und Biotopvielfalt langfristig<br />
zu sichern.<br />
n<br />
Kerstin Arnold ist Projektleiterin des Naturschutzgroßprojektes<br />
»Bienwald«. Dr. Anke<br />
Höltermann ist Wissenschaftlerin beim BfN.<br />
Bilder: Christian Wettstein und Peter Braun<br />
JULI | 2007 : proWALD 15
Wer hätte das gedacht? Die Nachhaltigkeit,<br />
dieses sperrige Wort, verfolgt uns<br />
heute auf Schritt und Tritt. Hatten die<br />
meisten Förster nach ihrer Ausbildung<br />
doch gehofft, dass sie von dem altehrwürdigen<br />
forstlichen Klassiker fürderhin<br />
verschont würden. Hartig, Cotta,<br />
der aus der Pfalz stammende Carl Gayer<br />
und natürlich Carl von Carlowitz haben<br />
forstliche Grundwerte formuliert, die<br />
uns heute noch immer im Denken und<br />
bei der Bewirtschaftung des <strong>Wald</strong>es leiten.<br />
Im Naturpark Pfälzerwald, einem<br />
Biosphärenreservat der UNESCO, wo<br />
es um nachhaltige Entwicklung geht,<br />
ist ihr Geist jedoch allgegenwärtig und<br />
aktueller denn je.<br />
Nachhaltigkeit als Vision wurde erst in<br />
den beiden letzten zurückliegenden Jahrzehnten<br />
wiederentdeckt. <strong>Der</strong> Brundtland-<br />
Bericht (1987) hauchte dem Begriff aktuelles<br />
Leben ein. Das Dokument beschreibt<br />
eine gesellschaftliche Entwicklung dann<br />
als nachhaltig, wenn die Bedürfnisse der<br />
gegenwärtigen Generation befriedigt werden,<br />
ohne die Möglichkeiten der zukünftigen<br />
Generation zu gefährden, ihre eigenen<br />
Bedürfnisse befriedigen zu können. Auf die<br />
Herkunft des Begriffs aus der deutschen<br />
Forstwirtschaft wird übrigens verwiesen.<br />
Es geht also letztendlich um die Erhaltung<br />
der freien Wahl zur Entscheidung darüber,<br />
16 proWALD : JULI | 2007<br />
wie unsere Kinder und Kindeskinder leben<br />
wollen. Dies unterstellt zwangsläufig, dass<br />
ein »weiter wie bisher« zur Einengung der<br />
Zukunftschancen führen kann, bis hin zu<br />
einem Szenario, das von einer reinen Mangelwirtschaft<br />
und bloßer Katastrophenbewältigung<br />
ausgeht.<br />
Wie kann Nachhaltigkeit funktionieren?<br />
Auch wenn der Begriff immer mehr<br />
Menschen vom Hörensagen bekannt ist<br />
und viele beantworten können, wie man<br />
sich umweltgerecht verhält, so sind die tatsächlichen<br />
Aktivisten ein immer noch kleiner<br />
Kreis. Vom Wissen über das Verständnis<br />
und die Einsicht bis hin zur konkreten Aktion<br />
scheint es ein sehr schwieriger Weg zu<br />
sein. Man muss den Begriff mit Leben füllen.<br />
Landesforsten Rheinland-Pfalz hat deshalb<br />
im Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen<br />
mit dem Projekt »Netzwerk« und dem<br />
»Haus der Nachhaltigkeit« einen konkreten<br />
Ansatz versucht.<br />
»<strong>Der</strong> Mensch sucht Menschen« ist eine<br />
unserer Methoden zur Vermittlung von<br />
Nachhaltigkeit. Wir stellen den Menschen<br />
und die scheinbaren Banalitäten seines alltäglichen<br />
Lebens in den Mittelpunkt, nämlich<br />
dass der Mensch integraler Bestandteil<br />
seiner natürlichen Lebensumwelt ist und<br />
dass er diese durch sein Handeln auch positiv<br />
beeinflussen kann. Bewusst stellen wir<br />
<strong>Der</strong> <strong>Wald</strong> –<br />
Wiege der Nachhaltigkeit<br />
von Michael Leschnig<br />
den Menschen nicht als Störer in der Natur<br />
dar. Bei einer solchen Botschaft musste sich<br />
doch jeder als unerwünscht fühlen und dadurch<br />
passiv bleiben bzw. werden. Die Sichtweise<br />
für die Zukunft kann nur heißen: »Ja,<br />
wir Menschen gehören zur Natur! Egal wie<br />
wir handeln, wir werden etwas damit verursachen.<br />
Unser Handeln hat Folgen. Und<br />
wenn das so ist, dann lasst uns mit unserer<br />
Macht doch etwas Positives gestalten!«<br />
Es gilt, klarzumachen, dass jeder Akteur in<br />
Sachen Nachhaltigkeit ist. Seine Ideen und<br />
sein persönlicher Beitrag sind gefragt. Jeder<br />
kann etwas bewegen!<br />
Das Netzwerk der Nachhaltigkeit zeigt<br />
und personifiziert gute Beispiele und authentische<br />
Vorbilder für einen nachhaltigen<br />
Lebensstil. Da tauchen Pfälzer auf, die man<br />
wirklich auf der Straße treffen kann – Menschen<br />
wie du und ich. Bewusst keine prominenten<br />
Umweltbotschafter. Sie reden darüber,<br />
wie sie sehr vergnügt – eben nachhaltig<br />
– leben und arbeiten. Oft auch im Dialekt<br />
der Region. Eine Unmittelbarkeit, die den<br />
Besucher in einem positiven und aktiven<br />
Sinn betroffen macht. Das wird verstanden<br />
in dem Sinn, dass Nachhaltigkeit auch für<br />
mich tatsächlich machbar ist.<br />
Die Ökonomie gehört dazu. Vom Schutz<br />
der Natur allein können wir nicht leben. Ohne<br />
Arbeit, Einkommen und das Wirtschaften<br />
ist eine moderne Gesellschaft in Mitteleuro-
pa nicht vorstellbar. Das Nachhaltigkeitsparadigma<br />
hat sich dafür geöffnet. In Biosphärenreservaten<br />
geht es sogar ausdrücklich<br />
darum, neben der Erhaltung der Biodiversität,<br />
also der Vielfalt des Lebens, die wirtschaftliche<br />
und soziale Entwicklung der<br />
Menschen und die kulturellen Werte dauerhaft<br />
über Generationen hinweg miteinander<br />
zu harmonisieren. Dieser Ansatz ist neu, da<br />
er den Menschen als wesentliches Element<br />
des Ökosystems anerkennt und ihn in die<br />
Schutzüberlegungen integriert! Mehr noch,<br />
der Schutzgedanke mündet in einen aktiven<br />
– nachhaltigen – Entwicklungsauftrag.<br />
Genau hier legt das Haus der Nachhaltigkeit<br />
seinen Schwerpunkt. Ziel ist ein winwin-win-Szenario,<br />
ein dreifacher Nutzen<br />
für Umwelt, Wirtschaft und Menschen. Bei<br />
Verbrauchermessen zu Themen wie Energiesparen<br />
und regenerative Energiesysteme<br />
profitieren sowohl die Umwelt als auch das<br />
beteiligte Handwerk der Region und der Arbeitsmarkt.<br />
Analog verhält es sich bei der<br />
Absatzförderung von nachhaltig erzeugten<br />
Lebensmitteln durch den Betrieb eines Regionalladens<br />
im Haus der Nachhaltigkeit, die<br />
Verwendung dieser Produkte beim Catering<br />
im Seminarbetrieb der Einrichtung oder dem<br />
außerordentlich gut nachgefragten Angebot<br />
von thematischen Sonderveranstaltungen<br />
(z. B. Ökobier-Brauseminar, Wildkochshow,<br />
<strong>Wald</strong>weihnacht Johanniskreuz).<br />
Man muss aus Betroffenen Beteiligte<br />
machen. Warum scheitern gute Ideen in<br />
der Umsetzung? Ein Grund dafür ist die Art<br />
und Weise ihres Zustandekommens. Immer<br />
wieder werden am grünen Tisch Konzepte<br />
ausgeheckt, ohne diejenigen zu fragen, die<br />
später damit leben müssen. <strong>Der</strong> mangelnde<br />
Praxisbezug, das fehlende Vertrauen in<br />
die Planer und das behördliche Verordnen<br />
»von oben« sind häufig genannte Wesensmerkmale<br />
des Versagens in der Praxis, die<br />
hinreichend bekannt sind. Die Planer andererseits<br />
nehmen dies scheinbar billigend<br />
in Kauf. Eine Auseinandersetzung kostet<br />
ja Zeit, Nerven und auch Geld. Interessant<br />
wäre, einmal nachzurechnen, was demgegenüber<br />
der Misserfolg oder eine dauerhafte<br />
Unterstützung kostet. Nachhaltigkeit kann<br />
nur dann gelingen, wenn man Betroffene zu<br />
Beteiligten macht. Dazu ein Beispiel.<br />
Bei der Ausweisung des Mountainbikeparks<br />
Pfälzerwald (www.mountainbikepark-pfaelzerwald.de)<br />
ist man diesen Weg<br />
gegangen. Am Anfang stand der Gedanke,<br />
die Trendsportart Mountainbiking durch ein<br />
attraktives Streckenangebot zu kanalisieren,<br />
um damit sensible Bereiche des Naturraums<br />
zu umgehen und gleichzeitig aber auch eine<br />
Wertschöpfung für die strukturschwache<br />
Region des zentralen Pfälzerwaldes zu<br />
schaffen. In vielen Workshops und bei Treffen<br />
haben Nutzer, Behörden, Planer und die<br />
von den Auswirkungen negativ betroffenen<br />
Gruppen einen Konsens erarbeitet. In dem<br />
über Jahre laufenden Prozess waren Forstleute<br />
nicht nur fachlich gefragt, sondern<br />
erstmals auch Ideengeber, Motor und Vermittler<br />
zwischen den Fronten, was sicher<br />
die schwierigste Rolle war, wahrscheinlich<br />
aber auch die wichtigste und ehrbarste. Was<br />
herauskam, kann sich sehen lassen. Die insgesamt<br />
314 Kilometer langen Trails erfreuen<br />
Sportler, Touristiker, Naturschützer und<br />
Forstleute gleichermaßen.<br />
Sechs Millionen Treffer für Nachhaltigkeit<br />
erhält der, welcher bei Google nach<br />
dem Begriff sucht, Datenmüll, mit dem<br />
der Normalmensch nichts mehr anfangen<br />
kann. Und die Moral von der Geschicht’?<br />
Die ungeheuere Zunahme des Wissbaren<br />
führt zwangsläufig zu viel Unwissenheit,<br />
begleitet von Ohnmacht und Unsicherheit.<br />
Und Antwort auf die Frage »Wie ist das mit<br />
der Nachhaltigkeit?« gibt es nicht! Aber es<br />
existieren viele Erfahrungen, gute Beispiele,<br />
hoffnungsvolle Ansätze und Annäherungen<br />
an ein Gummiwort, die gleichwohl Mut machen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist das von Landesforsten<br />
Rheinland-Pfalz geführte Haus<br />
der Nachhaltigkeit bestrebt, Orientierungswissen<br />
zu vermitteln. In welchem Rahmen<br />
können wir uns bewegen? Wir bieten uns<br />
im Biosphärenreservat als Scouts in einem<br />
zunehmend dichter werdenden Informationsdschungel<br />
an.<br />
Für das Netzwerk der Nachhaltigkeit existieren<br />
im Moment zwei wesentliche Medien,<br />
die von den Forstleuten initiiert und betreut<br />
werden. Rund 1.700 Abonnenten beziehen<br />
mittlerweile einen digitalen Newsletter, der<br />
in sechs Ausgaben pro Jahr mit jeweils über<br />
30 deep-links über regionale Meilensteine<br />
der nachhaltigen Regionalentwicklung, Förderprogramme,<br />
Auszeichnungen, Publikationen<br />
und Termine informiert (http://www.<br />
hdn-pfalz.de/neues/newsletter.php). Das<br />
Feedback ist äußerst positiv, die Gemeinde<br />
der zufriedenen Leser wächst stetig. Weiterhin<br />
gibt es einen digitalen Kalender, der<br />
mittelfristig über alle Veranstaltungsangebote<br />
im Kontext der Nachhaltigkeit und des<br />
Das »Millionenviertel«<br />
in Johanniskreuz<br />
Wo wird das Thema Nachhaltigkeit augenfälliger<br />
als beim Anblick 300-jähriger<br />
Eichen? Mindestens zehn Förstergenerationen<br />
haben hier gewirkt und ihre Spuren<br />
hinterlassen. In schwierigen Zeiten investierten<br />
weitdenkende und zukunftsoptimistische<br />
Menschen in die Begründung<br />
einer neuen <strong>Wald</strong>generation, damit wir<br />
uns heute an diesen beeindruckenden<br />
Baumriesen erfreuen und den wirtschaftlichen<br />
Nutzen ziehen können.<br />
Für seinen Reichtum an wertvollsten<br />
Eichen ist der Pfälzerwald und speziell<br />
Johanniskreuz berühmt. »Millionenviertel«<br />
heißt der besonders bekannte Distrikt<br />
Speyerbrunnereck, obwohl in ihm nach<br />
den Stürmen der 80er- und 90er-Jahre<br />
des vorigen Jahrhunderts mittlerweile<br />
nicht mehr die Alteichen dominieren.<br />
Dafür beweisen heute ausgedehnte, gut<br />
gepflegte Eichenjungbestände, dass sich<br />
die heutigen Wirtschafter in der Tradition<br />
ihrer Vorgänger aus dem 18. Jh. sehen. Das<br />
wertvolle Erbe an Eichen soll in gleicher<br />
Fläche und Qualität den kommenden Generationen<br />
hinterlassen werden.<br />
n<br />
Burkhard Steckel, Leiter des Forstamtes<br />
Johanniskreuz; Bild: Dietmar Gretter<br />
JULI | 2007 : proWALD 17
Naturerlebnisses in der Pfalz informieren<br />
wird (www.naturerlebnis-pfalz.de).<br />
Heißt Nutzen stiften nun aber: Verzichten<br />
lernen? Mal ehrlich, haben wir nicht<br />
alle verinnerlicht, dass Naturschutz, aber<br />
auch Nachhaltigkeit sehr eng mit »Verzicht«<br />
verwandt sein sollen? Wer will das schon?<br />
Andersherum – will nicht jeder immer<br />
schneller, immer höher, immer mehr? Den<br />
Menschen das austreiben zu wollen, wäre<br />
eine Sisyphus-Arbeit. Aber genau hier liegt<br />
eine entscheidende Ideenhürde. Wie kann<br />
mehr Nachhaltigkeit gelingen, ohne dabei<br />
Verzichten zu lernen? Welchen Nutzen kann<br />
man durch einen nachhaltigen Lebensstil<br />
stiften?<br />
Wobei wir beim nächsten Problem wären.<br />
Seinen persönlichen Nutzen oder einen<br />
Vorteil definiert jeder anders. Für die einen<br />
bedeutet es mehr Geld im Portemonnaie<br />
– wir informieren regelmäßig über Einsparmöglichkeiten<br />
beim Energieverbrauch, über<br />
Sondertarife der regionalen Verkehrsverbünde,<br />
über Förderprogramme und nachhaltige<br />
Quellen für Beschaffungen aller Art.<br />
Für andere ist es eine öffentliche Anerkennung<br />
oder ein höherer Bekanntheitsgrad.<br />
Haus der Nachhaltigkeit<br />
Das Haus der Nachhaltigkeit ist ein Informations-<br />
und Dienstleistungszentrum<br />
für das Biosphärenreservat Pfälzerwald-<br />
Nordvogesen. Wichtigstes Anliegen ist es,<br />
die abstrakten Begriffe Nachhaltigkeit und<br />
Biosphärenreservat für jedermann konkret<br />
nachvollziehbar zu übersetzen. Im Fokus<br />
stehen deshalb der Mensch selbst und sein<br />
erlebbarer Alltag. Ökonomie und Soziales<br />
rangieren in ihrer Bedeutung<br />
vor dem ökologischen<br />
Bereich. Anders<br />
als in vergleichbaren<br />
Fällen üblich, richten<br />
sich die meisten Angebote<br />
an ein erwachsenes<br />
Publikum. <strong>Der</strong><br />
Bevölkerung, aber auch<br />
den Gästen in der Regi-<br />
18 proWALD : JULI | 2007<br />
Also streuen wir die Information über die<br />
regionalen Sieger bei Umweltwettbewerben,<br />
beteiligen einheimische Künstler und<br />
Betriebe bei Ausstellungen und Messen.<br />
Wieder andere definieren den Nutzen als gesundes<br />
Leben und seelisches Wohlbefinden<br />
– wir forcieren die Vermarktung regionaler,<br />
nachhaltig erzeugter Lebensmittel und bieten<br />
betreute Naturerlebnisse an.<br />
Im Ergebnis ist es unser Ziel, eine Stimmung<br />
zu unterstützen, die dem Motto folgt:<br />
»Gut, dass es das Biosphärenreservat gibt!<br />
<strong>Der</strong> nachhaltige Lebensstil in unserer Modellregion<br />
hat viele Vorteile. Gut, dass wir<br />
hier leben dürfen!«<br />
Mit dem Brundtland-Bericht macht<br />
die »Nachhaltigkeit« endgültig Karriere.<br />
Sie wird zur Richtschnur für die gesamte<br />
Entwicklung der Weltgemeinschaft in allen<br />
Bereichen unseres Lebens. Somit sind heute<br />
der <strong>Wald</strong> und die Methode, wie ihn der<br />
Mensch über Jahrhunderte bewirtschaftet<br />
hat, nichts weniger als jener Ort und jenes<br />
Vorbild, worauf sich eine gesellschaftliche<br />
Utopie und eine Zukunftsvision gründen<br />
lassen. Vor diesem Hintergrund leitet sich<br />
für die heute handelnden Forstleute eine<br />
on will die sich als Verbraucherzentrale verstehende<br />
Einrichtung eine Orientierung zu<br />
einem nachhaltigeren Lebensstil anbieten.<br />
Idee dabei ist, bei den Adressaten unmittelbar<br />
Entscheidungen im Sinne der Zielsetzung<br />
auszulösen.<br />
Die dabei gewählten Medien und Methoden<br />
spannen einen Bogen vom Bauwerk<br />
und der Gebäudetechnik im Haus der Nach-<br />
Verpflichtung ab, sich selbstverständlich<br />
und selbstbewusst in die Debatte um eine<br />
nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft<br />
einzubringen.<br />
Dies setzt allerdings die Bereitschaft voraus,<br />
tatsächlich als Treuhänder für das Ökosystem<br />
<strong>Wald</strong> aufzutreten und sich auf neue<br />
Bedürfnisse einzustellen, die die Gesellschaft<br />
an den <strong>Wald</strong> hat. Die Rolle impliziert heute<br />
mehr als gestern: Beweglichkeit im Denken,<br />
Toleranz und Offenheit gegenüber anderen,<br />
Teamfähigkeit, Empathie und Kompromissfähigkeit.<br />
Und sie bedeutet auch, dass man<br />
bereit ist, sich zum Teil von Traditionen und<br />
Gewohnheiten zu lösen. Damit bewegt man<br />
sich weg vom traditionellen Bild des forstlichen<br />
Urproduzenten hin zum Gestalter im<br />
Bereich der Umweltvorsorge. Landesforsten<br />
Rheinland-Pfalz hat sich für diesen Weg geöffnet,<br />
ist erste Schritte gegangen, setzt seine<br />
Instrumente und die Mitarbeiterschaft<br />
in Übereinstimmung mit diesen gesamtgesellschaftlichen<br />
Zielen ein – nicht nur beim<br />
Projekt Netzwerk und beim Haus der Nachhaltigkeit.<br />
n<br />
Michael Leschnig ist Leiter des Hauses der<br />
Nachhaltigkeit in Johnaniskreuz<br />
haltigkeit selbst und reichen über eine Dauerausstellung,<br />
Filmvorführungen, Seminare<br />
und einen Regionalladen bis hin zu einem<br />
breit gefächerten Veranstaltungsprogramm.<br />
Daneben wird zusammen mit den zehn<br />
Forstämtern der Region ein Netzwerk der<br />
Nachhaltigkeit aufgebaut, das bedarfsorientierte<br />
Projekte für die Region Pfalz realisiert.<br />
Öffnungszeiten:<br />
täglich außer Montag<br />
(10 – 17 Uhr)<br />
Kontakt:<br />
hdn@wald-rlp.de<br />
Tel.: 06306/9210-130<br />
Fax: 06306/9210-139<br />
Internet:<br />
www.hdn-pfalz.de
Bäume, so denkt man, werden von<br />
der Natur über die Erde verteilt. Doch<br />
das stimmt so nicht. Heute pflanzen<br />
wir sehr häufig die Douglasie als widerstandsfähigen<br />
Nadelbaum in den<br />
<strong>Wald</strong> und ersetzen mit ihr heimische<br />
Nadelbäume. Aus Australien kam beispielsweise<br />
der Eukalyptusbaum, und<br />
mit den Römern und ihrer Zivilisation<br />
kam die Edelkastanie nach Mitteleuropa<br />
und Deutschland.<br />
Es ist kein Zufall, dass man noch<br />
heute die Edelkastanie längs<br />
des Rheines findet. Denn die<br />
Römer waren Weintrinker,<br />
und wer Wein anbauen will,<br />
braucht Rebpfähle, um die<br />
rankende Weinpflanze<br />
daran festzubinden. So<br />
kam die Esskastanie vor<br />
rund 2.000 Jahren nach<br />
Deutschland. Weil ihr<br />
Holz überdurchschnittlich<br />
verrottungsfest ist, konnte<br />
man bestens langlebige Pfähle<br />
aus ihm herstellen, die<br />
nicht gleich im Boden<br />
verfaulten. Kein Wunder<br />
also, dass dort,<br />
wo die Römer<br />
Wein anbauten,<br />
sich auch heute<br />
noch häufig ganze<br />
Kastanienwälder<br />
finden.<br />
Das Rhein- und Moseltal war ein Schwerpunkt<br />
für den römischen Weinbau, vor allem<br />
um die römischen Siedlungskerne wie Köln<br />
und Trier herum. Spuren dieser römischen<br />
Kulturlandschaft lassen sich heute noch<br />
nachweisen.<br />
Und oft<br />
Die Kastanie –<br />
der römische Zauberbaum<br />
von Dr. Walter Lang<br />
findet man bis heute genau an diesen Stellen<br />
Kastanienwälder.<br />
So findet sich etwa im Oberrheingebiet<br />
im Ortenaukreis, den Kreisen Rastatt und<br />
Baden-Baden mit ca. 2.000 Hektar Fläche<br />
ungefähr 1/3 der Esskastanienfläche ganz<br />
Deutschlands. Einen starken Schwerpunkt<br />
hat die Kastanienverbreitung<br />
in der Vorbergzone des Schwarzwaldes<br />
insbesondere zwischen<br />
Bühl und Gengenbach mit<br />
den zugehörigen Tälern<br />
Bühlertal, Sasbach-, Acher-,<br />
Rench- und Kinzigtal. Im<br />
bäuerlichen Privatwald der<br />
unteren Schwarzwaldlagen<br />
zwischen 200 und 500 Meter<br />
Höhe ist die Kastanie<br />
die prägende Laubbaumart<br />
noch<br />
vor Eiche und<br />
Buche. Weniger<br />
als 20 %<br />
des Kastanienvorkommens<br />
stehen im Gemeinde-<br />
oder<br />
Staatswald.<br />
JULI | 2007 : proWALD 19
Bis ins 19. und<br />
20. Jahrhundert<br />
hinein hatte die Kastanie<br />
vor allem Bedeutung<br />
als Brennholz,<br />
für Rebpfähle<br />
und für die Gewinnung<br />
von Gerbrinde.<br />
Für höherwertige<br />
Verwendungen<br />
wurde sie nur gelegentlich<br />
als Ersatz<br />
für die teurere Eiche<br />
gebraucht (Bauholz,<br />
Möbelholz etc.). Das<br />
Holz der Esskastanie<br />
war somit das »Eichenholz<br />
des kleinen<br />
Mannes« und wurde Unkundigen nicht<br />
selten als Eiche verkauft, zum Beispiel als<br />
»Laufer Eiche«.<br />
Kastanienwälder wurden fast stets als<br />
»Niederwald« bewirtschaftet, d. h. alle 20-<br />
25 Jahre genutzt, weil die Kastanie so schnell<br />
wächst und sie so enorm hohe Holz-Zuwächse<br />
liefert (Zuwachs bis zu 15 Kubikmeter pro<br />
Jahr und Hektar). Und noch ein Vorteil: Nach<br />
dem Holzeinschlag muss ein Kastanienniederwald<br />
nicht wieder aufgeforstet werden,<br />
da die verbliebenen Stöcke (Baumstümpfe)<br />
wieder ausschlagen und neue Bäume aus<br />
ihnen entstehen.<br />
In Notzeiten halfen die wohlschmeckenden<br />
und energiereichen Früchte der Kastanie,<br />
manche Hungersnot zu überstehen<br />
(»Brot der Armen«) oder wurden bis nach<br />
Norddeutschland, in die Niederlande und<br />
selbst nach England verkauft.<br />
Mit dem allmählichen und dann totalen<br />
Niedergang der Nachfrage nach Gerbrinde,<br />
Rebpfählen und Brennholz nahm<br />
die Bedeutung der Kastanie über das ganze<br />
20. Jahrhundert hinweg stetig ab. Viele Kastanienflächen<br />
wurden vor allem nach dem<br />
zweiten Weltkrieg in ertragreichere Nadelholzwälder<br />
umgewandelt, weil eine finanzielle<br />
Perspektive fehlte. Die verbliebenen<br />
ehemaligen Kastanienniederwälder wurden<br />
häufig durchwachsen gelassen (d. h. nicht<br />
mehr regelmäßig genutzt). Sie wurden damit<br />
immer vorratsreicher, und die Stämme<br />
wurden immer dicker.<br />
In der jüngsten Zeit erkannte man die<br />
Bedeutung des Baumes für Ökologie und<br />
Landschaft mehr und mehr. Gerade touristisch<br />
ist der Kastanienwald sehr bedeutsam<br />
wegen seiner landschaftlichen Schönheit<br />
und der Attraktivität seiner Früchte. Auch<br />
20 proWALD : JULI | 2007<br />
das Wild schätzt die Kastanie, sei es im <strong>Wald</strong><br />
als Futter oder spätestens als Füllung und<br />
Beilage auf dem Teller!<br />
Neue Vermarktungsstrategien haben<br />
der Kastanie Auftrieb gegeben. Die Besonderheiten<br />
des Kastanienholzes bestehen<br />
vor allem in seiner Fäuleresistenz, die eine<br />
Verwendung im Außenbereich auch ohne die<br />
Anwendung von Holzschutzmitteln erlaubt.<br />
Die Hinwendung zu ökologisch vorteilhaften<br />
Baumaterialien beflügelte daher das<br />
Interesse an der Holzart neu. Kastanienholz<br />
in geringen Durchmessern wird daher unimprägniert<br />
unter anderem im Lawinenbau<br />
verwendet oder als Palisadenholz auf Spielplätzen.<br />
Darüber hinaus ist die Kastanie so<br />
vielseitig verwendbar wie kaum eine andere<br />
Baumart, z. B. als Parkettholz, Möbelholz,<br />
Fassholz, Schindelholz, Bauholz etc.<br />
Einen starken Impuls für den Absatz von<br />
Kastanienholz hat der Sturm »Lothar« 1999<br />
geliefert, weil damals nennenswerte Flächen<br />
mit Anteilen von stärkerem Holz geworfen<br />
wurden. Das erhöhte Holzangebot brachte<br />
Käufer (in der Regel Holzhändler) auf den<br />
Plan, die sich die gewünschten Qualitäten<br />
zunächst meist selbst im Bauernwald<br />
heraussuchten. Nachteilig ist bei diesem<br />
Verkaufsverfahren, dass im privaten Einzelbetrieb<br />
oft nur geringe Fachkenntnisse zur<br />
Kastanienholzsortierung und -vermarktung<br />
vorhanden sind und häufig nur schwer zu<br />
verkaufende Kleinmengen anfallen. Bei diesen<br />
»freihändigen Verkäufen« werden naturgemäß<br />
für besonders wertvolle Qualitäten<br />
keine maximalen Preise erzielt.<br />
Hier greift die forstliche Beratung der<br />
Kollegen vom Amt für <strong>Wald</strong>wirtschaft an.<br />
Zum einen bündeln die Forstrevierleiter<br />
die geringen Angebotsmengen<br />
des<br />
einzelnen Privatwaldbesitzersbesitzübergreifend<br />
zu den<br />
vom Holzkunden gewünschten<br />
größeren<br />
Verkaufseinheiten.<br />
Eine Vielzahl von<br />
kleineren Mengen<br />
wird dadurch erst<br />
vermarktungsfähig.<br />
<strong>Der</strong> Förster hilft dem<br />
<strong>Wald</strong>besitzer außerdem<br />
bei der Sortierung<br />
des Holzes<br />
und berät bezüglich<br />
eines aktuellen und<br />
reellen Verkaufspreises.<br />
Außer dieser »Standardware« finden<br />
sich zudem immer wieder Einzelstämme<br />
mit Spitzenqualitäten in den Holzhieben.<br />
Solche Hölzer werden seit ca. fünf Jahren<br />
gezielt auf Sammellagerplätzen im Rahmen<br />
der Wertholzsubmission des Amtes für<br />
<strong>Wald</strong>wirtschaft zum Kauf angeboten. Durch<br />
das deutschlandweit nach Menge und Qualität<br />
einmalige Angebot an Kastanienholz<br />
lockt die Ortenauer Kastanie zunehmend<br />
mehr Interessenten bei steigenden Preisen<br />
an und hat sich inzwischen den Ruf eines<br />
»Spezialitätenmarktes« erworben.<br />
Durch die verbesserte Vermarktung gewinnt<br />
die Kastanie zurzeit wieder vermehrt<br />
Wertschätzung bei den <strong>Wald</strong>besitzern, die<br />
Tendenzen zur Umwandlung der Bestände<br />
in Nadelholz gehen zurück, es werden<br />
sogar wieder Kastanien im <strong>Wald</strong> gepflanzt.<br />
Die Vermarktungshilfe des Amtes für <strong>Wald</strong>wirtschaft<br />
für die Kastanie verbessert somit<br />
nicht nur die wirtschaftliche Situation der<br />
Privatwaldbesitzer, sondern trägt auch zum<br />
Schutz und zur Erhaltung der Baumart im<br />
Sinne des Prinzips »Schutz durch Nutzung«<br />
bei.<br />
Und weil die Kastanie ein Baum ist, der<br />
es gerne warm mag, deutet sich hier in Zusammenhang<br />
mit der Klimaerwärmung eine<br />
erhebliche Zunahme der Kastanienfläche im<br />
Ortenaukreis an. Im Stadtwald Renchen sind<br />
z. B. in den letzten zehn Jahren nach den Ergebnissen<br />
der laufenden Forsteinrichtungserneuerung<br />
nicht weniger als 25 % der verjüngten<br />
Fläche Esskastanienkulturen!<br />
n<br />
FD a.D. Dr. Walter Lang war Leiter des Forstamtes<br />
Oberkirch. Bilder: pixelquelle.de
Wenn im Ruhrgebiet Zechen schließen, die<br />
Schwerindustrie abwandert, dann treibt dieser<br />
Prozess nicht nur Politikern Schweißperlen<br />
auf die Stirn, sondern fordert Städte- und<br />
Landschaftsplaner dazu heraus, sich schleunigst<br />
neue Gedanken zu machen über die<br />
Zukunft aufgelassener Industriebrachen.<br />
Denn was aktuell im Ruhrgebiet geschieht,<br />
ist zunächst einmal eine eher außerplanmäßige<br />
Entwicklung: <strong>Der</strong> Ballungsraum zeigt<br />
Auflösungserscheinungen. In seiner Mitte<br />
entstehen freie Areale. Weiße Flecken auf<br />
den Karten der Städteplaner. Schätzungen<br />
über deren Umfang reichen von 5.000 bis<br />
10.000 ha. War die Lebenssituation der etwa<br />
5 Millionen Menschen des urban-industriell<br />
geprägten Siedlungsraumes bisher eher<br />
von räumlicher Enge und dem gnadenlosen<br />
Rhythmus industrieller Produktionsvorgänge<br />
bestimmt, so entstehen plötzlich neue<br />
Weiten. Mitten im Revier. Entschleunigte<br />
Ruheräume, direkt vor den Haustüren.<br />
P i o n i e r b ä u m e<br />
wandern ein. Leise<br />
und zunächst fast<br />
unbemerkt fliegen<br />
Birken und Salweiden<br />
auf Bergehalden,<br />
vormaligen<br />
Zechen- und Kokereistandorten<br />
an.<br />
Filigranes Grün auf<br />
schwarzem, sonnendurchglühtemBergematerial,<br />
schroffer<br />
können Gegensätze<br />
kaum sein. Betupft<br />
durch violette und<br />
weiße Blüten des<br />
Sommerflieders, ge-<br />
Was <strong>Wald</strong> alles kann:<br />
<strong>Wald</strong> auf Kohlehalden<br />
Industriefolgewald im Ruhrgebiet<br />
säumt durch gelben Flor des Schmalblättrigen<br />
Greiskrautes. Die Menschen erkennen<br />
den Wandel auf den Flächen und nehmen<br />
daran Anteil: Warum blüht denn das Greiskraut<br />
im Herbst statt im Frühjahr? Sie erfahren,<br />
dass es von der südlichen Erdhalbkugel<br />
stammt, über Rotterdam aus Südafrika eingeschleppt<br />
wurde und sich nun besonders<br />
auf kargen und fast vegetationslosen Flächen<br />
ausbreitet. Sie beobachten, dass sich<br />
im Laufe der Jahre auch ein zweiter Blühaspekt<br />
im Frühjahr einstellt, die Pflanze sich<br />
also an die für sie neuen Jahreszeiten auf<br />
unserer Erdhälfte anpasst. In den Medien<br />
erfahren sie etwas über »Neophyten« und<br />
lernen, dass die Robinien, die sie von Stabilisierungs-<br />
und Begrünungsmaßnahmen an<br />
Böschungen her kennen, ebenfalls dazugehören.<br />
Begierig erschließen auch diese Bäume<br />
die neuen Lebensräume, unterminieren<br />
mit ihren Wurzeln die Brachen und brechen<br />
inmitten der jungen Birken hervor. Duftende,<br />
weiße Blütentrauben pendeln friedlich<br />
von Michael Börth<br />
im sommerwarmen Juniwind. Aber haben<br />
denn diese Bäume hier etwas zu suchen? Sie<br />
waren doch eigentlich für eher technische<br />
Funktionen der Bodenstabilisierung auf anderen<br />
Einsatzorten vorgesehen. Läuft hier<br />
etwas aus dem Ruder? Geschieht hier gar<br />
etwas Subversives? Wildnis in der Stadt?<br />
Erste Imker haben die Gunst der Stunde<br />
erkannt und produzieren Robinienhonig<br />
von der Halde: einen süßen Schmelz mit<br />
dem besonderen Beigeschmack eines Strukturwandels<br />
der anderen Art.<br />
Natur regt sich, Flächeneigentümer<br />
werden unruhig. Denn wo Grün entsteht,<br />
erwachsen auch Rechtsfolgen. Ausgleichspflicht<br />
ist das Stichwort. Gern würden die<br />
Bergbaubetriebe und Industrietreibenden<br />
ihre ehemaligen Produktionsstandorte an<br />
Investoren vermarkten und so einer anderen,<br />
einer höherwertigen Nutzung zuführen.<br />
Die Bemühungen sind vielfältig, Erfolge stellen<br />
sich nur schleppend ein. Ist Natur auf<br />
Industriebrachen<br />
nicht ein Investitionshindernis,<br />
wenn<br />
zum Ausgleich für<br />
notwendige Naturbeseitigungen<br />
an<br />
anderer Stelle Ersatz<br />
geschaffen werden<br />
muss?<br />
Um dies auszuschließen,kultivierten<br />
die Flächeneigentümer<br />
ein<br />
Verfahren, das die<br />
Entstehung einer<br />
Vegetationsdecke<br />
von vornherein unterband.<br />
Sie zogen<br />
JULI | 2007 : proWALD 21
ihre Flächen periodisch schwarz, entfernten<br />
mit einem enormen Aufwand an Maschinen<br />
und fossilen Energieträgern jeden Pflanzenanflug.<br />
CO ² wurde freigesetzt zur Vernichtung<br />
einer Vegetation, die in gewissen<br />
Maßen auch zur Bindung von Kohlendioxyd<br />
beitragen konnte, bis die Landesregierung<br />
NRW auf diesen Wahnsinn mit einer Änderung<br />
des Landschaftsgesetzes reagierte und<br />
Zugriffe auf bewaldete Industriebrachen<br />
von der Ausgleichspflicht freistellte.<br />
Damit wurde für die Flächeneigner »Natur<br />
auf Zeit« bis zum Investitionszeitpunkt<br />
eine denkbare Option. Die Regierung ging<br />
sogar noch einen Schritt weiter. Sie eröffnete<br />
den Eigentümern die Möglichkeit, sich<br />
die Ergebnisse der natürlichen Entwicklungen<br />
auf ihren Flächen auf Ökokonten<br />
gutschreiben zu lassen, soweit sich für die<br />
Brachen doch keine Käufer finden ließen<br />
22 proWALD : JULI | 2007<br />
und die Flächen daher frei von Bebauungen<br />
blieben. Im Falle einer Ausgleichspflicht an<br />
anderer Stelle kann nun auf das Punktepolster<br />
zurückgegriffen werden. Oder die Ökopunkte<br />
können an Dritte vermarktet werden:<br />
Ökotrading. Kritiker der Gesetzesänderungen<br />
argwöhnen, ein Ausnahmetatbestand<br />
werde auf diese Weise zu einem Routineprozess<br />
umfunktioniert, Naturzerstörung zum<br />
Tagesgeschäft. Die Menschen an Ruhr und<br />
Emscher erkennen jedoch, dass sich nun<br />
mehr und mehr Flächen begrünen dürfen<br />
und die Natur zu ihnen kommen kann. Im<br />
Wege der natürlichen Sukzession. Damit<br />
hat die Landesregierung ein wichtiges Ziel<br />
erreicht. Doch wie soll es weitergehen? Was<br />
geschieht mit dem neuen grünen Pelz? Diese<br />
Frage ruft die Forstleute auf den Plan.<br />
<strong>Wald</strong> ist das Endglied einer ungehinderten<br />
Pflanzenentwicklung unter mitteleuropäischen<br />
Verhältnissen, also auch<br />
auf Industriebrachen. Dieser wandert nun<br />
nach Aufgabe industrieller Nutzungen ins<br />
Herzgebiet der Schwerindustrie, ins Land<br />
des Rußes, Lärms und Staubes ein, ohne<br />
menschliches Zutun und mit der ihm eigenen<br />
Beständigkeit. Eine geradezu paradoxe<br />
Situation. Försterinnen und Förster haben<br />
gelernt, genau hinzusehen, solche natürlichen<br />
Prozesse zu identifizieren, die ihre Bemühungen<br />
um den Erhalt und die Stabilisierung<br />
der Wälder unterstützen, und sie dann<br />
in ihre Handlungskonzepte aufzunehmen.<br />
<strong>Der</strong> Terminus hierfür lautet »biologische Automation«.<br />
Jeder Hektar, der auf natürliche<br />
Weise zu <strong>Wald</strong> wird, erspart etwa 5.000,00 €<br />
Aufforstungskosten. Also wird dieser Entwicklungsprozess<br />
zunächst einmal positiv<br />
zur Kenntnis genommen und zu einem Konzept<br />
erhoben, dessen Motto lautet: Mit dem<br />
Industriefolgewald schaffen wir einen völlig<br />
neuen Freiraumtyp im Ballungsraum, der<br />
weder klassischer <strong>Wald</strong> im herkömmlichen<br />
Sinne, noch typische Park- oder Grünanlage,<br />
noch gewöhnliche Rekultivierungsfläche ist.
Ein Freiraumtyp mit Alleinstellungsmerkmalen,<br />
der die Vergangenheit des<br />
Ruhrgebietes nicht verhehlt, sondern in<br />
seine Entwicklung einbezieht und dadurch<br />
dem alten Industrieraum seine einzigartige<br />
Identität erhält: Die Böden bleiben, so weit<br />
es verantwortbar ist, unverändert. Industrielle<br />
Infrastruktur, z. B. Industriestraßen,<br />
Gleis- und Rohrleitungsbündel, werden<br />
vielfach genau so erhalten, wie erhaltenswerte<br />
Industriearchitektur. Dazwischen<br />
»nischt« und schiebt sich der neue <strong>Wald</strong><br />
ein, bildet Kulissen, versperrt alte Verbindungen,<br />
zwingt zu Neuorientierung. Seine<br />
Zusammensetzung ist geprägt durch Pionierbaumarten,<br />
allerdings durchsetzt mit<br />
hohen Anteilen von Neophyten. Diese werden<br />
hier jedoch nicht als Kulturhindernisse,<br />
sondern als willkommene Gäste betrachtet,<br />
sie reichern an, statt zu verdrängen, sie bilden<br />
eine Artenressource, die vielleicht einmal<br />
von Bedeutung sein könnte, wenn die<br />
Wirkungen des Klimawandels den bisher<br />
einheimischen Arten das Überleben erschweren.<br />
Biodiversität im Ballungsraum,<br />
<strong>Wald</strong> mit Wildnismerkmalen. Zum Null-<br />
Kosten-Tarif und mit einer weitgehenden<br />
Freistellung der Flächenbesitzer von Verkehrssicherungspflichten,<br />
denn nach den<br />
einschlägigen <strong>Wald</strong>gesetzen des Bundes<br />
und des Landes erfolgt das Betreten des<br />
<strong>Wald</strong>es auf eigene Gefahr.<br />
So weit, so gut! Ein Konzept zu haben,<br />
ist das eine. Das Konzept auch mit Leben<br />
zu erfüllen, ein weiterer Schritt, vor allem<br />
dann, wenn es nicht eigene Flächen, sondern<br />
Brachen Dritter betrifft, die erst einmal<br />
zur Bereitstellung ihrer ehemaligen Industrieareale<br />
bewegt werden müssen. So hat der<br />
Landesbetrieb <strong>Wald</strong> und Holz zusammen<br />
mit der Landesentwicklungsgesellschaft<br />
NRW das gemeinsame »Projekt Industriewald<br />
Ruhrgebiet« ins Leben gerufen. Ein<br />
Angebotsprojekt, dem sich interessierte<br />
Besitzer von Industriebrachen anschließen<br />
können. Dies erfolgt im Wesentlichen über<br />
Das Projekt Industriewald Ruhrgebiet<br />
Das Projekt ist als Kooperationsmodell zwischen dem Landesbetrieb <strong>Wald</strong> und Holz NRW<br />
und der LEG-Stadtentwicklung GmbH & Co. KG organisiert. Ihm sitzt als beschlussfassendes<br />
Gremium ein Sachverständigenrat vor. »Vor Ort« sind mit der Durchführung des<br />
Projekts das Forstamt Recklinghausen und die Forststation Rheinelbe betraut.<br />
Die Ansprechpartner:<br />
Geschäftsführung und Projektleitung:<br />
Michael Börth, Forstamt Recklinghausen, Westring 51, 45659 Recklinghausen<br />
Fon: 02361/9247-0, Fax: 02361/9247-85, Michael.Boerth@wald-und-holz.nrw.de<br />
Forststation Rheinelbe:<br />
Oliver Balke / Lutz Haß, Leithestraße 61 b, 45886 Gelsenkirchen, Fon: 0209/1474844<br />
Oliver.Balke@wald-und-holz.nrw.de, Lutz.Hass@wald-und-holz.nrw.de<br />
Kooperationsverträge, die ähnlich den Betriebsleitungs-<br />
und Beförsterungsverträgen<br />
Einzelheiten zur Flächenbehandlung, Möglichkeiten<br />
der Teilhabe an öffentlichen Förderprogrammen<br />
und darüber hinaus Details<br />
zur Einrichtung und Führung der Ökokonten<br />
regeln. Allerdings gibt es auch Pachtverträge<br />
des Landesbetriebes mit Flächenbesitzern,<br />
und in einem Fall ist das Land sogar Eigentümerin<br />
einer Fläche. Sitz des Projektes ist<br />
zurzeit das Forstamt Recklinghausen (siehe<br />
Kasten).<br />
Industriefolgewald dient den Menschen<br />
des Ruhrgebietes. Er kommt auf sie<br />
zu, lädt sie ein, regt sie an, manchmal regt er<br />
auch auf. Er macht kreativ, er ist zum Anfassen,<br />
zur Selbst-Aneignung da. Zechenzäune<br />
werden niedergelegt, Mauern erhalten Tore,<br />
verbotene Stätten werden geöffnet, Wege<br />
angelegt. Dieser <strong>Wald</strong> ist eine Art Ausgleichsfläche<br />
für eine ansonsten zutiefst verregelte<br />
und, wenn man es überspitzt formuliert,<br />
JULI | 2007 : proWALD 23
zuweilen für Menschen bis zur Leblosigkeit<br />
durchgeplante Landschaft.<br />
Wildnis wird in Szene gesetzt. Ein Landschaftskünstler<br />
schafft einen Skulpturenwald,<br />
schöpft die Himmelstreppe als eine<br />
der wichtigsten Landmarken im Emscherraum.<br />
Landart im Industriefolgewald. Theaterleute<br />
entdecken auf diesen Brachen neue<br />
Spielräume, führen dort den »Sturm« von<br />
Shakespeare auf. Es gründet sich ein Verein<br />
zum Industriewald.<br />
Kirchengemeinden erfahren, dass die<br />
Schöpfung in ihrer Mitte nicht zu Ende ist,<br />
sondern sich die Natur auf verbrauchten<br />
Flächen wieder einstellt, in einer neuen Ge-<br />
24 proWALD : JULI | 2007<br />
stalt. Es werden Gottesdienste gefeiert, Posaunenschall<br />
in ehemaligen Industriehallen.<br />
Prozessionen führen in den Industriewald,<br />
Ökumene wird gelebt. Kann Industriewald<br />
als neuer gemeinsamer Gestaltungsraum<br />
sogar Religionen zusammenführen?<br />
<strong>Der</strong> Werkbund des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen, ein Zusammenschluss von<br />
Künstlern, Architekten, Städteplanern,<br />
Hochschullehrern, möchte Lebensqualität<br />
durch Ästhetik schaffen. Er erkennt im Industriefolgewald<br />
eine besondere Perspektive<br />
für das Ruhrgebiet, nimmt sich seiner an<br />
und integriert die konzeptionellen Ideen um<br />
diesen neuen Freiraumtyp in seine Konzep-<br />
te. Erstmalig wird ein Forstbeamter in seine<br />
Reihen berufen.<br />
Kinder und Jugendliche aus umliegenden<br />
Kindergärten und Schulen werden<br />
behutsam an diese andere Natur herangeführt,<br />
erlernen motorische Fähigkeiten in<br />
stark gelüftetem Gelände, bekommen Zeit<br />
zu kommunizieren, statt zu konsumieren,<br />
kooperieren statt zu konkurrieren. Sie entwickeln<br />
so etwas wie Heimatgefühle in einem<br />
Raum, in dem doch nicht alles verboten<br />
zu sein scheint. Sie dürfen sich ausprobieren,<br />
sie bekommen Bestätigung, sie lernen,<br />
sich auszukennen, sie werden kompetent.<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
erkunden die Besiedlung der Flächen durch<br />
Pflanzen und Tiere, die Nutzung der Flächen<br />
durch die Menschen.<br />
Das Projekt erregt internationale Aufmerksamkeit.<br />
Ein Kongress beschäftigt sich<br />
mit dem Thema »Urwald in der Stadt«. Das<br />
europäische Forum urbaner <strong>Wald</strong>wirtschaft<br />
tagt unter dem Thema »Neue Wälder nach<br />
alten Industrien« auf der Herzfläche des Projekts<br />
Industriewald Ruhrgebiet, der Fläche<br />
Rheinelbe in Gelsenkirchen-Ückendorf.<br />
Eine Stadt des Ruhrgebiets entdeckt den<br />
Industriefolgewald als weichen Standortfaktor,<br />
entwickelt im Rahmen der Bauleitplanung<br />
den Leitsatz »Wohnen an <strong>Wald</strong> und<br />
Wasser« und setzt ein hochwertiges Baugebiet<br />
an einem wunderschönen, alten Kanalhafen<br />
fest, umgeben vom zarten Grün des<br />
neuen <strong>Wald</strong>es.<br />
Industriefolgewald ist auch eine Stätte<br />
des Sports. Er wird zur Bühne für das größte<br />
Natursportereignis des Jahres, des Naturathlon-Treffpunkt<br />
<strong>Wald</strong>. Acht Teams durcheilen<br />
mit Fahrrädern ganz Deutschland vom<br />
Schwarzwald bis nach Berlin und machen<br />
Station auf Rheinelbe. Dort lernen sie diesen<br />
<strong>Wald</strong>typ kennen, der unverbrüchlich mit<br />
der Geschichte des Landes von Kohle und<br />
Stahl verknüpft ist und deshalb vom übrigen<br />
Mainstream-<strong>Wald</strong> absticht. Eine absolute<br />
Besonderheit des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
Sie werden erkennen, dass er durchaus<br />
Ansprüche an die sportliche Fitness stellt<br />
und viele Aufgaben bereithält, die mit seiner<br />
Heimat und der Vielfalt seiner Erscheinungsbilder<br />
zu tun haben. Lebensvielfalt<br />
im Ballungsraum, Utopie oder Wirklichkeit?<br />
Man wird sehen.<br />
n<br />
Michael Börth ist Leiter des<br />
Forstamtes Recklinghausen.<br />
Bilder: Dr. Joachim Weiss und Peter Liedtke
Wasser Wasser Wasser ...<br />
<strong>Der</strong>zeit leben ca. 6,6 Milliarden Menschen<br />
auf unserer Erde. Ihr wichtiges Grundlebensmittel<br />
ist Wasser, ein Leben (und Überleben)<br />
ohne Wasser ist nicht denkbar. Dieses<br />
lebensnotwendige Wasser ist auf unserer Erde<br />
auch reichlich vorhanden. Aus dem Weltraum<br />
betrachtet, erscheint die Erde uns als<br />
blauer Planet, weil mehr als zwei Drittel ihrer<br />
Oberfläche von Wasser bedeckt sind.<br />
Leider ist von diesen riesigen Wassermengen<br />
aber nur ein kleiner Teil für den Menschen<br />
nutzbar. Lediglich 2,5 % der auf der Erde vorhanden<br />
Wassermenge sind Süßwasser, der<br />
»Rest« des Wassers ist salzig und schwappt in<br />
den Weltmeeren. Hinzu kommt, dass nur ein<br />
Fünftel (insgesamt 0,5 % der Gesamtwassermenge)<br />
des Süßwassers für Mensch und Tier<br />
erreichbar ist. <strong>Der</strong> übrige Süßwasservorrat<br />
besteht aus Eis an den Polen und ist in den<br />
Gletschern der Erde gebunden.<br />
Wie klein die weltweite Menge von<br />
Süßwasser ist, soll der folgende Vergleich<br />
verdeutlichen: Entspräche alles Wasser der<br />
Erde der Füllung einer Badewanne, so wäre<br />
ein halbvoller Putzeimer davon Süßwasser.<br />
Von dieser Menge stünde flüssig jedoch nur<br />
der Inhalt eines Schnapsglases zum Leben<br />
von Menschen, Tieren und Pflanzen zur Verfügung,<br />
der Rest im Eimer wären klirrende<br />
Eiswürfel.<br />
Und dieses Schnapsglas soll für alle<br />
Menschen, Tiere und Pflanzen dieser Welt<br />
reichen? Ja, denn Wasser wird nicht verbraucht<br />
wie eine Tafel Schokolade: angebissen,<br />
aufgegessen, weg. Wäre dies so, dann<br />
gäbe es längst kein Leben mehr auf unserem<br />
Planeten.<br />
Wasser wird nicht verbraucht. Kein<br />
Tropfen geht jemals verloren. Wasser befindet<br />
sich nämlich in einem beständigen<br />
Eine klare Sache:<br />
Wasser aus dem <strong>Wald</strong><br />
von Ursula Rüping<br />
Bild: pixelquelle.de<br />
JULI | 2007 : proWALD 25
Wisente in<br />
Hardehausen<br />
Ursprünglich lebten Wisente im größten Teil<br />
Europas. In den 1920er-Jahren wurden allerdings<br />
die letzten Tiere beider Linien, der<br />
Berg- und der Flachlandwisente, getötet.<br />
Die Zerstörung ihres Lebensraumes, Wilderei<br />
und Seuchen waren verantwortlich für<br />
das Verschwinden des Wisents. Das bis zu<br />
1000 kg schwere Tier lebt im <strong>Wald</strong> und ernährt<br />
sich hauptsächlich von Kräutern und<br />
Gräsern sowie von Blättern, Trieben und von<br />
der Rinde der <strong>Wald</strong>bäume. Ein ausgewachsener<br />
Wisent braucht je Tag zwischen 30<br />
und 45 kg Grünfutter und bis zu 4 kg holzige<br />
Nahrung. Seit nunmehr 50 Jahren ziehen<br />
wieder Wisente durch Ostwestfalens Wälder<br />
– wenn auch nur hinter Zäunen. Das letzte<br />
europäische Wildrind hat in einem <strong>Wald</strong>gebiet<br />
des Forstamtes Bad Driburg nahe dem<br />
Klosterdorf Hardehausen eine Zuflucht gefunden.<br />
Bis zum heutigen Tag wurden hier<br />
133 Kälber der Berg-Linie geboren. Seit 2002<br />
gibt es in Hardehausen auch ein zweites, abgetrenntes<br />
Gehege, in dem ein weiterer Beitrag<br />
zum Wisent-Erhalt, nämlich der Flachland-Wisente,<br />
geleistet wird.<br />
n<br />
Rainer Glunz, Forstamt Bad Driburg<br />
www.forstamt-baddriburg.nrw.de/wisent.htm<br />
Kreislauf, der alle Wasservorräte in ganz verschiedenen<br />
Zeiten immer wieder erneuert.<br />
Das heißt, Wasser verschwindet nicht. Es ist<br />
nur gerade irgendwo anders. Das Wasser der<br />
Erde befindet sich in einem permanenten<br />
Kreislauf von Niederschlag, Verdunstung<br />
und Abfluss. Durchschnittlich gelangen in<br />
etwa 800 l pro m² und Jahr Niederschlag als<br />
Regen, Nebel oder Schnee auf die Bodenoberfläche.<br />
Durch die Verdunstung von Oberflächen<br />
und Pflanzendecken geht ein Großteil<br />
davon wieder in die Atmosphäre zurück,<br />
ein geringerer Teil gelangt in die oberirdi-<br />
26 proWALD : JULI | 2007<br />
schen Gewässer und in das Grundwasser<br />
und steht damit als »nutzbares« Wasser zur<br />
Verfügung.<br />
Deutschland zählt zu den wasserreichen<br />
Ländern. Von der nutzbaren Wassermenge<br />
(Grund- plus Oberflächenwasser, das theoretisch<br />
verfügbar ist) werden insgesamt<br />
rund 20 % genutzt.<br />
Die Wasserentnahmen, also die Wassermenge,<br />
die von den drei größten Hauptnutzergruppen<br />
– den Wärmekraftwerken, dem<br />
Bergbau und dem verarbeitenden Gewerbe<br />
und der öffentlichen Wasserversorgung – gewonnen<br />
wurde, betrugen im Jahr 2004 etwa<br />
35,6 Mrd. m³.<br />
<strong>Der</strong> Wasserbedarf der privaten Haushalte<br />
(ca. 5,3 Mrd. m³) macht nur ca. 15 % an<br />
der Gesamtentnahme aus. <strong>Der</strong> wesentliche<br />
Anteil der Wassergewinnung entfällt mit<br />
85 % auf den industriellen Bereich. Davon<br />
werden knapp 75 % von Wärmekraftwerken<br />
vor allem für Kühlzwecke entnommen (ca.<br />
22,6 Mrd. m³), und gut 25 % benötigt der Bereich<br />
Bergbau und verarbeitendes Gewerbe<br />
für Produktionsprozesse (ca. 7,7 Mrd. m³).<br />
Das Gesamtvolumen von 35,6 Mrd. m³<br />
entspricht damit weniger als 20 % des potenziellen<br />
Wasserangebotes, d. h., 80 % des<br />
Wasservorrates werden gegenwärtig nicht<br />
genutzt. In Deutschland stehen also generell<br />
ausreichende Reserven an Wasser zur<br />
Verfügung, auch wenn es regionale und<br />
saisonale Engpässe gibt. Unerschöpfliche<br />
Wasserressourcen sind aber keinesfalls eine<br />
Selbstverständlichkeit. In vielen Teilen<br />
der Erde übersteigt der Wasserverbrauch<br />
das erneuerbare Wasservolumen. In vielen<br />
europäischen Ländern bedarf es in Zukunft<br />
massiver Anstrengungen, den Wasserbedarf<br />
(regional) zu decken und die Qualität<br />
des Wassers zu erhalten bzw. zu verbessern.<br />
Insbesondere vor diesem Hintergrund wurde<br />
die europäische Wasserrahmenrichtlinie<br />
(Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen<br />
Parlamentes und des Rates vom 23. Oktober<br />
2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens<br />
für Maßnahmen der Gemeinschaft im<br />
Bereich der Wasserpolitik) erlassen, deren<br />
erster Erwägungsgrund lautet: »Wasser ist<br />
keine übliche Handelsware, sondern ein<br />
ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und<br />
entsprechend behandelt werden muss.«<br />
Wem gehört eigentlich das Wasser? In<br />
der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ist das<br />
Nutzungsrecht des Grundstückseigentümers<br />
am Gewässer vielfältig und teilweise<br />
gravierend eingeschränkt worden. Vor allem<br />
13%<br />
4% 3%<br />
80%<br />
Ungenutzt<br />
Wärmekraftwerke<br />
für die öffentliche<br />
Versorgung<br />
Bergbau und<br />
Verarbeitendes Gewerbe<br />
Öffentliche<br />
Wasserversorgung<br />
Wasserdargebot und Wassernutzung<br />
in Deutschland 2004<br />
das sich durchsetzende Gebot der gemeinverträglichen<br />
Gewässernutzung schmälerte<br />
die Nutzungsbefugnisse. Das Wasserhaushaltsgesetz<br />
(Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts<br />
vom 27.7.1957) beendete diese<br />
Entwicklung, indem es die Gewässer einem<br />
öffentlichen Bewirtschaftungsregime unterwarf<br />
und jede Benutzung des Gewässers unter<br />
den Vorbehalt einer behördlichen Erlaubnis<br />
oder Bewilligung stellte. Zudem wurde<br />
geregelt, dass das Grundeigentum nicht zu<br />
einer Gewässerbenutzung berechtigt.<br />
Das ober- und unterirdische Wasser<br />
wird durch das Wasserhaushaltsgesetz einer<br />
vom Grundeigentum losgelösten öffentlichrechtlichen<br />
Benutzungsordnung unterstellt<br />
und der Allgemeinheit zugeordnet. Insbesondere<br />
aufgrund der lebensnotwendigen<br />
Bedeutung der Ressource Wasser wurde<br />
das öffentlich-rechtliche Bewirtschaftungsregime<br />
etabliert. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat diese Konzeption in seinem<br />
berühmt gewordenen »Naßauskiesungsbeschluss«<br />
ausdrücklich für vereinbar mit<br />
Art. 14, Abs. 1 GG erklärt. Das Bundesverfassungsgericht<br />
geht davon aus, dass die Gewährleistung<br />
des Eigentums nicht angetastet<br />
wird, wenn für die Allgemeinheit lebensnotwendige<br />
Güter zur Sicherung überragender<br />
Gemeinwohlbelange und zur Abwehr von<br />
Gefahren nicht der Privatrechtsordnung,<br />
sondern einer öffentlich-rechtlichen Ordnung<br />
unterstellt werden.<br />
Geld für Wasser aus dem <strong>Wald</strong>? Wenn<br />
man zu Hause den Wasserhahn aufdreht,<br />
kann man den <strong>Wald</strong> »rauschen« hören, denn<br />
sehr oft kommt unser Trinkwasser aus dem<br />
<strong>Wald</strong>. Von den Wasserversorgungsunternehmen<br />
wird Wasser aus <strong>Wald</strong>gebieten aufgrund<br />
seiner besseren Qualität gegenüber solchem<br />
aus überwiegend landwirtschaftlich genutzten<br />
Einzugsgebieten bevorzugt. Ausschlaggebend<br />
hierfür sind die niedrigere Nitratbelastung,<br />
geringere Mengen an Pestiziden<br />
und anderen Schadstoffen. In der Regel tritt
durch die guten Infiltrationsbedingungen,<br />
die der Boden unter <strong>Wald</strong> aufweist und die<br />
den Anteil des oberflächigen Abflusses gering<br />
halten, eine zusätzliche chemische Reinigung<br />
bei der Tiefensickerung hinzu.<br />
<strong>Wald</strong> wird häufig als natürlicher Wasserspeicher<br />
bezeichnet. <strong>Der</strong> oberflächliche<br />
Wasserabfluss ist hier besonders gering. <strong>Der</strong><br />
<strong>Wald</strong>boden saugt die Niederschläge wie ein<br />
Schwamm auf und gibt sie dann langsam<br />
wieder an das Grundwasser ab. Flächig betrachtet,<br />
ist die Qualität der Grundwasserneubildung<br />
im <strong>Wald</strong> hinsichtlich der Vorgaben<br />
der Trinkwasserverordnung als sehr gut<br />
einzustufen.<br />
Die forstlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen<br />
(insbesondere Baumartenwahl,<br />
Erstaufforstung, Verjüngungsverfahren und<br />
Bestandespflege) sind besonders relevant<br />
für die Grundwasserneubildung und die<br />
Grundwasserqualität. Auch Maßnahmen<br />
wie Kalkung, Verzicht auf Pflanzenschutzmittel,<br />
Vollbaumnutzung und Verzicht auf<br />
Kahlschlag können positiven Einfluss auf die<br />
Gewässerqualität und –quantität haben. <strong>Der</strong><br />
Maßstab für die Beurteilung waldbaulichen<br />
Handelns hinsichtlich des Grundwasserschutzes<br />
ist zunächst die Sickerwasserqualität<br />
unterhalb des Wurzelraumes. Zahlreiche<br />
Untersuchungen belegen, dass unter<br />
Nadelbäumen aus verschiedenen Gründen<br />
die Grundwasserbelastung stärker ist als unter<br />
Laubbäumen. Die Nitratkonzentration<br />
im Sickerwasser ist in Laubholzbeständen<br />
häufig geringer als in Nadelholzbeständen.<br />
Laub- und Nadelbäume unterscheiden sich<br />
beim Einfluss auf Qualität und Quantität<br />
des Grundwassers unter anderem in den<br />
folgenden Eigenschaften:<br />
s Unterschiedliche Sickermengen:<br />
Die größere Belaubungsdichte und die<br />
ganzjährige Belaubungszeit erhöhen die<br />
Interzeptionsrate in Nadelwäldern. In<br />
Laubwäldern wird deshalb mehr Grundwasser<br />
gebildet.<br />
s Unterschiede in der Ausfilterung von<br />
Schadstoffen aus der Atmosphäre:<br />
Im Vergleich zum Freiland kommt es<br />
aufgrund der großen Baumkronen in<br />
Wäldern fast immer zu einer Stoffanreicherung.<br />
Nadelbäume mit ihrer jahreszeitlich<br />
ununterbrochenen Benadelung<br />
filtern in der Regel deshalb größere<br />
Schadstoffmengen aus als Laubbäume.<br />
s Unterschiedliche Stoffspeicherung im<br />
Boden:<br />
Laubbaumbestände können aufgrund<br />
eines anderen Humuszustandes (meis-<br />
tens herrschen dort Mineralbodenhumusformen<br />
vor) in der Regel größere<br />
Stickstoffmengen in relativ stabilen Formen<br />
speichern.<br />
Durch den Umbau von Nadelwaldbeständen<br />
zu Laub- oder Laubmischbeständen könnte<br />
demgemäß eine Erhöhung der nitratarmen<br />
Grundwasserneubildung erreicht werden.<br />
Für die Forstbetriebe auf lokaler Ebene<br />
kann festgestellt werden, dass es eine Erfüllung<br />
sowohl des Gewässerschutzes als auch<br />
der optimalen Holzproduktion im »Kielwasser«<br />
eines einheitlichen <strong>Wald</strong>baukonzeptes<br />
häufig nicht gibt. Die jeweiligen waldbaulichen<br />
Behandlungskonzepte können gegensätzliche<br />
Vorgehensweisen und Bestrebungen<br />
bewirken. Zwischen der ökonomischen<br />
Zielsetzung der Forstbetriebe und den Zielen<br />
der Wasserwirtschaft gibt es keine automatische<br />
Kongruenz der Ziele. Die <strong>Wald</strong>besitzer<br />
differenzieren unter Abwägung ihrer<br />
betrieblichen Ziele ihr forstbetriebliches<br />
Angebot und passen es an die jeweiligen<br />
Bedürfnisse an. Aus wasserwirtschaftlicher<br />
Sicht sind meistens zum Teil speziell auf<br />
den Wasserschutz ausgerichtete forstliche<br />
Bewirtschaftungsmaßnahmen wünschenswert.<br />
Eine gezielt auf Wasserqualität und<br />
–quantität ausge-<br />
richtete forstliche<br />
Bewirtschaftung<br />
könnte aus ökonomischer<br />
Sichtweise<br />
der Forstbetriebe in<br />
Zukunft als forstlicheWasserschutzdienstleistung<br />
für<br />
die Wasserwirtschaft<br />
betrachtet<br />
werden. In einigen<br />
B u n d e s l ä n d e r n<br />
(z. B. Niedersachsen,<br />
Hessen und<br />
Bayern) wurden<br />
bereits Kooperationen<br />
auf freiwilliger<br />
Basis eingegangen,<br />
bei denen die<br />
forstwirtschaftlichenWasserschutzdienstleistungen<br />
vergütet werden.<br />
Allerdings zeigt<br />
sich auch, dass<br />
die Vergütung von<br />
W a s s e r s c h u t z -<br />
dienstleistungen in<br />
Deutschland zurzeit auf wenige Beispiele<br />
beschränkt ist. Einerseits müssen die forstwirtschaftlichenGewässerschutzmaßnahmen,<br />
die über die Vorgaben der ordnungsgemäßen<br />
Forstwirtschaft hinausgehen, als<br />
besondere Wasserdienstleistungen Anerkennung<br />
finden. Auf der anderen Seite ist<br />
die Bereitschaft erforderlich, finanzielle Mittel<br />
für deren Vergütungen bereitzustellen.<br />
In manchen Gegenden mussten die<br />
<strong>Wald</strong>böden in den letzten Jahrzehnten so<br />
viele Schadstoffe aus Luft und Wasser herausfiltern,<br />
dass ihre »Pufferwirkung« nicht<br />
mehr ausreicht und das einst »klare« Grund-<br />
und Quellwasser heute mit Nitraten, Säuren<br />
und Schwermetallen belastet ist. Auch eine<br />
gewässerschutzorientierte <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />
kann diese Probleme nur mildern.<br />
Erst wenn es gelingt, den Eintrag von Luftschadstoffen<br />
deutlich zu reduzieren, werden<br />
die Schäden am Ökosystem <strong>Wald</strong> zurückgehen<br />
und damit die hochwertige Qualität des<br />
Trinkwassers aus dem <strong>Wald</strong> gesichert.<br />
n<br />
Ursula Rüping ist wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Institut für Forstökonomie<br />
der Universität Göttingen.<br />
»Hier hilft die Natur<br />
den Menschen bei ihrer Trauer<br />
und der <strong>Wald</strong> kann<br />
so bleiben wie er ist.«<br />
Bitte kleben Sie diesen Coupon auf eine Postkarte und senden ihn an folgende Adresse:<br />
Fried<strong>Wald</strong> GmbH . Im Leuschnerpark 3 . 64347 Griesheim<br />
Tel. 06155 848–100 . Fax 06155 848-111 . info@friedwald.de<br />
FriedWälder in Ihrer Nähe finden Sie unter www.friedwald.de<br />
Ich möchte mehr über<br />
Fried<strong>Wald</strong> wissen, bitte<br />
schicken Sie mir<br />
Informationsmaterial an<br />
folgende Adresse:<br />
Pro<strong>Wald</strong><br />
Name<br />
Straße<br />
PLZ/Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
JULI | 2007 : proWALD 27
Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden<br />
globalen Umweltveränderungen werden<br />
unsere Wälder völlig neuen Umweltfaktoren<br />
ausgesetzt sein, die sich in ihrer Kombination<br />
und Dynamik grundsätzlich von denen<br />
der Vergangenheit unterscheiden. Klimaveränderungen<br />
wie der Anstieg der Temperatur,<br />
die Veränderung der Niederschlagsverteilung<br />
und -intensität, die Häufung von Witterungsextremen<br />
wie Dürreperioden, Starkregen<br />
und Orkane, aber auch die Änderungen<br />
des chemischen Klimas, nämlich der rapide<br />
Anstieg von Kohlenstoffdioxid, die Versauerung<br />
und Nährstoffverarmung bei gleichzeitiger<br />
Stickstoff- und Ozon-Belastung – all<br />
das wird die ökologischen und ökonomischen<br />
Produktionsbedingungen der Forstwirtschaft<br />
tiefgreifend umkrempeln.<br />
Das fundamental Neue an dieser Situation<br />
besteht für die Forstwirtschaft darin, dass<br />
man nicht wie bisher aus den Erfahrungen<br />
der Vergangenheit das Handlungsmuster für<br />
die Zukunft ableiten kann. Da die zukünftigen<br />
Umwelteinflüsse und deren Zusammenwirken<br />
neuartig sind, brauchen wir auch Forschungsansätze,<br />
die eventuelle zukünftige<br />
Situationen auf Ökosystemebene simulieren<br />
können. Die Forschung muss die schlimmen<br />
Befürchtungen ernst nehmen und sie in der<br />
Praxis ausprobieren, im <strong>Wald</strong> eben.<br />
Diesem Zweck dient das Solling-Dach-<br />
Projekt. 1991 wurden in einem damals 58jährigen<br />
Fichtenwald unter den Baumkronen<br />
drei jeweils 300 m 2 große Dächer installiert<br />
(siehe Foto). Die Dächer mit einer Firsthöhe<br />
von 3,5 m sind mit einer hochtransparenten<br />
Kunststofffolie (Polycarbonat) eingedeckt.<br />
Somit wird der auf diese Dächer fallende<br />
28 proWALD : JULI | 2007<br />
REHA für den <strong>Wald</strong><br />
Das Solling-Dach-Projekt<br />
Bestandesniederschlag über ein Leitungssystem<br />
aufgefangen und in Vorratstanks geleitet.<br />
Dort kann die chemische Zusammensetzung<br />
des Wassers je nach Zielsetzung der<br />
Forschung verändert werden. Anschließend<br />
wird der so manipulierte Niederschlag mittels<br />
eines Sprinklersystems wieder auf den<br />
Boden unter den Fichten verregnet. Durch<br />
das Zwischenschalten der Vorratstanks können<br />
aber auch die Intensität und die Verteilung<br />
der Niederschläge variiert werden.<br />
Um seitliche Einflüsse zu vermeiden,<br />
wurden die 300 m 2 großen Flächen mit einem<br />
Betonrand umgeben, der die Wurzelsysteme<br />
voneinander abgrenzt. Ein in der<br />
Mitte der Anlage stehender Kran, der mit einer<br />
Gondel versehen ist, erlaubt eine separate<br />
Beregnung des Kronenraums der Bäume.<br />
Die Fichten wachsen auf einem Gestein<br />
aus mittlerem Buntsandstein, über den sich<br />
eine Schicht aus Braunerde breitet. Das Solling-Dach<br />
liegt 510 m ü. NN, der mittlere<br />
Jahresniederschlag beträgt 1090 mm, und<br />
die Jahresmitteltemperatur liegt bei 6,4 °C.<br />
Die natürliche und durch Übernutzung<br />
entstandene Nährstoffarmut des Bodens<br />
wurde durch sehr hohe Stoffeinträge weiter<br />
Grafik 1<br />
Abb. 3<br />
Feinwurzelmasse<br />
(Lamersdorf & Borken GCB 2004)<br />
lebend<br />
tot<br />
Kontrollfläche<br />
von Friedrich Beese<br />
verschärft. Grafik 2 zeigt die Entwicklung<br />
der Schwefel- und Stickstoffeinträge in einem<br />
benachbarten Fichtenaltbestand und<br />
macht den hohen Belastungsgrad deutlich.<br />
Die waagerechten Balken verdeutlichen<br />
die Schwefel- und Stickstoffniveaus in<br />
den Niederschlägen vor Beginn der Industrialisierung.<br />
Entsprechend diesen Niveaus<br />
wurden die Konzentrationen auf dem Entsauerungsdach<br />
eingestellt. Die Grafik zeigt<br />
aber auch, dass sich aufgrund der Luftreinhaltemaßnahmen<br />
seit Mitte der 80er-Jahre<br />
die Schwefeleinträge wieder denen der vorindustriellen<br />
Zeit angenähert haben.<br />
Mit diesen Dächern ist es möglich, den<br />
Wasserhaushalt und den der Bestände zu<br />
kontrollieren sowie die in den Niederschlägen<br />
enthaltenen Nähr- und Schadstoffe zu<br />
verändern. Die Schwerpunkte der bisherigen<br />
Forschungen lagen auf vier Gebieten:<br />
1) Wirkungen der Reduktion der Stoffeinträge<br />
auf vorindustrielles Niveau (Entsauerung)<br />
2) Simulation von Trockenphasen auf ökophysiologische<br />
Prozesse<br />
3) Speicherverhalten von Nitrat und Ammonium<br />
im Boden<br />
4) Speicherung und Umsatz von Kohlenstoff<br />
unter reduzierter Stoffbelastung<br />
Das Entsauerungsexperiment zeigte, dass<br />
es eine Rangfolge der Veränderungen in den<br />
verschiedenen Ökosystemkompartimenten<br />
gibt: Bodenlösung > Feinwurzeln > Nadeln<br />
> Wachstum. Es zeigte sich auch, dass<br />
die Änderungen nicht spontan verlaufen,<br />
sondern sich über Jahre erstrecken. Dies<br />
macht langfristige Beobachtungen, wie sie
seit Jahrzehnten im Solling und an anderen<br />
Orten durchgeführt werden, unbedingt erforderlich.<br />
So zeigten sich Verbesserungen<br />
des Stoffwechsels der Fichten z. B. erst nach<br />
sechs Jahren.<br />
Die Grafik 1 zeigt die Entwicklung der<br />
Feinwurzeln im Boden 12 Jahre nach Reduktion<br />
der Schwefel- und Stickstoffeinträge.<br />
<strong>Der</strong> Vergleich macht deutlich, dass sich<br />
nicht nur die Feinwurzelmasse stark erhöht<br />
hat, sondern dass auch der Umsatz der Wurzeln<br />
erhöht wurde, wie aus dem Totwurzelanteil<br />
zu ersehen ist. Diese Veränderung ist<br />
allein auf die Reduktion der Stoffe in der<br />
Bodenlösung zurückzuführen, da sich die<br />
anderen bodenchemischen Eigenschaften<br />
des Bodens nicht geändert haben.<br />
Trockenheit dagegen ist ein herausragender<br />
Auslöser für akute Stressphänomene.<br />
<strong>Der</strong> Puffer für die Wasserverfügbarkeit<br />
im System ist allein auf die effektive<br />
nutzbare Wasserkapazität im Wurzelraum<br />
beschränkt. Nach Ausschöpfung dieses Puffers<br />
reagieren die Bäume nicht nur mit einer<br />
Reduktion der Photosynthese, sondern die<br />
Reaktionen gehen bis zum Abwurf der Nadeln.<br />
Das Regenerationsvermögen der Bäume<br />
nach Wasserstress ist groß, sofern nicht<br />
Sekundärschäden (Borkenkäfer) auftreten.<br />
Allerdings kann durch wiederholten Stress<br />
das Anpassungsvermögen der Bäume überschritten<br />
werden, so dass es zum Absterben<br />
der Bäume kommt. Bei der Speicherung und<br />
dem Umsatz des zugeführten Stickstoffs lassen<br />
sich deutliche Unterschiede zwischen<br />
Ammonium und Nitrat erkennen, die beachtet<br />
werden müssen, wenn die langfristige<br />
Entwicklung abgeschätzt werden soll.<br />
Grafik 2<br />
Kronentraufe<br />
(kg ha -1 )<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
1969<br />
Abb. 2<br />
Solling Dachprojekt<br />
1973<br />
1977<br />
1981<br />
Die Unterschiede im Verhalten können<br />
nicht allein damit erklärt werden, dass es<br />
sich beim Ammonim um ein Kation handelt,<br />
das den Austauschprozessen im Boden<br />
unterworfen ist, und beim Nitrat um ein<br />
Anion, das rasch mit dem Wasser verlagert<br />
wird. Vielmehr sind Lebewesen beteiligt, die<br />
das Ammonium bevorzugen und immobilisieren.<br />
Generell ist festzustellen, dass für die<br />
Abschätzung zukünftiger umweltbedingter<br />
Entwicklungen und Risiken sowohl die<br />
zeitverzögert auftretenden Prozesse, die im<br />
Wesentlichen durch das chemische Klima<br />
beeinflusst werden, als auch die schnell<br />
ablaufenden Prozesse durch die Einwirkungen<br />
von Trockenheit, Frost, Stürmen oder<br />
Schädlingen sowie ihr Zusammenwirken<br />
berücksichtigt werden müssen. Die bisherigen<br />
Resultate des Solling-Dach-Projektes<br />
zeigen, dass eine optimale Gestaltung der<br />
langsam ablaufenden Ökosystemprozesse<br />
die Wirkungen extremer Umwelteinflüsse<br />
deutlich mindern kann. Daraus ergibt sich<br />
die Notwendigkeit zu überprüfen, ob unsere<br />
<strong>Wald</strong>ökosysteme sich hinsichtlich ihrer<br />
biotischen Komponenten und ihrer abiotischen<br />
Ausstattung in einem Zustand befinden,<br />
um sich den eingangs geschilderten<br />
zukünftigen Umweltbedingungen anpassen<br />
zu können. Dies muss noch in vielen Fällen<br />
verneint werden. Da die räumliche Zuordnung<br />
des Klimawandels und dessen Ausmaß<br />
heute noch recht unsicher sind, können<br />
die Maßnahmen der Forstwirtschaft nicht<br />
zielgerichtet erfolgen, sondern müssen auf<br />
möglichst große »Pufferung« auf biotischer<br />
und abiotischer Ebene zielen, d. h. den Bereich<br />
der langsam reagierenden Prozesse.<br />
n<br />
Prof. Friedrich Beese, Universität Göttingen<br />
1985<br />
1989<br />
seit 1991<br />
1993<br />
1997<br />
NO 3 -N + NH 4 -N<br />
SO 4 -S<br />
2001<br />
2005<br />
Daten: Meesenburg et al. 1997/2000/2006<br />
Destabilisierung von<br />
<strong>Wald</strong>ökosystemen:<br />
Ist der Prozess gestoppt?<br />
Aus der Vielzahl der Hypothesen, die zu Beginn<br />
der 80er-Jahre aufgestellt wurden, um<br />
die »<strong>Wald</strong>schäden« zu beschreiben, konnte<br />
ein Ursachenkomplex für die Destabilisierung<br />
der Wälder ermittelt werden, an dem<br />
der Mensch maßgeblich beteiligt ist. Die<br />
Wälder Mitteleuropas wurden vielfach jahrhundertelang<br />
übernutzt und ausgebeutet.<br />
Dies hatte zur Folge, dass die Böden stark<br />
versauerten und an Nährstoffen verarmten<br />
sowie ihre Artenvielfalt eingeschränkt wurde.<br />
Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts<br />
haben sich die Umweltbedingungen besonders<br />
stark verändert. 60 % der seit Beginn<br />
der Industrialisierung freigesetzten Säure<br />
wurden in diesem Zeitraum emittiert. Die<br />
Depositionsraten von Stickstoff überschreiten<br />
bei Weitem den Bedarf der <strong>Wald</strong>bäume.<br />
Die CO 2 -Konzentrationen liegen 30 % über<br />
denen der vorindustriellen Zeit, die des troposphärischen<br />
Ozons sogar um 100 %.<br />
Alle diese Änderungen wirken auf die<br />
Wälder, ihr Ausmaß hängt jedoch jeweils<br />
vom Standort und von der Standortgeschichte<br />
ab. Verallgemeinerungen von<br />
punktuell gemachten Beobachtungen können<br />
daher leicht zu Fehlinterpretationen<br />
führen. Auch lässt sich der Zustand des <strong>Wald</strong>es<br />
nicht allein aus dem Holzzuwachs ableiten,<br />
wie dies heute häufig gemacht wird. Ein<br />
<strong>Wald</strong> ist mehr als die Summe seiner Bäume<br />
und Schädigungen, seine Funktionen und<br />
Leistungen wirken auch auf seine Umwelt<br />
und den Menschen zurück. Diese Erkenntnis<br />
führte zu Maßnahmen zur Reduktion<br />
der Schwefeldioxid-Emissionen, der Stickoxid-<br />
und Schwermetall-Minderung, aber<br />
auch zur Kalkung großer Flächen und zum<br />
Beschleunigen des <strong>Wald</strong>umbaus. Alle diese<br />
Maßnahmen haben Wirkung gezeigt und<br />
ein gefährliches Großexperiment in unserer<br />
Umwelt weitgehend gestoppt, aber die labilen<br />
Zustände der Wälder noch nicht dauerhaft<br />
verbessert. Noch immer sind stoffliche<br />
Überlastungen erkennbar, wenngleich auf<br />
niedrigem Niveau. Völlig unbekannt sind<br />
die Langzeitwirkungen des »Cocktails« aus<br />
Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ammonium,<br />
Kohlenstoffdioxid und Ozon auf unsere<br />
Wälder, und dies vor dem Hintergrund sich<br />
ändernder Klimabedingungen. Zur Klärung<br />
dieser Fragen werden Großexperimente wie<br />
das Dach-Projekt auch weiterhin benötigt.<br />
JULI | 2007 : proWALD 29
30<br />
<strong>Wald</strong>schäden<br />
Die <strong>Wald</strong>schäden werden in einem Stichprobenverfahren<br />
erhoben, das flächenbezogene<br />
Aussagen über den <strong>Wald</strong>zustand liefert.<br />
Dieselben Bäume werden jedes Jahr wieder<br />
begutachtet, indem ihre Baumkronen auf<br />
Nadel- oder Blattverlust und Vergilbung untersucht<br />
werden. Dabei wird der Kronenzustand<br />
(insbesondere die Kronenverlichtung<br />
sowie Vergilbung von Nadeln und Blättern,<br />
weitere den Kronenzustand beeinflussende<br />
Faktoren wie z. B. Schädlingsbefall und<br />
Fruktifikation) als Weiser für die Vitalität der<br />
Wälder erhoben. Die Abweichungen von<br />
einer voll belaubten Krone werden in 5 %-<br />
Stufen geschätzt, die anschließend zu sog.<br />
Schadstufen zusammengefasst werden.<br />
Die zu Beginn der <strong>Wald</strong>zustandserhebung<br />
verbreitete Annahme, jede Kronenverlichtung<br />
sei unmittelbar durch Luftverunreinigungen<br />
verursacht und gleichzeitig<br />
auch ein »Schaden«, hat sich als nicht haltbar<br />
erwiesen. Aus Gründen der Kontinuität<br />
wird der zu Beginn der <strong>Wald</strong>zustandserhebungen<br />
geprägte Begriff der Schadstufen<br />
aber weiterhin benutzt. Die bisherigen Erfahrungen<br />
haben gezeigt, dass die natürlichen<br />
Schwankungen der Benadelungs- oder<br />
Belaubungsdichte in die Schadstufe 1 hineinreichen.<br />
Diese Stufe ist daher als »Warnstufe«<br />
zu interpretieren. Die Schadstufen 2<br />
bis 4 werden zur Kategorie »deutliche Kronenverlichtung«<br />
zusammengefasst.<br />
Heute betrachtet man den Zustand der<br />
Baumkronen als sichtbares Zeichen für<br />
Stress, dem ein einzelner Baum ausgesetzt<br />
ist; diese Stressbelastung kann sowohl lokal<br />
als auch überregional bedingt sein und sich<br />
auf Baumstandort und -ernährung negativ<br />
auswirken. Als Ursache kommt neben menschengemachtem<br />
Stress (vorrangig in Form<br />
von Schadstoffen aus der Luft) sehr wohl<br />
auch eine nennenswerte Stressbelastung<br />
aus der Natur selbst in Betracht: Dazu zählen<br />
Wildverbiss, Sturm- oder Frostschäden,<br />
Schädlinge, Pflanzenkrankheiten und nicht<br />
proWALD : JULI | 2007<br />
zuletzt Trockenheit. Diese Mischung aus natürlichen<br />
Stressfaktoren und denen der Industriegesellschaft<br />
bedingt eine Schädigung<br />
des <strong>Wald</strong>es, welche nach den gegenwärtigen<br />
Kriterien zu einer kritischen Bewertung<br />
führt, weil mehr als 70 % des Baumbestandes<br />
als »schwach geschädigt« oder gar »schwer<br />
geschädigt« einzustufen sind.<br />
Die Zeichen des<br />
Klimawandels<br />
Die Niederschläge in der Vegetationszeit verringern<br />
sich, die Temperaturen im Sommer<br />
steigen, die Bäume haben einen erhöhten<br />
Wasserstress. Man kann im <strong>Wald</strong> sehen, dass<br />
es aufgrund dieser Umwelteinflüsse bereits<br />
zur verstärkten Ausbreitung von Schadinsekten,<br />
besonders des Buchdruckers kommt.<br />
Zusätzlich führen höhere Durchschnittstemperaturen<br />
und die Nährstoffeinträge<br />
durch die Luft zu einer Veränderung der Bodenvegetation<br />
und einer Verschiebung der<br />
Konkurrenz-Verhältnisse der Baumarten.<br />
Es ist jetzt schon sichtbar: Die Vitalität<br />
der Bäume lässt in den Randbereichen ihres<br />
Verbreitungsgebietes nach. Wir sehen das<br />
beispielsweise bei den Fichtenbeständen,<br />
die verstärkt durch starke Hitzesommer in<br />
Mitleidenschaft gezogen wurden. In 100<br />
Jahren werden wir mit Sicherheit nur noch<br />
sehr wenige Fichtenbestände im Flachland<br />
haben. An die Stelle der gewohnten Fichten<br />
werden dort trockenheitsresistentere Arten<br />
treten müssen, wie z. B. Birke, Kiefer oder<br />
Robinie. Das gleiche findet an den Ausbreitungsgrenzen<br />
der Buche statt: Auf trockenen<br />
Standorten fängt die Buche bereits an, ihre<br />
Vitalität zu verlieren. Darauf muss der <strong>Wald</strong>bau<br />
ab sofort Rücksicht nehmen.<br />
Wolfram Zimmeck, Klimawandel-Beauftrager<br />
des DFV<br />
Holz als<br />
Chemie-Rohstoff<br />
<strong>Der</strong> größte Teil des Kohlendioxids der Erdatmosphäre,<br />
welcher ununterbrochen durch<br />
alle Pflanzenarten in der Biomasse gespeichert<br />
wird, ist in Form von Lignocellulose<br />
festgelegt. Dieser für Pflanzen typische<br />
komplexe und natürliche Verbundwerkstoff<br />
Holz beinhaltet wiederum je nach Ursprung<br />
unterschiedliche Gehalte an Lignin,<br />
Cellulose und Hemicellulose. Dabei unterscheiden<br />
sich auch Nadel- und Laubbäume<br />
hinsichtlich der Zusammensetzung ihres<br />
Lignin- und Hemicellulosegehaltes deutlich<br />
voneinander.<br />
<strong>Der</strong> überwiegende Teil des auf dem<br />
Markt gebrauchten Holzes wird entweder<br />
in seinem naturgegebenen Gefüge z. B. in<br />
Spanplatten, Oriented Strand Boards und<br />
Sperrholz oder nach chemischer Umwandlung<br />
seiner Struktur in verschiedene Produkte<br />
transformiert. Einen beachtlichen Anteil<br />
hieran hat zum einen die Umwandlung des<br />
Holzes in Holzschliff, Zellstoff, und Halbzellstoff,<br />
die ihrerseits wiederum zu Papier,<br />
Pappe, Kunstseide und Zellwolle weiterverarbeitet<br />
werden können.<br />
Besondere Beachtung verdient die Tatsache,<br />
dass die Verwendung des Holzes unter<br />
Auflösung seiner chemischen Struktur nach<br />
einem chemischen oder halb-chemischen<br />
Verfahren die Herstellung von Kunststoffen<br />
als Cellulosederivate, wie z. B. verschiedenartige<br />
Folien, Kunstharze, Chemiefasern auf<br />
Cellulosebasis und Lacke, ermöglicht. Im<br />
Weiteren ist die Gewinnung des Zuckers aus<br />
Holz, der sogenannten »Holzverzuckerung«,<br />
zu erwähnen. Hierbei werden in einem ersten<br />
Prozessschritt die hochmolekularen<br />
Kohlenhydrate des Holzes – also Cellulosen<br />
und Hemicellulosen – durch Säurebehandlung<br />
hydrolisiert und in einem zweiten<br />
Schritt in einfache Zucker wie Glucose, Hexose<br />
und Pentose zerlegt.<br />
Prof. Alireza Kharazipour, Universität Göttingen
Das Luchsauswilderungs-<br />
Keine Angst vor großen Katzen – so<br />
könnte das Motto des Luchsprojektes Harz<br />
lauten. Im Rahmen des deutschlandweit<br />
einmaligen Projektes wurden im Nationalpark<br />
Harz 24 Luchse ausgewildert. Fast<br />
zweihundert Jahre nachdem 1818 der letzte<br />
Harzer Luchs abgeschossen wurde, werden<br />
seit dem Sommer 2002 wieder Muttertiere<br />
mit Jungen beobachtet.<br />
Es gelang einzelnen Tieren sogar, das Gebirge<br />
zu verlassen. Die Nationalparkverwaltung<br />
sammelt entsprechende Nachweise,<br />
um einen Überblick über das jeweils aktuelle<br />
Verbreitungsgebiet der Art zu gewährleisten,<br />
und wird dieses Monitoring in der Zukunft<br />
noch intensivieren.<br />
<strong>Der</strong> Luchs – so die Hoffnung der Projektbetreuer<br />
– ist auf dem Weg, die <strong>Wald</strong>gebiete<br />
im Umland des Harzes zu erobern. Schließlich<br />
kann der Bestand von 50 bis 100 Luchsen<br />
nur gesichert werden, wenn ein genetischer<br />
Austausch zwischen den einzelnen<br />
kleinen Vorkommen im Deutsch-Tschechischen<br />
Grenzgebiet, im Schwarzwald, im<br />
Pfälzerwald und nun im Harz erreicht wird.<br />
Schlüssel zum Erfolg ist die Akzeptanz des<br />
Rehwildjägers durch den Menschen. <strong>Der</strong><br />
einzelgängerische Luchs ist ein erfolgreicher<br />
Jäger, der in seinem nicht selten mehr als<br />
100 qkm großen Revier mindestens ein Reh<br />
in der Woche erbeutet. Wanderer brauchen<br />
sich dennoch keine Sorgen zu machen. Angriffe<br />
auf Menschen sind nicht bekannt, und<br />
vor einem Wildschwein ist mit Sicherheit<br />
mehr Respekt geboten als vor einem Luchs.<br />
n<br />
Ole Anders ist Leiter des Luchs-Projektes<br />
Harz. Bild: Martina Stein<br />
Projekt im Harz<br />
von Ole Anders<br />
JULI | 2007 : proWALD 31
32<br />
Natura 2000<br />
Einigkeit über<br />
die Ziele,<br />
brauchen wir<br />
mehr Mut zur<br />
Umsetzung?<br />
von Axel Ssymank<br />
proWALD : JULI | 2007<br />
Bild: Uwe Wittbrock © www.fotolia.de
Europa ist sich einig: Die biologischen Vielfalt<br />
– also die Vielfalt der Arten und Lebensräume<br />
und damit eine wesentliche Grundlage<br />
unserer Lebensqualität – soll geschützt<br />
werden. So bilden die Vogelschutzrichtlinie<br />
von 1979 und die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie<br />
(»FFH«) von 1992 die Grundpfeiler<br />
europäischen Naturschutzes mit einem<br />
Schutzgebietsnetz »Natura 2000« und Artenschutzbestimmungen<br />
für europaweit besonders<br />
gefährdete Arten. Die Erklärung der<br />
Regierungschefs der Europäischen Union in<br />
Göteborg 2001 hat das Ziel gesetzt, bis 2010<br />
den schleichenden Verlust der biologischen<br />
Vielfalt zu stoppen. Und der Weltgipfel für<br />
Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg<br />
im Jahr 2002 hat verlangt, mindestens die<br />
Verlustraten der biologischen Vielfalt bis<br />
2010 deutlich zu reduzieren. Einigkeit bei<br />
den politischen Zielen, aber gleichzeitig<br />
parallel eine schleppende Umsetzung und<br />
Klagen aus der Praxis: Woran liegt das?<br />
Die FFH-Richtlinie formuliert erstmals<br />
eine systematische fachliche Grundlage für<br />
die Gebietsauswahl: Die Arten und Lebensräume<br />
werden dort geschützt, wo sie auch<br />
tatsächlich vorkommen. Das war vorher<br />
anders. Während z. B. der Bergbau und die<br />
Industrie selbstverständlich ihr Wachstum<br />
sicherten, wurde Naturschutz oft nur dort<br />
zugelassen, wo die Flächen unwirtschaftlich<br />
waren und es keine anderweitigen Planungen<br />
gab.<br />
Heute sind Fragen der Erfolgskontrolle<br />
am Erhaltungszustand der Arten oder<br />
Lebensraumtypen (Biotope) geregelt. Die<br />
FFH-Richtlinie fordert, einen »günstigen Erhaltungszustand«<br />
zu bewahren oder wiederherzustellen,<br />
mindestens jedoch den Erhalt<br />
im gegenwärtigen Zustand. Darüber sind alle<br />
sechs Jahre nationale Berichte vorzulegen<br />
und an die EU zu senden.<br />
Ausnahmeregelungen dürfen nicht die<br />
Substanz des Schutzgebietsnetzes angreifen.<br />
Die FFH-Richtlinie ist kein Verhinderungsinstrument<br />
für wirtschaftliche Entwicklung<br />
– wohl aber ein Instrument zum vernünftigen<br />
und nachhaltigen Umgang mit unserem<br />
Naturerbe.<br />
Wo stehen wir heute? Das bisher Erreichte<br />
ist enorm: Deutschland hat mit seiner reichen<br />
Naturausstattung und seinen vielfältigen<br />
Kulturlandschaften 13,5 % der Landesfläche<br />
als Natura 2000-Gebiete gemeldet. Im<br />
Einzelnen sind das 4617 FFH-Gebiete und<br />
658 Vogelschutzgebiete. Für 91 verschiedene<br />
Lebensraumtypen – von den alpinen<br />
Rasen über die Buchenwälder, Mähwiesen<br />
bis hin zu den Küsten mit ihren Dünen, der<br />
Kreidesteilküste Caspar David Friedrichs<br />
bis ins Wattenmeer – und 133 Arten wurde<br />
dieses Schutzgebietsnetz in wenigen Jahren<br />
errichtet.<br />
Einfach war das alles nicht. Und die<br />
Gründe für die Schwierigkeiten der Errichtung<br />
des Natura 2000-Netzes waren vielschichtig:<br />
<strong>Der</strong> Deutsche Föderalismus machte<br />
Schwierigkeiten und erschwerte ein schnelles<br />
und gemeinsames Umsetzen europäischer<br />
Regelungen.<br />
<strong>Der</strong> Meldeprozess der Gebiete verlief in<br />
allen Bundesländern zäh und in mehreren<br />
Meldetranchen, letztendlich getragen von<br />
dem politischen Irrglauben, man könne<br />
bei einer abschließenden Meldung vorab<br />
– wie man es gewohnt war – wirtschaftliche<br />
und andere Belange berücksichtigen.<br />
So wurde im Meldeprozess immer wieder<br />
die trügerische Versprechung gemacht, die<br />
Meldung sei abschließend. Dann musste<br />
die Bundesrepublik eingestehen (und zwar<br />
unter Druck der Kommission und eines Urteils<br />
des Europäischen Gerichtshofs), dass<br />
Nachmeldungen erforderlich waren. Dieses<br />
lastet als politische Hypothek auf der<br />
weiteren Umsetzung, und es ist schwierig,<br />
wieder Vertrauen zu gewinnen. Schlechte<br />
Information der Öffentlichkeit gerade in der<br />
Anfangsphase des Aufbaus von Natura 2000<br />
hat Missverständnissen und auf Fehlinformationen<br />
aufgebauten Gegenpositionen<br />
viel Raum gelassen.<br />
Die Logik des FFH-Schutzes passt nicht<br />
in deutsches Denken in Schutzgebietskategorien:<br />
Es sind weder Pauschalschutzgebiete<br />
auf ganzer Fläche, noch sind die Außengrenzen<br />
der Gebiete wirklich entscheidend. Ge-<br />
schützt sind die tatsächlichen Vorkommen<br />
der Arten und Lebensraumtypen, »weiße<br />
Flecken« ohne Vorkommen in den Gebieten<br />
haben keinen besonderen Schutz nach EU-<br />
Recht. Umgekehrt sind mögliche Schäden<br />
oder Beeinträchtigungen unzulässig, auch<br />
wenn sie weit außerhalb des gemeldeten<br />
Gebietes stattfinden. Ein triviales Beispiel<br />
mag das verdeutlichen: Wandernde Fische<br />
werden unweigerlich aussterben, wenn sie<br />
ihr Laichgebiet im Oberlauf nicht mehr erreichen<br />
können. Ist das Laichgebiet als Natura<br />
2000-Gebiet gemeldet, so ist auch ein<br />
Stauwehr (ohne geeignete Fischtreppe) im<br />
Unterlauf desselben Flusses nicht mehr möglich.<br />
De facto lassen sich also oft, wie das<br />
Beispiel der Fischtreppe zeigt, durch Alternativenprüfung<br />
und geeignete Maßnahmen<br />
Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklung<br />
in Einklang bringen.<br />
Ein wenig argumentieren wir nach dem<br />
Sankt-Florians-Prinzip: Darüber, wo der<br />
Schutz im Ausland stattfinden soll, sind wir<br />
uns alle einig: So soll es z. B. keine Singvogeljagd<br />
im Mittelmeerraum geben. Liegt<br />
die Verantwortung zum Handeln jedoch bei<br />
uns – quasi vor der Haustür –, blockieren<br />
uns oft kurzfristige wirtschaftliche Vorteile,<br />
politische oder lokale und regionale Interessen.<br />
Verträglichkeitsprüfungen werden<br />
als belastend und als zu aufwendig dargestellt,<br />
man sucht nach Möglichkeiten, die<br />
Vorschriften zu umgehen. Ist dies nicht die<br />
JULI | 2007 : proWALD 33<br />
Bild: Peter Braun
Bild: Christian Wettstein<br />
falsche Einstellung? Müssen wir unserer europäischen<br />
und deutschen Verantwortung<br />
nicht ebenso nach kommen und uns mit<br />
gleichem Maß messen lassen wie die anderen<br />
Staaten? Und einen wesentli chen Schritt<br />
für einen nachhaltigen Umgang mit unserer<br />
biologischen Vielfalt haben wir ja bereits<br />
getan: Die Gebiete sind identifiziert, für jedermann<br />
kenntlich und können als wichtige<br />
Pla nungsgrundlage bei allen Planungen und<br />
Vorhaben rechtzeitig in Vorentscheidungen<br />
eingehen. Fehlt uns der Mut für eine progressive<br />
Umsetzung?<br />
Was uns nach wie vor auch blockiert, ist<br />
unsere »Technikgläubigkeit«. Nicht jede Art<br />
lässt sich umsie deln, verträgt einen anderen<br />
Lebensraum, nicht jeder Lebensraumtyp ist<br />
regenerierbar oder kann an anderer Stelle<br />
neu entstehen. Eine einmal ausgestorbene<br />
Art ist für immer verloren. Das sind Tatsachen,<br />
die Prioritäten setzen vor allem bei<br />
unseren Planungen.<br />
Natürlich ist es leichter, wenn nicht nur<br />
Kosten, sondern auch Erfolge schnell sichtbar<br />
werden: Natura 2000 ist eine gewaltige<br />
Investition in unsere Zukunft, die sich in<br />
Wasserqualität, Bestäuberleistung für unsere<br />
Nahrungspflanzen, Erholungsvorsorge,<br />
langfristig gesicherten Arbeitsplätzen z. B.<br />
im Tourismus, Artenvielfalt für alle künftigen<br />
Nutzungen, der Volksgesundheit, bei<br />
der globalen Klimaverände rung usw. auszahlen<br />
wird. Folgekosten einer Zerstörung<br />
der biologischen Vielfalt wären sicher weitaus<br />
höher als einige im Gesamthaushalt der<br />
Länder und des Bundes eher gering anmutenden<br />
und sicher oft zu kleinmütig angesetzten<br />
Umsetzungskosten.<br />
Wie könnte Natura 2000 aussehen, was<br />
brauchen wir wirklich? Die Deutschen,<br />
Europameister im »Klein–Klein«. So könnte<br />
man die oft zersplitterte und kleinflächige<br />
Natura 2000-Kulisse im europäischen Ver-<br />
34 proWALD : JULI | 2007<br />
gleich bezeichnen.<br />
Vielleicht lässt sich ja<br />
langfristig eine funktional<br />
sinnvollere<br />
Zusammenlegung zu<br />
größeren Gebieten,<br />
fallweise auch eine<br />
Korrektur von Grenzen<br />
mitten durch die zu<br />
schützenden Vorkommen<br />
der Arten und<br />
Le bensraumtypen erreichen.<br />
Dies würde<br />
das Management des<br />
europäischen Naturerbes erleichtern, die<br />
Flexibilität in der Umsetzung erhöhen, den<br />
Verwaltungsaufwand und die Ressourcen<br />
schonen und käme der Natur zugute. Konsequente<br />
Managementpläne sollten für einen<br />
Großteil der Ge biete erstellt werden, sie<br />
dienen der Transparenz und Akzeptanz der<br />
Umsetzung. Warum hier nicht dem positiven<br />
Beispiel anderer Mitgliedstaaten folgen und<br />
Managementpläne für alle Na tura 2000-Gebiete<br />
für Deutschland verbindlich machen?<br />
<strong>Der</strong> europäische Naturschutz schützt<br />
nur, was europaweit gefährdet ist. Deutschland<br />
hat aber auch eine nationale Verantwortung.<br />
Lange Rote Listen der gefährdeten<br />
Tier- und Pflanzenarten und der Biotope<br />
lehren, dass es nicht überall gut bestellt ist.<br />
Eine vorausschauende Naturschutz politik in<br />
Deutschland, die die Verantwortung des Erhalts<br />
der biologischen Vielfalt ernst nimmt,<br />
müsste alle diese in Deutschland gefährdeten<br />
Arten und Biotope in ihre Überlegungen<br />
und Akti onen einbeziehen. Was läge da näher,<br />
als zumindest die hochgradig gefährdeten<br />
Arten und Biotope in Deutschland<br />
(Rote Listen Kategorien 1 und 2) national<br />
den FFH-Arten und Lebens raumtypen im<br />
Schutz gleichzustellen.<br />
Um das Wissen um die biologische<br />
Vielfalt ist es in Deutschland schlecht bestellt–<br />
die Experten stehen selbst auf der<br />
Roten Liste, wie »DIE ZEIT« neulich die Defizite<br />
der klassischen biologischen Grundlagen<br />
zusammenfasste. So haben viele Arten<br />
der FFH-Richtlinie Deutschland auf dem<br />
»falschen Fuß erwischt«: Fehlende Artenkataster<br />
bei einzelnen Ländern, mangelhafte<br />
Kennt nis über die Verbreitung, das Fehlen<br />
zentraler Artenbanken haben Auswirkungen<br />
auf die Umset zung der FFH-Richtlinie.<br />
Solche Lücken lassen sich langfristig aktiv<br />
nur durch länderübergrei fende Institutionen<br />
schließen, wie es z. B. auf nationaler<br />
Ebene das schwedische Artendatenbankenzentrum<br />
oder das Zentrum für Kartografie<br />
der Fauna und Flora in Neuchâtel für die<br />
Schweiz vormachen.<br />
Nicht zuletzt führt mangelnde Kompetenz<br />
z. B. bei zahlreichen Auftragsgutachten<br />
oft zu erheblichen Verfahrensverzögerungen<br />
und Rechtsunsicherheiten bei<br />
Verträglichkeits prüfungen. Dies kann direkt<br />
und indirekt enorme wirtschaftliche Schäden<br />
verursachen, die dann fälschlicherweise<br />
dem Naturschutz zur Last gelegt werden.<br />
Hier ist dringend eine staatlich abgesi cherte<br />
Qualitätskontrolle erforderlich. Gut ist dies<br />
z. B. in der Tschechischen Republik gelöst:<br />
Nur staatlich geprüfte Gutachter mit dem<br />
geeigneten biologischen Fachwissen und<br />
einer zeitlich be fristeten Lizenz (die auch<br />
aberkannt werden kann) dürfen überhaupt<br />
als FFH-Gutachter auftre ten.<br />
<strong>Der</strong> Druck auf die Landschaft und insbesondere<br />
auf die biologische Vielfalt wird<br />
weiter steigen: Genetisch veränderte Kulturpflanzen,<br />
nachwachsende Rohstoffe, Klimawandel<br />
sind einige der Stichworte. Sollten<br />
da nicht wenigstens einige Grundprinzipien<br />
für die Edelsteine des europäischen Naturschutzes<br />
grundsätzlich gelten, wie z. B. kein<br />
Anbau von gentechnisch veränderten Organismen<br />
(GVO) in Natura 2000-Gebieten<br />
zur Verminderung der Risiken. Kein Anbau<br />
nachwachsender Rohstoffe in Natura 2000-<br />
Gebieten, wenn es dabei zu einer Reduktion<br />
der biologischen Vielfalt kommt oder Dünger<br />
und Biozide eingesetzt werden. Begriffe<br />
wie »Stilllegungsflächen«, »EU-Brachen« aus<br />
der Förderpraxis der EU selbst suggerieren<br />
Flächen, auf denen sich Natur ungestört<br />
entwickeln kann. Sie sind in Wirklichkeit oft<br />
intensiver bewirtschaftet als Flächen für die<br />
Nahrungs- und Futtermittelproduktion. Natura<br />
2000 schützt nicht nur die »Urnatur«,<br />
sondern vor allem auch unsere artenreichen<br />
Kulturlandschaften: Be stimmte Formen der<br />
Bewirtschaftung sind also gewünscht und<br />
werden gebraucht, und Natura 2000 sollte<br />
gleichbedeutend sein mit Land- und Forstwirtschaft,<br />
die die biologische Vielfalt nachhaltig<br />
nutzt und schützt. Darauf müssen<br />
auch konsequent alle Fördermöglichkeiten<br />
ausgerichtet werden. Die Kunst und alle Kreativität<br />
sollten darauf zielen, nicht musealen<br />
Natur schutz auf kleiner Fläche zu betreiben,<br />
sondern auf möglichst großer Fläche<br />
eine den Natur schutzzielen von Natura 2000<br />
entsprechende, aber wirtschaftlich tragfähige<br />
Lösung zu erreichen.
Und was bedeutet Natura 2000 für den<br />
<strong>Wald</strong>? Die FFH-Gebiete bestehen im Schnitt<br />
aus 57 % <strong>Wald</strong>fläche, doch nur ein Teil entfällt<br />
auf die geschützten Lebensraumtypen<br />
des Anhangs I. Dort sind 17 verschiedene<br />
<strong>Wald</strong>typen aufgelistet, für die zusammen<br />
803.920 ha, also reichlich 2,2 % der Fläche<br />
Deutschlands gemeldet sind. Den Löwenanteil<br />
davon nehmen mit rund 583.000 ha die<br />
verschiedenen Buchen wälder ein.<br />
Ein großer Teil der Wälder in FFH-Gebieten<br />
wird weiterhin forstwirtschaftlich genutzt<br />
bleiben, wo bei die Anforderungen bei<br />
sehr gutem Erhaltungszustand steigen und<br />
umgekehrt bei schlechtem Erhaltungszustand<br />
ggf. Entwicklungs- oder Handlungsbedarf<br />
besteht.<br />
Während die Buchenwälder genutzt oder<br />
ungenutzt erhalten werden können, sind<br />
einige histo risch entstandene Wälder (z. B.<br />
ein Teil der Eichen-Hainbuchenwälder) nur<br />
durch entsprechende Bewirtschaftung zu erhalten.<br />
Wege und Mittel hierzu sind flexibel<br />
und können damit an betriebliche Abläufe<br />
und Vorga ben angepasst werden.<br />
Zum günstigen Erhaltungszustand der<br />
Lebensraumtypen gehört auch der gute Zustand<br />
der typi schen Arten. Wenngleich viele<br />
Tierartengruppen bei naturnaher <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />
auch in Wirtschaftswäldern<br />
erhalten bleiben, gibt es auch Artengruppen,<br />
insbesondere anspruchsvolle, an Totholz gebundene<br />
Tier- und Pflanzenarten (z. B. sogenannte<br />
»Urwaldrelikte«), bei denen dies<br />
definitiv nicht möglich ist und die heute oft<br />
bereits vom Aussterben bedroht sind. Zum<br />
Erhalt an spruchsvoller <strong>Wald</strong>arten sollte deshalb<br />
der Anteil der forstwirtschaftlich nicht<br />
genutzten Wälder mit freier <strong>Wald</strong>entwicklung<br />
von ca. nur 0,08 % der Bundesfläche<br />
langfristig deutlich erhöht werden, idealerweise<br />
auf mindestens 1-2 %. Dafür bieten<br />
sich die Natura 2000-Gebiete an.<br />
Im Sinne einer positiven Umsetzung sollten<br />
mit Nadelhölzern bestockte <strong>Wald</strong>flächen,<br />
dort wo sie natürlicherweise nicht vorkommen,<br />
in Natura 2000-Gebieten in Laubwälder<br />
und damit im Regel fall in Lebensraumtypen<br />
der FFH-Richtlinie umgewandelt<br />
werden. Dies steht mit Stabilitätskri terien<br />
einer nachhaltigen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />
im Einklang. Die Einbringung von Fremdbaumarten<br />
wie z. B. Douglasie führt über die<br />
Bewertungsparameter Beeinträchtigungen,<br />
Habitatstrukturen und lebensraumtypisches<br />
Arteninventar zu einer Verschlechterung des<br />
Erhaltungszustandes und sollte daher in Natura<br />
2000- Gebieten nicht erfolgen.<br />
Eine besondere Anforderung dürfte im<br />
<strong>Wald</strong> die Kontinuität von für die Artenvielfalt<br />
entschei denden Alt- und Totholzanteilen<br />
sein: Alte Recken von Eiche oder Buche<br />
stehen teilweise unter Denkmalschutz, die<br />
Forstwirtschaft erntet im Vergleich dazu<br />
früh, eine Lücke besteht daher oft zwischen<br />
160 und 400-600 Jahren: Reichen z. B. hierfür<br />
20-jährige Verträge zur Sicherung von<br />
Altbäumen aus?<br />
Das ökologische Netz Natura 2000 ist<br />
ohne Zweifel eine der wertvollsten Investitionen<br />
in den Schutz unserer natürlichen<br />
Lebensgrundlagen für unsere Zukunft.<br />
Inwieweit diese Investition Früchte trägt,<br />
hängt ganz entscheidend von einem positiven<br />
Selbstverständnis und einer aktiven<br />
Umsetzung ab, an der jeder teilhaben kann.<br />
Schützenswerte Wälder haben wesentlichen<br />
Teil am deutschen Netz Natura 2000 und gehören<br />
mit den Buchenwäldern zu unserer<br />
zentralen Verant wortung in der Europäischen<br />
Union. So wie die Forstwirtschaft das<br />
Prinzip der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit<br />
der Holzproduktion aus der Not des mittelalterlichen<br />
<strong>Wald</strong>raubbaus gebo ren hat und<br />
es heute mit größter Selbstverständlichkeit<br />
zu jeder <strong>Wald</strong>bewirtschaftung gehört,<br />
so sollte es auch im Naturschutz werden.<br />
Aus der Not des erschreckend hohen, vom<br />
Menschen bedingten Rückgangs der biologischen<br />
Vielfalt sollte das Selbstverständnis<br />
einer Nachhaltigkeit der Nutzung der<br />
biologischen Vielfalt erwachsen, welchem<br />
mindestens in den Natura 2000-Ge bieten<br />
oberste Priorität gebührt.<br />
n<br />
Dr. Axel Ssymank ist Fachgebietsleiter beim<br />
Bundesamt für Naturschutz.<br />
JULI | 2007 : proWALD 35<br />
Bild: Christine Große
<strong>Wald</strong>umbau in den Niedersächsischen Landesforsten (NLF)<br />
LÖWE, nämlich langfristige ökologische<br />
<strong>Wald</strong>endwicklung, greift seit 16 Jahren tief in<br />
den Niedersächsischen Forst und seine hohen<br />
Nadelbaumkulturen ein. Denn Klima-<br />
und Bodenbedingungen lassen es zu, dass<br />
9/10 des Landeswaldes als Mischwald entwickelt<br />
werden können. Das langfristige Ziel<br />
ist deshalb, den Anteil der Laubbaumarten,<br />
der 1990 bei 38 % lag, auf 65 % zu erhöhen.<br />
Entsprechend werden Nadelbaumarten reduziert,<br />
ein Prozess, der eine Zeitspanne von<br />
etwa 100-150 Jahre umfassen wird. Nur 1/10<br />
der Standorte ist so arm oder extrem, dass<br />
auf ihnen Reinbestände aus Laub- oder Nadelbäumen<br />
nachgezogen werden müssen.<br />
Gleichzeitig orientiert sich die Nutzung nur<br />
noch am Einzelbaum nach dem Prinzip der<br />
Zielstärkennutzung unter dem Verzicht auf<br />
großflächige Kahlschläge.<br />
<strong>Der</strong> Leitgedanke von LÖWE, auf stabile<br />
Mischwälder zu setzen, also auf eine breitere<br />
Baumartenvielfalt, bekommt durch<br />
den absehbaren Klimawandel eine zusätzliche<br />
Bedeutung. Allerdings ist, angesichts<br />
der aktuellen Klimaszenarien mit extremen<br />
Trockenphasen in den Sommermonaten,<br />
die Entscheidung, weiterhin auf Buche als<br />
führende Baumart zu setzen, kritisch zu<br />
hinterfragen. Gerade auf den mäßig frischen<br />
Standorten wird man wieder stärker auf Eiche<br />
und Douglasie zurückgreifenmüssen.<br />
So wie den Edellaub-Baumarten eine zunehmende<br />
Bedeutung beigemessen werden<br />
wird.<br />
Grundsätzlich werden die NLF mit ihren<br />
340.000 ha <strong>Wald</strong> also auf eine breit angelegte<br />
Baumartenpalette in Mischbeständen<br />
setzen, allerdings mit etwas veränderten<br />
Akzenten als in den ersten 16 Jahren von<br />
LÖWE. Nur so lassen sich hoffentlich flächenhafte<br />
Kalamitäten in den Wäldern von<br />
morgen vermeiden und gleichzeitig die ökologischen,<br />
sozialen sowie ökonomischen<br />
Anforderungen unserer Gesellschaft an den<br />
<strong>Wald</strong> zukunftssicher erfüllen.<br />
n<br />
Stefan Fenner, Pressesprecher der Niedersächsischen<br />
Landesforsten. Bild: FVA BW<br />
36 proWALD : JULI | 2007
Baum ab?<br />
Ja bitte!<br />
von Lars Langhans<br />
Motorsägen heulen auf, fressen sich schreiend<br />
ins Holz. Ihre Benzinabgase vermischen<br />
sich mit dem Dieselgeruch des Harvesters,<br />
einem Holzvollernter mit 300 PS. Die Piloten<br />
im computerisierten Cockpit lassen<br />
Kettensäge und Entastungsmesser im Fällkopf<br />
nicht ruhen. Wie <strong>Wald</strong>ameisen Fichtennadeln,<br />
so jonglieren sie übermächtige<br />
Stämme. Selbst nachts geht die Arbeit weiter:<br />
15 Halogenscheinwerfer tauchen den<br />
<strong>Wald</strong> in ein gespenstisches Licht.<br />
Eine Szenerie, die den urban geprägten<br />
<strong>Wald</strong>spaziergänger irritiert. Geht hier alles<br />
mit rechten Dingen zu? Dürfen die das? Er<br />
kennt sich möglicherweise mit computergesteuerten<br />
Bewässerungssystemen für Balkonpflanzen<br />
aus oder ist erfahren im Züchten<br />
der Indianersprossen Amaranth und<br />
Quinoa für die gesunde Küche. Aber <strong>Wald</strong>bau?<br />
Ist es notwendig, den <strong>Wald</strong> zu pflegen,<br />
Bestände zu verjüngen und Holz zu ernten?<br />
Forstliches Handeln ist immer ein Abwägungsprozess<br />
zwischen sehr unterschiedlichen<br />
Ansprüchen, welche die Gesellschaft<br />
an den <strong>Wald</strong> stellt. Das nachhaltige und<br />
schonende Wirken der modernen Forstwirtschaft<br />
gewährleistet erst diese Leistungsvielfalt<br />
unserer Wälder. Sie ist daher multifunktional<br />
für unsere Gesellschaft tätig. Im<br />
Mittelpunkt dabei: die umweltschonende<br />
Bereitstellung von Holz, die den <strong>Wald</strong> auch<br />
in Zeiten steigender Holznachfrage nicht in<br />
seinen Funktionen gefährdet.<br />
<strong>Wald</strong>nutzung und Holzverwendung<br />
sind notwendig! Sie waren und sind ein zentraler<br />
Baustein unserer Zukunftsvorsorge.<br />
Wir brauchen die »Grüne Lunge«, und wir<br />
brauchen den nachwachsenden und umweltfreundlichen<br />
Rohstoff Holz, wenn wir<br />
dem Homo sapiens das Überleben sichern<br />
wollen. Die Wissenschaft gibt uns 15 Jahre,<br />
um die Klimakatastrophe abzuwenden. Eine<br />
ökologische Industriepolitik, die sich am<br />
Klimaschutz orientiert, ist daher das Gebot<br />
der Stunde. Ohne nachhaltige Forstwirtschaft<br />
und Holzverwendung wird sie nicht<br />
erfolgreich sein.<br />
JULI | 2007 : proWALD 37
38<br />
Das Schlagwort »Baum ab, nein danke«,<br />
mit der die Null-Bock-Generation der um<br />
1965 Geborenen groß geworden ist, greift zu<br />
kurz. (Die Bürgerinitiativen hatten sich vor<br />
25 Jahren auch nicht gegen eine verantwortungsvolle<br />
<strong>Wald</strong>nutzung gerichtet, sondern<br />
konkret gegen die neue Startbahn West des<br />
Frankfurter Flughafens.) Seit den 60er-Jahren<br />
nahm die <strong>Wald</strong>fläche in Deutschland um<br />
mehr als 500.000 Hektar zu. Mit 3,4 Milliarden<br />
Kubikmetern verfügt Deutschland über die<br />
größten Holzvorräte Europas. Die nachhaltige<br />
Bewirtschaftung der heimischen Wälder wird<br />
durch die <strong>Wald</strong>besitzer unter ökologischen,<br />
sozialen und wirtschaftlichen Aspekten auf<br />
Basis der strengen <strong>Wald</strong>gesetzgebung von<br />
Bund und Ländern sowie einer zusätzlichen,<br />
freiwilligen Zertifizierung sichergestellt.<br />
Rund ein Drittel Deutschlands ist bewaldet,<br />
und von diesen 11,1 Millionen Hektar <strong>Wald</strong><br />
sind bereits 70 Prozent der Fläche zertifiziert.<br />
Damit nimmt die deutsche Forstwirtschaft<br />
weltweit einen Spitzenplatz ein.<br />
Trotz des unterschwelligen Unbehagens,<br />
möglicherweise in einer zukunftsunfähigen<br />
Wegwerfgesellschaft zu leben, öffneten sich<br />
die Verbraucher in den 80er und 90er Jahren<br />
nur langsam für Holz und andere nachwachsende<br />
Stoffe. Erst in den letzten Jahren haben<br />
die »Erneuerbaren« Marktbarrieren und<br />
Imageprobleme überwunden – und stehen<br />
heute vor dem Durchbruch: <strong>Der</strong> Klimawandel<br />
zwingt dazu, sie gegenüber endlichen<br />
Ressourcen konsequent zu bevorzugen. Er<br />
stellt das Wirtschaften von uns allen auf den<br />
proWALD : JULI | 2007<br />
Prüfstand. Die Zielvorstellungen von maximaler<br />
Bedarfsdeckung (private Haushalte)<br />
und Gewinnmaximierung (Unternehmen)<br />
müssen mit dem in der Forstwirtschaft entwickelten<br />
und in Rio 1992 erweiterten Prinzip<br />
der Nachhaltigkeit kompatibel werden.<br />
»Die Ökonomen müssen lernen, ökologischer<br />
zu werden, und die Ökologen<br />
müssen lernen, ökonomischer zu werden«,<br />
formulierte es Umweltminister Sigmar Gabriel<br />
Anfang Juni beim Treffen der EU-Umweltminister.<br />
Er forderte eine Modernisierungsstrategie,<br />
die dazu beitragen müsse,<br />
»die stoffliche Basis, auf der die Industrie<br />
fußt und auf der unser Wohlstand beruht,<br />
in wichtigen Bereichen auf nachwachsende<br />
Rohstoffe umzustellen«.<br />
Und hier sind wir wieder beim Cluster<br />
Forst und Holz, der schon heute eine herausragende<br />
Bedeutung für Deutschland<br />
besitzt. Die deutsche Forst- und Holzwirtschaft<br />
beschäftigt nach EU-Definition mehr<br />
Menschen als die Automobilindustrie. Sie<br />
erwirtschaftet einen höheren Umsatz als die<br />
Elektroindustrie oder der Maschinen- und<br />
Anlagenbau. Die Branche leistet einen überproportionalen<br />
Beitrag zur Qualifikation<br />
und Ausbildung in Deutschland.<br />
<strong>Der</strong> Sektor beschäftigt mehr als 1,3 Millionen<br />
Menschen, umfasst rund 185.000 Betriebe<br />
und erzielt einen jährlichen Umsatz<br />
von etwa 181 Milliarden Euro. Allein die<br />
Zimmerei- und Tischlerbetriebe bilden über<br />
34.000 Lehrlinge aus. Die Unternehmen sind<br />
meist in ländlichen, strukturschwachen Gebieten<br />
angesiedelt und dort ein Standbein<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur. Dies hat<br />
die erste bundesweite »Clusterstudie Forst-<br />
und Holzwirtschaft 2005« der Universität<br />
Münster ergeben.<br />
Ökonomie und soziale Verantwortung<br />
bilden ein Dreieck mit Umwelt-, Natur- und<br />
Klimaschutz. Nachhaltige Holznutzung und<br />
Umweltschutz sind somit kein Widerspruch,<br />
sondern gehen eine Symbiose ein.<br />
Jeder Baum entzieht der Atmosphäre<br />
bei der Bildung von einer Tonne Holz rd.<br />
1,9 Tonnen des Treibhausgases CO 2 , lagert<br />
davon 500 Kilogramm Kohlenstoff ein und<br />
gibt gleichzeitig dabei Sauerstoff wieder<br />
ab. So bilden unsere Wälder im Laufe ihres<br />
Wachstums riesige CO 2 -Senken. Die Speicherung<br />
bleibt sogar im verarbeiteten Holz,<br />
bei Möbeln oder im Holzbau, erhalten. Zudem<br />
ersetzen Holzprodukte Materialien,<br />
die das Klima belasten würden. So leisten<br />
Forstwirtschaft und Holzverwendung einen<br />
Beitrag zur Verhinderung eines weiteren<br />
Anstiegs der CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre.<br />
Was wird aus<br />
Holz gebaut?<br />
Die Holzbauquote ist nach den aktuell<br />
verfügbaren Daten wiederum gestiegen.<br />
Das Plus beträgt 1,1 Prozent. Insgesamt<br />
haben die überwiegend aus Holz<br />
errichteten Gebäude nun einen Anteil<br />
von 13,8 Prozent am deutschen Hochbau.<br />
45 Prozent aller in Holzbauweise<br />
fertiggestellten Bauwerke wurden allein<br />
in Bayern und Baden-Württemberg errichtet<br />
(10.829 von 23.597). Den größten<br />
Zuwachs erfuhr die Holzbauquote<br />
im Bereich Nichtwohnbau. Sie stieg um<br />
1,5 Punkte auf 17,4 Prozent. Besonders<br />
deutlich ist auch hier die Entwicklung<br />
in Süddeutschland: In Bayern liegt<br />
die Quote bei 25,4 Prozent, in Baden-<br />
Württemberg bei 23,7 Prozent. Beachtenswert<br />
ist allerdings auch der Norden<br />
der Republik: Schleswig-Holstein liegt<br />
mit einer Quote von 21,6 Prozent fast<br />
gleichauf. Nach wie vor bleibt das Eigenheim-Segment<br />
beim Holzbau stark – die<br />
Quote liegt, wie die Hochbauquote insgesamt,<br />
bei 13,8 Prozent. Deutlich über<br />
dem Bundesdurchschnitt liegen Baden-<br />
Württemberg, Bayern und Rheinland-<br />
Pfalz mit 21,7, 17,5 beziehungsweise<br />
19,8 Prozent.
Die Politik hat die Vorteile einer verstärkten<br />
Holznutzung erkannt. Gemeinsam mit<br />
Wirtschaft, Naturschutz, Gewerkschaften<br />
und Wissenschaft erarbeitete die Bundesregierung<br />
die Charta für Holz: »Es gilt, das<br />
natürliche Potenzial dieser sich selbst erneuernden<br />
Rohstoffquelle unter Bündelung<br />
aller Kräfte stärker auszuschöpfen.« Das Ziel<br />
ist, den Pro-Kopf-Verbrauch von Holz zwischen<br />
2004 und 2014 um 20 % zu steigern.<br />
Öffentliche und private Bauherren sollen<br />
den Baustoff Holz bevorzugt nutzen, zum<br />
Wohle von Klima, Lebensqualität, Innovation<br />
und Arbeitsplätzen.<br />
<strong>Der</strong> Rat für nachhaltige Entwicklung,<br />
der 2001 von der Bundesregierung berufen<br />
wurde, empfiehlt, mehr heimisches Holz<br />
zu verwenden. Er spricht sich gegen Holzimporte<br />
aus nicht nachhaltiger Nutzung<br />
aus und für eine nachhaltige Holznutzung<br />
zulasten konkurrierender Materialien wie<br />
Aluminium, Stahl, Beton oder PVC; diese<br />
Baustoffe haben schlechtere Bilanzen hinsichtlich<br />
Energie, Wiederverwendung und<br />
Entsorgung.<br />
Bund, Länder, Kommunen und Kreise<br />
können durch den bevorzugten Einsatz von<br />
Holz und durch die holzfreundliche Ausgestaltung<br />
der Rahmenbedingungen direkte<br />
und indirekte Impulse für die Holzverwendung<br />
geben. Ihre Vorbildfunktion im Bau-<br />
und Modernisierungsmarkt, in dem rund<br />
60 Prozent des Holzes abgesetzt werden, ist<br />
nicht zu unterschätzen. Aus diesen Gründen<br />
hat der Holzabsatzfonds, die zentrale Marketingeinrichtung<br />
der deutschen Forst- und<br />
Holzwirtschaft, eine Broschüre für öffentliche<br />
Entscheidungsträger herausgebracht:<br />
»Nachhaltig bauen und modernisieren«.<br />
Gleich, ob öffentlicher, gewerblicher oder<br />
privater Bauherr – es lohnt sich, über den<br />
traditionsreichen Baustoff zu informieren.<br />
Für Holz sprechen vier Hauptargumente:<br />
s die umweltfreundliche Produktion im<br />
<strong>Wald</strong>,<br />
s die positiven Auswirkungen durch CO 2 -<br />
Abbau,<br />
s die ökonomischen und ökologischen<br />
Vorzüge des Bauens mit Holz,<br />
s die hervorragenden technologischen<br />
und ästhetischen Werkstoffqualitäten.<br />
Bereits durch seine natürlichen Eigenschaften<br />
ist Holz ein ideales Konstruktionsmaterial.<br />
Es besitzt eine hohe Tragfähigkeit,<br />
ist zugleich aber viel leichter als alternative<br />
Materialien wie Stahlbeton. Ein zwei- bis<br />
dreigeschossiges Bürogebäude ist in Holzbauweise<br />
etwa um zwei Drittel bis drei Viertel<br />
leichter als in Massivbauweise. In Berlin<br />
erhielt eine Schule eine zweite Turnhalle aus<br />
Holz, indem diese einfach auf die bestehende<br />
aufgesattelt wurde.<br />
Hätten Sie gewusst, dass …<br />
s ein Holzbau durch die witterungsunabhängige<br />
Vorfertigung Zeit und Geld spart<br />
und innerhalb von Tagen montiert werden<br />
kann?<br />
s energieaufwendiges und gesundheitsbedenkliches<br />
»Trockenwohnen« entfällt?<br />
s ein Holzhaus eine bis zu zehn Prozent<br />
größere Nutzfläche besitzt, da die Dämmung<br />
in die Wand integriert ist?<br />
s Holz für ein einzigartiges Raumklima<br />
sorgt und die Luftfeuchtigkeit reguliert?<br />
Da Holz aus luftgefüllten Zellen besteht, besitzt<br />
es von Natur aus eine geringe Wärmeleitfähigkeit<br />
und ist zur Dämmung optimal<br />
geeignet. <strong>Der</strong> hierdurch geringere Heizenergiebedarf<br />
senkt den CO 2 -Ausstoß. Im Winter<br />
sinken die Heizkosten, und im Sommer bleiben<br />
die Innenräume auch ohne Klimaanlage<br />
kühl. Die Vorgaben der Energieeinsparverordnung<br />
(EnEV) können leicht eingehalten<br />
werden. Holz übertrifft vielfach sogar die geltenden<br />
baulichen Richtlinien. Es eignet sich<br />
daher auch für den Bau von Niedrigenergie-<br />
oder Passivhäusern. Auch beim Modernisieren<br />
spart Holz viel Energie ein. Kombiniert<br />
mit speziellen Verglasungen können Wärmeverluste<br />
und damit der Energieverbrauch um<br />
bis zu 80 Prozent reduziert werden.<br />
Wenn es uns Deutschen mit dem Klimaschutz<br />
so ernst ist, wie wir in Umfragen<br />
behaupten, und wir den Umweltschutz als<br />
zweitwichtigstes Problem überhaupt ansehen,<br />
dann müssen wir verstärkt auf Holz<br />
zugreifen. Und wir dürfen uns nicht über<br />
gelegentlich lärmende Motorsägen, Harvester<br />
und Forwarder im <strong>Wald</strong> ärgern, die<br />
einer multifunktionalen, nachhaltigen Wirtschaftsweise<br />
und damit unser aller Zukunft<br />
dienen.<br />
n<br />
Lars Langhans ist Pressesprecher des Holzabsatzfonds.<br />
Den gesamten Aufsatz mit<br />
Nachweisen finden Sie unter<br />
www.forstverein.de/dfv/aktuell/prowald.<br />
Bilder: HAF<br />
JULI | 2007 : proWALD 39
40 proWALD : JULI | 2007<br />
Bild: Christian Naffin
Das Gästebuch einer Alteiche<br />
Eine Eiche von 400 Jahren – ein zweifellos<br />
imposanter Baum. Sein Gästebuch könnte<br />
zeigen, welches Getier Gast dieser langlebigen<br />
Eiche war. Fast endlos wäre die Namensliste.<br />
Gründe des Besuches an und auf oder<br />
gar in solch einem Baum gibt es vielerlei.<br />
Forstwissenschaftler wollen wissen,<br />
welche typischen Arten der Lebewesen in<br />
einem Eichenwald vorkommen und wie<br />
diese miteinander funktionieren. Nur wer<br />
die Vielfältigkeit naturnaher Eichenwälder<br />
kennt und deren Funktionsweise versteht,<br />
wird wissen, wie solche Wälder am besten zu<br />
nutzen und zu schützen sind. Die Experten<br />
sprechen von Biodiversität in Eichenwäldern,<br />
abgeleitet von den lateinischen Wörtern<br />
bios (Leben) und diversitas (Vielfalt).<br />
Ergo: Ein dickes Gästebuch mit typischem<br />
Arteninventar zeugt von guter Biodiversität<br />
des Eichenwaldes.<br />
Wer hat sich in das Gästebuch eingetragen?<br />
Gewieft und kriminalistisch geht<br />
der Wissenschaftler vor. Hier eine kleine<br />
Auswahl der Methoden der listigen Damen<br />
und Herren, wie sie Namens- und Strichlisten<br />
auffüllen: Fluginsekten, die sich in der<br />
Nacht vom Licht verführen lassen, werden<br />
mit speziellen Lampen an das Netz gelockt.<br />
Die am Baumstamm die Dunkelheit suchenden<br />
Gliederfüßer werden mit dem Eklektor<br />
auf die falsche Fährte geführt. Im Mulm sich<br />
sicher fühlende Käfer und Larven müssen<br />
Biodiversität in Eichenwäldern<br />
das Zählen auf dem Sieb über sich ergehen<br />
lassen. In müßiger Kleinstarbeit werden Insekten,<br />
Spinnen, Würmer aufgespürt, sortiert<br />
und von hoch spezialisierten Biologen<br />
bestimmt. Spezielle Mikrofone kommen<br />
zum Einsatz, um im <strong>Wald</strong> vorkommende<br />
Fledermausarten zu identifizieren. Besondere<br />
Technik hilft beim Vermessen der<br />
Größe und Lage der Bäume. Ornithologen<br />
haben ausgeklügelte Zählmethoden, damit<br />
Anzahl und Häufigkeit vorkommender Vögel<br />
festgestellt werden können. Merkwürdig<br />
aussehende Fotoapparate dienen zum<br />
Messen des am <strong>Wald</strong>boden ankommenden<br />
Lichtes.<br />
Alles im <strong>Wald</strong> wird zum Studienobjekt:<br />
die Beschaffenheit des Bodens, der Vitalitätszustand<br />
der Eichen, lange Artenlisten,<br />
die Häufigkeit von Habitatstrukturen wie<br />
von Steffen Schmidt<br />
Baumhöhlen, endlos erscheinende Zahlenkolonnen<br />
über Baumstärken, Totholz usw.<br />
Wer soll da noch durchblicken? Mathematiker<br />
helfen beim Sortieren und Auswerten<br />
der Daten. In Zusammenarbeit mit<br />
Ökologen, die sich ein umfangreiches Wissen<br />
über Wechselwirkungen in der Natur<br />
angeeignet haben, systematisieren sie das<br />
umfangreiche Faktenmaterial. Sogenannte<br />
Weiser- und Zielarten oder Naturnähezeiger<br />
werden für verallgemeinerungsfähige Aussagen<br />
bestimmt.<br />
Welche größeren Tiere machen in einem<br />
solchen Gästebuch ihren Eintrag? Es sind<br />
nicht nur Reh, Hirsch und Wildschwein, die<br />
eifrig nach Eicheln suchen. Auch so manch<br />
anderer Vierbeiner fällt uns auf, der nicht nur<br />
auf dem Boden, sondern mit gutem Grund<br />
am Schaft und in der Krone jede Baumhöhle<br />
kontrolliert. Eigentlich dürfte es keine Mühe<br />
machen, schnell zehn verschiedene Vierbeiner<br />
aufzuzählen.<br />
Die gefiederten <strong>Wald</strong>bewohner bringen<br />
es in der Gästebuchliste locker auf fünfzig<br />
Arten. Ob Eule, Specht oder Pirol – jeder mit<br />
Bedacht, der Brutpflege nachzukommen, intensiv<br />
nach Futter zu suchen, zu zwitschern<br />
oder nur Pausengast zu sein. <strong>Der</strong> Eichelhäher<br />
hätte wohl den besten Grund für sein<br />
regelmäßiges Erscheinen. Besonders für die<br />
Vogelwelt haben Typ und Beschaffenheit<br />
des Eichenwaldes, seiner Nachbarbestände<br />
JULI | 2007 : proWALD 41
42 proWALD : JULI | 2007<br />
und des weiträumigen Landschaftsgebietes<br />
einen entscheidenden Einfluss darauf, welche<br />
Art sich wie oft ihr Stelldichein an der<br />
Alteiche gibt.<br />
Und wie sieht es mit den Fluginsekten<br />
und weiteren Sechs- oder Achtbeinern aus?<br />
Die Namenslisten würden Hunderte aufführen,<br />
und für die Einzelwesen würden<br />
fünfstellige Zahlen nicht reichen. Allein für<br />
die Tierordnung der Käfer wäre es nicht<br />
ungewöhnlich, in einem größeren <strong>Wald</strong>gebiet<br />
über 500 verschiedene Arten zu finden.<br />
Viele dieser Käfer leben vom zersetzten<br />
Holz, dem Mulm, um sich nach vielen Jahren<br />
zum Beispiel als prächtiger Hirschkäfer<br />
zu entpuppen und voller Gier am Saft der<br />
Eichenwunden zu laben. In der Baumkrone<br />
oder am krautreichen <strong>Wald</strong>boden kann<br />
man durchaus über hundert verschiedene<br />
Großschmetterlingsarten finden. Genauso<br />
viele Webspinnenarten könnten ausgemacht<br />
werden. Manches Netz ärgert uns beim Pilze<br />
sammeln, wenn es sich versehentlich im Gesicht<br />
verfängt.<br />
Apropos Pilze! Von der Vielzahl der<br />
verschiedenen Speisepilze einmal abgesehen,<br />
gibt es viele Arten, die uns verborgen<br />
bleiben, da sie keine für uns sichtbaren<br />
Fruchtkörper ausbilden. Oft handelt es sich<br />
um Arten, von denen die Existenz anderer<br />
Lebewesen abhängt. Auch die am Baum erkennbaren<br />
Pilze interessieren uns kaum als<br />
Sammelbeute. Aber wir bestaunen ihr wundersamen<br />
Aussehens, etwa den Igelstachelbart.<br />
Für den Förster können diese Pilzarten<br />
anzeigen, wie gut es dem <strong>Wald</strong> geht. Mit<br />
zunehmendem Alter der Eichen steigt ihre<br />
Vielfalt, und es kommen dann extrem seltene<br />
Arten hinzu. In manchen Wäldern sind<br />
zeitweise bis zu vierzig vom Holz lebende<br />
Pilzarten sichtbar.<br />
Als knorriger, sterbender Greis scheint<br />
die Alteiche den Zeitpunkt höchster Attraktivität<br />
zu haben. Verwachsene Astabbrüche,<br />
Hohlräume, kahle Kronenbereiche und<br />
morsche Wurzeln schaffen unterschiedliche<br />
Lebensräume, die als Habitate ganz spezielle<br />
Bedingungen für hoch spezialisierte Arten<br />
bieten. Starke Äste sind mit dicken Moosschichten<br />
und Flechten besetzt.<br />
Manchmal bleiben die Schäfte abgestorbener<br />
Alteichen Jahrzehnte stehen.<br />
Mehr als fünfzig Jahre kann es dauern, bis<br />
der umgestürzte Stamm bis zur Unkenntlichkeit<br />
verrottet ist. Bis dahin ist er Unterschlupf<br />
und Nahrungsraum. Ein langwieriger<br />
und komplizierter Prozess lässt das Holz<br />
vererden und führt so die Nährstoffe dem<br />
<strong>Wald</strong>boden wieder zu. Feuchtigkeit wird im<br />
Mulm wie in einem Schwamm festgehalten.<br />
Ein neuer Kreislauf ist längst im Gang:<br />
Junge Bäume nehmen in einer krautreichen<br />
Bodenflora sofort den Platz der alten Eiche<br />
ein.<br />
Eine alte Eiche erscheint uns als Inbegriff<br />
wahrer Lebensvielfalt. Ganze Bücher könnten<br />
über Art und Weise des Lebens solcher<br />
Biotope berichten. Gäbe es die alten Eichen<br />
nicht, ginge die Vielfalt des Lebens, die Biodiversität,<br />
zurück.<br />
Forstwissenschaftler haben mit Vegetationskundlern<br />
sehr genau kartiert, wo<br />
natürlicherweise die verschiedenen Eichenwaldgesellschaften<br />
vorkommen oder sich<br />
entwickeln können. Die europäische Staatengemeinschaft<br />
hat sogar ein Gebietsnetz<br />
mit Lebensraumtypen erarbeitet, aus dem<br />
erkennbar ist, wo zum Beispiel typische<br />
Eichenwälder erhaltenswert und entwicklungswürdig<br />
sind. Dieses als Natura 2000<br />
bezeichnete Schutzgebietsnetz widmet sich<br />
nicht nur dem Erhalt wichtiger <strong>Wald</strong>gesellschaften,<br />
sondern dem aller Lebensräume,<br />
die zum Erhalt der Biodiversität als Lebensgrundlage<br />
beitragen.<br />
n<br />
Steffen Schmidt arbeitet bei der<br />
Landesforstanstalt Eberswalde.
<strong>Der</strong> Gips und der Kyffhäuser<br />
Von welcher Seite man sich dem Kyffhäusergebirge<br />
auch nähert: Es tritt als markantes<br />
kleines Gebirge aus dem Umland,<br />
der Goldenen Aue im Norden und der Diamantenen<br />
Aue im Süden (um 130 m ü. NN),<br />
hervor. <strong>Der</strong> Kulpenberg als höchster Punkt<br />
des Kyffhäusers erreicht 477 m, das Kyffhäuserdenkmal<br />
440 m. Die mittleren jährlichen<br />
Niederschlagssummen schwanken<br />
von 470 mm am Südfuß des Kyffhäusers in<br />
Bad Frankenhausen bis 575 mm auf den<br />
Gipfeln.<br />
<strong>Der</strong> Kyffhäuser ist ein echtes Gebirge,<br />
denn er wurde während der alpidischen<br />
Gebirgsbildung als Scholle emporgehoben,<br />
im Norden stärker (1.000 m Sprunghöhe),<br />
im Süden schwächer, so dass die Schichten<br />
nach Süden hin einfallen. Am Nordabfall lie-<br />
gen die ältesten Gesteine, hoch metamorphe<br />
Gneise und kambrisch-ordovizische Amphibolite.<br />
Darüber lagern die Kyffhäuserschichten,<br />
eine Wechsellagerung aus auffallend<br />
roten Konglomeraten, Sandsteinen und<br />
Tonsteinen aus dem Oberkarbon. Am Südabfall<br />
des Kyffhäusers sind diese Schichten<br />
von den Sedimenten des Zechsteins (Kalksteine<br />
und Gipse) überdeckt. Im Pleistozän<br />
lagerten sich Lösse ab, die auf größeren Arealen,<br />
aber auch noch in kleinen und kleinsten<br />
Inseln erhalten sind.<br />
Das stark gegliederte Relief und die geologische<br />
Vielfalt verursachen eine enorme<br />
Diversität an Standorten, Flora und Vegetation<br />
auf kleinstem Raum, die ihresgleichen<br />
in Deutschland sucht. Die Spanne reicht von<br />
Schluchtwäldern am kühl-feuchten Nordabfall<br />
bis zu submediterranen Felsheiden und<br />
von Martin Heinze<br />
kontinentalen Steppen am warm-trockenen<br />
Südabfall.<br />
Die natürlich vorhandene Vielfalt wurde<br />
durch jahrtausendelange Nutzung durch<br />
den Menschen in diesem Altsiedlungsgebiet<br />
(u. a. Weidewirtschaft und frühgeschichtlicher<br />
und mittelalterlicher Kupferschieferabbau)<br />
noch vergrößert. Spuren dieses<br />
Bergbaus sind die vielen kleinen Pingen auf<br />
dem Zechsteinausstrich im Südteil des Kyffhäusers,<br />
über die jetzt dichte Buchenwälder<br />
ihren Mantel breiten.<br />
Die großflächigen Gipsstandorte des<br />
Kyffhäusers sind eine weltweit einmalige<br />
Besonderheit. Sie sind geologisch bedingt<br />
(Ausstrich der Gipse des Zechsteins). Das<br />
weiße Gipsmehl sieht man bereits an den<br />
Abbrüchen an der Straße von Bad Frankenhausen<br />
nach dem Rathsfeld. Das Gelände,<br />
JULI | 2007 : proWALD 43
auf dem die Gipse an der Oberfläche anstehen,<br />
ist ein typischer Karst mit Mulden (Dolinen)<br />
und Kuppen.<br />
Zusammen mit den alten knorrigen<br />
Buchen vermittelt diese unübersichtliche<br />
Buckellandschaft dem Wanderer z. B. auf<br />
den einsamen Pfaden zwischen Bad Frankenhausen<br />
und der Barbarossahöhle ihre<br />
geheimnisvolle Atmosphäre. Die Dolinen<br />
entstehen durch die Gipslösung. In einem<br />
Liter Wasser lösen sich 2 g Gips. Deshalb ist<br />
dort das Gebirge auch von vielen Spalten<br />
und Höhlen durchzogen.<br />
Die Barbarossahöhle ist die größte<br />
bekannte Höhle. Auch die Frankenhäuser<br />
Oberkirche hat sich durch Gipsauslaugung<br />
im Untergrund schief gestellt. Die Kuppen<br />
haben sich vermutlich durch Aufwölbungen<br />
gebildet, als der ursprünglich wasserfreie<br />
Anhydrit (CaSO 4 ) an der Geländeoberfläche<br />
Wasser aufnahm und bei der Umkristallisation<br />
zu Gips (CaSO 4 x 2 H 2 O) sein Volumen<br />
vergrößerte. In den Mulden haben sich<br />
kleine Lössinseln erhalten und große Laubmengen<br />
angesammelt. Deshalb muss man<br />
in diesem kleinräumigen Mosaik zwischen<br />
Gipsstandorten im weiteren und im engeren<br />
Sinne unterscheiden. Auf den Gipsstandorten<br />
im weiteren Sinne wachsen die Pflanzen<br />
auf einem Boden, der zwar Calciumsulfat im<br />
44 proWALD : JULI | 2007<br />
Überschuss, aber daneben auch noch silikatisches<br />
und stellenweise carbonatisches<br />
Substrat bietet, so dass die Pflanzen nicht<br />
auf Gips allein angewiesen sind.<br />
Auf den Gipsstandorten im engeren<br />
Sinne müssen die Pflanzen unter humiden<br />
Klimabedingungen mit reinem Gips als Bodensubstrat<br />
auskommen. Silikate, z. B. auch<br />
Tonminerale, kommen nur in Spuren vor.<br />
<strong>Der</strong> Gips kann Calciumcarbonat enthalten.<br />
Dann liegt der pH-Wert des Bodens bei 7.<br />
Sinkt der CaCO 3 -Gehalt wegen primär geringer<br />
Konzentration oder sekundärer Auswaschung<br />
unter 0,5 %, dann versauert der<br />
Boden bis zu einem pH-Wert von 4,5.<br />
Die Böden auf Gips wechseln auf kleinstem<br />
Raum. Sie wurden deshalb als Komplexböden<br />
kartiert. Als Bodentyp stehen auf dem<br />
Gips Gips-Syroseme und -Rendzinen an.<br />
Sie unterscheiden sich wesentlich von den<br />
gleichnamigen Böden auf Carbonatstandorten.<br />
Trotz hoher Calciumkonzentration sind<br />
sie ärmer und biologisch wenig aktiv. Das<br />
äußert sich in den Buchenwäldern durch<br />
weitgehendes Fehlen einer Bodenvegetation<br />
(Fagetum nudum) und geringe Verjüngungsfreude<br />
(deshalb so weitständige und<br />
urtümlich-protzige Altbäume).<br />
Gipsstandorte bieten vollkommen ungewöhnliche<br />
Faktorenkonstellationen, die<br />
wissenschaftlich von größtem Wert sind,<br />
weil sie Schlüsselerkenntnisse liefern, die<br />
auf Silikat- und Carbonatstandorten allein<br />
nicht gewonnen werden können und für viele<br />
andere Standorte wichtig sind, wie für die<br />
ehemals hoch schwefelbelasteten Wälder<br />
des sächsischen Erzgebirges.<br />
Solche Konstellationen sind z. B. eine<br />
hohe Calciumionenkonzentration in der<br />
Bodenlösung bei niedrigem pH-Wert, extrem<br />
niedrige Gehalte an Kalium und Aluminium<br />
und hohe Gehalte an Schwefel im<br />
Boden. Trotz dieser Extreme sind die Buchen<br />
ausgeglichen ernährt und erfreuen sich bester<br />
Gesundheit. Gipsspezialisten unter den<br />
Pflanzen gibt es nicht. Auch das Gipskraut<br />
(Gypsophila fastigiata) kommt nicht nur auf<br />
Gips, sondern sogar wesentlich häufiger auf<br />
armen Sandböden in der Niederlausitz vor.<br />
Wer sich einmal mit den Gipsstandorten<br />
des Kyffhäusers und des nördlich davon liegenden<br />
Karstgebietes am Südharzrand beschäftigt<br />
hat, erkennt ihren unschätzbaren<br />
wissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen<br />
und naturschutzfachlichen Wert und lässt<br />
sich von ihrer einmaligen Ästhetik fesseln.<br />
Er wird alles für ihre Erhaltung und ihren<br />
Schutz tun.<br />
n<br />
Martin Heinze ist Professor an der<br />
Fachhochschule Schwarzburg.<br />
Alle Fotos stammen von Christoph Bethge.
Zu den aktivsten Lebensräumen der<br />
Natur zählen Flüsse und ihre vom<br />
frei fließenden Wasser geprägten Auen.<br />
Nicht nur die kräftig strömenden<br />
Hochwasser gestalten das vielfältige<br />
und wechselnde Antlitz natürlicher Auen<br />
ständig neu; ebenso verändert sich<br />
das Flussbett durch Sedimentation<br />
während niedriger Wasserstände, und<br />
das Wasser sucht sich neue Wege.<br />
<strong>Der</strong> dramatisch wechselnde Wasserstand<br />
bestimmt die Auen, solange sie nicht<br />
mit Staustufen verbaut wurden. Dieser häufige<br />
Wechsel des Wasserstandes ist der ökologische<br />
Motor der Auen. Er sorgt sowohl für<br />
den existenznotwendigen wechselseitigen<br />
Austausch von Grund- und Oberflächenwasser<br />
und organisiert auch die ungemein hohe<br />
Artenvielfalt der Auen mit ihren bei uns charakteristischen<br />
Silberweiden- und Eichen-<br />
Ulmenwäldern.<br />
Die Erklärung der hohen Biodiversität<br />
ist einfach: Zum einen dominieren während<br />
hochwasserreicher Jahre andere Tier- und<br />
Pflanzenarten als in trockenen Jahresreihen.<br />
Und während lang anhaltender Trockenzeiten<br />
treten sogar Arten in den Vordergrund,<br />
die Wassermangel hinnehmen können. Andererseits<br />
kommen solche Tier- und Pflanzenarten<br />
hinzu, die sowohl Überschwemmungen<br />
als auch Dürre überstehen. Dazu<br />
gehören u. a. auenheimische Baumarten<br />
wie Stieleiche, Feld- und Flatterulme, die<br />
gemeine Esche, die echte Schwarzpappel<br />
und der Feldahorn.<br />
Die stark alternierenden Lebensbedingungen<br />
der Aue führen also nicht zur Verarmung,<br />
sondern vielmehr zu einer Förderung<br />
der Biodiversität. Auf ein- und derselben<br />
Fläche stellen sich im zeitlichen Wechsel<br />
wesentlich mehr Arten und Lebensgemeinschaften<br />
ein als in ständig nassen oder dauerhaft<br />
trockenen Biotopen. Arten, die heute<br />
noch nicht gedeihen können, werden sich<br />
morgen wieder entfalten, um dann übermorgen<br />
abermals anderen Platz zu machen.<br />
Da gibt es z. B. den dreiäugigen Urzeitkrebs<br />
(Triops), die älteste noch lebende Tierart<br />
der Erde, ein lebendes »Fossil«. Dieser bis<br />
Zwischen<br />
Wasser<br />
und Land<br />
Die Bedeutung der Auen für die Biodiversität<br />
von Alfons Henrichfreise<br />
rund 10 cm große Urzeitler übersteht auch<br />
jahrzehntelange Trockenphasen in resistenten<br />
»Dauer-Eiern« und entwickelt sich bei<br />
Hochwasser innerhalb von nur 48 Stunden<br />
wieder vollständig.<br />
In den höchst gelegenen Flächen dagegen<br />
leben trockenheitsresistente Arten wie<br />
die Ödlandschrecke und sogar Orchideen.<br />
Bekanntlich finden viele Arten in der Aue ihre<br />
Heimstätte. Ebenfalls bekannt: Sie könnten<br />
sonst nirgends leben.<br />
Die größte Vielfalt an Arten und auetypischen<br />
Lebensgemeinschaften pulsiert<br />
im tief gelegenen Wechselwasserbereich<br />
zwischen Mittelwasser und sehr niedrigen<br />
Wasserständen, dort, wo das Wasser am<br />
stärksten einwirkt. Hier reichen sich die<br />
unterschiedlichsten kurz- und langlebigen<br />
Arten und Auebiozönosen gleichsam im<br />
Wechsel den Staffelstab im immerwährenden<br />
Natur-Kreislauf.<br />
Besonders die großen Hochwasser<br />
schaffen immer wieder neue Lebensräume,<br />
von den trockensten, fast wüstenähnlichen<br />
JULI | 2007 : proWALD 45
Standorten aus reinem Sand und Kies bis<br />
hin zu Lebensräumen mit sehr tiefgründig<br />
durchwurzelbarer Bodendeckschicht<br />
aus feinkörnigem Schluff und Ton.<br />
Das ist der großflächige Standort für<br />
die stattlichsten Auwälder.<br />
Aue bedeutet Dynamik: ein<br />
scheinbares Vergehen, ein Warten<br />
in Überdauerungsformen und<br />
eine vitale Wiederkehr zu jeweils<br />
gegebener Zeit. Aue bedeutet<br />
ständig pulsierende Bewegung,<br />
die vielfältiges Leben bewirkt,<br />
ein tiefes Ein- und Ausatmen der<br />
Natur in ihren Lebensadern, eine<br />
urwüchsige Regenerationskraft,<br />
solange nur das Wasser frei fließen<br />
und walten kann.<br />
Nicht zu vergessen: <strong>Der</strong> arten-<br />
und strukturreiche Auwald bietet<br />
die beste Möglichkeit, Hochwasser<br />
großräumig derart abzubremsen, dass<br />
Hochwasser der ausbaubedingt stärker<br />
beschleunigten Ströme wie Rhein, Elbe und<br />
Donau sich nicht mehr so häufig wie heute<br />
mit den Hochwassern der Nebenflüsse<br />
überlagern: eine natürliche Wohlfahrtswirkung<br />
des naturnahen Auwaldes, die auch<br />
wirtschaftlich gar nicht hoch genug eingeschätzt<br />
werden kann.<br />
Die Biodiversität der Auwälder ist kein<br />
Luxus, sondern eine zwingende Notwendigkeit<br />
zum Schutz der hochwassergefährdeten<br />
Lebensräume und Wirtschaftsachsen an unseren<br />
Flüssen.<br />
Dennoch bedrohen besonders drei Gefahren<br />
unsere Auen:<br />
s die Lähmung durch einen Bau von weiteren<br />
Staustufen, wie heute noch an der<br />
bayerischen Donau und an der Oder geplant,<br />
s die Ableitung des für den Auwald existenznotwendigen<br />
Wassers in Kraftwerkskanälen<br />
zur Stillung unseres unersättlichen<br />
Hungers nach Energie und<br />
s der technische Hochwasserschutz mit<br />
Hochwasserrückhaltebecken, in denen<br />
der Auwald ebenfalls stirbt.<br />
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46 proWALD : JULI | 2007<br />
Um der Verantwortung für die biologische<br />
Vielfalt im eigenen Land nachzukommen,<br />
müssen die noch verbliebenen artenreichen<br />
und einzigartigen Auwälder<br />
geschützt und es muss den Flüssen<br />
wieder mehr Raum geben werden.<br />
Einerseits kommen wir damit<br />
den Anforderungen internationaler<br />
Abkommen nach, die wir<br />
unterschrieben und ratifiziert<br />
haben, andererseits können die<br />
Kosten für Hochwasserschutzmaßnahmen<br />
dauerhaft und<br />
nachhaltig begrenzt werden.<br />
Intakte, sich dynamisch verändernde<br />
Gewässer und ihre Auen<br />
sind zudem wesentlich besser<br />
in der Lage, auf die durch den Klimawandel<br />
zu erwartenden Zunahmen<br />
extremer Niederschlags- bzw.<br />
Trockenheitsperioden zu reagieren.<br />
Vom Menschen scheinbar wirtschaftlich<br />
veränderte Systeme sind dazu kaum<br />
in der Lage. <strong>Der</strong>en technisch und administrativ<br />
aufwendige Steuerung ist zudem mit<br />
Unsicherheiten behaftet, die sich nur schwer<br />
quantifizieren lassen.<br />
Nicht zuletzt, um den nachdrücklich<br />
erhobenen Forderungen zum Schutz der<br />
Biodiversität – vor allem der Regenwälder<br />
– mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, ist es<br />
dringend erforderlich, die eigenen Anstrengungen<br />
zum Schutz der heimischen Auwälder<br />
zu intensivieren.<br />
n<br />
Dr. Alfons Henrichfreise ist wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter beim Bundesamt für<br />
Naturschutz. Bilder: pixelquelle.de
Intakte Mangroven hätten<br />
Mangroven zählen mittlerweile zu den<br />
bedrohtesten Lebensräumen der Welt.<br />
Schätzungsweise 50 Prozent der ursprünglich<br />
vorhandenen Mangrovenwälder sind in<br />
den vergangenen Jahrzehnten weltweit zerstört<br />
worden. Traditionell wird das Holz der<br />
Mangroven zur Gewinnung von Brennholz,<br />
Holzkohle oder Gerbstoffen genutzt. Aber<br />
die Entnahme von vergleichsweise geringen<br />
Holzmengen durch die Küstenbevölkerung<br />
hat die Mangroven in ihrem Bestand nicht<br />
gefährdet. Erst die großflächige Zerstörung<br />
durch die Umwandlung in Reisplantagen<br />
Tsunami gebremst<br />
und Bauland für die Tourismusindustrie<br />
hat die Situation dramatisch verschärft. Zudem:<br />
Seit den 60er-Jahren werden die Mangrovenbestände<br />
Asiens für große industrielle<br />
Shrimps-Firmen zerstört – Firmen, die die<br />
umweltfeindliche Aquakultur an die Meeresküsten<br />
brachten. Bis zum Jahr 2000 schwoll<br />
die Shrimps-Produktion auf eine Größenordnung<br />
von über 8 Millionen Tonnen an.<br />
Mangroven sind wichtige »Landbildner«,<br />
die an der Entstehung von Land, dessen<br />
Schutz gegen Erosion und der Landge-<br />
von Christine Große<br />
winnung an den Küsten direkt beteiligt sind.<br />
Die Mangrovensümpfe sind für die Küstenregionen<br />
ein natürlicher Schutz vor großen<br />
Wellen. Fachwissenschaftler sind sich einig:<br />
Die Mangroven bieten in doppelter Hinsicht<br />
Schutz vor Tsunamis, den gigantischen<br />
durch Erdbeben ausgelösten Riesenwellen.<br />
Da ist zum einen der äußere Ring aus roten<br />
Mangroven – mit ihren flexiblen Armen und<br />
verwobenen Wurzeln, die in die Küstengewässer<br />
ragen. Sie absorbieren die ersten<br />
Schockwellen. <strong>Der</strong> zweite Ring besteht aus<br />
hohen, schwarzen Mangroven. Dieser Ring<br />
JULI | 2007 : proWALD 47
48<br />
funktioniert wie eine Mauer und widersteht<br />
der aufgewühlten See weitgehend. 1960<br />
traf in Bangladesh eine Tsunami-Welle auf<br />
einen Küstenabschnitt mit intaktem Mangrovenbestand:<br />
Kein einziger Toter war zu<br />
beklagen. Danach wurden die Mangroven<br />
abgeholzt, an ihre Stelle traten Shrimps-<br />
Farmen. 1991 kam es in derselben Region<br />
erneut zu einem Tsunami mit der gleichen<br />
Stärke. Diesmal starben tausende von Menschen.<br />
Auch beim 2004er Tsunami haben die<br />
Orte, vor denen die Mangroven noch dicht<br />
und in ursprünglicher Artenzusammensetzung<br />
standen, vergleichsweise geringe<br />
Opferzahlen bzw. wirtschaftliche Verluste<br />
erlitten. Hinzu kommt: Mangroven absorbieren<br />
mehr Kohlendioxid pro Flächeneinheit<br />
als das Meeresplankton – ein wichtiger<br />
Faktor beim Thema Erderwärmung.<br />
Mangroven sind bis zu 30 Meter hohe<br />
Bäume und Sträucher aus verschiedenen<br />
proWALD : JULI | 2007<br />
Pflanzenfamilien mit fast 70 Arten, die sich<br />
in besonderer Weise an die Lebensbedingungen<br />
der salzigen Küsten und brackigen<br />
Flussmündungen in den Tropen und Subtropen<br />
angepasst haben. Die Mangroven<br />
zählen neben Korallenriffen und tropischen<br />
Regenwäldern zu den produktivsten Ökosystemen<br />
der Erde und liefern mit abfallenden<br />
Blättern, Blüten und Früchten mehr als drei<br />
Kilogramm organisches Material pro Jahr<br />
und Quadratmeter, die von Bakterien und<br />
Pilzen zersetzt und in die Nahrungskette zurückgeführt<br />
werden. Sie sind die (natürliche)<br />
Kinderstube von etwa 3/4 aller kommerziellen<br />
Fischarten. Im Vergleich zu den unbewachsenen<br />
Wattflächen vervielfacht das<br />
dichte Wurzelwerk der Mangroven das Platzangebot<br />
für andere Organismen und bietet<br />
auf engstem Raum eine hohe Zahl kleinster<br />
Lebensräume oder Habitate. Unzählige Fische,<br />
Krabben und Muscheln bevölkern das<br />
Wasser, auf den Wurzeln der Bäume siedeln<br />
Dem Salz ein<br />
Schnäppchen<br />
geschlagen …<br />
Um aus dem salzigen Meerwasser überhaupt<br />
Wasser aufnehmen zu können, herrscht in<br />
den Pflanzenzellen der Mangroven eine Salzkonzentration,<br />
die sogar noch höher ist als<br />
die im Meerwasser. Ein komplizierter Filtermechanismus<br />
in den Mangroven-Wurzeln<br />
lässt Wasser, das in Richtung der höheren<br />
Salzkonzentration ins Innere der Zellen wandert,<br />
hindurch, nicht aber das Salz. Zudem<br />
können mit Salz angereicherte Blätter abgeworfen<br />
werden, und auch Salzdrüsen und<br />
Salzhaare dienen dem Ausscheiden überschüssigen<br />
Salzes.<br />
Algen, Seepocken, Austern, Schwämme und<br />
Schnecken.<br />
Neben der so wichtigen Schutzfunktion<br />
stellen diese einmaligen <strong>Wald</strong>ökosysteme<br />
– wenn man sie denn intakt ließe – eine nachhaltig<br />
sprudelnde Einkommens- und Jobquelle<br />
dar. Mangrovenwälder liefern nicht nur<br />
<strong>Wald</strong>produkte wie Holz, Honig, Tannin, Medizinpflanzen<br />
und Fleisch. Als wichtigste Kinderstube<br />
zahlreicher Fischarten bringen sie<br />
der nachhaltigen Küstenfischerei auch bares<br />
Geld ein. Etwa 10.000 US$ jährlich je Hektar,<br />
so schätzen die Experten. Dass Mangroven erfolgreich<br />
wiederaufgeforstet werden können,<br />
haben beispielsweise die Vietnamesen im Mekong-Delta<br />
gezeigt. Es dauerte jedoch mehr<br />
als 20 Jahre, bis sich ein widerstandsfähiger<br />
hoch gewachsener <strong>Wald</strong> neu entwickelt hatte.<br />
n<br />
Christine Große arbeitet in der Geschäftsstelle<br />
des Deutschen <strong>Forstverein</strong>s.<br />
Bilder: Christine Große und pixelquelle.de
Bild: Hagen Kluttig<br />
Biologische Vielfalt im <strong>Wald</strong><br />
am Beispiel von Buchenwäldern<br />
Die biologische Vielfalt – die vernetzte<br />
Vielfalt an Lebensräumen, Arten und<br />
Genen – ist der Schlüssel zum Verständnis<br />
des Zusammenspiels zwischen<br />
Mensch und Natur. Die biologische<br />
Vielfalt, von Fachleuten Biodiversität<br />
genannt, ist eine zentrale Lebensgrundlage<br />
des Menschen. Ohne sie<br />
wäre die Erde ein toter Himmelskörper<br />
wie der Mars.<br />
Seit der Konferenz der Vereinten Nationen<br />
für Umwelt und Entwicklung, dem sogenannten<br />
»Erdgipfel« in Rio de Janeiro, im<br />
Juni 1992 ist die Erhaltung der Biodiversität<br />
Gegenstand eines völkerrechtlichen Vertragswerkes<br />
– des Übereinkommens über<br />
die biologische Vielfalt. Auch Deutschland<br />
verpflichtete sich mit der Unterzeichnung,<br />
die biologische Vielfalt zu schützen, nachhaltig<br />
zu nutzen und zu überwachen.<br />
Von allen Land-Lebensraumtypen auf<br />
der Erde beherbergen die Wälder nach heutigem<br />
Kenntnisstand die höchste Biodiversität.<br />
Wenn man alle Wälder weltweit betrach-<br />
von Manfred Klein und Hagen Kluttig<br />
tet, bieten sie ein so vielfältiges Spektrum<br />
an Lebensräumen für Pflanzen, Tiere und<br />
Mikroorganismen wie kein anderer Lebensraum.<br />
Dort finden sich etwa die Hälfte aller<br />
an Land lebenden Tier- und Pflanzenarten.<br />
Die Existenz von Wäldern erscheint uns so<br />
selbstverständlich, dass wir uns eine Welt<br />
ohne sie nicht vorstellen können. Auch machen<br />
uns die Diskussionen um die globalen<br />
Klimaveränderungen und die Rolle, die<br />
Wälder und die Form ihrer Bewirtschaftung<br />
dabei spielen, bewusst, wie sehr wir mit der<br />
Natur verbunden sind.<br />
Nur naturnahe Wälder können in voller<br />
Bandbreite und mit der Komplexität ihrer<br />
Biodiversität die vielfältigen und lebenswichtigen<br />
Funktionen des <strong>Wald</strong>es bereitstellen<br />
und ihre globale Funktion als Lebensraum<br />
biologischer Vielfalt und als Klimaschützer<br />
erfüllen. Aufgrund ihrer hohen Biomasse<br />
speichern Wälder bis zu 40 % des Kohlenstoffs<br />
aller Landökosysteme (davon nur ca.<br />
30 % in der lebenden Biomasse und 70 % in<br />
der abgestorbenen organischen Biomasse).<br />
JULI | 2007 : proWALD 49
Schwarze Störche<br />
<strong>Der</strong> Schwarz- oder <strong>Wald</strong>storch (Ciconia nigra)<br />
bevorzugt als Lebensraum sehr auffällig<br />
feuchte und strukturreiche Mischwälder.<br />
Zum Nahrungserwerb benötigt er wie der<br />
Weißstorch Sümpfe und flache Gewässer,<br />
um hier kleine Fische, Frösche und übriges<br />
Kleingetier zu fangen.<br />
Die versteckt lebenden Schwarzstörche<br />
gehören zu den wenigen Großvogelarten,<br />
deren Bestand eine leicht positive Tendenz<br />
aufweist. Von etwa 350 Brutpaaren in<br />
Deutschland brüten jährlich etwa 15 Paare<br />
in Mecklenburg-Vorpommern. Die östlichen<br />
Landkreise im Feldberg-Woldegker<br />
Hügelland gehören zu ihren traditionellen<br />
Heimatrevieren.<br />
Als Brut- bzw. Horstbaum nutzt der<br />
schwarz schillernde Storch stets die ältesten<br />
Bäume mit starken Seitenästen bei freier Anflugschneise.<br />
Für den Forstmann ergibt sich<br />
daraus die Verpflichtung, solche Standorte<br />
für diese vom Aussterben bedrohte »Rote-<br />
Liste-Art« zu erhalten. Mitunter muss dann,<br />
wenn der Unterstand des <strong>Wald</strong>es die Horsthöhe<br />
erreicht hat, ein gezielter Rückschnitt<br />
erfolgen, um den »freien Flugverkehr« zu<br />
gewährleisten.<br />
Schwarzstörche legen 3-5 Eier, die 35 bis<br />
40 Tage bebrütet werden. Die Nestlingszeit<br />
der 2-4 Jungen beträgt 70-100 Tage. Bereits<br />
Anfang September beginnt die Reise ins afrikanische<br />
Winterquartier südlich der Sahara;<br />
Ende März bis Anfang April kehren sie hoffentlich<br />
zurück.<br />
Klaus Borrmann<br />
Im internationalen Vergleich erscheinen<br />
unsere Wälder sehr kleinflächig, fragmentiert<br />
und sehr artenarm. Dabei dürfen aber vor<br />
allem nicht die Moose, Flechten, Pilze und<br />
insbesondere nicht die Tierwelt außer Acht<br />
gelassen werden. Insgesamt schätzt man<br />
7.000 bis 14.000 Tier- und bis zu 14.000 Pflanzenarten,<br />
darunter allein über 3.000 Pilzarten,<br />
die in naturnahen mitteleuropäischen<br />
Wäldern heimisch sind.<br />
Uns begegnen in den <strong>Wald</strong>lebensräumen<br />
Deutschlands die Reste der ursprünglichen<br />
mitteleuropäischen Vielfalt, für die wir globale<br />
Verantwortung tragen. Vor dem Hintergrund<br />
des Erhalts der globalen biologischen<br />
Vielfalt im Sinne der Rio-Konvention (1992)<br />
ist dies in den letzten Jahren zunehmend ins<br />
kollektive Bewusstsein gelangt.<br />
50 proWALD : JULI | 2007<br />
In Deutschland wären von Natur aus<br />
Wälder mit der Rotbuche als Hauptbaumart<br />
die vorherrschende Vegetationsform. Solche<br />
Buchenwälder sind in ihrer Verbreitung auf<br />
Europa beschränkt und stellen daher einen<br />
ganz besonderen spezifischen Beitrag<br />
zur globalen Biodiversität dar. Dabei wird<br />
offensichtlich, dass Deutschland aufgrund<br />
seiner Lage einer enormen Verantwortung<br />
für die Erhaltung der Buchenwald-Ökosysteme<br />
und für die Entwicklung nachhaltiger<br />
Nutzungsstrategien gerecht werden muss.<br />
Die im Jahr 2002 abgeschlossene zweite<br />
Bundeswaldinventur (BWI2) hat zwar<br />
den Trend zu standortheimischen Laubbaumarten<br />
und hier insbesondere zur Buche<br />
sichtbar gemacht, dennoch sind die<br />
deutschen Wälder immer noch zu erheblichen<br />
Teilen aus standortfremden Baumarten<br />
aufgebaut. Die BWI2 hat auch belegt,<br />
dass in den deutschen Wäldern die Notwendigkeit<br />
für naturschutzfachliche Verbesserungen<br />
besteht. Buchenwälder sind heute<br />
in Deutschland auf 8 % ihres ursprünglichen<br />
Areals zurückgedrängt worden, nehmen weniger<br />
als 15 % der <strong>Wald</strong>fläche ein, und nur<br />
weniger als ein Viertel der Bäume ist älter als<br />
120 Jahre. <strong>Der</strong> Anteil nutzungsfreier Rotbuchenwälder<br />
ist extrem geschrumpft. Sie sind<br />
auf Naturwaldreservate, Nationalparke und<br />
Kernzonen von Biosphärenreservaten beschränkt.<br />
In der Summe sind das nur 0,1 %<br />
der Landfläche Deutschlands.<br />
Altersklassenwälder prägen als Ergebnis<br />
einer jahrhundertelangen Nutzungsgeschichte<br />
den <strong>Wald</strong> in Deutschland, sie sind<br />
Bild: Klaus Borrmann<br />
im Wesentlichen strukturarm. Urwald gibt<br />
es bei uns seit langem nicht mehr.<br />
Allerdings ist ein totaler Nutzungsverzicht<br />
in Buchenwäldern weder durchsetzbar<br />
noch aus globaler Naturschutzsicht<br />
erwünscht. Die nachhaltige Nutzung der<br />
biologischen Vielfalt ist im Sinne des Erdgipfels<br />
ausdrücklich ein zentrales Instrument<br />
zu ihrer Erhaltung. Dem muss in integrativen<br />
Schutz- und Nutzkonzepten Rechnung<br />
getragen werden. Um die Bandbreite aller<br />
biologischen Funktionen zu erfüllen, muss<br />
der bewirtschaftete <strong>Wald</strong> dem natürlichen<br />
möglichst ähnlich sein und Tieren und<br />
Pflanzen dauerhaft einen sicheren Lebensraum<br />
bieten.<br />
Die naturverträgliche Nutzung von Buchenwäldern<br />
ist somit eine Schlüsselaufgabe,<br />
der sich sowohl Naturschutz wie auch<br />
Forstwirtschaft in Deutschland stellen müssen.<br />
Entsprechend sieht das Nationale <strong>Wald</strong>programm<br />
in der nachhaltigen Gestaltung<br />
der Landnutzung ein zentrales Instrument<br />
zur Umsetzung internationaler Verpflichtungen.<br />
Die Ziele einer naturnahen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung,<br />
wie sie im Nationalen <strong>Wald</strong>programm<br />
genannt sind, sind zwar nicht<br />
spezifisch auf Buchenwälder ausgelegt,<br />
schließen diese aber selbstverständlich ein.<br />
Speziellere Handlungsempfehlungen für<br />
die Bewirtschaftung von Buchenwäldern<br />
wurden in einem vom BfN mit Mitteln des<br />
BMU geförderten Forschungsvorhabens<br />
exemplarisch für das nordostdeutsche Tiefland<br />
erarbeitet und sind erfreulicherweise<br />
auch bereits in die <strong>Wald</strong>baurichtlinien einiger<br />
Länder (wie Mecklenburg-Vorpommern
und Brandenburg) eingegangen. So sind in<br />
der brandenburgischen <strong>Wald</strong>baurichtlinie<br />
folgende Festlegungen getroffen:<br />
s Orientierung der Baumartenwahl an der<br />
pnV, Begrenzung des Anteils fremdländischer<br />
Baumarten auf insgesamt 5 %,<br />
s Dauerwaldbewirtschaftung, kein Kahlschlag,<br />
kein Großschirmschlag,<br />
s Projekt Methusalem: pro ha <strong>Wald</strong> werden<br />
5 Altbäume dem natürlichen Altern<br />
überlassen,<br />
s Belassen von Totholz und gezielte Verschonung<br />
von Sonderstrukturen im Bestand,<br />
s Zielstärke Buche mindestens 60 cm,<br />
s keine Bodenbearbeitung, keine Biozide,<br />
s Bestandsbegründung hauptsächlich<br />
über Naturverjüngung,<br />
s Schutz- und Wiederherstellung von<br />
Feuchtgebieten im <strong>Wald</strong>.<br />
Die Durchsetzung einer naturschutzgerechten<br />
<strong>Wald</strong>nutzung wird jedoch nur<br />
akzeptiert werden, wenn die ökonomischen<br />
und sozialen Aspekte in ausgewogenem Maße<br />
berücksichtigt werden. Hierbei kommen<br />
einer um naturschutzfachliche Kriterien<br />
ergänzten guten fachlichen Praxis zwei Bedeutungen<br />
zu. Zum einen liefert sie einen<br />
Beitrag zur Bestimmung für eine aus Sicht<br />
des Naturschutzes tolerable Landbewirtschaftung.<br />
Zum anderen markiert sie die<br />
Schwelle zur Bemessung und Honorierung<br />
darüber hinausgehender – von der Gesellschaft<br />
immer mehr nachgefragter – ökologischer<br />
Leistungen. Die vom BfN in die<br />
Diskussion gebrachten Kriterienvorschläge<br />
zur guten fachlichen Praxis in der Forstwirtschaft<br />
und darüber hinaus ihre Einbettung<br />
in eine weitere Ausgestaltung der Naturschutzpolitik<br />
im <strong>Wald</strong> bilden einen geeigneten<br />
und wesentlichen Beitrag hierzu. Zum<br />
einen ergibt sich aus der Sozialpflichtigkeit<br />
von Eigentum, dass bestimmte naturschutzfachliche<br />
Mindestanforderungen auf<br />
der gesamten bewirtschafteten <strong>Wald</strong>fläche<br />
Berücksichtigung finden müssen. Neben<br />
der Ausgestaltung des (ordnungs-)rechtlichen<br />
Instrumentariums muss jedoch auch<br />
die Koppelung mit weiterführenden Instrumenten<br />
wie Förderung oder Zertifizierung<br />
fortentwickelt werden.<br />
Naturnah bewirtschaftete <strong>Wald</strong>flächen<br />
(auch ohne gesetzlichen Schutzstatus) können<br />
wichtige Elemente eines großflächigen<br />
Biotopverbundsystems im ländlichen Raum<br />
sein. Die Bedeutung der <strong>Wald</strong>wirtschaft ist<br />
daher auch Gegenstand im »Nationalen<br />
Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland<br />
für die Entwicklung ländlicher Räume<br />
2007-2013«. Darin sind die Wichtigkeit von<br />
<strong>Wald</strong>-Umweltmaßnahmen und die Förderung<br />
nichtproduktiver Investitionen betont,<br />
um die ökonomischen Interessen von Privat-<br />
und Kommunalwald mit Naturschutzbelangen<br />
besser in Einklang bringen zu<br />
können. Beispielsweise können damit Alt-<br />
und Totholzbestände erhalten, entwässerte<br />
<strong>Wald</strong>standorte wieder vernässt sowie eine<br />
naturschutzfachlich bedeutsame Nieder-<br />
und Mittelwaldbewirtschaftung aufrechterhalten<br />
werden. Die naturnahe <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />
soll einen Beitrag zur Stabilität<br />
der Wälder und ihrer Multifunktionalität<br />
leisten, wozu auch der Umbau von nadelholzbetonten<br />
Wäldern in Laub- oder Mischwälder<br />
dient. Zudem ist die Möglichkeit für<br />
Ausgleichszahlungen für umweltspezifische<br />
Einschränkungen zur Erreichung der Ziele<br />
von Natura 2000 im <strong>Wald</strong> darin eröffnet<br />
worden.<br />
Kreativität und Innovationsfähigkeit<br />
sind auch für den Naturschutz zu wichtigen<br />
Kernkompetenzen geworden. Forstwirtschaft<br />
in Deutschland mit ihrer über<br />
200-jährigen Tradition und Naturschutz mit<br />
seiner über 100-jährigen Tradition werden<br />
sich messen lassen müssen, wie dies bei der<br />
Integration des Schutzes unserer Buchenwälder<br />
eingebracht werden kann und zum<br />
Erreichen des 2010-Ziels der Europäischen<br />
Union »stop the loss of biodiversity« beiträgt.<br />
Dies ist nur in einem gemeinsam getragenen<br />
Ansatz möglich, der der allgemeinen<br />
Biodiversitäts-Konvention zur Entwicklung<br />
nationaler Strategien, Pläne und Programme<br />
zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung<br />
der biologischen Vielfalt sowie deren<br />
Einbeziehung in sektorale und sektorenübergreifende<br />
Programme oder Politiken gerecht<br />
wird. Die 9. Vertragsstaatenkonferenz<br />
des Übereinkommens über die Biologische<br />
Vielfalt wird 2008 in Bonn stattfinden. Dabei<br />
werden auch das <strong>Wald</strong>arbeitsprogramm<br />
und das Schutzgebietsprogramm auf der<br />
Agenda stehen. Von Deutschland als Gastgeberland<br />
dürften (vor allem von Entwicklungsländern)<br />
substanzielle und beispielgebende<br />
Beiträge zu Schutz und nachhaltiger<br />
Nutzung von <strong>Wald</strong>ökosystemen im eigenen<br />
Land erwartet werden.<br />
n<br />
Die Autoren sind Wissenschaftler beim<br />
Bundesamt für Naturschutz.<br />
Holz ist<br />
nimmersatt<br />
Unser <strong>Wald</strong> verschlingt massenweise CO2. Seine<br />
nachhaltige Nutzung und die Verarbeitung von<br />
Fichte, Kiefer, Buche & Co. zu modernen Produkten<br />
ersparen uns schon heute CO2 in einer Größenordnung<br />
von 10 Milliarden Tonnen. Holzverwendung<br />
ist also Klimaschutz pur. Davon können<br />
sich andere Bau- und Werkstoffe eine dicke<br />
Scheibe abschneiden. Fordern Sie jetzt Infos zum<br />
Material des 21. Jahrhunderts an.<br />
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Am Anfang war das Feuerholz. Ein Feuer<br />
entzünden und unterhalten zu können,<br />
war einer der wichtigsten Grundschritte der<br />
menschlichen Entwicklung. Es spendete<br />
Wärme, schützte vor wilden Tieren, machte<br />
die Nahrung bekömmlicher und half,<br />
Ackerboden zu gewinnen. Dies alles wäre<br />
ohne Holz undenkbar gewesen, denn nur<br />
Holz stand in ausreichender Menge überall<br />
zur Verfügung, war leicht und ungefährlich<br />
und hatte eine ausreichende Energiedichte.<br />
So blieb Holz bis tief in das 18. Jahrhundert<br />
hinein der wichtigste Energieträger der<br />
Menschheit.<br />
Dieser Erfolg des Holzes war auch einer<br />
der Gründe für den Verlust seiner Bedeutung<br />
an der Schwelle der Industrialisierung in Europa.<br />
<strong>Der</strong> durch das Bevölkerungswachstum<br />
und die stark wachsende Industrie auftretende<br />
Energiehunger konnte vom <strong>Wald</strong> nicht<br />
mehr befriedigt werden, denn er war, durch<br />
die Jahrhunderte der Übernutzung, arm an<br />
Bäumen. Diese Holzknappheit wog doppelt<br />
schwer, denn Holz war gleichzeitig ein wichtiger<br />
Baustoff. <strong>Der</strong> Mangel an Holz führte zu<br />
zwei grundlegenden Entwicklungen in der<br />
Gesellschaft. <strong>Wald</strong> wurde von nun an von einer<br />
planenden Forstwirtschaft bewirtschaftet,<br />
deren oberster Grundsatz es wurde, nie<br />
mehr zu nutzen als zuwächst. Und Holz wurde<br />
als primärer Energieträger erst von der<br />
Kohle und später von Erdöl, Erdgas und dem<br />
Uran weit gehend verdrängt.<br />
52 proWALD : JULI | 2007<br />
Feuer aus dem <strong>Wald</strong><br />
Aus Kohlendioxid wird Holz und aus<br />
Holz Kohlendioxid. Durch den Einsatz<br />
fossiler Brennstoffe veränderte sich aber<br />
schleichend die Zusammensetzung der<br />
Atmosphäre. Denn Kohle, Erdöl und Erdgas<br />
sind das Konzentrat aus Pflanzen, die vor<br />
Jahrmillionen lebten und dann abstarben.<br />
Während sie lebten, entzogen sie der Atmosphäre<br />
Kohlendioxid. Sie spalteten das Kohlendioxid<br />
in ihren Blättern in Sauerstoff, den<br />
sie wieder an die Atmosphäre abgaben, und<br />
Kohlenstoff, den sie in ihrem Körpergewebe<br />
anlagerten. Er blieb auch nach ihrem Tod<br />
im Boden und sammelte sich in dem, was<br />
wir als fossile Energieträger kennen. Werden<br />
diese jetzt verbrannt, so wird das Kohlendioxid<br />
freigesetzt, das der Luft vor Jahrmillionen<br />
entzogen wurde. Einmal freigesetzt,<br />
wirkt es als Treibhausgas in den höheren<br />
Schichten unserer Atmosphäre wie eine<br />
Käseglocke, die Sonnenstrahlen zur Erwärmung<br />
zwar hereinlässt, aber keine Wärme<br />
mehr hinauslässt. Dieser Effekt führt zur Erwärmung<br />
des Erdklimas.<br />
Verbrennen wir Holz von Bäumen aus<br />
dem <strong>Wald</strong>, so wird ebenfalls Kohlendioxid<br />
freigesetzt. Aber es ist nicht das Kohlendioxid<br />
aus einer sehr alten, sondern aus<br />
unserer jetzigen Atmosphäre. Außerdem<br />
würde es sowieso wieder an die Atmosphäre<br />
abgegeben, denn nach dem natürlichen<br />
Tod des Baumes würde er von Tieren und<br />
Pilzen zersetzt werden. Diese Organismen<br />
von Gernod Bilke und Christian Hohm<br />
verbrennen beim Abbau der Holzsubstanz<br />
den enthaltenen Kohlenstoff enzymatisch<br />
und setzen dabei die gleiche Menge Kohlendioxid<br />
frei, die dieser Baum in einem<br />
wärmenden Feuer freigesetzt hätte. Deshalb<br />
wird Holz als klimaneutraler Brennstoff<br />
bezeichnet.<br />
Es gibt eine klare Hierarchie der Holznutzung.<br />
Holz hat als Brennstoff eine beachtliche<br />
Energiedichte. So hat ein Raummeter<br />
Buchenholz den gleichen Heizwert<br />
wie 200 l Heizöl oder 380 kg Braunkohlebriketts.<br />
Außerdem ist es als Stoff vollkommen<br />
ungefährlich. Denn im Gegensatz zum<br />
Öl schädigt es nicht das Grundwasser und<br />
verseucht nicht den Boden, wenn es damit<br />
in Berührung kommt. Aufgrund dieser Vorteile<br />
könnte man prinzipiell das gesamte,<br />
im <strong>Wald</strong> geerntete Holz als Brennholz nutzen.<br />
Dies hätte aber den entscheidenden<br />
Nachteil, dass man das bereits gespeicherte<br />
Kohlendioxid gleich wieder der Atmosphäre<br />
zuführt. Klimapolitisch ist es viel klüger,<br />
das Holz als Speicher zu nutzen. Denn Holz<br />
ist nicht nur ein Brennstoff, sondern ein<br />
regelrechtes Multitalent, zum Beispiel als<br />
Baustoff. So wird schon heute jedes fünfte<br />
Haus in Deutschland aus Holz gebaut. Aber<br />
auch Möbel, Werkzeuge, Instrumente und<br />
Papier haben im Holz den gleichen Grundstoff.<br />
Selbst Klebstoff, Plastikstühle oder<br />
Handyschalen können aus Holz hergestellt
werden. Auch hier ersetzt Holz die Rohstoffe<br />
Erdöl, Erdgas oder Kohle und senkt so die<br />
Kohlendioxidimmissionen.<br />
Nach seiner Nutzung als Tisch, Balken<br />
oder Zaun kann Holz immer noch verbrannt<br />
werden und so die in ihm gespeicherte Energie<br />
abgeben. Aber aus verbranntem Holz<br />
lässt sich kein Tisch mehr herstellen.<br />
Deshalb gibt es bei der Nutzung von<br />
Holz eine klare Hierarchie. Zuerst wird all<br />
das Holz an einem Baum aufgearbeitet, das<br />
aufgrund seiner Eigenschaften wie Dicke,<br />
Geradschaftigkeit und Inhaltsstoffe für die<br />
Verwendung als Rohstoff geeignet ist. Nur<br />
das Holz, das dann übrig bleibt, sollte gleich<br />
Brennholz werden.<br />
Allerdings muss auch Holz im <strong>Wald</strong><br />
bleiben. <strong>Der</strong> restlosen Nutzung sind Grenzen<br />
gesetzt. Denn Holz enthält zu 50 %<br />
Kohlenstoff und zu weiteren 49 % Wasserstoff<br />
und Sauerstoff. Dies sind alles Stoffe,<br />
die vom Baum jederzeit über die Luft oder<br />
das Wasser im Boden wieder aufgenommen<br />
werden können. Aber etwa 1 % des Holzes<br />
sind Nährelemente wie Stickstoff, Kalium<br />
und Kalzium. Diese werden zwar auch über<br />
die Verwitterung des Bodens nachgeliefert,<br />
aber dieser Prozess läuft sehr langsam ab.<br />
Würde ständig alles nutzbare Holz dem <strong>Wald</strong><br />
entzogen werden, würde der Boden verarmen<br />
und aus Mangel an basischen Nährstoffen<br />
versauern.<br />
Aus diesem Grund belassen die Förster<br />
mit Bedacht Teile von Kronen der Bäume im<br />
<strong>Wald</strong> und nutzen niemals die Stubben oder<br />
gar die Wurzel der Bäume. So wird sichergestellt,<br />
dass die Bodenfruchtbarkeit erhalten<br />
bleibt und auch zukünftig gesunde Wälder<br />
wachsen können.<br />
Aber was ist denn nun eigentlich Energieholz?<br />
Hinter diesem Begriff verbergen<br />
sich vier wichtige Arten des Brennholzes.<br />
Am bekanntesten ist sicherlich das Scheitholz.<br />
Es ist zwischen 20 und 60 cm lang und<br />
wird hergestellt, indem man den Stamm in<br />
Stücke sägt und diese in Scheite spaltet. Verheizt<br />
wird das Scheitholz hauptsächlich in<br />
Kaminöfen. Aber auch in modernen Holzvergaseröfen,<br />
die mit einer Beschickung ein<br />
ganzes Haus einen Tag lang warm halten<br />
können, wird Scheitholz eingesetzt. Scheitholz<br />
ist besonders umweltfreundlich, da zu<br />
seiner Herstellung nur sehr wenig Energie<br />
aufgewendet werden muss.<br />
In größeren Häusern oder in Stallanlagen<br />
wird häufig mit Hackschnitzeln geheizt.<br />
Hackschnitzel werden produziert, indem<br />
man dünnes Holz oder Kronen mit einem<br />
motorgetriebenen Hacker in Stücke von<br />
etwa 2 cm Länge und 0,5 cm Dicke hackt.<br />
Sie können in Silos gelagert werden, und<br />
aufgrund ihrer Homogenität ist ihr Einsatz<br />
in automatisch betriebenen Heizanlagen<br />
möglich.<br />
Sozusagen das Premiumsegment des<br />
Energieholzes stellen die Pellets dar. Pellets<br />
sind kleine zylindrische Presslinge aus<br />
naturbelassenem Holz. Durch ihre geringe<br />
Holzfeuchte und genormte Größe machen<br />
sie es möglich, Heizanlagen mit ihnen zu<br />
betreiben, die in Komfort und Leistung mit<br />
modernen Heizanlagen für Gas oder Öl vergleichbar<br />
sind.<br />
Schlussendlich gibt es noch das Gebrauchtholz.<br />
Hierbei handelt es sich um Holz,<br />
das vormals schon in stofflicher Verwendung<br />
zum Beispiel als Dachstuhl war und nach der<br />
Entsorgung in Großanlagen verbrannt wird.<br />
In diesen Holzheizkraftwerken wird neben<br />
Wärme auch Strom produziert.<br />
Feuer aus dem <strong>Wald</strong> hat noch mehr<br />
Vorteile. Nicht nur, dass Holz beständig in<br />
unseren Wäldern nachwächst und mit geringem<br />
Aufwand naturverträglich geerntet werden<br />
kann, dass es ungiftig, klimaneutral und<br />
praktisch unbegrenzt lagerfähig ist, es wächst<br />
auch noch in fast verwendungsfähigem Zustand<br />
vor unserer Haustür. Es muss nicht<br />
über tausende von Kilometern gepumpt oder<br />
mit dem Schiff transportiert und in aufwendigen<br />
Verfahren aufbereitet werden. Es wird<br />
also keine Energie damit verschwendet, die<br />
Energie selbst zu uns zu bringen.<br />
Auch mit finanziellen Vorteilen kann<br />
das Brennholz aufwarten. Das Heizen mit<br />
Scheitholz ist deutlich billiger als das Heizen<br />
mit Öl oder Gas. <strong>Der</strong> <strong>Wald</strong>besitzer hat<br />
zusätzliche Einnahmen, und es entstehen<br />
Arbeitsplätze, die zur Bereitstellung und im<br />
Verkauf des Brennholzes notwendig sind.<br />
Und das nicht irgendwo, sondern auch direkt<br />
vor der Haustür.<br />
Schließlich: Brennholz als Therapeut<br />
und Medizin? Das ist gar nicht so abwegig,<br />
denn Brennholz kann in der Tat der Gesundheit<br />
und dem seelischen Gleichgewicht<br />
dienen. In der heutigen Gesellschaft werden<br />
in erster Linie drei Dinge beklagt. <strong>Der</strong> große<br />
Abstand zur Natur, der Mangel an körperlicher<br />
Bewegung und dass man im Produktionsprozess<br />
immer mehr virtuelle und<br />
immer weniger handfeste Dinge herstellt.<br />
Ein Kaminofen benötigt durchschnittlich etwa<br />
zwei Raummeter Brennholz im Jahr. Bei<br />
der Aufarbeitung dieser zwei Raummeter<br />
ist man körperlich in der Natur tätig. Man<br />
lernt die Struktur des Holzes, etliche Käfer<br />
und in den Arbeitspausen die Ruhe des <strong>Wald</strong>es<br />
kennen. Und jedes Scheit Holz, das man<br />
in den Kamin wirft, gibt einem das wohlige<br />
Gefühl, dass es mit ihm möglich ist, eines<br />
der Grundbedürfnisse der Familie, das Bedürfnis<br />
nach Wärme, durch eigene Arbeit zu<br />
befriedigen.<br />
Heizen mit Holz heißt also, mit gutem<br />
Gewissen das Richtige zu tun.<br />
n<br />
Die Autoren arbeiten in der Forstabteilung<br />
des MLUV Brandenburg.<br />
Bilder: FVA BW, Gernod Bilke<br />
JULI | 2007 : proWALD 53
Fachbereich Forstwirtschaft der Fachhochschule Eberswalde:<br />
vom <strong>Wald</strong> lernen - für den <strong>Wald</strong> lehren, forschen und handeln<br />
Die Arbeit des Fachbereichs wurzelt in der<br />
langen Tradition der Eberswalder <strong>Wald</strong>wissenschaften<br />
und waldbezogenen Lehre<br />
sowie im Bewusstsein der besonderen ökologischen<br />
und wirtschaftlichen Bedeutung<br />
der <strong>Wald</strong>ökosysteme. Wälder bedecken ein<br />
Drittel der gesamten Landoberfläche der<br />
Erde. Sie gehören zu den komplexesten und<br />
artenreichsten Ökosystemen unseres Planeten.<br />
Die Schwächung und der Verlust der<br />
<strong>Wald</strong>ökosysteme bedeuten eine gravierende<br />
Veränderung der Funktionalität des globalen<br />
Ökosystems. Maßnahmen zur Erhaltung<br />
der Wälder fördern nicht nur in beträchtlichem<br />
Umfang den Klimaschutz, sondern<br />
sind auch zur Bewahrung der biologischen<br />
Vielfalt und vieler wichtiger Ökosystemleistungen<br />
unerlässlich. <strong>Der</strong> beobachtete und<br />
projizierte globale Umweltwandel bedeutet<br />
eine zentrale Herausforderung. Die schnelle<br />
Veränderung der Standortbedingungen<br />
droht, die Anpassungsfähigkeit vieler <strong>Wald</strong>ökosysteme<br />
zu überfordern. Mit dem <strong>Wald</strong><br />
arbeiten, bedeutet seit jeher: Verantwortung<br />
übernehmen für ein langlebiges Ökosystem,<br />
dessen Lebenszyklen den Horizont eines<br />
einzelnen Menschenlebens überschrei-<br />
Und nachhaltige Holznutzung hat vielfältige positive Auswirkungen:<br />
Ökologische Nachhaltigkeit<br />
Fachmännische Pfl egeeingriffe zur Erneuerung und Stabilität des <strong>Wald</strong>es und<br />
zum Schutz der Artenvielfalt, insbesondere mit Blick auf neuartige <strong>Wald</strong>schäden<br />
und Kalamitäten.<br />
Wirtschaftliche Nachhaltigkeit<br />
Sinnvoll erweiterte Vermarktung des nachwachsenden Rohstoffes Holz im Sinne<br />
des aktiven Klimaschutzes (Holz als Energieträger und „Baumaterial“).<br />
ten. Diese Verantwortung ist die treibende<br />
Motivation für die Eberswalder Lehre und<br />
Forschung, welche inzwischen weit über die<br />
klassische Bewirtschaftung von Forsten hinausreichen.<br />
Vom <strong>Wald</strong> lernen meint: komplex, langfristig<br />
und systemisch denken. Unser<br />
vorrangiges Ziel ist es, zur Lösung wichtiger<br />
gesellschaftlicher Probleme und zu einer<br />
wahrhaft nachhaltigen Entwicklung beizutragen.<br />
Es geht um die Ausbildung von praktisch<br />
erfahrenen und problemlösungsorientierten<br />
Fachleuten, welche den Umgang<br />
mit der Umwelt und den Naturressourcen<br />
als Eingriff in komplexe Systeme verstehen.<br />
<strong>Der</strong> Mensch ist Teil dieser Systeme und muss<br />
im Mittelpunkt jeglicher Strategien stehen.<br />
Wir tragen der Tatsache Rechnung, dass<br />
ein effektives Umwelt- bzw. Ökosystemmanagement<br />
nicht nur die Kenntnis der naturwissenschaftlichen<br />
und technischen Grundlagen<br />
voraussetzt, sondern dass darüber<br />
hinaus vor allem die sozioökonomischen,<br />
rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen<br />
erfolgsbestimmend sind. Ganzheitliches<br />
und offenes Denken sowie trans- bzw.<br />
pollmeier www.pollmeier.com • Infoline: +49 36926 945-0<br />
interdisziplinäres Handeln sind unerlässlich.<br />
Wir streben an, unseren Studierenden<br />
nicht nur fachliche, methodische und soziale<br />
Kompetenzen zu vermitteln, sondern sie<br />
darüber hinaus auch an die verschiedenen<br />
Segmente des Arbeitsmarktes heranzuführen,<br />
indem sie von Praktikern aus erster<br />
Hand von den Anforderungen in den verschiedensten<br />
Berufen erfahren. Besondere<br />
Bedeutung kommt der institutionellen Vernetzung<br />
und der Internationalisierung zu.<br />
Studiengänge:<br />
Bachelor of Science: Forstwirtschaft, International<br />
Forest Ecosystem Management (mit<br />
Partnern aus dem Bereich der Wirtschaft<br />
und Nichtregierungsorganisationen).<br />
Master of Science: Forest Information Technology<br />
(zusammen mit der Landwirtschaftlichen<br />
Universität Warschau), Global Change<br />
Management (zusammen mit Germanwatch,<br />
GTZ, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,<br />
Münchener Rück, NABU).<br />
www.fh-eberswalde.de<br />
n<br />
Prof. Pierre Ibisch, Dekan FH Eberswalde<br />
Soziale Nachhaltigkeit<br />
Förderung der privaten <strong>Wald</strong>eigentümer – und der Wertschöpfungskette<br />
Forst & Holz, d.h. Einkommen und Arbeitsplätze insbesondere im<br />
ländlichen Raum.<br />
Anzeige - ProForst DE 186x114 4c1 1 15.06.2007 11:44:59<br />
54 proWALD : JULI | 2007
Bei der Frage »<strong>Wald</strong> in Berlin?« stellen wir<br />
immer wieder fest: Viele Menschen können<br />
sich <strong>Wald</strong> im Ballungsraum nicht vorstellen.<br />
Ist nicht eigentlich der Tiergarten, sind nicht<br />
im Grunde Parks und Gärten gemeint? <strong>Der</strong><br />
Grunewald heißt doch nur so, ist aber keiner,<br />
oder? Wenn dann auch noch der Förster<br />
ins Spiel kommt, reagieren viele vollends<br />
verständnislos: »Hier? In Berlin? Als Beruf?«<br />
Richtig! Mitten in Berlin. Und nicht nur als<br />
versprengter letzter Mohikaner, sondern in<br />
29 Forstrevieren und vier Forstämtern. Sie<br />
kümmern sich nicht etwa um vereinzelte<br />
Wälder in Randlage, sondern um ein knappes<br />
Fünftel der Stadt. Berliner Wälder liegen<br />
kurz vor Kreuzberg und erreichen fast den<br />
Kudamm. Wie überlebt man aber als Förster<br />
in diesem Umfeld?<br />
Als Vergleich – vielleicht gar als Vorbild?<br />
– kann der Fuchs dienen. Über ihn setzt sich<br />
die Erkenntnis durch, dass er sich als Stadtfuchs<br />
in so ziemlich allen Ballungsräumen<br />
des Kontinents etabliert hat und dass er als<br />
urbaner Mitbewohner ein ganz anderer ist<br />
als seine vermeintlichen Artgenossen auf<br />
dem Lande: Lebensrhythmus und Alltagsgewohnheiten,<br />
Nahrungsspektrum und<br />
Ernährungsstrategien und sogar das Sozialverhalten<br />
haben sich verändert. Er passt sich<br />
an, nutzt Chancen und meidet Fallstricke.<br />
Für Stadtförster empfiehlt sich in vielen<br />
Fällen Ähnliches. Neue Strategien und ergänzende<br />
Kompetenzen sind gefragt. Ganzheitliche<br />
Ansätze und interdisziplinäres Wissen<br />
rund um <strong>Wald</strong> und <strong>Wald</strong>wirtschaft sind<br />
Förster in Berlin<br />
von Marc Franusch<br />
wichtig, klar. Wichtiger noch ist aber das<br />
Reden darüber, Zuhören und der Austausch<br />
mit anderen. Berlin ist ein Schmelztiegel<br />
von Experten. Das sind unter Umständen<br />
Einmischer und Besserwisser, die unsere<br />
Arbeit komplizierter machen. Das können<br />
aber auch Ratgeber und Helfer sein, die die<br />
Qualität unserer Arbeit verbessern.<br />
Kommunikation findet in jedem Fall und<br />
an jedem Tag statt. Wohin auch immer der<br />
Förster sich in seinem <strong>Wald</strong> zurückzieht, er<br />
wird entdeckt werden. Unser Handeln ist<br />
öffentlich und wird wahrgenommen, dafür<br />
müssen wir meist gar nicht sorgen. Es empfiehlt<br />
sich also, unsere Entscheidungen verständlich<br />
zu machen und zu erklären. Das<br />
will gelernt sein. Die Interessengruppen,<br />
denen wir begegnen, könnten unterschiedlicher<br />
nicht sein:<br />
s Besorgte Eltern empfinden es oft als etwas<br />
zu viel Natur (bei aller Liebe), wenn<br />
der Fuchs sein Quartier im Kindergarten<br />
bezieht. Irgendwie gehören diese Tiere<br />
doch genau wie Wildschweine, Waschbären<br />
und Steinmarder dem Förster und<br />
somit in den <strong>Wald</strong>, oder?<br />
s Engagierte Naturschützer haben nicht<br />
immer Verständnis für Baumfällungen<br />
aus Sicherheitsgründen am Siedlungsrand.<br />
s Was bitte ist falsch daran, Gartenabfälle<br />
jeder Art in den nahen <strong>Wald</strong> zu bringen?<br />
Das ist doch Dünger.<br />
s In den Berliner Wäldern tummeln sich<br />
Wildschweine, und wenn wir diese »Be-<br />
drohung« durch Abschuss nicht beseitigen<br />
können, dann gehören doch wenigstens<br />
Warnschilder an die <strong>Wald</strong>eingänge.<br />
Nordamerika macht es bei Puma und<br />
Bär doch vor!<br />
s Außerdem gibt es Radfahrer, die für<br />
Fußgänger nicht bremsen, Hundehalter,<br />
deren 60-Kilo-Vierbeiner mit dem 2-jährigen<br />
Laufradfahrer nur spielen wollen,<br />
Glaubensgemeinschaften, deren Religion<br />
ohne rituelle Feuer in Berlins Wäldern<br />
nicht praktiziert werden kann und,<br />
und, und.<br />
Knapp 50 m² <strong>Wald</strong>fläche hat Berlin pro Kopf.<br />
<strong>Der</strong> Platz reicht nicht, um jedem Interesse,<br />
jedem Bedürfnis seine exklusive Ecke zuzuweisen.<br />
Vieles spielt sich auf ein und derselben<br />
Fläche ab. <strong>Der</strong> Förster muss es richten,<br />
soll Harmonie und Kompromisse organisieren<br />
und soll dabei aber auch das Wohl des<br />
<strong>Wald</strong>es garantieren. Am Ende funktioniert<br />
es meis tens. Oft mit forstlichem, manchmal<br />
aber auch ohne forstliches Eingreifen. Wie<br />
beim Fuchs. Am Ende arrangieren wir uns<br />
miteinander. Seine Aufgabe ist aber vielleicht<br />
auch die leichtere: Auf einen Revierförster<br />
in Berlin kommen etwa 160.000 Menschen,<br />
aber auf einen Fuchs 1800 Bürger.<br />
Das verteilt sich.<br />
n<br />
Marc Franusch ist Pressesprecher<br />
der Berliner Forsten.<br />
Foto: F. Möllers © www.wildesBerlin.de<br />
JULI | 2007 : proWALD 55
Meine 50 Quadratmeter <strong>Wald</strong><br />
I.<br />
Als die Romantiker der deutschen Literatur<br />
begannen, den <strong>Wald</strong> zu verherrlichen und<br />
zu verklären, als Wilhelm Hauffs Reisende<br />
aus dem Wirtshaus im Spessart oder Eichendorffs<br />
Taugenichts durch größtenteils<br />
geheimnisvoll verschattete Wäldern wanderten,<br />
wurden eben diese Wälder gründlich<br />
abgeholzt. Da, wo in der Märchenwelt der<br />
schönen bürgerlichen Literatur des frühen<br />
19. Jahrhunderts nachts zart verschleierte<br />
Elfen auf Lichtungen herumtanzten, schufen<br />
sich bei Tage die energiehungrige Industrie<br />
und die frierenden Stadtmenschen die<br />
notwendigen Kahlschläge. Man brauchte<br />
Platz für Arbeiterquartiere, billigen Platz.<br />
Zuwachs hatte der <strong>Wald</strong> nur noch zwischen<br />
den Buchdeckeln der Literatur. Den<br />
Gegenstand der süßlichen Verklärung ließ<br />
man umsägen. Und während die europäischen<br />
Städte zu Millionenmetropolen<br />
heranwuchsen und sich immer neue und<br />
immer engere, ungesündere und scheußli-<br />
56 proWALD : JULI | 2007<br />
<strong>Der</strong> Großstädter und sein Erholungswald<br />
chere Vorstädte mit Arbeitersiedlungen zulegten,<br />
während das Ruhrgebiet ganze Woiwodschaften<br />
aus Polen aufsog, weil man die<br />
schlechtbezahlten Malocher brauchte, um<br />
Stahlwerke zu betreiben und Kohle zu fördern,<br />
waren die Wälder um die Großstädte<br />
herum den Sägen der frierenden Menschen<br />
längst zum Opfer gefallen. Erst die Steinkohle<br />
erlöste den <strong>Wald</strong> als hauptsächlichen<br />
Energieträger aus seiner Knechtschaft und<br />
ließ die Bäume wieder über das Stadium von<br />
Setzlingen hinauswachsen.<br />
II.<br />
von Hannes Elster<br />
Im Einzelnen ging es natürlich viel differenzierter<br />
zu. In Paris beispielsweise war es die<br />
nach der französische Revolution total verarmte<br />
und frierende Stadtbevölkerung, die<br />
ihren schönen Bois du Boulogne fast vollständig<br />
abholzte. Den Rest erledigten wenig<br />
später die siegreichen russischen und englischen<br />
Truppen 1814. Ursprünglich hatte der<br />
später guillotinierte König Ludwig XVI. seinen<br />
schönen königlichen <strong>Wald</strong> zwischen der<br />
Hauptstadt und Versailles den vornehmeren<br />
Kreisen der Stadtbevölkerung geöffnet. <strong>Der</strong><br />
<strong>Wald</strong> wurde damit zum Spielplatz der Pariser<br />
Oberschicht, Schäferspielplatz.<br />
Es ging auf sorgfältig gepflegten und<br />
gemähten Lichtungen neckisch galant zu.<br />
Frivol vor allem. Man ließ sich bepudert<br />
und mit kostbaren Kleidern und Perücken<br />
in den <strong>Wald</strong> kutschieren. Und wenn jemanden<br />
eine flüchtige Laune überkam, dann<br />
wurde gleich ein ganzer Rosengarten mitten<br />
in eben diesem Bois du Boulogne angelegt.
Beispielsweise dieser Park »Bagatelle«, ein<br />
Flecken mitten im <strong>Wald</strong>.<br />
1777, einen Wimpernschlag vor der<br />
Französischen Revolution in Paris, wettete<br />
Marie Antoinette mit ihrem Schwager, dem<br />
Bruder des Königs, Comte d’Artois, dass der<br />
Graf nicht in der Lage sei, innerhalb von<br />
60 Tagen ein Schloss mitten in den <strong>Wald</strong> hineinzubauen,<br />
fix und sozusagen schlüsselfertig.<br />
Marie Antoinette verlor die Wette, es<br />
entstand nicht nur das Schlösschen Orangerie,<br />
sondern auch ein Park und Rosengarten<br />
um das Schloss herum, eine Bagatelle eben,<br />
versicherte der Graf. Und das alles im englischen<br />
Stil, denn englische Gärten waren gerade<br />
heftig in Mode gekommen. Übrigens ist<br />
Bagatelle – diese Kleinigkeit – bis heute ein<br />
beliebtes Ausflugsziel. Konzerte finden hier<br />
statt, in diesem Jahr eine Serie von Chopin-<br />
Konzerten, und die Anlage erweist sich bis<br />
heute als unverwüstliches Ausflugsziel der<br />
Pariser. <strong>Der</strong> gepflegte Rosengarten mit dem<br />
kleinen Schlösschen ist prachtvoll, nur die<br />
Reitbahn, die ebenfalls seinerzeit angelegt<br />
wurde, besteht heute nicht mehr.<br />
Ganz persönlich hatte die Geschichte<br />
bekanntlich mit Marie-Antoinette und ihrem<br />
Gemahl weniger Erbarmen. Nachdem<br />
60 Jahre später des Königs <strong>Wald</strong> gründlich<br />
verkommen war, legte Napoleon III. hier das<br />
an, was man heute unter dem Bois du Boulogne<br />
versteht. <strong>Der</strong> Neffe des großen Napoleon<br />
hatte sich in seinem Londoner Exil in<br />
den Hyde-Park verliebt, Naherholungsgebiet<br />
für die Londoner und Gartenvorbild für<br />
viele europäische Großstädte des 19. Jahrhunderts.<br />
Napoleon III. ließ also im Bois du<br />
Boulogne einen englischen Park-Garten-<br />
<strong>Wald</strong> durch den Landschaftsarchitekten Jakob<br />
Ignatz Hittorff entwerfen. Es erwies sich<br />
als eine gewaltige Anstrengung.<br />
400.000 Bäume wurden gepflanzt, es entstanden<br />
breite Wege, geradezu Chausseen<br />
zum Flanieren, und – was sein muss, muss<br />
sein – künstliche Wasserflächen. Allerdings<br />
unter erheblichen Mühen, denn die Seen<br />
waren aparterweise am Hang geplant und<br />
liefen zunächst immer hartnäckig wieder<br />
aus. Hittorf verlor seinen Job, ein Ingenieur<br />
nahm sich der Sache mit Erfolg an. Seitdem<br />
gibt es zwei Seen auf Terrassen, den oberen<br />
und den unteren See. 1864 wurde der Bois<br />
du Boulogne für das Publikum wiedereröffnet<br />
und 1929 offiziell in die Stadt Paris eingegliedert.<br />
Seinen redlich erworbenen miserablen<br />
Ruf (früher pflegten sich hier im <strong>Wald</strong> Verbrecher<br />
zu verstecken, er war ein beliebter<br />
Ort für Duelle) hat er auch deshalb gewahrt,<br />
weil sich mit Öffnung des <strong>Wald</strong>es für die Bevölkerung<br />
prompt der Straßenstrich hierhin<br />
verlagerte.<br />
Und noch etwas: Bis heute kämpfen<br />
Bürgerinitiativen darum, dass weder Bodenspekulation<br />
noch Straßenbau an seiner Substanz<br />
herumknabbern. Immerhin erreichten<br />
die Proteste, dass die Autobahn rund um Paris,<br />
die Périphérique, die den Bois du Boulogne<br />
durchschneidet, tiefer gelegt und in<br />
einen Betontrog verbannt wurde.<br />
III.<br />
Auch der Grunewald war einmal königliches<br />
Jagdrevier gewesen und für die schlichten<br />
Bürger Berlins streng verbotenes Gebiet.<br />
Hier ließ der Kurfürst von Brandenburg<br />
1542 sich vom Baumeister Theis ein kleines<br />
Jagdschloss (das Jagdschloss Grunewald am<br />
Grunewaldsee, das soeben frisch renoviert<br />
wurde) errichten.<br />
Bis zum Jahr 1904 blieb der Grunewald<br />
formal das kaiserlich-königliche Jagdrevier<br />
der Hohenzollern zwischen Potsdam und<br />
seinen Schlössern und der späteren Hauptstadt<br />
Berlin. Erst im 20. Jahrhundert wurde<br />
der Grunewald das, was er faktisch schon<br />
längst einige Jahre zuvor geworden war: das<br />
heiß umkämpfte Naherholungsgebiet der<br />
Millionenstadt Berlin. <strong>Der</strong> Grunewald war<br />
nicht irgendein Stück sandiges Land mit<br />
Bäumen drauf – der Grunewald war in den<br />
Augen der Berliner längst zu ihrem <strong>Wald</strong><br />
geworden, auch wenn sie dort eigentlich<br />
nichts zu suchen hatten. Denn seit einigen<br />
Jahrzehnten, nämlich seit 1879, halten hier<br />
Züge. Heute die S-Bahn-Linie 7 nach Potsdam.<br />
Hundekehle hieß der Bahnhof zunächst,<br />
und bezeichnend ist die Entstehungsgeschichte:<br />
<strong>Der</strong> Schienenstrang entstand als<br />
Teil der sogenannten »Kanonenbahn«, der<br />
militärisch wichtigen »Wetzlarer Bahn«.<br />
<strong>Der</strong> Name Hundekehle bezog sich auf das<br />
nahe gelegene Hundekehlefenn, seit 1884<br />
heißt die Haltestelle Grunewald. Ein Tunnel<br />
unter den Bahngleisen (und heute auch<br />
unter der Avus hindurch) führt in den <strong>Wald</strong><br />
hinein. (Eine traurige Berühmtheit erlangte<br />
dieser Bahnhof ab 1941, als von ihm aus<br />
über 50.000 Juden in die Vernichtungslager<br />
im Osten abtransportiert wurden. Heute<br />
erinnert ein Mahnmal an der Rampe zum<br />
Güterbahnhof an diese Schreckenszeit.)<br />
70 Jahre zuvor begannen nun die Berliner,<br />
»ihren« <strong>Wald</strong> in Besitz zu nehmen. Sehr<br />
zum Unwillen der besseren Kreise. Aber der<br />
Druck aus den beengten Innenstadtvierteln<br />
Berlins und den dramatisch wachsenden Arbeitervierteln<br />
mit ihrer drei- und vierfachen<br />
Hinterhofbebauung war viel zu groß, die<br />
Menschen brauchten ein wenig Natur. <strong>Der</strong><br />
Grunewald wurde massenhaftes Wanderziel,<br />
von hier aus konnte man das Ufer der<br />
Havel, und wenn man mit der Kanonenbahn<br />
weiterfuhr, auch den Wannsee erreichen. Allerdings:<br />
Nach wie vor blieb der <strong>Wald</strong> Jagdrevier<br />
ihrer Majestäten.<br />
IV.<br />
Es ist interessant zu sehen, wie der Kampf<br />
um den <strong>Wald</strong> nun weiter verlief. Jeder wollte<br />
was von ihm.<br />
Dass <strong>Wald</strong> gesund ist und hier die Luft<br />
frischer weht als im engen Hinterhof einer<br />
dicht bebauten Großstadt, hatte natürlich<br />
auch die Bodenspekulation schnell herausgefunden.<br />
Ganze Stadtteile schoben sich unaufhörlich<br />
in den Forst hinein. Berühmtestes<br />
Beispiel war die die Villenkolonie Grunewald<br />
von 1889, im Volksmund »Millionärskolonie<br />
Grunewald« genannt.<br />
Es gab heftige Widerstände, auch der<br />
Hof wollte den neureichen Plebs eigentlich<br />
nicht, doch auf persönliche Intervention von<br />
JULI | 2007 : proWALD 57
Reichskanzler Otto von Bismarck verkaufte<br />
der Preußische Staat schließlich 234 Hektar<br />
<strong>Wald</strong> an ein Bankenkonsortium, das sich<br />
zum Ziel gesetzt hatte, nach den Villenkolonien<br />
Alsen und Lichterfelde »ein besonders<br />
prachtvolles und repräsentatives Wohnviertel«<br />
anzulegen. So entstand seit 1889 das<br />
bis heute nobelste Wohnviertel Berlins. Die<br />
Grundstücke, so der Plan und die Realisierung,<br />
waren für heutige Verhältnisse eher<br />
Privatparks als Baugrundstücke. Man hielt<br />
sich das niedere Volk und die Nachbarn vom<br />
Halse.<br />
Nicht genug: Das, was die Geologen<br />
»glaziale Rinnen« nannten, wurde nun im<br />
Interesse der wohlhabenden Siedler zu<br />
künstlichen Seen (Grunewaldseenkette)<br />
weiterentwickelt und aufgefüllt: So entstanden<br />
der Hubertussee (vorher Torffenn),<br />
der Hertasee (vorher Rundes Fenn) und der<br />
Königssee (Langes Fenn). Die neuen Seen<br />
wurden mit artesischem Wasser aufgefüllt,<br />
das übrigens heute knapp wird, wie kürzlich<br />
Berliner Zeitungen berichteten, denn der<br />
Grundwasserspiegel im Grunewald sinkt<br />
kontinuierlich. Damals verschwanden die<br />
unerwünschten Moorgebiete (Fenne), die<br />
man heute als Biotope schützen würde,<br />
seinerzeit hielt man sie für einen Hort von<br />
Krankheitserregern. Es entstanden private<br />
Attraktionen für die neuen Bewohner, deren<br />
Villen und Gärten sich um diese Seen herum<br />
gruppierten.<br />
Keine Wohngegend für jedermann, sondern<br />
für die Schickeria und die Reichen. Aber<br />
auch Intellektuelle zog es nach Grunewald,<br />
beispielsweise die jüdischen Schriftsteller<br />
Walter Benjamin oder Lion Feuchtwanger,<br />
dessen Villa die Nazis 1933 enteigneten. Später<br />
wohnten hier Bonzen des Dritten Reiches<br />
wie Heinrich Himmler.<br />
Aber auch dies: Ohne Widerstand verlief<br />
die erste Besiedlung im ausgehenden<br />
19. Jahrhundert nicht mehr, dazu war das<br />
Selbstbewusstsein der Bürger bereits zu sehr<br />
gewachsen. Die Berliner beobachteten diese<br />
Bodenspekulation, die sie ja um ihren <strong>Wald</strong><br />
beraubte, mit wachsender Empörung. Unterschriftenlisten<br />
gingen herum, es formierte<br />
sich eine Art Naturschutzorganisation. Als<br />
1909 der <strong>Wald</strong>verlust sich in nur einem ein-<br />
58 proWALD : JULI | 2007<br />
zigen Jahr auf 1.800 Hektar summierte, war<br />
das Maß voll. Auf dem »Zweiten Berliner<br />
<strong>Wald</strong>schutztag« 1909 erreichte die Wut der<br />
Bevölkerung ihren neuen Höhepunkt, welche<br />
die Groß-Lichtenfelder Zeitung zu der<br />
Schlagzeile animierte: »<strong>Der</strong> Grunewald ist<br />
dem Verderben geweiht«. Es kam zum sogenannten<br />
»Dauerwaldkaufvertrag«. <strong>Der</strong> kommunale<br />
Zweckverband Großberlin kaufte<br />
dem preußischen Staat erhebliche Wälder<br />
im Umfeld Berlins ab, darunter auch große<br />
Teile des Grunewaldes.<br />
<strong>Der</strong> Abschluss dieses Dauerkaufvertrages<br />
ging eindeutig auf den Druck der ersten<br />
deutschen Umweltbewegung zurück. Die<br />
Berliner hatten sich nun ihren Erholungs-<br />
<strong>Wald</strong> erkämpft.<br />
V.<br />
Was nicht heißt, dass ihr Grunewald unangestastet<br />
blieb. Direkt neben der Bahnlinie<br />
wurde die Avus durch den Grunewald gebaut<br />
– ausgerechnet als Rennstrecke. Heute ist die<br />
Avus Teil des Berliner Autobahnsystems. Am<br />
Havelufer entstand eine prachtvolle Uferstraße,<br />
die <strong>Wald</strong> und Havel bis nach Wannsee<br />
erschloss. Seit Jahren ist sie nun wieder<br />
für den Allgemeinverkehr gesperrt. Man versucht,<br />
die Autos aus dem <strong>Wald</strong> auszusperren.<br />
Man kann hier mit dem Fahrrad eine<br />
nicht endende Kette von Wirtshäusern und<br />
öffentlichen Toiletten abfahren. Beliebtheit<br />
und Allgemeingebrauch haben ihren Preis,<br />
nämlich die Logistikspuren der Massennutzung.<br />
Und überall finden sich die Spuren der<br />
Berliner Geschichte: preußische Schlösser<br />
oder Überreste des letzten Krieges, beispielsweise<br />
der sogenannte Teufelsberg.<br />
Er ist der höchste »Berg« Berlins mit 120 m<br />
über NN und aus dem Trümmerschutt der<br />
Max Liebermanns Villa in der Siedlung Wannsee. Das<br />
Haus ist heute ein Museum mit Liebermanns Werken.<br />
zerbombten Häuser Berlins aufgeschüttet.<br />
Und sofern alte Bäume aus der Vorkriegszeit<br />
noch im <strong>Wald</strong> stehen, ist damit zu rechnen,<br />
dass ihr Holz Bombensplitter enthält, Vorsicht<br />
beim Sägen.<br />
Vor allem während des Kalten Krieges<br />
und dann der Mauerzeit wurde der Erholungsnutzen<br />
des Grunewaldes, der Havel<br />
und des Wannsees zum Mythos für die Berliner:<br />
Hier tankte sich der Durchhaltewillen<br />
wieder auf. <strong>Der</strong> relativ kleine <strong>Wald</strong> mit rund<br />
3.000 Hektar wurde regelrecht von Spaziergängern<br />
und Radfahrern überschwemmt,<br />
man konnte ja sonst nirgends mehr hin. So<br />
wie die Menschen aus »Zilles Miljöh« ursprünglich<br />
während der Kaiserzeit und der<br />
Weimarerzeit den <strong>Wald</strong> und das Wannseebad<br />
für sich erobert hatten, so trieb es jetzt<br />
die »Insulaner« in die raren Fleckchen ihrer<br />
ummauerten Natur. Wehe dem Studenten<br />
der Freien Universität, der sich an <strong>Wald</strong>blumen<br />
verging – er wurde harsch zur Ordnung<br />
gerufen.<br />
Und wie in früherer Zeit zog es die Berliner<br />
in den Grunewald, an die Havel und vor<br />
allem an den Wannsee, wo das gigantische<br />
Wannseebad mit seinem künstlichen Strand<br />
lockte. »Pack die Badehose ein ...« gab die<br />
Stimmung in der geteilten Stadt wieder.<br />
Grunewald und die Seen waren Orte, die<br />
den Schmerz des Eingeschlossenseins vorübergehend<br />
vergessen ließen. <strong>Der</strong> <strong>Wald</strong> hatte<br />
sich demokratisiert.<br />
Heute, nach dem Fall der Mauer, geht es<br />
wieder ein wenig lockerer, stiller zu. Auch<br />
wenn nach wie vor rein mathematisch auf<br />
jeden Berliner nur 50 Quadratmeter <strong>Wald</strong><br />
entfallen, also ungefähr so viel wie die Fläche,<br />
die eine Buche braucht, wenn sie ausgewachsen<br />
ist. Im Grunewald kommt jeder zu<br />
seinem Recht – es gibt Reviere für Hunde, wo<br />
die Vierbeiner den <strong>Wald</strong> als Hundeklo nutzen<br />
dürfen. Radfahrer, Wanderer und Jogger<br />
kommen sich kaum noch in die Quere, da sei<br />
die Besucherlenkung vor. Und dann gibt es<br />
ja auch wieder die unermesslichen großen<br />
Wälder mit ihren vielen Seen rings um Berlin<br />
in Brandenburg. Fontanes Wanderungen<br />
durch die Mark Brandenburg sind wieder<br />
nachvollziehbar geworden.<br />
n<br />
Hannes Elster ist Redakteur von proWALD.
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