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Der Wald - Deutscher Forstverein

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Naturathlon 2007<br />

Treffpunkt <strong>Wald</strong><br />

22. Juli - 4. August<br />

<strong>Der</strong> Naturathlon ist eine gemeinsame Aktion von:<br />

WALD<br />

Treffpunkt<br />

Juli | 2007


Niederlande<br />

Belgien<br />

Frankreich<br />

N o r d s e e<br />

Luxemburg<br />

Gelsenkirchen<br />

Köln<br />

Bundesamt für Naturschutz<br />

www.naturathlon2007.de<br />

5<br />

4<br />

HUNSRÜ CK<br />

PFÄ LZERWALD<br />

BERGISCHES<br />

LAND<br />

WESTERWALD<br />

3<br />

2<br />

6<br />

Freiburg<br />

1.800 km mit Muskelkraft durch Deutschland –<br />

der Streckenverlauf des Naturathlons<br />

HOCHSAUERLAND<br />

BIENWALD<br />

Karlsruhe<br />

SCHWARZWALD<br />

1<br />

Schweiz<br />

Frankfurt<br />

Dänemark<br />

SOLLING<br />

7<br />

Hannover<br />

Hamburg<br />

HARZ<br />

9<br />

8<br />

HAINICH<br />

Nürnberg<br />

10<br />

Magdeburg<br />

KYFFHÄ USER<br />

<br />

<br />

München<br />

Rostock<br />

11<br />

ELBAUEN<br />

Österreich<br />

O s t s e e<br />

FELDBERGER<br />

SEENLANDSCHAFT<br />

SCHORFHEIDE<br />

14<br />

12<br />

13<br />

Berlin<br />

GRUNEWALD<br />

Dresden<br />

Tschechien<br />

Stationen<br />

1 Hundseck<br />

2 Dahn<br />

3 Bad Kreuznach<br />

4 Odenthal-Altenberg<br />

5 Gelsenkirchen<br />

6 Möhnesee<br />

7 Schönhagen<br />

8 Bad Harzburg<br />

9 Creuzburg<br />

10 Rathsfeld<br />

11 Schopsdorf<br />

12 Feldberg<br />

13 Eberswalde<br />

14 Berlin<br />

Polen<br />

Quelle: Bundesamt für Naturschutz (BfN), 2006


Sigmar Gabriel im Interview<br />

»WIR BRAUCHEN DIE MENSCHEN ALS VERBÜNDETE« . . . . . . 4<br />

Wilhelm Stölb<br />

MENSCH UND WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Jens-Olaf Weiher<br />

URLAUB UND ERHOLUNG IM WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

Kerstin Arnold und Anke Höltermann<br />

FORSTWIRTSCHAFT UND NATURSCHUTZ IM EINKLANG . . . . 13<br />

Michael Leschnig<br />

DER WALD – WIEGE DER NACHHALTIGKEIT. . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Walter Lang<br />

DIE KASTANIE – DER RÖMISCHE ZAUBERBAUM . . . . . . . . . . . 19<br />

Michael Börth<br />

WAS WALD ALLES KANN: WALD AUF KOHLEHALDEN . . . . . . 21<br />

Ursula Rüping<br />

EINE KLARE SACHE: WASSER AUS DEM WALD . . . . . . . . . . . . 25<br />

Friedrich Beese<br />

REHA FÜR DEN WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Ole Anders<br />

DAS LUCHSAUSWILDERUNGS-PROJEKT IM HARZ . . . . . . . . . 31<br />

EDITORIAL<br />

Naturathlon – ein tolles Projekt!<br />

Wenn es den Naturathlon nicht schon seit einigen Jahren gäbe, müsste man ihn schnellstens<br />

erfinden. Das Zusammenspiel von Sport in der Natur, Wissen um Natur und <strong>Wald</strong> als<br />

Austragungsort ist optimal, eine bessere Kombination kann man sich kaum vorstellen,<br />

um die ökologische und soziale Funktion des <strong>Wald</strong>es zur Geltung zu bringen. Öffentlichkeitsarbeit<br />

für Natur und <strong>Wald</strong> im besten Sinn.<br />

Mitteleuropa mit seinem freien Betretungsrecht für Wälder gibt Wanderern, Joggern,<br />

Radfahrern und Reitern einen Frei raum, wie man ihn sonst auf der Welt nur selten findet.<br />

<strong>Der</strong> Wert dieser (fast) unbegrenzten Möglichkeiten, Möglichkeiten, die an keiner Eigentumsgrenze<br />

Halt machen müs sen, sollte uns in unserem dicht bevölkerten Land immer<br />

wieder neu bewusst werden. Er ist ein hohes Gut und nebenbei auch ein »weicher«<br />

Standortvorteil für Deutschland als Wirtschaftsstandort. Dies der Öffentlichkeit bewusst<br />

zu machen, dazu trägt der Naturathlon bei.<br />

Auch sollten die Nutzer dankbar sein, dass dies in einem <strong>Wald</strong> geschehen kann, der<br />

gleichzeitig Produktionsstandort eines immer wichtigeren, nachwachsenden Rohstoffes<br />

ist (wozu sich in diesem Heft mehrere Beiträge finden!). In wel chem anderen Produktionsort<br />

können Dritte sich so frei bewegen und ihren Hobbys nachgehen?<br />

<strong>Der</strong> DFV hat deshalb gerne das Juli-Heft von proWALD dies em Projekt gewidmet.<br />

Dass dabei unterschiedliche Meinungen zu <strong>Wald</strong> und Naturschutz formuliert werden,<br />

dürfte offensichtlich sein. Die Artikel spiegeln die Auffassung der Autoren wider und<br />

sollen die Diskussion zwischen Forst und Naturschutz beleben.<br />

Ich danke allen Beteiligten, vor allem dem Bundesamt für Naturschutz, den Landesforstverwaltungen,<br />

den Trägern der Kampagne Treffpunkt <strong>Wald</strong> und dem NABU für die<br />

gu te Zusammenarbeit.<br />

Nun bleibt nur zu wünschen, dass auch die Umsetzung ein gro ßer Erfolg wird.<br />

Ihr Dr. Anton Hammer<br />

Präsident des Deutschen <strong>Forstverein</strong>s<br />

NATURATHLON INHALT<br />

Axel Ssymank<br />

NATURA 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

Lars Langhans<br />

BAUM AB? JA BITTE! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

Steffen Schmidt<br />

DAS GÄSTEBUCH EINER ALTEICHE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

Martin Heinze<br />

DER GIPS UND DER KYFFHÄUSER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

Alfons Henrichfreise<br />

ZWISCHEN WASSER UND LAND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />

Christine Große<br />

INTAKTE MANG ROVEN HÄTTEN TSUNAMI GEBREMST. . . . . . 47<br />

Manfred Klein und Hagen Kluttig<br />

BIOLOGISCHE VIELFALT IM WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

Gernod Bilke und Christian Hohm<br />

FEUER AUS DEM WALD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

Marc Franusch<br />

FÖRSTER IN BERLIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

Hannes Elster<br />

MEINE 50 QUADRATMETER WALD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56


»Wir brauchen die Menschen<br />

Das Bundesumweltministerium ist derzeit<br />

in vielen verschiedenen Prozessen aktiv.<br />

Beispielsweise auch im Rahmen des neuen<br />

Umweltgesetzbuches, wo eine Novellierung<br />

des Bundesnaturschutzgesetzes ansteht –<br />

welchen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang<br />

für Sie das Thema <strong>Wald</strong> und Naturschutz?<br />

In der Tat ist auch der <strong>Wald</strong> ein<br />

bedeutendes Themenfeld im Naturschutz,<br />

auf den sich die Gesetzgebung auswirkt. Bei<br />

der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes<br />

(BNatSchG) selbst ist es uns wichtig,<br />

dass für alle bewirtschafteten Wälder ein<br />

naturschutzfachlicher Mindeststandard<br />

gewährleistet wird. Eine weitergehende<br />

Etablierung der »guten fachlichen Praxis«,<br />

wie sie schon im aktuellen Gesetz verankert<br />

ist, spielt hierbei eine wesentliche Rolle, um<br />

die Inhalte einer nachhaltigen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />

auch aus Naturschutzsicht klarer<br />

fassen zu können.<br />

Nun wird <strong>Wald</strong> in Deutschland »gegärtnert«,<br />

das heißt, <strong>Wald</strong> ist ein Stück Natur, in das der<br />

Mensch nach Maßgabe der <strong>Wald</strong>gesetzgebung<br />

und auch wohl der wirtschaftlichen Notwendigkeiten<br />

eingreift – Wälder werden bei uns<br />

geplant verjüngt und genutzt. Wie kann das<br />

aus Ihrer Sicht »natur- und umweltschützend«<br />

geschehen? Natürliche Urwälder sind<br />

die zu über 90 Prozent aus Altersklassenwald<br />

bestehenden Forsten in Deutschland tatsächlich<br />

nicht mehr. Die vielfältige Nutzung<br />

der Wälder steht aber nicht grundsätzlich im<br />

Widerspruch zum gleichzeitigen Schutz der<br />

Wälder, sondern kann vielmehr ein wichtiges<br />

Instrument hierfür sein. Vorraussetzung<br />

hierzu ist eine Fortführung der Abkehr vom<br />

4 proWALD : JULI | 2007<br />

als Verbündete im <strong>Wald</strong>«<br />

nadelholzdominierten Altersklassenwald.<br />

Durch eine naturnahe nachhaltige <strong>Wald</strong>wirtschaft<br />

können neben der dauerhaften<br />

Sicherung der Holzproduktion auch viele<br />

Bereiche der Schutz- und Erholungsfunktion<br />

erfüllt werden. Dies ist übrigens auch Ergebnis<br />

des Nationalen <strong>Wald</strong>programms, in<br />

dem fast alle mit dem Thema <strong>Wald</strong> befassten<br />

Institutionen und Organisationen auch Ziele<br />

einer naturnahen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />

konkretisiert haben.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Wald</strong> ist in Deutschland Hort der Artenvielfalt<br />

– Biodiversität nennen das die<br />

Fachleute. Worum geht es dabei politisch:<br />

um Konservierung der vorhandenen Artenvielfalt<br />

(und Ausmerzung eingewanderter<br />

oder eingeschleppter Arten) oder um Artenvielfalt<br />

generell? Das mit der Biodiversität<br />

im <strong>Wald</strong> ist so eine Sache, denn nicht jeder<br />

Wirtschaftswald ist mit der natürlichen biologischen<br />

Vielfalt ausgestattet, wenn man an<br />

manche Fichten- und Kiefernforste denkt.<br />

Auch kommt es nicht allein darauf an, wie<br />

viele verschiedene, sondern auch darauf,<br />

welche Arten in einem <strong>Wald</strong> vorkommen.<br />

Denn biologische Vielfalt darf nicht auf die<br />

reine Artenzahl beschränkt werden, weil sie<br />

auch die typische Vielfalt der Lebensräume<br />

und die genetische Vielfalt in unserer Natur<br />

umfasst. Deutschland hat übrigens weltweit<br />

eine ganz besondere Verantwortung für das<br />

Ökosystem Rotbuchenwälder. <strong>Der</strong>en Vorkommen<br />

ist auf Europa beschränkt und hat<br />

in Deutschland seinen Schwerpunkt. Über<br />

zwei Drittel der Landfläche Deutschlands<br />

wären von Natur aus Buchenwald. Heute<br />

bedecken diese jedoch nur knapp 5 % der<br />

Bundesumweltminister<br />

Sigmar Gabriel im Interview<br />

Landfläche. Und lediglich auf 0,1 % dürfen<br />

sie sich zurzeit ohne Nutzungseinfluss natürlich<br />

entwickeln. Dieser Flächenanteil ist<br />

noch sehr ausbaufähig, und deshalb unterstützen<br />

wir natürlich auch die Bemühungen,<br />

weitere Nationalparke – mit Schwerpunkt<br />

Buchenwälder – zu etablieren.<br />

Angesichts der Auswirkungen des Klimawandels<br />

auf unsere Wälder ist aus meiner<br />

Sicht die Orientierung an Naturwäldern<br />

und standortheimischen Baumarten auch<br />

aus wirtschaftlicher Sicht von großer Bedeutung.<br />

Diese sind in der Regel weniger anfällig<br />

gegen Stürme und Käferbefall.<br />

<strong>Wald</strong> ist ja gleichzeitig Erholungsraum für<br />

den Menschen, das heißt, eine Gegend zum<br />

Wandern, Joggen, Radfahren und Grillen.<br />

Inwieweit müssen nun Mensch und Natur<br />

entflochten werden? Oder ist es nicht umgekehrt<br />

wichtig, den Menschen und Bürger als<br />

Verbündeten in den <strong>Wald</strong> zu holen, um seine<br />

Schönheit und Artenvielfalt zu erhalten? Es<br />

ist genau so, wie Sie sagen. Wir brauchen den<br />

Menschen als Verbündeten zur Erhaltung<br />

und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen<br />

Vielfalt. Gerade im <strong>Wald</strong> kann man<br />

erleben, dass Wildnisgebiete einerseits und<br />

eine nachhaltige Forstwirtschaft andererseits,<br />

die im Sinne der UN-Konvention zur<br />

biologischen Vielfalt (CBD) betrieben wird,<br />

den Menschen Erholungs- und Erlebnisraum<br />

bieten, den Pflanzen und Tieren einen<br />

Lebensraum sichern und den nachwachsenden<br />

Rohstoff Holz bereitstellen können.<br />

Ihr Ministerium unterstützt mit sehr viel<br />

Geld und an vielen Stellen – meist über das


Bundesamt für Naturschutz – naturnahen<br />

<strong>Wald</strong>bau und die Forschung im <strong>Wald</strong>.<br />

Nach welchen Leitlinien tun Sie das? Unsere<br />

Forschung und Förderung richten sich<br />

eindeutig nach den Vorgaben des Artikels<br />

12 (Forschung) der CBD. Das heißt, unsere<br />

Forschungsaktivitäten wollen die Erhaltung<br />

und die nachhaltige Nutzung der biologischen<br />

Vielfalt fördern. Dies geschieht z. B.<br />

durch die Methodenentwicklung zur naturverträglichen<br />

Bewirtschaftung.<br />

Geht es nach einigen Naturschutzverbänden,<br />

so reicht dieses bei weitem nicht aus:<br />

Es müssen mehr Schutzgebiete ausgewiesen<br />

werden, es muss mehr Forschung in den <strong>Wald</strong><br />

gesteckt werden, um ihn für die Zukunft »klimawandlungssicher«<br />

zu machen. Dies ist sicher<br />

eine große Herausforderung, die wir in<br />

der Bundesregierung gemeinsam mit dem<br />

Forschungs- und Landwirtschaftsressort<br />

angehen. Sicher ist, je naturnaher ein <strong>Wald</strong><br />

ist, desto besser kann er als gesamtes Ökosystem<br />

auf Klimaänderungen reagieren.<br />

Wie ist die Idee des Naturathlon entstanden?<br />

Sehen Sie, rund 27 Millionen Menschen<br />

treiben Sport, hiervon ungefähr ein Fünftel<br />

Natursport (5,2 Millionen). Diese Zahlen erfassen<br />

aber nur die or ga nisierten Sportler.<br />

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa<br />

15 Millionen Menschen in ihrer Freizeit nach<br />

eigenem Belieben, also nicht organisiert,<br />

Sport treiben und Natur erleben wollen. Das<br />

Thema Umwelt und Sport hat deshalb für<br />

mich drei Dimensionen: einmal die gesellschaftspolitische<br />

Bedeutung des Sports und<br />

die Mög lichkeit, den Sport als Multiplikator<br />

für die Umweltpolitik zu nutzen. Zum Zweiten<br />

nutzt der Sport die Natur, was natürlich<br />

nicht ohne Auswirkungen bleibt. Und zum<br />

Dritten wirken sich bestimmte Umweltentwicklungen<br />

auf die Möglichkeit der Sportausübung<br />

aus.<br />

Das sind Ansatzpunkt und Idee für den<br />

Naturathlon. Er soll zeigen, dass Natursport,<br />

Naturschutz und nachhaltige Forstwirtschaft<br />

sich nicht ausschließen, sondern vielmehr<br />

viele gemeinsame Interessen haben.<br />

Was heißt das konkret? Wir wollen neben<br />

unseren schönen <strong>Wald</strong> landschaften vor allem<br />

zeigen, dass der Sport naturverträglich<br />

ausgeübt werden kann. Gemeinsame Interessen<br />

sehe ich z. B. in dem Wunsch nach<br />

möglichst unzerschnittenen Landschaften.<br />

Welche »natürlichen« Besonderheiten gibt<br />

es auf der Tour zu entdecken? Die Route<br />

führt die acht Länderteams vom Schwarzwald<br />

bis zum Wannsee in Berlin durch total<br />

unterschiedliche <strong>Wald</strong> typen. Jeder <strong>Wald</strong>landschaft<br />

ist typisch für eine bestimmte<br />

Kultur- oder Naturlandschaft. Es sind Mittelgebirgslandschaften,<br />

schöne Flussläufe wie<br />

Ruhr und Elbe oder die Seenlandschaften im<br />

Osten Deutschlands dabei.<br />

Mit dem Naturathlon-Treffpunkt <strong>Wald</strong> wird<br />

eine große Öffent lichkeit auf die biologische<br />

Vielfalt im <strong>Wald</strong> aufmerksam gemacht. Wer<br />

soll dadurch vor allem erreicht werden? Auch<br />

wenn es auf den ersten Blick ein »Sportprojekt«<br />

ist, wollen wir den Dialog zwischen<br />

Förstern, Naturschützern und Sportlern<br />

fördern und bei unseren Aktionspunkten<br />

die Natur erlebbar machen. Die breite Öffentlichkeit<br />

und vor allem Freizeitsportler<br />

wollen wir für das Themenfeld biologische<br />

Vielfalt interessieren, denn im nächsten Jahr<br />

ist Deutschland Gastgeber für die Vertragsstaatenkonferenz<br />

der Konvention über die<br />

biologische Vielfalt.<br />

Was passiert an den Aktionspunkten? An den<br />

Aktionspunkten müssen die Sportler Aufgaben<br />

und sportliche Übungen rund um das<br />

Thema Forstwirtschaft und biologische Vielfalt<br />

im <strong>Wald</strong> lösen, z. B. in den Baumwipfeln<br />

Samen pflücken, Holz aus dem <strong>Wald</strong> rü cken<br />

oder ein Floß bauen am Wannsee.<br />

<strong>Der</strong> Naturathlon findet in diesem Jahr zum<br />

vierten Mal statt. Warum wurde dieses Mal das<br />

Thema <strong>Wald</strong> und biologische Vielfalt ausgesucht?<br />

Ich sagte ja bereits, dass Deutschland<br />

im kommenden Mai Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz<br />

der UN-Konvention<br />

über die biologische Vielfalt sein wird. Hier<br />

werden über 190 Staaten unter anderem<br />

auch über die Zukunft der Wäl der der Erde<br />

beraten. Wir wollen die große Aufmerksamkeit,<br />

die die Vertragsstaatenkonferenz auf<br />

sich ziehen wird, nutzen, um im Rahmen<br />

einer breiten Kampagne die Öffentlichkeit<br />

auf die Bedeutung der biologischen Vielfalt<br />

aufmerksam zu machen. Auch der Naturathlon<br />

wird wesentlich dazu beitragen, für<br />

das Anliegen von Schutz und Nutzung der<br />

biologischen Vielfalt zu werben.<br />

Vielen Dank für das Gespräch.<br />

n<br />

JULI | 2007 : proWALD 5


Natur im Bild GmbH<br />

Jede Art hängt von der anderen ab.<br />

Zerstören wir eine, gefährden wir viele.<br />

Mensch und Pfl anzen sind nur zwei Glieder in der Artenkette der Natur. Doch etwa 15.000 Tier- und<br />

Pfl anzenarten weltweit drohen aus dem riesigen Netz des Lebens zu verschwinden. <strong>Der</strong> Mensch ist<br />

Teil dieses Netzes. Wenn wir so weitermachen, zerstören wir nach und nach unsere Lebensgrundlagen.<br />

Im Mai 2008 treffen sich 190 Staaten auf der UN-Naturschutzkonferenz in Bonn, um diesen Verlust<br />

aufzuhalten. Helfen auch Sie mit, die Viefalt der Natur zu bewahren. Mehr unter www.naturallianz.de<br />

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Durch die von uns erarbeiteten, eindrucksvollen Illustrationen<br />

und verständlichen textlichen Erläuterungen, möchten wir das Interesse<br />

der Spaziergänger wecken, sich näher über Pflanzen, Tiere und Lebensräume<br />

zu informieren. Fordern Sie unseren neuen Katalog an.<br />

Auch Ihre Ideen setzen wir gerne um. Wir freuen uns auf<br />

Ihre Anfragen. Hier eine kleine Auswahl unserer Motive:<br />

19 Lehrtafeln<br />

„Bäume des Jahres“<br />

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Bild: Arcimboldi, <strong>Der</strong> Frühling<br />

Mensch und <strong>Wald</strong> –<br />

wie sich die Beziehung in den letzten 50 Jahren wandelte<br />

»Mit Hermann Löns durch <strong>Wald</strong> und Heide«<br />

geht heute niemand mehr. <strong>Der</strong> alte <strong>Wald</strong>läufer<br />

ist tot, und mit ihm Mümmelmann,<br />

der Heidehase, Schlohwittchen, das Wiesel,<br />

oder Murrjahn, der Dachs. Mancher, der hier<br />

die Wurzeln einer innigen Naturbeziehung<br />

fand, um später vielleicht Förster zu werden,<br />

mag es bedauern. Doch in den 70er-Jahren<br />

musste die beseelte Natur im Bewusstsein<br />

der Menschen der kühlen Umwelt weichen.<br />

Vorbei war es mit jener geheimnisvollen, einer<br />

verstädterten Menschheit verborgenen<br />

anderen Welt draußen – andererseits aber<br />

auch mit ihrer kitschigen Vermenschlichung.<br />

Die Naturwissenschaft übernahm<br />

die Führung, Ökologie wurde zum Leitbegriff.<br />

Und wer noch von Naturliebe sprach,<br />

wurde in die völkische Ecke gestellt: rückständig,<br />

weltfremd, sentimental.<br />

Was die Beziehung zur heimischen Natur<br />

betrifft, entstand in der Öffentlichkeit ein<br />

emotionales Vakuum, das die wenigen mutigen<br />

Einzelkämpfer wie Heinz Sielmann auch<br />

mit bewundernswertem Einsatz nicht füllen<br />

konnten. Zumal ihre »letzten Paradiese«<br />

weniger vor der eigenen Haustür zu finden<br />

waren, als vielmehr weit entfernt in anderen<br />

Ländern. So verblasste der gefühlsmäßige<br />

Bezug zur Natur als Heimatlandschaft. Die<br />

Wertschätzung breiter Massen verlagerte<br />

sich zum einen auf Reisen, zum anderen auf<br />

virtuelle Welten wie Film, Fernsehen, Video.<br />

Jeder Naturfilm bietet eine weitaus höhere<br />

Erlebnisdichte als der vergleichsweise<br />

schnöde deutsche Forst. Zielsicher stieß in<br />

die emotionale Lücke auch die Industrie, die<br />

jetzt alle möglichen Produkte als »natürlich«<br />

verkaufte: vom linksdrehenden Joghurt bis<br />

zur biologischen Gesichtsfaltencreme.<br />

Parallel zu dieser Entfremdung von der<br />

heimischen Natur lief jedoch eine andere<br />

Entwicklung: In den siebziger Jahren entdeckte<br />

der Sport die Wälder. Neue <strong>Wald</strong>läufer<br />

sah man plötzlich rund um die Städte.<br />

Nicht mehr grün angezogen auf stillen<br />

Pfaden der Natur auf der Spur, sondern offen,<br />

flott und unbekümmert ihre Bahn ziehend.<br />

In den Achtzigern gesellten sich die<br />

Radler dazu und in jüngster Zeit schließlich<br />

die »Walker«. Alle haben den <strong>Wald</strong> auf ihre<br />

Weise in Besitz genommen, zum Leidwesen<br />

der Jäger, denen fast jeder zuwiderläuft, der<br />

draußen herumläuft.<br />

Charakteristisch für die neuen, sportlichen<br />

<strong>Wald</strong>freunde ist ihre lockere Beziehung<br />

zum <strong>Wald</strong>, eine gewisse emotionale Distanz.<br />

Naturerleben ist nicht mehr das eigentliche<br />

Ziel. Man läuft durch den <strong>Wald</strong>, nicht in ihn.<br />

Man will Landschaft genießen, doch vor<br />

allem die eigene Aktivität draußen. Wie im<br />

Film gehört Musik dazu. Walkman statt <strong>Wald</strong>mann.<br />

Vorbei ist das neugierige Erforschen<br />

von Schonungen, Fuchsbauten und anderen<br />

<strong>Wald</strong>geheimnissen, welche die alten <strong>Wald</strong>-<br />

läufer magisch anzogen. Sportler verhalten<br />

sich meist hochanständig gegenüber <strong>Wald</strong><br />

und Wild, Probleme gibt es – unbeabsichtigt<br />

– bloß im Winter, wenn Ski- und Schneeschuhwanderer<br />

den Tieren bewegungstechnisch<br />

überlegen sind.<br />

Diese Distanz wäre eigentlich im Sinne<br />

der Jäger, wenn da nicht auch die moderne<br />

Ausrüstung wäre: Stirnlampen erschließen<br />

dem Sportler die Nacht; das Fahrrad macht<br />

ihn ungeheuer beweglich, überhaupt ist der<br />

Sportler sehr schnell und beinahe allgegenwärtig.<br />

Geschwindigkeit gehört zum Wesen<br />

des Sports. Neben dem Aspekt Gesundheit<br />

geht es immer auch um Leistung: etwas<br />

schaffen, Strecke, Höhe machen, sich selbst,<br />

seine Kraft und Ausdauer beweisen, eine<br />

von Wilhelm Stölb<br />

Maschine beherrschen oder auch ein Tier<br />

– das Pferd, den Schlittenhund. Dies macht<br />

einen großen Teil der damit verbundenen<br />

Freude aus.<br />

Egal, wie wir sie sehen, Sportler bilden<br />

heute die größte Fraktion der <strong>Wald</strong>nutzer.<br />

Sie gehören inzwischen mehr zum <strong>Wald</strong> als<br />

die Förster, von denen man meist nur die<br />

Staubwolke des Autos zu Gesicht bekommt.<br />

Natur oder <strong>Wald</strong> erleben, heißt immer auch,<br />

menschliche Beziehung zu ihnen erleben.<br />

Und schön ist, wenn diese Beziehung Freude<br />

ausstrahlt. Das ist die Stärke des Sports!<br />

Eben nicht nur die Hektik des Holzmanagers<br />

oder die Weltflucht des Jägers draußen zu erleben<br />

und nicht das schlechte Gewissen, das<br />

die grünen Herren jahrzehntelang jedem<br />

vermittelten, der in »ihr Reich« eindrang.<br />

Sportler bringen Lockerheit in den <strong>Wald</strong>.<br />

Das ist ebenso neu wie wohltuend. Als ich<br />

einmal auf einer Weitwanderung tagelang<br />

allein durch einsame Wälder ging, habe ich<br />

mich richtig gefreut, im Einzugsbereich einer<br />

Stadt wieder Läufern und Radlern zu<br />

begegnen.<br />

Damit diese Freude auf Dauer bleibt, die<br />

Freude des Sportlers am <strong>Wald</strong>, vielleicht sogar<br />

tiefer und befriedigender wird, wäre allerdings<br />

eines sehr wichtig, das heute kaum<br />

noch stattfindet: Innehalten, gelegentlich<br />

wieder schauen, lauschen, spüren und riechen.<br />

Mit Recht sagt man, Sport verbinde,<br />

und ich bin sicher, dass er nicht nur Menschen<br />

untereinander, sondern auch Mensch<br />

und Natur verbindet. Doch wenn aus einem<br />

Kontakt wirkliche Beziehung werden soll,<br />

dann ist Zeit erforderlich. Zeit zum Wahrnehmen.<br />

Wahrnehmung ist der erste Schritt<br />

zur Liebe.<br />

Umwelt kann man nicht lieben, sie ist<br />

zu sachlich. <strong>Wald</strong> und Natur sehr wohl, auch<br />

wenn wir uns scheuen, das auszusprechen.<br />

Hat es mit der Schnelligkeit zu tun, dass Naturphilosophen<br />

unsere grassierende Umweltkrise<br />

in engstem Zusammenhang mit einer<br />

Wahrnehmungskrise sehen? Dann können<br />

wir vom alten Löns lernen. Immer mal wieder<br />

innehalten, schauen, lauschen, hineinspüren<br />

in den <strong>Wald</strong> – trauen wir’s uns!<br />

n<br />

JULI | 2007 : proWALD 7


8<br />

Urlaub und Erholung im <strong>Wald</strong><br />

proWALD : JULI | 2007<br />

<strong>Der</strong> Schwarzwald als<br />

<strong>Wald</strong> und Erholungsraum<br />

von Jens-Olaf Weiher


Undurchdringliche (»schwarze«) Wälder,<br />

Seen, Moore und Hochweiden zusammen<br />

mit einer modernen touristischen<br />

Infrastruktur – das bietet heute<br />

der Schwarzwald: Naturschutz, Holzlieferant<br />

und Fremdenverkehr existieren<br />

hier einträchtig nebeneinander.<br />

Große zusammenhängende <strong>Wald</strong>flächen<br />

mit mächtigen Tannen und Fichten prägen<br />

den mittleren und nördlichen Schwarzwald,<br />

er ist die waldreichste Landschaft Baden-<br />

Württembergs, zu 75 % bewaldet.<br />

Eingebettet in den schier endlosen <strong>Wald</strong><br />

finden sich Hochmoore, kristallklare Bäche,<br />

eiszeitliche Karseen, die waldfreien »Grinden«<br />

(Bergkuppen) der Hochlagen und gepflegte<br />

Wiesentäler, raue enge Schluchten,<br />

wilde Gebirgsbäche und markante Höhen,<br />

beispielsweise die Hornisgrinde und der<br />

Feldberg.<br />

Die Gäste wählen unter 140.000 Betten<br />

und bringen es im Jahr auf 20 Millionen<br />

Übernachtungen. Kirschwasser und<br />

Schwarzwälder Schinken sind gastronomische<br />

Markenzeichen einer Landschaft,<br />

in der sich einst das Glasmännlein und<br />

der Köhlermichel ein Stelldichein gaben<br />

(im »Kalten Herzen« von Wilhelm Hauff ).<br />

<strong>Der</strong> Schwarzwald ist eine der bekanntesten<br />

deutschen Mittelgebirgslandschaften<br />

und als Black Forest immer noch weltberühmt.<br />

Ursache dafür sind sicherlich<br />

nicht verkitschte Heimatfilme mit ihren<br />

»Bollenhüten« oder Fernsehserien wie die<br />

»Schwarzwaldklinik«, vielmehr diese typische<br />

Landschaft mit ihrer besonderen Geschichte,<br />

die für den Besucher auf eine sehr<br />

sensible Art und Weise erlebbar ist.<br />

Naturschutz wird hier konsequent realisiert.<br />

Über ¾ des Schwarzwaldes sind Natur-<br />

und Landschaftsschutzgebiete, Teil des<br />

europäischen Schutzgebietsnetzes Natura<br />

2000, oder speziell ausgewiesene Schutz-<br />

oder Erholungswälder bzw. Bann- und<br />

Schonwälder.<br />

<strong>Der</strong> Schwarzwald ist eines der letzten,<br />

kaum von Straßen zerschnittenen <strong>Wald</strong>gebiete<br />

in Deutschland. Die oft urwüchsigen<br />

Wälder sind Heimat für eine Vielzahl selten<br />

gewordener Arten – so z.B. auch für den Auerhahn,<br />

den Charaktervogel des Schwarzwaldes.<br />

Er gehört zu den bedrohten Tierarten,<br />

aber im Schwarzwald leben heute etwa<br />

600 Auerhühner, und in den letzten Jahren<br />

hat der Bestand – einmalig in Mitteleuropa<br />

– sogar leicht zugenommen, insbesondere<br />

im Nordschwarzwald.<br />

Gerade die Wälder, in denen Auerhühner<br />

sich wohl fühlen, sind der Inbegriff für<br />

die <strong>Wald</strong>natur des Schwarzwaldes. Denn<br />

der Auerhahn braucht viel Platz, und in den<br />

riesigen Nadelwäldern des Schwarzwaldes<br />

findet er ihn. Auerhühner suchen sich darin<br />

lichte, von der Sonne beschienene Bereiche,<br />

auf denen Heidelbeeren wachsen. Diese<br />

bieten das ganze Jahr über Nahrung (Beeren,<br />

Triebe, Blätter und Knospen) sowie Deckung<br />

vor den Feinden Fuchs, Marder oder<br />

Habicht. In dunklen, dicht zugewachsenen<br />

Wäldern könnte das Tier nicht überleben.<br />

Und so kann es heutzutage sogar notwendig<br />

sein, den <strong>Wald</strong> zu nutzen, viel Holz<br />

zu ernten und so die lichten Auerhuhnwälder<br />

mit ihren besonnten Lücken zu schaffen.<br />

Natur nutzen und Natur schützen ist so kein<br />

Widerspruch.<br />

Schon die alten Römer waren von dem<br />

großen zusammenhängenden <strong>Wald</strong>gebiet<br />

beeindruckt, das sie »silva hercynia«<br />

nannten, was so viel wie »Harzwald« heißt.<br />

Sie brauchten das Harz. Aber nicht nur die<br />

Nutzung des Fichtenharzes war früher weit<br />

JULI | 2007 : proWALD 9


verbreitet. Ebenso spannend war die Geschichte<br />

der Köhlerei, der Glashütten oder<br />

des Holländerholz-Handels im 17. und 18.<br />

Die Tanne<br />

Laien verwechseln die Tanne oft mit der im<br />

Schwarzwald viel häufiger vorkommenden<br />

Fichte. Dabei ist die Unterscheidung<br />

einfach: Die Tanne ist an den aufrecht stehenden<br />

Zapfen zu erkennen, während die<br />

Fichte an den Zweigen nach unten hängende<br />

Zapfen hat. Die Forstleute schätzen<br />

an der Tanne die positiven Wirkungen auf<br />

Boden und <strong>Wald</strong>klima. Durch ihr intensives<br />

Wurzelwerk und ihre Schattenverträglichkeit<br />

bildet sie stabile, in Mischung<br />

mit Buche und Fichte reich strukturierte,<br />

dunkle und urwüchsige Mischwälder. Sie<br />

fühlt sie sich in den feuchtkühlen Bergwäldern<br />

besonders wohl und wird bis zu<br />

600 Jahre alt. Kaum ein anderer Baum bildet<br />

ähnlich mächtige Stämme und ist so<br />

resistent gegen Borkenkäfer. »Die Tanne<br />

ist das Rückgrat des <strong>Wald</strong>es«, versichern<br />

die Förster, »und die Holznutzung ist auch<br />

heute ökologisch und ökonomisch sinnvoll<br />

und überdies klimafreundlich.«<br />

Jahrhundert, als das Holz aus dem Schwarzwald<br />

zum europaweit gefragten Baumaterial<br />

wurde und der abenteuerliche Holztransport<br />

bis nach Amsterdam ein früher Vorbote<br />

der Globalisierung war.<br />

So steht beispielsweise das königliche<br />

Schloss in Amsterdam auf einem Fundament<br />

von rund 14.000 Rammpfählen aus<br />

»Holländertannen«. Diese Weißtanne ist<br />

auch heute noch der Charakterbaum des<br />

Schwarzwaldes. Vor allem die Möbelschreiner<br />

schätzen die Weißtanne als langlebigen<br />

und vor allem nicht harzenden Werkstoff für<br />

Giebel, Terrassen und Erker. Ihr Holz findet<br />

sich in zahlreichen Schwarzwaldhöfen und<br />

heute in Holzbauten auf der Weltausstellung<br />

in Hannover und in der wieder aufgebauten<br />

Dresdner Frauenkirche.<br />

Aber stärker als von der Nutzung der<br />

Rohstoffe waren die Menschen seit je her<br />

von der Wirkung der düsteren, melancholischen<br />

Wälder beeindruckt, in denen sich<br />

der Sage nach Nixen, Feen und Hexen trafen<br />

und die schließlich Namen gebend für den<br />

»schwarzen« <strong>Wald</strong>« waren.<br />

Dieser <strong>Wald</strong> ist heute ein Markenzeichen<br />

für Sport und Erholung. <strong>Der</strong><br />

Schwarzwald ist erschlossen, beispielsweise<br />

durch die Schwarzwaldhochstraße, und hat<br />

seinen unwegsamen Schrecken verloren. Wo<br />

früher Geister und Hexen waberten, wandern<br />

heute friedliche Besucher und tanken<br />

Gesundheit. Woche für Woche nutzen Millionen<br />

den freien Zugang in die Wälder zum<br />

Wandern, Naturerleben und zum Sport. Und<br />

das in allen Jahreszeiten.<br />

Im <strong>Wald</strong> dürfen Kinder toben, hier lernen<br />

sie Natur. Im <strong>Wald</strong> gibt es saubere Luft<br />

und Ruhe, gepaart mit tausendfachen sinnlichen<br />

Eindrücken. Hier engen keine Ladenöffnungszeiten<br />

ein, und anzustehen braucht<br />

man vor den Bäumen auch nicht. Hier kann<br />

pixelquelle.de<br />

jeder für sich Muße finden, und viele zusammen<br />

können an Massensportveranstaltungen<br />

teilnehmen. Ein Beispiel dafür ist der<br />

Hornisgrinde-Marathon, der sich zu einer<br />

der beliebtesten und schönsten Marathonveranstaltungen<br />

Deutschlands und des benachbarten<br />

Auslandes entwickelt hat. Denn<br />

die Marathonstrecke, die zu über 95 % durch<br />

den <strong>Wald</strong>, also durch »Schwarzwald pur« verläuft,<br />

hat trotz der anspruchsvollen Rennerei<br />

etwas Beruhigendes: Sie ist ein Mittel gegen<br />

den Alltagsstress. Darum beteiligen sich immer<br />

mehr »Wiederholungstäter«, von denen<br />

einige schon 10-mal, 20-mal und mehr hier<br />

mitgelaufen sind. Dieser Marathon ist etwas<br />

Besonderes – er ist für all die Läufer, die nicht<br />

in der Masse von Tausenden laufen, sondern<br />

vielmehr die frische Luft genießen wollen.<br />

Gleichwohl ist »Besucherlenkung«<br />

notwendig. Denn gerade im Schwarzwald<br />

finden seltene Tierarten ein Zuhause, eine<br />

Herausforderung für Forst und Naturschutzverwaltung,<br />

die Natur einerseits erlebbar zu<br />

machen und sie andererseits vor einem zu<br />

großen Besucheransturm zu schützen. Mit<br />

einem weiten Netz ausgewiesener Routen<br />

sorgt die Forstverwaltung für ein verträgliches<br />

Miteinander von Mensch und Natur.<br />

Beispiele hierfür sind auch der »Wildnispfad<br />

Baden-Baden« oder der »Lotharpfad«<br />

oder die Erschließung zahlreicher Bannwälder<br />

wie »Wilder See Hornisgrinde«, »Zweribach«<br />

oder »Große Tannen« sowie der Hochmoorflächen<br />

und Karsseen. Wie im übrigen<br />

Baden-Württemberg wird auch hier das Angebot<br />

an Spazier-, Wander-, Rad- und Reitwegen,<br />

Loipen und Lehrpfaden usw. durch<br />

ein vielfältiges Programm an waldpädagogischen<br />

Angeboten und Veranstaltungen<br />

ergänzt. <strong>Der</strong> Großstadtmensch soll auch im<br />

Schwarzwald heimisch werden.<br />

s weiter auf S. 12


Baden-Badener Wildnispfad<br />

Seit Mai 2006 kann der Besucher im Nordschwarzwald Wildnis live erkunden: Durch den<br />

Baden-Badener Wildnispfad wurde eine 70 Hektar große Sturmwurffläche, auf der Orkan<br />

Lothar wütete, zugänglich. Auf einer Länge von 4,5 Kilometern kann man in die Wildnis<br />

eindringen und über das Mikado der Baumstämme in die unberührt erscheinenden <strong>Wald</strong>flächen<br />

hineinklettern. Von einem Felsen aus lässt sich das vom Sturm geworfene Baumstamm-Durcheinander<br />

bestaunen und in einem »Adlerhorst«, einer Holzkanzel in einem<br />

Baumwipfel, ein Überblick gewinnen.<br />

100.000 Euro kostete es den Naturpark und die Stadt Baden-Baden, diese Wildnis erlebbar<br />

zu machen – dennoch sind etwas körperliche Fitness, geeignete Kleidung und entsprechendes<br />

Schuhwerk zur Erkundung notwendig: In der Wildnis sind keine Wanderwege<br />

für den Menschen vorgesehen! Die muss der Mensch erst schaffen. Auf diese Weise ist aber<br />

ein neues Highlight für den Tourismus in Baden-Württemberg entstanden, das über die<br />

Schwarzwaldhochstraße zu erreichen ist.<br />

JULI | 2007 : proWALD 11<br />

Bild: pixelquelle.de


12<br />

Eine wichtige Rolle kommt dabei dem<br />

Naturpark zu. Sein Ziel ist es, die einmalige<br />

Schwarzwaldlandschaft zu erhalten und<br />

Wege in eine nachhaltige Zukunft der Region<br />

aufzuzeigen und aktiv, gemeinsam mit<br />

Gemeinden und Bürgern die Zukunft zu gestalten<br />

und den Schwarzwald als attraktiven<br />

Lebens-, Erholungs- und Wirtschaftsraum<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Diese Bemühungen werden abgerundet<br />

durch ein reichhaltiges Kulinarik- und Wellnessangebot<br />

(Heilbäder, Weinstraße, Bauernmärkte,<br />

Sternerestaurants).<br />

Aber auch der Besucher ist gebeten, seinen<br />

Beitrag zum Schutz der Natur zu leisten,<br />

indem er die unerlässlichen Verhaltensregeln<br />

in den Wäldern akzeptiert. So kann der<br />

Schwarzwald auch zukünftig ein Aushängeschild<br />

für die Integration von Naturschutz<br />

und Natur-Nutzung im <strong>Wald</strong> werden – eine<br />

Integration, die nur durch das Mitwirken aller<br />

im <strong>Wald</strong> Tätigen oder sich Betätigenden<br />

möglich ist.<br />

n<br />

Jens-Olaf Weiher ist Leiter der Stabsstelle<br />

Öffentlichkeitsarbeit der Landesforstverwaltung<br />

Baden-Württemberg.<br />

Bilder: Archiv Landesforstverwaltung und Landesbildstelle<br />

BW; Tourismusinfo Belchland, Schluchsee und Glottertal<br />

proWALD : JULI | 2007<br />

Flößerei: Exportschlager Holz<br />

Fichten und Tannen aus dem Schwarzwald waren bereits im 17. Jahrhundert<br />

ein Exportschlager. Die Holländer benötigten riesige Mengen<br />

zum Bau ihrer Handels- und Kriegsflotte. Wer den Holländer Michel<br />

aus »Das kalte Herz« von Hauff kennt, weiß, wie die Stämme den langen<br />

Weg auf dem Wasser zurücklegten – sie wurden geflößt.<br />

Hochwasserzeit war im Nordschwarzwald Flößerzeit, der Transport<br />

auf den Wildbächen gelang nur, wenn starke Regenfälle oder<br />

Schneeschmelze sie anschwellen ließen. In speziell angelegten, mit<br />

Stauwehren versehenen Floßweihern wurden dann die »G‘störe« eingebunden.<br />

Das sind rund ein Dutzend Baumstämme, die mit Hilfe<br />

von zähen Weidenruten zusammengezurrt waren. Zehn bis zwölf<br />

G‘störe bildeten schließlich das Floß mit rund 300 Meter Länge und<br />

etwa 50 Meter Breite, das nach dem Öffnen des Stauwehrs auf der<br />

»Schwallung« den ruhigen Floßweiher verließ. Dann ging es den reißenden<br />

Wildbach hinunter, und es galt, möglichst auf der Flutwelle,<br />

dem Schwall, zu bleiben. Gebremst wurde nur im äußersten Notfall.<br />

Heute wird das Holz des Schwarzwaldes immer noch benötigt.<br />

Doch während der Schwarzwald damals durch den kommerziellen<br />

Raubbau ein trostloses Bild bot – mindestens ein Drittel der <strong>Wald</strong>fläche<br />

war an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mehr oder<br />

weniger baumlos –, wird die Holzernte im <strong>Wald</strong> heute trotz großer<br />

Maschinen schonend und nachhaltig betrieben.


<strong>Der</strong> südpfälzische Bienwald besticht<br />

durch eine Vielzahl seltener Tier-<br />

und Pflanzenarten weit über die Landesgrenzen<br />

von Rheinland-Pfalz hinaus.<br />

Im Naturschutzgroßprojekt Bienwald<br />

erarbeiten Naturschützer und Förster<br />

zurzeit gemeinsam Konzepte, um die<br />

wertvollen Lebensräume weiter zu optimieren<br />

und langfristig zu erhalten.<br />

Mit gerade einmal 150 m über dem Meeresspiegel<br />

erhebt sich die Rodungsinsel Büchelberg<br />

als höchster Punkt aus dem Bienwald.<br />

<strong>Der</strong> kleine Ort liegt inmitten des 12.000 Hektar<br />

großen Niederungswaldes. Schweift der<br />

Blick über die ausgedehnten Eichen-, Buchen-<br />

und Kiefernwälder, sieht man im Westen<br />

die Hügelkette des Pfälzerwaldes und der<br />

Nordvogesen. Vor dem im Osten liegenden<br />

Schwarzwald ragen einige Schornsteine aus<br />

der Landschaft. Hier liegt die Rheinebene mit<br />

dem Ballungszentrum Karlsruhe.<br />

<strong>Der</strong> Bienwald ist neben dem im benachbarten<br />

Elsass gelegenen Hagenauer Forst<br />

das größte zusammenhängende <strong>Wald</strong>gebiet<br />

der oberrheinischen Tiefebene. Beide<br />

<strong>Wald</strong>bereiche zählen zu den besterhaltenen<br />

Schwemmfächerlandschaften Mitteleuropas.<br />

Durchquert man den <strong>Wald</strong> auf einem<br />

der schmalen Pfade, wird schnell deutlich,<br />

was den Reiz dieser einmaligen Landschaft<br />

ausmacht. Zahlreiche sommertrockene Bäche<br />

und Gräben durchziehen den <strong>Wald</strong> von<br />

West nach Ost. Hinzu kommt der kleinräumige<br />

Wechsel zwischen trockenen und wassergeprägten<br />

Biotopen.<br />

Vor allem im westlichen Bienwald – wegen<br />

seiner stark vom Grundwasser beeinflussten<br />

Standorte auch »nasser« Bienwald<br />

genannt – stocken Erlenbruchwälder in<br />

unmittelbarer Nachbarschaft zu trockenen<br />

Kiefernwäldern auf bis zu drei Meter hohen<br />

Dünen. In dem reich strukturierten <strong>Wald</strong> fallen<br />

besonders die uralten Bäume und der<br />

hohe Totholzanteil auf.<br />

Forstwirtschaft und<br />

Naturschutz im Einklang<br />

Auf den ersten Blick scheint es, als sei die<br />

Zeit stehen geblieben. Doch bei genauerem<br />

Hinsehen zeugen die dreihundertjährigen<br />

Eichen ebenso wie langsam verlandende<br />

Kulturgräben und Namen wie »Stuttpferch«<br />

oder »Möderhäufel« von jahrhundertlanger<br />

Nutzung. Dabei spielt die nachhaltige Bewirtschaftung<br />

des <strong>Wald</strong>es seit langem eine<br />

wichtige Rolle. So konnte der Bienwald in<br />

weiten Teilen seine Naturnähe bewahren.<br />

Diese bildet neben der Gunst des Klimas eine<br />

der wichtigsten Voraussetzungen für das<br />

bundes- und europaweit bedeutsame Vorkommen<br />

seltener und gefährdeter Tier- und<br />

Pflanzenarten.<br />

Biologen geraten ins Schwärmen, wenn<br />

sie von ihren Beobachtungen erzählen.<br />

Grau- und Kleinspecht besiedeln die Feuchtwälder<br />

des Bienwaldes in hoher Dichte, und<br />

mit über 200 Brutpaaren beherbergt der<br />

Bienwald das größte Mittelspechtvorkommen<br />

in Rheinland-Pfalz. Fledermaus- und<br />

Käferspezialisten messen dem Bienwald<br />

von Kerstin Arnold und Anke Höltermann<br />

gar internationale Bedeutung zu. Mit über<br />

600 verschiedenen Totholzkäferarten weist<br />

der Bienwald die größte jemals in einem<br />

europäischen <strong>Wald</strong>gebiet nachgewiesene<br />

Artenzahl auf. Stellvertretend für die lange<br />

Liste seltener, vom Aussterben bedrohter<br />

Arten steht allerdings zweifelsohne die Wildkatze.<br />

Sie zählt zu unseren seltensten heimischen<br />

Säugetierarten und war bislang nur<br />

aus den Wäldern der Mittelgebirge bekannt.<br />

Im Bienwald leben heute schätzungsweise<br />

40 bis 60 Tiere.<br />

<strong>Der</strong> Bienwald und seine angrenzenden<br />

grünlandgeprägten Niederungsbereiche sind<br />

Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes<br />

Natura 2000. Vor Ort ist man sich der Verantwortung<br />

für dieses besondere Naturgebiet<br />

durchaus bewusst. Gemeinsam haben die<br />

beiden Landkreise Germersheim und Südliche<br />

Weinstraße deshalb die Trägerschaft für<br />

das im Juli 2004 gestartete Naturschutzgroßprojekt<br />

Bienwald übernommen. Mit diesem<br />

Förderprogramm unterstützt der Bund seit<br />

über 25 Jahren die Bundesländer mit dem<br />

JULI | 2007 : proWALD 13


14<br />

proWALD : JULI | 2007<br />

Ziel, großflächige und besonders wertvolle<br />

Lebensräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten<br />

langfristig zu sichern. Es handelt<br />

sich dabei um einen der größten Naturschutzfördertitel<br />

in Deutschland mit einem<br />

jährlichen Etat von derzeit 15 Mio. €. Insgesamt<br />

wurden seit 1979 ca. 300 Mio. € Bundesmittel<br />

für die Sicherung und Entwicklung<br />

bundesweit bedeutsamer Landschaftsausschnitte<br />

bereitgestellt. Betreut werden die<br />

Projekte vom Bundesamt für Naturschutz.<br />

Wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung<br />

des Naturschutzgroßprojektes Bienwald leisten<br />

das Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft<br />

und Gewerbeaufsicht sowie Landesforsten<br />

Rheinland-Pfalz, insbesondere durch<br />

die Forschungsanstalt für <strong>Wald</strong>ökologie und<br />

Forstwirtschaft und das Forstamt Bienwald.<br />

Im Bienwald sollen über die nächsten<br />

10 bis 12 Jahre rund 10 Mio. € der Natur zugutekommen.<br />

Diese Kosten werden zu 70 %<br />

vom Bund und zu 20 % vom Land Rheinland-Pfalz<br />

übernommen. Die beiden Landkreise<br />

Germersheim und Südliche Weinstraße<br />

bringen einen Eigenanteil von 10 % ein.<br />

Mit den Fördermitteln können Maßnahmen<br />

durchgeführt werden, die die typischen Arten<br />

und Biotope des Bienwaldes und seiner<br />

angrenzenden grünlandgeprägten Niederung<br />

dauerhaft sichern und entwickeln. Darüber<br />

hinaus soll die Funktion des Gebietes<br />

als wichtiges Scharnier im Biotopverbund<br />

zwischen Pfälzerwald und Rheinauen durch<br />

die gezielte Vernetzung einzelner Lebensräume<br />

gestärkt werden. Eine Investition in<br />

die Zukunft, für deren nachhaltige Sicherung<br />

und naturverträgliche Entwicklung sich das<br />

Land Rheinland-Pfalz und die beiden Landkreise<br />

auch nach Ende des Projektes engagieren<br />

werden.<br />

Wirklicher, dauerhafter Erfolg im Naturschutz<br />

bedarf allerdings der Akzeptanz<br />

und Unterstützung vieler Akteure. Im<br />

Bienwald hat sich in den vergangenen zwei<br />

Jahren eine ganze Region mit dem Projekt<br />

beschäftigt. In zahlreichen Sitzungen und<br />

Exkursionen wurden Leitbilder und Ziele<br />

aufgestellt sowie geeignete Maßnahmen<br />

und Konzepte erarbeitet, die auch die Interessen<br />

der Landnutzer, die Entwicklungsabsichten<br />

der Gemeinden und die Bedürfnisse<br />

der Bevölkerung berücksichtigen. Ein nicht<br />

immer einfacher Prozess, bei dem zu Beginn<br />

zunächst Verständnis für die jeweils andere<br />

Position geschaffen werden musste. Um Naturschutz,<br />

Forst- und Landwirtschaft unter<br />

einen Hut zu bekommen, sind ökonomisch<br />

tragfähige Konzepte erforderlich, die sich in


den täglichen Ablauf des wirtschaftenden Betriebes<br />

einbauen lassen. Nicht zu vergessen<br />

sind aber auch die Bedürfnisse der örtlichen<br />

Bevölkerung. Naherholung und Brennholzwerbung<br />

spielen in den angrenzenden Gemeinden<br />

eine wichtige Rolle.<br />

Nach einer dreijährigen Planungsphase<br />

liegt nun ein Pflege- und Entwicklungsplan<br />

für das Projektgebiet vor, in dem sich die Akteure<br />

unter anderem auf zwei waldrelevante<br />

Maßnahmenbündel verständigt haben.<br />

Im »nassen« Bienwald entsteht auf<br />

einer zusammenhängenden Fläche von<br />

1.680 Hektar ein »Naturwald«. <strong>Der</strong> Mensch<br />

wird die Bewirtschaftung in diesem Bereich<br />

einstellen. Die zukünftige <strong>Wald</strong>entwicklung<br />

wird allein von den Prozessen der Natur gesteuert.<br />

Besucher können die bizarre Schönheit<br />

und Vielfalt dieses Naturwaldes auf speziell<br />

hierzu angelegten Pfaden erleben.<br />

Auf den verbleibenden über 10.000 Hektar<br />

Wirtschaftswald sollen über die bereits heute<br />

angewandten Grundsätze des naturnahen<br />

<strong>Wald</strong>baus hinaus weitere naturschutzfachliche<br />

Ziele im Rahmen der forstlichen Bewirtschaftung<br />

umgesetzt werden. Hierzu zählen<br />

zum Beispiel die Entwicklung naturraumtypischer<br />

<strong>Wald</strong>gesellschaften mit standortheimischen<br />

Baumarten sowie der Erhalt und<br />

die Förderung von überdurchschnittlich viel<br />

Alt- und Totholz. Darüber hinaus soll der Eichenanteil<br />

im Wirtschaftswald erhöht sowie<br />

die natürlichen Verjüngung und Sukzession<br />

durch eine gezielte Schalenwildbewirtschaftung<br />

gefördert werden. Auch die zahlreichen,<br />

für den Bienwald charakteristischen Sonderstandorte,<br />

wie Bruch- und Sumpfwälder oder<br />

lichte Trockenwälder auf Dünen, werden<br />

durch gezielte Maßnahmen in ihrer Qualität<br />

aufgewertet.<br />

Das Naturschutzgroßprojekt Bienwald<br />

gehört zu den ersten Projekten, die zunächst<br />

einen intensiven Planungs- und Diskussionsprozess<br />

durchlaufen haben, bevor die<br />

Umsetzung der Maßnahmen beginnt. Kurz<br />

vor Abschluss der ersten Phase blicken Projektverantwortliche<br />

und Förster optimistisch<br />

in die Zukunft. Gemeinsam haben sie sich<br />

hohe Ziele gesteckt, um den Naturschutz im<br />

Bienwald weiter voranzutreiben und so die<br />

besondere Arten- und Biotopvielfalt langfristig<br />

zu sichern.<br />

n<br />

Kerstin Arnold ist Projektleiterin des Naturschutzgroßprojektes<br />

»Bienwald«. Dr. Anke<br />

Höltermann ist Wissenschaftlerin beim BfN.<br />

Bilder: Christian Wettstein und Peter Braun<br />

JULI | 2007 : proWALD 15


Wer hätte das gedacht? Die Nachhaltigkeit,<br />

dieses sperrige Wort, verfolgt uns<br />

heute auf Schritt und Tritt. Hatten die<br />

meisten Förster nach ihrer Ausbildung<br />

doch gehofft, dass sie von dem altehrwürdigen<br />

forstlichen Klassiker fürderhin<br />

verschont würden. Hartig, Cotta,<br />

der aus der Pfalz stammende Carl Gayer<br />

und natürlich Carl von Carlowitz haben<br />

forstliche Grundwerte formuliert, die<br />

uns heute noch immer im Denken und<br />

bei der Bewirtschaftung des <strong>Wald</strong>es leiten.<br />

Im Naturpark Pfälzerwald, einem<br />

Biosphärenreservat der UNESCO, wo<br />

es um nachhaltige Entwicklung geht,<br />

ist ihr Geist jedoch allgegenwärtig und<br />

aktueller denn je.<br />

Nachhaltigkeit als Vision wurde erst in<br />

den beiden letzten zurückliegenden Jahrzehnten<br />

wiederentdeckt. <strong>Der</strong> Brundtland-<br />

Bericht (1987) hauchte dem Begriff aktuelles<br />

Leben ein. Das Dokument beschreibt<br />

eine gesellschaftliche Entwicklung dann<br />

als nachhaltig, wenn die Bedürfnisse der<br />

gegenwärtigen Generation befriedigt werden,<br />

ohne die Möglichkeiten der zukünftigen<br />

Generation zu gefährden, ihre eigenen<br />

Bedürfnisse befriedigen zu können. Auf die<br />

Herkunft des Begriffs aus der deutschen<br />

Forstwirtschaft wird übrigens verwiesen.<br />

Es geht also letztendlich um die Erhaltung<br />

der freien Wahl zur Entscheidung darüber,<br />

16 proWALD : JULI | 2007<br />

wie unsere Kinder und Kindeskinder leben<br />

wollen. Dies unterstellt zwangsläufig, dass<br />

ein »weiter wie bisher« zur Einengung der<br />

Zukunftschancen führen kann, bis hin zu<br />

einem Szenario, das von einer reinen Mangelwirtschaft<br />

und bloßer Katastrophenbewältigung<br />

ausgeht.<br />

Wie kann Nachhaltigkeit funktionieren?<br />

Auch wenn der Begriff immer mehr<br />

Menschen vom Hörensagen bekannt ist<br />

und viele beantworten können, wie man<br />

sich umweltgerecht verhält, so sind die tatsächlichen<br />

Aktivisten ein immer noch kleiner<br />

Kreis. Vom Wissen über das Verständnis<br />

und die Einsicht bis hin zur konkreten Aktion<br />

scheint es ein sehr schwieriger Weg zu<br />

sein. Man muss den Begriff mit Leben füllen.<br />

Landesforsten Rheinland-Pfalz hat deshalb<br />

im Biosphärenreservat Pfälzerwald-Nordvogesen<br />

mit dem Projekt »Netzwerk« und dem<br />

»Haus der Nachhaltigkeit« einen konkreten<br />

Ansatz versucht.<br />

»<strong>Der</strong> Mensch sucht Menschen« ist eine<br />

unserer Methoden zur Vermittlung von<br />

Nachhaltigkeit. Wir stellen den Menschen<br />

und die scheinbaren Banalitäten seines alltäglichen<br />

Lebens in den Mittelpunkt, nämlich<br />

dass der Mensch integraler Bestandteil<br />

seiner natürlichen Lebensumwelt ist und<br />

dass er diese durch sein Handeln auch positiv<br />

beeinflussen kann. Bewusst stellen wir<br />

<strong>Der</strong> <strong>Wald</strong> –<br />

Wiege der Nachhaltigkeit<br />

von Michael Leschnig<br />

den Menschen nicht als Störer in der Natur<br />

dar. Bei einer solchen Botschaft musste sich<br />

doch jeder als unerwünscht fühlen und dadurch<br />

passiv bleiben bzw. werden. Die Sichtweise<br />

für die Zukunft kann nur heißen: »Ja,<br />

wir Menschen gehören zur Natur! Egal wie<br />

wir handeln, wir werden etwas damit verursachen.<br />

Unser Handeln hat Folgen. Und<br />

wenn das so ist, dann lasst uns mit unserer<br />

Macht doch etwas Positives gestalten!«<br />

Es gilt, klarzumachen, dass jeder Akteur in<br />

Sachen Nachhaltigkeit ist. Seine Ideen und<br />

sein persönlicher Beitrag sind gefragt. Jeder<br />

kann etwas bewegen!<br />

Das Netzwerk der Nachhaltigkeit zeigt<br />

und personifiziert gute Beispiele und authentische<br />

Vorbilder für einen nachhaltigen<br />

Lebensstil. Da tauchen Pfälzer auf, die man<br />

wirklich auf der Straße treffen kann – Menschen<br />

wie du und ich. Bewusst keine prominenten<br />

Umweltbotschafter. Sie reden darüber,<br />

wie sie sehr vergnügt – eben nachhaltig<br />

– leben und arbeiten. Oft auch im Dialekt<br />

der Region. Eine Unmittelbarkeit, die den<br />

Besucher in einem positiven und aktiven<br />

Sinn betroffen macht. Das wird verstanden<br />

in dem Sinn, dass Nachhaltigkeit auch für<br />

mich tatsächlich machbar ist.<br />

Die Ökonomie gehört dazu. Vom Schutz<br />

der Natur allein können wir nicht leben. Ohne<br />

Arbeit, Einkommen und das Wirtschaften<br />

ist eine moderne Gesellschaft in Mitteleuro-


pa nicht vorstellbar. Das Nachhaltigkeitsparadigma<br />

hat sich dafür geöffnet. In Biosphärenreservaten<br />

geht es sogar ausdrücklich<br />

darum, neben der Erhaltung der Biodiversität,<br />

also der Vielfalt des Lebens, die wirtschaftliche<br />

und soziale Entwicklung der<br />

Menschen und die kulturellen Werte dauerhaft<br />

über Generationen hinweg miteinander<br />

zu harmonisieren. Dieser Ansatz ist neu, da<br />

er den Menschen als wesentliches Element<br />

des Ökosystems anerkennt und ihn in die<br />

Schutzüberlegungen integriert! Mehr noch,<br />

der Schutzgedanke mündet in einen aktiven<br />

– nachhaltigen – Entwicklungsauftrag.<br />

Genau hier legt das Haus der Nachhaltigkeit<br />

seinen Schwerpunkt. Ziel ist ein winwin-win-Szenario,<br />

ein dreifacher Nutzen<br />

für Umwelt, Wirtschaft und Menschen. Bei<br />

Verbrauchermessen zu Themen wie Energiesparen<br />

und regenerative Energiesysteme<br />

profitieren sowohl die Umwelt als auch das<br />

beteiligte Handwerk der Region und der Arbeitsmarkt.<br />

Analog verhält es sich bei der<br />

Absatzförderung von nachhaltig erzeugten<br />

Lebensmitteln durch den Betrieb eines Regionalladens<br />

im Haus der Nachhaltigkeit, die<br />

Verwendung dieser Produkte beim Catering<br />

im Seminarbetrieb der Einrichtung oder dem<br />

außerordentlich gut nachgefragten Angebot<br />

von thematischen Sonderveranstaltungen<br />

(z. B. Ökobier-Brauseminar, Wildkochshow,<br />

<strong>Wald</strong>weihnacht Johanniskreuz).<br />

Man muss aus Betroffenen Beteiligte<br />

machen. Warum scheitern gute Ideen in<br />

der Umsetzung? Ein Grund dafür ist die Art<br />

und Weise ihres Zustandekommens. Immer<br />

wieder werden am grünen Tisch Konzepte<br />

ausgeheckt, ohne diejenigen zu fragen, die<br />

später damit leben müssen. <strong>Der</strong> mangelnde<br />

Praxisbezug, das fehlende Vertrauen in<br />

die Planer und das behördliche Verordnen<br />

»von oben« sind häufig genannte Wesensmerkmale<br />

des Versagens in der Praxis, die<br />

hinreichend bekannt sind. Die Planer andererseits<br />

nehmen dies scheinbar billigend<br />

in Kauf. Eine Auseinandersetzung kostet<br />

ja Zeit, Nerven und auch Geld. Interessant<br />

wäre, einmal nachzurechnen, was demgegenüber<br />

der Misserfolg oder eine dauerhafte<br />

Unterstützung kostet. Nachhaltigkeit kann<br />

nur dann gelingen, wenn man Betroffene zu<br />

Beteiligten macht. Dazu ein Beispiel.<br />

Bei der Ausweisung des Mountainbikeparks<br />

Pfälzerwald (www.mountainbikepark-pfaelzerwald.de)<br />

ist man diesen Weg<br />

gegangen. Am Anfang stand der Gedanke,<br />

die Trendsportart Mountainbiking durch ein<br />

attraktives Streckenangebot zu kanalisieren,<br />

um damit sensible Bereiche des Naturraums<br />

zu umgehen und gleichzeitig aber auch eine<br />

Wertschöpfung für die strukturschwache<br />

Region des zentralen Pfälzerwaldes zu<br />

schaffen. In vielen Workshops und bei Treffen<br />

haben Nutzer, Behörden, Planer und die<br />

von den Auswirkungen negativ betroffenen<br />

Gruppen einen Konsens erarbeitet. In dem<br />

über Jahre laufenden Prozess waren Forstleute<br />

nicht nur fachlich gefragt, sondern<br />

erstmals auch Ideengeber, Motor und Vermittler<br />

zwischen den Fronten, was sicher<br />

die schwierigste Rolle war, wahrscheinlich<br />

aber auch die wichtigste und ehrbarste. Was<br />

herauskam, kann sich sehen lassen. Die insgesamt<br />

314 Kilometer langen Trails erfreuen<br />

Sportler, Touristiker, Naturschützer und<br />

Forstleute gleichermaßen.<br />

Sechs Millionen Treffer für Nachhaltigkeit<br />

erhält der, welcher bei Google nach<br />

dem Begriff sucht, Datenmüll, mit dem<br />

der Normalmensch nichts mehr anfangen<br />

kann. Und die Moral von der Geschicht’?<br />

Die ungeheuere Zunahme des Wissbaren<br />

führt zwangsläufig zu viel Unwissenheit,<br />

begleitet von Ohnmacht und Unsicherheit.<br />

Und Antwort auf die Frage »Wie ist das mit<br />

der Nachhaltigkeit?« gibt es nicht! Aber es<br />

existieren viele Erfahrungen, gute Beispiele,<br />

hoffnungsvolle Ansätze und Annäherungen<br />

an ein Gummiwort, die gleichwohl Mut machen.<br />

Vor diesem Hintergrund ist das von Landesforsten<br />

Rheinland-Pfalz geführte Haus<br />

der Nachhaltigkeit bestrebt, Orientierungswissen<br />

zu vermitteln. In welchem Rahmen<br />

können wir uns bewegen? Wir bieten uns<br />

im Biosphärenreservat als Scouts in einem<br />

zunehmend dichter werdenden Informationsdschungel<br />

an.<br />

Für das Netzwerk der Nachhaltigkeit existieren<br />

im Moment zwei wesentliche Medien,<br />

die von den Forstleuten initiiert und betreut<br />

werden. Rund 1.700 Abonnenten beziehen<br />

mittlerweile einen digitalen Newsletter, der<br />

in sechs Ausgaben pro Jahr mit jeweils über<br />

30 deep-links über regionale Meilensteine<br />

der nachhaltigen Regionalentwicklung, Förderprogramme,<br />

Auszeichnungen, Publikationen<br />

und Termine informiert (http://www.<br />

hdn-pfalz.de/neues/newsletter.php). Das<br />

Feedback ist äußerst positiv, die Gemeinde<br />

der zufriedenen Leser wächst stetig. Weiterhin<br />

gibt es einen digitalen Kalender, der<br />

mittelfristig über alle Veranstaltungsangebote<br />

im Kontext der Nachhaltigkeit und des<br />

Das »Millionenviertel«<br />

in Johanniskreuz<br />

Wo wird das Thema Nachhaltigkeit augenfälliger<br />

als beim Anblick 300-jähriger<br />

Eichen? Mindestens zehn Förstergenerationen<br />

haben hier gewirkt und ihre Spuren<br />

hinterlassen. In schwierigen Zeiten investierten<br />

weitdenkende und zukunftsoptimistische<br />

Menschen in die Begründung<br />

einer neuen <strong>Wald</strong>generation, damit wir<br />

uns heute an diesen beeindruckenden<br />

Baumriesen erfreuen und den wirtschaftlichen<br />

Nutzen ziehen können.<br />

Für seinen Reichtum an wertvollsten<br />

Eichen ist der Pfälzerwald und speziell<br />

Johanniskreuz berühmt. »Millionenviertel«<br />

heißt der besonders bekannte Distrikt<br />

Speyerbrunnereck, obwohl in ihm nach<br />

den Stürmen der 80er- und 90er-Jahre<br />

des vorigen Jahrhunderts mittlerweile<br />

nicht mehr die Alteichen dominieren.<br />

Dafür beweisen heute ausgedehnte, gut<br />

gepflegte Eichenjungbestände, dass sich<br />

die heutigen Wirtschafter in der Tradition<br />

ihrer Vorgänger aus dem 18. Jh. sehen. Das<br />

wertvolle Erbe an Eichen soll in gleicher<br />

Fläche und Qualität den kommenden Generationen<br />

hinterlassen werden.<br />

n<br />

Burkhard Steckel, Leiter des Forstamtes<br />

Johanniskreuz; Bild: Dietmar Gretter<br />

JULI | 2007 : proWALD 17


Naturerlebnisses in der Pfalz informieren<br />

wird (www.naturerlebnis-pfalz.de).<br />

Heißt Nutzen stiften nun aber: Verzichten<br />

lernen? Mal ehrlich, haben wir nicht<br />

alle verinnerlicht, dass Naturschutz, aber<br />

auch Nachhaltigkeit sehr eng mit »Verzicht«<br />

verwandt sein sollen? Wer will das schon?<br />

Andersherum – will nicht jeder immer<br />

schneller, immer höher, immer mehr? Den<br />

Menschen das austreiben zu wollen, wäre<br />

eine Sisyphus-Arbeit. Aber genau hier liegt<br />

eine entscheidende Ideenhürde. Wie kann<br />

mehr Nachhaltigkeit gelingen, ohne dabei<br />

Verzichten zu lernen? Welchen Nutzen kann<br />

man durch einen nachhaltigen Lebensstil<br />

stiften?<br />

Wobei wir beim nächsten Problem wären.<br />

Seinen persönlichen Nutzen oder einen<br />

Vorteil definiert jeder anders. Für die einen<br />

bedeutet es mehr Geld im Portemonnaie<br />

– wir informieren regelmäßig über Einsparmöglichkeiten<br />

beim Energieverbrauch, über<br />

Sondertarife der regionalen Verkehrsverbünde,<br />

über Förderprogramme und nachhaltige<br />

Quellen für Beschaffungen aller Art.<br />

Für andere ist es eine öffentliche Anerkennung<br />

oder ein höherer Bekanntheitsgrad.<br />

Haus der Nachhaltigkeit<br />

Das Haus der Nachhaltigkeit ist ein Informations-<br />

und Dienstleistungszentrum<br />

für das Biosphärenreservat Pfälzerwald-<br />

Nordvogesen. Wichtigstes Anliegen ist es,<br />

die abstrakten Begriffe Nachhaltigkeit und<br />

Biosphärenreservat für jedermann konkret<br />

nachvollziehbar zu übersetzen. Im Fokus<br />

stehen deshalb der Mensch selbst und sein<br />

erlebbarer Alltag. Ökonomie und Soziales<br />

rangieren in ihrer Bedeutung<br />

vor dem ökologischen<br />

Bereich. Anders<br />

als in vergleichbaren<br />

Fällen üblich, richten<br />

sich die meisten Angebote<br />

an ein erwachsenes<br />

Publikum. <strong>Der</strong><br />

Bevölkerung, aber auch<br />

den Gästen in der Regi-<br />

18 proWALD : JULI | 2007<br />

Also streuen wir die Information über die<br />

regionalen Sieger bei Umweltwettbewerben,<br />

beteiligen einheimische Künstler und<br />

Betriebe bei Ausstellungen und Messen.<br />

Wieder andere definieren den Nutzen als gesundes<br />

Leben und seelisches Wohlbefinden<br />

– wir forcieren die Vermarktung regionaler,<br />

nachhaltig erzeugter Lebensmittel und bieten<br />

betreute Naturerlebnisse an.<br />

Im Ergebnis ist es unser Ziel, eine Stimmung<br />

zu unterstützen, die dem Motto folgt:<br />

»Gut, dass es das Biosphärenreservat gibt!<br />

<strong>Der</strong> nachhaltige Lebensstil in unserer Modellregion<br />

hat viele Vorteile. Gut, dass wir<br />

hier leben dürfen!«<br />

Mit dem Brundtland-Bericht macht<br />

die »Nachhaltigkeit« endgültig Karriere.<br />

Sie wird zur Richtschnur für die gesamte<br />

Entwicklung der Weltgemeinschaft in allen<br />

Bereichen unseres Lebens. Somit sind heute<br />

der <strong>Wald</strong> und die Methode, wie ihn der<br />

Mensch über Jahrhunderte bewirtschaftet<br />

hat, nichts weniger als jener Ort und jenes<br />

Vorbild, worauf sich eine gesellschaftliche<br />

Utopie und eine Zukunftsvision gründen<br />

lassen. Vor diesem Hintergrund leitet sich<br />

für die heute handelnden Forstleute eine<br />

on will die sich als Verbraucherzentrale verstehende<br />

Einrichtung eine Orientierung zu<br />

einem nachhaltigeren Lebensstil anbieten.<br />

Idee dabei ist, bei den Adressaten unmittelbar<br />

Entscheidungen im Sinne der Zielsetzung<br />

auszulösen.<br />

Die dabei gewählten Medien und Methoden<br />

spannen einen Bogen vom Bauwerk<br />

und der Gebäudetechnik im Haus der Nach-<br />

Verpflichtung ab, sich selbstverständlich<br />

und selbstbewusst in die Debatte um eine<br />

nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft<br />

einzubringen.<br />

Dies setzt allerdings die Bereitschaft voraus,<br />

tatsächlich als Treuhänder für das Ökosystem<br />

<strong>Wald</strong> aufzutreten und sich auf neue<br />

Bedürfnisse einzustellen, die die Gesellschaft<br />

an den <strong>Wald</strong> hat. Die Rolle impliziert heute<br />

mehr als gestern: Beweglichkeit im Denken,<br />

Toleranz und Offenheit gegenüber anderen,<br />

Teamfähigkeit, Empathie und Kompromissfähigkeit.<br />

Und sie bedeutet auch, dass man<br />

bereit ist, sich zum Teil von Traditionen und<br />

Gewohnheiten zu lösen. Damit bewegt man<br />

sich weg vom traditionellen Bild des forstlichen<br />

Urproduzenten hin zum Gestalter im<br />

Bereich der Umweltvorsorge. Landesforsten<br />

Rheinland-Pfalz hat sich für diesen Weg geöffnet,<br />

ist erste Schritte gegangen, setzt seine<br />

Instrumente und die Mitarbeiterschaft<br />

in Übereinstimmung mit diesen gesamtgesellschaftlichen<br />

Zielen ein – nicht nur beim<br />

Projekt Netzwerk und beim Haus der Nachhaltigkeit.<br />

n<br />

Michael Leschnig ist Leiter des Hauses der<br />

Nachhaltigkeit in Johnaniskreuz<br />

haltigkeit selbst und reichen über eine Dauerausstellung,<br />

Filmvorführungen, Seminare<br />

und einen Regionalladen bis hin zu einem<br />

breit gefächerten Veranstaltungsprogramm.<br />

Daneben wird zusammen mit den zehn<br />

Forstämtern der Region ein Netzwerk der<br />

Nachhaltigkeit aufgebaut, das bedarfsorientierte<br />

Projekte für die Region Pfalz realisiert.<br />

Öffnungszeiten:<br />

täglich außer Montag<br />

(10 – 17 Uhr)<br />

Kontakt:<br />

hdn@wald-rlp.de<br />

Tel.: 06306/9210-130<br />

Fax: 06306/9210-139<br />

Internet:<br />

www.hdn-pfalz.de


Bäume, so denkt man, werden von<br />

der Natur über die Erde verteilt. Doch<br />

das stimmt so nicht. Heute pflanzen<br />

wir sehr häufig die Douglasie als widerstandsfähigen<br />

Nadelbaum in den<br />

<strong>Wald</strong> und ersetzen mit ihr heimische<br />

Nadelbäume. Aus Australien kam beispielsweise<br />

der Eukalyptusbaum, und<br />

mit den Römern und ihrer Zivilisation<br />

kam die Edelkastanie nach Mitteleuropa<br />

und Deutschland.<br />

Es ist kein Zufall, dass man noch<br />

heute die Edelkastanie längs<br />

des Rheines findet. Denn die<br />

Römer waren Weintrinker,<br />

und wer Wein anbauen will,<br />

braucht Rebpfähle, um die<br />

rankende Weinpflanze<br />

daran festzubinden. So<br />

kam die Esskastanie vor<br />

rund 2.000 Jahren nach<br />

Deutschland. Weil ihr<br />

Holz überdurchschnittlich<br />

verrottungsfest ist, konnte<br />

man bestens langlebige Pfähle<br />

aus ihm herstellen, die<br />

nicht gleich im Boden<br />

verfaulten. Kein Wunder<br />

also, dass dort,<br />

wo die Römer<br />

Wein anbauten,<br />

sich auch heute<br />

noch häufig ganze<br />

Kastanienwälder<br />

finden.<br />

Das Rhein- und Moseltal war ein Schwerpunkt<br />

für den römischen Weinbau, vor allem<br />

um die römischen Siedlungskerne wie Köln<br />

und Trier herum. Spuren dieser römischen<br />

Kulturlandschaft lassen sich heute noch<br />

nachweisen.<br />

Und oft<br />

Die Kastanie –<br />

der römische Zauberbaum<br />

von Dr. Walter Lang<br />

findet man bis heute genau an diesen Stellen<br />

Kastanienwälder.<br />

So findet sich etwa im Oberrheingebiet<br />

im Ortenaukreis, den Kreisen Rastatt und<br />

Baden-Baden mit ca. 2.000 Hektar Fläche<br />

ungefähr 1/3 der Esskastanienfläche ganz<br />

Deutschlands. Einen starken Schwerpunkt<br />

hat die Kastanienverbreitung<br />

in der Vorbergzone des Schwarzwaldes<br />

insbesondere zwischen<br />

Bühl und Gengenbach mit<br />

den zugehörigen Tälern<br />

Bühlertal, Sasbach-, Acher-,<br />

Rench- und Kinzigtal. Im<br />

bäuerlichen Privatwald der<br />

unteren Schwarzwaldlagen<br />

zwischen 200 und 500 Meter<br />

Höhe ist die Kastanie<br />

die prägende Laubbaumart<br />

noch<br />

vor Eiche und<br />

Buche. Weniger<br />

als 20 %<br />

des Kastanienvorkommens<br />

stehen im Gemeinde-<br />

oder<br />

Staatswald.<br />

JULI | 2007 : proWALD 19


Bis ins 19. und<br />

20. Jahrhundert<br />

hinein hatte die Kastanie<br />

vor allem Bedeutung<br />

als Brennholz,<br />

für Rebpfähle<br />

und für die Gewinnung<br />

von Gerbrinde.<br />

Für höherwertige<br />

Verwendungen<br />

wurde sie nur gelegentlich<br />

als Ersatz<br />

für die teurere Eiche<br />

gebraucht (Bauholz,<br />

Möbelholz etc.). Das<br />

Holz der Esskastanie<br />

war somit das »Eichenholz<br />

des kleinen<br />

Mannes« und wurde Unkundigen nicht<br />

selten als Eiche verkauft, zum Beispiel als<br />

»Laufer Eiche«.<br />

Kastanienwälder wurden fast stets als<br />

»Niederwald« bewirtschaftet, d. h. alle 20-<br />

25 Jahre genutzt, weil die Kastanie so schnell<br />

wächst und sie so enorm hohe Holz-Zuwächse<br />

liefert (Zuwachs bis zu 15 Kubikmeter pro<br />

Jahr und Hektar). Und noch ein Vorteil: Nach<br />

dem Holzeinschlag muss ein Kastanienniederwald<br />

nicht wieder aufgeforstet werden,<br />

da die verbliebenen Stöcke (Baumstümpfe)<br />

wieder ausschlagen und neue Bäume aus<br />

ihnen entstehen.<br />

In Notzeiten halfen die wohlschmeckenden<br />

und energiereichen Früchte der Kastanie,<br />

manche Hungersnot zu überstehen<br />

(»Brot der Armen«) oder wurden bis nach<br />

Norddeutschland, in die Niederlande und<br />

selbst nach England verkauft.<br />

Mit dem allmählichen und dann totalen<br />

Niedergang der Nachfrage nach Gerbrinde,<br />

Rebpfählen und Brennholz nahm<br />

die Bedeutung der Kastanie über das ganze<br />

20. Jahrhundert hinweg stetig ab. Viele Kastanienflächen<br />

wurden vor allem nach dem<br />

zweiten Weltkrieg in ertragreichere Nadelholzwälder<br />

umgewandelt, weil eine finanzielle<br />

Perspektive fehlte. Die verbliebenen<br />

ehemaligen Kastanienniederwälder wurden<br />

häufig durchwachsen gelassen (d. h. nicht<br />

mehr regelmäßig genutzt). Sie wurden damit<br />

immer vorratsreicher, und die Stämme<br />

wurden immer dicker.<br />

In der jüngsten Zeit erkannte man die<br />

Bedeutung des Baumes für Ökologie und<br />

Landschaft mehr und mehr. Gerade touristisch<br />

ist der Kastanienwald sehr bedeutsam<br />

wegen seiner landschaftlichen Schönheit<br />

und der Attraktivität seiner Früchte. Auch<br />

20 proWALD : JULI | 2007<br />

das Wild schätzt die Kastanie, sei es im <strong>Wald</strong><br />

als Futter oder spätestens als Füllung und<br />

Beilage auf dem Teller!<br />

Neue Vermarktungsstrategien haben<br />

der Kastanie Auftrieb gegeben. Die Besonderheiten<br />

des Kastanienholzes bestehen<br />

vor allem in seiner Fäuleresistenz, die eine<br />

Verwendung im Außenbereich auch ohne die<br />

Anwendung von Holzschutzmitteln erlaubt.<br />

Die Hinwendung zu ökologisch vorteilhaften<br />

Baumaterialien beflügelte daher das<br />

Interesse an der Holzart neu. Kastanienholz<br />

in geringen Durchmessern wird daher unimprägniert<br />

unter anderem im Lawinenbau<br />

verwendet oder als Palisadenholz auf Spielplätzen.<br />

Darüber hinaus ist die Kastanie so<br />

vielseitig verwendbar wie kaum eine andere<br />

Baumart, z. B. als Parkettholz, Möbelholz,<br />

Fassholz, Schindelholz, Bauholz etc.<br />

Einen starken Impuls für den Absatz von<br />

Kastanienholz hat der Sturm »Lothar« 1999<br />

geliefert, weil damals nennenswerte Flächen<br />

mit Anteilen von stärkerem Holz geworfen<br />

wurden. Das erhöhte Holzangebot brachte<br />

Käufer (in der Regel Holzhändler) auf den<br />

Plan, die sich die gewünschten Qualitäten<br />

zunächst meist selbst im Bauernwald<br />

heraussuchten. Nachteilig ist bei diesem<br />

Verkaufsverfahren, dass im privaten Einzelbetrieb<br />

oft nur geringe Fachkenntnisse zur<br />

Kastanienholzsortierung und -vermarktung<br />

vorhanden sind und häufig nur schwer zu<br />

verkaufende Kleinmengen anfallen. Bei diesen<br />

»freihändigen Verkäufen« werden naturgemäß<br />

für besonders wertvolle Qualitäten<br />

keine maximalen Preise erzielt.<br />

Hier greift die forstliche Beratung der<br />

Kollegen vom Amt für <strong>Wald</strong>wirtschaft an.<br />

Zum einen bündeln die Forstrevierleiter<br />

die geringen Angebotsmengen<br />

des<br />

einzelnen Privatwaldbesitzersbesitzübergreifend<br />

zu den<br />

vom Holzkunden gewünschten<br />

größeren<br />

Verkaufseinheiten.<br />

Eine Vielzahl von<br />

kleineren Mengen<br />

wird dadurch erst<br />

vermarktungsfähig.<br />

<strong>Der</strong> Förster hilft dem<br />

<strong>Wald</strong>besitzer außerdem<br />

bei der Sortierung<br />

des Holzes<br />

und berät bezüglich<br />

eines aktuellen und<br />

reellen Verkaufspreises.<br />

Außer dieser »Standardware« finden<br />

sich zudem immer wieder Einzelstämme<br />

mit Spitzenqualitäten in den Holzhieben.<br />

Solche Hölzer werden seit ca. fünf Jahren<br />

gezielt auf Sammellagerplätzen im Rahmen<br />

der Wertholzsubmission des Amtes für<br />

<strong>Wald</strong>wirtschaft zum Kauf angeboten. Durch<br />

das deutschlandweit nach Menge und Qualität<br />

einmalige Angebot an Kastanienholz<br />

lockt die Ortenauer Kastanie zunehmend<br />

mehr Interessenten bei steigenden Preisen<br />

an und hat sich inzwischen den Ruf eines<br />

»Spezialitätenmarktes« erworben.<br />

Durch die verbesserte Vermarktung gewinnt<br />

die Kastanie zurzeit wieder vermehrt<br />

Wertschätzung bei den <strong>Wald</strong>besitzern, die<br />

Tendenzen zur Umwandlung der Bestände<br />

in Nadelholz gehen zurück, es werden<br />

sogar wieder Kastanien im <strong>Wald</strong> gepflanzt.<br />

Die Vermarktungshilfe des Amtes für <strong>Wald</strong>wirtschaft<br />

für die Kastanie verbessert somit<br />

nicht nur die wirtschaftliche Situation der<br />

Privatwaldbesitzer, sondern trägt auch zum<br />

Schutz und zur Erhaltung der Baumart im<br />

Sinne des Prinzips »Schutz durch Nutzung«<br />

bei.<br />

Und weil die Kastanie ein Baum ist, der<br />

es gerne warm mag, deutet sich hier in Zusammenhang<br />

mit der Klimaerwärmung eine<br />

erhebliche Zunahme der Kastanienfläche im<br />

Ortenaukreis an. Im Stadtwald Renchen sind<br />

z. B. in den letzten zehn Jahren nach den Ergebnissen<br />

der laufenden Forsteinrichtungserneuerung<br />

nicht weniger als 25 % der verjüngten<br />

Fläche Esskastanienkulturen!<br />

n<br />

FD a.D. Dr. Walter Lang war Leiter des Forstamtes<br />

Oberkirch. Bilder: pixelquelle.de


Wenn im Ruhrgebiet Zechen schließen, die<br />

Schwerindustrie abwandert, dann treibt dieser<br />

Prozess nicht nur Politikern Schweißperlen<br />

auf die Stirn, sondern fordert Städte- und<br />

Landschaftsplaner dazu heraus, sich schleunigst<br />

neue Gedanken zu machen über die<br />

Zukunft aufgelassener Industriebrachen.<br />

Denn was aktuell im Ruhrgebiet geschieht,<br />

ist zunächst einmal eine eher außerplanmäßige<br />

Entwicklung: <strong>Der</strong> Ballungsraum zeigt<br />

Auflösungserscheinungen. In seiner Mitte<br />

entstehen freie Areale. Weiße Flecken auf<br />

den Karten der Städteplaner. Schätzungen<br />

über deren Umfang reichen von 5.000 bis<br />

10.000 ha. War die Lebenssituation der etwa<br />

5 Millionen Menschen des urban-industriell<br />

geprägten Siedlungsraumes bisher eher<br />

von räumlicher Enge und dem gnadenlosen<br />

Rhythmus industrieller Produktionsvorgänge<br />

bestimmt, so entstehen plötzlich neue<br />

Weiten. Mitten im Revier. Entschleunigte<br />

Ruheräume, direkt vor den Haustüren.<br />

P i o n i e r b ä u m e<br />

wandern ein. Leise<br />

und zunächst fast<br />

unbemerkt fliegen<br />

Birken und Salweiden<br />

auf Bergehalden,<br />

vormaligen<br />

Zechen- und Kokereistandorten<br />

an.<br />

Filigranes Grün auf<br />

schwarzem, sonnendurchglühtemBergematerial,<br />

schroffer<br />

können Gegensätze<br />

kaum sein. Betupft<br />

durch violette und<br />

weiße Blüten des<br />

Sommerflieders, ge-<br />

Was <strong>Wald</strong> alles kann:<br />

<strong>Wald</strong> auf Kohlehalden<br />

Industriefolgewald im Ruhrgebiet<br />

säumt durch gelben Flor des Schmalblättrigen<br />

Greiskrautes. Die Menschen erkennen<br />

den Wandel auf den Flächen und nehmen<br />

daran Anteil: Warum blüht denn das Greiskraut<br />

im Herbst statt im Frühjahr? Sie erfahren,<br />

dass es von der südlichen Erdhalbkugel<br />

stammt, über Rotterdam aus Südafrika eingeschleppt<br />

wurde und sich nun besonders<br />

auf kargen und fast vegetationslosen Flächen<br />

ausbreitet. Sie beobachten, dass sich<br />

im Laufe der Jahre auch ein zweiter Blühaspekt<br />

im Frühjahr einstellt, die Pflanze sich<br />

also an die für sie neuen Jahreszeiten auf<br />

unserer Erdhälfte anpasst. In den Medien<br />

erfahren sie etwas über »Neophyten« und<br />

lernen, dass die Robinien, die sie von Stabilisierungs-<br />

und Begrünungsmaßnahmen an<br />

Böschungen her kennen, ebenfalls dazugehören.<br />

Begierig erschließen auch diese Bäume<br />

die neuen Lebensräume, unterminieren<br />

mit ihren Wurzeln die Brachen und brechen<br />

inmitten der jungen Birken hervor. Duftende,<br />

weiße Blütentrauben pendeln friedlich<br />

von Michael Börth<br />

im sommerwarmen Juniwind. Aber haben<br />

denn diese Bäume hier etwas zu suchen? Sie<br />

waren doch eigentlich für eher technische<br />

Funktionen der Bodenstabilisierung auf anderen<br />

Einsatzorten vorgesehen. Läuft hier<br />

etwas aus dem Ruder? Geschieht hier gar<br />

etwas Subversives? Wildnis in der Stadt?<br />

Erste Imker haben die Gunst der Stunde<br />

erkannt und produzieren Robinienhonig<br />

von der Halde: einen süßen Schmelz mit<br />

dem besonderen Beigeschmack eines Strukturwandels<br />

der anderen Art.<br />

Natur regt sich, Flächeneigentümer<br />

werden unruhig. Denn wo Grün entsteht,<br />

erwachsen auch Rechtsfolgen. Ausgleichspflicht<br />

ist das Stichwort. Gern würden die<br />

Bergbaubetriebe und Industrietreibenden<br />

ihre ehemaligen Produktionsstandorte an<br />

Investoren vermarkten und so einer anderen,<br />

einer höherwertigen Nutzung zuführen.<br />

Die Bemühungen sind vielfältig, Erfolge stellen<br />

sich nur schleppend ein. Ist Natur auf<br />

Industriebrachen<br />

nicht ein Investitionshindernis,<br />

wenn<br />

zum Ausgleich für<br />

notwendige Naturbeseitigungen<br />

an<br />

anderer Stelle Ersatz<br />

geschaffen werden<br />

muss?<br />

Um dies auszuschließen,kultivierten<br />

die Flächeneigentümer<br />

ein<br />

Verfahren, das die<br />

Entstehung einer<br />

Vegetationsdecke<br />

von vornherein unterband.<br />

Sie zogen<br />

JULI | 2007 : proWALD 21


ihre Flächen periodisch schwarz, entfernten<br />

mit einem enormen Aufwand an Maschinen<br />

und fossilen Energieträgern jeden Pflanzenanflug.<br />

CO ² wurde freigesetzt zur Vernichtung<br />

einer Vegetation, die in gewissen<br />

Maßen auch zur Bindung von Kohlendioxyd<br />

beitragen konnte, bis die Landesregierung<br />

NRW auf diesen Wahnsinn mit einer Änderung<br />

des Landschaftsgesetzes reagierte und<br />

Zugriffe auf bewaldete Industriebrachen<br />

von der Ausgleichspflicht freistellte.<br />

Damit wurde für die Flächeneigner »Natur<br />

auf Zeit« bis zum Investitionszeitpunkt<br />

eine denkbare Option. Die Regierung ging<br />

sogar noch einen Schritt weiter. Sie eröffnete<br />

den Eigentümern die Möglichkeit, sich<br />

die Ergebnisse der natürlichen Entwicklungen<br />

auf ihren Flächen auf Ökokonten<br />

gutschreiben zu lassen, soweit sich für die<br />

Brachen doch keine Käufer finden ließen<br />

22 proWALD : JULI | 2007<br />

und die Flächen daher frei von Bebauungen<br />

blieben. Im Falle einer Ausgleichspflicht an<br />

anderer Stelle kann nun auf das Punktepolster<br />

zurückgegriffen werden. Oder die Ökopunkte<br />

können an Dritte vermarktet werden:<br />

Ökotrading. Kritiker der Gesetzesänderungen<br />

argwöhnen, ein Ausnahmetatbestand<br />

werde auf diese Weise zu einem Routineprozess<br />

umfunktioniert, Naturzerstörung zum<br />

Tagesgeschäft. Die Menschen an Ruhr und<br />

Emscher erkennen jedoch, dass sich nun<br />

mehr und mehr Flächen begrünen dürfen<br />

und die Natur zu ihnen kommen kann. Im<br />

Wege der natürlichen Sukzession. Damit<br />

hat die Landesregierung ein wichtiges Ziel<br />

erreicht. Doch wie soll es weitergehen? Was<br />

geschieht mit dem neuen grünen Pelz? Diese<br />

Frage ruft die Forstleute auf den Plan.<br />

<strong>Wald</strong> ist das Endglied einer ungehinderten<br />

Pflanzenentwicklung unter mitteleuropäischen<br />

Verhältnissen, also auch<br />

auf Industriebrachen. Dieser wandert nun<br />

nach Aufgabe industrieller Nutzungen ins<br />

Herzgebiet der Schwerindustrie, ins Land<br />

des Rußes, Lärms und Staubes ein, ohne<br />

menschliches Zutun und mit der ihm eigenen<br />

Beständigkeit. Eine geradezu paradoxe<br />

Situation. Försterinnen und Förster haben<br />

gelernt, genau hinzusehen, solche natürlichen<br />

Prozesse zu identifizieren, die ihre Bemühungen<br />

um den Erhalt und die Stabilisierung<br />

der Wälder unterstützen, und sie dann<br />

in ihre Handlungskonzepte aufzunehmen.<br />

<strong>Der</strong> Terminus hierfür lautet »biologische Automation«.<br />

Jeder Hektar, der auf natürliche<br />

Weise zu <strong>Wald</strong> wird, erspart etwa 5.000,00 €<br />

Aufforstungskosten. Also wird dieser Entwicklungsprozess<br />

zunächst einmal positiv<br />

zur Kenntnis genommen und zu einem Konzept<br />

erhoben, dessen Motto lautet: Mit dem<br />

Industriefolgewald schaffen wir einen völlig<br />

neuen Freiraumtyp im Ballungsraum, der<br />

weder klassischer <strong>Wald</strong> im herkömmlichen<br />

Sinne, noch typische Park- oder Grünanlage,<br />

noch gewöhnliche Rekultivierungsfläche ist.


Ein Freiraumtyp mit Alleinstellungsmerkmalen,<br />

der die Vergangenheit des<br />

Ruhrgebietes nicht verhehlt, sondern in<br />

seine Entwicklung einbezieht und dadurch<br />

dem alten Industrieraum seine einzigartige<br />

Identität erhält: Die Böden bleiben, so weit<br />

es verantwortbar ist, unverändert. Industrielle<br />

Infrastruktur, z. B. Industriestraßen,<br />

Gleis- und Rohrleitungsbündel, werden<br />

vielfach genau so erhalten, wie erhaltenswerte<br />

Industriearchitektur. Dazwischen<br />

»nischt« und schiebt sich der neue <strong>Wald</strong><br />

ein, bildet Kulissen, versperrt alte Verbindungen,<br />

zwingt zu Neuorientierung. Seine<br />

Zusammensetzung ist geprägt durch Pionierbaumarten,<br />

allerdings durchsetzt mit<br />

hohen Anteilen von Neophyten. Diese werden<br />

hier jedoch nicht als Kulturhindernisse,<br />

sondern als willkommene Gäste betrachtet,<br />

sie reichern an, statt zu verdrängen, sie bilden<br />

eine Artenressource, die vielleicht einmal<br />

von Bedeutung sein könnte, wenn die<br />

Wirkungen des Klimawandels den bisher<br />

einheimischen Arten das Überleben erschweren.<br />

Biodiversität im Ballungsraum,<br />

<strong>Wald</strong> mit Wildnismerkmalen. Zum Null-<br />

Kosten-Tarif und mit einer weitgehenden<br />

Freistellung der Flächenbesitzer von Verkehrssicherungspflichten,<br />

denn nach den<br />

einschlägigen <strong>Wald</strong>gesetzen des Bundes<br />

und des Landes erfolgt das Betreten des<br />

<strong>Wald</strong>es auf eigene Gefahr.<br />

So weit, so gut! Ein Konzept zu haben,<br />

ist das eine. Das Konzept auch mit Leben<br />

zu erfüllen, ein weiterer Schritt, vor allem<br />

dann, wenn es nicht eigene Flächen, sondern<br />

Brachen Dritter betrifft, die erst einmal<br />

zur Bereitstellung ihrer ehemaligen Industrieareale<br />

bewegt werden müssen. So hat der<br />

Landesbetrieb <strong>Wald</strong> und Holz zusammen<br />

mit der Landesentwicklungsgesellschaft<br />

NRW das gemeinsame »Projekt Industriewald<br />

Ruhrgebiet« ins Leben gerufen. Ein<br />

Angebotsprojekt, dem sich interessierte<br />

Besitzer von Industriebrachen anschließen<br />

können. Dies erfolgt im Wesentlichen über<br />

Das Projekt Industriewald Ruhrgebiet<br />

Das Projekt ist als Kooperationsmodell zwischen dem Landesbetrieb <strong>Wald</strong> und Holz NRW<br />

und der LEG-Stadtentwicklung GmbH & Co. KG organisiert. Ihm sitzt als beschlussfassendes<br />

Gremium ein Sachverständigenrat vor. »Vor Ort« sind mit der Durchführung des<br />

Projekts das Forstamt Recklinghausen und die Forststation Rheinelbe betraut.<br />

Die Ansprechpartner:<br />

Geschäftsführung und Projektleitung:<br />

Michael Börth, Forstamt Recklinghausen, Westring 51, 45659 Recklinghausen<br />

Fon: 02361/9247-0, Fax: 02361/9247-85, Michael.Boerth@wald-und-holz.nrw.de<br />

Forststation Rheinelbe:<br />

Oliver Balke / Lutz Haß, Leithestraße 61 b, 45886 Gelsenkirchen, Fon: 0209/1474844<br />

Oliver.Balke@wald-und-holz.nrw.de, Lutz.Hass@wald-und-holz.nrw.de<br />

Kooperationsverträge, die ähnlich den Betriebsleitungs-<br />

und Beförsterungsverträgen<br />

Einzelheiten zur Flächenbehandlung, Möglichkeiten<br />

der Teilhabe an öffentlichen Förderprogrammen<br />

und darüber hinaus Details<br />

zur Einrichtung und Führung der Ökokonten<br />

regeln. Allerdings gibt es auch Pachtverträge<br />

des Landesbetriebes mit Flächenbesitzern,<br />

und in einem Fall ist das Land sogar Eigentümerin<br />

einer Fläche. Sitz des Projektes ist<br />

zurzeit das Forstamt Recklinghausen (siehe<br />

Kasten).<br />

Industriefolgewald dient den Menschen<br />

des Ruhrgebietes. Er kommt auf sie<br />

zu, lädt sie ein, regt sie an, manchmal regt er<br />

auch auf. Er macht kreativ, er ist zum Anfassen,<br />

zur Selbst-Aneignung da. Zechenzäune<br />

werden niedergelegt, Mauern erhalten Tore,<br />

verbotene Stätten werden geöffnet, Wege<br />

angelegt. Dieser <strong>Wald</strong> ist eine Art Ausgleichsfläche<br />

für eine ansonsten zutiefst verregelte<br />

und, wenn man es überspitzt formuliert,<br />

JULI | 2007 : proWALD 23


zuweilen für Menschen bis zur Leblosigkeit<br />

durchgeplante Landschaft.<br />

Wildnis wird in Szene gesetzt. Ein Landschaftskünstler<br />

schafft einen Skulpturenwald,<br />

schöpft die Himmelstreppe als eine<br />

der wichtigsten Landmarken im Emscherraum.<br />

Landart im Industriefolgewald. Theaterleute<br />

entdecken auf diesen Brachen neue<br />

Spielräume, führen dort den »Sturm« von<br />

Shakespeare auf. Es gründet sich ein Verein<br />

zum Industriewald.<br />

Kirchengemeinden erfahren, dass die<br />

Schöpfung in ihrer Mitte nicht zu Ende ist,<br />

sondern sich die Natur auf verbrauchten<br />

Flächen wieder einstellt, in einer neuen Ge-<br />

24 proWALD : JULI | 2007<br />

stalt. Es werden Gottesdienste gefeiert, Posaunenschall<br />

in ehemaligen Industriehallen.<br />

Prozessionen führen in den Industriewald,<br />

Ökumene wird gelebt. Kann Industriewald<br />

als neuer gemeinsamer Gestaltungsraum<br />

sogar Religionen zusammenführen?<br />

<strong>Der</strong> Werkbund des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen, ein Zusammenschluss von<br />

Künstlern, Architekten, Städteplanern,<br />

Hochschullehrern, möchte Lebensqualität<br />

durch Ästhetik schaffen. Er erkennt im Industriefolgewald<br />

eine besondere Perspektive<br />

für das Ruhrgebiet, nimmt sich seiner an<br />

und integriert die konzeptionellen Ideen um<br />

diesen neuen Freiraumtyp in seine Konzep-<br />

te. Erstmalig wird ein Forstbeamter in seine<br />

Reihen berufen.<br />

Kinder und Jugendliche aus umliegenden<br />

Kindergärten und Schulen werden<br />

behutsam an diese andere Natur herangeführt,<br />

erlernen motorische Fähigkeiten in<br />

stark gelüftetem Gelände, bekommen Zeit<br />

zu kommunizieren, statt zu konsumieren,<br />

kooperieren statt zu konkurrieren. Sie entwickeln<br />

so etwas wie Heimatgefühle in einem<br />

Raum, in dem doch nicht alles verboten<br />

zu sein scheint. Sie dürfen sich ausprobieren,<br />

sie bekommen Bestätigung, sie lernen,<br />

sich auszukennen, sie werden kompetent.<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />

erkunden die Besiedlung der Flächen durch<br />

Pflanzen und Tiere, die Nutzung der Flächen<br />

durch die Menschen.<br />

Das Projekt erregt internationale Aufmerksamkeit.<br />

Ein Kongress beschäftigt sich<br />

mit dem Thema »Urwald in der Stadt«. Das<br />

europäische Forum urbaner <strong>Wald</strong>wirtschaft<br />

tagt unter dem Thema »Neue Wälder nach<br />

alten Industrien« auf der Herzfläche des Projekts<br />

Industriewald Ruhrgebiet, der Fläche<br />

Rheinelbe in Gelsenkirchen-Ückendorf.<br />

Eine Stadt des Ruhrgebiets entdeckt den<br />

Industriefolgewald als weichen Standortfaktor,<br />

entwickelt im Rahmen der Bauleitplanung<br />

den Leitsatz »Wohnen an <strong>Wald</strong> und<br />

Wasser« und setzt ein hochwertiges Baugebiet<br />

an einem wunderschönen, alten Kanalhafen<br />

fest, umgeben vom zarten Grün des<br />

neuen <strong>Wald</strong>es.<br />

Industriefolgewald ist auch eine Stätte<br />

des Sports. Er wird zur Bühne für das größte<br />

Natursportereignis des Jahres, des Naturathlon-Treffpunkt<br />

<strong>Wald</strong>. Acht Teams durcheilen<br />

mit Fahrrädern ganz Deutschland vom<br />

Schwarzwald bis nach Berlin und machen<br />

Station auf Rheinelbe. Dort lernen sie diesen<br />

<strong>Wald</strong>typ kennen, der unverbrüchlich mit<br />

der Geschichte des Landes von Kohle und<br />

Stahl verknüpft ist und deshalb vom übrigen<br />

Mainstream-<strong>Wald</strong> absticht. Eine absolute<br />

Besonderheit des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />

Sie werden erkennen, dass er durchaus<br />

Ansprüche an die sportliche Fitness stellt<br />

und viele Aufgaben bereithält, die mit seiner<br />

Heimat und der Vielfalt seiner Erscheinungsbilder<br />

zu tun haben. Lebensvielfalt<br />

im Ballungsraum, Utopie oder Wirklichkeit?<br />

Man wird sehen.<br />

n<br />

Michael Börth ist Leiter des<br />

Forstamtes Recklinghausen.<br />

Bilder: Dr. Joachim Weiss und Peter Liedtke


Wasser Wasser Wasser ...<br />

<strong>Der</strong>zeit leben ca. 6,6 Milliarden Menschen<br />

auf unserer Erde. Ihr wichtiges Grundlebensmittel<br />

ist Wasser, ein Leben (und Überleben)<br />

ohne Wasser ist nicht denkbar. Dieses<br />

lebensnotwendige Wasser ist auf unserer Erde<br />

auch reichlich vorhanden. Aus dem Weltraum<br />

betrachtet, erscheint die Erde uns als<br />

blauer Planet, weil mehr als zwei Drittel ihrer<br />

Oberfläche von Wasser bedeckt sind.<br />

Leider ist von diesen riesigen Wassermengen<br />

aber nur ein kleiner Teil für den Menschen<br />

nutzbar. Lediglich 2,5 % der auf der Erde vorhanden<br />

Wassermenge sind Süßwasser, der<br />

»Rest« des Wassers ist salzig und schwappt in<br />

den Weltmeeren. Hinzu kommt, dass nur ein<br />

Fünftel (insgesamt 0,5 % der Gesamtwassermenge)<br />

des Süßwassers für Mensch und Tier<br />

erreichbar ist. <strong>Der</strong> übrige Süßwasservorrat<br />

besteht aus Eis an den Polen und ist in den<br />

Gletschern der Erde gebunden.<br />

Wie klein die weltweite Menge von<br />

Süßwasser ist, soll der folgende Vergleich<br />

verdeutlichen: Entspräche alles Wasser der<br />

Erde der Füllung einer Badewanne, so wäre<br />

ein halbvoller Putzeimer davon Süßwasser.<br />

Von dieser Menge stünde flüssig jedoch nur<br />

der Inhalt eines Schnapsglases zum Leben<br />

von Menschen, Tieren und Pflanzen zur Verfügung,<br />

der Rest im Eimer wären klirrende<br />

Eiswürfel.<br />

Und dieses Schnapsglas soll für alle<br />

Menschen, Tiere und Pflanzen dieser Welt<br />

reichen? Ja, denn Wasser wird nicht verbraucht<br />

wie eine Tafel Schokolade: angebissen,<br />

aufgegessen, weg. Wäre dies so, dann<br />

gäbe es längst kein Leben mehr auf unserem<br />

Planeten.<br />

Wasser wird nicht verbraucht. Kein<br />

Tropfen geht jemals verloren. Wasser befindet<br />

sich nämlich in einem beständigen<br />

Eine klare Sache:<br />

Wasser aus dem <strong>Wald</strong><br />

von Ursula Rüping<br />

Bild: pixelquelle.de<br />

JULI | 2007 : proWALD 25


Wisente in<br />

Hardehausen<br />

Ursprünglich lebten Wisente im größten Teil<br />

Europas. In den 1920er-Jahren wurden allerdings<br />

die letzten Tiere beider Linien, der<br />

Berg- und der Flachlandwisente, getötet.<br />

Die Zerstörung ihres Lebensraumes, Wilderei<br />

und Seuchen waren verantwortlich für<br />

das Verschwinden des Wisents. Das bis zu<br />

1000 kg schwere Tier lebt im <strong>Wald</strong> und ernährt<br />

sich hauptsächlich von Kräutern und<br />

Gräsern sowie von Blättern, Trieben und von<br />

der Rinde der <strong>Wald</strong>bäume. Ein ausgewachsener<br />

Wisent braucht je Tag zwischen 30<br />

und 45 kg Grünfutter und bis zu 4 kg holzige<br />

Nahrung. Seit nunmehr 50 Jahren ziehen<br />

wieder Wisente durch Ostwestfalens Wälder<br />

– wenn auch nur hinter Zäunen. Das letzte<br />

europäische Wildrind hat in einem <strong>Wald</strong>gebiet<br />

des Forstamtes Bad Driburg nahe dem<br />

Klosterdorf Hardehausen eine Zuflucht gefunden.<br />

Bis zum heutigen Tag wurden hier<br />

133 Kälber der Berg-Linie geboren. Seit 2002<br />

gibt es in Hardehausen auch ein zweites, abgetrenntes<br />

Gehege, in dem ein weiterer Beitrag<br />

zum Wisent-Erhalt, nämlich der Flachland-Wisente,<br />

geleistet wird.<br />

n<br />

Rainer Glunz, Forstamt Bad Driburg<br />

www.forstamt-baddriburg.nrw.de/wisent.htm<br />

Kreislauf, der alle Wasservorräte in ganz verschiedenen<br />

Zeiten immer wieder erneuert.<br />

Das heißt, Wasser verschwindet nicht. Es ist<br />

nur gerade irgendwo anders. Das Wasser der<br />

Erde befindet sich in einem permanenten<br />

Kreislauf von Niederschlag, Verdunstung<br />

und Abfluss. Durchschnittlich gelangen in<br />

etwa 800 l pro m² und Jahr Niederschlag als<br />

Regen, Nebel oder Schnee auf die Bodenoberfläche.<br />

Durch die Verdunstung von Oberflächen<br />

und Pflanzendecken geht ein Großteil<br />

davon wieder in die Atmosphäre zurück,<br />

ein geringerer Teil gelangt in die oberirdi-<br />

26 proWALD : JULI | 2007<br />

schen Gewässer und in das Grundwasser<br />

und steht damit als »nutzbares« Wasser zur<br />

Verfügung.<br />

Deutschland zählt zu den wasserreichen<br />

Ländern. Von der nutzbaren Wassermenge<br />

(Grund- plus Oberflächenwasser, das theoretisch<br />

verfügbar ist) werden insgesamt<br />

rund 20 % genutzt.<br />

Die Wasserentnahmen, also die Wassermenge,<br />

die von den drei größten Hauptnutzergruppen<br />

– den Wärmekraftwerken, dem<br />

Bergbau und dem verarbeitenden Gewerbe<br />

und der öffentlichen Wasserversorgung – gewonnen<br />

wurde, betrugen im Jahr 2004 etwa<br />

35,6 Mrd. m³.<br />

<strong>Der</strong> Wasserbedarf der privaten Haushalte<br />

(ca. 5,3 Mrd. m³) macht nur ca. 15 % an<br />

der Gesamtentnahme aus. <strong>Der</strong> wesentliche<br />

Anteil der Wassergewinnung entfällt mit<br />

85 % auf den industriellen Bereich. Davon<br />

werden knapp 75 % von Wärmekraftwerken<br />

vor allem für Kühlzwecke entnommen (ca.<br />

22,6 Mrd. m³), und gut 25 % benötigt der Bereich<br />

Bergbau und verarbeitendes Gewerbe<br />

für Produktionsprozesse (ca. 7,7 Mrd. m³).<br />

Das Gesamtvolumen von 35,6 Mrd. m³<br />

entspricht damit weniger als 20 % des potenziellen<br />

Wasserangebotes, d. h., 80 % des<br />

Wasservorrates werden gegenwärtig nicht<br />

genutzt. In Deutschland stehen also generell<br />

ausreichende Reserven an Wasser zur<br />

Verfügung, auch wenn es regionale und<br />

saisonale Engpässe gibt. Unerschöpfliche<br />

Wasserressourcen sind aber keinesfalls eine<br />

Selbstverständlichkeit. In vielen Teilen<br />

der Erde übersteigt der Wasserverbrauch<br />

das erneuerbare Wasservolumen. In vielen<br />

europäischen Ländern bedarf es in Zukunft<br />

massiver Anstrengungen, den Wasserbedarf<br />

(regional) zu decken und die Qualität<br />

des Wassers zu erhalten bzw. zu verbessern.<br />

Insbesondere vor diesem Hintergrund wurde<br />

die europäische Wasserrahmenrichtlinie<br />

(Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen<br />

Parlamentes und des Rates vom 23. Oktober<br />

2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens<br />

für Maßnahmen der Gemeinschaft im<br />

Bereich der Wasserpolitik) erlassen, deren<br />

erster Erwägungsgrund lautet: »Wasser ist<br />

keine übliche Handelsware, sondern ein<br />

ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und<br />

entsprechend behandelt werden muss.«<br />

Wem gehört eigentlich das Wasser? In<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ist das<br />

Nutzungsrecht des Grundstückseigentümers<br />

am Gewässer vielfältig und teilweise<br />

gravierend eingeschränkt worden. Vor allem<br />

13%<br />

4% 3%<br />

80%<br />

Ungenutzt<br />

Wärmekraftwerke<br />

für die öffentliche<br />

Versorgung<br />

Bergbau und<br />

Verarbeitendes Gewerbe<br />

Öffentliche<br />

Wasserversorgung<br />

Wasserdargebot und Wassernutzung<br />

in Deutschland 2004<br />

das sich durchsetzende Gebot der gemeinverträglichen<br />

Gewässernutzung schmälerte<br />

die Nutzungsbefugnisse. Das Wasserhaushaltsgesetz<br />

(Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts<br />

vom 27.7.1957) beendete diese<br />

Entwicklung, indem es die Gewässer einem<br />

öffentlichen Bewirtschaftungsregime unterwarf<br />

und jede Benutzung des Gewässers unter<br />

den Vorbehalt einer behördlichen Erlaubnis<br />

oder Bewilligung stellte. Zudem wurde<br />

geregelt, dass das Grundeigentum nicht zu<br />

einer Gewässerbenutzung berechtigt.<br />

Das ober- und unterirdische Wasser<br />

wird durch das Wasserhaushaltsgesetz einer<br />

vom Grundeigentum losgelösten öffentlichrechtlichen<br />

Benutzungsordnung unterstellt<br />

und der Allgemeinheit zugeordnet. Insbesondere<br />

aufgrund der lebensnotwendigen<br />

Bedeutung der Ressource Wasser wurde<br />

das öffentlich-rechtliche Bewirtschaftungsregime<br />

etabliert. Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat diese Konzeption in seinem<br />

berühmt gewordenen »Naßauskiesungsbeschluss«<br />

ausdrücklich für vereinbar mit<br />

Art. 14, Abs. 1 GG erklärt. Das Bundesverfassungsgericht<br />

geht davon aus, dass die Gewährleistung<br />

des Eigentums nicht angetastet<br />

wird, wenn für die Allgemeinheit lebensnotwendige<br />

Güter zur Sicherung überragender<br />

Gemeinwohlbelange und zur Abwehr von<br />

Gefahren nicht der Privatrechtsordnung,<br />

sondern einer öffentlich-rechtlichen Ordnung<br />

unterstellt werden.<br />

Geld für Wasser aus dem <strong>Wald</strong>? Wenn<br />

man zu Hause den Wasserhahn aufdreht,<br />

kann man den <strong>Wald</strong> »rauschen« hören, denn<br />

sehr oft kommt unser Trinkwasser aus dem<br />

<strong>Wald</strong>. Von den Wasserversorgungsunternehmen<br />

wird Wasser aus <strong>Wald</strong>gebieten aufgrund<br />

seiner besseren Qualität gegenüber solchem<br />

aus überwiegend landwirtschaftlich genutzten<br />

Einzugsgebieten bevorzugt. Ausschlaggebend<br />

hierfür sind die niedrigere Nitratbelastung,<br />

geringere Mengen an Pestiziden<br />

und anderen Schadstoffen. In der Regel tritt


durch die guten Infiltrationsbedingungen,<br />

die der Boden unter <strong>Wald</strong> aufweist und die<br />

den Anteil des oberflächigen Abflusses gering<br />

halten, eine zusätzliche chemische Reinigung<br />

bei der Tiefensickerung hinzu.<br />

<strong>Wald</strong> wird häufig als natürlicher Wasserspeicher<br />

bezeichnet. <strong>Der</strong> oberflächliche<br />

Wasserabfluss ist hier besonders gering. <strong>Der</strong><br />

<strong>Wald</strong>boden saugt die Niederschläge wie ein<br />

Schwamm auf und gibt sie dann langsam<br />

wieder an das Grundwasser ab. Flächig betrachtet,<br />

ist die Qualität der Grundwasserneubildung<br />

im <strong>Wald</strong> hinsichtlich der Vorgaben<br />

der Trinkwasserverordnung als sehr gut<br />

einzustufen.<br />

Die forstlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen<br />

(insbesondere Baumartenwahl,<br />

Erstaufforstung, Verjüngungsverfahren und<br />

Bestandespflege) sind besonders relevant<br />

für die Grundwasserneubildung und die<br />

Grundwasserqualität. Auch Maßnahmen<br />

wie Kalkung, Verzicht auf Pflanzenschutzmittel,<br />

Vollbaumnutzung und Verzicht auf<br />

Kahlschlag können positiven Einfluss auf die<br />

Gewässerqualität und –quantität haben. <strong>Der</strong><br />

Maßstab für die Beurteilung waldbaulichen<br />

Handelns hinsichtlich des Grundwasserschutzes<br />

ist zunächst die Sickerwasserqualität<br />

unterhalb des Wurzelraumes. Zahlreiche<br />

Untersuchungen belegen, dass unter<br />

Nadelbäumen aus verschiedenen Gründen<br />

die Grundwasserbelastung stärker ist als unter<br />

Laubbäumen. Die Nitratkonzentration<br />

im Sickerwasser ist in Laubholzbeständen<br />

häufig geringer als in Nadelholzbeständen.<br />

Laub- und Nadelbäume unterscheiden sich<br />

beim Einfluss auf Qualität und Quantität<br />

des Grundwassers unter anderem in den<br />

folgenden Eigenschaften:<br />

s Unterschiedliche Sickermengen:<br />

Die größere Belaubungsdichte und die<br />

ganzjährige Belaubungszeit erhöhen die<br />

Interzeptionsrate in Nadelwäldern. In<br />

Laubwäldern wird deshalb mehr Grundwasser<br />

gebildet.<br />

s Unterschiede in der Ausfilterung von<br />

Schadstoffen aus der Atmosphäre:<br />

Im Vergleich zum Freiland kommt es<br />

aufgrund der großen Baumkronen in<br />

Wäldern fast immer zu einer Stoffanreicherung.<br />

Nadelbäume mit ihrer jahreszeitlich<br />

ununterbrochenen Benadelung<br />

filtern in der Regel deshalb größere<br />

Schadstoffmengen aus als Laubbäume.<br />

s Unterschiedliche Stoffspeicherung im<br />

Boden:<br />

Laubbaumbestände können aufgrund<br />

eines anderen Humuszustandes (meis-<br />

tens herrschen dort Mineralbodenhumusformen<br />

vor) in der Regel größere<br />

Stickstoffmengen in relativ stabilen Formen<br />

speichern.<br />

Durch den Umbau von Nadelwaldbeständen<br />

zu Laub- oder Laubmischbeständen könnte<br />

demgemäß eine Erhöhung der nitratarmen<br />

Grundwasserneubildung erreicht werden.<br />

Für die Forstbetriebe auf lokaler Ebene<br />

kann festgestellt werden, dass es eine Erfüllung<br />

sowohl des Gewässerschutzes als auch<br />

der optimalen Holzproduktion im »Kielwasser«<br />

eines einheitlichen <strong>Wald</strong>baukonzeptes<br />

häufig nicht gibt. Die jeweiligen waldbaulichen<br />

Behandlungskonzepte können gegensätzliche<br />

Vorgehensweisen und Bestrebungen<br />

bewirken. Zwischen der ökonomischen<br />

Zielsetzung der Forstbetriebe und den Zielen<br />

der Wasserwirtschaft gibt es keine automatische<br />

Kongruenz der Ziele. Die <strong>Wald</strong>besitzer<br />

differenzieren unter Abwägung ihrer<br />

betrieblichen Ziele ihr forstbetriebliches<br />

Angebot und passen es an die jeweiligen<br />

Bedürfnisse an. Aus wasserwirtschaftlicher<br />

Sicht sind meistens zum Teil speziell auf<br />

den Wasserschutz ausgerichtete forstliche<br />

Bewirtschaftungsmaßnahmen wünschenswert.<br />

Eine gezielt auf Wasserqualität und<br />

–quantität ausge-<br />

richtete forstliche<br />

Bewirtschaftung<br />

könnte aus ökonomischer<br />

Sichtweise<br />

der Forstbetriebe in<br />

Zukunft als forstlicheWasserschutzdienstleistung<br />

für<br />

die Wasserwirtschaft<br />

betrachtet<br />

werden. In einigen<br />

B u n d e s l ä n d e r n<br />

(z. B. Niedersachsen,<br />

Hessen und<br />

Bayern) wurden<br />

bereits Kooperationen<br />

auf freiwilliger<br />

Basis eingegangen,<br />

bei denen die<br />

forstwirtschaftlichenWasserschutzdienstleistungen<br />

vergütet werden.<br />

Allerdings zeigt<br />

sich auch, dass<br />

die Vergütung von<br />

W a s s e r s c h u t z -<br />

dienstleistungen in<br />

Deutschland zurzeit auf wenige Beispiele<br />

beschränkt ist. Einerseits müssen die forstwirtschaftlichenGewässerschutzmaßnahmen,<br />

die über die Vorgaben der ordnungsgemäßen<br />

Forstwirtschaft hinausgehen, als<br />

besondere Wasserdienstleistungen Anerkennung<br />

finden. Auf der anderen Seite ist<br />

die Bereitschaft erforderlich, finanzielle Mittel<br />

für deren Vergütungen bereitzustellen.<br />

In manchen Gegenden mussten die<br />

<strong>Wald</strong>böden in den letzten Jahrzehnten so<br />

viele Schadstoffe aus Luft und Wasser herausfiltern,<br />

dass ihre »Pufferwirkung« nicht<br />

mehr ausreicht und das einst »klare« Grund-<br />

und Quellwasser heute mit Nitraten, Säuren<br />

und Schwermetallen belastet ist. Auch eine<br />

gewässerschutzorientierte <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />

kann diese Probleme nur mildern.<br />

Erst wenn es gelingt, den Eintrag von Luftschadstoffen<br />

deutlich zu reduzieren, werden<br />

die Schäden am Ökosystem <strong>Wald</strong> zurückgehen<br />

und damit die hochwertige Qualität des<br />

Trinkwassers aus dem <strong>Wald</strong> gesichert.<br />

n<br />

Ursula Rüping ist wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin am Institut für Forstökonomie<br />

der Universität Göttingen.<br />

»Hier hilft die Natur<br />

den Menschen bei ihrer Trauer<br />

und der <strong>Wald</strong> kann<br />

so bleiben wie er ist.«<br />

Bitte kleben Sie diesen Coupon auf eine Postkarte und senden ihn an folgende Adresse:<br />

Fried<strong>Wald</strong> GmbH . Im Leuschnerpark 3 . 64347 Griesheim<br />

Tel. 06155 848–100 . Fax 06155 848-111 . info@friedwald.de<br />

FriedWälder in Ihrer Nähe finden Sie unter www.friedwald.de<br />

Ich möchte mehr über<br />

Fried<strong>Wald</strong> wissen, bitte<br />

schicken Sie mir<br />

Informationsmaterial an<br />

folgende Adresse:<br />

Pro<strong>Wald</strong><br />

Name<br />

Straße<br />

PLZ/Ort<br />

Telefon<br />

E-Mail<br />

JULI | 2007 : proWALD 27


Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden<br />

globalen Umweltveränderungen werden<br />

unsere Wälder völlig neuen Umweltfaktoren<br />

ausgesetzt sein, die sich in ihrer Kombination<br />

und Dynamik grundsätzlich von denen<br />

der Vergangenheit unterscheiden. Klimaveränderungen<br />

wie der Anstieg der Temperatur,<br />

die Veränderung der Niederschlagsverteilung<br />

und -intensität, die Häufung von Witterungsextremen<br />

wie Dürreperioden, Starkregen<br />

und Orkane, aber auch die Änderungen<br />

des chemischen Klimas, nämlich der rapide<br />

Anstieg von Kohlenstoffdioxid, die Versauerung<br />

und Nährstoffverarmung bei gleichzeitiger<br />

Stickstoff- und Ozon-Belastung – all<br />

das wird die ökologischen und ökonomischen<br />

Produktionsbedingungen der Forstwirtschaft<br />

tiefgreifend umkrempeln.<br />

Das fundamental Neue an dieser Situation<br />

besteht für die Forstwirtschaft darin, dass<br />

man nicht wie bisher aus den Erfahrungen<br />

der Vergangenheit das Handlungsmuster für<br />

die Zukunft ableiten kann. Da die zukünftigen<br />

Umwelteinflüsse und deren Zusammenwirken<br />

neuartig sind, brauchen wir auch Forschungsansätze,<br />

die eventuelle zukünftige<br />

Situationen auf Ökosystemebene simulieren<br />

können. Die Forschung muss die schlimmen<br />

Befürchtungen ernst nehmen und sie in der<br />

Praxis ausprobieren, im <strong>Wald</strong> eben.<br />

Diesem Zweck dient das Solling-Dach-<br />

Projekt. 1991 wurden in einem damals 58jährigen<br />

Fichtenwald unter den Baumkronen<br />

drei jeweils 300 m 2 große Dächer installiert<br />

(siehe Foto). Die Dächer mit einer Firsthöhe<br />

von 3,5 m sind mit einer hochtransparenten<br />

Kunststofffolie (Polycarbonat) eingedeckt.<br />

Somit wird der auf diese Dächer fallende<br />

28 proWALD : JULI | 2007<br />

REHA für den <strong>Wald</strong><br />

Das Solling-Dach-Projekt<br />

Bestandesniederschlag über ein Leitungssystem<br />

aufgefangen und in Vorratstanks geleitet.<br />

Dort kann die chemische Zusammensetzung<br />

des Wassers je nach Zielsetzung der<br />

Forschung verändert werden. Anschließend<br />

wird der so manipulierte Niederschlag mittels<br />

eines Sprinklersystems wieder auf den<br />

Boden unter den Fichten verregnet. Durch<br />

das Zwischenschalten der Vorratstanks können<br />

aber auch die Intensität und die Verteilung<br />

der Niederschläge variiert werden.<br />

Um seitliche Einflüsse zu vermeiden,<br />

wurden die 300 m 2 großen Flächen mit einem<br />

Betonrand umgeben, der die Wurzelsysteme<br />

voneinander abgrenzt. Ein in der<br />

Mitte der Anlage stehender Kran, der mit einer<br />

Gondel versehen ist, erlaubt eine separate<br />

Beregnung des Kronenraums der Bäume.<br />

Die Fichten wachsen auf einem Gestein<br />

aus mittlerem Buntsandstein, über den sich<br />

eine Schicht aus Braunerde breitet. Das Solling-Dach<br />

liegt 510 m ü. NN, der mittlere<br />

Jahresniederschlag beträgt 1090 mm, und<br />

die Jahresmitteltemperatur liegt bei 6,4 °C.<br />

Die natürliche und durch Übernutzung<br />

entstandene Nährstoffarmut des Bodens<br />

wurde durch sehr hohe Stoffeinträge weiter<br />

Grafik 1<br />

Abb. 3<br />

Feinwurzelmasse<br />

(Lamersdorf & Borken GCB 2004)<br />

lebend<br />

tot<br />

Kontrollfläche<br />

von Friedrich Beese<br />

verschärft. Grafik 2 zeigt die Entwicklung<br />

der Schwefel- und Stickstoffeinträge in einem<br />

benachbarten Fichtenaltbestand und<br />

macht den hohen Belastungsgrad deutlich.<br />

Die waagerechten Balken verdeutlichen<br />

die Schwefel- und Stickstoffniveaus in<br />

den Niederschlägen vor Beginn der Industrialisierung.<br />

Entsprechend diesen Niveaus<br />

wurden die Konzentrationen auf dem Entsauerungsdach<br />

eingestellt. Die Grafik zeigt<br />

aber auch, dass sich aufgrund der Luftreinhaltemaßnahmen<br />

seit Mitte der 80er-Jahre<br />

die Schwefeleinträge wieder denen der vorindustriellen<br />

Zeit angenähert haben.<br />

Mit diesen Dächern ist es möglich, den<br />

Wasserhaushalt und den der Bestände zu<br />

kontrollieren sowie die in den Niederschlägen<br />

enthaltenen Nähr- und Schadstoffe zu<br />

verändern. Die Schwerpunkte der bisherigen<br />

Forschungen lagen auf vier Gebieten:<br />

1) Wirkungen der Reduktion der Stoffeinträge<br />

auf vorindustrielles Niveau (Entsauerung)<br />

2) Simulation von Trockenphasen auf ökophysiologische<br />

Prozesse<br />

3) Speicherverhalten von Nitrat und Ammonium<br />

im Boden<br />

4) Speicherung und Umsatz von Kohlenstoff<br />

unter reduzierter Stoffbelastung<br />

Das Entsauerungsexperiment zeigte, dass<br />

es eine Rangfolge der Veränderungen in den<br />

verschiedenen Ökosystemkompartimenten<br />

gibt: Bodenlösung > Feinwurzeln > Nadeln<br />

> Wachstum. Es zeigte sich auch, dass<br />

die Änderungen nicht spontan verlaufen,<br />

sondern sich über Jahre erstrecken. Dies<br />

macht langfristige Beobachtungen, wie sie


seit Jahrzehnten im Solling und an anderen<br />

Orten durchgeführt werden, unbedingt erforderlich.<br />

So zeigten sich Verbesserungen<br />

des Stoffwechsels der Fichten z. B. erst nach<br />

sechs Jahren.<br />

Die Grafik 1 zeigt die Entwicklung der<br />

Feinwurzeln im Boden 12 Jahre nach Reduktion<br />

der Schwefel- und Stickstoffeinträge.<br />

<strong>Der</strong> Vergleich macht deutlich, dass sich<br />

nicht nur die Feinwurzelmasse stark erhöht<br />

hat, sondern dass auch der Umsatz der Wurzeln<br />

erhöht wurde, wie aus dem Totwurzelanteil<br />

zu ersehen ist. Diese Veränderung ist<br />

allein auf die Reduktion der Stoffe in der<br />

Bodenlösung zurückzuführen, da sich die<br />

anderen bodenchemischen Eigenschaften<br />

des Bodens nicht geändert haben.<br />

Trockenheit dagegen ist ein herausragender<br />

Auslöser für akute Stressphänomene.<br />

<strong>Der</strong> Puffer für die Wasserverfügbarkeit<br />

im System ist allein auf die effektive<br />

nutzbare Wasserkapazität im Wurzelraum<br />

beschränkt. Nach Ausschöpfung dieses Puffers<br />

reagieren die Bäume nicht nur mit einer<br />

Reduktion der Photosynthese, sondern die<br />

Reaktionen gehen bis zum Abwurf der Nadeln.<br />

Das Regenerationsvermögen der Bäume<br />

nach Wasserstress ist groß, sofern nicht<br />

Sekundärschäden (Borkenkäfer) auftreten.<br />

Allerdings kann durch wiederholten Stress<br />

das Anpassungsvermögen der Bäume überschritten<br />

werden, so dass es zum Absterben<br />

der Bäume kommt. Bei der Speicherung und<br />

dem Umsatz des zugeführten Stickstoffs lassen<br />

sich deutliche Unterschiede zwischen<br />

Ammonium und Nitrat erkennen, die beachtet<br />

werden müssen, wenn die langfristige<br />

Entwicklung abgeschätzt werden soll.<br />

Grafik 2<br />

Kronentraufe<br />

(kg ha -1 )<br />

120<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

1969<br />

Abb. 2<br />

Solling Dachprojekt<br />

1973<br />

1977<br />

1981<br />

Die Unterschiede im Verhalten können<br />

nicht allein damit erklärt werden, dass es<br />

sich beim Ammonim um ein Kation handelt,<br />

das den Austauschprozessen im Boden<br />

unterworfen ist, und beim Nitrat um ein<br />

Anion, das rasch mit dem Wasser verlagert<br />

wird. Vielmehr sind Lebewesen beteiligt, die<br />

das Ammonium bevorzugen und immobilisieren.<br />

Generell ist festzustellen, dass für die<br />

Abschätzung zukünftiger umweltbedingter<br />

Entwicklungen und Risiken sowohl die<br />

zeitverzögert auftretenden Prozesse, die im<br />

Wesentlichen durch das chemische Klima<br />

beeinflusst werden, als auch die schnell<br />

ablaufenden Prozesse durch die Einwirkungen<br />

von Trockenheit, Frost, Stürmen oder<br />

Schädlingen sowie ihr Zusammenwirken<br />

berücksichtigt werden müssen. Die bisherigen<br />

Resultate des Solling-Dach-Projektes<br />

zeigen, dass eine optimale Gestaltung der<br />

langsam ablaufenden Ökosystemprozesse<br />

die Wirkungen extremer Umwelteinflüsse<br />

deutlich mindern kann. Daraus ergibt sich<br />

die Notwendigkeit zu überprüfen, ob unsere<br />

<strong>Wald</strong>ökosysteme sich hinsichtlich ihrer<br />

biotischen Komponenten und ihrer abiotischen<br />

Ausstattung in einem Zustand befinden,<br />

um sich den eingangs geschilderten<br />

zukünftigen Umweltbedingungen anpassen<br />

zu können. Dies muss noch in vielen Fällen<br />

verneint werden. Da die räumliche Zuordnung<br />

des Klimawandels und dessen Ausmaß<br />

heute noch recht unsicher sind, können<br />

die Maßnahmen der Forstwirtschaft nicht<br />

zielgerichtet erfolgen, sondern müssen auf<br />

möglichst große »Pufferung« auf biotischer<br />

und abiotischer Ebene zielen, d. h. den Bereich<br />

der langsam reagierenden Prozesse.<br />

n<br />

Prof. Friedrich Beese, Universität Göttingen<br />

1985<br />

1989<br />

seit 1991<br />

1993<br />

1997<br />

NO 3 -N + NH 4 -N<br />

SO 4 -S<br />

2001<br />

2005<br />

Daten: Meesenburg et al. 1997/2000/2006<br />

Destabilisierung von<br />

<strong>Wald</strong>ökosystemen:<br />

Ist der Prozess gestoppt?<br />

Aus der Vielzahl der Hypothesen, die zu Beginn<br />

der 80er-Jahre aufgestellt wurden, um<br />

die »<strong>Wald</strong>schäden« zu beschreiben, konnte<br />

ein Ursachenkomplex für die Destabilisierung<br />

der Wälder ermittelt werden, an dem<br />

der Mensch maßgeblich beteiligt ist. Die<br />

Wälder Mitteleuropas wurden vielfach jahrhundertelang<br />

übernutzt und ausgebeutet.<br />

Dies hatte zur Folge, dass die Böden stark<br />

versauerten und an Nährstoffen verarmten<br />

sowie ihre Artenvielfalt eingeschränkt wurde.<br />

Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts<br />

haben sich die Umweltbedingungen besonders<br />

stark verändert. 60 % der seit Beginn<br />

der Industrialisierung freigesetzten Säure<br />

wurden in diesem Zeitraum emittiert. Die<br />

Depositionsraten von Stickstoff überschreiten<br />

bei Weitem den Bedarf der <strong>Wald</strong>bäume.<br />

Die CO 2 -Konzentrationen liegen 30 % über<br />

denen der vorindustriellen Zeit, die des troposphärischen<br />

Ozons sogar um 100 %.<br />

Alle diese Änderungen wirken auf die<br />

Wälder, ihr Ausmaß hängt jedoch jeweils<br />

vom Standort und von der Standortgeschichte<br />

ab. Verallgemeinerungen von<br />

punktuell gemachten Beobachtungen können<br />

daher leicht zu Fehlinterpretationen<br />

führen. Auch lässt sich der Zustand des <strong>Wald</strong>es<br />

nicht allein aus dem Holzzuwachs ableiten,<br />

wie dies heute häufig gemacht wird. Ein<br />

<strong>Wald</strong> ist mehr als die Summe seiner Bäume<br />

und Schädigungen, seine Funktionen und<br />

Leistungen wirken auch auf seine Umwelt<br />

und den Menschen zurück. Diese Erkenntnis<br />

führte zu Maßnahmen zur Reduktion<br />

der Schwefeldioxid-Emissionen, der Stickoxid-<br />

und Schwermetall-Minderung, aber<br />

auch zur Kalkung großer Flächen und zum<br />

Beschleunigen des <strong>Wald</strong>umbaus. Alle diese<br />

Maßnahmen haben Wirkung gezeigt und<br />

ein gefährliches Großexperiment in unserer<br />

Umwelt weitgehend gestoppt, aber die labilen<br />

Zustände der Wälder noch nicht dauerhaft<br />

verbessert. Noch immer sind stoffliche<br />

Überlastungen erkennbar, wenngleich auf<br />

niedrigem Niveau. Völlig unbekannt sind<br />

die Langzeitwirkungen des »Cocktails« aus<br />

Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ammonium,<br />

Kohlenstoffdioxid und Ozon auf unsere<br />

Wälder, und dies vor dem Hintergrund sich<br />

ändernder Klimabedingungen. Zur Klärung<br />

dieser Fragen werden Großexperimente wie<br />

das Dach-Projekt auch weiterhin benötigt.<br />

JULI | 2007 : proWALD 29


30<br />

<strong>Wald</strong>schäden<br />

Die <strong>Wald</strong>schäden werden in einem Stichprobenverfahren<br />

erhoben, das flächenbezogene<br />

Aussagen über den <strong>Wald</strong>zustand liefert.<br />

Dieselben Bäume werden jedes Jahr wieder<br />

begutachtet, indem ihre Baumkronen auf<br />

Nadel- oder Blattverlust und Vergilbung untersucht<br />

werden. Dabei wird der Kronenzustand<br />

(insbesondere die Kronenverlichtung<br />

sowie Vergilbung von Nadeln und Blättern,<br />

weitere den Kronenzustand beeinflussende<br />

Faktoren wie z. B. Schädlingsbefall und<br />

Fruktifikation) als Weiser für die Vitalität der<br />

Wälder erhoben. Die Abweichungen von<br />

einer voll belaubten Krone werden in 5 %-<br />

Stufen geschätzt, die anschließend zu sog.<br />

Schadstufen zusammengefasst werden.<br />

Die zu Beginn der <strong>Wald</strong>zustandserhebung<br />

verbreitete Annahme, jede Kronenverlichtung<br />

sei unmittelbar durch Luftverunreinigungen<br />

verursacht und gleichzeitig<br />

auch ein »Schaden«, hat sich als nicht haltbar<br />

erwiesen. Aus Gründen der Kontinuität<br />

wird der zu Beginn der <strong>Wald</strong>zustandserhebungen<br />

geprägte Begriff der Schadstufen<br />

aber weiterhin benutzt. Die bisherigen Erfahrungen<br />

haben gezeigt, dass die natürlichen<br />

Schwankungen der Benadelungs- oder<br />

Belaubungsdichte in die Schadstufe 1 hineinreichen.<br />

Diese Stufe ist daher als »Warnstufe«<br />

zu interpretieren. Die Schadstufen 2<br />

bis 4 werden zur Kategorie »deutliche Kronenverlichtung«<br />

zusammengefasst.<br />

Heute betrachtet man den Zustand der<br />

Baumkronen als sichtbares Zeichen für<br />

Stress, dem ein einzelner Baum ausgesetzt<br />

ist; diese Stressbelastung kann sowohl lokal<br />

als auch überregional bedingt sein und sich<br />

auf Baumstandort und -ernährung negativ<br />

auswirken. Als Ursache kommt neben menschengemachtem<br />

Stress (vorrangig in Form<br />

von Schadstoffen aus der Luft) sehr wohl<br />

auch eine nennenswerte Stressbelastung<br />

aus der Natur selbst in Betracht: Dazu zählen<br />

Wildverbiss, Sturm- oder Frostschäden,<br />

Schädlinge, Pflanzenkrankheiten und nicht<br />

proWALD : JULI | 2007<br />

zuletzt Trockenheit. Diese Mischung aus natürlichen<br />

Stressfaktoren und denen der Industriegesellschaft<br />

bedingt eine Schädigung<br />

des <strong>Wald</strong>es, welche nach den gegenwärtigen<br />

Kriterien zu einer kritischen Bewertung<br />

führt, weil mehr als 70 % des Baumbestandes<br />

als »schwach geschädigt« oder gar »schwer<br />

geschädigt« einzustufen sind.<br />

Die Zeichen des<br />

Klimawandels<br />

Die Niederschläge in der Vegetationszeit verringern<br />

sich, die Temperaturen im Sommer<br />

steigen, die Bäume haben einen erhöhten<br />

Wasserstress. Man kann im <strong>Wald</strong> sehen, dass<br />

es aufgrund dieser Umwelteinflüsse bereits<br />

zur verstärkten Ausbreitung von Schadinsekten,<br />

besonders des Buchdruckers kommt.<br />

Zusätzlich führen höhere Durchschnittstemperaturen<br />

und die Nährstoffeinträge<br />

durch die Luft zu einer Veränderung der Bodenvegetation<br />

und einer Verschiebung der<br />

Konkurrenz-Verhältnisse der Baumarten.<br />

Es ist jetzt schon sichtbar: Die Vitalität<br />

der Bäume lässt in den Randbereichen ihres<br />

Verbreitungsgebietes nach. Wir sehen das<br />

beispielsweise bei den Fichtenbeständen,<br />

die verstärkt durch starke Hitzesommer in<br />

Mitleidenschaft gezogen wurden. In 100<br />

Jahren werden wir mit Sicherheit nur noch<br />

sehr wenige Fichtenbestände im Flachland<br />

haben. An die Stelle der gewohnten Fichten<br />

werden dort trockenheitsresistentere Arten<br />

treten müssen, wie z. B. Birke, Kiefer oder<br />

Robinie. Das gleiche findet an den Ausbreitungsgrenzen<br />

der Buche statt: Auf trockenen<br />

Standorten fängt die Buche bereits an, ihre<br />

Vitalität zu verlieren. Darauf muss der <strong>Wald</strong>bau<br />

ab sofort Rücksicht nehmen.<br />

Wolfram Zimmeck, Klimawandel-Beauftrager<br />

des DFV<br />

Holz als<br />

Chemie-Rohstoff<br />

<strong>Der</strong> größte Teil des Kohlendioxids der Erdatmosphäre,<br />

welcher ununterbrochen durch<br />

alle Pflanzenarten in der Biomasse gespeichert<br />

wird, ist in Form von Lignocellulose<br />

festgelegt. Dieser für Pflanzen typische<br />

komplexe und natürliche Verbundwerkstoff<br />

Holz beinhaltet wiederum je nach Ursprung<br />

unterschiedliche Gehalte an Lignin,<br />

Cellulose und Hemicellulose. Dabei unterscheiden<br />

sich auch Nadel- und Laubbäume<br />

hinsichtlich der Zusammensetzung ihres<br />

Lignin- und Hemicellulosegehaltes deutlich<br />

voneinander.<br />

<strong>Der</strong> überwiegende Teil des auf dem<br />

Markt gebrauchten Holzes wird entweder<br />

in seinem naturgegebenen Gefüge z. B. in<br />

Spanplatten, Oriented Strand Boards und<br />

Sperrholz oder nach chemischer Umwandlung<br />

seiner Struktur in verschiedene Produkte<br />

transformiert. Einen beachtlichen Anteil<br />

hieran hat zum einen die Umwandlung des<br />

Holzes in Holzschliff, Zellstoff, und Halbzellstoff,<br />

die ihrerseits wiederum zu Papier,<br />

Pappe, Kunstseide und Zellwolle weiterverarbeitet<br />

werden können.<br />

Besondere Beachtung verdient die Tatsache,<br />

dass die Verwendung des Holzes unter<br />

Auflösung seiner chemischen Struktur nach<br />

einem chemischen oder halb-chemischen<br />

Verfahren die Herstellung von Kunststoffen<br />

als Cellulosederivate, wie z. B. verschiedenartige<br />

Folien, Kunstharze, Chemiefasern auf<br />

Cellulosebasis und Lacke, ermöglicht. Im<br />

Weiteren ist die Gewinnung des Zuckers aus<br />

Holz, der sogenannten »Holzverzuckerung«,<br />

zu erwähnen. Hierbei werden in einem ersten<br />

Prozessschritt die hochmolekularen<br />

Kohlenhydrate des Holzes – also Cellulosen<br />

und Hemicellulosen – durch Säurebehandlung<br />

hydrolisiert und in einem zweiten<br />

Schritt in einfache Zucker wie Glucose, Hexose<br />

und Pentose zerlegt.<br />

Prof. Alireza Kharazipour, Universität Göttingen


Das Luchsauswilderungs-<br />

Keine Angst vor großen Katzen – so<br />

könnte das Motto des Luchsprojektes Harz<br />

lauten. Im Rahmen des deutschlandweit<br />

einmaligen Projektes wurden im Nationalpark<br />

Harz 24 Luchse ausgewildert. Fast<br />

zweihundert Jahre nachdem 1818 der letzte<br />

Harzer Luchs abgeschossen wurde, werden<br />

seit dem Sommer 2002 wieder Muttertiere<br />

mit Jungen beobachtet.<br />

Es gelang einzelnen Tieren sogar, das Gebirge<br />

zu verlassen. Die Nationalparkverwaltung<br />

sammelt entsprechende Nachweise,<br />

um einen Überblick über das jeweils aktuelle<br />

Verbreitungsgebiet der Art zu gewährleisten,<br />

und wird dieses Monitoring in der Zukunft<br />

noch intensivieren.<br />

<strong>Der</strong> Luchs – so die Hoffnung der Projektbetreuer<br />

– ist auf dem Weg, die <strong>Wald</strong>gebiete<br />

im Umland des Harzes zu erobern. Schließlich<br />

kann der Bestand von 50 bis 100 Luchsen<br />

nur gesichert werden, wenn ein genetischer<br />

Austausch zwischen den einzelnen<br />

kleinen Vorkommen im Deutsch-Tschechischen<br />

Grenzgebiet, im Schwarzwald, im<br />

Pfälzerwald und nun im Harz erreicht wird.<br />

Schlüssel zum Erfolg ist die Akzeptanz des<br />

Rehwildjägers durch den Menschen. <strong>Der</strong><br />

einzelgängerische Luchs ist ein erfolgreicher<br />

Jäger, der in seinem nicht selten mehr als<br />

100 qkm großen Revier mindestens ein Reh<br />

in der Woche erbeutet. Wanderer brauchen<br />

sich dennoch keine Sorgen zu machen. Angriffe<br />

auf Menschen sind nicht bekannt, und<br />

vor einem Wildschwein ist mit Sicherheit<br />

mehr Respekt geboten als vor einem Luchs.<br />

n<br />

Ole Anders ist Leiter des Luchs-Projektes<br />

Harz. Bild: Martina Stein<br />

Projekt im Harz<br />

von Ole Anders<br />

JULI | 2007 : proWALD 31


32<br />

Natura 2000<br />

Einigkeit über<br />

die Ziele,<br />

brauchen wir<br />

mehr Mut zur<br />

Umsetzung?<br />

von Axel Ssymank<br />

proWALD : JULI | 2007<br />

Bild: Uwe Wittbrock © www.fotolia.de


Europa ist sich einig: Die biologischen Vielfalt<br />

– also die Vielfalt der Arten und Lebensräume<br />

und damit eine wesentliche Grundlage<br />

unserer Lebensqualität – soll geschützt<br />

werden. So bilden die Vogelschutzrichtlinie<br />

von 1979 und die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie<br />

(»FFH«) von 1992 die Grundpfeiler<br />

europäischen Naturschutzes mit einem<br />

Schutzgebietsnetz »Natura 2000« und Artenschutzbestimmungen<br />

für europaweit besonders<br />

gefährdete Arten. Die Erklärung der<br />

Regierungschefs der Europäischen Union in<br />

Göteborg 2001 hat das Ziel gesetzt, bis 2010<br />

den schleichenden Verlust der biologischen<br />

Vielfalt zu stoppen. Und der Weltgipfel für<br />

Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg<br />

im Jahr 2002 hat verlangt, mindestens die<br />

Verlustraten der biologischen Vielfalt bis<br />

2010 deutlich zu reduzieren. Einigkeit bei<br />

den politischen Zielen, aber gleichzeitig<br />

parallel eine schleppende Umsetzung und<br />

Klagen aus der Praxis: Woran liegt das?<br />

Die FFH-Richtlinie formuliert erstmals<br />

eine systematische fachliche Grundlage für<br />

die Gebietsauswahl: Die Arten und Lebensräume<br />

werden dort geschützt, wo sie auch<br />

tatsächlich vorkommen. Das war vorher<br />

anders. Während z. B. der Bergbau und die<br />

Industrie selbstverständlich ihr Wachstum<br />

sicherten, wurde Naturschutz oft nur dort<br />

zugelassen, wo die Flächen unwirtschaftlich<br />

waren und es keine anderweitigen Planungen<br />

gab.<br />

Heute sind Fragen der Erfolgskontrolle<br />

am Erhaltungszustand der Arten oder<br />

Lebensraumtypen (Biotope) geregelt. Die<br />

FFH-Richtlinie fordert, einen »günstigen Erhaltungszustand«<br />

zu bewahren oder wiederherzustellen,<br />

mindestens jedoch den Erhalt<br />

im gegenwärtigen Zustand. Darüber sind alle<br />

sechs Jahre nationale Berichte vorzulegen<br />

und an die EU zu senden.<br />

Ausnahmeregelungen dürfen nicht die<br />

Substanz des Schutzgebietsnetzes angreifen.<br />

Die FFH-Richtlinie ist kein Verhinderungsinstrument<br />

für wirtschaftliche Entwicklung<br />

– wohl aber ein Instrument zum vernünftigen<br />

und nachhaltigen Umgang mit unserem<br />

Naturerbe.<br />

Wo stehen wir heute? Das bisher Erreichte<br />

ist enorm: Deutschland hat mit seiner reichen<br />

Naturausstattung und seinen vielfältigen<br />

Kulturlandschaften 13,5 % der Landesfläche<br />

als Natura 2000-Gebiete gemeldet. Im<br />

Einzelnen sind das 4617 FFH-Gebiete und<br />

658 Vogelschutzgebiete. Für 91 verschiedene<br />

Lebensraumtypen – von den alpinen<br />

Rasen über die Buchenwälder, Mähwiesen<br />

bis hin zu den Küsten mit ihren Dünen, der<br />

Kreidesteilküste Caspar David Friedrichs<br />

bis ins Wattenmeer – und 133 Arten wurde<br />

dieses Schutzgebietsnetz in wenigen Jahren<br />

errichtet.<br />

Einfach war das alles nicht. Und die<br />

Gründe für die Schwierigkeiten der Errichtung<br />

des Natura 2000-Netzes waren vielschichtig:<br />

<strong>Der</strong> Deutsche Föderalismus machte<br />

Schwierigkeiten und erschwerte ein schnelles<br />

und gemeinsames Umsetzen europäischer<br />

Regelungen.<br />

<strong>Der</strong> Meldeprozess der Gebiete verlief in<br />

allen Bundesländern zäh und in mehreren<br />

Meldetranchen, letztendlich getragen von<br />

dem politischen Irrglauben, man könne<br />

bei einer abschließenden Meldung vorab<br />

– wie man es gewohnt war – wirtschaftliche<br />

und andere Belange berücksichtigen.<br />

So wurde im Meldeprozess immer wieder<br />

die trügerische Versprechung gemacht, die<br />

Meldung sei abschließend. Dann musste<br />

die Bundesrepublik eingestehen (und zwar<br />

unter Druck der Kommission und eines Urteils<br />

des Europäischen Gerichtshofs), dass<br />

Nachmeldungen erforderlich waren. Dieses<br />

lastet als politische Hypothek auf der<br />

weiteren Umsetzung, und es ist schwierig,<br />

wieder Vertrauen zu gewinnen. Schlechte<br />

Information der Öffentlichkeit gerade in der<br />

Anfangsphase des Aufbaus von Natura 2000<br />

hat Missverständnissen und auf Fehlinformationen<br />

aufgebauten Gegenpositionen<br />

viel Raum gelassen.<br />

Die Logik des FFH-Schutzes passt nicht<br />

in deutsches Denken in Schutzgebietskategorien:<br />

Es sind weder Pauschalschutzgebiete<br />

auf ganzer Fläche, noch sind die Außengrenzen<br />

der Gebiete wirklich entscheidend. Ge-<br />

schützt sind die tatsächlichen Vorkommen<br />

der Arten und Lebensraumtypen, »weiße<br />

Flecken« ohne Vorkommen in den Gebieten<br />

haben keinen besonderen Schutz nach EU-<br />

Recht. Umgekehrt sind mögliche Schäden<br />

oder Beeinträchtigungen unzulässig, auch<br />

wenn sie weit außerhalb des gemeldeten<br />

Gebietes stattfinden. Ein triviales Beispiel<br />

mag das verdeutlichen: Wandernde Fische<br />

werden unweigerlich aussterben, wenn sie<br />

ihr Laichgebiet im Oberlauf nicht mehr erreichen<br />

können. Ist das Laichgebiet als Natura<br />

2000-Gebiet gemeldet, so ist auch ein<br />

Stauwehr (ohne geeignete Fischtreppe) im<br />

Unterlauf desselben Flusses nicht mehr möglich.<br />

De facto lassen sich also oft, wie das<br />

Beispiel der Fischtreppe zeigt, durch Alternativenprüfung<br />

und geeignete Maßnahmen<br />

Naturschutz und wirtschaftliche Entwicklung<br />

in Einklang bringen.<br />

Ein wenig argumentieren wir nach dem<br />

Sankt-Florians-Prinzip: Darüber, wo der<br />

Schutz im Ausland stattfinden soll, sind wir<br />

uns alle einig: So soll es z. B. keine Singvogeljagd<br />

im Mittelmeerraum geben. Liegt<br />

die Verantwortung zum Handeln jedoch bei<br />

uns – quasi vor der Haustür –, blockieren<br />

uns oft kurzfristige wirtschaftliche Vorteile,<br />

politische oder lokale und regionale Interessen.<br />

Verträglichkeitsprüfungen werden<br />

als belastend und als zu aufwendig dargestellt,<br />

man sucht nach Möglichkeiten, die<br />

Vorschriften zu umgehen. Ist dies nicht die<br />

JULI | 2007 : proWALD 33<br />

Bild: Peter Braun


Bild: Christian Wettstein<br />

falsche Einstellung? Müssen wir unserer europäischen<br />

und deutschen Verantwortung<br />

nicht ebenso nach kommen und uns mit<br />

gleichem Maß messen lassen wie die anderen<br />

Staaten? Und einen wesentli chen Schritt<br />

für einen nachhaltigen Umgang mit unserer<br />

biologischen Vielfalt haben wir ja bereits<br />

getan: Die Gebiete sind identifiziert, für jedermann<br />

kenntlich und können als wichtige<br />

Pla nungsgrundlage bei allen Planungen und<br />

Vorhaben rechtzeitig in Vorentscheidungen<br />

eingehen. Fehlt uns der Mut für eine progressive<br />

Umsetzung?<br />

Was uns nach wie vor auch blockiert, ist<br />

unsere »Technikgläubigkeit«. Nicht jede Art<br />

lässt sich umsie deln, verträgt einen anderen<br />

Lebensraum, nicht jeder Lebensraumtyp ist<br />

regenerierbar oder kann an anderer Stelle<br />

neu entstehen. Eine einmal ausgestorbene<br />

Art ist für immer verloren. Das sind Tatsachen,<br />

die Prioritäten setzen vor allem bei<br />

unseren Planungen.<br />

Natürlich ist es leichter, wenn nicht nur<br />

Kosten, sondern auch Erfolge schnell sichtbar<br />

werden: Natura 2000 ist eine gewaltige<br />

Investition in unsere Zukunft, die sich in<br />

Wasserqualität, Bestäuberleistung für unsere<br />

Nahrungspflanzen, Erholungsvorsorge,<br />

langfristig gesicherten Arbeitsplätzen z. B.<br />

im Tourismus, Artenvielfalt für alle künftigen<br />

Nutzungen, der Volksgesundheit, bei<br />

der globalen Klimaverände rung usw. auszahlen<br />

wird. Folgekosten einer Zerstörung<br />

der biologischen Vielfalt wären sicher weitaus<br />

höher als einige im Gesamthaushalt der<br />

Länder und des Bundes eher gering anmutenden<br />

und sicher oft zu kleinmütig angesetzten<br />

Umsetzungskosten.<br />

Wie könnte Natura 2000 aussehen, was<br />

brauchen wir wirklich? Die Deutschen,<br />

Europameister im »Klein–Klein«. So könnte<br />

man die oft zersplitterte und kleinflächige<br />

Natura 2000-Kulisse im europäischen Ver-<br />

34 proWALD : JULI | 2007<br />

gleich bezeichnen.<br />

Vielleicht lässt sich ja<br />

langfristig eine funktional<br />

sinnvollere<br />

Zusammenlegung zu<br />

größeren Gebieten,<br />

fallweise auch eine<br />

Korrektur von Grenzen<br />

mitten durch die zu<br />

schützenden Vorkommen<br />

der Arten und<br />

Le bensraumtypen erreichen.<br />

Dies würde<br />

das Management des<br />

europäischen Naturerbes erleichtern, die<br />

Flexibilität in der Umsetzung erhöhen, den<br />

Verwaltungsaufwand und die Ressourcen<br />

schonen und käme der Natur zugute. Konsequente<br />

Managementpläne sollten für einen<br />

Großteil der Ge biete erstellt werden, sie<br />

dienen der Transparenz und Akzeptanz der<br />

Umsetzung. Warum hier nicht dem positiven<br />

Beispiel anderer Mitgliedstaaten folgen und<br />

Managementpläne für alle Na tura 2000-Gebiete<br />

für Deutschland verbindlich machen?<br />

<strong>Der</strong> europäische Naturschutz schützt<br />

nur, was europaweit gefährdet ist. Deutschland<br />

hat aber auch eine nationale Verantwortung.<br />

Lange Rote Listen der gefährdeten<br />

Tier- und Pflanzenarten und der Biotope<br />

lehren, dass es nicht überall gut bestellt ist.<br />

Eine vorausschauende Naturschutz politik in<br />

Deutschland, die die Verantwortung des Erhalts<br />

der biologischen Vielfalt ernst nimmt,<br />

müsste alle diese in Deutschland gefährdeten<br />

Arten und Biotope in ihre Überlegungen<br />

und Akti onen einbeziehen. Was läge da näher,<br />

als zumindest die hochgradig gefährdeten<br />

Arten und Biotope in Deutschland<br />

(Rote Listen Kategorien 1 und 2) national<br />

den FFH-Arten und Lebens raumtypen im<br />

Schutz gleichzustellen.<br />

Um das Wissen um die biologische<br />

Vielfalt ist es in Deutschland schlecht bestellt–<br />

die Experten stehen selbst auf der<br />

Roten Liste, wie »DIE ZEIT« neulich die Defizite<br />

der klassischen biologischen Grundlagen<br />

zusammenfasste. So haben viele Arten<br />

der FFH-Richtlinie Deutschland auf dem<br />

»falschen Fuß erwischt«: Fehlende Artenkataster<br />

bei einzelnen Ländern, mangelhafte<br />

Kennt nis über die Verbreitung, das Fehlen<br />

zentraler Artenbanken haben Auswirkungen<br />

auf die Umset zung der FFH-Richtlinie.<br />

Solche Lücken lassen sich langfristig aktiv<br />

nur durch länderübergrei fende Institutionen<br />

schließen, wie es z. B. auf nationaler<br />

Ebene das schwedische Artendatenbankenzentrum<br />

oder das Zentrum für Kartografie<br />

der Fauna und Flora in Neuchâtel für die<br />

Schweiz vormachen.<br />

Nicht zuletzt führt mangelnde Kompetenz<br />

z. B. bei zahlreichen Auftragsgutachten<br />

oft zu erheblichen Verfahrensverzögerungen<br />

und Rechtsunsicherheiten bei<br />

Verträglichkeits prüfungen. Dies kann direkt<br />

und indirekt enorme wirtschaftliche Schäden<br />

verursachen, die dann fälschlicherweise<br />

dem Naturschutz zur Last gelegt werden.<br />

Hier ist dringend eine staatlich abgesi cherte<br />

Qualitätskontrolle erforderlich. Gut ist dies<br />

z. B. in der Tschechischen Republik gelöst:<br />

Nur staatlich geprüfte Gutachter mit dem<br />

geeigneten biologischen Fachwissen und<br />

einer zeitlich be fristeten Lizenz (die auch<br />

aberkannt werden kann) dürfen überhaupt<br />

als FFH-Gutachter auftre ten.<br />

<strong>Der</strong> Druck auf die Landschaft und insbesondere<br />

auf die biologische Vielfalt wird<br />

weiter steigen: Genetisch veränderte Kulturpflanzen,<br />

nachwachsende Rohstoffe, Klimawandel<br />

sind einige der Stichworte. Sollten<br />

da nicht wenigstens einige Grundprinzipien<br />

für die Edelsteine des europäischen Naturschutzes<br />

grundsätzlich gelten, wie z. B. kein<br />

Anbau von gentechnisch veränderten Organismen<br />

(GVO) in Natura 2000-Gebieten<br />

zur Verminderung der Risiken. Kein Anbau<br />

nachwachsender Rohstoffe in Natura 2000-<br />

Gebieten, wenn es dabei zu einer Reduktion<br />

der biologischen Vielfalt kommt oder Dünger<br />

und Biozide eingesetzt werden. Begriffe<br />

wie »Stilllegungsflächen«, »EU-Brachen« aus<br />

der Förderpraxis der EU selbst suggerieren<br />

Flächen, auf denen sich Natur ungestört<br />

entwickeln kann. Sie sind in Wirklichkeit oft<br />

intensiver bewirtschaftet als Flächen für die<br />

Nahrungs- und Futtermittelproduktion. Natura<br />

2000 schützt nicht nur die »Urnatur«,<br />

sondern vor allem auch unsere artenreichen<br />

Kulturlandschaften: Be stimmte Formen der<br />

Bewirtschaftung sind also gewünscht und<br />

werden gebraucht, und Natura 2000 sollte<br />

gleichbedeutend sein mit Land- und Forstwirtschaft,<br />

die die biologische Vielfalt nachhaltig<br />

nutzt und schützt. Darauf müssen<br />

auch konsequent alle Fördermöglichkeiten<br />

ausgerichtet werden. Die Kunst und alle Kreativität<br />

sollten darauf zielen, nicht musealen<br />

Natur schutz auf kleiner Fläche zu betreiben,<br />

sondern auf möglichst großer Fläche<br />

eine den Natur schutzzielen von Natura 2000<br />

entsprechende, aber wirtschaftlich tragfähige<br />

Lösung zu erreichen.


Und was bedeutet Natura 2000 für den<br />

<strong>Wald</strong>? Die FFH-Gebiete bestehen im Schnitt<br />

aus 57 % <strong>Wald</strong>fläche, doch nur ein Teil entfällt<br />

auf die geschützten Lebensraumtypen<br />

des Anhangs I. Dort sind 17 verschiedene<br />

<strong>Wald</strong>typen aufgelistet, für die zusammen<br />

803.920 ha, also reichlich 2,2 % der Fläche<br />

Deutschlands gemeldet sind. Den Löwenanteil<br />

davon nehmen mit rund 583.000 ha die<br />

verschiedenen Buchen wälder ein.<br />

Ein großer Teil der Wälder in FFH-Gebieten<br />

wird weiterhin forstwirtschaftlich genutzt<br />

bleiben, wo bei die Anforderungen bei<br />

sehr gutem Erhaltungszustand steigen und<br />

umgekehrt bei schlechtem Erhaltungszustand<br />

ggf. Entwicklungs- oder Handlungsbedarf<br />

besteht.<br />

Während die Buchenwälder genutzt oder<br />

ungenutzt erhalten werden können, sind<br />

einige histo risch entstandene Wälder (z. B.<br />

ein Teil der Eichen-Hainbuchenwälder) nur<br />

durch entsprechende Bewirtschaftung zu erhalten.<br />

Wege und Mittel hierzu sind flexibel<br />

und können damit an betriebliche Abläufe<br />

und Vorga ben angepasst werden.<br />

Zum günstigen Erhaltungszustand der<br />

Lebensraumtypen gehört auch der gute Zustand<br />

der typi schen Arten. Wenngleich viele<br />

Tierartengruppen bei naturnaher <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />

auch in Wirtschaftswäldern<br />

erhalten bleiben, gibt es auch Artengruppen,<br />

insbesondere anspruchsvolle, an Totholz gebundene<br />

Tier- und Pflanzenarten (z. B. sogenannte<br />

»Urwaldrelikte«), bei denen dies<br />

definitiv nicht möglich ist und die heute oft<br />

bereits vom Aussterben bedroht sind. Zum<br />

Erhalt an spruchsvoller <strong>Wald</strong>arten sollte deshalb<br />

der Anteil der forstwirtschaftlich nicht<br />

genutzten Wälder mit freier <strong>Wald</strong>entwicklung<br />

von ca. nur 0,08 % der Bundesfläche<br />

langfristig deutlich erhöht werden, idealerweise<br />

auf mindestens 1-2 %. Dafür bieten<br />

sich die Natura 2000-Gebiete an.<br />

Im Sinne einer positiven Umsetzung sollten<br />

mit Nadelhölzern bestockte <strong>Wald</strong>flächen,<br />

dort wo sie natürlicherweise nicht vorkommen,<br />

in Natura 2000-Gebieten in Laubwälder<br />

und damit im Regel fall in Lebensraumtypen<br />

der FFH-Richtlinie umgewandelt<br />

werden. Dies steht mit Stabilitätskri terien<br />

einer nachhaltigen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />

im Einklang. Die Einbringung von Fremdbaumarten<br />

wie z. B. Douglasie führt über die<br />

Bewertungsparameter Beeinträchtigungen,<br />

Habitatstrukturen und lebensraumtypisches<br />

Arteninventar zu einer Verschlechterung des<br />

Erhaltungszustandes und sollte daher in Natura<br />

2000- Gebieten nicht erfolgen.<br />

Eine besondere Anforderung dürfte im<br />

<strong>Wald</strong> die Kontinuität von für die Artenvielfalt<br />

entschei denden Alt- und Totholzanteilen<br />

sein: Alte Recken von Eiche oder Buche<br />

stehen teilweise unter Denkmalschutz, die<br />

Forstwirtschaft erntet im Vergleich dazu<br />

früh, eine Lücke besteht daher oft zwischen<br />

160 und 400-600 Jahren: Reichen z. B. hierfür<br />

20-jährige Verträge zur Sicherung von<br />

Altbäumen aus?<br />

Das ökologische Netz Natura 2000 ist<br />

ohne Zweifel eine der wertvollsten Investitionen<br />

in den Schutz unserer natürlichen<br />

Lebensgrundlagen für unsere Zukunft.<br />

Inwieweit diese Investition Früchte trägt,<br />

hängt ganz entscheidend von einem positiven<br />

Selbstverständnis und einer aktiven<br />

Umsetzung ab, an der jeder teilhaben kann.<br />

Schützenswerte Wälder haben wesentlichen<br />

Teil am deutschen Netz Natura 2000 und gehören<br />

mit den Buchenwäldern zu unserer<br />

zentralen Verant wortung in der Europäischen<br />

Union. So wie die Forstwirtschaft das<br />

Prinzip der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit<br />

der Holzproduktion aus der Not des mittelalterlichen<br />

<strong>Wald</strong>raubbaus gebo ren hat und<br />

es heute mit größter Selbstverständlichkeit<br />

zu jeder <strong>Wald</strong>bewirtschaftung gehört,<br />

so sollte es auch im Naturschutz werden.<br />

Aus der Not des erschreckend hohen, vom<br />

Menschen bedingten Rückgangs der biologischen<br />

Vielfalt sollte das Selbstverständnis<br />

einer Nachhaltigkeit der Nutzung der<br />

biologischen Vielfalt erwachsen, welchem<br />

mindestens in den Natura 2000-Ge bieten<br />

oberste Priorität gebührt.<br />

n<br />

Dr. Axel Ssymank ist Fachgebietsleiter beim<br />

Bundesamt für Naturschutz.<br />

JULI | 2007 : proWALD 35<br />

Bild: Christine Große


<strong>Wald</strong>umbau in den Niedersächsischen Landesforsten (NLF)<br />

LÖWE, nämlich langfristige ökologische<br />

<strong>Wald</strong>endwicklung, greift seit 16 Jahren tief in<br />

den Niedersächsischen Forst und seine hohen<br />

Nadelbaumkulturen ein. Denn Klima-<br />

und Bodenbedingungen lassen es zu, dass<br />

9/10 des Landeswaldes als Mischwald entwickelt<br />

werden können. Das langfristige Ziel<br />

ist deshalb, den Anteil der Laubbaumarten,<br />

der 1990 bei 38 % lag, auf 65 % zu erhöhen.<br />

Entsprechend werden Nadelbaumarten reduziert,<br />

ein Prozess, der eine Zeitspanne von<br />

etwa 100-150 Jahre umfassen wird. Nur 1/10<br />

der Standorte ist so arm oder extrem, dass<br />

auf ihnen Reinbestände aus Laub- oder Nadelbäumen<br />

nachgezogen werden müssen.<br />

Gleichzeitig orientiert sich die Nutzung nur<br />

noch am Einzelbaum nach dem Prinzip der<br />

Zielstärkennutzung unter dem Verzicht auf<br />

großflächige Kahlschläge.<br />

<strong>Der</strong> Leitgedanke von LÖWE, auf stabile<br />

Mischwälder zu setzen, also auf eine breitere<br />

Baumartenvielfalt, bekommt durch<br />

den absehbaren Klimawandel eine zusätzliche<br />

Bedeutung. Allerdings ist, angesichts<br />

der aktuellen Klimaszenarien mit extremen<br />

Trockenphasen in den Sommermonaten,<br />

die Entscheidung, weiterhin auf Buche als<br />

führende Baumart zu setzen, kritisch zu<br />

hinterfragen. Gerade auf den mäßig frischen<br />

Standorten wird man wieder stärker auf Eiche<br />

und Douglasie zurückgreifenmüssen.<br />

So wie den Edellaub-Baumarten eine zunehmende<br />

Bedeutung beigemessen werden<br />

wird.<br />

Grundsätzlich werden die NLF mit ihren<br />

340.000 ha <strong>Wald</strong> also auf eine breit angelegte<br />

Baumartenpalette in Mischbeständen<br />

setzen, allerdings mit etwas veränderten<br />

Akzenten als in den ersten 16 Jahren von<br />

LÖWE. Nur so lassen sich hoffentlich flächenhafte<br />

Kalamitäten in den Wäldern von<br />

morgen vermeiden und gleichzeitig die ökologischen,<br />

sozialen sowie ökonomischen<br />

Anforderungen unserer Gesellschaft an den<br />

<strong>Wald</strong> zukunftssicher erfüllen.<br />

n<br />

Stefan Fenner, Pressesprecher der Niedersächsischen<br />

Landesforsten. Bild: FVA BW<br />

36 proWALD : JULI | 2007


Baum ab?<br />

Ja bitte!<br />

von Lars Langhans<br />

Motorsägen heulen auf, fressen sich schreiend<br />

ins Holz. Ihre Benzinabgase vermischen<br />

sich mit dem Dieselgeruch des Harvesters,<br />

einem Holzvollernter mit 300 PS. Die Piloten<br />

im computerisierten Cockpit lassen<br />

Kettensäge und Entastungsmesser im Fällkopf<br />

nicht ruhen. Wie <strong>Wald</strong>ameisen Fichtennadeln,<br />

so jonglieren sie übermächtige<br />

Stämme. Selbst nachts geht die Arbeit weiter:<br />

15 Halogenscheinwerfer tauchen den<br />

<strong>Wald</strong> in ein gespenstisches Licht.<br />

Eine Szenerie, die den urban geprägten<br />

<strong>Wald</strong>spaziergänger irritiert. Geht hier alles<br />

mit rechten Dingen zu? Dürfen die das? Er<br />

kennt sich möglicherweise mit computergesteuerten<br />

Bewässerungssystemen für Balkonpflanzen<br />

aus oder ist erfahren im Züchten<br />

der Indianersprossen Amaranth und<br />

Quinoa für die gesunde Küche. Aber <strong>Wald</strong>bau?<br />

Ist es notwendig, den <strong>Wald</strong> zu pflegen,<br />

Bestände zu verjüngen und Holz zu ernten?<br />

Forstliches Handeln ist immer ein Abwägungsprozess<br />

zwischen sehr unterschiedlichen<br />

Ansprüchen, welche die Gesellschaft<br />

an den <strong>Wald</strong> stellt. Das nachhaltige und<br />

schonende Wirken der modernen Forstwirtschaft<br />

gewährleistet erst diese Leistungsvielfalt<br />

unserer Wälder. Sie ist daher multifunktional<br />

für unsere Gesellschaft tätig. Im<br />

Mittelpunkt dabei: die umweltschonende<br />

Bereitstellung von Holz, die den <strong>Wald</strong> auch<br />

in Zeiten steigender Holznachfrage nicht in<br />

seinen Funktionen gefährdet.<br />

<strong>Wald</strong>nutzung und Holzverwendung<br />

sind notwendig! Sie waren und sind ein zentraler<br />

Baustein unserer Zukunftsvorsorge.<br />

Wir brauchen die »Grüne Lunge«, und wir<br />

brauchen den nachwachsenden und umweltfreundlichen<br />

Rohstoff Holz, wenn wir<br />

dem Homo sapiens das Überleben sichern<br />

wollen. Die Wissenschaft gibt uns 15 Jahre,<br />

um die Klimakatastrophe abzuwenden. Eine<br />

ökologische Industriepolitik, die sich am<br />

Klimaschutz orientiert, ist daher das Gebot<br />

der Stunde. Ohne nachhaltige Forstwirtschaft<br />

und Holzverwendung wird sie nicht<br />

erfolgreich sein.<br />

JULI | 2007 : proWALD 37


38<br />

Das Schlagwort »Baum ab, nein danke«,<br />

mit der die Null-Bock-Generation der um<br />

1965 Geborenen groß geworden ist, greift zu<br />

kurz. (Die Bürgerinitiativen hatten sich vor<br />

25 Jahren auch nicht gegen eine verantwortungsvolle<br />

<strong>Wald</strong>nutzung gerichtet, sondern<br />

konkret gegen die neue Startbahn West des<br />

Frankfurter Flughafens.) Seit den 60er-Jahren<br />

nahm die <strong>Wald</strong>fläche in Deutschland um<br />

mehr als 500.000 Hektar zu. Mit 3,4 Milliarden<br />

Kubikmetern verfügt Deutschland über die<br />

größten Holzvorräte Europas. Die nachhaltige<br />

Bewirtschaftung der heimischen Wälder wird<br />

durch die <strong>Wald</strong>besitzer unter ökologischen,<br />

sozialen und wirtschaftlichen Aspekten auf<br />

Basis der strengen <strong>Wald</strong>gesetzgebung von<br />

Bund und Ländern sowie einer zusätzlichen,<br />

freiwilligen Zertifizierung sichergestellt.<br />

Rund ein Drittel Deutschlands ist bewaldet,<br />

und von diesen 11,1 Millionen Hektar <strong>Wald</strong><br />

sind bereits 70 Prozent der Fläche zertifiziert.<br />

Damit nimmt die deutsche Forstwirtschaft<br />

weltweit einen Spitzenplatz ein.<br />

Trotz des unterschwelligen Unbehagens,<br />

möglicherweise in einer zukunftsunfähigen<br />

Wegwerfgesellschaft zu leben, öffneten sich<br />

die Verbraucher in den 80er und 90er Jahren<br />

nur langsam für Holz und andere nachwachsende<br />

Stoffe. Erst in den letzten Jahren haben<br />

die »Erneuerbaren« Marktbarrieren und<br />

Imageprobleme überwunden – und stehen<br />

heute vor dem Durchbruch: <strong>Der</strong> Klimawandel<br />

zwingt dazu, sie gegenüber endlichen<br />

Ressourcen konsequent zu bevorzugen. Er<br />

stellt das Wirtschaften von uns allen auf den<br />

proWALD : JULI | 2007<br />

Prüfstand. Die Zielvorstellungen von maximaler<br />

Bedarfsdeckung (private Haushalte)<br />

und Gewinnmaximierung (Unternehmen)<br />

müssen mit dem in der Forstwirtschaft entwickelten<br />

und in Rio 1992 erweiterten Prinzip<br />

der Nachhaltigkeit kompatibel werden.<br />

»Die Ökonomen müssen lernen, ökologischer<br />

zu werden, und die Ökologen<br />

müssen lernen, ökonomischer zu werden«,<br />

formulierte es Umweltminister Sigmar Gabriel<br />

Anfang Juni beim Treffen der EU-Umweltminister.<br />

Er forderte eine Modernisierungsstrategie,<br />

die dazu beitragen müsse,<br />

»die stoffliche Basis, auf der die Industrie<br />

fußt und auf der unser Wohlstand beruht,<br />

in wichtigen Bereichen auf nachwachsende<br />

Rohstoffe umzustellen«.<br />

Und hier sind wir wieder beim Cluster<br />

Forst und Holz, der schon heute eine herausragende<br />

Bedeutung für Deutschland<br />

besitzt. Die deutsche Forst- und Holzwirtschaft<br />

beschäftigt nach EU-Definition mehr<br />

Menschen als die Automobilindustrie. Sie<br />

erwirtschaftet einen höheren Umsatz als die<br />

Elektroindustrie oder der Maschinen- und<br />

Anlagenbau. Die Branche leistet einen überproportionalen<br />

Beitrag zur Qualifikation<br />

und Ausbildung in Deutschland.<br />

<strong>Der</strong> Sektor beschäftigt mehr als 1,3 Millionen<br />

Menschen, umfasst rund 185.000 Betriebe<br />

und erzielt einen jährlichen Umsatz<br />

von etwa 181 Milliarden Euro. Allein die<br />

Zimmerei- und Tischlerbetriebe bilden über<br />

34.000 Lehrlinge aus. Die Unternehmen sind<br />

meist in ländlichen, strukturschwachen Gebieten<br />

angesiedelt und dort ein Standbein<br />

der regionalen Wirtschaftsstruktur. Dies hat<br />

die erste bundesweite »Clusterstudie Forst-<br />

und Holzwirtschaft 2005« der Universität<br />

Münster ergeben.<br />

Ökonomie und soziale Verantwortung<br />

bilden ein Dreieck mit Umwelt-, Natur- und<br />

Klimaschutz. Nachhaltige Holznutzung und<br />

Umweltschutz sind somit kein Widerspruch,<br />

sondern gehen eine Symbiose ein.<br />

Jeder Baum entzieht der Atmosphäre<br />

bei der Bildung von einer Tonne Holz rd.<br />

1,9 Tonnen des Treibhausgases CO 2 , lagert<br />

davon 500 Kilogramm Kohlenstoff ein und<br />

gibt gleichzeitig dabei Sauerstoff wieder<br />

ab. So bilden unsere Wälder im Laufe ihres<br />

Wachstums riesige CO 2 -Senken. Die Speicherung<br />

bleibt sogar im verarbeiteten Holz,<br />

bei Möbeln oder im Holzbau, erhalten. Zudem<br />

ersetzen Holzprodukte Materialien,<br />

die das Klima belasten würden. So leisten<br />

Forstwirtschaft und Holzverwendung einen<br />

Beitrag zur Verhinderung eines weiteren<br />

Anstiegs der CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre.<br />

Was wird aus<br />

Holz gebaut?<br />

Die Holzbauquote ist nach den aktuell<br />

verfügbaren Daten wiederum gestiegen.<br />

Das Plus beträgt 1,1 Prozent. Insgesamt<br />

haben die überwiegend aus Holz<br />

errichteten Gebäude nun einen Anteil<br />

von 13,8 Prozent am deutschen Hochbau.<br />

45 Prozent aller in Holzbauweise<br />

fertiggestellten Bauwerke wurden allein<br />

in Bayern und Baden-Württemberg errichtet<br />

(10.829 von 23.597). Den größten<br />

Zuwachs erfuhr die Holzbauquote<br />

im Bereich Nichtwohnbau. Sie stieg um<br />

1,5 Punkte auf 17,4 Prozent. Besonders<br />

deutlich ist auch hier die Entwicklung<br />

in Süddeutschland: In Bayern liegt<br />

die Quote bei 25,4 Prozent, in Baden-<br />

Württemberg bei 23,7 Prozent. Beachtenswert<br />

ist allerdings auch der Norden<br />

der Republik: Schleswig-Holstein liegt<br />

mit einer Quote von 21,6 Prozent fast<br />

gleichauf. Nach wie vor bleibt das Eigenheim-Segment<br />

beim Holzbau stark – die<br />

Quote liegt, wie die Hochbauquote insgesamt,<br />

bei 13,8 Prozent. Deutlich über<br />

dem Bundesdurchschnitt liegen Baden-<br />

Württemberg, Bayern und Rheinland-<br />

Pfalz mit 21,7, 17,5 beziehungsweise<br />

19,8 Prozent.


Die Politik hat die Vorteile einer verstärkten<br />

Holznutzung erkannt. Gemeinsam mit<br />

Wirtschaft, Naturschutz, Gewerkschaften<br />

und Wissenschaft erarbeitete die Bundesregierung<br />

die Charta für Holz: »Es gilt, das<br />

natürliche Potenzial dieser sich selbst erneuernden<br />

Rohstoffquelle unter Bündelung<br />

aller Kräfte stärker auszuschöpfen.« Das Ziel<br />

ist, den Pro-Kopf-Verbrauch von Holz zwischen<br />

2004 und 2014 um 20 % zu steigern.<br />

Öffentliche und private Bauherren sollen<br />

den Baustoff Holz bevorzugt nutzen, zum<br />

Wohle von Klima, Lebensqualität, Innovation<br />

und Arbeitsplätzen.<br />

<strong>Der</strong> Rat für nachhaltige Entwicklung,<br />

der 2001 von der Bundesregierung berufen<br />

wurde, empfiehlt, mehr heimisches Holz<br />

zu verwenden. Er spricht sich gegen Holzimporte<br />

aus nicht nachhaltiger Nutzung<br />

aus und für eine nachhaltige Holznutzung<br />

zulasten konkurrierender Materialien wie<br />

Aluminium, Stahl, Beton oder PVC; diese<br />

Baustoffe haben schlechtere Bilanzen hinsichtlich<br />

Energie, Wiederverwendung und<br />

Entsorgung.<br />

Bund, Länder, Kommunen und Kreise<br />

können durch den bevorzugten Einsatz von<br />

Holz und durch die holzfreundliche Ausgestaltung<br />

der Rahmenbedingungen direkte<br />

und indirekte Impulse für die Holzverwendung<br />

geben. Ihre Vorbildfunktion im Bau-<br />

und Modernisierungsmarkt, in dem rund<br />

60 Prozent des Holzes abgesetzt werden, ist<br />

nicht zu unterschätzen. Aus diesen Gründen<br />

hat der Holzabsatzfonds, die zentrale Marketingeinrichtung<br />

der deutschen Forst- und<br />

Holzwirtschaft, eine Broschüre für öffentliche<br />

Entscheidungsträger herausgebracht:<br />

»Nachhaltig bauen und modernisieren«.<br />

Gleich, ob öffentlicher, gewerblicher oder<br />

privater Bauherr – es lohnt sich, über den<br />

traditionsreichen Baustoff zu informieren.<br />

Für Holz sprechen vier Hauptargumente:<br />

s die umweltfreundliche Produktion im<br />

<strong>Wald</strong>,<br />

s die positiven Auswirkungen durch CO 2 -<br />

Abbau,<br />

s die ökonomischen und ökologischen<br />

Vorzüge des Bauens mit Holz,<br />

s die hervorragenden technologischen<br />

und ästhetischen Werkstoffqualitäten.<br />

Bereits durch seine natürlichen Eigenschaften<br />

ist Holz ein ideales Konstruktionsmaterial.<br />

Es besitzt eine hohe Tragfähigkeit,<br />

ist zugleich aber viel leichter als alternative<br />

Materialien wie Stahlbeton. Ein zwei- bis<br />

dreigeschossiges Bürogebäude ist in Holzbauweise<br />

etwa um zwei Drittel bis drei Viertel<br />

leichter als in Massivbauweise. In Berlin<br />

erhielt eine Schule eine zweite Turnhalle aus<br />

Holz, indem diese einfach auf die bestehende<br />

aufgesattelt wurde.<br />

Hätten Sie gewusst, dass …<br />

s ein Holzbau durch die witterungsunabhängige<br />

Vorfertigung Zeit und Geld spart<br />

und innerhalb von Tagen montiert werden<br />

kann?<br />

s energieaufwendiges und gesundheitsbedenkliches<br />

»Trockenwohnen« entfällt?<br />

s ein Holzhaus eine bis zu zehn Prozent<br />

größere Nutzfläche besitzt, da die Dämmung<br />

in die Wand integriert ist?<br />

s Holz für ein einzigartiges Raumklima<br />

sorgt und die Luftfeuchtigkeit reguliert?<br />

Da Holz aus luftgefüllten Zellen besteht, besitzt<br />

es von Natur aus eine geringe Wärmeleitfähigkeit<br />

und ist zur Dämmung optimal<br />

geeignet. <strong>Der</strong> hierdurch geringere Heizenergiebedarf<br />

senkt den CO 2 -Ausstoß. Im Winter<br />

sinken die Heizkosten, und im Sommer bleiben<br />

die Innenräume auch ohne Klimaanlage<br />

kühl. Die Vorgaben der Energieeinsparverordnung<br />

(EnEV) können leicht eingehalten<br />

werden. Holz übertrifft vielfach sogar die geltenden<br />

baulichen Richtlinien. Es eignet sich<br />

daher auch für den Bau von Niedrigenergie-<br />

oder Passivhäusern. Auch beim Modernisieren<br />

spart Holz viel Energie ein. Kombiniert<br />

mit speziellen Verglasungen können Wärmeverluste<br />

und damit der Energieverbrauch um<br />

bis zu 80 Prozent reduziert werden.<br />

Wenn es uns Deutschen mit dem Klimaschutz<br />

so ernst ist, wie wir in Umfragen<br />

behaupten, und wir den Umweltschutz als<br />

zweitwichtigstes Problem überhaupt ansehen,<br />

dann müssen wir verstärkt auf Holz<br />

zugreifen. Und wir dürfen uns nicht über<br />

gelegentlich lärmende Motorsägen, Harvester<br />

und Forwarder im <strong>Wald</strong> ärgern, die<br />

einer multifunktionalen, nachhaltigen Wirtschaftsweise<br />

und damit unser aller Zukunft<br />

dienen.<br />

n<br />

Lars Langhans ist Pressesprecher des Holzabsatzfonds.<br />

Den gesamten Aufsatz mit<br />

Nachweisen finden Sie unter<br />

www.forstverein.de/dfv/aktuell/prowald.<br />

Bilder: HAF<br />

JULI | 2007 : proWALD 39


40 proWALD : JULI | 2007<br />

Bild: Christian Naffin


Das Gästebuch einer Alteiche<br />

Eine Eiche von 400 Jahren – ein zweifellos<br />

imposanter Baum. Sein Gästebuch könnte<br />

zeigen, welches Getier Gast dieser langlebigen<br />

Eiche war. Fast endlos wäre die Namensliste.<br />

Gründe des Besuches an und auf oder<br />

gar in solch einem Baum gibt es vielerlei.<br />

Forstwissenschaftler wollen wissen,<br />

welche typischen Arten der Lebewesen in<br />

einem Eichenwald vorkommen und wie<br />

diese miteinander funktionieren. Nur wer<br />

die Vielfältigkeit naturnaher Eichenwälder<br />

kennt und deren Funktionsweise versteht,<br />

wird wissen, wie solche Wälder am besten zu<br />

nutzen und zu schützen sind. Die Experten<br />

sprechen von Biodiversität in Eichenwäldern,<br />

abgeleitet von den lateinischen Wörtern<br />

bios (Leben) und diversitas (Vielfalt).<br />

Ergo: Ein dickes Gästebuch mit typischem<br />

Arteninventar zeugt von guter Biodiversität<br />

des Eichenwaldes.<br />

Wer hat sich in das Gästebuch eingetragen?<br />

Gewieft und kriminalistisch geht<br />

der Wissenschaftler vor. Hier eine kleine<br />

Auswahl der Methoden der listigen Damen<br />

und Herren, wie sie Namens- und Strichlisten<br />

auffüllen: Fluginsekten, die sich in der<br />

Nacht vom Licht verführen lassen, werden<br />

mit speziellen Lampen an das Netz gelockt.<br />

Die am Baumstamm die Dunkelheit suchenden<br />

Gliederfüßer werden mit dem Eklektor<br />

auf die falsche Fährte geführt. Im Mulm sich<br />

sicher fühlende Käfer und Larven müssen<br />

Biodiversität in Eichenwäldern<br />

das Zählen auf dem Sieb über sich ergehen<br />

lassen. In müßiger Kleinstarbeit werden Insekten,<br />

Spinnen, Würmer aufgespürt, sortiert<br />

und von hoch spezialisierten Biologen<br />

bestimmt. Spezielle Mikrofone kommen<br />

zum Einsatz, um im <strong>Wald</strong> vorkommende<br />

Fledermausarten zu identifizieren. Besondere<br />

Technik hilft beim Vermessen der<br />

Größe und Lage der Bäume. Ornithologen<br />

haben ausgeklügelte Zählmethoden, damit<br />

Anzahl und Häufigkeit vorkommender Vögel<br />

festgestellt werden können. Merkwürdig<br />

aussehende Fotoapparate dienen zum<br />

Messen des am <strong>Wald</strong>boden ankommenden<br />

Lichtes.<br />

Alles im <strong>Wald</strong> wird zum Studienobjekt:<br />

die Beschaffenheit des Bodens, der Vitalitätszustand<br />

der Eichen, lange Artenlisten,<br />

die Häufigkeit von Habitatstrukturen wie<br />

von Steffen Schmidt<br />

Baumhöhlen, endlos erscheinende Zahlenkolonnen<br />

über Baumstärken, Totholz usw.<br />

Wer soll da noch durchblicken? Mathematiker<br />

helfen beim Sortieren und Auswerten<br />

der Daten. In Zusammenarbeit mit<br />

Ökologen, die sich ein umfangreiches Wissen<br />

über Wechselwirkungen in der Natur<br />

angeeignet haben, systematisieren sie das<br />

umfangreiche Faktenmaterial. Sogenannte<br />

Weiser- und Zielarten oder Naturnähezeiger<br />

werden für verallgemeinerungsfähige Aussagen<br />

bestimmt.<br />

Welche größeren Tiere machen in einem<br />

solchen Gästebuch ihren Eintrag? Es sind<br />

nicht nur Reh, Hirsch und Wildschwein, die<br />

eifrig nach Eicheln suchen. Auch so manch<br />

anderer Vierbeiner fällt uns auf, der nicht nur<br />

auf dem Boden, sondern mit gutem Grund<br />

am Schaft und in der Krone jede Baumhöhle<br />

kontrolliert. Eigentlich dürfte es keine Mühe<br />

machen, schnell zehn verschiedene Vierbeiner<br />

aufzuzählen.<br />

Die gefiederten <strong>Wald</strong>bewohner bringen<br />

es in der Gästebuchliste locker auf fünfzig<br />

Arten. Ob Eule, Specht oder Pirol – jeder mit<br />

Bedacht, der Brutpflege nachzukommen, intensiv<br />

nach Futter zu suchen, zu zwitschern<br />

oder nur Pausengast zu sein. <strong>Der</strong> Eichelhäher<br />

hätte wohl den besten Grund für sein<br />

regelmäßiges Erscheinen. Besonders für die<br />

Vogelwelt haben Typ und Beschaffenheit<br />

des Eichenwaldes, seiner Nachbarbestände<br />

JULI | 2007 : proWALD 41


42 proWALD : JULI | 2007<br />

und des weiträumigen Landschaftsgebietes<br />

einen entscheidenden Einfluss darauf, welche<br />

Art sich wie oft ihr Stelldichein an der<br />

Alteiche gibt.<br />

Und wie sieht es mit den Fluginsekten<br />

und weiteren Sechs- oder Achtbeinern aus?<br />

Die Namenslisten würden Hunderte aufführen,<br />

und für die Einzelwesen würden<br />

fünfstellige Zahlen nicht reichen. Allein für<br />

die Tierordnung der Käfer wäre es nicht<br />

ungewöhnlich, in einem größeren <strong>Wald</strong>gebiet<br />

über 500 verschiedene Arten zu finden.<br />

Viele dieser Käfer leben vom zersetzten<br />

Holz, dem Mulm, um sich nach vielen Jahren<br />

zum Beispiel als prächtiger Hirschkäfer<br />

zu entpuppen und voller Gier am Saft der<br />

Eichenwunden zu laben. In der Baumkrone<br />

oder am krautreichen <strong>Wald</strong>boden kann<br />

man durchaus über hundert verschiedene<br />

Großschmetterlingsarten finden. Genauso<br />

viele Webspinnenarten könnten ausgemacht<br />

werden. Manches Netz ärgert uns beim Pilze<br />

sammeln, wenn es sich versehentlich im Gesicht<br />

verfängt.<br />

Apropos Pilze! Von der Vielzahl der<br />

verschiedenen Speisepilze einmal abgesehen,<br />

gibt es viele Arten, die uns verborgen<br />

bleiben, da sie keine für uns sichtbaren<br />

Fruchtkörper ausbilden. Oft handelt es sich<br />

um Arten, von denen die Existenz anderer<br />

Lebewesen abhängt. Auch die am Baum erkennbaren<br />

Pilze interessieren uns kaum als<br />

Sammelbeute. Aber wir bestaunen ihr wundersamen<br />

Aussehens, etwa den Igelstachelbart.<br />

Für den Förster können diese Pilzarten<br />

anzeigen, wie gut es dem <strong>Wald</strong> geht. Mit<br />

zunehmendem Alter der Eichen steigt ihre<br />

Vielfalt, und es kommen dann extrem seltene<br />

Arten hinzu. In manchen Wäldern sind<br />

zeitweise bis zu vierzig vom Holz lebende<br />

Pilzarten sichtbar.<br />

Als knorriger, sterbender Greis scheint<br />

die Alteiche den Zeitpunkt höchster Attraktivität<br />

zu haben. Verwachsene Astabbrüche,<br />

Hohlräume, kahle Kronenbereiche und<br />

morsche Wurzeln schaffen unterschiedliche<br />

Lebensräume, die als Habitate ganz spezielle<br />

Bedingungen für hoch spezialisierte Arten<br />

bieten. Starke Äste sind mit dicken Moosschichten<br />

und Flechten besetzt.<br />

Manchmal bleiben die Schäfte abgestorbener<br />

Alteichen Jahrzehnte stehen.<br />

Mehr als fünfzig Jahre kann es dauern, bis<br />

der umgestürzte Stamm bis zur Unkenntlichkeit<br />

verrottet ist. Bis dahin ist er Unterschlupf<br />

und Nahrungsraum. Ein langwieriger<br />

und komplizierter Prozess lässt das Holz<br />

vererden und führt so die Nährstoffe dem<br />

<strong>Wald</strong>boden wieder zu. Feuchtigkeit wird im<br />

Mulm wie in einem Schwamm festgehalten.<br />

Ein neuer Kreislauf ist längst im Gang:<br />

Junge Bäume nehmen in einer krautreichen<br />

Bodenflora sofort den Platz der alten Eiche<br />

ein.<br />

Eine alte Eiche erscheint uns als Inbegriff<br />

wahrer Lebensvielfalt. Ganze Bücher könnten<br />

über Art und Weise des Lebens solcher<br />

Biotope berichten. Gäbe es die alten Eichen<br />

nicht, ginge die Vielfalt des Lebens, die Biodiversität,<br />

zurück.<br />

Forstwissenschaftler haben mit Vegetationskundlern<br />

sehr genau kartiert, wo<br />

natürlicherweise die verschiedenen Eichenwaldgesellschaften<br />

vorkommen oder sich<br />

entwickeln können. Die europäische Staatengemeinschaft<br />

hat sogar ein Gebietsnetz<br />

mit Lebensraumtypen erarbeitet, aus dem<br />

erkennbar ist, wo zum Beispiel typische<br />

Eichenwälder erhaltenswert und entwicklungswürdig<br />

sind. Dieses als Natura 2000<br />

bezeichnete Schutzgebietsnetz widmet sich<br />

nicht nur dem Erhalt wichtiger <strong>Wald</strong>gesellschaften,<br />

sondern dem aller Lebensräume,<br />

die zum Erhalt der Biodiversität als Lebensgrundlage<br />

beitragen.<br />

n<br />

Steffen Schmidt arbeitet bei der<br />

Landesforstanstalt Eberswalde.


<strong>Der</strong> Gips und der Kyffhäuser<br />

Von welcher Seite man sich dem Kyffhäusergebirge<br />

auch nähert: Es tritt als markantes<br />

kleines Gebirge aus dem Umland,<br />

der Goldenen Aue im Norden und der Diamantenen<br />

Aue im Süden (um 130 m ü. NN),<br />

hervor. <strong>Der</strong> Kulpenberg als höchster Punkt<br />

des Kyffhäusers erreicht 477 m, das Kyffhäuserdenkmal<br />

440 m. Die mittleren jährlichen<br />

Niederschlagssummen schwanken<br />

von 470 mm am Südfuß des Kyffhäusers in<br />

Bad Frankenhausen bis 575 mm auf den<br />

Gipfeln.<br />

<strong>Der</strong> Kyffhäuser ist ein echtes Gebirge,<br />

denn er wurde während der alpidischen<br />

Gebirgsbildung als Scholle emporgehoben,<br />

im Norden stärker (1.000 m Sprunghöhe),<br />

im Süden schwächer, so dass die Schichten<br />

nach Süden hin einfallen. Am Nordabfall lie-<br />

gen die ältesten Gesteine, hoch metamorphe<br />

Gneise und kambrisch-ordovizische Amphibolite.<br />

Darüber lagern die Kyffhäuserschichten,<br />

eine Wechsellagerung aus auffallend<br />

roten Konglomeraten, Sandsteinen und<br />

Tonsteinen aus dem Oberkarbon. Am Südabfall<br />

des Kyffhäusers sind diese Schichten<br />

von den Sedimenten des Zechsteins (Kalksteine<br />

und Gipse) überdeckt. Im Pleistozän<br />

lagerten sich Lösse ab, die auf größeren Arealen,<br />

aber auch noch in kleinen und kleinsten<br />

Inseln erhalten sind.<br />

Das stark gegliederte Relief und die geologische<br />

Vielfalt verursachen eine enorme<br />

Diversität an Standorten, Flora und Vegetation<br />

auf kleinstem Raum, die ihresgleichen<br />

in Deutschland sucht. Die Spanne reicht von<br />

Schluchtwäldern am kühl-feuchten Nordabfall<br />

bis zu submediterranen Felsheiden und<br />

von Martin Heinze<br />

kontinentalen Steppen am warm-trockenen<br />

Südabfall.<br />

Die natürlich vorhandene Vielfalt wurde<br />

durch jahrtausendelange Nutzung durch<br />

den Menschen in diesem Altsiedlungsgebiet<br />

(u. a. Weidewirtschaft und frühgeschichtlicher<br />

und mittelalterlicher Kupferschieferabbau)<br />

noch vergrößert. Spuren dieses<br />

Bergbaus sind die vielen kleinen Pingen auf<br />

dem Zechsteinausstrich im Südteil des Kyffhäusers,<br />

über die jetzt dichte Buchenwälder<br />

ihren Mantel breiten.<br />

Die großflächigen Gipsstandorte des<br />

Kyffhäusers sind eine weltweit einmalige<br />

Besonderheit. Sie sind geologisch bedingt<br />

(Ausstrich der Gipse des Zechsteins). Das<br />

weiße Gipsmehl sieht man bereits an den<br />

Abbrüchen an der Straße von Bad Frankenhausen<br />

nach dem Rathsfeld. Das Gelände,<br />

JULI | 2007 : proWALD 43


auf dem die Gipse an der Oberfläche anstehen,<br />

ist ein typischer Karst mit Mulden (Dolinen)<br />

und Kuppen.<br />

Zusammen mit den alten knorrigen<br />

Buchen vermittelt diese unübersichtliche<br />

Buckellandschaft dem Wanderer z. B. auf<br />

den einsamen Pfaden zwischen Bad Frankenhausen<br />

und der Barbarossahöhle ihre<br />

geheimnisvolle Atmosphäre. Die Dolinen<br />

entstehen durch die Gipslösung. In einem<br />

Liter Wasser lösen sich 2 g Gips. Deshalb ist<br />

dort das Gebirge auch von vielen Spalten<br />

und Höhlen durchzogen.<br />

Die Barbarossahöhle ist die größte<br />

bekannte Höhle. Auch die Frankenhäuser<br />

Oberkirche hat sich durch Gipsauslaugung<br />

im Untergrund schief gestellt. Die Kuppen<br />

haben sich vermutlich durch Aufwölbungen<br />

gebildet, als der ursprünglich wasserfreie<br />

Anhydrit (CaSO 4 ) an der Geländeoberfläche<br />

Wasser aufnahm und bei der Umkristallisation<br />

zu Gips (CaSO 4 x 2 H 2 O) sein Volumen<br />

vergrößerte. In den Mulden haben sich<br />

kleine Lössinseln erhalten und große Laubmengen<br />

angesammelt. Deshalb muss man<br />

in diesem kleinräumigen Mosaik zwischen<br />

Gipsstandorten im weiteren und im engeren<br />

Sinne unterscheiden. Auf den Gipsstandorten<br />

im weiteren Sinne wachsen die Pflanzen<br />

auf einem Boden, der zwar Calciumsulfat im<br />

44 proWALD : JULI | 2007<br />

Überschuss, aber daneben auch noch silikatisches<br />

und stellenweise carbonatisches<br />

Substrat bietet, so dass die Pflanzen nicht<br />

auf Gips allein angewiesen sind.<br />

Auf den Gipsstandorten im engeren<br />

Sinne müssen die Pflanzen unter humiden<br />

Klimabedingungen mit reinem Gips als Bodensubstrat<br />

auskommen. Silikate, z. B. auch<br />

Tonminerale, kommen nur in Spuren vor.<br />

<strong>Der</strong> Gips kann Calciumcarbonat enthalten.<br />

Dann liegt der pH-Wert des Bodens bei 7.<br />

Sinkt der CaCO 3 -Gehalt wegen primär geringer<br />

Konzentration oder sekundärer Auswaschung<br />

unter 0,5 %, dann versauert der<br />

Boden bis zu einem pH-Wert von 4,5.<br />

Die Böden auf Gips wechseln auf kleinstem<br />

Raum. Sie wurden deshalb als Komplexböden<br />

kartiert. Als Bodentyp stehen auf dem<br />

Gips Gips-Syroseme und -Rendzinen an.<br />

Sie unterscheiden sich wesentlich von den<br />

gleichnamigen Böden auf Carbonatstandorten.<br />

Trotz hoher Calciumkonzentration sind<br />

sie ärmer und biologisch wenig aktiv. Das<br />

äußert sich in den Buchenwäldern durch<br />

weitgehendes Fehlen einer Bodenvegetation<br />

(Fagetum nudum) und geringe Verjüngungsfreude<br />

(deshalb so weitständige und<br />

urtümlich-protzige Altbäume).<br />

Gipsstandorte bieten vollkommen ungewöhnliche<br />

Faktorenkonstellationen, die<br />

wissenschaftlich von größtem Wert sind,<br />

weil sie Schlüsselerkenntnisse liefern, die<br />

auf Silikat- und Carbonatstandorten allein<br />

nicht gewonnen werden können und für viele<br />

andere Standorte wichtig sind, wie für die<br />

ehemals hoch schwefelbelasteten Wälder<br />

des sächsischen Erzgebirges.<br />

Solche Konstellationen sind z. B. eine<br />

hohe Calciumionenkonzentration in der<br />

Bodenlösung bei niedrigem pH-Wert, extrem<br />

niedrige Gehalte an Kalium und Aluminium<br />

und hohe Gehalte an Schwefel im<br />

Boden. Trotz dieser Extreme sind die Buchen<br />

ausgeglichen ernährt und erfreuen sich bester<br />

Gesundheit. Gipsspezialisten unter den<br />

Pflanzen gibt es nicht. Auch das Gipskraut<br />

(Gypsophila fastigiata) kommt nicht nur auf<br />

Gips, sondern sogar wesentlich häufiger auf<br />

armen Sandböden in der Niederlausitz vor.<br />

Wer sich einmal mit den Gipsstandorten<br />

des Kyffhäusers und des nördlich davon liegenden<br />

Karstgebietes am Südharzrand beschäftigt<br />

hat, erkennt ihren unschätzbaren<br />

wissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen<br />

und naturschutzfachlichen Wert und lässt<br />

sich von ihrer einmaligen Ästhetik fesseln.<br />

Er wird alles für ihre Erhaltung und ihren<br />

Schutz tun.<br />

n<br />

Martin Heinze ist Professor an der<br />

Fachhochschule Schwarzburg.<br />

Alle Fotos stammen von Christoph Bethge.


Zu den aktivsten Lebensräumen der<br />

Natur zählen Flüsse und ihre vom<br />

frei fließenden Wasser geprägten Auen.<br />

Nicht nur die kräftig strömenden<br />

Hochwasser gestalten das vielfältige<br />

und wechselnde Antlitz natürlicher Auen<br />

ständig neu; ebenso verändert sich<br />

das Flussbett durch Sedimentation<br />

während niedriger Wasserstände, und<br />

das Wasser sucht sich neue Wege.<br />

<strong>Der</strong> dramatisch wechselnde Wasserstand<br />

bestimmt die Auen, solange sie nicht<br />

mit Staustufen verbaut wurden. Dieser häufige<br />

Wechsel des Wasserstandes ist der ökologische<br />

Motor der Auen. Er sorgt sowohl für<br />

den existenznotwendigen wechselseitigen<br />

Austausch von Grund- und Oberflächenwasser<br />

und organisiert auch die ungemein hohe<br />

Artenvielfalt der Auen mit ihren bei uns charakteristischen<br />

Silberweiden- und Eichen-<br />

Ulmenwäldern.<br />

Die Erklärung der hohen Biodiversität<br />

ist einfach: Zum einen dominieren während<br />

hochwasserreicher Jahre andere Tier- und<br />

Pflanzenarten als in trockenen Jahresreihen.<br />

Und während lang anhaltender Trockenzeiten<br />

treten sogar Arten in den Vordergrund,<br />

die Wassermangel hinnehmen können. Andererseits<br />

kommen solche Tier- und Pflanzenarten<br />

hinzu, die sowohl Überschwemmungen<br />

als auch Dürre überstehen. Dazu<br />

gehören u. a. auenheimische Baumarten<br />

wie Stieleiche, Feld- und Flatterulme, die<br />

gemeine Esche, die echte Schwarzpappel<br />

und der Feldahorn.<br />

Die stark alternierenden Lebensbedingungen<br />

der Aue führen also nicht zur Verarmung,<br />

sondern vielmehr zu einer Förderung<br />

der Biodiversität. Auf ein- und derselben<br />

Fläche stellen sich im zeitlichen Wechsel<br />

wesentlich mehr Arten und Lebensgemeinschaften<br />

ein als in ständig nassen oder dauerhaft<br />

trockenen Biotopen. Arten, die heute<br />

noch nicht gedeihen können, werden sich<br />

morgen wieder entfalten, um dann übermorgen<br />

abermals anderen Platz zu machen.<br />

Da gibt es z. B. den dreiäugigen Urzeitkrebs<br />

(Triops), die älteste noch lebende Tierart<br />

der Erde, ein lebendes »Fossil«. Dieser bis<br />

Zwischen<br />

Wasser<br />

und Land<br />

Die Bedeutung der Auen für die Biodiversität<br />

von Alfons Henrichfreise<br />

rund 10 cm große Urzeitler übersteht auch<br />

jahrzehntelange Trockenphasen in resistenten<br />

»Dauer-Eiern« und entwickelt sich bei<br />

Hochwasser innerhalb von nur 48 Stunden<br />

wieder vollständig.<br />

In den höchst gelegenen Flächen dagegen<br />

leben trockenheitsresistente Arten wie<br />

die Ödlandschrecke und sogar Orchideen.<br />

Bekanntlich finden viele Arten in der Aue ihre<br />

Heimstätte. Ebenfalls bekannt: Sie könnten<br />

sonst nirgends leben.<br />

Die größte Vielfalt an Arten und auetypischen<br />

Lebensgemeinschaften pulsiert<br />

im tief gelegenen Wechselwasserbereich<br />

zwischen Mittelwasser und sehr niedrigen<br />

Wasserständen, dort, wo das Wasser am<br />

stärksten einwirkt. Hier reichen sich die<br />

unterschiedlichsten kurz- und langlebigen<br />

Arten und Auebiozönosen gleichsam im<br />

Wechsel den Staffelstab im immerwährenden<br />

Natur-Kreislauf.<br />

Besonders die großen Hochwasser<br />

schaffen immer wieder neue Lebensräume,<br />

von den trockensten, fast wüstenähnlichen<br />

JULI | 2007 : proWALD 45


Standorten aus reinem Sand und Kies bis<br />

hin zu Lebensräumen mit sehr tiefgründig<br />

durchwurzelbarer Bodendeckschicht<br />

aus feinkörnigem Schluff und Ton.<br />

Das ist der großflächige Standort für<br />

die stattlichsten Auwälder.<br />

Aue bedeutet Dynamik: ein<br />

scheinbares Vergehen, ein Warten<br />

in Überdauerungsformen und<br />

eine vitale Wiederkehr zu jeweils<br />

gegebener Zeit. Aue bedeutet<br />

ständig pulsierende Bewegung,<br />

die vielfältiges Leben bewirkt,<br />

ein tiefes Ein- und Ausatmen der<br />

Natur in ihren Lebensadern, eine<br />

urwüchsige Regenerationskraft,<br />

solange nur das Wasser frei fließen<br />

und walten kann.<br />

Nicht zu vergessen: <strong>Der</strong> arten-<br />

und strukturreiche Auwald bietet<br />

die beste Möglichkeit, Hochwasser<br />

großräumig derart abzubremsen, dass<br />

Hochwasser der ausbaubedingt stärker<br />

beschleunigten Ströme wie Rhein, Elbe und<br />

Donau sich nicht mehr so häufig wie heute<br />

mit den Hochwassern der Nebenflüsse<br />

überlagern: eine natürliche Wohlfahrtswirkung<br />

des naturnahen Auwaldes, die auch<br />

wirtschaftlich gar nicht hoch genug eingeschätzt<br />

werden kann.<br />

Die Biodiversität der Auwälder ist kein<br />

Luxus, sondern eine zwingende Notwendigkeit<br />

zum Schutz der hochwassergefährdeten<br />

Lebensräume und Wirtschaftsachsen an unseren<br />

Flüssen.<br />

Dennoch bedrohen besonders drei Gefahren<br />

unsere Auen:<br />

s die Lähmung durch einen Bau von weiteren<br />

Staustufen, wie heute noch an der<br />

bayerischen Donau und an der Oder geplant,<br />

s die Ableitung des für den Auwald existenznotwendigen<br />

Wassers in Kraftwerkskanälen<br />

zur Stillung unseres unersättlichen<br />

Hungers nach Energie und<br />

s der technische Hochwasserschutz mit<br />

Hochwasserrückhaltebecken, in denen<br />

der Auwald ebenfalls stirbt.<br />

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46 proWALD : JULI | 2007<br />

Um der Verantwortung für die biologische<br />

Vielfalt im eigenen Land nachzukommen,<br />

müssen die noch verbliebenen artenreichen<br />

und einzigartigen Auwälder<br />

geschützt und es muss den Flüssen<br />

wieder mehr Raum geben werden.<br />

Einerseits kommen wir damit<br />

den Anforderungen internationaler<br />

Abkommen nach, die wir<br />

unterschrieben und ratifiziert<br />

haben, andererseits können die<br />

Kosten für Hochwasserschutzmaßnahmen<br />

dauerhaft und<br />

nachhaltig begrenzt werden.<br />

Intakte, sich dynamisch verändernde<br />

Gewässer und ihre Auen<br />

sind zudem wesentlich besser<br />

in der Lage, auf die durch den Klimawandel<br />

zu erwartenden Zunahmen<br />

extremer Niederschlags- bzw.<br />

Trockenheitsperioden zu reagieren.<br />

Vom Menschen scheinbar wirtschaftlich<br />

veränderte Systeme sind dazu kaum<br />

in der Lage. <strong>Der</strong>en technisch und administrativ<br />

aufwendige Steuerung ist zudem mit<br />

Unsicherheiten behaftet, die sich nur schwer<br />

quantifizieren lassen.<br />

Nicht zuletzt, um den nachdrücklich<br />

erhobenen Forderungen zum Schutz der<br />

Biodiversität – vor allem der Regenwälder<br />

– mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, ist es<br />

dringend erforderlich, die eigenen Anstrengungen<br />

zum Schutz der heimischen Auwälder<br />

zu intensivieren.<br />

n<br />

Dr. Alfons Henrichfreise ist wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter beim Bundesamt für<br />

Naturschutz. Bilder: pixelquelle.de


Intakte Mangroven hätten<br />

Mangroven zählen mittlerweile zu den<br />

bedrohtesten Lebensräumen der Welt.<br />

Schätzungsweise 50 Prozent der ursprünglich<br />

vorhandenen Mangrovenwälder sind in<br />

den vergangenen Jahrzehnten weltweit zerstört<br />

worden. Traditionell wird das Holz der<br />

Mangroven zur Gewinnung von Brennholz,<br />

Holzkohle oder Gerbstoffen genutzt. Aber<br />

die Entnahme von vergleichsweise geringen<br />

Holzmengen durch die Küstenbevölkerung<br />

hat die Mangroven in ihrem Bestand nicht<br />

gefährdet. Erst die großflächige Zerstörung<br />

durch die Umwandlung in Reisplantagen<br />

Tsunami gebremst<br />

und Bauland für die Tourismusindustrie<br />

hat die Situation dramatisch verschärft. Zudem:<br />

Seit den 60er-Jahren werden die Mangrovenbestände<br />

Asiens für große industrielle<br />

Shrimps-Firmen zerstört – Firmen, die die<br />

umweltfeindliche Aquakultur an die Meeresküsten<br />

brachten. Bis zum Jahr 2000 schwoll<br />

die Shrimps-Produktion auf eine Größenordnung<br />

von über 8 Millionen Tonnen an.<br />

Mangroven sind wichtige »Landbildner«,<br />

die an der Entstehung von Land, dessen<br />

Schutz gegen Erosion und der Landge-<br />

von Christine Große<br />

winnung an den Küsten direkt beteiligt sind.<br />

Die Mangrovensümpfe sind für die Küstenregionen<br />

ein natürlicher Schutz vor großen<br />

Wellen. Fachwissenschaftler sind sich einig:<br />

Die Mangroven bieten in doppelter Hinsicht<br />

Schutz vor Tsunamis, den gigantischen<br />

durch Erdbeben ausgelösten Riesenwellen.<br />

Da ist zum einen der äußere Ring aus roten<br />

Mangroven – mit ihren flexiblen Armen und<br />

verwobenen Wurzeln, die in die Küstengewässer<br />

ragen. Sie absorbieren die ersten<br />

Schockwellen. <strong>Der</strong> zweite Ring besteht aus<br />

hohen, schwarzen Mangroven. Dieser Ring<br />

JULI | 2007 : proWALD 47


48<br />

funktioniert wie eine Mauer und widersteht<br />

der aufgewühlten See weitgehend. 1960<br />

traf in Bangladesh eine Tsunami-Welle auf<br />

einen Küstenabschnitt mit intaktem Mangrovenbestand:<br />

Kein einziger Toter war zu<br />

beklagen. Danach wurden die Mangroven<br />

abgeholzt, an ihre Stelle traten Shrimps-<br />

Farmen. 1991 kam es in derselben Region<br />

erneut zu einem Tsunami mit der gleichen<br />

Stärke. Diesmal starben tausende von Menschen.<br />

Auch beim 2004er Tsunami haben die<br />

Orte, vor denen die Mangroven noch dicht<br />

und in ursprünglicher Artenzusammensetzung<br />

standen, vergleichsweise geringe<br />

Opferzahlen bzw. wirtschaftliche Verluste<br />

erlitten. Hinzu kommt: Mangroven absorbieren<br />

mehr Kohlendioxid pro Flächeneinheit<br />

als das Meeresplankton – ein wichtiger<br />

Faktor beim Thema Erderwärmung.<br />

Mangroven sind bis zu 30 Meter hohe<br />

Bäume und Sträucher aus verschiedenen<br />

proWALD : JULI | 2007<br />

Pflanzenfamilien mit fast 70 Arten, die sich<br />

in besonderer Weise an die Lebensbedingungen<br />

der salzigen Küsten und brackigen<br />

Flussmündungen in den Tropen und Subtropen<br />

angepasst haben. Die Mangroven<br />

zählen neben Korallenriffen und tropischen<br />

Regenwäldern zu den produktivsten Ökosystemen<br />

der Erde und liefern mit abfallenden<br />

Blättern, Blüten und Früchten mehr als drei<br />

Kilogramm organisches Material pro Jahr<br />

und Quadratmeter, die von Bakterien und<br />

Pilzen zersetzt und in die Nahrungskette zurückgeführt<br />

werden. Sie sind die (natürliche)<br />

Kinderstube von etwa 3/4 aller kommerziellen<br />

Fischarten. Im Vergleich zu den unbewachsenen<br />

Wattflächen vervielfacht das<br />

dichte Wurzelwerk der Mangroven das Platzangebot<br />

für andere Organismen und bietet<br />

auf engstem Raum eine hohe Zahl kleinster<br />

Lebensräume oder Habitate. Unzählige Fische,<br />

Krabben und Muscheln bevölkern das<br />

Wasser, auf den Wurzeln der Bäume siedeln<br />

Dem Salz ein<br />

Schnäppchen<br />

geschlagen …<br />

Um aus dem salzigen Meerwasser überhaupt<br />

Wasser aufnehmen zu können, herrscht in<br />

den Pflanzenzellen der Mangroven eine Salzkonzentration,<br />

die sogar noch höher ist als<br />

die im Meerwasser. Ein komplizierter Filtermechanismus<br />

in den Mangroven-Wurzeln<br />

lässt Wasser, das in Richtung der höheren<br />

Salzkonzentration ins Innere der Zellen wandert,<br />

hindurch, nicht aber das Salz. Zudem<br />

können mit Salz angereicherte Blätter abgeworfen<br />

werden, und auch Salzdrüsen und<br />

Salzhaare dienen dem Ausscheiden überschüssigen<br />

Salzes.<br />

Algen, Seepocken, Austern, Schwämme und<br />

Schnecken.<br />

Neben der so wichtigen Schutzfunktion<br />

stellen diese einmaligen <strong>Wald</strong>ökosysteme<br />

– wenn man sie denn intakt ließe – eine nachhaltig<br />

sprudelnde Einkommens- und Jobquelle<br />

dar. Mangrovenwälder liefern nicht nur<br />

<strong>Wald</strong>produkte wie Holz, Honig, Tannin, Medizinpflanzen<br />

und Fleisch. Als wichtigste Kinderstube<br />

zahlreicher Fischarten bringen sie<br />

der nachhaltigen Küstenfischerei auch bares<br />

Geld ein. Etwa 10.000 US$ jährlich je Hektar,<br />

so schätzen die Experten. Dass Mangroven erfolgreich<br />

wiederaufgeforstet werden können,<br />

haben beispielsweise die Vietnamesen im Mekong-Delta<br />

gezeigt. Es dauerte jedoch mehr<br />

als 20 Jahre, bis sich ein widerstandsfähiger<br />

hoch gewachsener <strong>Wald</strong> neu entwickelt hatte.<br />

n<br />

Christine Große arbeitet in der Geschäftsstelle<br />

des Deutschen <strong>Forstverein</strong>s.<br />

Bilder: Christine Große und pixelquelle.de


Bild: Hagen Kluttig<br />

Biologische Vielfalt im <strong>Wald</strong><br />

am Beispiel von Buchenwäldern<br />

Die biologische Vielfalt – die vernetzte<br />

Vielfalt an Lebensräumen, Arten und<br />

Genen – ist der Schlüssel zum Verständnis<br />

des Zusammenspiels zwischen<br />

Mensch und Natur. Die biologische<br />

Vielfalt, von Fachleuten Biodiversität<br />

genannt, ist eine zentrale Lebensgrundlage<br />

des Menschen. Ohne sie<br />

wäre die Erde ein toter Himmelskörper<br />

wie der Mars.<br />

Seit der Konferenz der Vereinten Nationen<br />

für Umwelt und Entwicklung, dem sogenannten<br />

»Erdgipfel« in Rio de Janeiro, im<br />

Juni 1992 ist die Erhaltung der Biodiversität<br />

Gegenstand eines völkerrechtlichen Vertragswerkes<br />

– des Übereinkommens über<br />

die biologische Vielfalt. Auch Deutschland<br />

verpflichtete sich mit der Unterzeichnung,<br />

die biologische Vielfalt zu schützen, nachhaltig<br />

zu nutzen und zu überwachen.<br />

Von allen Land-Lebensraumtypen auf<br />

der Erde beherbergen die Wälder nach heutigem<br />

Kenntnisstand die höchste Biodiversität.<br />

Wenn man alle Wälder weltweit betrach-<br />

von Manfred Klein und Hagen Kluttig<br />

tet, bieten sie ein so vielfältiges Spektrum<br />

an Lebensräumen für Pflanzen, Tiere und<br />

Mikroorganismen wie kein anderer Lebensraum.<br />

Dort finden sich etwa die Hälfte aller<br />

an Land lebenden Tier- und Pflanzenarten.<br />

Die Existenz von Wäldern erscheint uns so<br />

selbstverständlich, dass wir uns eine Welt<br />

ohne sie nicht vorstellen können. Auch machen<br />

uns die Diskussionen um die globalen<br />

Klimaveränderungen und die Rolle, die<br />

Wälder und die Form ihrer Bewirtschaftung<br />

dabei spielen, bewusst, wie sehr wir mit der<br />

Natur verbunden sind.<br />

Nur naturnahe Wälder können in voller<br />

Bandbreite und mit der Komplexität ihrer<br />

Biodiversität die vielfältigen und lebenswichtigen<br />

Funktionen des <strong>Wald</strong>es bereitstellen<br />

und ihre globale Funktion als Lebensraum<br />

biologischer Vielfalt und als Klimaschützer<br />

erfüllen. Aufgrund ihrer hohen Biomasse<br />

speichern Wälder bis zu 40 % des Kohlenstoffs<br />

aller Landökosysteme (davon nur ca.<br />

30 % in der lebenden Biomasse und 70 % in<br />

der abgestorbenen organischen Biomasse).<br />

JULI | 2007 : proWALD 49


Schwarze Störche<br />

<strong>Der</strong> Schwarz- oder <strong>Wald</strong>storch (Ciconia nigra)<br />

bevorzugt als Lebensraum sehr auffällig<br />

feuchte und strukturreiche Mischwälder.<br />

Zum Nahrungserwerb benötigt er wie der<br />

Weißstorch Sümpfe und flache Gewässer,<br />

um hier kleine Fische, Frösche und übriges<br />

Kleingetier zu fangen.<br />

Die versteckt lebenden Schwarzstörche<br />

gehören zu den wenigen Großvogelarten,<br />

deren Bestand eine leicht positive Tendenz<br />

aufweist. Von etwa 350 Brutpaaren in<br />

Deutschland brüten jährlich etwa 15 Paare<br />

in Mecklenburg-Vorpommern. Die östlichen<br />

Landkreise im Feldberg-Woldegker<br />

Hügelland gehören zu ihren traditionellen<br />

Heimatrevieren.<br />

Als Brut- bzw. Horstbaum nutzt der<br />

schwarz schillernde Storch stets die ältesten<br />

Bäume mit starken Seitenästen bei freier Anflugschneise.<br />

Für den Forstmann ergibt sich<br />

daraus die Verpflichtung, solche Standorte<br />

für diese vom Aussterben bedrohte »Rote-<br />

Liste-Art« zu erhalten. Mitunter muss dann,<br />

wenn der Unterstand des <strong>Wald</strong>es die Horsthöhe<br />

erreicht hat, ein gezielter Rückschnitt<br />

erfolgen, um den »freien Flugverkehr« zu<br />

gewährleisten.<br />

Schwarzstörche legen 3-5 Eier, die 35 bis<br />

40 Tage bebrütet werden. Die Nestlingszeit<br />

der 2-4 Jungen beträgt 70-100 Tage. Bereits<br />

Anfang September beginnt die Reise ins afrikanische<br />

Winterquartier südlich der Sahara;<br />

Ende März bis Anfang April kehren sie hoffentlich<br />

zurück.<br />

Klaus Borrmann<br />

Im internationalen Vergleich erscheinen<br />

unsere Wälder sehr kleinflächig, fragmentiert<br />

und sehr artenarm. Dabei dürfen aber vor<br />

allem nicht die Moose, Flechten, Pilze und<br />

insbesondere nicht die Tierwelt außer Acht<br />

gelassen werden. Insgesamt schätzt man<br />

7.000 bis 14.000 Tier- und bis zu 14.000 Pflanzenarten,<br />

darunter allein über 3.000 Pilzarten,<br />

die in naturnahen mitteleuropäischen<br />

Wäldern heimisch sind.<br />

Uns begegnen in den <strong>Wald</strong>lebensräumen<br />

Deutschlands die Reste der ursprünglichen<br />

mitteleuropäischen Vielfalt, für die wir globale<br />

Verantwortung tragen. Vor dem Hintergrund<br />

des Erhalts der globalen biologischen<br />

Vielfalt im Sinne der Rio-Konvention (1992)<br />

ist dies in den letzten Jahren zunehmend ins<br />

kollektive Bewusstsein gelangt.<br />

50 proWALD : JULI | 2007<br />

In Deutschland wären von Natur aus<br />

Wälder mit der Rotbuche als Hauptbaumart<br />

die vorherrschende Vegetationsform. Solche<br />

Buchenwälder sind in ihrer Verbreitung auf<br />

Europa beschränkt und stellen daher einen<br />

ganz besonderen spezifischen Beitrag<br />

zur globalen Biodiversität dar. Dabei wird<br />

offensichtlich, dass Deutschland aufgrund<br />

seiner Lage einer enormen Verantwortung<br />

für die Erhaltung der Buchenwald-Ökosysteme<br />

und für die Entwicklung nachhaltiger<br />

Nutzungsstrategien gerecht werden muss.<br />

Die im Jahr 2002 abgeschlossene zweite<br />

Bundeswaldinventur (BWI2) hat zwar<br />

den Trend zu standortheimischen Laubbaumarten<br />

und hier insbesondere zur Buche<br />

sichtbar gemacht, dennoch sind die<br />

deutschen Wälder immer noch zu erheblichen<br />

Teilen aus standortfremden Baumarten<br />

aufgebaut. Die BWI2 hat auch belegt,<br />

dass in den deutschen Wäldern die Notwendigkeit<br />

für naturschutzfachliche Verbesserungen<br />

besteht. Buchenwälder sind heute<br />

in Deutschland auf 8 % ihres ursprünglichen<br />

Areals zurückgedrängt worden, nehmen weniger<br />

als 15 % der <strong>Wald</strong>fläche ein, und nur<br />

weniger als ein Viertel der Bäume ist älter als<br />

120 Jahre. <strong>Der</strong> Anteil nutzungsfreier Rotbuchenwälder<br />

ist extrem geschrumpft. Sie sind<br />

auf Naturwaldreservate, Nationalparke und<br />

Kernzonen von Biosphärenreservaten beschränkt.<br />

In der Summe sind das nur 0,1 %<br />

der Landfläche Deutschlands.<br />

Altersklassenwälder prägen als Ergebnis<br />

einer jahrhundertelangen Nutzungsgeschichte<br />

den <strong>Wald</strong> in Deutschland, sie sind<br />

Bild: Klaus Borrmann<br />

im Wesentlichen strukturarm. Urwald gibt<br />

es bei uns seit langem nicht mehr.<br />

Allerdings ist ein totaler Nutzungsverzicht<br />

in Buchenwäldern weder durchsetzbar<br />

noch aus globaler Naturschutzsicht<br />

erwünscht. Die nachhaltige Nutzung der<br />

biologischen Vielfalt ist im Sinne des Erdgipfels<br />

ausdrücklich ein zentrales Instrument<br />

zu ihrer Erhaltung. Dem muss in integrativen<br />

Schutz- und Nutzkonzepten Rechnung<br />

getragen werden. Um die Bandbreite aller<br />

biologischen Funktionen zu erfüllen, muss<br />

der bewirtschaftete <strong>Wald</strong> dem natürlichen<br />

möglichst ähnlich sein und Tieren und<br />

Pflanzen dauerhaft einen sicheren Lebensraum<br />

bieten.<br />

Die naturverträgliche Nutzung von Buchenwäldern<br />

ist somit eine Schlüsselaufgabe,<br />

der sich sowohl Naturschutz wie auch<br />

Forstwirtschaft in Deutschland stellen müssen.<br />

Entsprechend sieht das Nationale <strong>Wald</strong>programm<br />

in der nachhaltigen Gestaltung<br />

der Landnutzung ein zentrales Instrument<br />

zur Umsetzung internationaler Verpflichtungen.<br />

Die Ziele einer naturnahen <strong>Wald</strong>bewirtschaftung,<br />

wie sie im Nationalen <strong>Wald</strong>programm<br />

genannt sind, sind zwar nicht<br />

spezifisch auf Buchenwälder ausgelegt,<br />

schließen diese aber selbstverständlich ein.<br />

Speziellere Handlungsempfehlungen für<br />

die Bewirtschaftung von Buchenwäldern<br />

wurden in einem vom BfN mit Mitteln des<br />

BMU geförderten Forschungsvorhabens<br />

exemplarisch für das nordostdeutsche Tiefland<br />

erarbeitet und sind erfreulicherweise<br />

auch bereits in die <strong>Wald</strong>baurichtlinien einiger<br />

Länder (wie Mecklenburg-Vorpommern


und Brandenburg) eingegangen. So sind in<br />

der brandenburgischen <strong>Wald</strong>baurichtlinie<br />

folgende Festlegungen getroffen:<br />

s Orientierung der Baumartenwahl an der<br />

pnV, Begrenzung des Anteils fremdländischer<br />

Baumarten auf insgesamt 5 %,<br />

s Dauerwaldbewirtschaftung, kein Kahlschlag,<br />

kein Großschirmschlag,<br />

s Projekt Methusalem: pro ha <strong>Wald</strong> werden<br />

5 Altbäume dem natürlichen Altern<br />

überlassen,<br />

s Belassen von Totholz und gezielte Verschonung<br />

von Sonderstrukturen im Bestand,<br />

s Zielstärke Buche mindestens 60 cm,<br />

s keine Bodenbearbeitung, keine Biozide,<br />

s Bestandsbegründung hauptsächlich<br />

über Naturverjüngung,<br />

s Schutz- und Wiederherstellung von<br />

Feuchtgebieten im <strong>Wald</strong>.<br />

Die Durchsetzung einer naturschutzgerechten<br />

<strong>Wald</strong>nutzung wird jedoch nur<br />

akzeptiert werden, wenn die ökonomischen<br />

und sozialen Aspekte in ausgewogenem Maße<br />

berücksichtigt werden. Hierbei kommen<br />

einer um naturschutzfachliche Kriterien<br />

ergänzten guten fachlichen Praxis zwei Bedeutungen<br />

zu. Zum einen liefert sie einen<br />

Beitrag zur Bestimmung für eine aus Sicht<br />

des Naturschutzes tolerable Landbewirtschaftung.<br />

Zum anderen markiert sie die<br />

Schwelle zur Bemessung und Honorierung<br />

darüber hinausgehender – von der Gesellschaft<br />

immer mehr nachgefragter – ökologischer<br />

Leistungen. Die vom BfN in die<br />

Diskussion gebrachten Kriterienvorschläge<br />

zur guten fachlichen Praxis in der Forstwirtschaft<br />

und darüber hinaus ihre Einbettung<br />

in eine weitere Ausgestaltung der Naturschutzpolitik<br />

im <strong>Wald</strong> bilden einen geeigneten<br />

und wesentlichen Beitrag hierzu. Zum<br />

einen ergibt sich aus der Sozialpflichtigkeit<br />

von Eigentum, dass bestimmte naturschutzfachliche<br />

Mindestanforderungen auf<br />

der gesamten bewirtschafteten <strong>Wald</strong>fläche<br />

Berücksichtigung finden müssen. Neben<br />

der Ausgestaltung des (ordnungs-)rechtlichen<br />

Instrumentariums muss jedoch auch<br />

die Koppelung mit weiterführenden Instrumenten<br />

wie Förderung oder Zertifizierung<br />

fortentwickelt werden.<br />

Naturnah bewirtschaftete <strong>Wald</strong>flächen<br />

(auch ohne gesetzlichen Schutzstatus) können<br />

wichtige Elemente eines großflächigen<br />

Biotopverbundsystems im ländlichen Raum<br />

sein. Die Bedeutung der <strong>Wald</strong>wirtschaft ist<br />

daher auch Gegenstand im »Nationalen<br />

Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland<br />

für die Entwicklung ländlicher Räume<br />

2007-2013«. Darin sind die Wichtigkeit von<br />

<strong>Wald</strong>-Umweltmaßnahmen und die Förderung<br />

nichtproduktiver Investitionen betont,<br />

um die ökonomischen Interessen von Privat-<br />

und Kommunalwald mit Naturschutzbelangen<br />

besser in Einklang bringen zu<br />

können. Beispielsweise können damit Alt-<br />

und Totholzbestände erhalten, entwässerte<br />

<strong>Wald</strong>standorte wieder vernässt sowie eine<br />

naturschutzfachlich bedeutsame Nieder-<br />

und Mittelwaldbewirtschaftung aufrechterhalten<br />

werden. Die naturnahe <strong>Wald</strong>bewirtschaftung<br />

soll einen Beitrag zur Stabilität<br />

der Wälder und ihrer Multifunktionalität<br />

leisten, wozu auch der Umbau von nadelholzbetonten<br />

Wäldern in Laub- oder Mischwälder<br />

dient. Zudem ist die Möglichkeit für<br />

Ausgleichszahlungen für umweltspezifische<br />

Einschränkungen zur Erreichung der Ziele<br />

von Natura 2000 im <strong>Wald</strong> darin eröffnet<br />

worden.<br />

Kreativität und Innovationsfähigkeit<br />

sind auch für den Naturschutz zu wichtigen<br />

Kernkompetenzen geworden. Forstwirtschaft<br />

in Deutschland mit ihrer über<br />

200-jährigen Tradition und Naturschutz mit<br />

seiner über 100-jährigen Tradition werden<br />

sich messen lassen müssen, wie dies bei der<br />

Integration des Schutzes unserer Buchenwälder<br />

eingebracht werden kann und zum<br />

Erreichen des 2010-Ziels der Europäischen<br />

Union »stop the loss of biodiversity« beiträgt.<br />

Dies ist nur in einem gemeinsam getragenen<br />

Ansatz möglich, der der allgemeinen<br />

Biodiversitäts-Konvention zur Entwicklung<br />

nationaler Strategien, Pläne und Programme<br />

zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung<br />

der biologischen Vielfalt sowie deren<br />

Einbeziehung in sektorale und sektorenübergreifende<br />

Programme oder Politiken gerecht<br />

wird. Die 9. Vertragsstaatenkonferenz<br />

des Übereinkommens über die Biologische<br />

Vielfalt wird 2008 in Bonn stattfinden. Dabei<br />

werden auch das <strong>Wald</strong>arbeitsprogramm<br />

und das Schutzgebietsprogramm auf der<br />

Agenda stehen. Von Deutschland als Gastgeberland<br />

dürften (vor allem von Entwicklungsländern)<br />

substanzielle und beispielgebende<br />

Beiträge zu Schutz und nachhaltiger<br />

Nutzung von <strong>Wald</strong>ökosystemen im eigenen<br />

Land erwartet werden.<br />

n<br />

Die Autoren sind Wissenschaftler beim<br />

Bundesamt für Naturschutz.<br />

Holz ist<br />

nimmersatt<br />

Unser <strong>Wald</strong> verschlingt massenweise CO2. Seine<br />

nachhaltige Nutzung und die Verarbeitung von<br />

Fichte, Kiefer, Buche & Co. zu modernen Produkten<br />

ersparen uns schon heute CO2 in einer Größenordnung<br />

von 10 Milliarden Tonnen. Holzverwendung<br />

ist also Klimaschutz pur. Davon können<br />

sich andere Bau- und Werkstoffe eine dicke<br />

Scheibe abschneiden. Fordern Sie jetzt Infos zum<br />

Material des 21. Jahrhunderts an.<br />

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Am Anfang war das Feuerholz. Ein Feuer<br />

entzünden und unterhalten zu können,<br />

war einer der wichtigsten Grundschritte der<br />

menschlichen Entwicklung. Es spendete<br />

Wärme, schützte vor wilden Tieren, machte<br />

die Nahrung bekömmlicher und half,<br />

Ackerboden zu gewinnen. Dies alles wäre<br />

ohne Holz undenkbar gewesen, denn nur<br />

Holz stand in ausreichender Menge überall<br />

zur Verfügung, war leicht und ungefährlich<br />

und hatte eine ausreichende Energiedichte.<br />

So blieb Holz bis tief in das 18. Jahrhundert<br />

hinein der wichtigste Energieträger der<br />

Menschheit.<br />

Dieser Erfolg des Holzes war auch einer<br />

der Gründe für den Verlust seiner Bedeutung<br />

an der Schwelle der Industrialisierung in Europa.<br />

<strong>Der</strong> durch das Bevölkerungswachstum<br />

und die stark wachsende Industrie auftretende<br />

Energiehunger konnte vom <strong>Wald</strong> nicht<br />

mehr befriedigt werden, denn er war, durch<br />

die Jahrhunderte der Übernutzung, arm an<br />

Bäumen. Diese Holzknappheit wog doppelt<br />

schwer, denn Holz war gleichzeitig ein wichtiger<br />

Baustoff. <strong>Der</strong> Mangel an Holz führte zu<br />

zwei grundlegenden Entwicklungen in der<br />

Gesellschaft. <strong>Wald</strong> wurde von nun an von einer<br />

planenden Forstwirtschaft bewirtschaftet,<br />

deren oberster Grundsatz es wurde, nie<br />

mehr zu nutzen als zuwächst. Und Holz wurde<br />

als primärer Energieträger erst von der<br />

Kohle und später von Erdöl, Erdgas und dem<br />

Uran weit gehend verdrängt.<br />

52 proWALD : JULI | 2007<br />

Feuer aus dem <strong>Wald</strong><br />

Aus Kohlendioxid wird Holz und aus<br />

Holz Kohlendioxid. Durch den Einsatz<br />

fossiler Brennstoffe veränderte sich aber<br />

schleichend die Zusammensetzung der<br />

Atmosphäre. Denn Kohle, Erdöl und Erdgas<br />

sind das Konzentrat aus Pflanzen, die vor<br />

Jahrmillionen lebten und dann abstarben.<br />

Während sie lebten, entzogen sie der Atmosphäre<br />

Kohlendioxid. Sie spalteten das Kohlendioxid<br />

in ihren Blättern in Sauerstoff, den<br />

sie wieder an die Atmosphäre abgaben, und<br />

Kohlenstoff, den sie in ihrem Körpergewebe<br />

anlagerten. Er blieb auch nach ihrem Tod<br />

im Boden und sammelte sich in dem, was<br />

wir als fossile Energieträger kennen. Werden<br />

diese jetzt verbrannt, so wird das Kohlendioxid<br />

freigesetzt, das der Luft vor Jahrmillionen<br />

entzogen wurde. Einmal freigesetzt,<br />

wirkt es als Treibhausgas in den höheren<br />

Schichten unserer Atmosphäre wie eine<br />

Käseglocke, die Sonnenstrahlen zur Erwärmung<br />

zwar hereinlässt, aber keine Wärme<br />

mehr hinauslässt. Dieser Effekt führt zur Erwärmung<br />

des Erdklimas.<br />

Verbrennen wir Holz von Bäumen aus<br />

dem <strong>Wald</strong>, so wird ebenfalls Kohlendioxid<br />

freigesetzt. Aber es ist nicht das Kohlendioxid<br />

aus einer sehr alten, sondern aus<br />

unserer jetzigen Atmosphäre. Außerdem<br />

würde es sowieso wieder an die Atmosphäre<br />

abgegeben, denn nach dem natürlichen<br />

Tod des Baumes würde er von Tieren und<br />

Pilzen zersetzt werden. Diese Organismen<br />

von Gernod Bilke und Christian Hohm<br />

verbrennen beim Abbau der Holzsubstanz<br />

den enthaltenen Kohlenstoff enzymatisch<br />

und setzen dabei die gleiche Menge Kohlendioxid<br />

frei, die dieser Baum in einem<br />

wärmenden Feuer freigesetzt hätte. Deshalb<br />

wird Holz als klimaneutraler Brennstoff<br />

bezeichnet.<br />

Es gibt eine klare Hierarchie der Holznutzung.<br />

Holz hat als Brennstoff eine beachtliche<br />

Energiedichte. So hat ein Raummeter<br />

Buchenholz den gleichen Heizwert<br />

wie 200 l Heizöl oder 380 kg Braunkohlebriketts.<br />

Außerdem ist es als Stoff vollkommen<br />

ungefährlich. Denn im Gegensatz zum<br />

Öl schädigt es nicht das Grundwasser und<br />

verseucht nicht den Boden, wenn es damit<br />

in Berührung kommt. Aufgrund dieser Vorteile<br />

könnte man prinzipiell das gesamte,<br />

im <strong>Wald</strong> geerntete Holz als Brennholz nutzen.<br />

Dies hätte aber den entscheidenden<br />

Nachteil, dass man das bereits gespeicherte<br />

Kohlendioxid gleich wieder der Atmosphäre<br />

zuführt. Klimapolitisch ist es viel klüger,<br />

das Holz als Speicher zu nutzen. Denn Holz<br />

ist nicht nur ein Brennstoff, sondern ein<br />

regelrechtes Multitalent, zum Beispiel als<br />

Baustoff. So wird schon heute jedes fünfte<br />

Haus in Deutschland aus Holz gebaut. Aber<br />

auch Möbel, Werkzeuge, Instrumente und<br />

Papier haben im Holz den gleichen Grundstoff.<br />

Selbst Klebstoff, Plastikstühle oder<br />

Handyschalen können aus Holz hergestellt


werden. Auch hier ersetzt Holz die Rohstoffe<br />

Erdöl, Erdgas oder Kohle und senkt so die<br />

Kohlendioxidimmissionen.<br />

Nach seiner Nutzung als Tisch, Balken<br />

oder Zaun kann Holz immer noch verbrannt<br />

werden und so die in ihm gespeicherte Energie<br />

abgeben. Aber aus verbranntem Holz<br />

lässt sich kein Tisch mehr herstellen.<br />

Deshalb gibt es bei der Nutzung von<br />

Holz eine klare Hierarchie. Zuerst wird all<br />

das Holz an einem Baum aufgearbeitet, das<br />

aufgrund seiner Eigenschaften wie Dicke,<br />

Geradschaftigkeit und Inhaltsstoffe für die<br />

Verwendung als Rohstoff geeignet ist. Nur<br />

das Holz, das dann übrig bleibt, sollte gleich<br />

Brennholz werden.<br />

Allerdings muss auch Holz im <strong>Wald</strong><br />

bleiben. <strong>Der</strong> restlosen Nutzung sind Grenzen<br />

gesetzt. Denn Holz enthält zu 50 %<br />

Kohlenstoff und zu weiteren 49 % Wasserstoff<br />

und Sauerstoff. Dies sind alles Stoffe,<br />

die vom Baum jederzeit über die Luft oder<br />

das Wasser im Boden wieder aufgenommen<br />

werden können. Aber etwa 1 % des Holzes<br />

sind Nährelemente wie Stickstoff, Kalium<br />

und Kalzium. Diese werden zwar auch über<br />

die Verwitterung des Bodens nachgeliefert,<br />

aber dieser Prozess läuft sehr langsam ab.<br />

Würde ständig alles nutzbare Holz dem <strong>Wald</strong><br />

entzogen werden, würde der Boden verarmen<br />

und aus Mangel an basischen Nährstoffen<br />

versauern.<br />

Aus diesem Grund belassen die Förster<br />

mit Bedacht Teile von Kronen der Bäume im<br />

<strong>Wald</strong> und nutzen niemals die Stubben oder<br />

gar die Wurzel der Bäume. So wird sichergestellt,<br />

dass die Bodenfruchtbarkeit erhalten<br />

bleibt und auch zukünftig gesunde Wälder<br />

wachsen können.<br />

Aber was ist denn nun eigentlich Energieholz?<br />

Hinter diesem Begriff verbergen<br />

sich vier wichtige Arten des Brennholzes.<br />

Am bekanntesten ist sicherlich das Scheitholz.<br />

Es ist zwischen 20 und 60 cm lang und<br />

wird hergestellt, indem man den Stamm in<br />

Stücke sägt und diese in Scheite spaltet. Verheizt<br />

wird das Scheitholz hauptsächlich in<br />

Kaminöfen. Aber auch in modernen Holzvergaseröfen,<br />

die mit einer Beschickung ein<br />

ganzes Haus einen Tag lang warm halten<br />

können, wird Scheitholz eingesetzt. Scheitholz<br />

ist besonders umweltfreundlich, da zu<br />

seiner Herstellung nur sehr wenig Energie<br />

aufgewendet werden muss.<br />

In größeren Häusern oder in Stallanlagen<br />

wird häufig mit Hackschnitzeln geheizt.<br />

Hackschnitzel werden produziert, indem<br />

man dünnes Holz oder Kronen mit einem<br />

motorgetriebenen Hacker in Stücke von<br />

etwa 2 cm Länge und 0,5 cm Dicke hackt.<br />

Sie können in Silos gelagert werden, und<br />

aufgrund ihrer Homogenität ist ihr Einsatz<br />

in automatisch betriebenen Heizanlagen<br />

möglich.<br />

Sozusagen das Premiumsegment des<br />

Energieholzes stellen die Pellets dar. Pellets<br />

sind kleine zylindrische Presslinge aus<br />

naturbelassenem Holz. Durch ihre geringe<br />

Holzfeuchte und genormte Größe machen<br />

sie es möglich, Heizanlagen mit ihnen zu<br />

betreiben, die in Komfort und Leistung mit<br />

modernen Heizanlagen für Gas oder Öl vergleichbar<br />

sind.<br />

Schlussendlich gibt es noch das Gebrauchtholz.<br />

Hierbei handelt es sich um Holz,<br />

das vormals schon in stofflicher Verwendung<br />

zum Beispiel als Dachstuhl war und nach der<br />

Entsorgung in Großanlagen verbrannt wird.<br />

In diesen Holzheizkraftwerken wird neben<br />

Wärme auch Strom produziert.<br />

Feuer aus dem <strong>Wald</strong> hat noch mehr<br />

Vorteile. Nicht nur, dass Holz beständig in<br />

unseren Wäldern nachwächst und mit geringem<br />

Aufwand naturverträglich geerntet werden<br />

kann, dass es ungiftig, klimaneutral und<br />

praktisch unbegrenzt lagerfähig ist, es wächst<br />

auch noch in fast verwendungsfähigem Zustand<br />

vor unserer Haustür. Es muss nicht<br />

über tausende von Kilometern gepumpt oder<br />

mit dem Schiff transportiert und in aufwendigen<br />

Verfahren aufbereitet werden. Es wird<br />

also keine Energie damit verschwendet, die<br />

Energie selbst zu uns zu bringen.<br />

Auch mit finanziellen Vorteilen kann<br />

das Brennholz aufwarten. Das Heizen mit<br />

Scheitholz ist deutlich billiger als das Heizen<br />

mit Öl oder Gas. <strong>Der</strong> <strong>Wald</strong>besitzer hat<br />

zusätzliche Einnahmen, und es entstehen<br />

Arbeitsplätze, die zur Bereitstellung und im<br />

Verkauf des Brennholzes notwendig sind.<br />

Und das nicht irgendwo, sondern auch direkt<br />

vor der Haustür.<br />

Schließlich: Brennholz als Therapeut<br />

und Medizin? Das ist gar nicht so abwegig,<br />

denn Brennholz kann in der Tat der Gesundheit<br />

und dem seelischen Gleichgewicht<br />

dienen. In der heutigen Gesellschaft werden<br />

in erster Linie drei Dinge beklagt. <strong>Der</strong> große<br />

Abstand zur Natur, der Mangel an körperlicher<br />

Bewegung und dass man im Produktionsprozess<br />

immer mehr virtuelle und<br />

immer weniger handfeste Dinge herstellt.<br />

Ein Kaminofen benötigt durchschnittlich etwa<br />

zwei Raummeter Brennholz im Jahr. Bei<br />

der Aufarbeitung dieser zwei Raummeter<br />

ist man körperlich in der Natur tätig. Man<br />

lernt die Struktur des Holzes, etliche Käfer<br />

und in den Arbeitspausen die Ruhe des <strong>Wald</strong>es<br />

kennen. Und jedes Scheit Holz, das man<br />

in den Kamin wirft, gibt einem das wohlige<br />

Gefühl, dass es mit ihm möglich ist, eines<br />

der Grundbedürfnisse der Familie, das Bedürfnis<br />

nach Wärme, durch eigene Arbeit zu<br />

befriedigen.<br />

Heizen mit Holz heißt also, mit gutem<br />

Gewissen das Richtige zu tun.<br />

n<br />

Die Autoren arbeiten in der Forstabteilung<br />

des MLUV Brandenburg.<br />

Bilder: FVA BW, Gernod Bilke<br />

JULI | 2007 : proWALD 53


Fachbereich Forstwirtschaft der Fachhochschule Eberswalde:<br />

vom <strong>Wald</strong> lernen - für den <strong>Wald</strong> lehren, forschen und handeln<br />

Die Arbeit des Fachbereichs wurzelt in der<br />

langen Tradition der Eberswalder <strong>Wald</strong>wissenschaften<br />

und waldbezogenen Lehre<br />

sowie im Bewusstsein der besonderen ökologischen<br />

und wirtschaftlichen Bedeutung<br />

der <strong>Wald</strong>ökosysteme. Wälder bedecken ein<br />

Drittel der gesamten Landoberfläche der<br />

Erde. Sie gehören zu den komplexesten und<br />

artenreichsten Ökosystemen unseres Planeten.<br />

Die Schwächung und der Verlust der<br />

<strong>Wald</strong>ökosysteme bedeuten eine gravierende<br />

Veränderung der Funktionalität des globalen<br />

Ökosystems. Maßnahmen zur Erhaltung<br />

der Wälder fördern nicht nur in beträchtlichem<br />

Umfang den Klimaschutz, sondern<br />

sind auch zur Bewahrung der biologischen<br />

Vielfalt und vieler wichtiger Ökosystemleistungen<br />

unerlässlich. <strong>Der</strong> beobachtete und<br />

projizierte globale Umweltwandel bedeutet<br />

eine zentrale Herausforderung. Die schnelle<br />

Veränderung der Standortbedingungen<br />

droht, die Anpassungsfähigkeit vieler <strong>Wald</strong>ökosysteme<br />

zu überfordern. Mit dem <strong>Wald</strong><br />

arbeiten, bedeutet seit jeher: Verantwortung<br />

übernehmen für ein langlebiges Ökosystem,<br />

dessen Lebenszyklen den Horizont eines<br />

einzelnen Menschenlebens überschrei-<br />

Und nachhaltige Holznutzung hat vielfältige positive Auswirkungen:<br />

Ökologische Nachhaltigkeit<br />

Fachmännische Pfl egeeingriffe zur Erneuerung und Stabilität des <strong>Wald</strong>es und<br />

zum Schutz der Artenvielfalt, insbesondere mit Blick auf neuartige <strong>Wald</strong>schäden<br />

und Kalamitäten.<br />

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit<br />

Sinnvoll erweiterte Vermarktung des nachwachsenden Rohstoffes Holz im Sinne<br />

des aktiven Klimaschutzes (Holz als Energieträger und „Baumaterial“).<br />

ten. Diese Verantwortung ist die treibende<br />

Motivation für die Eberswalder Lehre und<br />

Forschung, welche inzwischen weit über die<br />

klassische Bewirtschaftung von Forsten hinausreichen.<br />

Vom <strong>Wald</strong> lernen meint: komplex, langfristig<br />

und systemisch denken. Unser<br />

vorrangiges Ziel ist es, zur Lösung wichtiger<br />

gesellschaftlicher Probleme und zu einer<br />

wahrhaft nachhaltigen Entwicklung beizutragen.<br />

Es geht um die Ausbildung von praktisch<br />

erfahrenen und problemlösungsorientierten<br />

Fachleuten, welche den Umgang<br />

mit der Umwelt und den Naturressourcen<br />

als Eingriff in komplexe Systeme verstehen.<br />

<strong>Der</strong> Mensch ist Teil dieser Systeme und muss<br />

im Mittelpunkt jeglicher Strategien stehen.<br />

Wir tragen der Tatsache Rechnung, dass<br />

ein effektives Umwelt- bzw. Ökosystemmanagement<br />

nicht nur die Kenntnis der naturwissenschaftlichen<br />

und technischen Grundlagen<br />

voraussetzt, sondern dass darüber<br />

hinaus vor allem die sozioökonomischen,<br />

rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen<br />

erfolgsbestimmend sind. Ganzheitliches<br />

und offenes Denken sowie trans- bzw.<br />

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interdisziplinäres Handeln sind unerlässlich.<br />

Wir streben an, unseren Studierenden<br />

nicht nur fachliche, methodische und soziale<br />

Kompetenzen zu vermitteln, sondern sie<br />

darüber hinaus auch an die verschiedenen<br />

Segmente des Arbeitsmarktes heranzuführen,<br />

indem sie von Praktikern aus erster<br />

Hand von den Anforderungen in den verschiedensten<br />

Berufen erfahren. Besondere<br />

Bedeutung kommt der institutionellen Vernetzung<br />

und der Internationalisierung zu.<br />

Studiengänge:<br />

Bachelor of Science: Forstwirtschaft, International<br />

Forest Ecosystem Management (mit<br />

Partnern aus dem Bereich der Wirtschaft<br />

und Nichtregierungsorganisationen).<br />

Master of Science: Forest Information Technology<br />

(zusammen mit der Landwirtschaftlichen<br />

Universität Warschau), Global Change<br />

Management (zusammen mit Germanwatch,<br />

GTZ, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung,<br />

Münchener Rück, NABU).<br />

www.fh-eberswalde.de<br />

n<br />

Prof. Pierre Ibisch, Dekan FH Eberswalde<br />

Soziale Nachhaltigkeit<br />

Förderung der privaten <strong>Wald</strong>eigentümer – und der Wertschöpfungskette<br />

Forst & Holz, d.h. Einkommen und Arbeitsplätze insbesondere im<br />

ländlichen Raum.<br />

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54 proWALD : JULI | 2007


Bei der Frage »<strong>Wald</strong> in Berlin?« stellen wir<br />

immer wieder fest: Viele Menschen können<br />

sich <strong>Wald</strong> im Ballungsraum nicht vorstellen.<br />

Ist nicht eigentlich der Tiergarten, sind nicht<br />

im Grunde Parks und Gärten gemeint? <strong>Der</strong><br />

Grunewald heißt doch nur so, ist aber keiner,<br />

oder? Wenn dann auch noch der Förster<br />

ins Spiel kommt, reagieren viele vollends<br />

verständnislos: »Hier? In Berlin? Als Beruf?«<br />

Richtig! Mitten in Berlin. Und nicht nur als<br />

versprengter letzter Mohikaner, sondern in<br />

29 Forstrevieren und vier Forstämtern. Sie<br />

kümmern sich nicht etwa um vereinzelte<br />

Wälder in Randlage, sondern um ein knappes<br />

Fünftel der Stadt. Berliner Wälder liegen<br />

kurz vor Kreuzberg und erreichen fast den<br />

Kudamm. Wie überlebt man aber als Förster<br />

in diesem Umfeld?<br />

Als Vergleich – vielleicht gar als Vorbild?<br />

– kann der Fuchs dienen. Über ihn setzt sich<br />

die Erkenntnis durch, dass er sich als Stadtfuchs<br />

in so ziemlich allen Ballungsräumen<br />

des Kontinents etabliert hat und dass er als<br />

urbaner Mitbewohner ein ganz anderer ist<br />

als seine vermeintlichen Artgenossen auf<br />

dem Lande: Lebensrhythmus und Alltagsgewohnheiten,<br />

Nahrungsspektrum und<br />

Ernährungsstrategien und sogar das Sozialverhalten<br />

haben sich verändert. Er passt sich<br />

an, nutzt Chancen und meidet Fallstricke.<br />

Für Stadtförster empfiehlt sich in vielen<br />

Fällen Ähnliches. Neue Strategien und ergänzende<br />

Kompetenzen sind gefragt. Ganzheitliche<br />

Ansätze und interdisziplinäres Wissen<br />

rund um <strong>Wald</strong> und <strong>Wald</strong>wirtschaft sind<br />

Förster in Berlin<br />

von Marc Franusch<br />

wichtig, klar. Wichtiger noch ist aber das<br />

Reden darüber, Zuhören und der Austausch<br />

mit anderen. Berlin ist ein Schmelztiegel<br />

von Experten. Das sind unter Umständen<br />

Einmischer und Besserwisser, die unsere<br />

Arbeit komplizierter machen. Das können<br />

aber auch Ratgeber und Helfer sein, die die<br />

Qualität unserer Arbeit verbessern.<br />

Kommunikation findet in jedem Fall und<br />

an jedem Tag statt. Wohin auch immer der<br />

Förster sich in seinem <strong>Wald</strong> zurückzieht, er<br />

wird entdeckt werden. Unser Handeln ist<br />

öffentlich und wird wahrgenommen, dafür<br />

müssen wir meist gar nicht sorgen. Es empfiehlt<br />

sich also, unsere Entscheidungen verständlich<br />

zu machen und zu erklären. Das<br />

will gelernt sein. Die Interessengruppen,<br />

denen wir begegnen, könnten unterschiedlicher<br />

nicht sein:<br />

s Besorgte Eltern empfinden es oft als etwas<br />

zu viel Natur (bei aller Liebe), wenn<br />

der Fuchs sein Quartier im Kindergarten<br />

bezieht. Irgendwie gehören diese Tiere<br />

doch genau wie Wildschweine, Waschbären<br />

und Steinmarder dem Förster und<br />

somit in den <strong>Wald</strong>, oder?<br />

s Engagierte Naturschützer haben nicht<br />

immer Verständnis für Baumfällungen<br />

aus Sicherheitsgründen am Siedlungsrand.<br />

s Was bitte ist falsch daran, Gartenabfälle<br />

jeder Art in den nahen <strong>Wald</strong> zu bringen?<br />

Das ist doch Dünger.<br />

s In den Berliner Wäldern tummeln sich<br />

Wildschweine, und wenn wir diese »Be-<br />

drohung« durch Abschuss nicht beseitigen<br />

können, dann gehören doch wenigstens<br />

Warnschilder an die <strong>Wald</strong>eingänge.<br />

Nordamerika macht es bei Puma und<br />

Bär doch vor!<br />

s Außerdem gibt es Radfahrer, die für<br />

Fußgänger nicht bremsen, Hundehalter,<br />

deren 60-Kilo-Vierbeiner mit dem 2-jährigen<br />

Laufradfahrer nur spielen wollen,<br />

Glaubensgemeinschaften, deren Religion<br />

ohne rituelle Feuer in Berlins Wäldern<br />

nicht praktiziert werden kann und,<br />

und, und.<br />

Knapp 50 m² <strong>Wald</strong>fläche hat Berlin pro Kopf.<br />

<strong>Der</strong> Platz reicht nicht, um jedem Interesse,<br />

jedem Bedürfnis seine exklusive Ecke zuzuweisen.<br />

Vieles spielt sich auf ein und derselben<br />

Fläche ab. <strong>Der</strong> Förster muss es richten,<br />

soll Harmonie und Kompromisse organisieren<br />

und soll dabei aber auch das Wohl des<br />

<strong>Wald</strong>es garantieren. Am Ende funktioniert<br />

es meis tens. Oft mit forstlichem, manchmal<br />

aber auch ohne forstliches Eingreifen. Wie<br />

beim Fuchs. Am Ende arrangieren wir uns<br />

miteinander. Seine Aufgabe ist aber vielleicht<br />

auch die leichtere: Auf einen Revierförster<br />

in Berlin kommen etwa 160.000 Menschen,<br />

aber auf einen Fuchs 1800 Bürger.<br />

Das verteilt sich.<br />

n<br />

Marc Franusch ist Pressesprecher<br />

der Berliner Forsten.<br />

Foto: F. Möllers © www.wildesBerlin.de<br />

JULI | 2007 : proWALD 55


Meine 50 Quadratmeter <strong>Wald</strong><br />

I.<br />

Als die Romantiker der deutschen Literatur<br />

begannen, den <strong>Wald</strong> zu verherrlichen und<br />

zu verklären, als Wilhelm Hauffs Reisende<br />

aus dem Wirtshaus im Spessart oder Eichendorffs<br />

Taugenichts durch größtenteils<br />

geheimnisvoll verschattete Wäldern wanderten,<br />

wurden eben diese Wälder gründlich<br />

abgeholzt. Da, wo in der Märchenwelt der<br />

schönen bürgerlichen Literatur des frühen<br />

19. Jahrhunderts nachts zart verschleierte<br />

Elfen auf Lichtungen herumtanzten, schufen<br />

sich bei Tage die energiehungrige Industrie<br />

und die frierenden Stadtmenschen die<br />

notwendigen Kahlschläge. Man brauchte<br />

Platz für Arbeiterquartiere, billigen Platz.<br />

Zuwachs hatte der <strong>Wald</strong> nur noch zwischen<br />

den Buchdeckeln der Literatur. Den<br />

Gegenstand der süßlichen Verklärung ließ<br />

man umsägen. Und während die europäischen<br />

Städte zu Millionenmetropolen<br />

heranwuchsen und sich immer neue und<br />

immer engere, ungesündere und scheußli-<br />

56 proWALD : JULI | 2007<br />

<strong>Der</strong> Großstädter und sein Erholungswald<br />

chere Vorstädte mit Arbeitersiedlungen zulegten,<br />

während das Ruhrgebiet ganze Woiwodschaften<br />

aus Polen aufsog, weil man die<br />

schlechtbezahlten Malocher brauchte, um<br />

Stahlwerke zu betreiben und Kohle zu fördern,<br />

waren die Wälder um die Großstädte<br />

herum den Sägen der frierenden Menschen<br />

längst zum Opfer gefallen. Erst die Steinkohle<br />

erlöste den <strong>Wald</strong> als hauptsächlichen<br />

Energieträger aus seiner Knechtschaft und<br />

ließ die Bäume wieder über das Stadium von<br />

Setzlingen hinauswachsen.<br />

II.<br />

von Hannes Elster<br />

Im Einzelnen ging es natürlich viel differenzierter<br />

zu. In Paris beispielsweise war es die<br />

nach der französische Revolution total verarmte<br />

und frierende Stadtbevölkerung, die<br />

ihren schönen Bois du Boulogne fast vollständig<br />

abholzte. Den Rest erledigten wenig<br />

später die siegreichen russischen und englischen<br />

Truppen 1814. Ursprünglich hatte der<br />

später guillotinierte König Ludwig XVI. seinen<br />

schönen königlichen <strong>Wald</strong> zwischen der<br />

Hauptstadt und Versailles den vornehmeren<br />

Kreisen der Stadtbevölkerung geöffnet. <strong>Der</strong><br />

<strong>Wald</strong> wurde damit zum Spielplatz der Pariser<br />

Oberschicht, Schäferspielplatz.<br />

Es ging auf sorgfältig gepflegten und<br />

gemähten Lichtungen neckisch galant zu.<br />

Frivol vor allem. Man ließ sich bepudert<br />

und mit kostbaren Kleidern und Perücken<br />

in den <strong>Wald</strong> kutschieren. Und wenn jemanden<br />

eine flüchtige Laune überkam, dann<br />

wurde gleich ein ganzer Rosengarten mitten<br />

in eben diesem Bois du Boulogne angelegt.


Beispielsweise dieser Park »Bagatelle«, ein<br />

Flecken mitten im <strong>Wald</strong>.<br />

1777, einen Wimpernschlag vor der<br />

Französischen Revolution in Paris, wettete<br />

Marie Antoinette mit ihrem Schwager, dem<br />

Bruder des Königs, Comte d’Artois, dass der<br />

Graf nicht in der Lage sei, innerhalb von<br />

60 Tagen ein Schloss mitten in den <strong>Wald</strong> hineinzubauen,<br />

fix und sozusagen schlüsselfertig.<br />

Marie Antoinette verlor die Wette, es<br />

entstand nicht nur das Schlösschen Orangerie,<br />

sondern auch ein Park und Rosengarten<br />

um das Schloss herum, eine Bagatelle eben,<br />

versicherte der Graf. Und das alles im englischen<br />

Stil, denn englische Gärten waren gerade<br />

heftig in Mode gekommen. Übrigens ist<br />

Bagatelle – diese Kleinigkeit – bis heute ein<br />

beliebtes Ausflugsziel. Konzerte finden hier<br />

statt, in diesem Jahr eine Serie von Chopin-<br />

Konzerten, und die Anlage erweist sich bis<br />

heute als unverwüstliches Ausflugsziel der<br />

Pariser. <strong>Der</strong> gepflegte Rosengarten mit dem<br />

kleinen Schlösschen ist prachtvoll, nur die<br />

Reitbahn, die ebenfalls seinerzeit angelegt<br />

wurde, besteht heute nicht mehr.<br />

Ganz persönlich hatte die Geschichte<br />

bekanntlich mit Marie-Antoinette und ihrem<br />

Gemahl weniger Erbarmen. Nachdem<br />

60 Jahre später des Königs <strong>Wald</strong> gründlich<br />

verkommen war, legte Napoleon III. hier das<br />

an, was man heute unter dem Bois du Boulogne<br />

versteht. <strong>Der</strong> Neffe des großen Napoleon<br />

hatte sich in seinem Londoner Exil in<br />

den Hyde-Park verliebt, Naherholungsgebiet<br />

für die Londoner und Gartenvorbild für<br />

viele europäische Großstädte des 19. Jahrhunderts.<br />

Napoleon III. ließ also im Bois du<br />

Boulogne einen englischen Park-Garten-<br />

<strong>Wald</strong> durch den Landschaftsarchitekten Jakob<br />

Ignatz Hittorff entwerfen. Es erwies sich<br />

als eine gewaltige Anstrengung.<br />

400.000 Bäume wurden gepflanzt, es entstanden<br />

breite Wege, geradezu Chausseen<br />

zum Flanieren, und – was sein muss, muss<br />

sein – künstliche Wasserflächen. Allerdings<br />

unter erheblichen Mühen, denn die Seen<br />

waren aparterweise am Hang geplant und<br />

liefen zunächst immer hartnäckig wieder<br />

aus. Hittorf verlor seinen Job, ein Ingenieur<br />

nahm sich der Sache mit Erfolg an. Seitdem<br />

gibt es zwei Seen auf Terrassen, den oberen<br />

und den unteren See. 1864 wurde der Bois<br />

du Boulogne für das Publikum wiedereröffnet<br />

und 1929 offiziell in die Stadt Paris eingegliedert.<br />

Seinen redlich erworbenen miserablen<br />

Ruf (früher pflegten sich hier im <strong>Wald</strong> Verbrecher<br />

zu verstecken, er war ein beliebter<br />

Ort für Duelle) hat er auch deshalb gewahrt,<br />

weil sich mit Öffnung des <strong>Wald</strong>es für die Bevölkerung<br />

prompt der Straßenstrich hierhin<br />

verlagerte.<br />

Und noch etwas: Bis heute kämpfen<br />

Bürgerinitiativen darum, dass weder Bodenspekulation<br />

noch Straßenbau an seiner Substanz<br />

herumknabbern. Immerhin erreichten<br />

die Proteste, dass die Autobahn rund um Paris,<br />

die Périphérique, die den Bois du Boulogne<br />

durchschneidet, tiefer gelegt und in<br />

einen Betontrog verbannt wurde.<br />

III.<br />

Auch der Grunewald war einmal königliches<br />

Jagdrevier gewesen und für die schlichten<br />

Bürger Berlins streng verbotenes Gebiet.<br />

Hier ließ der Kurfürst von Brandenburg<br />

1542 sich vom Baumeister Theis ein kleines<br />

Jagdschloss (das Jagdschloss Grunewald am<br />

Grunewaldsee, das soeben frisch renoviert<br />

wurde) errichten.<br />

Bis zum Jahr 1904 blieb der Grunewald<br />

formal das kaiserlich-königliche Jagdrevier<br />

der Hohenzollern zwischen Potsdam und<br />

seinen Schlössern und der späteren Hauptstadt<br />

Berlin. Erst im 20. Jahrhundert wurde<br />

der Grunewald das, was er faktisch schon<br />

längst einige Jahre zuvor geworden war: das<br />

heiß umkämpfte Naherholungsgebiet der<br />

Millionenstadt Berlin. <strong>Der</strong> Grunewald war<br />

nicht irgendein Stück sandiges Land mit<br />

Bäumen drauf – der Grunewald war in den<br />

Augen der Berliner längst zu ihrem <strong>Wald</strong><br />

geworden, auch wenn sie dort eigentlich<br />

nichts zu suchen hatten. Denn seit einigen<br />

Jahrzehnten, nämlich seit 1879, halten hier<br />

Züge. Heute die S-Bahn-Linie 7 nach Potsdam.<br />

Hundekehle hieß der Bahnhof zunächst,<br />

und bezeichnend ist die Entstehungsgeschichte:<br />

<strong>Der</strong> Schienenstrang entstand als<br />

Teil der sogenannten »Kanonenbahn«, der<br />

militärisch wichtigen »Wetzlarer Bahn«.<br />

<strong>Der</strong> Name Hundekehle bezog sich auf das<br />

nahe gelegene Hundekehlefenn, seit 1884<br />

heißt die Haltestelle Grunewald. Ein Tunnel<br />

unter den Bahngleisen (und heute auch<br />

unter der Avus hindurch) führt in den <strong>Wald</strong><br />

hinein. (Eine traurige Berühmtheit erlangte<br />

dieser Bahnhof ab 1941, als von ihm aus<br />

über 50.000 Juden in die Vernichtungslager<br />

im Osten abtransportiert wurden. Heute<br />

erinnert ein Mahnmal an der Rampe zum<br />

Güterbahnhof an diese Schreckenszeit.)<br />

70 Jahre zuvor begannen nun die Berliner,<br />

»ihren« <strong>Wald</strong> in Besitz zu nehmen. Sehr<br />

zum Unwillen der besseren Kreise. Aber der<br />

Druck aus den beengten Innenstadtvierteln<br />

Berlins und den dramatisch wachsenden Arbeitervierteln<br />

mit ihrer drei- und vierfachen<br />

Hinterhofbebauung war viel zu groß, die<br />

Menschen brauchten ein wenig Natur. <strong>Der</strong><br />

Grunewald wurde massenhaftes Wanderziel,<br />

von hier aus konnte man das Ufer der<br />

Havel, und wenn man mit der Kanonenbahn<br />

weiterfuhr, auch den Wannsee erreichen. Allerdings:<br />

Nach wie vor blieb der <strong>Wald</strong> Jagdrevier<br />

ihrer Majestäten.<br />

IV.<br />

Es ist interessant zu sehen, wie der Kampf<br />

um den <strong>Wald</strong> nun weiter verlief. Jeder wollte<br />

was von ihm.<br />

Dass <strong>Wald</strong> gesund ist und hier die Luft<br />

frischer weht als im engen Hinterhof einer<br />

dicht bebauten Großstadt, hatte natürlich<br />

auch die Bodenspekulation schnell herausgefunden.<br />

Ganze Stadtteile schoben sich unaufhörlich<br />

in den Forst hinein. Berühmtestes<br />

Beispiel war die die Villenkolonie Grunewald<br />

von 1889, im Volksmund »Millionärskolonie<br />

Grunewald« genannt.<br />

Es gab heftige Widerstände, auch der<br />

Hof wollte den neureichen Plebs eigentlich<br />

nicht, doch auf persönliche Intervention von<br />

JULI | 2007 : proWALD 57


Reichskanzler Otto von Bismarck verkaufte<br />

der Preußische Staat schließlich 234 Hektar<br />

<strong>Wald</strong> an ein Bankenkonsortium, das sich<br />

zum Ziel gesetzt hatte, nach den Villenkolonien<br />

Alsen und Lichterfelde »ein besonders<br />

prachtvolles und repräsentatives Wohnviertel«<br />

anzulegen. So entstand seit 1889 das<br />

bis heute nobelste Wohnviertel Berlins. Die<br />

Grundstücke, so der Plan und die Realisierung,<br />

waren für heutige Verhältnisse eher<br />

Privatparks als Baugrundstücke. Man hielt<br />

sich das niedere Volk und die Nachbarn vom<br />

Halse.<br />

Nicht genug: Das, was die Geologen<br />

»glaziale Rinnen« nannten, wurde nun im<br />

Interesse der wohlhabenden Siedler zu<br />

künstlichen Seen (Grunewaldseenkette)<br />

weiterentwickelt und aufgefüllt: So entstanden<br />

der Hubertussee (vorher Torffenn),<br />

der Hertasee (vorher Rundes Fenn) und der<br />

Königssee (Langes Fenn). Die neuen Seen<br />

wurden mit artesischem Wasser aufgefüllt,<br />

das übrigens heute knapp wird, wie kürzlich<br />

Berliner Zeitungen berichteten, denn der<br />

Grundwasserspiegel im Grunewald sinkt<br />

kontinuierlich. Damals verschwanden die<br />

unerwünschten Moorgebiete (Fenne), die<br />

man heute als Biotope schützen würde,<br />

seinerzeit hielt man sie für einen Hort von<br />

Krankheitserregern. Es entstanden private<br />

Attraktionen für die neuen Bewohner, deren<br />

Villen und Gärten sich um diese Seen herum<br />

gruppierten.<br />

Keine Wohngegend für jedermann, sondern<br />

für die Schickeria und die Reichen. Aber<br />

auch Intellektuelle zog es nach Grunewald,<br />

beispielsweise die jüdischen Schriftsteller<br />

Walter Benjamin oder Lion Feuchtwanger,<br />

dessen Villa die Nazis 1933 enteigneten. Später<br />

wohnten hier Bonzen des Dritten Reiches<br />

wie Heinrich Himmler.<br />

Aber auch dies: Ohne Widerstand verlief<br />

die erste Besiedlung im ausgehenden<br />

19. Jahrhundert nicht mehr, dazu war das<br />

Selbstbewusstsein der Bürger bereits zu sehr<br />

gewachsen. Die Berliner beobachteten diese<br />

Bodenspekulation, die sie ja um ihren <strong>Wald</strong><br />

beraubte, mit wachsender Empörung. Unterschriftenlisten<br />

gingen herum, es formierte<br />

sich eine Art Naturschutzorganisation. Als<br />

1909 der <strong>Wald</strong>verlust sich in nur einem ein-<br />

58 proWALD : JULI | 2007<br />

zigen Jahr auf 1.800 Hektar summierte, war<br />

das Maß voll. Auf dem »Zweiten Berliner<br />

<strong>Wald</strong>schutztag« 1909 erreichte die Wut der<br />

Bevölkerung ihren neuen Höhepunkt, welche<br />

die Groß-Lichtenfelder Zeitung zu der<br />

Schlagzeile animierte: »<strong>Der</strong> Grunewald ist<br />

dem Verderben geweiht«. Es kam zum sogenannten<br />

»Dauerwaldkaufvertrag«. <strong>Der</strong> kommunale<br />

Zweckverband Großberlin kaufte<br />

dem preußischen Staat erhebliche Wälder<br />

im Umfeld Berlins ab, darunter auch große<br />

Teile des Grunewaldes.<br />

<strong>Der</strong> Abschluss dieses Dauerkaufvertrages<br />

ging eindeutig auf den Druck der ersten<br />

deutschen Umweltbewegung zurück. Die<br />

Berliner hatten sich nun ihren Erholungs-<br />

<strong>Wald</strong> erkämpft.<br />

V.<br />

Was nicht heißt, dass ihr Grunewald unangestastet<br />

blieb. Direkt neben der Bahnlinie<br />

wurde die Avus durch den Grunewald gebaut<br />

– ausgerechnet als Rennstrecke. Heute ist die<br />

Avus Teil des Berliner Autobahnsystems. Am<br />

Havelufer entstand eine prachtvolle Uferstraße,<br />

die <strong>Wald</strong> und Havel bis nach Wannsee<br />

erschloss. Seit Jahren ist sie nun wieder<br />

für den Allgemeinverkehr gesperrt. Man versucht,<br />

die Autos aus dem <strong>Wald</strong> auszusperren.<br />

Man kann hier mit dem Fahrrad eine<br />

nicht endende Kette von Wirtshäusern und<br />

öffentlichen Toiletten abfahren. Beliebtheit<br />

und Allgemeingebrauch haben ihren Preis,<br />

nämlich die Logistikspuren der Massennutzung.<br />

Und überall finden sich die Spuren der<br />

Berliner Geschichte: preußische Schlösser<br />

oder Überreste des letzten Krieges, beispielsweise<br />

der sogenannte Teufelsberg.<br />

Er ist der höchste »Berg« Berlins mit 120 m<br />

über NN und aus dem Trümmerschutt der<br />

Max Liebermanns Villa in der Siedlung Wannsee. Das<br />

Haus ist heute ein Museum mit Liebermanns Werken.<br />

zerbombten Häuser Berlins aufgeschüttet.<br />

Und sofern alte Bäume aus der Vorkriegszeit<br />

noch im <strong>Wald</strong> stehen, ist damit zu rechnen,<br />

dass ihr Holz Bombensplitter enthält, Vorsicht<br />

beim Sägen.<br />

Vor allem während des Kalten Krieges<br />

und dann der Mauerzeit wurde der Erholungsnutzen<br />

des Grunewaldes, der Havel<br />

und des Wannsees zum Mythos für die Berliner:<br />

Hier tankte sich der Durchhaltewillen<br />

wieder auf. <strong>Der</strong> relativ kleine <strong>Wald</strong> mit rund<br />

3.000 Hektar wurde regelrecht von Spaziergängern<br />

und Radfahrern überschwemmt,<br />

man konnte ja sonst nirgends mehr hin. So<br />

wie die Menschen aus »Zilles Miljöh« ursprünglich<br />

während der Kaiserzeit und der<br />

Weimarerzeit den <strong>Wald</strong> und das Wannseebad<br />

für sich erobert hatten, so trieb es jetzt<br />

die »Insulaner« in die raren Fleckchen ihrer<br />

ummauerten Natur. Wehe dem Studenten<br />

der Freien Universität, der sich an <strong>Wald</strong>blumen<br />

verging – er wurde harsch zur Ordnung<br />

gerufen.<br />

Und wie in früherer Zeit zog es die Berliner<br />

in den Grunewald, an die Havel und vor<br />

allem an den Wannsee, wo das gigantische<br />

Wannseebad mit seinem künstlichen Strand<br />

lockte. »Pack die Badehose ein ...« gab die<br />

Stimmung in der geteilten Stadt wieder.<br />

Grunewald und die Seen waren Orte, die<br />

den Schmerz des Eingeschlossenseins vorübergehend<br />

vergessen ließen. <strong>Der</strong> <strong>Wald</strong> hatte<br />

sich demokratisiert.<br />

Heute, nach dem Fall der Mauer, geht es<br />

wieder ein wenig lockerer, stiller zu. Auch<br />

wenn nach wie vor rein mathematisch auf<br />

jeden Berliner nur 50 Quadratmeter <strong>Wald</strong><br />

entfallen, also ungefähr so viel wie die Fläche,<br />

die eine Buche braucht, wenn sie ausgewachsen<br />

ist. Im Grunewald kommt jeder zu<br />

seinem Recht – es gibt Reviere für Hunde, wo<br />

die Vierbeiner den <strong>Wald</strong> als Hundeklo nutzen<br />

dürfen. Radfahrer, Wanderer und Jogger<br />

kommen sich kaum noch in die Quere, da sei<br />

die Besucherlenkung vor. Und dann gibt es<br />

ja auch wieder die unermesslichen großen<br />

Wälder mit ihren vielen Seen rings um Berlin<br />

in Brandenburg. Fontanes Wanderungen<br />

durch die Mark Brandenburg sind wieder<br />

nachvollziehbar geworden.<br />

n<br />

Hannes Elster ist Redakteur von proWALD.


Bundesweite Sponsoren:<br />

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Treffpunkt<br />

proWALD<br />

Magazin des Deutschen <strong>Forstverein</strong>s<br />

Die Partner des Naturathlons danken den Sponsoren.<br />

pfaelzer-kletterer<br />

n proWALD wird herausgeben vom Deutschen <strong>Forstverein</strong> e.V.<br />

und von der ID <strong>Wald</strong> GmbH verlegt, Geschäftsführer Hanno Moldenhauer.<br />

n Redaktion: Hannes Elster (V.i.S.d.P.).<br />

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Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe abzudrucken und falls notwendig zu kürzen.<br />

Redaktionsschluss der September-Ausgabe: 15. August 2007. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2.<br />

Titelbild: Archiv Landesforstverwaltung Baden-Württemberg<br />

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