Bildungsort Familie - Université de Fribourg
Bildungsort Familie - Université de Fribourg
Bildungsort Familie - Université de Fribourg
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<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />
von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Dossier 13/1<br />
Prof. Dr. Margrit Stamm
Talentmanagement<br />
in <strong>de</strong>r beruflichen<br />
Grundbildung<br />
Was wir wissen und wissen sollten, um<br />
die Innovationskraft <strong>de</strong>r Berufsbildung<br />
voranzutreiben<br />
SWISS Education<br />
Swiss Institute for Educational Issues<br />
Prof. Dr. Margrit Stamm<br />
Professorin em. für Erziehungswissenschaft <strong>de</strong>r Universität <strong>Fribourg</strong><br />
Neuengasse 8<br />
CH-3011 Bern<br />
031 311 69 69<br />
margrit.stamm@unifr.ch<br />
www.margritstamm.ch<br />
https://twitter.com/MargritStamm<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Dossier Berufsbildung 12/1<br />
Seite - 2 -
Inhalt<br />
<strong>Familie</strong>, Betreuung und Entwicklung<br />
Seite 3<br />
Vorwort ........................................................................................................................ - 4 -<br />
Management Summary..................................................................................................... 9<br />
Schlüsselbotschaften ...................................................................................................... 13<br />
Briefing Paper 1: <strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong> und Be<strong>de</strong>utung .................................... 17<br />
Briefing Paper 2: Betreuung und För<strong>de</strong>rung inner- und ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> ................ 20<br />
Briefing Paper 3: Das Projekt FRANZ ................................................................................ 23<br />
Briefing Paper 4: Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen und Elterneinstellungen ...... 25<br />
Briefing Paper 5: Betreuungsmuster und ihr Einfluss auf die kindliche Entwicklung .......... 27<br />
Briefing Paper 6: Typische Entwicklungsverläufe ............................................................. 30<br />
Briefing Paper 7: Pädagogische und bildungspolitische Konsequenzen ............................. 33
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite - 4 -
Vorwort<br />
In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat<br />
sich in <strong>de</strong>r Schweiz im<br />
Vorschulbereich viel getan.<br />
Zu nennen sind sowohl<br />
<strong>de</strong>r Ausbau <strong>de</strong>r<br />
Frühför<strong>de</strong>r- und Betreuungsangebote<br />
inklusive<br />
Projekte zur Untersuchung<br />
ihrer Qualität sowie<br />
die im Rahmen von<br />
HarmoS erfolgen<strong>de</strong> Neuregelung <strong>de</strong>r Schuleingangsphase,<br />
welche spätestens ab <strong>de</strong>m Schuljahr<br />
2015/2016 eine Einbindung <strong>de</strong>s zweijährigen<br />
Kin<strong>de</strong>rgartens in die Schulpflicht vorsieht.<br />
Solche Entwicklungen sind Ausdruck neuerer<br />
Forschungserkenntnisse aus <strong>de</strong>n Neurowissenschaften,<br />
<strong>de</strong>r Psychologie und <strong>de</strong>r Erziehungswissenschaft.<br />
Obwohl sie unterschiedliche<br />
Schwerpunkte setzen, haben sie einen doppelten<br />
gemeinsamen Nenner: Erstens erachten sie<br />
die Vorschuljahre <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s als eine Zeit enormen<br />
körperlichen, emotionalen und geistigen<br />
Wachstums, in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r eine ungeheure Kapazität<br />
zum Lernen entwickeln können. Zweitens<br />
betonen sie die notwendigen Grundlagen, welche<br />
hierzu notwendig sind: Kin<strong>de</strong>r brauchen Liebe,<br />
Fürsorge, soziale und emotionale Sicherheit<br />
sowie auch Stimulation <strong>de</strong>rjenigen Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten, welche sie erfolgreich auf <strong>de</strong>n<br />
Schuleintritt vorbereiten.<br />
Die <strong>Familie</strong>, insbeson<strong>de</strong>re die Eltern, spielen in<br />
diesem Entwicklungsprozess eine Schlüsselrolle.<br />
Heute ist vielfach belegt, dass kaum etwas <strong>de</strong>n<br />
Bildungserfolg eines Kin<strong>de</strong>s so <strong>de</strong>utlich vorbestimmt<br />
wie die Sozialisation in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>. 20%<br />
bis 25% <strong>de</strong>r Leistungsunterschie<strong>de</strong> von Schulkin<strong>de</strong>rn<br />
gehen auf häusliche Bedingungen zurück.<br />
Der Faktor <strong>Familie</strong> dürfte <strong>de</strong>shalb die grössere<br />
Rolle spielen als jene Themen, welche in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahren im Zuge hitziger Reform<strong>de</strong>batten<br />
so oft diskutiert wor<strong>de</strong>n sind, etwa die Schulstrukturen<br />
o<strong>de</strong>r die Ausstattung von Schulgebäu<strong>de</strong>n.<br />
Lei<strong>de</strong>r wissen wir bis heute sehr wenig über die<br />
<strong>Familie</strong> selbst, d.h. wie sie ihre Vorschulkin<strong>de</strong>r<br />
för<strong>de</strong>rn, welche Rolle dabei die Betreuung spielt<br />
und welche Ziele die Eltern in ihrer Erziehung<br />
verfolgen. Einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> liegt darin, dass sich<br />
die bisherige frühpädagogische Forschung stark<br />
auf <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung<br />
(Kin<strong>de</strong>rkrippen, Tagesfamilien etc.), auf<br />
die Ausbildung <strong>de</strong>s Personals sowie auf För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />
bildungsbenachteiligter Kin<strong>de</strong>r<br />
konzentriert hat. Deshalb war es erstes Ziel unserer<br />
FRANZ-Studie, einen differenzierten Blick<br />
<strong>Familie</strong>, Betreuung und Entwicklung<br />
Seite 5<br />
auf <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn zu werfen.<br />
FRANZ ist das Kürzel für die Frage: «Früher an<br />
die Bildung – erfolgreicher in die Zukunft?». Geför<strong>de</strong>rt<br />
wur<strong>de</strong> die Studie von <strong>de</strong>r Hamasil-<br />
Stiftung und <strong>de</strong>r AVINA-Stiftung.<br />
FRANZ hat 300 Kin<strong>de</strong>r und ihre <strong>Familie</strong>n während<br />
drei Jahren untersucht. Heute sind wir in<br />
<strong>de</strong>r Lage, folgen<strong>de</strong> Fragen zu beantworten: Wie<br />
haben sich diese Vorschulkin<strong>de</strong>r entwickelt? Wie<br />
wur<strong>de</strong>n sie betreut? Zu Hause von <strong>de</strong>n Eltern,<br />
ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> bei Verwandten, in einer<br />
Kin<strong>de</strong>rtagesstätte o<strong>de</strong>r von Nannys? Welches<br />
sind die Auswirkungen dieser Betreuung auf die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r? Gibt es entwicklungsför<strong>de</strong>rlichere<br />
respektive eher entwicklungshemmen<strong>de</strong><br />
Betreuungsformen? Und: Gibt es<br />
Faktoren, welche eine beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklung<br />
kennzeichnen?<br />
Das vorliegen<strong>de</strong> Dossier fasst die wichtigsten Ergebnisse<br />
von FRANZ zusammen und leitet daraus<br />
pädagogische, bildungs- und sozialpolitische<br />
Konsequenzen und Empfehlungen ab. Vorgängig<br />
wer<strong>de</strong>n jedoch die wichtigsten Erkenntnisse zur<br />
Situation heutiger <strong>Familie</strong>n, zu ihren Konstellationen,<br />
ihrer Be<strong>de</strong>utung und auch zu ihrer Wirkung<br />
dargestellt.<br />
Da die untersuchten Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r FRANZ-Studie<br />
aus vorwiegend bildungsnahen <strong>Familie</strong>n stammen,<br />
sind keine Aussagen zu <strong>Familie</strong>n aus sozial<br />
schwachen Verhältnissen möglich. Zuerst haben<br />
wir diese Einschränkung bedauert. Heute entpuppt<br />
sie sich jedoch als Chance: Aufgrund <strong>de</strong>s<br />
marginalen Wissens zu Mittelschichtfamilien<br />
können wir mit unseren Ergebnissen nicht nur<br />
eine wichtige Lücke schliessen, son<strong>de</strong>rn auch einen<br />
aktuellen Beitrag zur Mittelschicht-Debatte<br />
liefern, wie sie kürzlich von Economie Suisse und<br />
Avenir Suisse lanciert wor<strong>de</strong>n ist. Unsere Ergebnisse<br />
lassen sich jedoch auch als Folie über die<br />
von <strong>de</strong>r OECD vor Weihnachten geübte Kritik an<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>npolitik <strong>de</strong>r Schweiz im Bericht «Closing<br />
the Gen<strong>de</strong>r Gap – Act now» legen und sie<br />
etwas relativieren.<br />
Gerne hoffe ich, dass dieses Dossier wie<strong>de</strong>rum<br />
das Interesse <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n-, Bildungs- und Sozialpolitik<br />
sowie <strong>de</strong>r Ausbildungs- und Berufspraxis<br />
fin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n – aber auch dasjenige interessierter<br />
<strong>Familie</strong>n.<br />
Bern, im Januar 2013<br />
Prof. Dr. em. Margrit Stamm
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong>
Wie Sie dieses Dossier verwen<strong>de</strong>n können<br />
Welche Faktoren bestimmen eigentlich die Entwicklung<br />
eines Kin<strong>de</strong>s? Herzu sind die Meinungen<br />
sehr gespalten. Während die einen davon<br />
ausgehen, dass es die Gene sind, welche die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s weitgehend beeinflussen,<br />
sehen an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Menschen in erster Linie<br />
als Produkt <strong>de</strong>r familiären Erziehung. Aufgrund<br />
<strong>de</strong>s heutigen Forschungsstan<strong>de</strong>s lautet die richtige<br />
Antwort: Ein Teil <strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />
Kin<strong>de</strong>rn ist genetisch, <strong>de</strong>r grössere Teil jedoch<br />
durch die <strong>Familie</strong>, die Betreuungsumwelt und die<br />
kindlichen Persönlichkeitsmerkmale <strong>de</strong>terminiert.<br />
Der Mensch ist somit we<strong>de</strong>r das Opfer seiner<br />
Gene noch <strong>de</strong>r Umwelt. Bei<strong>de</strong> wirken bei <strong>de</strong>r<br />
Entwicklung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s aktiv mit. Dabei üben<br />
auch die Kin<strong>de</strong>r auf ihre <strong>Familie</strong>n einen Einfluss<br />
aus.<br />
Für die Eltern haben solche Erkenntnisse zwei,<br />
beinahe triviale Konsequenzen: erstens, dass die<br />
familiäre Umwelt eine zentrale Rolle bei <strong>de</strong>r<br />
kindlichen Entwicklung spielt; zweitens, dass <strong>de</strong>n<br />
Möglichkeiten, diese zu för<strong>de</strong>rn, auch Grenzen<br />
gesetzt sind. Je<strong>de</strong>s Kind hat sein spezifisches<br />
Merkmalsprofil mit Stärken und Schwächen.<br />
Wenn also etwas in <strong>de</strong>r Erziehung schief läuft,<br />
dann sind nicht die Eltern an allem Schuld. Obwohl<br />
die <strong>Familie</strong> <strong>de</strong>n Schlüsselfaktor für die kindliche<br />
Entwicklung darstellt, gibt es auch an<strong>de</strong>re<br />
Faktoren, welche die kindliche Entwicklung beeinflussen.<br />
Das Gleiche gilt, wenn etwas in <strong>de</strong>r<br />
kindlichen Entwicklung beson<strong>de</strong>rs gut läuft. Eltern<br />
wer<strong>de</strong>n sie nie vollkommen kontrollieren<br />
können, auch dann nicht, wenn sie über ein hohes<br />
ökonomisches Kapital verfügen. Es ist weniger<br />
wichtig, wer sie sind als das, was sie mit ihrem<br />
Kind tun. Aber perfekt können Eltern nicht<br />
sein, ebenso wenig wie ihre Kin<strong>de</strong>r. Deshalb sollte<br />
man eher von ‚hinreichend guten‘ Eltern sprechen.<br />
In diesem Dossier wird aufgezeigt, welches die<br />
Aufwachsbedingungen heutiger Vorschulkin<strong>de</strong>r<br />
sind, welchen Beitrag hierzu ihre <strong>Familie</strong>n leisten,<br />
wie sie sich im Alltag organisieren und welche<br />
Auswirkungen die Betreuung auf die kindliche<br />
Entwicklung hat. Das Dossier basiert auf folgen<strong>de</strong>n<br />
Fragen auf:<br />
Wie gestalten <strong>Familie</strong>n von Vorschulkin<strong>de</strong>rn ihren<br />
Alltag und welche Betreuungsformen wählen<br />
sie?<br />
Wie wirken sich die unterschiedlichen Betreuungsformen<br />
auf die kindliche Entwicklung aus<br />
und wie gestalten sich die Entwicklungsverläufe<br />
<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r?<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 7<br />
Auf welche Einflussfaktoren sind die Unterschie<strong>de</strong><br />
zwischen <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn zurückzuführen?<br />
Welche Kin<strong>de</strong>r zeigen die günstigsten Entwicklungsprofile?<br />
Zunächst wer<strong>de</strong>n in einem Management<br />
Summary die Erkenntnisse zu <strong>de</strong>n behan<strong>de</strong>lten<br />
Fragen kurz erläutert und zu einzelnen<br />
Schlüsselbotschaften verdichtet. Anschliessend<br />
wird in insgesamt sieben «Briefing Papers» das<br />
zur Thematik relevante Wissen in komprimierter<br />
Form zusammengestellt und mit spezifischen<br />
Literaturhinweisen ergänzt. Briefing Paper 1 und<br />
2 präsenteren Erkenntnisse zur Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />
<strong>Familie</strong> für das Aufwachsen eines Kin<strong>de</strong>s in<br />
Bezug auf Betreuung, För<strong>de</strong>rung und familiärem<br />
Alltagsleben. Briefing Paper 3 gibt einen<br />
Überblick über <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r FRANZ-Studie<br />
und die Merkmale <strong>de</strong>r beteiligten Kin<strong>de</strong>r und<br />
ihrer <strong>Familie</strong>n. Die Briefing Papers 4 bis 6<br />
diskutieren die wichtigsten Studienergebnisse.<br />
Zum Abschluss wer<strong>de</strong>n in Briefing Paper 7 die<br />
Erkenntnisse zusamengefasst und daraus sieben<br />
Empfehlungen abgeleitet:<br />
Verstärkte Kenntnisnahme, dass es erziehungskompetente<br />
<strong>Familie</strong>n gibt und es einen differenzierteren<br />
Blick auf <strong>Familie</strong>n, als dies bisher <strong>de</strong>r<br />
Fall war, braucht.<br />
Stärkere Ausrichtung <strong>de</strong>r familienpolitischen Diskussion<br />
auf die grosse Vielfalt und <strong>de</strong>n teilweise<br />
anspruchsvollen Mix <strong>de</strong>r Betreuungsmuster.<br />
Gleichwertigere Anstrengungen zum Ausbau von<br />
<strong>Familie</strong>nbildung/Elternarbeit und familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung.<br />
Schärfung eines neuen Blicks auf die Situation<br />
benachteiligt aufwachsen<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m<br />
Hintergrund <strong>de</strong>r besseren Startchancen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />
aus privilegierteren <strong>Familie</strong>n.<br />
Eingeschränkte Urteile zur Güte von Fremdbetreuung,<br />
weil sie immer unter Einbezug familiärer<br />
Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n müssen.<br />
Berücksichtigung <strong>de</strong>r Heterogenität <strong>de</strong>r kindlichen<br />
Entwicklungsmuster als selbstverständliches<br />
und unhinterfragtes Fundament <strong>de</strong>r pädagogischen<br />
Arbeit in Kin<strong>de</strong>rgarten und Schuleingangsstufe.<br />
Etablierung <strong>de</strong>r ‚Medien im Vorschulbereich‘ als<br />
Thema zur Erziehungs- und För<strong>de</strong>rarbeit in Eltern-<br />
und <strong>Familie</strong>nbegleitung sowie <strong>de</strong>r Aus- und<br />
Weiterbildung in pädagogischen Institutionen.
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 8
Management Summary<br />
<strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong> und Be<strong>de</strong>utung<br />
Der enorme gesellschaftliche Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r letzten<br />
Jahrzehnte hat viele Verän<strong>de</strong>rungen mit<br />
sich gebracht, die auch mit neuen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an <strong>Familie</strong>n einhergehen.<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Briefing Paper 1 Seite 17<br />
Die Verän<strong>de</strong>rungen zeigen sich beispielsweise in<br />
neuen und vielfältigen <strong>Familie</strong>nformen, in <strong>de</strong>r<br />
Abnahme <strong>de</strong>r Anzahl an Geschwistern und <strong>de</strong>r<br />
damit verbun<strong>de</strong>nen Konzentration <strong>de</strong>r Eltern auf<br />
das einzelne Kind.<br />
Nach wie vor kommt <strong>de</strong>n Eltern jedoch die klassische<br />
Aufgabe zu, ihre Kin<strong>de</strong>r zu erziehen und zu<br />
sozialisieren, d.h. sie in die Gesellschaft als Mitglie<strong>de</strong>r<br />
einzuführen. Dabei sind die Eltern in dreifacher<br />
Hinsicht für ihre Kin<strong>de</strong>r als Bezugspersonen<br />
relevant: Eltern als Interaktionspartner, Eltern<br />
als Erziehen<strong>de</strong> und Eltern als Arrangeure<br />
von Entwicklungsgelegenheiten. Grundlage <strong>de</strong>r<br />
Erziehungs- und Sozialisationsarbeit sind die Bindungsbeziehungen.<br />
Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um<br />
starke und innige Beziehungen, die das Kind in<br />
erster Linie zu Mutter und Vater entwickelt.<br />
Selbstverständlich können Kin<strong>de</strong>r jedoch auch in<br />
zu an<strong>de</strong>ren erwachsenen Personen Bindungsbeziehungen<br />
aufbauen. Diese Beziehungen sind<br />
aber an<strong>de</strong>rs als die zu Mutter und Vater. Eine<br />
beson<strong>de</strong>re Rolle im Aufwachsen eines Kin<strong>de</strong>s<br />
spielen seine Geschwister, weil sie insgesamt eine<br />
wichtige Ressource darstellen und sie sich gegenseitig<br />
unterstützen können. Keine Geschwister<br />
zu haben, be<strong>de</strong>utet jedoch nicht, dass Einzelkin<strong>de</strong>r<br />
per se benachteiligt sind. Gera<strong>de</strong> die heutige<br />
Gesellschaftsstruktur kommt Einzelkin<strong>de</strong>rn<br />
sehr entgegen.<br />
Betreuung und För<strong>de</strong>rung inner- und ausserhalb<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />
Das familiäre Umfeld ist auch für die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Intelligenz massgebend. Diese Erkenntnis<br />
ist ein Grund, weshalb <strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>s<br />
Bildungsprozesses heutzutage nicht erst mit<br />
<strong>de</strong>m Schulbesuch, son<strong>de</strong>rn weit früher verortet<br />
wird. Die <strong>Familie</strong> ist <strong>de</strong>shalb zu einem ‚<strong>Bildungsort</strong>‘<br />
gewor<strong>de</strong>n.<br />
Briefing Paper 2 Seite 20<br />
Was die Eltern mit ihrem Kind tun, ist wichtiger<br />
als wer die Eltern sind. Gemeinsame Aktivitäten<br />
haben beispielsweise eine ausschlaggeben<strong>de</strong><br />
Wirkung auf die kindliche Entwicklung. Um die-<br />
Seite 9<br />
sen Aufgaben nachzukommen, ist es nicht zwingend,<br />
dass Mütter ihre Berufstätigkeit aufgeben<br />
und zu Hause bleiben. Auch scha<strong>de</strong>t eine familienergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung <strong>de</strong>m Kind nicht, wenn<br />
es eine gute Bindung an seine Eltern hat.<br />
Mütter, die auch ausserfamiliär berufstätig bleiben,<br />
sind stärker belastet als Väter. Einer <strong>de</strong>r<br />
Grün<strong>de</strong> liegt darin, dass sie <strong>de</strong>utlich mehr Haushaltsarbeit<br />
übernehmen und für die Erziehung<br />
verantwortlich sind, obwohl Väter heute viel<br />
mehr Zeit in ihre Kin<strong>de</strong>r investieren. Im europäischen<br />
Durchschnitt beträgt die Asymmetrie in<br />
<strong>de</strong>r Haus- und Fürsorgearbeit 70:30 zu Ungunsten<br />
<strong>de</strong>r Frauen.<br />
Eltern ermöglichen ihren Kin<strong>de</strong>rn vielfältige Freizeit-<br />
und För<strong>de</strong>raktivitäten in Form von Musikunterricht,<br />
Ballett- o<strong>de</strong>r Tanzunterricht o<strong>de</strong>r Training<br />
in einem Sportverein. Hinter solchen Aktivitäten<br />
steckt dabei oft <strong>de</strong>r Wunsch, <strong>de</strong>m eigenen<br />
Kind beson<strong>de</strong>rs gute – o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st ebenso<br />
gute Bedingungen wie sie das Nachbarskind hat<br />
– vor <strong>de</strong>m Schuleintritt schaffen zu wollen. Der<br />
durchorganisierte und häufig prall gefüllte Tagesablauf<br />
hat oft zur Folge, dass für das freie<br />
Spiel und spontane Kontakte mit Spielkamera<strong>de</strong>n<br />
in <strong>de</strong>r Nachbarschaft jenseits <strong>de</strong>s elterlichen<br />
Einflusses wenig Zeit bleibt.<br />
Bisher wenig untersucht, aber mit Sicherheit<br />
sehr be<strong>de</strong>utsam, sind die Medien. Konsens besteht<br />
dabei darin, dass sie – pädagogisch gut<br />
eingesetzt – <strong>de</strong>n kindlichen Entwicklungsprozess<br />
positiv beeinflussen können.<br />
De Längsschnittstudie FRANZ<br />
Die FRANZ-Studie «Früher an die Bildung – erfolgreicher<br />
in die Zukunft?» erforschte erstmals<br />
in <strong>de</strong>r Schweiz, wie <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />
ihren Alltag gestalten, welche Betreuung<br />
sie wählen und welche Folgen damit auf die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n sind.<br />
Briefing Paper 3 Seite 23<br />
An <strong>de</strong>r Studie teilgenommen haben 309 <strong>Familie</strong>n<br />
mit 150 Mädchen und 159 Knaben, die alle im<br />
Jahr 2006 o<strong>de</strong>r 2007 geboren sind. Die <strong>Familie</strong>n<br />
stammen aus 21 Kantonen: Zürich, Bern, Aargau,<br />
Freiburg, St. Gallen, Luzern, Solothurn, Basel-<br />
Landschaft, Schwyz, Zug, Schaffhausen, Basel-<br />
Stadt, Appenzell Innerrho<strong>de</strong>n, Graubün<strong>de</strong>n, Obwal<strong>de</strong>n,<br />
Thurgau, Waadt, Wallis, Glarus, Appenzell<br />
Ausserrho<strong>de</strong>n und Uri. Die grosse Mehrheit<br />
<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wohnt mit bei<strong>de</strong>n Elternteilen und zu
50% mit einem Geschwister zusammen. Sieben<br />
von zehn Müttern sind berufstätig.<br />
De <strong>Familie</strong>n wur<strong>de</strong>n insgesamt zweimal während<br />
maximal vier Stun<strong>de</strong>n zu Hause besucht und dabei<br />
sowohl die Kin<strong>de</strong>r in Bezug auf ihre sprachliche<br />
und mathematische Entwicklung untersucht<br />
als auch die Eltern zu diversen Aspekten ihres<br />
<strong>Familie</strong>nlebens, ihren Erziehungseinstellungen<br />
sowie zum kindlichen Entwicklungsverlauf befragt.<br />
Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />
und Elterneinstellungen<br />
Die Vorschulzeit <strong>de</strong>r FRANZ-Kin<strong>de</strong>r ist auffallend<br />
stark von gemeinsamen Aktivitäten geprägt<br />
und auch familienexterne För<strong>de</strong>rung ist<br />
verbreitet.<br />
Briefing Paper 4 Seite 25<br />
Gemeinsame <strong>Familie</strong>naktivitäten bestehen in<br />
erster Linie aus Geschichten vorlesen sowie Geschichten<br />
auf Tonträgern gemeinsam anhören,<br />
Singen und Musizieren sowie Aktivitäten im<br />
Freien. Um ihre Kin<strong>de</strong>r zu för<strong>de</strong>rn, unternehmen<br />
die <strong>Familie</strong>n recht viel. Durchschnittlich besucht<br />
ein Kind pro Woche während 1.2 Stun<strong>de</strong>n ein<br />
För<strong>de</strong>rangebot. Die monatlichen Ausgaben belaufen<br />
sich dabei auf 22 Franken, wobei die<br />
Bandbreite enorm ist und zwischen null Franken<br />
und 189 Franken beträgt. För<strong>de</strong>rangebote umfassen<br />
sportliche, motorisch-bewegungsorientierte,<br />
musische, sprachliche o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Bereiche.<br />
Als Medien nutzen die FRANZ-Kin<strong>de</strong>r vor allem<br />
Kassettengeräte, CD- und MP3-Player sowie das<br />
Radio. Ebenfalls – aber seltener – genutzt wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>r Fernseher, <strong>de</strong>r Computer o<strong>de</strong>r die Spielkonsole<br />
etc. Die Nutzungsdauer ist insgesamt<br />
sehr mo<strong>de</strong>rat und beträgt nur in Ausnahmefällen<br />
zwei Stun<strong>de</strong>n und mehr. Auffallend ist dabei, wie<br />
Eltern <strong>de</strong>n Medienkonsum kontrollieren und mit<br />
<strong>de</strong>m Kind besprechen.<br />
Trotz <strong>de</strong>n ausgeprägten familiären Aktivitäten<br />
und För<strong>de</strong>rmassnahmen messen die Eltern <strong>de</strong>r<br />
Schulvorbereitung eine geringere Be<strong>de</strong>utung bei<br />
als <strong>de</strong>m Sozialverhalten und <strong>de</strong>r Anpassungsfähigkeit<br />
ihres Kin<strong>de</strong>s.<br />
Betreuungsmuster und ihr Einfluss auf die<br />
kindliche Entwicklung<br />
Die FRANZ-Studie zeigt: 70% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n<br />
durchschnittlich zwei Tage pro Woche fremdbetreut<br />
und in mehr als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Fälle nicht<br />
nur an einem Ort. Die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />
hat einen mehrheitlich positiven, jedoch<br />
beschei<strong>de</strong>nen Einfluss auf die kindliche<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 10<br />
Entwicklung. Trotz<strong>de</strong>m ist die <strong>Familie</strong> be<strong>de</strong>utsamer.<br />
Briefing Paper 5 Seite 27<br />
Nur je<strong>de</strong> dritte Mittelschichtfamilie betreut ihr<br />
Kind ausschliesslich selbst. Für die meisten Kin<strong>de</strong>r<br />
ist eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung somit<br />
während durchschnittlich zwei Tagen pro Woche<br />
<strong>de</strong>r Normalfall. Trotz<strong>de</strong>m spielt sie eine <strong>de</strong>utlich<br />
kleinere Rolle als die <strong>Familie</strong> selbst. Ihr Einfluss<br />
auf die kindliche Entwicklung ist überragend.<br />
Für die Hälfte <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, die auch ausserhalb<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> betreut wer<strong>de</strong>n, geschieht dies an<br />
mehr als zwei Orten, also beispielsweise neben<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> in einer Krippe, bei <strong>de</strong>n Grosseltern<br />
und bei einer Tagesfamilie. Die häusliche Betreuung<br />
wird dabei mehrheitlich von <strong>de</strong>n Müttern<br />
geleistet und sie tragen auch dann die interne<br />
<strong>Familie</strong>nverantwortung, wenn sie zu 60%<br />
o<strong>de</strong>r mehr berufstätig sind.<br />
Welche Auswirkungen hat die Betreuung auf die<br />
kindliche Entwicklung? Interessanterweise sind<br />
es zwei Gruppen von Kin<strong>de</strong>rn, welche beson<strong>de</strong>rs<br />
fortgeschritten sind: Kin<strong>de</strong>r, die ausschliesslich<br />
zu Hause aufwachsen und solche, die intensiv<br />
fremdbetreut wer<strong>de</strong>n. Erstaunlicherweise ist es<br />
gera<strong>de</strong> diese fremdbetreute Gruppe, welche intellektuell,<br />
sprachlich und mathematisch am<br />
weitesten fortgeschritten ist. Kin<strong>de</strong>r können sich<br />
somit sehr gut entwickeln, auch wenn sie fast die<br />
ganze Woche ausserhalb <strong>de</strong>r Kernfamilie verbringen.<br />
Gleiches gilt jedoch genauso, wenn die<br />
Mutter zu Hause bleibt und sich ausschliesslich<br />
um die Kin<strong>de</strong>r kümmert.<br />
Typische Entwicklungsverläufe<br />
Kombiniert man die sprachliche, mathematische,<br />
intellektuelle und sozial-emotionale Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r mit <strong>Familie</strong>n- und Betreuungsmerkmalen,<br />
so lassen sich vier Entwicklungsmuster<br />
eruieren.<br />
Briefing Paper 6 Seite 29<br />
Anhand einer Clusteranalyse konnten vier Typen<br />
von Entwicklungsverläufen eruiert wer<strong>de</strong>n. Einbezogen<br />
wur<strong>de</strong>n die vier Bereiche Kognition (intellektuelle<br />
Entwicklung), Wortschatz, Mathematik<br />
und Sozialverhalten. Typ 1, «Wenig fremdbetreute<br />
Langsamentwickler», umfasst Kin<strong>de</strong>r, die<br />
intellektuell und sprachlich wenig fortgeschritten<br />
sind. Sie wer<strong>de</strong>n zwar fremdbetreut, jedoch<br />
<strong>de</strong>utlich weniger als an<strong>de</strong>re Kin<strong>de</strong>r. In Typ 2, «Intensiv<br />
fremdbetreute Schnellentwickler» wer<strong>de</strong>n<br />
Kin<strong>de</strong>r zusammengefasst, die Im Vergleich zu allen<br />
an<strong>de</strong>ren Typen fortgeschrittene Entwicklungsverläufe<br />
aufweisen und mehr Zeit in familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung verbringen als alle
an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>r. Typ 3 setzt sich aus «Intensiv<br />
fremdbetreuten Langsamentwicklern» zusammen.<br />
Diese Kin<strong>de</strong>r weisen in allen Entwicklungsbereichen<br />
unterdurchschnittliche Verläufe auf.<br />
Sie wer<strong>de</strong>n am zweithäufigsten fremdbetreut.<br />
Typ 4 kennzeichnet «Ausschliesslich familienintern<br />
betreute Schnellentwickler». Diese Kin<strong>de</strong>r<br />
sind weit fortgeschritten, obwohl ihr Sozialverhalten<br />
(inkl. ihr oppositionell-aggressives Verhalten)<br />
vergleichsweise am wenigsten entwickelt<br />
ist. Im Unterschied zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren drei Typen<br />
wer<strong>de</strong>n diese Kin<strong>de</strong>r am ausgeprägtesten ausschliesslich<br />
familienintern betreut.<br />
Pädagogische und bildungspolitische Konsequenzen<br />
Aus <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r Studie wer<strong>de</strong>n insgesamt<br />
sieben Empfehlungen abgeleitet.<br />
Briefing Paper 7 Seite 32<br />
Empfehlung 1: Erziehungskompetente<br />
<strong>Familie</strong>n<br />
Es sollte verstärkt zur Kenntnis genommen<br />
wer<strong>de</strong>n, dass es erziehungskompetente<br />
<strong>Familie</strong>n gibt. Solche Mo<strong>de</strong>lle sind in <strong>de</strong>r<br />
Diskussion um Frühför<strong>de</strong>rung und <strong>Familie</strong>nverantwortung<br />
ebenso zu thematisieren<br />
wie die Negativmo<strong>de</strong>lle von <strong>Familie</strong>n, <strong>de</strong>nen<br />
dies nicht gelingt.<br />
Empfehlung 2: Unterschiedliche Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />
Die familienpolitische Diskussion sollte verstärkt<br />
verschie<strong>de</strong>ne familiäre Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />
in <strong>de</strong>n Blick nehmen.<br />
Empfehlung 3: Fokus auf <strong>Familie</strong>nbildung<br />
und Elternarbeit<br />
Empfehlung 3a: Der <strong>Familie</strong>nbildung und<br />
Elternarbeit sollte die gleiche Be<strong>de</strong>utung<br />
beigemessen wer<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>m Ausbau familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung.<br />
Empfehlung 3b: Da bildungsnah aufwachsen<strong>de</strong><br />
Kin<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs von ihren familiären<br />
För<strong>de</strong>rbedingungen profitieren, sollte<br />
<strong>Familie</strong>nbegleitung für benachteiligte <strong>Familie</strong>n<br />
systematisch und flächen<strong>de</strong>ckend aufgebaut<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Empfehlung 4: Betreuungsqualität und familiäre<br />
Merkmale<br />
Weil <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser ist als<br />
<strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung, müssen Urteile<br />
zur Qualität und Nützlichkeit von<br />
Fremdbetreuung immer unter Einbezug<br />
familiärer Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Empfehlung 5: Wenn die Heterogenität<br />
selbst innerhalb <strong>de</strong>r untersuchten Gruppe<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 11<br />
<strong>de</strong>r bildungsnah aufwachsen<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r so<br />
gross ist, dann ist sie es erst recht, wenn<br />
man auch die bildungsfernen Kin<strong>de</strong>r einbezieht.<br />
Der Umgang mit Heterogenität muss<br />
<strong>de</strong>shalb noch viel stärker als bis anhin zu<br />
einer unabdingbaren Verpflichtung von<br />
Kin<strong>de</strong>rgarten und Schuleingangsstufe wer<strong>de</strong>n.<br />
Empfehlung 6: Ein guter pädagogischer<br />
Einsatz von Medien in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> kann<br />
sowohl die sprachliche Entwicklung als<br />
auch das Sozialverhalten positiv unterstützen.<br />
Deshalb muss das Thema ‚Medien‘ in<br />
<strong>de</strong>r Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit eine viel<br />
grössere Rolle spielen als bis anhin.
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong>
Schlüsselbotschaften<br />
<strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong> und Be<strong>de</strong>utung<br />
Der gesellschaftliche Wan<strong>de</strong>l bringt neue Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
an <strong>Familie</strong>n mit sich. <strong>Familie</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n für ihre Kin<strong>de</strong>r zum ersten ‚<strong>Bildungsort</strong>‘.<br />
Eltern sind für ihre Kin<strong>de</strong>r zugleich Interaktionspartner,<br />
Erziehen<strong>de</strong> und Arrangeure von<br />
Lern- und Entwicklungsgelegenheiten.<br />
Um eine innige Bindung aufzubauen, sind<br />
Vater und Mutter die wichtigsten Personen<br />
im Leben eines Kin<strong>de</strong>s.<br />
Geschwister spielen in <strong>de</strong>r Entwicklung zwar<br />
eine wichtige Rolle, doch kommt die heutige<br />
Gesellschaftsstruktur auch Einzelkin<strong>de</strong>rn<br />
sehr entgegen.<br />
Betreuung und För<strong>de</strong>rung inner- und ausserhalb<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />
Das familiäre Umfeld ist auch für die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Intelligenz massgebend.<br />
Was Eltern mit ihrem Kind tun, ist viel wichtiger<br />
als wer die Eltern sind.<br />
Mütter, die auch ausserfamiliär berufstätig<br />
bleiben, sind stärker belastet als Väter, weil<br />
sie trotz ausserhäuslicher Berufstätigkeit<br />
<strong>de</strong>utlich mehr Zeit in ihre Kin<strong>de</strong>r investieren.<br />
Die Längsschnittstudie FRANZ<br />
Die FRANZ-Studie erforschte <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>nalltag<br />
von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht,<br />
die Betreuungsmuster und ihre Folgen für<br />
die kindliche Entwicklung.<br />
An <strong>de</strong>r Studie teilgenommen haben 309 <strong>Familie</strong>n<br />
mit 150 Mädchen und 159 Knaben,<br />
die alle im Har 2006 o<strong>de</strong>r 2007 geboren sind.<br />
Die <strong>Familie</strong>n stammen aus 21 Kantonen.<br />
Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />
und Elterneinstellungen<br />
Die Vorschulzeit von Mittelschichtkin<strong>de</strong>rn ist<br />
auffallend stark von gemeinsamen Aktivitäten<br />
und von zusätzlicher För<strong>de</strong>rung geprägt.<br />
Wichtiger als die Schulvorbereitung ist <strong>de</strong>n<br />
Eltern <strong>de</strong>r soziale Umgang ihres Kin<strong>de</strong>s mit<br />
an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rn und Erwachsenen sowie<br />
seine Anpassungsfähigkeit.<br />
Eltern kontrolllieren <strong>de</strong>n Medienkonsum und<br />
besprechen ihn regelmässig mit <strong>de</strong>m Kind.<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 13<br />
Betreuungsmuster und ihr Einfluss auf die<br />
kindliche Entwicklung<br />
70% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n an durchschnittlich<br />
zwei Tagen pro Woche fremdbetreut und in<br />
mehr als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Fälle nicht nur an einem<br />
Ort.<br />
Die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung hat einen<br />
mehrheitlich positiven, jedoch beschei<strong>de</strong>nen<br />
Einfluss auf die kindliche Entwicklung.<br />
Der Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> auf die kindliche<br />
Entwicklung ist überragend.<br />
Typische Entwicklungsverläufe<br />
Im Hinblick auf die kindliche Entwicklung<br />
und das gewählte Betreuungsmuster gibt es<br />
vier Entwicklungstypen.<br />
Zwei Typen zeigen beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklungsmuster:<br />
Die «intensiv fremdbetreuten<br />
Schnellentwickler» und die «ausschliesslich<br />
familienintern betreute Schnellentwickler».<br />
Zwei Typen zeigen eher verlangsamte Entwicklungsmuster:<br />
die «wenig fremdbetreuten<br />
Langsamentwickler» und die «intensiv<br />
fremdbetreuten Langsamentwickler».: Die «<br />
Kin<strong>de</strong>r können sich sehr gut entwickeln,<br />
wenn sie fast die ganze Woche ausserhalb<br />
<strong>de</strong>r Kernfamilie verbringen, aber auch dann,<br />
wenn sie ausschliesslich von <strong>de</strong>r Mutter betreut<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Eine angemessene Schulfähigkeit setzt sich<br />
sowohl aus gut entwickelten Kompetenzen<br />
<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s als auch aus Merkmalen <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />
und <strong>de</strong>r Betreuung zusammen.<br />
Pädagogische und bildungspolitische Konsequenzen<br />
Die Tatsache, dass es auch erziehungskompetente<br />
<strong>Familie</strong>n gibt, ist als Best Practice-<br />
Ansatz genauso zu thematisieren wie <strong>de</strong>r<br />
konstante Verweis auf Negativmo<strong>de</strong>lle von<br />
<strong>Familie</strong>n.<br />
Die familienpolitische Diskussion sollte verstärkt<br />
verschie<strong>de</strong>ne familiäre Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />
in <strong>de</strong>n Blick nehmen.<br />
Der <strong>Familie</strong>nbildung und Elternarbeit sollte<br />
die gleiche Be<strong>de</strong>utung beigemessen wer<strong>de</strong>n<br />
wie <strong>de</strong>m Ausbau familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung.<br />
<strong>Familie</strong>nbegleitung für benachteiligte <strong>Familie</strong>n<br />
ist systematisch und flächen<strong>de</strong>ckend<br />
auf- und auszubauen.
Weil <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser ist als<br />
<strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung, müssen Urteile<br />
zur Qualität und Nützlichkeit von<br />
Fremdbetreuung unter Einbezug familiärer<br />
Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Der Umgang mit Heterogenität muss viel<br />
stärker als bis anhin zu einer unabdingbaren<br />
Verpflichtung von Kin<strong>de</strong>rgarten und<br />
Schuleingangsstufe wer<strong>de</strong>n.<br />
Das Thema ‚Medien‘ muss in <strong>de</strong>r Eltern- und<br />
<strong>Familie</strong>narbeit eine viel grössere Rolle spielen<br />
als bis anhin.<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 14
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />
von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Dossier 13/1<br />
Prof. Dr. Margrit Stamm<br />
Je<strong>de</strong>s Briefing Paper kann als einzelnes Handout kopiert wer<strong>de</strong>n.<br />
Seite 15
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 16
Briefing Paper 1: <strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong><br />
und Be<strong>de</strong>utung<br />
Wir leben in einer Risikogesellschaft. Dieser vom<br />
Soziologen Ulrich Beck geprägte Begriff meint,<br />
dass in unserer hoch entwickelten Gesellschaft<br />
mehr Risiken entstan<strong>de</strong>n sind und laufend entstehen,<br />
als unsere staatlichen Kontrolleinrichtungen<br />
in <strong>de</strong>r Lage sind, zu bewältigen. Dazu gehören<br />
soziale, ökologische, politische, aber auch<br />
individuelle Risiken. Diese Risiken bestimmen<br />
zunehmend unsere Lebensbedingungen. Damit<br />
verbun<strong>de</strong>n ist ein rascher gesellschaftlicher<br />
Wan<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r mit vielen Verän<strong>de</strong>rungen und neuen<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen an Individuen und <strong>Familie</strong>n<br />
einhergeht. Erhöhte Mobilität in <strong>de</strong>r Berufswelt,<br />
steigen<strong>de</strong> berufliche Anfor<strong>de</strong>rungen o<strong>de</strong>r Ängste<br />
um die Sicherheit <strong>de</strong>r Arbeitsplätze, schaffen<br />
auch in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> und <strong>de</strong>r Erziehung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />
Unsicherheiten. Während einerseits heute je<strong>de</strong>r<br />
Mensch <strong>de</strong>utlich höhere Chancen hat, sich selbst<br />
zu verwirklichen und viel mehr Handlungsspielräume<br />
bestehen, fehlen soziale Normen und<br />
Vorgaben, welche Handlungs- und auch Erziehungssicherheit<br />
geben wür<strong>de</strong>n.<br />
Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen an Eltern<br />
Eltern und <strong>Familie</strong>n sehen sich heute somit mit<br />
Lebensbedingungen konfrontiert, die komplex<br />
und teilweise auch wi<strong>de</strong>rsprüchlich sind. Daraus<br />
erwachsen <strong>de</strong>utlich höhere Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen<br />
als dies für je<strong>de</strong> Generation zuvor gegolten<br />
hatte. Vier Grün<strong>de</strong> hierfür stehen im Vor<strong>de</strong>rgrund:<br />
Zunahme <strong>de</strong>r Unsicherheit in <strong>de</strong>r Erziehung:<br />
Der Mehrzahl junger Eltern mangelt es heute<br />
vor <strong>de</strong>r Geburt <strong>de</strong>s ersten Kin<strong>de</strong>s an Erfahrung<br />
im Umgang mit Säuglingen und Kin<strong>de</strong>rn.<br />
Deshalb können sie auch kaum mehr<br />
wissen, welche Probleme es immer schon in<br />
<strong>de</strong>r Erziehung eines Kin<strong>de</strong>s gegeben hat und<br />
folge<strong>de</strong>ssen mit <strong>de</strong>r notwendigen Geduld<br />
und Distanz zu betrachten wären. Dies dürfte<br />
einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> sein, weshalb die Unsicherheit<br />
bei heutigen Eltern zugenommen<br />
hat.<br />
Konzentration auf das einzelne Kind: Weil die<br />
mo<strong>de</strong>rne <strong>Familie</strong> heute nur noch ein bis zwei<br />
Kin<strong>de</strong>r hat, konzentriert sie sich stark auf je<strong>de</strong>s<br />
einzelne. In früheren Generationen bil<strong>de</strong>ten<br />
die Geschwister ein eigenes System in<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> und entlasteten dabei ihre Eltern<br />
in <strong>de</strong>r Betreuungsaufgabe. Die Kin<strong>de</strong>r waren<br />
<strong>de</strong>shalb auch nicht in einem vergleichbaren<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 17<br />
Sinn wie dies heute <strong>de</strong>r Fall ist auf die ständige<br />
Präsenz <strong>de</strong>r Eltern angewiesen.<br />
Fehlen<strong>de</strong> Spielkamera<strong>de</strong>n: Aufgrund <strong>de</strong>s Geburtenrückgangs<br />
fehlen oft Geschwister in<br />
<strong>de</strong>r eigenen <strong>Familie</strong> und Spielkamera<strong>de</strong>n in<br />
<strong>de</strong>r Nachbarschaft. Deshalb müssen Eltern<br />
immer mehr Aktivitäten entwickeln, um ihre<br />
Kin<strong>de</strong>r mit an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rn zusammenzubringen.<br />
Diese «Verinselung» <strong>de</strong>r Kindheit<br />
hat auch zur Folge, dass (nach wie vor die)<br />
Mütter verstärkt zu Transporteurinnen wer<strong>de</strong>n,<br />
aber auch zu Mangerinnen, welche die<br />
Zeitorganisation <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>rjenigen<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> in Übereinstimmung bringen<br />
müssen.<br />
Mehr Fachwissen und mehr Diagnostik: Die<br />
Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen an Eltern haben<br />
aber auch <strong>de</strong>shalb zugenommen, weil Medizin,<br />
Psychologie und Pädagogik heute über<br />
ein viel grösseres Wissen verfügen und ihre<br />
Erkenntnisse in vielen Ratgebern an die Eltern<br />
weitergeben. Ein ausgeklügelter Apparat<br />
an Instrumenten erlaubt heute zu<strong>de</strong>m in<br />
fast allen Fachdisziplinen, differenzierte Diagnosen<br />
zu stellen, Störungen zu i<strong>de</strong>ntifizieren<br />
und diese zu therapieren. Heute haben<br />
min<strong>de</strong>stens 60% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r im Primarschulalter<br />
bereits eine Therapie hinter sich. Min<strong>de</strong>stens<br />
eines von zehn Kin<strong>de</strong>rn war schon in<br />
psychotherapeutischer Behandlung, und<br />
mehr als 10% lei<strong>de</strong>n an Schul- und Prüfungsangst.<br />
Das ist eine problematische Entwicklung,<br />
weil die Suche nach kindlichen Defekten<br />
dadurch übermächtig gewor<strong>de</strong>n und sich die<br />
Vorstellung darüber, was ‚normal‘ ist, lei<strong>de</strong>r<br />
drastisch verän<strong>de</strong>rt hat. Daraus ist eine gefährliche<br />
Situation entstan<strong>de</strong>n, welche in<br />
Leistungsüberfor<strong>de</strong>rungen umkippen könnte<br />
und zwar sowohl <strong>de</strong>r Eltern als auch <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r.<br />
Die <strong>Familie</strong>, ihre Beziehungen und Aufgaben<br />
Heute gibt es sehr vielfältige <strong>Familie</strong>nformen<br />
und auch Muster von Elternschaft. Diese gilt als<br />
einzige <strong>de</strong>r menschlichen Beziehungen, die nicht<br />
kündbar ist. Insgesamt hat sich die <strong>Familie</strong> –<br />
trotz <strong>de</strong>s rasanten gesellschaftlichen Wan<strong>de</strong>ls –<br />
als zeitstabiles soziales Beziehungssystem erwiesen,<br />
das gegenüber alternativen Lebensformen<br />
noch immer bevorzugt wird.
Unterschei<strong>de</strong>n kann man neben <strong>de</strong>m klassischen<br />
Ernährer-Versorger-Mo<strong>de</strong>ll, in welchem <strong>de</strong>r<br />
Mann die alleinige Verantwortung für die finanzielleVersorgung<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> hat, das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s<br />
partnerschaftlichen Ernährers plus Erziehers sowie<br />
das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Hausmannes, <strong>de</strong>r die Rolle<br />
mit <strong>de</strong>r Mutter tauscht. Aktuell sind es etwa 37%<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n mit kleinen Kin<strong>de</strong>rn, die <strong>de</strong>m ersten<br />
Mo<strong>de</strong>ll entsprechen und 12%, welche ein egalitäres<br />
Mo<strong>de</strong>ll leben. 3.6% <strong>de</strong>r Väter sind als<br />
Hausmänner tätig.<br />
Der Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n kommt auch in <strong>de</strong>r<br />
steigen<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nz zu Scheidungen und Trennungen<br />
sowie zu neuen Erziehungs- und Wertvorstellungen<br />
zum Ausdruck. In <strong>de</strong>r Schweiz haben<br />
die Heiraten seit zehn Jahren ständig zugenommen.<br />
Die Anzahl Heiraten je 1000 Einwohner<br />
betrug im Jahr 2011 5.3 Personen. Bei <strong>de</strong>n<br />
Scheidungen lässt sich eine Abnahme feststellen.<br />
Die Scheidungsziffer erreichte im Jahr 2011 eine<br />
Quote von 54.4%, im Jahr 2011 nur noch von<br />
43.2%. Nach <strong>Familie</strong>nform aufgeteilt kann davon<br />
ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass etwa 84% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />
in intakten <strong>Familie</strong>n aufwachsen, ca. 11% bei Vater<br />
o<strong>de</strong>r Mutter und etwa 5% in Patchwork- o<strong>de</strong>r<br />
Stieffamilien.<br />
Die Dreifachaufgabe <strong>de</strong>r Eltern<br />
Die zentrale Aufgabe <strong>de</strong>r Eltern ist die Erziehung<br />
und Sozialisation ihrer Kin<strong>de</strong>r, d.h. das Mitglied-<br />
Wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Gesellschaft. Dabei sind die Eltern<br />
in dreifacher Hinsicht als Bezugspersonen für ihre<br />
Kin<strong>de</strong>r relevant: Eltern als Interaktionspartner,<br />
Eltern als Erziehen<strong>de</strong> und Eltern als Arrangeure<br />
von Entwicklungsgelegenheiten.<br />
Eltern als Interaktionspartner: Zunächst sind<br />
Eltern für ihre Kin<strong>de</strong>r Interaktionspartner. Interaktionen<br />
geschehen dabei ohne bewusste<br />
erzieherische Absichten. Dazu gehört beispielsweise,<br />
wie Eltern auf ihr Kind eingehen,<br />
wie sie es lenken und leiten, wie sie mit ihm<br />
sprechen und es trösten o<strong>de</strong>r ermuntern. All<br />
diese Aspekte haben früh schon Einfluss auf<br />
die Qualität <strong>de</strong>r Bindungserfahrungen <strong>de</strong>s<br />
Kin<strong>de</strong>s. Zu berücksichtigen ist allerdings,<br />
dass dabei nicht nur die Eltern, son<strong>de</strong>rn auch<br />
Kontextfaktoren (familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung,<br />
Verwandte, <strong>Familie</strong>nsituation, Elternpersönlichkeit<br />
etc.) eine Rolle spielen,<br />
aber auch kindliche Temperamentsmerkmale.<br />
Eltern als Erzieher: Eltern verbin<strong>de</strong>n jedoch<br />
mit ihrem Verhalten auch eine erzieherische<br />
Absicht. Ihre Handlungen können sich auf<br />
die kindlichen Verhaltensweisen konzentrieren<br />
(Tischmanieren, Aggressionen etc.) o<strong>de</strong>r<br />
auf die Einhaltung von Normen und Werte<br />
(z.B. das Befolgen von Regeln). Das erziehe-<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 18<br />
rische Metho<strong>de</strong>nrepertoire ist sehr breit und<br />
umfasst Entwicklungsanregungen (Zeigen,<br />
Vormachen, Erklären, etc.) bis zu Bemühungen,<br />
bestimmte Verhaltensweisen zu festigen<br />
(z.B. Loben, Belohnen, sich freuen etc.).<br />
Eltern als Arrangeure von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten:<br />
Diese dritte Funktion<br />
betrifft die Möglichkeiten, welche die Eltern<br />
<strong>de</strong>m Kind schaffen und die es eigenständig<br />
nutzen kann. Solche Entwicklungsmöglichkeiten<br />
müssen jedoch mit Bedacht ausgewählt<br />
und an <strong>de</strong>n kindlichen Entwicklungsstand<br />
angepasst wer<strong>de</strong>n. Beispielsweise sind<br />
nicht alle Spielzeuge, För<strong>de</strong>rangebote o<strong>de</strong>r<br />
Medien bereits dann angemessen, wenn sie<br />
als ‚mo<strong>de</strong>rn‘ gelten und die Nachbarn diese<br />
auch nutzen. Die Schaffung von Entwicklungsmöglichkeiten<br />
beinhaltet somit ebenfalls<br />
die Ausschaltung von schädlichen Einflüssen.<br />
Solche führen<strong>de</strong>n, anleiten<strong>de</strong>n und<br />
überwachen<strong>de</strong>n Elemente wer<strong>de</strong>n unter<br />
<strong>de</strong>m Begriff «Elternmonitoring» zusammengefasst.<br />
Die Be<strong>de</strong>utung von Bindungsbeziehungen<br />
im Vorschulalter<br />
Je<strong>de</strong>s Kind macht ab Geburt Beziehungserfahrungen.<br />
Im Mittelpunkt stehen seine Bindungsbeziehungen<br />
in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>. Dabei han<strong>de</strong>lt es<br />
sich um starke und innige Beziehungen, die das<br />
Kind meist zu seinen Eltern entwickelt. Aus einer<br />
sicheren Bindungsbeziehung kann ein Kind emotionale<br />
Sicherheit gewinnen sowie Neugier und<br />
Lust am Erkun<strong>de</strong>n und an neuen Erfahrungen<br />
entwickeln. Kin<strong>de</strong>r, welche unsichere Bindungsbeziehungen<br />
haben, können nicht auf solche<br />
Ressourcen zurückgreifen, son<strong>de</strong>rn müssen eigene<br />
Bewältigungsmuster entwickeln. Dies kann<br />
zu Überfor<strong>de</strong>rung und emotionaler Unausgeglichenheit<br />
führen.<br />
Es fragt sich somit, ob die Weichenstellung für<br />
sichere Bindungserfahrungen in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />
liegt? Die Antwort lautet: Ja, die innerfamilialen<br />
Beziehungen sind die fundamentalsten. Trotz<strong>de</strong>m<br />
können Kin<strong>de</strong>r auch zu an<strong>de</strong>ren erwachsenen<br />
Personen Bindungsbeziehungen aufbauen,<br />
beispielsweise zu <strong>de</strong>n Grosseltern o<strong>de</strong>r zu einer<br />
Tagesmutter. Solche BIndungsbeziehungen können<br />
gera<strong>de</strong> dort kompensatorisch wirken, wo die<br />
<strong>Familie</strong> diese Aufgabe nicht in ausreichen<strong>de</strong>m<br />
Mass übernehmen kann. Diese Beziehungen sind<br />
aber an<strong>de</strong>rs als die zu Mutter und Vater.<br />
Man unterschei<strong>de</strong>t zwischen einer Mutter-Kind-<br />
Beziehung und einer Vater-Kind-Beziehung. Die<br />
Mutter-Kind-Beziehung – die ursprüngliche<br />
Dya<strong>de</strong> – steht im Zentrum <strong>de</strong>r bisherigen Forschung.<br />
Erst in jüngerer Zeit ist die Vater-Kind-<br />
Beziehung stärker ins Blickfeld gerückt. Heute
wissen wir, dass sich Mütter und Väter gleichermassen<br />
für die Pflege, Erziehung und Bildung ihres<br />
Kin<strong>de</strong>s eignen. Trotz<strong>de</strong>m unterschei<strong>de</strong>n sich<br />
die Eltern in <strong>de</strong>r Art und Weise ihrer Interaktion<br />
mit <strong>de</strong>m Kind. So können Väter ihr Kind bei<br />
Kummer genauso feinfühlig trösten wie Mütter,<br />
aber sie spielen mit ihm an<strong>de</strong>rs, d.h. herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r,<br />
erfin<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r neue Spiele, tollen<br />
mit ihm mehr herum und sind in Reinlichkeits-<br />
und Ordnungsstandards grosszügiger.<br />
Mütter sind konventioneller, vorsichtiger und<br />
angetan, <strong>de</strong>m Kind bei <strong>de</strong>r Regulation seiner inneren<br />
Gefühlswelt zu helfen.<br />
Einzelkin<strong>de</strong>r und Kin<strong>de</strong>r mit Geschwistern<br />
Allgemein wird <strong>de</strong>r Geschwisterbeziehung n <strong>de</strong>r<br />
<strong>Familie</strong>nforschung eine grosse Be<strong>de</strong>utung beigemessen,<br />
han<strong>de</strong>lt es sich doch um die dauerhafteste<br />
Beziehung überhaupt. Eltern sterben,<br />
Geschwister bleiben. Man kann zu Geschwistern<br />
nicht keine Beziehung haben. Frick (2006) bezeichnet<br />
das Zusammenleben mit Geschwistern<br />
sogar als eine Art Trainingslager, in <strong>de</strong>m man die<br />
eigene Persönlichkeits- und Sozialentwicklung<br />
trainieren kann.<br />
Die Forschungsergebnisse zur Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />
Stellung in <strong>de</strong>r Geschwisterreihe sind sehr unterschiedlich.<br />
Während die einen davon ausgehen,<br />
dass Erstgeborene beson<strong>de</strong>rs privilegiert seien<br />
und die besten Entwicklungsbedingungen hätten<br />
(weil die Eltern mehr Zeit für sie aufwen<strong>de</strong>n),<br />
vertreten an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Standpunkt, dass gera<strong>de</strong><br />
Erstgeborene unter <strong>de</strong>r Unerfahrenheit <strong>de</strong>r Eltern<br />
als Erziehen<strong>de</strong> lei<strong>de</strong>n, jüngere Geschwister<br />
jedoch davon profitieren könnten. Sicher ist,<br />
dass je<strong>de</strong> Geschwisterposition Vor- als auch<br />
Nachteile hat, Geschwister insgesamt jedoch ei-<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 19<br />
ne wichtige Ressource darstellen, weil sie sich<br />
gegenseitig unterstützen können.<br />
Wie sieht es mit Einzelkin<strong>de</strong>rn aus? Im Allgemeinen<br />
bestehen hierzu viele Vorurteile – etwa,<br />
dass sie verwöhnt, unangepasst und einsam seien.<br />
Solche Vorurteile sind sie jedoch von <strong>de</strong>r<br />
Forschung weitgehend wi<strong>de</strong>rlegt wor<strong>de</strong>n. Nur<br />
sind sie noch nicht bis in die Alltagsdiskussion<br />
vorgedrungen. Beispielsweise kommt <strong>de</strong>m Einzelkind<br />
die sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Gesellschaft zugute.<br />
Das mag zwar etwas paradox klingen, doch sind<br />
es gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r durchorganisierte <strong>Familie</strong>nalltag,<br />
die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung inklusive die<br />
Berufstätigkeit bei<strong>de</strong>r Eltern, welche häufig dazu<br />
beitragen, dass Einzelkin<strong>de</strong>r im Durchschnitt<br />
nicht einsamer als Geschwisterkin<strong>de</strong>r sind. Es ist<br />
<strong>de</strong>shalb wenig erstaunlich, wenn im Vergleich<br />
mit ihnen Einzelkin<strong>de</strong>r oft gleich viele Freun<strong>de</strong><br />
und Freundinnen haben und insgesamt sogar als<br />
etwas extravertierter beurteilt wer<strong>de</strong>n. Da sie<br />
zu<strong>de</strong>m viel Aufmerksamkeit von ihren Eltern erhalten,<br />
haben sie häufig ein gutes Selbstvertrauen<br />
und sind auch kognitiv, vor allem sprachlich,<br />
akzeleriert entwickelt. Vielleicht gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb<br />
haben Einzelkin<strong>de</strong>r oft in Situationen Mühe, in<br />
<strong>de</strong>nen sie nicht im Mittelpunkt stehen.<br />
Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />
Bürgisser, M. & Baumgarten, D. (2006). Kin<strong>de</strong>r in<br />
unterschiedlichen <strong>Familie</strong>nformen. Chur/Zürich:<br />
Rüegger.<br />
Frick, J. (2006). Ich mag dich – du nervst mich!<br />
Geschwister und ihre Be<strong>de</strong>utung für das Leben.<br />
Bern: Verlag Hans Huber.<br />
Nave-Herz, R. (2012). <strong>Familie</strong>n heute. Darmstadt:<br />
Primus.
Briefing Paper 2: Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />
inner- und ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />
Dass das familiäre Umfeld eine massgebliche<br />
Ursache für eine nachhaltige kindliche Entwicklung<br />
darstellt, gilt nicht nur für die Entwicklung<br />
von Bindungsbeziehungen, son<strong>de</strong>rn auch für die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Intelligenz. Hat man früher gedacht,<br />
diese könne <strong>de</strong>r Schule überlassen wer<strong>de</strong>n,<br />
weil Kleinkin<strong>de</strong>r kognitiv noch nicht geför<strong>de</strong>rt<br />
wer<strong>de</strong>n könnten, so wissen wir heute, dass<br />
bereits ganz kleine Kin<strong>de</strong>r zu erstaunlichen<br />
Denkleistungen fähig sind.<br />
Diese Erkenntnis ist ein Grund, weshalb <strong>de</strong>r Beginn<br />
<strong>de</strong>s Bildungsprozesses heutzutage nicht<br />
erst mit <strong>de</strong>m Schulbesuch, son<strong>de</strong>rn biografisch<br />
weit früher verortet wird. Deshalb wer<strong>de</strong>n bisher<br />
auf die Schule übertragene Leistungen verstärkt<br />
im Vorschulbereich angesie<strong>de</strong>lt und in<br />
diesem Zusammenhang die familiale Leistung<br />
re<strong>de</strong>finiert und zwar <strong>de</strong>rart, dass von <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n<br />
mehr Unterstützungsleistungen gefor<strong>de</strong>rt<br />
wer<strong>de</strong>n. So erwartet man heute von <strong>Familie</strong>n<br />
mehr als nur die Bereitstellung von Motivation<br />
und allgemeinen Fertigkeiten. Die <strong>Familie</strong> wird<br />
zum strategischen Lernort, zum ‚<strong>Bildungsort</strong>‘,<br />
<strong>de</strong>r – so Forschung und Bildungspolitik – stärker<br />
zu nutzen sei.<br />
Eltern sind insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r frühkindlichen<br />
Phase wichtige Akteure, damit ihre Kin<strong>de</strong>r<br />
Lernerfahrungen machen können. Solche Erfahrungen<br />
sind in <strong>de</strong>n ersten Lebensjahren stark<br />
mit Selbsterfahrung, Verhalten und Umgebungswahrnehmung<br />
verknüpft. Vorschulkindheit<br />
ist <strong>de</strong>shalb weit mehr als nur Vorbereitungszeit<br />
für die Schule, son<strong>de</strong>rn auch eine Zeit,<br />
in <strong>de</strong>r ein Schatz an vielfältigen Lern- und damit<br />
auchBildungsmöglichkeiten freigelegt wird. Ob<br />
und wie Eltern Neugier, Wissensdrang und Ent<strong>de</strong>ckungslust<br />
beim Kind anregen und för<strong>de</strong>rn, ist<br />
zentral, ob ihr Kind überhaupt ein Bildungsinteresse<br />
entwickeln kann und damit gut für <strong>de</strong>n<br />
Schuleintritt gerüstet ist.<br />
Was die Eltern mit ihrem Kind tun, ist viel wichtiger,<br />
als wer die Eltern sind. Also ist es nicht in<br />
erster Linie das ökonomische Kapital, über das<br />
sie verfügen, son<strong>de</strong>rn das kulturelle Kapital. Dazu<br />
gehören beispielsweise Bücher vorlesen, mit<br />
<strong>de</strong>m Kind spielen, Lie<strong>de</strong>r singen, Reime aufsagen,<br />
mit ihm kochen, in <strong>de</strong>n Wald gehen, Museen<br />
besuchen o<strong>de</strong>r mit ihm basteln. Solche gemeinsamen<br />
Aktivitäten haben eine ausschlaggeben<strong>de</strong><br />
Wirkung auf die kindliche Entwicklung,<br />
weil Eltern damit nicht nur die Betätigung aller<br />
kindlichen Sinnesorgane herausfor<strong>de</strong>rn, son-<br />
Seite 20<br />
<strong>de</strong>rn gleichzeitig als Mo<strong>de</strong>lle wirken und <strong>de</strong>n<br />
Kin<strong>de</strong>rn implizit Werte und Motive mit auf <strong>de</strong>n<br />
Weg geben.<br />
Mütterliche Erwerbstätigkeit und ihre<br />
Auswirkungen<br />
Seit <strong>de</strong>n 1970er Jahren ist in allen westlichen<br />
Industrielän<strong>de</strong>rn ein Anstieg <strong>de</strong>r Berufstätigkeit<br />
von Müttern zu verzeichnen. So waren beispielsweise<br />
in <strong>de</strong>r Schweiz im Jahr 1992 43.5%<br />
<strong>de</strong>r Mütter mit Partner und sechsjährigen Kin<strong>de</strong>rn<br />
berufstätig gewesen. Bis 2011 stieg die Anzahl<br />
auf 69.2%. Heute nutzen insgesamt 51.9%<br />
<strong>de</strong>r Paarhaushalte und 69.9% <strong>de</strong>r Einelternhaushalte<br />
mit Kin<strong>de</strong>rn unter sechs Jahren eine<br />
familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung.<br />
Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Berufstätigkeit von<br />
Müttern taucht seit vielen Jahrzehnten immer<br />
wie<strong>de</strong>r die Frage auf, ob eine solche Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />
scha<strong>de</strong>t. Hierzu gibt es eine Flut von wissenschaftlichen<br />
Abhandlungen 1 , die zu unterschiedlichen<br />
Ergebnissen kommen. Man kann sie etwa<br />
wie folgt zusammenfassen: Zusammengenommen<br />
scha<strong>de</strong>t eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung in<br />
Form einer Krippe o<strong>de</strong>r einer Tagesfamilie <strong>de</strong>m<br />
Kind nicht, aber sie kann ein Risiko sein – nicht<br />
mehr und nicht weniger. Kin<strong>de</strong>r, die sicher an ihre<br />
Eltern gebun<strong>de</strong>n sind, ein Urvertrauen entwickelt<br />
haben und sorgfältig eingewöhnt wur<strong>de</strong>n, lei<strong>de</strong>n<br />
kaum an einer zeitweiligen Abwesenheit <strong>de</strong>r Mutter<br />
(und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vaters, wenn die <strong>Familie</strong> alternative<br />
familieninterne Betreuungsformen wählt).<br />
Wenn die ausserhäusliche Betreuung qualitativ<br />
gut ist und nicht zu häufig wechselt, dann können<br />
Kleinkin<strong>de</strong>r von ihr profitieren. Drei Faktoren<br />
spielen dabei eine wichtige Rolle:<br />
Die Qualität: Je schlechter diese ist, <strong>de</strong>sto<br />
grösser ist die Chance, dass Kin<strong>de</strong>r Verhaltensschwierigkeiten<br />
zeigen. Gegenteilig gilt,<br />
dass Kin<strong>de</strong>r von guten Fremdbetreuungen gera<strong>de</strong><br />
in Bereichen wie Kooperationsfähigkeit<br />
und soziale Integration beson<strong>de</strong>rs profitieren<br />
können.<br />
Intensität und Zeitpunkt: Wann ein Kind<br />
erstmals in eine Fremdbetreuung gegeben<br />
wird und wie intensiv dies geschieht, spielt<br />
eine Rolle. Beson<strong>de</strong>rs frühe und beson<strong>de</strong>rs<br />
1<br />
Z.B. die NICHD-Studie, die EPPE-Studie, Studien von<br />
Loeb o<strong>de</strong>r Ahnert etc., die alle im FRANZ-<br />
Schlussbericht (Stamm et al., 2013) besprochen wer<strong>de</strong>n.<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht
intensive Fremdbetreuung kann mit erhöhten<br />
Verhaltensproblemen einhergehen.<br />
Typ und Konstanz: Welche familienergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung gewählt wird, macht einen<br />
Unterschied: Im Allgemeinen scheinen KIn<strong>de</strong>rkrippen<br />
für die sprachliche und mathematische<br />
Entwicklung etwas för<strong>de</strong>rlicher zu<br />
sein als Tagespflege. Ähnliches gilt für die<br />
kognitive Entwicklung. Nimmt man allerdings<br />
das Bindungsverhalten sowie die sozial-emotionale<br />
Entwicklung in <strong>de</strong>n Blick, so<br />
scheint eine Betreuungsstruktur, die mit Tagespflegeangeboten<br />
startet und später von<br />
Krippenbetreuung abgelöst wird, als beson<strong>de</strong>rs<br />
för<strong>de</strong>rlich. Die Konstanz spielt ebenfalls<br />
eine Rolle. Kin<strong>de</strong>r, welche die Betreuungsform<br />
selten wechseln und eine stabile Beziehung<br />
zu einer Betreuungsperson aufbauen,<br />
können im Allgemeinen bessere kognitive,<br />
sprachliche und auch sozial-emotionale<br />
Fähigkeiten entwickeln.<br />
Vielfalt an Betreuungsmustern: Die Vielfalt<br />
scheint kaum be<strong>de</strong>utsam, konnte doch die<br />
Forschung bis anhin keine Auswirkungen auf<br />
die kognitive Entwicklung feststellen.<br />
Durchgehend am be<strong>de</strong>utsamsten ist jedoch die<br />
die Art und Weise, wie die Mutter auf die Bedürfnisse<br />
<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s emotional reagiert. Die<br />
Forschung spricht dabei von mütterlicher Sensibilität<br />
und Feinfühligkeit. Sie ist das Herzstück<br />
<strong>de</strong>r gesamten Entwicklung und wichtiger als jegliche<br />
familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung, sowohl im<br />
negativen wie auch im positiven Sinn 2 .<br />
Einen wesentlichen Punkt hat man in <strong>de</strong>r ganzen<br />
Debatte um die Auswirkungen mütterlicher Berufstätigkeit<br />
bis anhin lei<strong>de</strong>r vergessen: dass die<br />
Wirkungen einer Krippe, einer Tagesfamilie, einer<br />
Nanny o<strong>de</strong>r einer Betreuung durch Verwandte<br />
nicht unabhängig von <strong>de</strong>n Wirkungen <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />
beurteilt wer<strong>de</strong>n können, son<strong>de</strong>rn nur in ihrer<br />
Kombination. Positive und negative Einflüsse einer<br />
familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung auf <strong>de</strong>r einen<br />
und <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite können einan<strong>de</strong>r<br />
verstärken, schwächen o<strong>de</strong>r ausgleichen<br />
und <strong>de</strong>shalb zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen<br />
führen. Weil zu<strong>de</strong>m die Forschung klar<br />
gezeigt hat, dass <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser<br />
ist als <strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung, dürften die<br />
Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten ten<strong>de</strong>nziell<br />
eher in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> liegen. Glückliche Eltern haben<br />
in <strong>de</strong>r Regel glückliche Kin<strong>de</strong>r.<br />
Organisation in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> und die Rolle von<br />
Müttern und Vätern<br />
2<br />
Dass <strong>de</strong>r Vater hierbei nicht erwähnt wird, hat ausschliesslich<br />
damit zu tun, dass seine Wirkung bisher<br />
kaum erforscht ist<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 21<br />
In <strong>de</strong>r Forschung sind sowohl Vorzüge als auch<br />
Nachteile vielfach empirisch belegt, die sich aus<br />
<strong>de</strong>m Umstand ergeben, dass berufstätige Mütter<br />
mehrfache Rollen ausüben. Einerseits ermöglicht<br />
ihnen <strong>de</strong>r Beruf ein soziales Netzwerk<br />
mit oft vielfältigen Optionen und einer finanziell<br />
(grösseren) Unabhängigkeit vom Partner. An<strong>de</strong>rerseits<br />
sind damit auch Belastungen verbun<strong>de</strong>n,<br />
weil Mütter trotz ihrer Berufstätigkeit<br />
<strong>de</strong>utlich mehr inner- und ausserfamiliäre Verantwortung<br />
übernehmen und <strong>de</strong>shalb insgesamt<br />
belasteter sind als Mütter, die sich ausschliesslich<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> widmen.<br />
Allerdings hat sich in <strong>de</strong>n letzten Jahren Vieles<br />
geän<strong>de</strong>rt: Väter investieren heute <strong>de</strong>utlich mehr<br />
Zeit in ihre Kin<strong>de</strong>r und mit überwiegend hohem<br />
Engagement. Dieses Engagement ist keine<br />
Selbstverständlichkeit. Es hat sich nicht etwa<br />
<strong>de</strong>shalb eingestellt, weil Väter einsichtig gewor<strong>de</strong>n<br />
sind, dass sie für die Erziehung ihres Kin<strong>de</strong>s<br />
eine grosse Be<strong>de</strong>utung haben. Das Engagement<br />
ist vielmehr eine Reaktion auf min<strong>de</strong>stens zwei<br />
Faktoren: auf For<strong>de</strong>rungen nach Gleichberechtigung<br />
und einer an<strong>de</strong>ren Gerechtigkeit im Anschluss<br />
an die Frauenbewegung und auf die verän<strong>de</strong>rten<br />
Erwartungshaltungen <strong>de</strong>r Wirtschaft,<br />
die angesichts <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n Fachkräftemangels<br />
zunehmend auf qualifizierte weibliche<br />
Arbeitskräfte setzt. Mütterliche Berufstätigkeit<br />
ist heute faktisch zur Norm gewor<strong>de</strong>n. Frauen<br />
müssen nicht mehr begrün<strong>de</strong>n, weshalb sie einen<br />
Beruf ausüben, son<strong>de</strong>rn eher, weshalb nicht<br />
und sie ‚nur‘ Hausfrau und Mutter sind.<br />
Grundsätzlich zeigen alle Umfragen, dass nicht<br />
nur For<strong>de</strong>rungen im Raum stehen, die Väter<br />
hätten sich mehr an <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n-, Erziehungs-<br />
und Haushaltsarbeit zu beteiligen, son<strong>de</strong>rn<br />
ebenfalls, dass sie dies auch tatsächlich wollen.<br />
Trotz<strong>de</strong>m konzentrieren sich viele Väter nach<br />
<strong>de</strong>r Geburt <strong>de</strong>s ersten Kin<strong>de</strong>s verstärkt auf ihre<br />
Berufstätigkeit und beschränken sich auf einen<br />
halben Tag Kin<strong>de</strong>rhüten und Win<strong>de</strong>ln wechseln<br />
pro Woche, während die Mütter sich auf ihr<br />
neues Leben als Hausfrauen und berufstätige<br />
Mütter einstellen. Im Umfang <strong>de</strong>s Aufwan<strong>de</strong>s<br />
asymmetrisch zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern verteilt<br />
geblieben ist aber auch die Fürsorgearbeit<br />
für die Kin<strong>de</strong>r. So ist es immer noch bevorzugt<br />
die Mutter, welche primäre Ansprechpartnerin<br />
für das Kind ist, wenn es um <strong>de</strong>n Besuch beim<br />
Kin<strong>de</strong>rarzt, die Organisation <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />
Betreuung o<strong>de</strong>r ein Gespräch mit <strong>de</strong>r<br />
Lehrerin geht. Im europaweiten Durchschnitt<br />
beträgt diese Asymmetrie in <strong>de</strong>r Haus- und Fürsorgearbeit<br />
70:30 zu Ungunsten <strong>de</strong>r Frauen, und<br />
es dürften insgesamt nicht mehr als 20% <strong>de</strong>r Väter<br />
sein, welche sich bewusst von <strong>de</strong>r traditionellen<br />
Rollenerwartung trennen.
Aus solchen Grün<strong>de</strong>n geht man heute davon<br />
aus, dass das sogenannte ‚Vereinbarkeitsmo<strong>de</strong>ll‘,<br />
das auf <strong>de</strong>r Teilzeitarbeit von Müttern und<br />
<strong>de</strong>r Vollzeitarbeit von Vätern aufbaut, überholt<br />
ist. <strong>Familie</strong>npolitik – so <strong>de</strong>r allgemeine Tenor –<br />
muss neu entwickelt wer<strong>de</strong>n. In Diskussion sind<br />
<strong>de</strong>shalb neue Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r Vereinbarkeit von<br />
<strong>Familie</strong> und Arbeit, welche Vätern und Müttern<br />
eine gleiche Beteiligung an Elternschaft und Erwerbstätigkeit<br />
erlauben. Dementsprechend setzen<br />
sie auf <strong>de</strong>n Einbezug <strong>de</strong>r Väter in flexible<br />
betriebliche Arbeitszeitmo<strong>de</strong>lle und auf eine öffentlich<br />
akzeptierte Kultur <strong>de</strong>r Fremdbetreuung.<br />
<strong>Familie</strong>naktivitäten und För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />
Blickt man auf die Freizeitaktivitäten von Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />
aus relativ bildungsnahen <strong>Familie</strong>n,<br />
dann geht es ihnen gut. Dass <strong>de</strong>m so ist, dürfte<br />
vor allem <strong>de</strong>r Verfügbarkeit von Zeit und Geld und<br />
einem insgesamt interessierteren Erziehungsstil<br />
zuzuordnen sein. Dementsprechend kann man<br />
heute hohe und steigen<strong>de</strong> Investitionen von bildungsambitionierten<br />
<strong>Familie</strong>n in ihren Nachwuchs<br />
feststellen. Für die Kin<strong>de</strong>r gehen damit zwei wesentlichen<br />
Begleiterscheinungen einher:<br />
erstens, dass <strong>de</strong>r Alltag genau strukturiert<br />
und das <strong>Familie</strong>nleben und <strong>de</strong>ren Organisation<br />
auf die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s ausgerichtet<br />
ist. Für das freie Spiel jenseits <strong>de</strong>s elterlichen<br />
Einflusses bleibt dabei wenig Zeit;<br />
zweitens, dass Kin<strong>de</strong>rkontakte auf das gleiche<br />
Milieu beschränkt bleiben. Weil sie von<br />
ihren Eltern handverlesen verabre<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n,<br />
können sie nicht mehr lernen, mit Kin<strong>de</strong>rn<br />
klarzukommen, die nicht ihrem Herkunftsmilieu<br />
entsprechen.<br />
Viele Eltern geben offen zu, dass sie mit solchen<br />
För<strong>de</strong>ranstrengungen ihren Kin<strong>de</strong>rn beson<strong>de</strong>rs<br />
gute Bedingungen beim Schuleintritt schaffen<br />
wollen. Weil Eltern oft an seinen Nachwuchs beson<strong>de</strong>rs<br />
hohe Erwartungen stellen und von seinen<br />
Begabungen und Talenten überzeugt sind, investieren<br />
sie viel Zeit, Geld und ein rationalisiertes<br />
<strong>Familie</strong>nleben in eine angemessene Betreuung<br />
und För<strong>de</strong>rung. Eindrücklich manifestieren sich<br />
solche Bemühungen auch in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlich angestiegenen<br />
Früheinschulungen. Es stellt sich damit<br />
die Frage, inwiefern die Inhalte <strong>de</strong>s Angebots<br />
selbst noch im Mittelpunkt stehen o<strong>de</strong>r ob die<br />
För<strong>de</strong>rung ein Mittel zum Zweck respektive eine<br />
neue Art von Disziplinierung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s gewor<strong>de</strong>n<br />
ist.<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 22<br />
Damit verbun<strong>de</strong>n – und dies ist nicht ganz unwichtig<br />
– ist die Anerkennung, welche <strong>de</strong>n Eltern<br />
selbst von an<strong>de</strong>ren Eltern zuteil wird. Es sind<br />
nämlich gera<strong>de</strong> die ‚sozialen Nachbarn‘, die ähnlich<br />
bildungsambitioniert sind, welche als Vergleichsmassstab<br />
für die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r und<br />
die Ansprüche an sie dienen. Mit diesem Sachverhalt<br />
und <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Betreuungsarrangements<br />
eng verknüpft ist die Mobilität. Gemeint ist<br />
damit die Tatsache, dass junge <strong>Familie</strong>n zunehmend<br />
aus Wohnvierteln wegziehen, die keinen<br />
ausgeglichenen Anteil an Angehörigen <strong>de</strong>s eigenen<br />
Milieus respektive viele ausländische <strong>Familie</strong>n<br />
haben. Die Forschung spricht dabei von sozialräumlicher<br />
Segregation.<br />
Mediennutzung<br />
Wie leben heute in einer sich ständig verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />
Medienwelt. Für Kin<strong>de</strong>r hat das Angebot<br />
und die Vielfalt an nutzbaren Medien enorme<br />
Ausmasse angenommen. Sie sind Teil einer<br />
Informations- und Wissensgesellschaft, in <strong>de</strong>r<br />
Wissen Macht be<strong>de</strong>utet und <strong>de</strong>r richtigen Auswahl<br />
und Suche von Informationen grösste Be<strong>de</strong>utung<br />
zukommt. Entsprechend steht schon<br />
Vorschulkin<strong>de</strong>rn ein breites Angebot zur Verfügung,<br />
wobei beson<strong>de</strong>rs das Fernsehen an Be<strong>de</strong>utung<br />
gewonnen hat. Dazu kommen Computer,<br />
Gameboy und Spielkonsolen, Kassettenrekor<strong>de</strong>r<br />
etc.<br />
Insgesamt sind Medien im Zusammenhang mit<br />
<strong>de</strong>n Aufwachsbedingungen von Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen<br />
ein viel- und sehr kontrovers diskutiertes<br />
Thema – man <strong>de</strong>nke beispielsweise an<br />
die Publikation «Digitale Demenz» (Spitzer,<br />
2012). Für das Vorschulalter sind Medien jedoch<br />
kaum untersucht. Aus <strong>de</strong>n wenigen verfügbaren<br />
Studien lassen sich <strong>de</strong>shalb kaum Schlüsse ziehen.<br />
Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />
Bühler-Nie<strong>de</strong>rberger, D. (2011). Lebensphase<br />
Kindheit. Weinheim: Juventa.<br />
Bun<strong>de</strong>samt für Statistik (2008). <strong>Familie</strong>n in <strong>de</strong>r<br />
Schweiz. Statistischer Bericht. Neuenburg: Bun<strong>de</strong>samt<br />
für Statistik.<br />
Stamm, M. et al. (2009). Frühkindliche Bildung<br />
in <strong>de</strong>r Schweiz. Eine Grundlagenstudie im Auftrag<br />
<strong>de</strong>r UNESCO-Kommission Schweiz. <strong>Fribourg</strong>:<br />
Departement Erziehungswissenschaften.
Briefing Paper 3: Das Projekt FRANZ<br />
Unsere FRANZ-Studie, welche im Februar 2010<br />
startete und im Dezember 2012 abgeschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n konnte, erforschte erstmals in <strong>de</strong>r<br />
Schweiz, wie <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn ihren<br />
Alltag gestalten, welche Betreuung sie wählen<br />
und welche Folgen damit auf die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n sind. Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r<br />
Studie stan<strong>de</strong>n vier Fragestellungen:<br />
Wie gestalten <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />
ihren Alltag und welche Betreuungsformen<br />
wählen sie?<br />
Wie wirken sich die Betreuungsformen auf<br />
die Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r aus?<br />
Welche Unterschie<strong>de</strong> gibt es in <strong>de</strong>n kindlichen<br />
Entwicklungsverläufen und worauf<br />
sind sie zurückzuführen?<br />
Abbildung 1: Verteilung <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n auf die Kantone<br />
Merkmale <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n<br />
Da sich die <strong>Familie</strong>n selbst zur Teilnahme mel<strong>de</strong>n<br />
konnten, war es nicht möglich, die Anmeldungen<br />
zu steuern. Deshalb erstaunt es wenig, dass es<br />
sich insgesamt um eine als «bildungsnah» zu bezeichnen<strong>de</strong><br />
Stichprobe han<strong>de</strong>lt. Die Bildungsnähe<br />
zeigt sich im sozio-ökonomischen Status <strong>de</strong>r<br />
<strong>Familie</strong>, <strong>de</strong>r anhand von Einkommen, Bildung<br />
und ausgeübtem Beruf mittels <strong>de</strong>s International<br />
Socio-Economic In<strong>de</strong>x of Occupational Status<br />
(ISEI) gemessen wird. Die Skala hat eine Bandbreite<br />
von 0 bis 90 Punkten. Die Bildungsnähe<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 23<br />
Welche Merkmale kennzeichnen Kin<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ren<br />
Entwicklung vor <strong>de</strong>m Schuleintritt am<br />
fortgeschrittensten ist?<br />
Stichprobe<br />
Um eine angemessene Stichprobe zusammenstellen<br />
zu können, schrieben wir Printmedien,<br />
Kin<strong>de</strong>rärzte sowie Eltern- und Bildungsnetzwerke<br />
an und konnten so insgesamt 309 <strong>Familie</strong>n<br />
mit 150 Mädchen und 159 Knaben zur Teilnahme<br />
motivieren. Die Kin<strong>de</strong>r sind alle im Jahr 2006<br />
o<strong>de</strong>r 2007 geboren. Wie Abbildung 1 ver<strong>de</strong>utlicht,<br />
stammen die <strong>Familie</strong>n aus insgesamt 21<br />
Kantonen. Weitaus am meisten <strong>Familie</strong>n, nämlich<br />
26%, aus <strong>de</strong>m Kanton Zürich, gefolgt von je<br />
17% aus <strong>de</strong>n Kantonen Bern und Aargau. 35%<br />
<strong>de</strong>r 309 <strong>Familie</strong>n leben in ländlichen Gebieten,<br />
40% in Agglomerationen und 25% in Städten.<br />
zeigt sich darin, dass <strong>de</strong>r ISEI 53.9 Punkte beträgt<br />
und damit <strong>de</strong>n ISEI <strong>de</strong>r Schweizer Durchschnittsbevölkerung<br />
mit 49.2 Punkten <strong>de</strong>utlich überflügelt.<br />
Der Anteil an gut ausgebil<strong>de</strong>ten Eltern ist<br />
<strong>de</strong>mentsprechend auffallend hoch: im Vergleich<br />
zur Schweizer Gesamtbevölkerung, in <strong>de</strong>r 20%<br />
Frauen und 29% Männer einen Hochschul- o<strong>de</strong>r<br />
Fachhochschulabschluss besitzen, sind es in <strong>de</strong>r<br />
Stichprobe 57% <strong>de</strong>r Mütter und 67% <strong>de</strong>r Väter.<br />
Aus diesem Grund wird vereinfachend von einer<br />
«Mittelschichtstichprobe» gesprochen.
Was die Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r beteiligten <strong>Familie</strong>n<br />
betrifft, unterschei<strong>de</strong>t sich die Stichprobe<br />
mit 70% erwerbstätigen Müttern und 98% Vätern<br />
nur gering von <strong>de</strong>r gesamten Erwerbsbevölkerung<br />
in <strong>de</strong>r Schweiz, in <strong>de</strong>r 69% <strong>de</strong>r Mütter<br />
und 96% <strong>de</strong>r Väter einer bezahlten Berufsarbeit<br />
nachgehen. Die grosse Mehrheit (98%) <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />
wohnt mit bei<strong>de</strong>n Eltern im gleichen Haushalt.<br />
8% sind Einzelkin<strong>de</strong>r, 56% haben ein Geschwister,<br />
29% zwei und 7% drei o<strong>de</strong>r mehr Geschwister.<br />
Die Geschwisterposition <strong>de</strong>r untersuchten<br />
Kin<strong>de</strong>r sieht folgen<strong>de</strong>rmassen aus: 161<br />
Kin<strong>de</strong>r sind Erstgeborene, 38 sind mittlere Kin<strong>de</strong>r<br />
und 107 sind Letztgeborene.<br />
Datenerhebung<br />
Für die Datenerhebung wur<strong>de</strong>n die Kin<strong>de</strong>r<br />
zweimal zuhause während maximal vier Stun<strong>de</strong>n<br />
besucht. Der erste Besuch fand zwischen Juni<br />
und Dezember 2010 statt, <strong>de</strong>r zweite Besuch genau<br />
17 Monate später, d.h. zwischen November<br />
2011 und Mai 2012. Erfasst wur<strong>de</strong>n Daten anhand<br />
von Fragebögen, Leitfragenkatalogen, Beobachtungsrastern<br />
und Tests zu folgen<strong>de</strong>n Bereichen:<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 24<br />
Wohn-, Haushalts- und Berufsverhältnisse,<br />
Aktivitäten und Freizeitverhalten, Mediennutzung<br />
<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s, Einstellungen <strong>de</strong>r Eltern<br />
zu Erziehung und Bildung<br />
Kindliches Sozialverhalten<br />
Betreuungssituation <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />
Entwicklungsverlauf <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s seit Geburt<br />
Kognitiver Fähigkeitstest<br />
Test zur Erfassung <strong>de</strong>r sprachlichen Vorläuferfähigkeiten<br />
Test zur Erfassung <strong>de</strong>r mathematischen Vorläuferfähigkeiten<br />
Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />
Stamm, M. et al. (2013). FRANZ: Früher an die<br />
Bildung – erfolgreicher in die Zukunft? Familiäre<br />
Aufwachsbedingungen, familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />
und kindliche Entwicklung. Schlussbericht<br />
zuhan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Hamasil Stiftung und <strong>de</strong>r<br />
AVINA Stiftung. <strong>Fribourg</strong>: Departement Erziehungswissenschaften.<br />
www.margritstamm.ch
Briefing Paper 4: Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />
und Elterneinstellungen<br />
Dieses Briefing Paper gibt Auskunft über die<br />
FRANZ-Ergebnisse zu <strong>de</strong>n inner- und ausserfamiliären<br />
Aktivitäten inklusive Mediennutzung und<br />
<strong>de</strong>n Einstellungen <strong>de</strong>r Eltern gegenüber För<strong>de</strong>rmassnahmen.<br />
Gemeinsame Aktivitäten<br />
Welche familiären Aktivitäten prägen die Vorschulzeit<br />
<strong>de</strong>r FRANZ-Kin<strong>de</strong>r? Unsere Auswertungen<br />
zeigen folgen<strong>de</strong> Rangreihenfolge:<br />
Geschichten vorlesen<br />
Gemeinsames Geschichten auf Tonträgern<br />
anhören<br />
Singen und Musizieren<br />
Aktivitäten im Freien<br />
Malen/Basteln<br />
Bibliotheksbesuche<br />
In rund <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n fin<strong>de</strong>n solche Aktivitäten<br />
min<strong>de</strong>stens dreimal, in etwa 40% ein-<br />
bis zweimal wöchentlich statt. Nur etwa 5% bis<br />
Alter <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />
3.5 Jahre<br />
5 Jahre<br />
Abbildung 2: Mediennutzung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s (Häufigkeiten)<br />
Die Abbildung zeigt ferner, dass die Kin<strong>de</strong>r mit<br />
dreieinhalb Jahren <strong>de</strong>utlich mehr Medien konsumiert<br />
hatten als mit fünf Jahren. Dieser Rückgang<br />
kann unterschiedlich interpretiert wer<strong>de</strong>n:<br />
Er kann mit <strong>de</strong>m zunehmen<strong>de</strong>n Besuch familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung und ausserfamiliärer<br />
För<strong>de</strong>rangebote sowie mit <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rgarteneintritt<br />
zusammenhängen. Da die<br />
Kin<strong>de</strong>r zunehmend seltener zuhause waren,<br />
hatten sie auch weniger Zeit, sich mit Medien<br />
zu beschäftigen.<br />
Möglich ist auch, dass die Eltern <strong>de</strong>n Medienkonsum<br />
aus erzieherischen Grün<strong>de</strong>n bewusst<br />
reduziert resp. ganz unterbun<strong>de</strong>n ha-<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 25<br />
10% <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n sind etwas weniger aktiv. Der<br />
innerfamiliäre Alltag dieser Vorschulkin<strong>de</strong>r ist<br />
somit von vielseitigen und häufig gemeinsamen<br />
Aktivitäten geprägt. Diese Aktivitäten sind über<br />
die gesamte Vorschulzeit hinweg stabil geblieben.<br />
Mediennutzung<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
prozentuale Verteilung <strong>de</strong>r Haushalte<br />
Von grossem Interesse ist die Frage, welche Medien<br />
die Kin<strong>de</strong>r in ihren ersten Lebensjahren genutzt<br />
haben und in welchem Ausmass. Zunächst<br />
einmal zeigen unsere Daten, dass die beliebtesten<br />
Medien Tonträger (Kassettengeräte, CD- und<br />
MP3-Player) sowie Radio waren. Ebenfalls – aber<br />
seltener – genutzt wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Fernseher, <strong>de</strong>r<br />
Computer, die Spielkonsole, Vi<strong>de</strong>o-/DVD-Geräte,<br />
die Stereoanlage und das Handy. Abbildung 2<br />
ver<strong>de</strong>utlicht eine durchschnittliche Nutzungshäufigkeit<br />
<strong>de</strong>r erwähnten Mediensorten. Demzufolge<br />
nutze ein Kind we<strong>de</strong>r mit dreieinhalb noch<br />
mit fünf Jahren Medien mehr als zwei Stun<strong>de</strong>n<br />
pro Tag (die Skala reicht nur bis «1 bis 2 Stun<strong>de</strong>n<br />
pro Tag») und nur eine kleine Min<strong>de</strong>rheit tat<br />
dies zwischen einer und zwei Stun<strong>de</strong>n.<br />
1 bis 2 Stun<strong>de</strong>n pro Tag<br />
weniger als 1 Stun<strong>de</strong> pro Tag<br />
weniger als 2 Stun<strong>de</strong>n pro<br />
Woche<br />
nie<br />
ben. Darauf verweist auch die Tatsache, dass<br />
<strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, die ganz ohne Medien<br />
aufwachsen, bis zum fünften Altersjahr von<br />
1% auf 6% angestiegen ist.<br />
Ausserfamiliäre För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />
Vielseitig und bemerkenswert sind jedoch auch<br />
die ausserfamiliären Aktivitäten. Insgesamt sind<br />
es 45% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, welche einer, 31%, welche<br />
zwei und 12%, die drei verschie<strong>de</strong>nen Aktivitäten<br />
min<strong>de</strong>stens einmal pro Woche nachgehen<br />
und die keinen therapeutischen o<strong>de</strong>r son<strong>de</strong>rpädagogischen<br />
Fokus haben. Diese betreffen sportliche<br />
(z. B. Handball, Judo, Fechten), motorischbewegungsorientierte<br />
(z. B. Ballett, Reiten), mu-
sische (z. B. Geige o<strong>de</strong>r Klavier spielen), sprachliche<br />
(z. B. Englisch, Französisch, Chinesisch) o<strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>re Bereiche (z. B. Schach). Der durchschnittliche<br />
monatliche Aufwand pro Kind beträgt 23<br />
CHF., wobei die Bandbreite enorm ist und zwischen<br />
null Franken und 189 Franken beträgt.<br />
Einstellungen und Erwartungen <strong>de</strong>r Eltern<br />
Dass Eltern mit ihrem Verhalten einen grossen<br />
Einfluss auf die Entwicklung ihres Kin<strong>de</strong>s haben,<br />
ist aus <strong>de</strong>r Forschung schon lange bekannt.<br />
Trotz<strong>de</strong>m liegen hierzu für <strong>de</strong>n Vorschulbereich<br />
kaum Untersuchungen vor. Unsere Ergebnisse<br />
sin <strong>de</strong>shalb für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Sprachraum neu.<br />
Abbildung 3 ver<strong>de</strong>utlicht, wie die Eltern zu Fragen<br />
<strong>de</strong>r Erziehung und Bildung ihrer Vorschulkin<strong>de</strong>r<br />
stehen. Um diese Frage zu beantworten,<br />
baten wir sie, ihre Einstellungen und Erwartungshaltungenzu<br />
Erziehung, Bildung und För<strong>de</strong>rung<br />
in einem Fragebogen anhand verschie<strong>de</strong>ner<br />
Aussagen in ihrer Wichtigkeit einzuschätzen. Zur<br />
Diskussion stan<strong>de</strong>n Aussagen zu fünf Bereichen:<br />
Soziales Verhalten (z.B. «Mein Kind soll lernen,<br />
auch mit an<strong>de</strong>ren auszukommen»), Anpassungsfähigkeit<br />
(z.B. «Ich erwarte, dass unser Kind die<br />
Tischmanieren übernimmt»), Motorik und Sport<br />
(z.B. «Unser Kind ist zu jung, um schwimmen zu<br />
Mittelwert<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Anpassungsfähigkeit<br />
Soziales Verhalten<br />
Motorik/Sport<br />
Abbildung 3: Elterliche Einstellungen und Erwartungen<br />
Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />
Stamm, M. & E<strong>de</strong>lmann, D. (in Druck). Elternerwartungen<br />
an Vorschulkin<strong>de</strong>r. Eine empirische<br />
Studie zu ihrer Rolle und ihren Determinanten.<br />
Erscheint in: Schweizerische Zeitschrift<br />
für Bildungswissenschaften.<br />
Stamm, M. (2008). Vorschulkin<strong>de</strong>r im Treibhaus.<br />
Gedanken zur frühen För<strong>de</strong>reuphorie<br />
<strong>de</strong>r Eltern. Neue Zürcher Zeitung, NZZ, Bildungsbeilage,<br />
Nr. 10, B1, 14. 01. siehe auch<br />
www.margritstamm.ch.<br />
Stamm, M. et al. (2013). Kapitel 4.2: Wie gestaltet<br />
sich <strong>de</strong>r Alltag in <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n und wel-<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 26<br />
lernen»), Kunst und Musik (z.B. «Ich erwarte von<br />
unserem Kind, dass es sich dafür interessiert, ein<br />
Instrument spielen zu lernen») sowie Schulvorbereitung<br />
(z. B. Eltern sollten ihrem KInd helfen,<br />
Wörter schreiben zu lernen).<br />
Eingetragen sind die Mittelwerte. Zunächst wird<br />
ersichtlich, dass die höchsten Elternerwartungen<br />
das soziale Verhalten und die Anpassungsfähigkeit<br />
<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s betreffen. Etwas weniger wichtig<br />
waren <strong>de</strong>n Eltern Motorik und Sport, gefolgt von<br />
Kunst und Musik. Die Erwartungshaltungen in<br />
Bezug auf schulvorbereiten<strong>de</strong> Massnahmen<br />
wur<strong>de</strong>n als am wenigsten wichtig erachtet.<br />
Als Fazit lässt sich somit formulieren, dass <strong>de</strong>n<br />
Eltern <strong>de</strong>r Umgang ihres Kin<strong>de</strong>s mit an<strong>de</strong>ren<br />
Kin<strong>de</strong>rn und Erwachsenen sowie seine Fähigkeit,<br />
sich anzupassen, wichtiger sind als schulvorbereiten<strong>de</strong><br />
Massnahmen. Überblickt man jedoch<br />
auch die För<strong>de</strong>raktivitäten <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n, dann<br />
sind diese Ergebnisse etwas zu relativieren: Die<br />
<strong>Familie</strong>n unternehmen recht viel, um ihre Kin<strong>de</strong>r<br />
zu för<strong>de</strong>rn. Vielleicht geschieht dies nicht mit<br />
<strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Schulvorbereitung. Trotz<strong>de</strong>m geben<br />
sie ihren Kin<strong>de</strong>rn dadurch einen Rucksack mit,<br />
<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st recht gut gefüllt ist.<br />
Kunst/Musik<br />
Schulvorbereitung<br />
che Betreuungsformen wer<strong>de</strong>n gewählt? In<br />
(dies.). FRANZ: Früher an die Bildung – erfolgreicher<br />
in die Zukunft? Familiäre Aufwachsbedingungen,<br />
familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />
und kindliche Entwicklung (S. 15-22). <strong>Fribourg</strong>:<br />
Departement Erziehungswissenschaften.<br />
www.margritstamm.ch.
Briefing Paper 5: Betreuungsmuster und ihr<br />
Einfluss auf die kindliche Entwicklung<br />
Kaum ein Thema hat in letzter Zeit die Gemüter<br />
so erregt wie die Frage, ob eine familienergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung und damit die mütterliche Berufstätigkeit<br />
einem Vorschulkind scha<strong>de</strong>n. Die<br />
Diskussion war und ist dabei stark von Vorurteilen<br />
geprägt. Obwohl wir uns als pluralistische<br />
Gesellschaft rühmen, ist es offenbar kaum möglich,<br />
unterschiedliche Auffassungen vom ‚richtigen<br />
<strong>Familie</strong>nleben’ nebeneinan<strong>de</strong>r bestehen zu<br />
lassen. Nicht zuletzt verkörpern die politischen<br />
Parteien die enorme Polarität, welche dieser<br />
Frage zu Grun<strong>de</strong> liegt.<br />
Im FRANZ-Projekt hat uns die ‚Betreuungsfrage‘<br />
jedoch vor allem aus zwei Grün<strong>de</strong>n interessiert:<br />
erstens, weil wir die Gesamtsituation in <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n<br />
erfassen und zweitens, weil wir in Erfahrung<br />
bringen wollten, wie sich Betreuungsmuster<br />
auf die kindliche Entwicklung auswirken. Die<br />
Betreuungsformen können in folgen<strong>de</strong> drei Kategorien<br />
unterteilt wer<strong>de</strong>n:<br />
familieninterne Betreuung<br />
institutionelle Betreuungsformen (Kin<strong>de</strong>rtagesstätten<br />
[Kitas] und Spielgruppen)<br />
nicht-institutionelle Betreuungsformen (Tagesfamilien,<br />
Nannys, Au-pairs, Babysitter,<br />
Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn sowie<br />
Verwandte).<br />
Alter <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />
jünger als 3.5 Jahre<br />
3.5 Jahre<br />
zwischen 3.5 und 5 Jahren<br />
5 Jahre<br />
Abbildung 4: Anzahl <strong>de</strong>r besuchten Betreuungsformen<br />
Auswirkungen <strong>de</strong>r Betreuungsformen<br />
Welches sind die Auswirkungen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />
Betreuungsformen auf die Kin<strong>de</strong>r? Hierzu<br />
haben wir mit Hilfe von Korrelations- und Regressionsanalysen<br />
Zusammenhänge und Abhängigkeiten<br />
zwischen familienergänzen<strong>de</strong>r Betreu-<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Vielfalt <strong>de</strong>r Betreuungsmuster<br />
Seite 27<br />
30% <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n haben ihr Kind in <strong>de</strong>n ersten<br />
drei Lebensjahren ausschliesslich selbst betreut.<br />
Dieser Anteil ist bis zum fünften Lebensjahr auf<br />
fast 50% angestiegen. Die 70% fremdbetreuten<br />
Kin<strong>de</strong>r besuchten zu etwa gleichen Teilen institutionelle<br />
und nicht-institutionelle Betreuungsformen.<br />
Zunächst waren es durchschnittlich etwas<br />
mehr als zwei Tage pro Woche. Aufgrund <strong>de</strong>s<br />
Kin<strong>de</strong>rgarteneintritts verringerte sich die Intensität<br />
auf rund eineinhalb Tage pro Woche.<br />
Erstaunlich ist dabei, dass die Kin<strong>de</strong>r oft nicht lediglich<br />
an einem familienergänzen<strong>de</strong>n Ort betreut<br />
wor<strong>de</strong>n sind, son<strong>de</strong>rn an mehreren. Abbildung<br />
4 ver<strong>de</strong>utlicht diesen Sachverhalt. Demnach<br />
sind ein Drittel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n ersten<br />
drei Lebensjahren an mehr als zwei Orten betreut<br />
wor<strong>de</strong>n. Mit dreieinhalb Jahren waren es<br />
mehr als 50%, mit fünf Jahren jedoch wie<strong>de</strong>r nur<br />
mehr 38%. Anzunehmen ist, dass auch dieser<br />
Rückgang auf <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rgarteneintritt zurückzuführen<br />
ist.<br />
Die Betreuungsverhältnisse sind bei fast zwei<br />
Dritteln <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r stabil geblieben. 30% <strong>de</strong>r<br />
Kin<strong>de</strong>r wechselten einmal und nur ein kleiner<br />
Anteil (7.5%) mehr als einmal.<br />
0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />
prozentuale Verteilung <strong>de</strong>r Haushalte<br />
3 o<strong>de</strong>r mehr<br />
Betreuungsformen<br />
2 Betreuungsformen<br />
1 Betreuungsform<br />
ung und verschie<strong>de</strong>nen Bereichen kindlicher<br />
Entwicklung betrachtet. Als Entwicklungsbereiche<br />
einbezogen wur<strong>de</strong>n die kognitive Entwicklung,<br />
die sprachliche Entwicklung, die mathematische<br />
Entwicklung sowie die sozial-emotionale<br />
Entwicklung. In Tabelle 1 sind diejenigen Prä
diktoren dargestellt, welche sich für eine familienergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung als relevant herausgestellt<br />
haben. Mit <strong>de</strong>m helleren Blau eingefärbt<br />
sind dabei diejenigen Merkmale, die am be<strong>de</strong>utsamsten<br />
sind, dunkelblau hingegen die Merkmale<br />
mit einem negativen Einfluss.<br />
Tabelle 1 zeigt folgen<strong>de</strong>n Sachverhalt: Der Entwicklungsstand<br />
<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wird von vier Merkmalsbereichen<br />
beeinflusst: von <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />
Betreuung (z.B. Besuch einer Kita o<strong>de</strong>r<br />
einer Tagesfamilie), vom Kind selbst (z.B. Geschlecht),<br />
von <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> (z.B. Bildungsniveau<br />
<strong>de</strong>r Mutter) und <strong>de</strong>n Medien (z.B. – negativ –<br />
Nutzung von Bildschirmmedien). In drei Entwicklungsbereichen<br />
– kognitiv, mathematisch und<br />
sprachlich – spielt die <strong>Familie</strong> eine prägen<strong>de</strong>re<br />
Rolle als eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung.<br />
Teilweise gilt dies auch für die Medien. An<strong>de</strong>rs<br />
formuliert: Zwar zeigt familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />
be<strong>de</strong>utsame positive Effekte auf diese<br />
drei Entwicklungsbereiche, entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r sind<br />
jedoch <strong>de</strong>r familiäre Hintergrund und mediale<br />
Einflüsse.<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 28<br />
In Bezug auf das viel diskutierte sozialemotionale<br />
und das oppositionell-aggressive<br />
Verhalten zeigen sich folgen<strong>de</strong> Sachverhalte: Eltern<br />
schätzen ihre Töchter sozial kompetenter<br />
ein als ihre Söhne, insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn<br />
ihnen die soziale Erziehung ihres Kin<strong>de</strong>s wichtig<br />
ist. Eine wichtige Rolle spielen auch die Nutzung<br />
interaktiver Medien und <strong>de</strong>ren Besprechung mit<br />
<strong>de</strong>m Kind. Fazit: Wenn die Eltern häufig mit <strong>de</strong>m<br />
Kind über seine Mediennutzung sprechen und es<br />
zu<strong>de</strong>m interaktive Medien nutzt, zeigt es ein<br />
besseres Sozialverhalten. Bei Mädchen ist dies<br />
eher <strong>de</strong>r Fall als bei Knaben. <strong>Familie</strong>nergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung hat keinen Einfluss.<br />
Beim oppositionell-aggressiven Verhalten spielt<br />
familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung allerdings eine<br />
Rolle. Eltern, <strong>de</strong>ren Kind eine Kita besucht hat<br />
o<strong>de</strong>r besucht, schätzen es aggressiver ein als Eltern,<br />
welche ihr Kind nicht in einer Kita haben<br />
betreuen lassen. Dies gilt ebenso, wenn das Kin<strong>de</strong>r<br />
Geschwister hat – unabhängig von Alter und<br />
Anzahl. Medien hingegen sind be<strong>de</strong>utungslos.<br />
Tabelle 1: Merkmale, welche <strong>de</strong>n Entwicklungsstand <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r signifikant beeinflussen (Mit <strong>de</strong>m helleren<br />
Blau [] eingefärbt sind dabei diejenigen Merkmale, die am be<strong>de</strong>utsamsten sind, mit <strong>de</strong>m dunkleren Blau [] die Merkmale mit einem<br />
negativen Einfluss.)<br />
Betreuungsmerkmale <br />
Kindsmerkmale<br />
<strong>Familie</strong>n-<br />
Merkmale<br />
Medien-<br />
merkmale<br />
Entwicklung<br />
kognitiv sprachlich mathematisch<br />
Tagesfamilienbetreuung<br />
Bildungsjahre<br />
<strong>de</strong>r Mutter<br />
Anzahl Zeitungen<br />
und Zeitschriften<br />
Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />
Besuch einer<br />
Kita<br />
Ältere Geschwister<br />
Bildungsjahre<br />
<strong>de</strong>r Mutter<br />
Nutzung von<br />
Bildschirmmedien<br />
(z. B.<br />
TV)<br />
Informative Medien<br />
Besuch einer<br />
Kita<br />
Bildungsjahre <strong>de</strong>r<br />
Mutter<br />
Gewichtung <strong>de</strong>r<br />
sozialen Entwicklung<br />
durch die Eltern<br />
Nutzung interaktiver<br />
Medien<br />
sozialemotional<br />
Geschlecht<br />
(männlich)<br />
Gewichtung<br />
<strong>de</strong>r sozialen<br />
Entwicklung<br />
durch die Eltern<br />
Nutzung interaktiver<br />
Medien<br />
(z. B. Spielkonsole)<br />
Besprechung<br />
<strong>de</strong>r Medieninhalte <br />
oppositionellaggressiv<br />
Besuch einer<br />
Kita<br />
Geschwister<br />
Stamm, M. (2011). Wieviel Mutter braucht ein<br />
Kind? Theoretische Befun<strong>de</strong> und empirische<br />
Fakten zur Frage <strong>de</strong>r Nützlichkeit o<strong>de</strong>r Schäd-
lichkeit von früher familienexterner Betreuung.<br />
Diskurs Kindheits- und Jugendforschung,<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
1, 17-30.<br />
Seite 29
Briefing Paper 6: Typische Entwicklungsverläufe<br />
Aus <strong>de</strong>r Entwicklungspsychologie ist bekannt,<br />
dass sich Kin<strong>de</strong>r im Vorschulalter massiv unterschei<strong>de</strong>n<br />
und die Bandbreite in allen Entwicklungsbereichen<br />
gross ist. Deshalb interessieren<br />
die Entwicklungsverläufe <strong>de</strong>r FRANZ-<br />
Kin<strong>de</strong>r und zwar sowohl im Hinblick auf ihre<br />
sprachliche, mathematische, intellektuelle und<br />
sozial-emotionale Entwicklung als auch hinsichtlich<br />
von <strong>Familie</strong>n- und Betreuungsmerkmalen.<br />
Anhand einer Clusteranalyse konnten vier Typen<br />
von Entwicklungsverläufen i<strong>de</strong>ntifiziert<br />
wer<strong>de</strong>n. Einbezogen wur<strong>de</strong>n vier Bereiche:<br />
Kognition (intellektuelle Entwicklung), Wortschatz,<br />
Mathematik und Sozialverhalten (inkl.<br />
oppositionell-aggressives Verhalten). Diese<br />
sind in Abbildung 5 abgebil<strong>de</strong>t. Dargestellt<br />
Entwicklungsverlauf<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
0<br />
-0.5<br />
-1<br />
-1.5<br />
Typ 1<br />
N=36<br />
25%<br />
Typ 2<br />
N=29<br />
21%<br />
Abbildung 5: Vier Typen von Entwicklungsmustern (z-Werte)<br />
Nutzt man die Merkmale, die sich in <strong>de</strong>n Regressionsanalysen<br />
als (ten<strong>de</strong>nziell) be<strong>de</strong>utsam<br />
herausgestellt haben – also die Betreuungsform,<br />
die das Kind am häufigsten besucht und<br />
<strong>de</strong>ren Intensität, die Bildungsjahre <strong>de</strong>r Mutter<br />
sowie das Vorhan<strong>de</strong>nsein von Geschwistern –<br />
so lassen sich diese vier Typen weiter differenzieren.<br />
In Tabelle 2 sind die Kennwerte dargestellt,<br />
wobei die höchsten Werte blau eingefärbt<br />
sind.<br />
Typ 3<br />
N=32<br />
23%<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 30<br />
sind die z-Werte. Sie sind das Ergebnis <strong>de</strong>r<br />
Transformation von Messwerten («z-<br />
Transformation). Typ 1 setzt sich aus kognitiv<br />
unterdurchschnittlich entwickelten Kin<strong>de</strong>rn<br />
mit eher beschei<strong>de</strong>nem Wortschatz zusammen.<br />
Bei <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Typs 2 han<strong>de</strong>lt es<br />
sich um solche, die in allen Bereichen – ausser<br />
im mathematischen – überdurchschnittlich<br />
weit entwickelt sind. Typ 3 wie<strong>de</strong>rum ähnelt<br />
<strong>de</strong>m Typ 1 insofern, als dass die Kin<strong>de</strong>r, ausser<br />
in ihrer kognitiven Entwicklung, sprachlich,<br />
mathematisch und sozial nicht auf <strong>de</strong>m gleichen<br />
Entwicklungsniveau sind. Typ 4 umfasst<br />
Kin<strong>de</strong>r mit zwar fortgeschrittener kognitiver<br />
und mathematischer Entwicklung, jedoch lediglich<br />
durchschnittlich ausgeprägtem Wortschatz.<br />
Auffallend ist ferner ihr eher negatives<br />
Sozialverhalten.<br />
Typ 4<br />
N=44<br />
31%<br />
Kognition<br />
Wortschatz<br />
Mathematik<br />
Sozialverhalten<br />
Betrachtet man die Kennwerte <strong>de</strong>r einzelnen<br />
Typen, so lässt sich Typ 1 anhand jüngerer Geschwister<br />
von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen unterschei<strong>de</strong>n.<br />
Für Typ 2 trifft dies für die nichtinstitutionelle<br />
Hauptbetreuung, d.h. für die<br />
Betreuung durch Tagesfamilien etc. und ihre<br />
Intensität sowie die mütterlichen Bildungsjahre,<br />
zu. Für Typ 3 gilt dasselbe für die Betreuung<br />
in Kitas, Spielgruppen etc. und ältere Geschwister.<br />
Typ 4 unterschei<strong>de</strong>t sich letztlich<br />
durch die ausschliesslich familieninterne Betreuung<br />
von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen.
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 31<br />
Tabelle 2: Typen nach Betreuungs- und <strong>Familie</strong>nmerkmalen<br />
Merkmal<br />
Hauptbetreuung<br />
Typ 1 Typ 2 Typ 3 Typ 4<br />
Kita, Spielgruppe etc. 0.04 0.02 0.08 -0.10<br />
Tagesfamilie, Verwandte, Au Pair,<br />
Nanny etc.<br />
-0.05 0.09 -0.05 0.01<br />
Nur familienintern 0.00 -0.11 -0.04 0.10<br />
Intensität familienergänzen<strong>de</strong>r Betreuung<br />
<strong>Familie</strong><br />
-0.11 0.20 0.12 -0.12<br />
Bildungsjahre <strong>de</strong>r Mutter -0.09 0.16 -0.12 0.06<br />
Jüngere Geschwister 0.31 -0.23 0.00 -0.10<br />
Ältere Geschwister -0.10 0.10 0.13 -0.07<br />
Auf dieser Basis sowie <strong>de</strong>r vorangehen<strong>de</strong>n<br />
Clusteranalyse lassen sich die vier Typen folgen<strong>de</strong>rmassen<br />
beschreiben und etikettieren:<br />
Typ 1: Wenig fremdbetreute Langsamentwickler<br />
Kin<strong>de</strong>r dieses Typs sind kognitiv und sprachlich<br />
wenig fortgeschritten. Sie wer<strong>de</strong>n zwar<br />
fremdbetreut, jedoch <strong>de</strong>utlich weniger als an<strong>de</strong>re<br />
Kin<strong>de</strong>r. Ausser<strong>de</strong>m haben sie überdurchschnittlich<br />
oft jüngere Geschwister. Ihre Mütter<br />
verfügen über ten<strong>de</strong>nziell weniger hohe<br />
Bildungsabschlüsse.<br />
Typ 2: Intensiv fremdbetreute Schnellentwickler<br />
Im Vergleich zu allen an<strong>de</strong>ren Typen weisen<br />
Kin<strong>de</strong>r, die diesem Typ zugeordnet wer<strong>de</strong>n,<br />
weit fortgeschrittene Entwicklungsverläufe<br />
auf, nämlich in <strong>de</strong>r intellektuellen Entwicklung,<br />
im Wortschatz sowie in ihrem Sozialverhalten.<br />
Einzig für Mathematik trifft dies nicht<br />
zu. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren verbringen<br />
Kin<strong>de</strong>r dieses Typs mehr Zeit in familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung, d.h. bei Tagesfamilien,<br />
Verwandten etc., und sie haben auch seltener<br />
jüngere Geschwister. Zu<strong>de</strong>m verfügen ihre<br />
Mütter über die vergleichsweise höchsten Bildungsabschlüsse.<br />
Typ 3: Intensiv fremdbetreute Langsamentwickler<br />
Typ 3 bil<strong>de</strong>t gewissermassen <strong>de</strong>n Gegenpol<br />
von Typ 2, weisen doch diese Kin<strong>de</strong>r in allen<br />
Entwicklungsbereichen unterdurchschnittliche<br />
Verläufe auf. Am ausgeprägtesten trifft dies<br />
im Wortschatz und <strong>de</strong>n mathematischen Fähigkeiten<br />
zu. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen<br />
fallen drei Aspekte beson<strong>de</strong>rs auf: Die<br />
Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Typs 3 wer<strong>de</strong>n intensiver (in Kitas,<br />
Spielgruppen etc.) fremdbetreut, das Bildungsniveau<br />
ihrer Mütter ist am tiefsten und<br />
sie haben häufiger ältere Geschwister. Ihr So-<br />
zialverhalten ist von <strong>de</strong>n Eltern leicht negativ<br />
eingeschätzt wor<strong>de</strong>n.<br />
Typ 4: Ausschliesslich familienintern betreute<br />
Schnellentwickler<br />
Typ 4 umfasst Kin<strong>de</strong>r, welche in <strong>de</strong>r mathematischen<br />
Entwicklung einerseits am weitesten<br />
fortgeschritten sind und auch intellektuell<br />
überdurchschnittliche Werte zeigen. An<strong>de</strong>rerseits<br />
ist ihr Sozialverhalten vergleichsweise am<br />
wenigsten entwickelt. Im Wortschatz lässt sich<br />
keine Ten<strong>de</strong>nz feststellen. Geschwister haben<br />
sie seltener, und die Mütter sind vergleichsweise<br />
eher gut gebil<strong>de</strong>t. Im Unterschied zu<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren drei Typen wer<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r dieses<br />
Typs am ausgeprägtesten ausschliesslich familienintern<br />
betreut.<br />
Fazit<br />
Die Typologie bestätigt dreierlei:<br />
Erstens die enorme Heterogenität <strong>de</strong>r<br />
Entwicklungsverläufe von relativ bildungsnah<br />
aufwachsen<strong>de</strong>n Vorschulkin<strong>de</strong>rn. Sie<br />
lässt sich im Wesentlichen auf drei Merkmale<br />
zurückführen: auf das Betreuungsmuster<br />
(familieninterne/-ergänzen<strong>de</strong> Betreuung)<br />
und die Intensität <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />
Betreuung, auf das Bildungsniveau<br />
<strong>de</strong>r Mutter, auf das Vorhan<strong>de</strong>nsein<br />
von Geschwistern.<br />
Zweitens, dass sowohl familieninterne als<br />
auch familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung mit<br />
beson<strong>de</strong>rs günstigen, aber auch mit eher<br />
langsamen Entwicklungsverläufen einhergehen<br />
können.<br />
Drittens, dass es bestimmte Konstellationen<br />
gibt, welche einen beson<strong>de</strong>rs günstigen<br />
und akzelerierten Entwicklungsverlauf<br />
charakterisieren. Das sind die «intensiv<br />
fremdbetreuten Schnellentwickler». Die<br />
Umweltbedingungen dieser Kin<strong>de</strong>r zeich-
nen sich zum einen durch eine intensive<br />
familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung aus, zum<br />
an<strong>de</strong>ren durch das Vorhan<strong>de</strong>nsein vorwiegend<br />
älterer und seltener jüngerer Geschwister<br />
sowie durch Mütter mit einem<br />
hohen formalen Bildungsniveau. Es sind<br />
also keinesfalls – wie dies in <strong>de</strong>r populärwissenschaftlichen<br />
Literatur häufig behauptet<br />
wird – lediglich hohe intellektuelle<br />
Fähigkeiten o<strong>de</strong>r hohe Sprach- o<strong>de</strong>r Sozialkompetenzen,<br />
welche beson<strong>de</strong>rs günstige<br />
Vorschulentwicklungen respektive eine<br />
gute Schulfähigkeit prädizieren. Vielmehr<br />
ist es eine Kombination von Merkmalen<br />
personaler, familialer und betreuungsrelevanter<br />
Art, wobei die familialen<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 32<br />
Faktoren die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Variable darstellen.<br />
Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />
Schnei<strong>de</strong>r, W. (Hrsg.). Entwicklung von <strong>de</strong>r<br />
Kindheit bis zum Erwachsenenalter: Befun<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>r Münchner Längsschnittstudie LOGIK.<br />
Weinheim: Beltz PVU.<br />
Zimmermann, P. Becker-Stoll, F., Grossmann,<br />
K., Grossmann, K.E., Scheuerer-Englisch, H. &<br />
Wartner, U. (2000). Längsschnittliche Bindungsentwicklung<br />
von <strong>de</strong>r frühen Kindheit bis<br />
zum Jugendalter. Kindheit und Entwicklung ,<br />
47, 99-117.
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 33<br />
Briefing Paper 7: Pädagogische und bildungspolitische<br />
Konsequenzen<br />
Dieses Briefing Paper greift die wichtigsten Ergebnisse<br />
unserer FRANZ-Studie heraus, diskutiert<br />
sie und leitet daraus sieben Empfehlungen<br />
ab. Wie mehrfach bereits betont, sind sie auf die<br />
Mittelschicht ausgerichtet.<br />
Mehrheitlich anregungsreiche <strong>Familie</strong>numwelten<br />
Insgesamt zeigt unsere FRANZ-Studie, dass die<br />
meisten Kin<strong>de</strong>r eine Vorschulzeit in anregen<strong>de</strong>n<br />
familiären Umgebungen verbracht haben. Die<br />
Eltern planen in mo<strong>de</strong>ratem Ausmass die Aktivitäten<br />
für ihre Kin<strong>de</strong>r, die weitgehend auf eine<br />
ganzheitliche Entwicklung ausgerichtet sind. Da<br />
86% <strong>de</strong>r Eltern auch über ein beträchtliches kulturelles<br />
Kapital im Sinne von vielen Büchern,<br />
Zeitungen und Zeitschriften verfügen, üben sie<br />
auch in dieser Hinsicht eine beträchtliche Mo<strong>de</strong>llwirkung<br />
auf ihre Kin<strong>de</strong>r aus. Da sie <strong>de</strong>n Medienkonsum<br />
ebenfalls gezielt kontrollieren und<br />
ihn bewusst und in Interaktion mit <strong>de</strong>m Kind<br />
gestalten, ergibt sich insgesamt ein Bild einer<br />
entwicklungsför<strong>de</strong>rlichen Vorschulkindheit. Dass<br />
dieser allgemeine Befund allerdings zu differenzieren<br />
ist, zeigt unsere Typologie. Sie verweist<br />
darauf, dass in diesen <strong>Familie</strong>n sowohl akzelerierte<br />
als auch verlangsamte kindliche Entwicklungsmuster<br />
möglich sind.<br />
Empfehlung 1: Es sollte verstärkt zur Kenntnis<br />
genommen wer<strong>de</strong>n, dass es erziehungskompetente<br />
<strong>Familie</strong>n gibt. Sie kommen nicht nur<br />
ihren Aufgaben und Verpflichtungen nach,<br />
son<strong>de</strong>rn stellen ihren Kin<strong>de</strong>rn auch gute Entwicklungsmöglichkeiten<br />
zur Verfügung. Solche<br />
Mo<strong>de</strong>lle haben durchaus Best-Practice<br />
Charakter und sollten <strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Diskussion<br />
um Frühför<strong>de</strong>rung und <strong>Familie</strong>nverantwortung<br />
ebenso thematisiert wer<strong>de</strong>n wie die<br />
Negativmo<strong>de</strong>lle von <strong>Familie</strong>n, <strong>de</strong>nen dies<br />
nicht gelingt. Der bildungs- und sozialpolitische<br />
Blick sollte ein differenzierterer wer<strong>de</strong>n<br />
als er bisher ist.<br />
Vielfältige Betreuungsmuster, aber mütterliche<br />
Hauptverantwortung<br />
Die Vielfalt <strong>de</strong>r Betreuungsmuster ist enorm.<br />
30% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r sind in ihren ersten drei Lebensjahren<br />
ausschliesslich familienintern, 70% zusätzlich<br />
durchschnittlich an zwei Wochentagen<br />
fremdbetreut wor<strong>de</strong>n. Im Vergleich zur Schwei-<br />
zer Durchschnittsbevölkerung mit 48% ausschliesslich<br />
familieninterner und 52% familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung sind die Anteile unserer<br />
Studie damit höher. Ein Drittel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r ist in<br />
<strong>de</strong>n ersten drei Lebensjahren zu<strong>de</strong>m an mehr als<br />
zwei Orten betreut wor<strong>de</strong>n. Mit dreieinhalb<br />
Jahren waren es mehr als 50%, bei <strong>de</strong>n Fünfjährigen<br />
jedoch wie<strong>de</strong>r nur mehr 38%. Mit <strong>de</strong>m<br />
Besuch <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rgartens haben offenbar viele<br />
<strong>Familie</strong>n vermehrt auf zusätzliche familienergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung verzichtet, weshalb <strong>de</strong>r<br />
Anteil <strong>de</strong>r ausschliesslich zuhause betreuten<br />
Kin<strong>de</strong>r im Alter von fünf Jahren auf fast 50%<br />
angestiegen ist.<br />
Auch unsere Studie kommt – wie viele an<strong>de</strong>re<br />
Untersuchungen – zum Schluss, dass die Betreuung<br />
zuhause mehrheitlich von <strong>de</strong>n Müttern<br />
geleistet wird, auch wenn diese einer Berufstätigkeit<br />
von 60% o<strong>de</strong>r mehr nachgehen. Sie sind<br />
es vorwiegend, welche die interne Verantwortung<br />
für die Erziehung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />
tragen und mit allen Kompromissentscheidungen<br />
durch <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n- und Berufsalltag<br />
jonglieren.<br />
Empfehlung 2: Die Diskussion um die Vereinbarkeit<br />
von Beruf und <strong>Familie</strong> ist nahezu ausschliesslich<br />
auf das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Berufstätigkeit<br />
bei<strong>de</strong>r Elternteile ausgerichtet und auf eine<br />
einzelne Betreuungsform fokussiert – die<br />
Kita, die Tagesfamilie o<strong>de</strong>r die Nanny – und<br />
damit zu wenig auf die Tatsache, dass <strong>de</strong>r<br />
Grossteil <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n eine Kombination verschie<strong>de</strong>ner<br />
Möglichkeiten wählen will o<strong>de</strong>r<br />
wählen muss.<br />
Die familienpolitische Diskussion sollte somit<br />
verstärkt verschie<strong>de</strong>ne familiäre Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />
und auch <strong>de</strong>n möglicherweise nicht<br />
immer unproblematischen Mix an Betreuungsmustern<br />
in <strong>de</strong>n Blick nehmen. Die offenbar<br />
starke interne Rolle <strong>de</strong>r Mutter, auch<br />
wenn diese beruflich engagiert ist, sollte zu<strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>n Blick für die Notwendigkeit öffnen,<br />
dass eine Diskussion zu kurz greift, welche lediglich<br />
die Teilzeitarbeit von Vätern in <strong>de</strong>n<br />
Blick nimmt.
Die <strong>Familie</strong> als Herzstück <strong>de</strong>r kindlichen<br />
Entwicklung<br />
Vergleicht man die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />
Betreuung für die Entwicklung von<br />
Vorschulkin<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>rjenigen <strong>de</strong>s familiären<br />
Hintergrun<strong>de</strong>s, so erweist sich dieser als ein<strong>de</strong>utig<br />
wichtiger. Die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />
hat zwar einen (mehrheitlich positiven) Einfluss<br />
auf die Entwicklung, doch wird sie durch Merkmale<br />
<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> überlagert und verliert dadurch<br />
an Relevanz. Als beson<strong>de</strong>rs be<strong>de</strong>utsam erweisen<br />
haben sich das mütterliche Bildungsniveau, die<br />
Anzahl <strong>de</strong>r im Haushalt verfügbaren Zeitungen<br />
und Zeitschriften sowie das Vorhan<strong>de</strong>nsein von<br />
Geschwistern. Die Geschwisterreihenfolge spielt<br />
dabei eine Rolle. So haben die am fortgeschrittensten<br />
entwickelten Kin<strong>de</strong>r am häufigsten ältere<br />
Geschwister. Dies mag damit zu tun haben,<br />
dass sie die kognitive und sprachliche Entwicklung<br />
<strong>de</strong>r Jüngeren stimulieren, weil diese<br />
dadurch im Alltag mit kognitiv herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />
Spielen in Kontakt kommen.<br />
Dass <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung<br />
relativ beschei<strong>de</strong>n ist, mag zwar erstaunen.<br />
Denn viele frühere Untersuchungen fan<strong>de</strong>n<br />
einen starken positiven Einfluss von familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung auf die Entwicklung <strong>de</strong>r<br />
Kin<strong>de</strong>r. Allerdings haben sich diese Studien oft<br />
auf benachteiligte <strong>Familie</strong>n konzentriert, in <strong>de</strong>nen<br />
die Kin<strong>de</strong>r wenig geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n. Unser<br />
Befund dürfte <strong>de</strong>shalb mit zwei Aspekten zusammenhängen:<br />
Erstens fällt die durchschnittliche<br />
Betreuungsintensität mit etwa zwei Tagen<br />
pro Woche im Vergleich zu an<strong>de</strong>ren Studien eher<br />
gering aus. Zweitens ist das familiäre Umfeld<br />
unserer FRANZ-Kin<strong>de</strong>r schon sehr för<strong>de</strong>rlich,<br />
sodass familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung nur wenig<br />
daran än<strong>de</strong>rn kann. Insgesamt schaffen die Eltern<br />
ihren Kin<strong>de</strong>rn nicht nur eine behütete und<br />
voraussetzungsreiche, weil sorgfältig ausgestattete<br />
Kindheit, son<strong>de</strong>rn auch mit einiger Sicherheit<br />
Vorteile für das spätere Leben.<br />
Empfehlung 3a: Der <strong>Familie</strong>nbildung und Elternarbeit<br />
sollte in <strong>de</strong>r Diskussion um<br />
Frühför<strong>de</strong>rung und Schulvorbereitung die<br />
gleiche Be<strong>de</strong>utung beigemessen wer<strong>de</strong>n wie<br />
<strong>de</strong>m Ausbau familienergänzen<strong>de</strong>r Betreuung.<br />
Empfehlung 3b: Unsere auf privilegiertere<br />
<strong>Familie</strong>n eingeschränkten FRANZ-Ergebnisse<br />
erlauben einen neuen Blick auf die Situation<br />
benachteiligt aufwachsen<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r: Wenn<br />
familiäre Einflüsse <strong>de</strong>rart be<strong>de</strong>utsam sind,<br />
dann sind Kin<strong>de</strong>r aus sozial schwachen und<br />
risikobehafteten <strong>Familie</strong>n doppelt benachteiligt:<br />
weil diese ihnen oft wenig för<strong>de</strong>rliche<br />
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 34<br />
Aufwachsbedingungen zur Verfügung stellen<br />
können. Darüber hinaus besuchen solche Kin<strong>de</strong>r<br />
auch <strong>de</strong>utlich seltener als privilegiertere<br />
Kin<strong>de</strong>r eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung,<br />
welche kompensierend wirken kann. Diese<br />
Gesamtsituation kann zur Folge haben, dass<br />
sich die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Startchancen <strong>de</strong>r<br />
Kin<strong>de</strong>r weiter vergrössern und zwar <strong>de</strong>shalb,<br />
weil solche aus privilegierteren <strong>Familie</strong>n dank<br />
ihrer besseren Lernausgangslagen stärker profitieren.<br />
Deshalb sollte alles daran gesetzt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass eine frühzeitige, d.h. in <strong>de</strong>r<br />
Schwangerschaft und vor allem nach <strong>de</strong>r Geburt<br />
eines Kin<strong>de</strong>s einsetzen<strong>de</strong> <strong>Familie</strong>nbegleitung<br />
für benachteiligte <strong>Familie</strong>n systematisch<br />
und flächen<strong>de</strong>ckend aufgebaut wird. Wir wissen<br />
alle, dass erst das Angebot die Nachfrage<br />
schafft.<br />
Positive Entwicklungsverläufe bei allen Betreuungsmustern<br />
möglich<br />
Alle in unserer Studie eruierten Betreuungskonstellationen<br />
können för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Auswirkungen auf<br />
die kindliche Entwicklung haben. Die Entwicklungsmuster<br />
sind jedoch unterschiedlicher Art.<br />
Damit wird <strong>de</strong>utlich, dass die Heterogenität<br />
gleichaltriger – und vor allem auch aus ähnlichen<br />
Milieus stammen<strong>de</strong>r – Vorschulkin<strong>de</strong>r in allen<br />
Entwicklungsbereichen – im sprachlichen, mathematischen,<br />
intellektuellen Bereich und auch<br />
im Sozialverhalten – gross ist. Grundsätzlich<br />
kann von keinem Betreuungsmuster erwartet<br />
wer<strong>de</strong>n, dass es Fortschritte in allen kindlichen<br />
Entwicklungsbereichen garantiert.<br />
Ein intensiverer Besuch einer familienergänzen<strong>de</strong>n<br />
Betreuung – Tagesfamilie, Kita, Spielgruppe<br />
– wirkt sich beispielsweise auf die kognitive,<br />
sprachliche und mathematische Entwicklung<br />
positiv aus: Der Hauptgrund hierfür dürfte sein,<br />
dass die Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Betreuungseinrichtungen<br />
von spezifischen Anregungen<br />
profitieren können. Allerdings gehen bestimmte<br />
Merkmale ausschliesslich familieninterner Betreuung<br />
ebenfalls mit günstigen Entwicklungsverläufen<br />
einher, so etwa das Bildungsniveau <strong>de</strong>r<br />
Mutter o<strong>de</strong>r das Vorhan<strong>de</strong>nsein älterer Geschwister.<br />
In Bezug auf die soziale Entwicklung<br />
(oppositionell-aggressives Verhalten) präsentiert<br />
sich das Bild etwas an<strong>de</strong>rs: In Kitas betreute<br />
Kin<strong>de</strong>r zeigten im Elternurteil ein aggressiveres<br />
Verhalten als Kin<strong>de</strong>r, die keine Kita besuchten.<br />
Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Kin<strong>de</strong>r,<br />
die häufig mit Gleichaltrigen in institutionellen<br />
Betreuungsformen zusammen sind, auch mehr<br />
Gelegenheit zu Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen haben als<br />
Kin<strong>de</strong>r, die ausschliesslich im Kreis <strong>de</strong>r Kernfamilie,<br />
bei Verwandten o<strong>de</strong>r Grosseltern betreut
wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>rerseits zeigen ausschliesslich familienintern<br />
betreute Kin<strong>de</strong>r die geringste Sozialkompetenz<br />
(vgl. Typ 4 <strong>de</strong>r Clusteranalyse).<br />
Insgesamt lassen die Ergebnisse zu <strong>de</strong>n Betreuungseffekten<br />
auf die Entwicklungsverläufe folgen<strong>de</strong><br />
Aussagen zu: Wird ein Kind nicht nur familienintern,<br />
son<strong>de</strong>rn auch familienergänzend<br />
betreut, zeigt es zwar ein etwas aggressiveres<br />
Verhalten, profitiert im Gegenzug jedoch in kognitiver,<br />
sprachlicher und mathematischer Hinsicht.<br />
An<strong>de</strong>rerseits sind ausschliesslich familienintern<br />
betreute Kin<strong>de</strong>r am wenigsten weit in<br />
ihrem Sozialverhalten entwickelt.<br />
In Bezug auf das Ergebnis, wonach in Kitas betreute<br />
Kin<strong>de</strong>r im Elternurteil ein aggressiveres<br />
Verhalten zeigten als Kin<strong>de</strong>r, die keine Kita besuchten,<br />
wäre die Interpretation unzulässig, dass<br />
Fremdbetreuung für junge Kin<strong>de</strong>r generell die<br />
Aggressionsbereitschaft erhöhe. Erstens han<strong>de</strong>lt<br />
es sich bei unseren Daten ausschliesslich um<br />
eine Elterneinschätzung. Zweitens kann nicht<br />
je<strong>de</strong>s oppositionell-aggressive Verhalten, wie<br />
etwa das Nicht-Befolgen von Anweisungen,<br />
Wutausbrüche o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Formen von Impulsivität,<br />
per se als Negativverhalten beurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />
In bestimmten Kontexten können solche<br />
Verhaltensweisen sogar angemessen sein.<br />
Empfehlung 4: Die bisherige Diskussion, welche<br />
sich einseitig entwe<strong>de</strong>r auf positive o<strong>de</strong>r<br />
auf negative Auswirkungen von Kitas auf die<br />
kindliche Entwicklung konzentriert hat, ist zu<br />
revidieren. Weil <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser<br />
ist als <strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung,<br />
müssen Urteile zur Qualität von Fremdbetreuung<br />
immer unter Einbezug familiärer<br />
Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />
Beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklungsverläufe<br />
Hohe mütterliche Bildung und intensive familienergänzen<strong>de</strong><br />
Betreuung gehen mit <strong>de</strong>n fortgeschrittensten<br />
Entwicklungsverläufen einher.<br />
Darauf verweisen die «intensiv fremdbetreuten<br />
Schnellentwickler» (Typ 2). Ebenfalls überdurchschnittliche<br />
Entwicklungen- ausgenommen im<br />
sozialen Verhalten – weisen die Kin<strong>de</strong>r dann auf,<br />
wenn sie in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>, nicht aber familienergänzend<br />
betreut wer<strong>de</strong>n. Dafür steht Typ 4, die<br />
«ausschliesslich familienintern betreuten Schnellentwickler».<br />
Ein vergleichsweise geringes formales<br />
Bildungsniveau <strong>de</strong>r Mutter, kombiniert<br />
mit sowohl wenig als auch viel familienergänzen<strong>de</strong>r<br />
Betreuung, steht in Zusammenhang mit<br />
weniger fortgeschrittenen Entwicklungsverläufen.<br />
Diese Zusammenhänge fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n<br />
Typen 1 («wenig fremdbetreute Langsament-<br />
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />
Seite 35<br />
wickler») und 3 («intensiv fremdbetreute Langsamentwickler»).<br />
Empfehlung 5: Die Entwicklungsmuster <strong>de</strong>r<br />
FRANZ-Kin<strong>de</strong>r verweisen auf ihre – kurz vor<br />
<strong>de</strong>m Schuleintritt – sehr unterschiedlichen<br />
Lernausgangslagen. Nimmt man nicht nur<br />
diese Mittelschichtkin<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn zusätzlich<br />
auch die Kin<strong>de</strong>r aus benachteiligten <strong>Familie</strong>n<br />
und solche mit Migrationshintergrund in <strong>de</strong>n<br />
Blick, dann ist zu erwarten, dass die Heterogenität<br />
in dieser Hinsicht noch viel grösser ist.<br />
Kin<strong>de</strong>rgarten und Schuleingangsstufe sollten<br />
<strong>de</strong>shalb solche empirischen Tatsachen als<br />
selbstverständliches und unhinterfragtes<br />
Fundament ihrer pädagogischen Arbeit zugrun<strong>de</strong><br />
legen.<br />
Medien als unabhängige Einflussgrösse<br />
Medien erweisen sich als be<strong>de</strong>utsam für die<br />
kindliche Entwicklung. Dies gilt unabhängig von<br />
familiären und betreuungsbezogenen Einflüssen.<br />
Für einen för<strong>de</strong>rlichen Einfluss zentral ist in erster<br />
Linie die Tatsache, dass ein Grossteil <strong>de</strong>r Eltern<br />
die genutzten Medien gemeinsam mit <strong>de</strong>m<br />
Kind bespricht. Tun sie dies regelmässig, wirkt<br />
sich dies positiv auf seine kognitive und soziale<br />
Entwicklung aus. Zum an<strong>de</strong>ren sind Form und<br />
Inhalt <strong>de</strong>r Medien wichtig: Konsumiert das Kind<br />
hauptsächlich informative Medieninhalte – beispielsweise<br />
Hörbücher o<strong>de</strong>r Fernsehsendungen,<br />
welche auch problemlösungsorientiert sind – so<br />
sind damit positive Effekte auf <strong>de</strong>n Wortschatz<br />
verbun<strong>de</strong>n, wahrscheinlich <strong>de</strong>shalb, weil solche<br />
Medien in <strong>de</strong>r Lage sind, <strong>de</strong>n Sprachgebrauch<br />
mo<strong>de</strong>llhaft zu beeinflussen. An<strong>de</strong>rs sieht es bei<br />
interaktiven Medienformen aus: Wer<strong>de</strong>n diese<br />
häufiger genutzt, verlangsamt sich die sprachliche<br />
und mathematische Entwicklung. In Bezug<br />
auf Bildschirmmedien sind unsere Befun<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rsprüchlich:<br />
So wirkt sich eine intensivere<br />
Nutzung unabhängig von <strong>de</strong>n Inhalten negativ<br />
auf <strong>de</strong>n Wortschatz, jedoch positiv auf das Sozialverhalten,<br />
aus. Dieser Befund kann damit erklärt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass Kin<strong>de</strong>r soziales Lernen regelmässiger<br />
praktizieren können, wenn sie gemeinsam<br />
Medien konsumieren.<br />
Empfehlung 6: Angesichts unserer Ergebnisse,<br />
wonach ein guter pädagogischer Einsatz<br />
von Medien sowohl die sprachliche Entwicklung<br />
als auch das Sozialverhalten positiv unterstützen<br />
kann, sollte das Thema ‚Medien im<br />
Vorschulbereich‘ eine viel grössere Be<strong>de</strong>utung<br />
erhalten als dies bis anhin <strong>de</strong>r Fall ist.<br />
Dies gilt sowohl für die Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit<br />
als auch für die Aus- und Weiterbildung<br />
in pädagogischen Institutionen.
Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />
Seite 36
<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong>