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Bildungsort Familie - Université de Fribourg

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<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />

von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Dossier 13/1<br />

Prof. Dr. Margrit Stamm


Talentmanagement<br />

in <strong>de</strong>r beruflichen<br />

Grundbildung<br />

Was wir wissen und wissen sollten, um<br />

die Innovationskraft <strong>de</strong>r Berufsbildung<br />

voranzutreiben<br />

SWISS Education<br />

Swiss Institute for Educational Issues<br />

Prof. Dr. Margrit Stamm<br />

Professorin em. für Erziehungswissenschaft <strong>de</strong>r Universität <strong>Fribourg</strong><br />

Neuengasse 8<br />

CH-3011 Bern<br />

031 311 69 69<br />

margrit.stamm@unifr.ch<br />

www.margritstamm.ch<br />

https://twitter.com/MargritStamm<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Dossier Berufsbildung 12/1<br />

Seite - 2 -


Inhalt<br />

<strong>Familie</strong>, Betreuung und Entwicklung<br />

Seite 3<br />

Vorwort ........................................................................................................................ - 4 -<br />

Management Summary..................................................................................................... 9<br />

Schlüsselbotschaften ...................................................................................................... 13<br />

Briefing Paper 1: <strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong> und Be<strong>de</strong>utung .................................... 17<br />

Briefing Paper 2: Betreuung und För<strong>de</strong>rung inner- und ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> ................ 20<br />

Briefing Paper 3: Das Projekt FRANZ ................................................................................ 23<br />

Briefing Paper 4: Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen und Elterneinstellungen ...... 25<br />

Briefing Paper 5: Betreuungsmuster und ihr Einfluss auf die kindliche Entwicklung .......... 27<br />

Briefing Paper 6: Typische Entwicklungsverläufe ............................................................. 30<br />

Briefing Paper 7: Pädagogische und bildungspolitische Konsequenzen ............................. 33


Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite - 4 -


Vorwort<br />

In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat<br />

sich in <strong>de</strong>r Schweiz im<br />

Vorschulbereich viel getan.<br />

Zu nennen sind sowohl<br />

<strong>de</strong>r Ausbau <strong>de</strong>r<br />

Frühför<strong>de</strong>r- und Betreuungsangebote<br />

inklusive<br />

Projekte zur Untersuchung<br />

ihrer Qualität sowie<br />

die im Rahmen von<br />

HarmoS erfolgen<strong>de</strong> Neuregelung <strong>de</strong>r Schuleingangsphase,<br />

welche spätestens ab <strong>de</strong>m Schuljahr<br />

2015/2016 eine Einbindung <strong>de</strong>s zweijährigen<br />

Kin<strong>de</strong>rgartens in die Schulpflicht vorsieht.<br />

Solche Entwicklungen sind Ausdruck neuerer<br />

Forschungserkenntnisse aus <strong>de</strong>n Neurowissenschaften,<br />

<strong>de</strong>r Psychologie und <strong>de</strong>r Erziehungswissenschaft.<br />

Obwohl sie unterschiedliche<br />

Schwerpunkte setzen, haben sie einen doppelten<br />

gemeinsamen Nenner: Erstens erachten sie<br />

die Vorschuljahre <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s als eine Zeit enormen<br />

körperlichen, emotionalen und geistigen<br />

Wachstums, in <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r eine ungeheure Kapazität<br />

zum Lernen entwickeln können. Zweitens<br />

betonen sie die notwendigen Grundlagen, welche<br />

hierzu notwendig sind: Kin<strong>de</strong>r brauchen Liebe,<br />

Fürsorge, soziale und emotionale Sicherheit<br />

sowie auch Stimulation <strong>de</strong>rjenigen Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten, welche sie erfolgreich auf <strong>de</strong>n<br />

Schuleintritt vorbereiten.<br />

Die <strong>Familie</strong>, insbeson<strong>de</strong>re die Eltern, spielen in<br />

diesem Entwicklungsprozess eine Schlüsselrolle.<br />

Heute ist vielfach belegt, dass kaum etwas <strong>de</strong>n<br />

Bildungserfolg eines Kin<strong>de</strong>s so <strong>de</strong>utlich vorbestimmt<br />

wie die Sozialisation in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>. 20%<br />

bis 25% <strong>de</strong>r Leistungsunterschie<strong>de</strong> von Schulkin<strong>de</strong>rn<br />

gehen auf häusliche Bedingungen zurück.<br />

Der Faktor <strong>Familie</strong> dürfte <strong>de</strong>shalb die grössere<br />

Rolle spielen als jene Themen, welche in <strong>de</strong>n<br />

letzten Jahren im Zuge hitziger Reform<strong>de</strong>batten<br />

so oft diskutiert wor<strong>de</strong>n sind, etwa die Schulstrukturen<br />

o<strong>de</strong>r die Ausstattung von Schulgebäu<strong>de</strong>n.<br />

Lei<strong>de</strong>r wissen wir bis heute sehr wenig über die<br />

<strong>Familie</strong> selbst, d.h. wie sie ihre Vorschulkin<strong>de</strong>r<br />

för<strong>de</strong>rn, welche Rolle dabei die Betreuung spielt<br />

und welche Ziele die Eltern in ihrer Erziehung<br />

verfolgen. Einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> liegt darin, dass sich<br />

die bisherige frühpädagogische Forschung stark<br />

auf <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung<br />

(Kin<strong>de</strong>rkrippen, Tagesfamilien etc.), auf<br />

die Ausbildung <strong>de</strong>s Personals sowie auf För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />

bildungsbenachteiligter Kin<strong>de</strong>r<br />

konzentriert hat. Deshalb war es erstes Ziel unserer<br />

FRANZ-Studie, einen differenzierten Blick<br />

<strong>Familie</strong>, Betreuung und Entwicklung<br />

Seite 5<br />

auf <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn zu werfen.<br />

FRANZ ist das Kürzel für die Frage: «Früher an<br />

die Bildung – erfolgreicher in die Zukunft?». Geför<strong>de</strong>rt<br />

wur<strong>de</strong> die Studie von <strong>de</strong>r Hamasil-<br />

Stiftung und <strong>de</strong>r AVINA-Stiftung.<br />

FRANZ hat 300 Kin<strong>de</strong>r und ihre <strong>Familie</strong>n während<br />

drei Jahren untersucht. Heute sind wir in<br />

<strong>de</strong>r Lage, folgen<strong>de</strong> Fragen zu beantworten: Wie<br />

haben sich diese Vorschulkin<strong>de</strong>r entwickelt? Wie<br />

wur<strong>de</strong>n sie betreut? Zu Hause von <strong>de</strong>n Eltern,<br />

ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> bei Verwandten, in einer<br />

Kin<strong>de</strong>rtagesstätte o<strong>de</strong>r von Nannys? Welches<br />

sind die Auswirkungen dieser Betreuung auf die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r? Gibt es entwicklungsför<strong>de</strong>rlichere<br />

respektive eher entwicklungshemmen<strong>de</strong><br />

Betreuungsformen? Und: Gibt es<br />

Faktoren, welche eine beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklung<br />

kennzeichnen?<br />

Das vorliegen<strong>de</strong> Dossier fasst die wichtigsten Ergebnisse<br />

von FRANZ zusammen und leitet daraus<br />

pädagogische, bildungs- und sozialpolitische<br />

Konsequenzen und Empfehlungen ab. Vorgängig<br />

wer<strong>de</strong>n jedoch die wichtigsten Erkenntnisse zur<br />

Situation heutiger <strong>Familie</strong>n, zu ihren Konstellationen,<br />

ihrer Be<strong>de</strong>utung und auch zu ihrer Wirkung<br />

dargestellt.<br />

Da die untersuchten Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r FRANZ-Studie<br />

aus vorwiegend bildungsnahen <strong>Familie</strong>n stammen,<br />

sind keine Aussagen zu <strong>Familie</strong>n aus sozial<br />

schwachen Verhältnissen möglich. Zuerst haben<br />

wir diese Einschränkung bedauert. Heute entpuppt<br />

sie sich jedoch als Chance: Aufgrund <strong>de</strong>s<br />

marginalen Wissens zu Mittelschichtfamilien<br />

können wir mit unseren Ergebnissen nicht nur<br />

eine wichtige Lücke schliessen, son<strong>de</strong>rn auch einen<br />

aktuellen Beitrag zur Mittelschicht-Debatte<br />

liefern, wie sie kürzlich von Economie Suisse und<br />

Avenir Suisse lanciert wor<strong>de</strong>n ist. Unsere Ergebnisse<br />

lassen sich jedoch auch als Folie über die<br />

von <strong>de</strong>r OECD vor Weihnachten geübte Kritik an<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>npolitik <strong>de</strong>r Schweiz im Bericht «Closing<br />

the Gen<strong>de</strong>r Gap – Act now» legen und sie<br />

etwas relativieren.<br />

Gerne hoffe ich, dass dieses Dossier wie<strong>de</strong>rum<br />

das Interesse <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n-, Bildungs- und Sozialpolitik<br />

sowie <strong>de</strong>r Ausbildungs- und Berufspraxis<br />

fin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n – aber auch dasjenige interessierter<br />

<strong>Familie</strong>n.<br />

Bern, im Januar 2013<br />

Prof. Dr. em. Margrit Stamm


<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong>


Wie Sie dieses Dossier verwen<strong>de</strong>n können<br />

Welche Faktoren bestimmen eigentlich die Entwicklung<br />

eines Kin<strong>de</strong>s? Herzu sind die Meinungen<br />

sehr gespalten. Während die einen davon<br />

ausgehen, dass es die Gene sind, welche die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s weitgehend beeinflussen,<br />

sehen an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Menschen in erster Linie<br />

als Produkt <strong>de</strong>r familiären Erziehung. Aufgrund<br />

<strong>de</strong>s heutigen Forschungsstan<strong>de</strong>s lautet die richtige<br />

Antwort: Ein Teil <strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong> zwischen<br />

Kin<strong>de</strong>rn ist genetisch, <strong>de</strong>r grössere Teil jedoch<br />

durch die <strong>Familie</strong>, die Betreuungsumwelt und die<br />

kindlichen Persönlichkeitsmerkmale <strong>de</strong>terminiert.<br />

Der Mensch ist somit we<strong>de</strong>r das Opfer seiner<br />

Gene noch <strong>de</strong>r Umwelt. Bei<strong>de</strong> wirken bei <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s aktiv mit. Dabei üben<br />

auch die Kin<strong>de</strong>r auf ihre <strong>Familie</strong>n einen Einfluss<br />

aus.<br />

Für die Eltern haben solche Erkenntnisse zwei,<br />

beinahe triviale Konsequenzen: erstens, dass die<br />

familiäre Umwelt eine zentrale Rolle bei <strong>de</strong>r<br />

kindlichen Entwicklung spielt; zweitens, dass <strong>de</strong>n<br />

Möglichkeiten, diese zu för<strong>de</strong>rn, auch Grenzen<br />

gesetzt sind. Je<strong>de</strong>s Kind hat sein spezifisches<br />

Merkmalsprofil mit Stärken und Schwächen.<br />

Wenn also etwas in <strong>de</strong>r Erziehung schief läuft,<br />

dann sind nicht die Eltern an allem Schuld. Obwohl<br />

die <strong>Familie</strong> <strong>de</strong>n Schlüsselfaktor für die kindliche<br />

Entwicklung darstellt, gibt es auch an<strong>de</strong>re<br />

Faktoren, welche die kindliche Entwicklung beeinflussen.<br />

Das Gleiche gilt, wenn etwas in <strong>de</strong>r<br />

kindlichen Entwicklung beson<strong>de</strong>rs gut läuft. Eltern<br />

wer<strong>de</strong>n sie nie vollkommen kontrollieren<br />

können, auch dann nicht, wenn sie über ein hohes<br />

ökonomisches Kapital verfügen. Es ist weniger<br />

wichtig, wer sie sind als das, was sie mit ihrem<br />

Kind tun. Aber perfekt können Eltern nicht<br />

sein, ebenso wenig wie ihre Kin<strong>de</strong>r. Deshalb sollte<br />

man eher von ‚hinreichend guten‘ Eltern sprechen.<br />

In diesem Dossier wird aufgezeigt, welches die<br />

Aufwachsbedingungen heutiger Vorschulkin<strong>de</strong>r<br />

sind, welchen Beitrag hierzu ihre <strong>Familie</strong>n leisten,<br />

wie sie sich im Alltag organisieren und welche<br />

Auswirkungen die Betreuung auf die kindliche<br />

Entwicklung hat. Das Dossier basiert auf folgen<strong>de</strong>n<br />

Fragen auf:<br />

Wie gestalten <strong>Familie</strong>n von Vorschulkin<strong>de</strong>rn ihren<br />

Alltag und welche Betreuungsformen wählen<br />

sie?<br />

Wie wirken sich die unterschiedlichen Betreuungsformen<br />

auf die kindliche Entwicklung aus<br />

und wie gestalten sich die Entwicklungsverläufe<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r?<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 7<br />

Auf welche Einflussfaktoren sind die Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn zurückzuführen?<br />

Welche Kin<strong>de</strong>r zeigen die günstigsten Entwicklungsprofile?<br />

Zunächst wer<strong>de</strong>n in einem Management<br />

Summary die Erkenntnisse zu <strong>de</strong>n behan<strong>de</strong>lten<br />

Fragen kurz erläutert und zu einzelnen<br />

Schlüsselbotschaften verdichtet. Anschliessend<br />

wird in insgesamt sieben «Briefing Papers» das<br />

zur Thematik relevante Wissen in komprimierter<br />

Form zusammengestellt und mit spezifischen<br />

Literaturhinweisen ergänzt. Briefing Paper 1 und<br />

2 präsenteren Erkenntnisse zur Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Familie</strong> für das Aufwachsen eines Kin<strong>de</strong>s in<br />

Bezug auf Betreuung, För<strong>de</strong>rung und familiärem<br />

Alltagsleben. Briefing Paper 3 gibt einen<br />

Überblick über <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r FRANZ-Studie<br />

und die Merkmale <strong>de</strong>r beteiligten Kin<strong>de</strong>r und<br />

ihrer <strong>Familie</strong>n. Die Briefing Papers 4 bis 6<br />

diskutieren die wichtigsten Studienergebnisse.<br />

Zum Abschluss wer<strong>de</strong>n in Briefing Paper 7 die<br />

Erkenntnisse zusamengefasst und daraus sieben<br />

Empfehlungen abgeleitet:<br />

Verstärkte Kenntnisnahme, dass es erziehungskompetente<br />

<strong>Familie</strong>n gibt und es einen differenzierteren<br />

Blick auf <strong>Familie</strong>n, als dies bisher <strong>de</strong>r<br />

Fall war, braucht.<br />

Stärkere Ausrichtung <strong>de</strong>r familienpolitischen Diskussion<br />

auf die grosse Vielfalt und <strong>de</strong>n teilweise<br />

anspruchsvollen Mix <strong>de</strong>r Betreuungsmuster.<br />

Gleichwertigere Anstrengungen zum Ausbau von<br />

<strong>Familie</strong>nbildung/Elternarbeit und familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung.<br />

Schärfung eines neuen Blicks auf die Situation<br />

benachteiligt aufwachsen<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m<br />

Hintergrund <strong>de</strong>r besseren Startchancen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

aus privilegierteren <strong>Familie</strong>n.<br />

Eingeschränkte Urteile zur Güte von Fremdbetreuung,<br />

weil sie immer unter Einbezug familiärer<br />

Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r Heterogenität <strong>de</strong>r kindlichen<br />

Entwicklungsmuster als selbstverständliches<br />

und unhinterfragtes Fundament <strong>de</strong>r pädagogischen<br />

Arbeit in Kin<strong>de</strong>rgarten und Schuleingangsstufe.<br />

Etablierung <strong>de</strong>r ‚Medien im Vorschulbereich‘ als<br />

Thema zur Erziehungs- und För<strong>de</strong>rarbeit in Eltern-<br />

und <strong>Familie</strong>nbegleitung sowie <strong>de</strong>r Aus- und<br />

Weiterbildung in pädagogischen Institutionen.


Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 8


Management Summary<br />

<strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong> und Be<strong>de</strong>utung<br />

Der enorme gesellschaftliche Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r letzten<br />

Jahrzehnte hat viele Verän<strong>de</strong>rungen mit<br />

sich gebracht, die auch mit neuen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an <strong>Familie</strong>n einhergehen.<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Briefing Paper 1 Seite 17<br />

Die Verän<strong>de</strong>rungen zeigen sich beispielsweise in<br />

neuen und vielfältigen <strong>Familie</strong>nformen, in <strong>de</strong>r<br />

Abnahme <strong>de</strong>r Anzahl an Geschwistern und <strong>de</strong>r<br />

damit verbun<strong>de</strong>nen Konzentration <strong>de</strong>r Eltern auf<br />

das einzelne Kind.<br />

Nach wie vor kommt <strong>de</strong>n Eltern jedoch die klassische<br />

Aufgabe zu, ihre Kin<strong>de</strong>r zu erziehen und zu<br />

sozialisieren, d.h. sie in die Gesellschaft als Mitglie<strong>de</strong>r<br />

einzuführen. Dabei sind die Eltern in dreifacher<br />

Hinsicht für ihre Kin<strong>de</strong>r als Bezugspersonen<br />

relevant: Eltern als Interaktionspartner, Eltern<br />

als Erziehen<strong>de</strong> und Eltern als Arrangeure<br />

von Entwicklungsgelegenheiten. Grundlage <strong>de</strong>r<br />

Erziehungs- und Sozialisationsarbeit sind die Bindungsbeziehungen.<br />

Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um<br />

starke und innige Beziehungen, die das Kind in<br />

erster Linie zu Mutter und Vater entwickelt.<br />

Selbstverständlich können Kin<strong>de</strong>r jedoch auch in<br />

zu an<strong>de</strong>ren erwachsenen Personen Bindungsbeziehungen<br />

aufbauen. Diese Beziehungen sind<br />

aber an<strong>de</strong>rs als die zu Mutter und Vater. Eine<br />

beson<strong>de</strong>re Rolle im Aufwachsen eines Kin<strong>de</strong>s<br />

spielen seine Geschwister, weil sie insgesamt eine<br />

wichtige Ressource darstellen und sie sich gegenseitig<br />

unterstützen können. Keine Geschwister<br />

zu haben, be<strong>de</strong>utet jedoch nicht, dass Einzelkin<strong>de</strong>r<br />

per se benachteiligt sind. Gera<strong>de</strong> die heutige<br />

Gesellschaftsstruktur kommt Einzelkin<strong>de</strong>rn<br />

sehr entgegen.<br />

Betreuung und För<strong>de</strong>rung inner- und ausserhalb<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />

Das familiäre Umfeld ist auch für die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Intelligenz massgebend. Diese Erkenntnis<br />

ist ein Grund, weshalb <strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>s<br />

Bildungsprozesses heutzutage nicht erst mit<br />

<strong>de</strong>m Schulbesuch, son<strong>de</strong>rn weit früher verortet<br />

wird. Die <strong>Familie</strong> ist <strong>de</strong>shalb zu einem ‚<strong>Bildungsort</strong>‘<br />

gewor<strong>de</strong>n.<br />

Briefing Paper 2 Seite 20<br />

Was die Eltern mit ihrem Kind tun, ist wichtiger<br />

als wer die Eltern sind. Gemeinsame Aktivitäten<br />

haben beispielsweise eine ausschlaggeben<strong>de</strong><br />

Wirkung auf die kindliche Entwicklung. Um die-<br />

Seite 9<br />

sen Aufgaben nachzukommen, ist es nicht zwingend,<br />

dass Mütter ihre Berufstätigkeit aufgeben<br />

und zu Hause bleiben. Auch scha<strong>de</strong>t eine familienergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung <strong>de</strong>m Kind nicht, wenn<br />

es eine gute Bindung an seine Eltern hat.<br />

Mütter, die auch ausserfamiliär berufstätig bleiben,<br />

sind stärker belastet als Väter. Einer <strong>de</strong>r<br />

Grün<strong>de</strong> liegt darin, dass sie <strong>de</strong>utlich mehr Haushaltsarbeit<br />

übernehmen und für die Erziehung<br />

verantwortlich sind, obwohl Väter heute viel<br />

mehr Zeit in ihre Kin<strong>de</strong>r investieren. Im europäischen<br />

Durchschnitt beträgt die Asymmetrie in<br />

<strong>de</strong>r Haus- und Fürsorgearbeit 70:30 zu Ungunsten<br />

<strong>de</strong>r Frauen.<br />

Eltern ermöglichen ihren Kin<strong>de</strong>rn vielfältige Freizeit-<br />

und För<strong>de</strong>raktivitäten in Form von Musikunterricht,<br />

Ballett- o<strong>de</strong>r Tanzunterricht o<strong>de</strong>r Training<br />

in einem Sportverein. Hinter solchen Aktivitäten<br />

steckt dabei oft <strong>de</strong>r Wunsch, <strong>de</strong>m eigenen<br />

Kind beson<strong>de</strong>rs gute – o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st ebenso<br />

gute Bedingungen wie sie das Nachbarskind hat<br />

– vor <strong>de</strong>m Schuleintritt schaffen zu wollen. Der<br />

durchorganisierte und häufig prall gefüllte Tagesablauf<br />

hat oft zur Folge, dass für das freie<br />

Spiel und spontane Kontakte mit Spielkamera<strong>de</strong>n<br />

in <strong>de</strong>r Nachbarschaft jenseits <strong>de</strong>s elterlichen<br />

Einflusses wenig Zeit bleibt.<br />

Bisher wenig untersucht, aber mit Sicherheit<br />

sehr be<strong>de</strong>utsam, sind die Medien. Konsens besteht<br />

dabei darin, dass sie – pädagogisch gut<br />

eingesetzt – <strong>de</strong>n kindlichen Entwicklungsprozess<br />

positiv beeinflussen können.<br />

De Längsschnittstudie FRANZ<br />

Die FRANZ-Studie «Früher an die Bildung – erfolgreicher<br />

in die Zukunft?» erforschte erstmals<br />

in <strong>de</strong>r Schweiz, wie <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />

ihren Alltag gestalten, welche Betreuung<br />

sie wählen und welche Folgen damit auf die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n sind.<br />

Briefing Paper 3 Seite 23<br />

An <strong>de</strong>r Studie teilgenommen haben 309 <strong>Familie</strong>n<br />

mit 150 Mädchen und 159 Knaben, die alle im<br />

Jahr 2006 o<strong>de</strong>r 2007 geboren sind. Die <strong>Familie</strong>n<br />

stammen aus 21 Kantonen: Zürich, Bern, Aargau,<br />

Freiburg, St. Gallen, Luzern, Solothurn, Basel-<br />

Landschaft, Schwyz, Zug, Schaffhausen, Basel-<br />

Stadt, Appenzell Innerrho<strong>de</strong>n, Graubün<strong>de</strong>n, Obwal<strong>de</strong>n,<br />

Thurgau, Waadt, Wallis, Glarus, Appenzell<br />

Ausserrho<strong>de</strong>n und Uri. Die grosse Mehrheit<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wohnt mit bei<strong>de</strong>n Elternteilen und zu


50% mit einem Geschwister zusammen. Sieben<br />

von zehn Müttern sind berufstätig.<br />

De <strong>Familie</strong>n wur<strong>de</strong>n insgesamt zweimal während<br />

maximal vier Stun<strong>de</strong>n zu Hause besucht und dabei<br />

sowohl die Kin<strong>de</strong>r in Bezug auf ihre sprachliche<br />

und mathematische Entwicklung untersucht<br />

als auch die Eltern zu diversen Aspekten ihres<br />

<strong>Familie</strong>nlebens, ihren Erziehungseinstellungen<br />

sowie zum kindlichen Entwicklungsverlauf befragt.<br />

Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />

und Elterneinstellungen<br />

Die Vorschulzeit <strong>de</strong>r FRANZ-Kin<strong>de</strong>r ist auffallend<br />

stark von gemeinsamen Aktivitäten geprägt<br />

und auch familienexterne För<strong>de</strong>rung ist<br />

verbreitet.<br />

Briefing Paper 4 Seite 25<br />

Gemeinsame <strong>Familie</strong>naktivitäten bestehen in<br />

erster Linie aus Geschichten vorlesen sowie Geschichten<br />

auf Tonträgern gemeinsam anhören,<br />

Singen und Musizieren sowie Aktivitäten im<br />

Freien. Um ihre Kin<strong>de</strong>r zu för<strong>de</strong>rn, unternehmen<br />

die <strong>Familie</strong>n recht viel. Durchschnittlich besucht<br />

ein Kind pro Woche während 1.2 Stun<strong>de</strong>n ein<br />

För<strong>de</strong>rangebot. Die monatlichen Ausgaben belaufen<br />

sich dabei auf 22 Franken, wobei die<br />

Bandbreite enorm ist und zwischen null Franken<br />

und 189 Franken beträgt. För<strong>de</strong>rangebote umfassen<br />

sportliche, motorisch-bewegungsorientierte,<br />

musische, sprachliche o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Bereiche.<br />

Als Medien nutzen die FRANZ-Kin<strong>de</strong>r vor allem<br />

Kassettengeräte, CD- und MP3-Player sowie das<br />

Radio. Ebenfalls – aber seltener – genutzt wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Fernseher, <strong>de</strong>r Computer o<strong>de</strong>r die Spielkonsole<br />

etc. Die Nutzungsdauer ist insgesamt<br />

sehr mo<strong>de</strong>rat und beträgt nur in Ausnahmefällen<br />

zwei Stun<strong>de</strong>n und mehr. Auffallend ist dabei, wie<br />

Eltern <strong>de</strong>n Medienkonsum kontrollieren und mit<br />

<strong>de</strong>m Kind besprechen.<br />

Trotz <strong>de</strong>n ausgeprägten familiären Aktivitäten<br />

und För<strong>de</strong>rmassnahmen messen die Eltern <strong>de</strong>r<br />

Schulvorbereitung eine geringere Be<strong>de</strong>utung bei<br />

als <strong>de</strong>m Sozialverhalten und <strong>de</strong>r Anpassungsfähigkeit<br />

ihres Kin<strong>de</strong>s.<br />

Betreuungsmuster und ihr Einfluss auf die<br />

kindliche Entwicklung<br />

Die FRANZ-Studie zeigt: 70% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n<br />

durchschnittlich zwei Tage pro Woche fremdbetreut<br />

und in mehr als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Fälle nicht<br />

nur an einem Ort. Die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />

hat einen mehrheitlich positiven, jedoch<br />

beschei<strong>de</strong>nen Einfluss auf die kindliche<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 10<br />

Entwicklung. Trotz<strong>de</strong>m ist die <strong>Familie</strong> be<strong>de</strong>utsamer.<br />

Briefing Paper 5 Seite 27<br />

Nur je<strong>de</strong> dritte Mittelschichtfamilie betreut ihr<br />

Kind ausschliesslich selbst. Für die meisten Kin<strong>de</strong>r<br />

ist eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung somit<br />

während durchschnittlich zwei Tagen pro Woche<br />

<strong>de</strong>r Normalfall. Trotz<strong>de</strong>m spielt sie eine <strong>de</strong>utlich<br />

kleinere Rolle als die <strong>Familie</strong> selbst. Ihr Einfluss<br />

auf die kindliche Entwicklung ist überragend.<br />

Für die Hälfte <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, die auch ausserhalb<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> betreut wer<strong>de</strong>n, geschieht dies an<br />

mehr als zwei Orten, also beispielsweise neben<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> in einer Krippe, bei <strong>de</strong>n Grosseltern<br />

und bei einer Tagesfamilie. Die häusliche Betreuung<br />

wird dabei mehrheitlich von <strong>de</strong>n Müttern<br />

geleistet und sie tragen auch dann die interne<br />

<strong>Familie</strong>nverantwortung, wenn sie zu 60%<br />

o<strong>de</strong>r mehr berufstätig sind.<br />

Welche Auswirkungen hat die Betreuung auf die<br />

kindliche Entwicklung? Interessanterweise sind<br />

es zwei Gruppen von Kin<strong>de</strong>rn, welche beson<strong>de</strong>rs<br />

fortgeschritten sind: Kin<strong>de</strong>r, die ausschliesslich<br />

zu Hause aufwachsen und solche, die intensiv<br />

fremdbetreut wer<strong>de</strong>n. Erstaunlicherweise ist es<br />

gera<strong>de</strong> diese fremdbetreute Gruppe, welche intellektuell,<br />

sprachlich und mathematisch am<br />

weitesten fortgeschritten ist. Kin<strong>de</strong>r können sich<br />

somit sehr gut entwickeln, auch wenn sie fast die<br />

ganze Woche ausserhalb <strong>de</strong>r Kernfamilie verbringen.<br />

Gleiches gilt jedoch genauso, wenn die<br />

Mutter zu Hause bleibt und sich ausschliesslich<br />

um die Kin<strong>de</strong>r kümmert.<br />

Typische Entwicklungsverläufe<br />

Kombiniert man die sprachliche, mathematische,<br />

intellektuelle und sozial-emotionale Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r mit <strong>Familie</strong>n- und Betreuungsmerkmalen,<br />

so lassen sich vier Entwicklungsmuster<br />

eruieren.<br />

Briefing Paper 6 Seite 29<br />

Anhand einer Clusteranalyse konnten vier Typen<br />

von Entwicklungsverläufen eruiert wer<strong>de</strong>n. Einbezogen<br />

wur<strong>de</strong>n die vier Bereiche Kognition (intellektuelle<br />

Entwicklung), Wortschatz, Mathematik<br />

und Sozialverhalten. Typ 1, «Wenig fremdbetreute<br />

Langsamentwickler», umfasst Kin<strong>de</strong>r, die<br />

intellektuell und sprachlich wenig fortgeschritten<br />

sind. Sie wer<strong>de</strong>n zwar fremdbetreut, jedoch<br />

<strong>de</strong>utlich weniger als an<strong>de</strong>re Kin<strong>de</strong>r. In Typ 2, «Intensiv<br />

fremdbetreute Schnellentwickler» wer<strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>r zusammengefasst, die Im Vergleich zu allen<br />

an<strong>de</strong>ren Typen fortgeschrittene Entwicklungsverläufe<br />

aufweisen und mehr Zeit in familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung verbringen als alle


an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>r. Typ 3 setzt sich aus «Intensiv<br />

fremdbetreuten Langsamentwicklern» zusammen.<br />

Diese Kin<strong>de</strong>r weisen in allen Entwicklungsbereichen<br />

unterdurchschnittliche Verläufe auf.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n am zweithäufigsten fremdbetreut.<br />

Typ 4 kennzeichnet «Ausschliesslich familienintern<br />

betreute Schnellentwickler». Diese Kin<strong>de</strong>r<br />

sind weit fortgeschritten, obwohl ihr Sozialverhalten<br />

(inkl. ihr oppositionell-aggressives Verhalten)<br />

vergleichsweise am wenigsten entwickelt<br />

ist. Im Unterschied zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren drei Typen<br />

wer<strong>de</strong>n diese Kin<strong>de</strong>r am ausgeprägtesten ausschliesslich<br />

familienintern betreut.<br />

Pädagogische und bildungspolitische Konsequenzen<br />

Aus <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>r Studie wer<strong>de</strong>n insgesamt<br />

sieben Empfehlungen abgeleitet.<br />

Briefing Paper 7 Seite 32<br />

Empfehlung 1: Erziehungskompetente<br />

<strong>Familie</strong>n<br />

Es sollte verstärkt zur Kenntnis genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, dass es erziehungskompetente<br />

<strong>Familie</strong>n gibt. Solche Mo<strong>de</strong>lle sind in <strong>de</strong>r<br />

Diskussion um Frühför<strong>de</strong>rung und <strong>Familie</strong>nverantwortung<br />

ebenso zu thematisieren<br />

wie die Negativmo<strong>de</strong>lle von <strong>Familie</strong>n, <strong>de</strong>nen<br />

dies nicht gelingt.<br />

Empfehlung 2: Unterschiedliche Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />

Die familienpolitische Diskussion sollte verstärkt<br />

verschie<strong>de</strong>ne familiäre Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />

in <strong>de</strong>n Blick nehmen.<br />

Empfehlung 3: Fokus auf <strong>Familie</strong>nbildung<br />

und Elternarbeit<br />

Empfehlung 3a: Der <strong>Familie</strong>nbildung und<br />

Elternarbeit sollte die gleiche Be<strong>de</strong>utung<br />

beigemessen wer<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>m Ausbau familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung.<br />

Empfehlung 3b: Da bildungsnah aufwachsen<strong>de</strong><br />

Kin<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs von ihren familiären<br />

För<strong>de</strong>rbedingungen profitieren, sollte<br />

<strong>Familie</strong>nbegleitung für benachteiligte <strong>Familie</strong>n<br />

systematisch und flächen<strong>de</strong>ckend aufgebaut<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Empfehlung 4: Betreuungsqualität und familiäre<br />

Merkmale<br />

Weil <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser ist als<br />

<strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung, müssen Urteile<br />

zur Qualität und Nützlichkeit von<br />

Fremdbetreuung immer unter Einbezug<br />

familiärer Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Empfehlung 5: Wenn die Heterogenität<br />

selbst innerhalb <strong>de</strong>r untersuchten Gruppe<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 11<br />

<strong>de</strong>r bildungsnah aufwachsen<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r so<br />

gross ist, dann ist sie es erst recht, wenn<br />

man auch die bildungsfernen Kin<strong>de</strong>r einbezieht.<br />

Der Umgang mit Heterogenität muss<br />

<strong>de</strong>shalb noch viel stärker als bis anhin zu<br />

einer unabdingbaren Verpflichtung von<br />

Kin<strong>de</strong>rgarten und Schuleingangsstufe wer<strong>de</strong>n.<br />

Empfehlung 6: Ein guter pädagogischer<br />

Einsatz von Medien in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> kann<br />

sowohl die sprachliche Entwicklung als<br />

auch das Sozialverhalten positiv unterstützen.<br />

Deshalb muss das Thema ‚Medien‘ in<br />

<strong>de</strong>r Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit eine viel<br />

grössere Rolle spielen als bis anhin.


<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong>


Schlüsselbotschaften<br />

<strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong> und Be<strong>de</strong>utung<br />

Der gesellschaftliche Wan<strong>de</strong>l bringt neue Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an <strong>Familie</strong>n mit sich. <strong>Familie</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n für ihre Kin<strong>de</strong>r zum ersten ‚<strong>Bildungsort</strong>‘.<br />

Eltern sind für ihre Kin<strong>de</strong>r zugleich Interaktionspartner,<br />

Erziehen<strong>de</strong> und Arrangeure von<br />

Lern- und Entwicklungsgelegenheiten.<br />

Um eine innige Bindung aufzubauen, sind<br />

Vater und Mutter die wichtigsten Personen<br />

im Leben eines Kin<strong>de</strong>s.<br />

Geschwister spielen in <strong>de</strong>r Entwicklung zwar<br />

eine wichtige Rolle, doch kommt die heutige<br />

Gesellschaftsstruktur auch Einzelkin<strong>de</strong>rn<br />

sehr entgegen.<br />

Betreuung und För<strong>de</strong>rung inner- und ausserhalb<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />

Das familiäre Umfeld ist auch für die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Intelligenz massgebend.<br />

Was Eltern mit ihrem Kind tun, ist viel wichtiger<br />

als wer die Eltern sind.<br />

Mütter, die auch ausserfamiliär berufstätig<br />

bleiben, sind stärker belastet als Väter, weil<br />

sie trotz ausserhäuslicher Berufstätigkeit<br />

<strong>de</strong>utlich mehr Zeit in ihre Kin<strong>de</strong>r investieren.<br />

Die Längsschnittstudie FRANZ<br />

Die FRANZ-Studie erforschte <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>nalltag<br />

von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht,<br />

die Betreuungsmuster und ihre Folgen für<br />

die kindliche Entwicklung.<br />

An <strong>de</strong>r Studie teilgenommen haben 309 <strong>Familie</strong>n<br />

mit 150 Mädchen und 159 Knaben,<br />

die alle im Har 2006 o<strong>de</strong>r 2007 geboren sind.<br />

Die <strong>Familie</strong>n stammen aus 21 Kantonen.<br />

Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />

und Elterneinstellungen<br />

Die Vorschulzeit von Mittelschichtkin<strong>de</strong>rn ist<br />

auffallend stark von gemeinsamen Aktivitäten<br />

und von zusätzlicher För<strong>de</strong>rung geprägt.<br />

Wichtiger als die Schulvorbereitung ist <strong>de</strong>n<br />

Eltern <strong>de</strong>r soziale Umgang ihres Kin<strong>de</strong>s mit<br />

an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rn und Erwachsenen sowie<br />

seine Anpassungsfähigkeit.<br />

Eltern kontrolllieren <strong>de</strong>n Medienkonsum und<br />

besprechen ihn regelmässig mit <strong>de</strong>m Kind.<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 13<br />

Betreuungsmuster und ihr Einfluss auf die<br />

kindliche Entwicklung<br />

70% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n an durchschnittlich<br />

zwei Tagen pro Woche fremdbetreut und in<br />

mehr als <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r Fälle nicht nur an einem<br />

Ort.<br />

Die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung hat einen<br />

mehrheitlich positiven, jedoch beschei<strong>de</strong>nen<br />

Einfluss auf die kindliche Entwicklung.<br />

Der Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> auf die kindliche<br />

Entwicklung ist überragend.<br />

Typische Entwicklungsverläufe<br />

Im Hinblick auf die kindliche Entwicklung<br />

und das gewählte Betreuungsmuster gibt es<br />

vier Entwicklungstypen.<br />

Zwei Typen zeigen beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklungsmuster:<br />

Die «intensiv fremdbetreuten<br />

Schnellentwickler» und die «ausschliesslich<br />

familienintern betreute Schnellentwickler».<br />

Zwei Typen zeigen eher verlangsamte Entwicklungsmuster:<br />

die «wenig fremdbetreuten<br />

Langsamentwickler» und die «intensiv<br />

fremdbetreuten Langsamentwickler».: Die «<br />

Kin<strong>de</strong>r können sich sehr gut entwickeln,<br />

wenn sie fast die ganze Woche ausserhalb<br />

<strong>de</strong>r Kernfamilie verbringen, aber auch dann,<br />

wenn sie ausschliesslich von <strong>de</strong>r Mutter betreut<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine angemessene Schulfähigkeit setzt sich<br />

sowohl aus gut entwickelten Kompetenzen<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s als auch aus Merkmalen <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />

und <strong>de</strong>r Betreuung zusammen.<br />

Pädagogische und bildungspolitische Konsequenzen<br />

Die Tatsache, dass es auch erziehungskompetente<br />

<strong>Familie</strong>n gibt, ist als Best Practice-<br />

Ansatz genauso zu thematisieren wie <strong>de</strong>r<br />

konstante Verweis auf Negativmo<strong>de</strong>lle von<br />

<strong>Familie</strong>n.<br />

Die familienpolitische Diskussion sollte verstärkt<br />

verschie<strong>de</strong>ne familiäre Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />

in <strong>de</strong>n Blick nehmen.<br />

Der <strong>Familie</strong>nbildung und Elternarbeit sollte<br />

die gleiche Be<strong>de</strong>utung beigemessen wer<strong>de</strong>n<br />

wie <strong>de</strong>m Ausbau familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung.<br />

<strong>Familie</strong>nbegleitung für benachteiligte <strong>Familie</strong>n<br />

ist systematisch und flächen<strong>de</strong>ckend<br />

auf- und auszubauen.


Weil <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser ist als<br />

<strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung, müssen Urteile<br />

zur Qualität und Nützlichkeit von<br />

Fremdbetreuung unter Einbezug familiärer<br />

Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Umgang mit Heterogenität muss viel<br />

stärker als bis anhin zu einer unabdingbaren<br />

Verpflichtung von Kin<strong>de</strong>rgarten und<br />

Schuleingangsstufe wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Thema ‚Medien‘ muss in <strong>de</strong>r Eltern- und<br />

<strong>Familie</strong>narbeit eine viel grössere Rolle spielen<br />

als bis anhin.<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 14


<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />

von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Dossier 13/1<br />

Prof. Dr. Margrit Stamm<br />

Je<strong>de</strong>s Briefing Paper kann als einzelnes Handout kopiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Seite 15


Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 16


Briefing Paper 1: <strong>Familie</strong>(n) heute: Hintergrün<strong>de</strong><br />

und Be<strong>de</strong>utung<br />

Wir leben in einer Risikogesellschaft. Dieser vom<br />

Soziologen Ulrich Beck geprägte Begriff meint,<br />

dass in unserer hoch entwickelten Gesellschaft<br />

mehr Risiken entstan<strong>de</strong>n sind und laufend entstehen,<br />

als unsere staatlichen Kontrolleinrichtungen<br />

in <strong>de</strong>r Lage sind, zu bewältigen. Dazu gehören<br />

soziale, ökologische, politische, aber auch<br />

individuelle Risiken. Diese Risiken bestimmen<br />

zunehmend unsere Lebensbedingungen. Damit<br />

verbun<strong>de</strong>n ist ein rascher gesellschaftlicher<br />

Wan<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>r mit vielen Verän<strong>de</strong>rungen und neuen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an Individuen und <strong>Familie</strong>n<br />

einhergeht. Erhöhte Mobilität in <strong>de</strong>r Berufswelt,<br />

steigen<strong>de</strong> berufliche Anfor<strong>de</strong>rungen o<strong>de</strong>r Ängste<br />

um die Sicherheit <strong>de</strong>r Arbeitsplätze, schaffen<br />

auch in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> und <strong>de</strong>r Erziehung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

Unsicherheiten. Während einerseits heute je<strong>de</strong>r<br />

Mensch <strong>de</strong>utlich höhere Chancen hat, sich selbst<br />

zu verwirklichen und viel mehr Handlungsspielräume<br />

bestehen, fehlen soziale Normen und<br />

Vorgaben, welche Handlungs- und auch Erziehungssicherheit<br />

geben wür<strong>de</strong>n.<br />

Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen an Eltern<br />

Eltern und <strong>Familie</strong>n sehen sich heute somit mit<br />

Lebensbedingungen konfrontiert, die komplex<br />

und teilweise auch wi<strong>de</strong>rsprüchlich sind. Daraus<br />

erwachsen <strong>de</strong>utlich höhere Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen<br />

als dies für je<strong>de</strong> Generation zuvor gegolten<br />

hatte. Vier Grün<strong>de</strong> hierfür stehen im Vor<strong>de</strong>rgrund:<br />

Zunahme <strong>de</strong>r Unsicherheit in <strong>de</strong>r Erziehung:<br />

Der Mehrzahl junger Eltern mangelt es heute<br />

vor <strong>de</strong>r Geburt <strong>de</strong>s ersten Kin<strong>de</strong>s an Erfahrung<br />

im Umgang mit Säuglingen und Kin<strong>de</strong>rn.<br />

Deshalb können sie auch kaum mehr<br />

wissen, welche Probleme es immer schon in<br />

<strong>de</strong>r Erziehung eines Kin<strong>de</strong>s gegeben hat und<br />

folge<strong>de</strong>ssen mit <strong>de</strong>r notwendigen Geduld<br />

und Distanz zu betrachten wären. Dies dürfte<br />

einer <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong> sein, weshalb die Unsicherheit<br />

bei heutigen Eltern zugenommen<br />

hat.<br />

Konzentration auf das einzelne Kind: Weil die<br />

mo<strong>de</strong>rne <strong>Familie</strong> heute nur noch ein bis zwei<br />

Kin<strong>de</strong>r hat, konzentriert sie sich stark auf je<strong>de</strong>s<br />

einzelne. In früheren Generationen bil<strong>de</strong>ten<br />

die Geschwister ein eigenes System in<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> und entlasteten dabei ihre Eltern<br />

in <strong>de</strong>r Betreuungsaufgabe. Die Kin<strong>de</strong>r waren<br />

<strong>de</strong>shalb auch nicht in einem vergleichbaren<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 17<br />

Sinn wie dies heute <strong>de</strong>r Fall ist auf die ständige<br />

Präsenz <strong>de</strong>r Eltern angewiesen.<br />

Fehlen<strong>de</strong> Spielkamera<strong>de</strong>n: Aufgrund <strong>de</strong>s Geburtenrückgangs<br />

fehlen oft Geschwister in<br />

<strong>de</strong>r eigenen <strong>Familie</strong> und Spielkamera<strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>r Nachbarschaft. Deshalb müssen Eltern<br />

immer mehr Aktivitäten entwickeln, um ihre<br />

Kin<strong>de</strong>r mit an<strong>de</strong>ren Kin<strong>de</strong>rn zusammenzubringen.<br />

Diese «Verinselung» <strong>de</strong>r Kindheit<br />

hat auch zur Folge, dass (nach wie vor die)<br />

Mütter verstärkt zu Transporteurinnen wer<strong>de</strong>n,<br />

aber auch zu Mangerinnen, welche die<br />

Zeitorganisation <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>rjenigen<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> in Übereinstimmung bringen<br />

müssen.<br />

Mehr Fachwissen und mehr Diagnostik: Die<br />

Leistungsanfor<strong>de</strong>rungen an Eltern haben<br />

aber auch <strong>de</strong>shalb zugenommen, weil Medizin,<br />

Psychologie und Pädagogik heute über<br />

ein viel grösseres Wissen verfügen und ihre<br />

Erkenntnisse in vielen Ratgebern an die Eltern<br />

weitergeben. Ein ausgeklügelter Apparat<br />

an Instrumenten erlaubt heute zu<strong>de</strong>m in<br />

fast allen Fachdisziplinen, differenzierte Diagnosen<br />

zu stellen, Störungen zu i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

und diese zu therapieren. Heute haben<br />

min<strong>de</strong>stens 60% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r im Primarschulalter<br />

bereits eine Therapie hinter sich. Min<strong>de</strong>stens<br />

eines von zehn Kin<strong>de</strong>rn war schon in<br />

psychotherapeutischer Behandlung, und<br />

mehr als 10% lei<strong>de</strong>n an Schul- und Prüfungsangst.<br />

Das ist eine problematische Entwicklung,<br />

weil die Suche nach kindlichen Defekten<br />

dadurch übermächtig gewor<strong>de</strong>n und sich die<br />

Vorstellung darüber, was ‚normal‘ ist, lei<strong>de</strong>r<br />

drastisch verän<strong>de</strong>rt hat. Daraus ist eine gefährliche<br />

Situation entstan<strong>de</strong>n, welche in<br />

Leistungsüberfor<strong>de</strong>rungen umkippen könnte<br />

und zwar sowohl <strong>de</strong>r Eltern als auch <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r.<br />

Die <strong>Familie</strong>, ihre Beziehungen und Aufgaben<br />

Heute gibt es sehr vielfältige <strong>Familie</strong>nformen<br />

und auch Muster von Elternschaft. Diese gilt als<br />

einzige <strong>de</strong>r menschlichen Beziehungen, die nicht<br />

kündbar ist. Insgesamt hat sich die <strong>Familie</strong> –<br />

trotz <strong>de</strong>s rasanten gesellschaftlichen Wan<strong>de</strong>ls –<br />

als zeitstabiles soziales Beziehungssystem erwiesen,<br />

das gegenüber alternativen Lebensformen<br />

noch immer bevorzugt wird.


Unterschei<strong>de</strong>n kann man neben <strong>de</strong>m klassischen<br />

Ernährer-Versorger-Mo<strong>de</strong>ll, in welchem <strong>de</strong>r<br />

Mann die alleinige Verantwortung für die finanzielleVersorgung<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> hat, das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s<br />

partnerschaftlichen Ernährers plus Erziehers sowie<br />

das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Hausmannes, <strong>de</strong>r die Rolle<br />

mit <strong>de</strong>r Mutter tauscht. Aktuell sind es etwa 37%<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n mit kleinen Kin<strong>de</strong>rn, die <strong>de</strong>m ersten<br />

Mo<strong>de</strong>ll entsprechen und 12%, welche ein egalitäres<br />

Mo<strong>de</strong>ll leben. 3.6% <strong>de</strong>r Väter sind als<br />

Hausmänner tätig.<br />

Der Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n kommt auch in <strong>de</strong>r<br />

steigen<strong>de</strong>n Ten<strong>de</strong>nz zu Scheidungen und Trennungen<br />

sowie zu neuen Erziehungs- und Wertvorstellungen<br />

zum Ausdruck. In <strong>de</strong>r Schweiz haben<br />

die Heiraten seit zehn Jahren ständig zugenommen.<br />

Die Anzahl Heiraten je 1000 Einwohner<br />

betrug im Jahr 2011 5.3 Personen. Bei <strong>de</strong>n<br />

Scheidungen lässt sich eine Abnahme feststellen.<br />

Die Scheidungsziffer erreichte im Jahr 2011 eine<br />

Quote von 54.4%, im Jahr 2011 nur noch von<br />

43.2%. Nach <strong>Familie</strong>nform aufgeteilt kann davon<br />

ausgegangen wer<strong>de</strong>n, dass etwa 84% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

in intakten <strong>Familie</strong>n aufwachsen, ca. 11% bei Vater<br />

o<strong>de</strong>r Mutter und etwa 5% in Patchwork- o<strong>de</strong>r<br />

Stieffamilien.<br />

Die Dreifachaufgabe <strong>de</strong>r Eltern<br />

Die zentrale Aufgabe <strong>de</strong>r Eltern ist die Erziehung<br />

und Sozialisation ihrer Kin<strong>de</strong>r, d.h. das Mitglied-<br />

Wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Gesellschaft. Dabei sind die Eltern<br />

in dreifacher Hinsicht als Bezugspersonen für ihre<br />

Kin<strong>de</strong>r relevant: Eltern als Interaktionspartner,<br />

Eltern als Erziehen<strong>de</strong> und Eltern als Arrangeure<br />

von Entwicklungsgelegenheiten.<br />

Eltern als Interaktionspartner: Zunächst sind<br />

Eltern für ihre Kin<strong>de</strong>r Interaktionspartner. Interaktionen<br />

geschehen dabei ohne bewusste<br />

erzieherische Absichten. Dazu gehört beispielsweise,<br />

wie Eltern auf ihr Kind eingehen,<br />

wie sie es lenken und leiten, wie sie mit ihm<br />

sprechen und es trösten o<strong>de</strong>r ermuntern. All<br />

diese Aspekte haben früh schon Einfluss auf<br />

die Qualität <strong>de</strong>r Bindungserfahrungen <strong>de</strong>s<br />

Kin<strong>de</strong>s. Zu berücksichtigen ist allerdings,<br />

dass dabei nicht nur die Eltern, son<strong>de</strong>rn auch<br />

Kontextfaktoren (familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung,<br />

Verwandte, <strong>Familie</strong>nsituation, Elternpersönlichkeit<br />

etc.) eine Rolle spielen,<br />

aber auch kindliche Temperamentsmerkmale.<br />

Eltern als Erzieher: Eltern verbin<strong>de</strong>n jedoch<br />

mit ihrem Verhalten auch eine erzieherische<br />

Absicht. Ihre Handlungen können sich auf<br />

die kindlichen Verhaltensweisen konzentrieren<br />

(Tischmanieren, Aggressionen etc.) o<strong>de</strong>r<br />

auf die Einhaltung von Normen und Werte<br />

(z.B. das Befolgen von Regeln). Das erziehe-<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 18<br />

rische Metho<strong>de</strong>nrepertoire ist sehr breit und<br />

umfasst Entwicklungsanregungen (Zeigen,<br />

Vormachen, Erklären, etc.) bis zu Bemühungen,<br />

bestimmte Verhaltensweisen zu festigen<br />

(z.B. Loben, Belohnen, sich freuen etc.).<br />

Eltern als Arrangeure von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten:<br />

Diese dritte Funktion<br />

betrifft die Möglichkeiten, welche die Eltern<br />

<strong>de</strong>m Kind schaffen und die es eigenständig<br />

nutzen kann. Solche Entwicklungsmöglichkeiten<br />

müssen jedoch mit Bedacht ausgewählt<br />

und an <strong>de</strong>n kindlichen Entwicklungsstand<br />

angepasst wer<strong>de</strong>n. Beispielsweise sind<br />

nicht alle Spielzeuge, För<strong>de</strong>rangebote o<strong>de</strong>r<br />

Medien bereits dann angemessen, wenn sie<br />

als ‚mo<strong>de</strong>rn‘ gelten und die Nachbarn diese<br />

auch nutzen. Die Schaffung von Entwicklungsmöglichkeiten<br />

beinhaltet somit ebenfalls<br />

die Ausschaltung von schädlichen Einflüssen.<br />

Solche führen<strong>de</strong>n, anleiten<strong>de</strong>n und<br />

überwachen<strong>de</strong>n Elemente wer<strong>de</strong>n unter<br />

<strong>de</strong>m Begriff «Elternmonitoring» zusammengefasst.<br />

Die Be<strong>de</strong>utung von Bindungsbeziehungen<br />

im Vorschulalter<br />

Je<strong>de</strong>s Kind macht ab Geburt Beziehungserfahrungen.<br />

Im Mittelpunkt stehen seine Bindungsbeziehungen<br />

in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>. Dabei han<strong>de</strong>lt es<br />

sich um starke und innige Beziehungen, die das<br />

Kind meist zu seinen Eltern entwickelt. Aus einer<br />

sicheren Bindungsbeziehung kann ein Kind emotionale<br />

Sicherheit gewinnen sowie Neugier und<br />

Lust am Erkun<strong>de</strong>n und an neuen Erfahrungen<br />

entwickeln. Kin<strong>de</strong>r, welche unsichere Bindungsbeziehungen<br />

haben, können nicht auf solche<br />

Ressourcen zurückgreifen, son<strong>de</strong>rn müssen eigene<br />

Bewältigungsmuster entwickeln. Dies kann<br />

zu Überfor<strong>de</strong>rung und emotionaler Unausgeglichenheit<br />

führen.<br />

Es fragt sich somit, ob die Weichenstellung für<br />

sichere Bindungserfahrungen in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />

liegt? Die Antwort lautet: Ja, die innerfamilialen<br />

Beziehungen sind die fundamentalsten. Trotz<strong>de</strong>m<br />

können Kin<strong>de</strong>r auch zu an<strong>de</strong>ren erwachsenen<br />

Personen Bindungsbeziehungen aufbauen,<br />

beispielsweise zu <strong>de</strong>n Grosseltern o<strong>de</strong>r zu einer<br />

Tagesmutter. Solche BIndungsbeziehungen können<br />

gera<strong>de</strong> dort kompensatorisch wirken, wo die<br />

<strong>Familie</strong> diese Aufgabe nicht in ausreichen<strong>de</strong>m<br />

Mass übernehmen kann. Diese Beziehungen sind<br />

aber an<strong>de</strong>rs als die zu Mutter und Vater.<br />

Man unterschei<strong>de</strong>t zwischen einer Mutter-Kind-<br />

Beziehung und einer Vater-Kind-Beziehung. Die<br />

Mutter-Kind-Beziehung – die ursprüngliche<br />

Dya<strong>de</strong> – steht im Zentrum <strong>de</strong>r bisherigen Forschung.<br />

Erst in jüngerer Zeit ist die Vater-Kind-<br />

Beziehung stärker ins Blickfeld gerückt. Heute


wissen wir, dass sich Mütter und Väter gleichermassen<br />

für die Pflege, Erziehung und Bildung ihres<br />

Kin<strong>de</strong>s eignen. Trotz<strong>de</strong>m unterschei<strong>de</strong>n sich<br />

die Eltern in <strong>de</strong>r Art und Weise ihrer Interaktion<br />

mit <strong>de</strong>m Kind. So können Väter ihr Kind bei<br />

Kummer genauso feinfühlig trösten wie Mütter,<br />

aber sie spielen mit ihm an<strong>de</strong>rs, d.h. herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r,<br />

erfin<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r neue Spiele, tollen<br />

mit ihm mehr herum und sind in Reinlichkeits-<br />

und Ordnungsstandards grosszügiger.<br />

Mütter sind konventioneller, vorsichtiger und<br />

angetan, <strong>de</strong>m Kind bei <strong>de</strong>r Regulation seiner inneren<br />

Gefühlswelt zu helfen.<br />

Einzelkin<strong>de</strong>r und Kin<strong>de</strong>r mit Geschwistern<br />

Allgemein wird <strong>de</strong>r Geschwisterbeziehung n <strong>de</strong>r<br />

<strong>Familie</strong>nforschung eine grosse Be<strong>de</strong>utung beigemessen,<br />

han<strong>de</strong>lt es sich doch um die dauerhafteste<br />

Beziehung überhaupt. Eltern sterben,<br />

Geschwister bleiben. Man kann zu Geschwistern<br />

nicht keine Beziehung haben. Frick (2006) bezeichnet<br />

das Zusammenleben mit Geschwistern<br />

sogar als eine Art Trainingslager, in <strong>de</strong>m man die<br />

eigene Persönlichkeits- und Sozialentwicklung<br />

trainieren kann.<br />

Die Forschungsergebnisse zur Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />

Stellung in <strong>de</strong>r Geschwisterreihe sind sehr unterschiedlich.<br />

Während die einen davon ausgehen,<br />

dass Erstgeborene beson<strong>de</strong>rs privilegiert seien<br />

und die besten Entwicklungsbedingungen hätten<br />

(weil die Eltern mehr Zeit für sie aufwen<strong>de</strong>n),<br />

vertreten an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Standpunkt, dass gera<strong>de</strong><br />

Erstgeborene unter <strong>de</strong>r Unerfahrenheit <strong>de</strong>r Eltern<br />

als Erziehen<strong>de</strong> lei<strong>de</strong>n, jüngere Geschwister<br />

jedoch davon profitieren könnten. Sicher ist,<br />

dass je<strong>de</strong> Geschwisterposition Vor- als auch<br />

Nachteile hat, Geschwister insgesamt jedoch ei-<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 19<br />

ne wichtige Ressource darstellen, weil sie sich<br />

gegenseitig unterstützen können.<br />

Wie sieht es mit Einzelkin<strong>de</strong>rn aus? Im Allgemeinen<br />

bestehen hierzu viele Vorurteile – etwa,<br />

dass sie verwöhnt, unangepasst und einsam seien.<br />

Solche Vorurteile sind sie jedoch von <strong>de</strong>r<br />

Forschung weitgehend wi<strong>de</strong>rlegt wor<strong>de</strong>n. Nur<br />

sind sie noch nicht bis in die Alltagsdiskussion<br />

vorgedrungen. Beispielsweise kommt <strong>de</strong>m Einzelkind<br />

die sich verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Gesellschaft zugute.<br />

Das mag zwar etwas paradox klingen, doch sind<br />

es gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r durchorganisierte <strong>Familie</strong>nalltag,<br />

die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung inklusive die<br />

Berufstätigkeit bei<strong>de</strong>r Eltern, welche häufig dazu<br />

beitragen, dass Einzelkin<strong>de</strong>r im Durchschnitt<br />

nicht einsamer als Geschwisterkin<strong>de</strong>r sind. Es ist<br />

<strong>de</strong>shalb wenig erstaunlich, wenn im Vergleich<br />

mit ihnen Einzelkin<strong>de</strong>r oft gleich viele Freun<strong>de</strong><br />

und Freundinnen haben und insgesamt sogar als<br />

etwas extravertierter beurteilt wer<strong>de</strong>n. Da sie<br />

zu<strong>de</strong>m viel Aufmerksamkeit von ihren Eltern erhalten,<br />

haben sie häufig ein gutes Selbstvertrauen<br />

und sind auch kognitiv, vor allem sprachlich,<br />

akzeleriert entwickelt. Vielleicht gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb<br />

haben Einzelkin<strong>de</strong>r oft in Situationen Mühe, in<br />

<strong>de</strong>nen sie nicht im Mittelpunkt stehen.<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />

Bürgisser, M. & Baumgarten, D. (2006). Kin<strong>de</strong>r in<br />

unterschiedlichen <strong>Familie</strong>nformen. Chur/Zürich:<br />

Rüegger.<br />

Frick, J. (2006). Ich mag dich – du nervst mich!<br />

Geschwister und ihre Be<strong>de</strong>utung für das Leben.<br />

Bern: Verlag Hans Huber.<br />

Nave-Herz, R. (2012). <strong>Familie</strong>n heute. Darmstadt:<br />

Primus.


Briefing Paper 2: Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />

inner- und ausserhalb <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />

Dass das familiäre Umfeld eine massgebliche<br />

Ursache für eine nachhaltige kindliche Entwicklung<br />

darstellt, gilt nicht nur für die Entwicklung<br />

von Bindungsbeziehungen, son<strong>de</strong>rn auch für die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Intelligenz. Hat man früher gedacht,<br />

diese könne <strong>de</strong>r Schule überlassen wer<strong>de</strong>n,<br />

weil Kleinkin<strong>de</strong>r kognitiv noch nicht geför<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n könnten, so wissen wir heute, dass<br />

bereits ganz kleine Kin<strong>de</strong>r zu erstaunlichen<br />

Denkleistungen fähig sind.<br />

Diese Erkenntnis ist ein Grund, weshalb <strong>de</strong>r Beginn<br />

<strong>de</strong>s Bildungsprozesses heutzutage nicht<br />

erst mit <strong>de</strong>m Schulbesuch, son<strong>de</strong>rn biografisch<br />

weit früher verortet wird. Deshalb wer<strong>de</strong>n bisher<br />

auf die Schule übertragene Leistungen verstärkt<br />

im Vorschulbereich angesie<strong>de</strong>lt und in<br />

diesem Zusammenhang die familiale Leistung<br />

re<strong>de</strong>finiert und zwar <strong>de</strong>rart, dass von <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n<br />

mehr Unterstützungsleistungen gefor<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n. So erwartet man heute von <strong>Familie</strong>n<br />

mehr als nur die Bereitstellung von Motivation<br />

und allgemeinen Fertigkeiten. Die <strong>Familie</strong> wird<br />

zum strategischen Lernort, zum ‚<strong>Bildungsort</strong>‘,<br />

<strong>de</strong>r – so Forschung und Bildungspolitik – stärker<br />

zu nutzen sei.<br />

Eltern sind insbeson<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r frühkindlichen<br />

Phase wichtige Akteure, damit ihre Kin<strong>de</strong>r<br />

Lernerfahrungen machen können. Solche Erfahrungen<br />

sind in <strong>de</strong>n ersten Lebensjahren stark<br />

mit Selbsterfahrung, Verhalten und Umgebungswahrnehmung<br />

verknüpft. Vorschulkindheit<br />

ist <strong>de</strong>shalb weit mehr als nur Vorbereitungszeit<br />

für die Schule, son<strong>de</strong>rn auch eine Zeit,<br />

in <strong>de</strong>r ein Schatz an vielfältigen Lern- und damit<br />

auchBildungsmöglichkeiten freigelegt wird. Ob<br />

und wie Eltern Neugier, Wissensdrang und Ent<strong>de</strong>ckungslust<br />

beim Kind anregen und för<strong>de</strong>rn, ist<br />

zentral, ob ihr Kind überhaupt ein Bildungsinteresse<br />

entwickeln kann und damit gut für <strong>de</strong>n<br />

Schuleintritt gerüstet ist.<br />

Was die Eltern mit ihrem Kind tun, ist viel wichtiger,<br />

als wer die Eltern sind. Also ist es nicht in<br />

erster Linie das ökonomische Kapital, über das<br />

sie verfügen, son<strong>de</strong>rn das kulturelle Kapital. Dazu<br />

gehören beispielsweise Bücher vorlesen, mit<br />

<strong>de</strong>m Kind spielen, Lie<strong>de</strong>r singen, Reime aufsagen,<br />

mit ihm kochen, in <strong>de</strong>n Wald gehen, Museen<br />

besuchen o<strong>de</strong>r mit ihm basteln. Solche gemeinsamen<br />

Aktivitäten haben eine ausschlaggeben<strong>de</strong><br />

Wirkung auf die kindliche Entwicklung,<br />

weil Eltern damit nicht nur die Betätigung aller<br />

kindlichen Sinnesorgane herausfor<strong>de</strong>rn, son-<br />

Seite 20<br />

<strong>de</strong>rn gleichzeitig als Mo<strong>de</strong>lle wirken und <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn implizit Werte und Motive mit auf <strong>de</strong>n<br />

Weg geben.<br />

Mütterliche Erwerbstätigkeit und ihre<br />

Auswirkungen<br />

Seit <strong>de</strong>n 1970er Jahren ist in allen westlichen<br />

Industrielän<strong>de</strong>rn ein Anstieg <strong>de</strong>r Berufstätigkeit<br />

von Müttern zu verzeichnen. So waren beispielsweise<br />

in <strong>de</strong>r Schweiz im Jahr 1992 43.5%<br />

<strong>de</strong>r Mütter mit Partner und sechsjährigen Kin<strong>de</strong>rn<br />

berufstätig gewesen. Bis 2011 stieg die Anzahl<br />

auf 69.2%. Heute nutzen insgesamt 51.9%<br />

<strong>de</strong>r Paarhaushalte und 69.9% <strong>de</strong>r Einelternhaushalte<br />

mit Kin<strong>de</strong>rn unter sechs Jahren eine<br />

familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung.<br />

Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Berufstätigkeit von<br />

Müttern taucht seit vielen Jahrzehnten immer<br />

wie<strong>de</strong>r die Frage auf, ob eine solche Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />

scha<strong>de</strong>t. Hierzu gibt es eine Flut von wissenschaftlichen<br />

Abhandlungen 1 , die zu unterschiedlichen<br />

Ergebnissen kommen. Man kann sie etwa<br />

wie folgt zusammenfassen: Zusammengenommen<br />

scha<strong>de</strong>t eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung in<br />

Form einer Krippe o<strong>de</strong>r einer Tagesfamilie <strong>de</strong>m<br />

Kind nicht, aber sie kann ein Risiko sein – nicht<br />

mehr und nicht weniger. Kin<strong>de</strong>r, die sicher an ihre<br />

Eltern gebun<strong>de</strong>n sind, ein Urvertrauen entwickelt<br />

haben und sorgfältig eingewöhnt wur<strong>de</strong>n, lei<strong>de</strong>n<br />

kaum an einer zeitweiligen Abwesenheit <strong>de</strong>r Mutter<br />

(und/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Vaters, wenn die <strong>Familie</strong> alternative<br />

familieninterne Betreuungsformen wählt).<br />

Wenn die ausserhäusliche Betreuung qualitativ<br />

gut ist und nicht zu häufig wechselt, dann können<br />

Kleinkin<strong>de</strong>r von ihr profitieren. Drei Faktoren<br />

spielen dabei eine wichtige Rolle:<br />

Die Qualität: Je schlechter diese ist, <strong>de</strong>sto<br />

grösser ist die Chance, dass Kin<strong>de</strong>r Verhaltensschwierigkeiten<br />

zeigen. Gegenteilig gilt,<br />

dass Kin<strong>de</strong>r von guten Fremdbetreuungen gera<strong>de</strong><br />

in Bereichen wie Kooperationsfähigkeit<br />

und soziale Integration beson<strong>de</strong>rs profitieren<br />

können.<br />

Intensität und Zeitpunkt: Wann ein Kind<br />

erstmals in eine Fremdbetreuung gegeben<br />

wird und wie intensiv dies geschieht, spielt<br />

eine Rolle. Beson<strong>de</strong>rs frühe und beson<strong>de</strong>rs<br />

1<br />

Z.B. die NICHD-Studie, die EPPE-Studie, Studien von<br />

Loeb o<strong>de</strong>r Ahnert etc., die alle im FRANZ-<br />

Schlussbericht (Stamm et al., 2013) besprochen wer<strong>de</strong>n.<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht


intensive Fremdbetreuung kann mit erhöhten<br />

Verhaltensproblemen einhergehen.<br />

Typ und Konstanz: Welche familienergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung gewählt wird, macht einen<br />

Unterschied: Im Allgemeinen scheinen KIn<strong>de</strong>rkrippen<br />

für die sprachliche und mathematische<br />

Entwicklung etwas för<strong>de</strong>rlicher zu<br />

sein als Tagespflege. Ähnliches gilt für die<br />

kognitive Entwicklung. Nimmt man allerdings<br />

das Bindungsverhalten sowie die sozial-emotionale<br />

Entwicklung in <strong>de</strong>n Blick, so<br />

scheint eine Betreuungsstruktur, die mit Tagespflegeangeboten<br />

startet und später von<br />

Krippenbetreuung abgelöst wird, als beson<strong>de</strong>rs<br />

för<strong>de</strong>rlich. Die Konstanz spielt ebenfalls<br />

eine Rolle. Kin<strong>de</strong>r, welche die Betreuungsform<br />

selten wechseln und eine stabile Beziehung<br />

zu einer Betreuungsperson aufbauen,<br />

können im Allgemeinen bessere kognitive,<br />

sprachliche und auch sozial-emotionale<br />

Fähigkeiten entwickeln.<br />

Vielfalt an Betreuungsmustern: Die Vielfalt<br />

scheint kaum be<strong>de</strong>utsam, konnte doch die<br />

Forschung bis anhin keine Auswirkungen auf<br />

die kognitive Entwicklung feststellen.<br />

Durchgehend am be<strong>de</strong>utsamsten ist jedoch die<br />

die Art und Weise, wie die Mutter auf die Bedürfnisse<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s emotional reagiert. Die<br />

Forschung spricht dabei von mütterlicher Sensibilität<br />

und Feinfühligkeit. Sie ist das Herzstück<br />

<strong>de</strong>r gesamten Entwicklung und wichtiger als jegliche<br />

familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung, sowohl im<br />

negativen wie auch im positiven Sinn 2 .<br />

Einen wesentlichen Punkt hat man in <strong>de</strong>r ganzen<br />

Debatte um die Auswirkungen mütterlicher Berufstätigkeit<br />

bis anhin lei<strong>de</strong>r vergessen: dass die<br />

Wirkungen einer Krippe, einer Tagesfamilie, einer<br />

Nanny o<strong>de</strong>r einer Betreuung durch Verwandte<br />

nicht unabhängig von <strong>de</strong>n Wirkungen <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong><br />

beurteilt wer<strong>de</strong>n können, son<strong>de</strong>rn nur in ihrer<br />

Kombination. Positive und negative Einflüsse einer<br />

familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung auf <strong>de</strong>r einen<br />

und <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite können einan<strong>de</strong>r<br />

verstärken, schwächen o<strong>de</strong>r ausgleichen<br />

und <strong>de</strong>shalb zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen<br />

führen. Weil zu<strong>de</strong>m die Forschung klar<br />

gezeigt hat, dass <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser<br />

ist als <strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung, dürften die<br />

Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten ten<strong>de</strong>nziell<br />

eher in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> liegen. Glückliche Eltern haben<br />

in <strong>de</strong>r Regel glückliche Kin<strong>de</strong>r.<br />

Organisation in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> und die Rolle von<br />

Müttern und Vätern<br />

2<br />

Dass <strong>de</strong>r Vater hierbei nicht erwähnt wird, hat ausschliesslich<br />

damit zu tun, dass seine Wirkung bisher<br />

kaum erforscht ist<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 21<br />

In <strong>de</strong>r Forschung sind sowohl Vorzüge als auch<br />

Nachteile vielfach empirisch belegt, die sich aus<br />

<strong>de</strong>m Umstand ergeben, dass berufstätige Mütter<br />

mehrfache Rollen ausüben. Einerseits ermöglicht<br />

ihnen <strong>de</strong>r Beruf ein soziales Netzwerk<br />

mit oft vielfältigen Optionen und einer finanziell<br />

(grösseren) Unabhängigkeit vom Partner. An<strong>de</strong>rerseits<br />

sind damit auch Belastungen verbun<strong>de</strong>n,<br />

weil Mütter trotz ihrer Berufstätigkeit<br />

<strong>de</strong>utlich mehr inner- und ausserfamiliäre Verantwortung<br />

übernehmen und <strong>de</strong>shalb insgesamt<br />

belasteter sind als Mütter, die sich ausschliesslich<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> widmen.<br />

Allerdings hat sich in <strong>de</strong>n letzten Jahren Vieles<br />

geän<strong>de</strong>rt: Väter investieren heute <strong>de</strong>utlich mehr<br />

Zeit in ihre Kin<strong>de</strong>r und mit überwiegend hohem<br />

Engagement. Dieses Engagement ist keine<br />

Selbstverständlichkeit. Es hat sich nicht etwa<br />

<strong>de</strong>shalb eingestellt, weil Väter einsichtig gewor<strong>de</strong>n<br />

sind, dass sie für die Erziehung ihres Kin<strong>de</strong>s<br />

eine grosse Be<strong>de</strong>utung haben. Das Engagement<br />

ist vielmehr eine Reaktion auf min<strong>de</strong>stens zwei<br />

Faktoren: auf For<strong>de</strong>rungen nach Gleichberechtigung<br />

und einer an<strong>de</strong>ren Gerechtigkeit im Anschluss<br />

an die Frauenbewegung und auf die verän<strong>de</strong>rten<br />

Erwartungshaltungen <strong>de</strong>r Wirtschaft,<br />

die angesichts <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n Fachkräftemangels<br />

zunehmend auf qualifizierte weibliche<br />

Arbeitskräfte setzt. Mütterliche Berufstätigkeit<br />

ist heute faktisch zur Norm gewor<strong>de</strong>n. Frauen<br />

müssen nicht mehr begrün<strong>de</strong>n, weshalb sie einen<br />

Beruf ausüben, son<strong>de</strong>rn eher, weshalb nicht<br />

und sie ‚nur‘ Hausfrau und Mutter sind.<br />

Grundsätzlich zeigen alle Umfragen, dass nicht<br />

nur For<strong>de</strong>rungen im Raum stehen, die Väter<br />

hätten sich mehr an <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n-, Erziehungs-<br />

und Haushaltsarbeit zu beteiligen, son<strong>de</strong>rn<br />

ebenfalls, dass sie dies auch tatsächlich wollen.<br />

Trotz<strong>de</strong>m konzentrieren sich viele Väter nach<br />

<strong>de</strong>r Geburt <strong>de</strong>s ersten Kin<strong>de</strong>s verstärkt auf ihre<br />

Berufstätigkeit und beschränken sich auf einen<br />

halben Tag Kin<strong>de</strong>rhüten und Win<strong>de</strong>ln wechseln<br />

pro Woche, während die Mütter sich auf ihr<br />

neues Leben als Hausfrauen und berufstätige<br />

Mütter einstellen. Im Umfang <strong>de</strong>s Aufwan<strong>de</strong>s<br />

asymmetrisch zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern verteilt<br />

geblieben ist aber auch die Fürsorgearbeit<br />

für die Kin<strong>de</strong>r. So ist es immer noch bevorzugt<br />

die Mutter, welche primäre Ansprechpartnerin<br />

für das Kind ist, wenn es um <strong>de</strong>n Besuch beim<br />

Kin<strong>de</strong>rarzt, die Organisation <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />

Betreuung o<strong>de</strong>r ein Gespräch mit <strong>de</strong>r<br />

Lehrerin geht. Im europaweiten Durchschnitt<br />

beträgt diese Asymmetrie in <strong>de</strong>r Haus- und Fürsorgearbeit<br />

70:30 zu Ungunsten <strong>de</strong>r Frauen, und<br />

es dürften insgesamt nicht mehr als 20% <strong>de</strong>r Väter<br />

sein, welche sich bewusst von <strong>de</strong>r traditionellen<br />

Rollenerwartung trennen.


Aus solchen Grün<strong>de</strong>n geht man heute davon<br />

aus, dass das sogenannte ‚Vereinbarkeitsmo<strong>de</strong>ll‘,<br />

das auf <strong>de</strong>r Teilzeitarbeit von Müttern und<br />

<strong>de</strong>r Vollzeitarbeit von Vätern aufbaut, überholt<br />

ist. <strong>Familie</strong>npolitik – so <strong>de</strong>r allgemeine Tenor –<br />

muss neu entwickelt wer<strong>de</strong>n. In Diskussion sind<br />

<strong>de</strong>shalb neue Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>r Vereinbarkeit von<br />

<strong>Familie</strong> und Arbeit, welche Vätern und Müttern<br />

eine gleiche Beteiligung an Elternschaft und Erwerbstätigkeit<br />

erlauben. Dementsprechend setzen<br />

sie auf <strong>de</strong>n Einbezug <strong>de</strong>r Väter in flexible<br />

betriebliche Arbeitszeitmo<strong>de</strong>lle und auf eine öffentlich<br />

akzeptierte Kultur <strong>de</strong>r Fremdbetreuung.<br />

<strong>Familie</strong>naktivitäten und För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />

Blickt man auf die Freizeitaktivitäten von Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />

aus relativ bildungsnahen <strong>Familie</strong>n,<br />

dann geht es ihnen gut. Dass <strong>de</strong>m so ist, dürfte<br />

vor allem <strong>de</strong>r Verfügbarkeit von Zeit und Geld und<br />

einem insgesamt interessierteren Erziehungsstil<br />

zuzuordnen sein. Dementsprechend kann man<br />

heute hohe und steigen<strong>de</strong> Investitionen von bildungsambitionierten<br />

<strong>Familie</strong>n in ihren Nachwuchs<br />

feststellen. Für die Kin<strong>de</strong>r gehen damit zwei wesentlichen<br />

Begleiterscheinungen einher:<br />

erstens, dass <strong>de</strong>r Alltag genau strukturiert<br />

und das <strong>Familie</strong>nleben und <strong>de</strong>ren Organisation<br />

auf die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s ausgerichtet<br />

ist. Für das freie Spiel jenseits <strong>de</strong>s elterlichen<br />

Einflusses bleibt dabei wenig Zeit;<br />

zweitens, dass Kin<strong>de</strong>rkontakte auf das gleiche<br />

Milieu beschränkt bleiben. Weil sie von<br />

ihren Eltern handverlesen verabre<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n,<br />

können sie nicht mehr lernen, mit Kin<strong>de</strong>rn<br />

klarzukommen, die nicht ihrem Herkunftsmilieu<br />

entsprechen.<br />

Viele Eltern geben offen zu, dass sie mit solchen<br />

För<strong>de</strong>ranstrengungen ihren Kin<strong>de</strong>rn beson<strong>de</strong>rs<br />

gute Bedingungen beim Schuleintritt schaffen<br />

wollen. Weil Eltern oft an seinen Nachwuchs beson<strong>de</strong>rs<br />

hohe Erwartungen stellen und von seinen<br />

Begabungen und Talenten überzeugt sind, investieren<br />

sie viel Zeit, Geld und ein rationalisiertes<br />

<strong>Familie</strong>nleben in eine angemessene Betreuung<br />

und För<strong>de</strong>rung. Eindrücklich manifestieren sich<br />

solche Bemühungen auch in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlich angestiegenen<br />

Früheinschulungen. Es stellt sich damit<br />

die Frage, inwiefern die Inhalte <strong>de</strong>s Angebots<br />

selbst noch im Mittelpunkt stehen o<strong>de</strong>r ob die<br />

För<strong>de</strong>rung ein Mittel zum Zweck respektive eine<br />

neue Art von Disziplinierung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s gewor<strong>de</strong>n<br />

ist.<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 22<br />

Damit verbun<strong>de</strong>n – und dies ist nicht ganz unwichtig<br />

– ist die Anerkennung, welche <strong>de</strong>n Eltern<br />

selbst von an<strong>de</strong>ren Eltern zuteil wird. Es sind<br />

nämlich gera<strong>de</strong> die ‚sozialen Nachbarn‘, die ähnlich<br />

bildungsambitioniert sind, welche als Vergleichsmassstab<br />

für die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r und<br />

die Ansprüche an sie dienen. Mit diesem Sachverhalt<br />

und <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>s Betreuungsarrangements<br />

eng verknüpft ist die Mobilität. Gemeint ist<br />

damit die Tatsache, dass junge <strong>Familie</strong>n zunehmend<br />

aus Wohnvierteln wegziehen, die keinen<br />

ausgeglichenen Anteil an Angehörigen <strong>de</strong>s eigenen<br />

Milieus respektive viele ausländische <strong>Familie</strong>n<br />

haben. Die Forschung spricht dabei von sozialräumlicher<br />

Segregation.<br />

Mediennutzung<br />

Wie leben heute in einer sich ständig verän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />

Medienwelt. Für Kin<strong>de</strong>r hat das Angebot<br />

und die Vielfalt an nutzbaren Medien enorme<br />

Ausmasse angenommen. Sie sind Teil einer<br />

Informations- und Wissensgesellschaft, in <strong>de</strong>r<br />

Wissen Macht be<strong>de</strong>utet und <strong>de</strong>r richtigen Auswahl<br />

und Suche von Informationen grösste Be<strong>de</strong>utung<br />

zukommt. Entsprechend steht schon<br />

Vorschulkin<strong>de</strong>rn ein breites Angebot zur Verfügung,<br />

wobei beson<strong>de</strong>rs das Fernsehen an Be<strong>de</strong>utung<br />

gewonnen hat. Dazu kommen Computer,<br />

Gameboy und Spielkonsolen, Kassettenrekor<strong>de</strong>r<br />

etc.<br />

Insgesamt sind Medien im Zusammenhang mit<br />

<strong>de</strong>n Aufwachsbedingungen von Kin<strong>de</strong>rn und Jugendlichen<br />

ein viel- und sehr kontrovers diskutiertes<br />

Thema – man <strong>de</strong>nke beispielsweise an<br />

die Publikation «Digitale Demenz» (Spitzer,<br />

2012). Für das Vorschulalter sind Medien jedoch<br />

kaum untersucht. Aus <strong>de</strong>n wenigen verfügbaren<br />

Studien lassen sich <strong>de</strong>shalb kaum Schlüsse ziehen.<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />

Bühler-Nie<strong>de</strong>rberger, D. (2011). Lebensphase<br />

Kindheit. Weinheim: Juventa.<br />

Bun<strong>de</strong>samt für Statistik (2008). <strong>Familie</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

Schweiz. Statistischer Bericht. Neuenburg: Bun<strong>de</strong>samt<br />

für Statistik.<br />

Stamm, M. et al. (2009). Frühkindliche Bildung<br />

in <strong>de</strong>r Schweiz. Eine Grundlagenstudie im Auftrag<br />

<strong>de</strong>r UNESCO-Kommission Schweiz. <strong>Fribourg</strong>:<br />

Departement Erziehungswissenschaften.


Briefing Paper 3: Das Projekt FRANZ<br />

Unsere FRANZ-Studie, welche im Februar 2010<br />

startete und im Dezember 2012 abgeschlossen<br />

wer<strong>de</strong>n konnte, erforschte erstmals in <strong>de</strong>r<br />

Schweiz, wie <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn ihren<br />

Alltag gestalten, welche Betreuung sie wählen<br />

und welche Folgen damit auf die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n sind. Im Mittelpunkt <strong>de</strong>r<br />

Studie stan<strong>de</strong>n vier Fragestellungen:<br />

Wie gestalten <strong>Familie</strong>n mit Vorschulkin<strong>de</strong>rn<br />

ihren Alltag und welche Betreuungsformen<br />

wählen sie?<br />

Wie wirken sich die Betreuungsformen auf<br />

die Entwicklung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r aus?<br />

Welche Unterschie<strong>de</strong> gibt es in <strong>de</strong>n kindlichen<br />

Entwicklungsverläufen und worauf<br />

sind sie zurückzuführen?<br />

Abbildung 1: Verteilung <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n auf die Kantone<br />

Merkmale <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n<br />

Da sich die <strong>Familie</strong>n selbst zur Teilnahme mel<strong>de</strong>n<br />

konnten, war es nicht möglich, die Anmeldungen<br />

zu steuern. Deshalb erstaunt es wenig, dass es<br />

sich insgesamt um eine als «bildungsnah» zu bezeichnen<strong>de</strong><br />

Stichprobe han<strong>de</strong>lt. Die Bildungsnähe<br />

zeigt sich im sozio-ökonomischen Status <strong>de</strong>r<br />

<strong>Familie</strong>, <strong>de</strong>r anhand von Einkommen, Bildung<br />

und ausgeübtem Beruf mittels <strong>de</strong>s International<br />

Socio-Economic In<strong>de</strong>x of Occupational Status<br />

(ISEI) gemessen wird. Die Skala hat eine Bandbreite<br />

von 0 bis 90 Punkten. Die Bildungsnähe<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 23<br />

Welche Merkmale kennzeichnen Kin<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ren<br />

Entwicklung vor <strong>de</strong>m Schuleintritt am<br />

fortgeschrittensten ist?<br />

Stichprobe<br />

Um eine angemessene Stichprobe zusammenstellen<br />

zu können, schrieben wir Printmedien,<br />

Kin<strong>de</strong>rärzte sowie Eltern- und Bildungsnetzwerke<br />

an und konnten so insgesamt 309 <strong>Familie</strong>n<br />

mit 150 Mädchen und 159 Knaben zur Teilnahme<br />

motivieren. Die Kin<strong>de</strong>r sind alle im Jahr 2006<br />

o<strong>de</strong>r 2007 geboren. Wie Abbildung 1 ver<strong>de</strong>utlicht,<br />

stammen die <strong>Familie</strong>n aus insgesamt 21<br />

Kantonen. Weitaus am meisten <strong>Familie</strong>n, nämlich<br />

26%, aus <strong>de</strong>m Kanton Zürich, gefolgt von je<br />

17% aus <strong>de</strong>n Kantonen Bern und Aargau. 35%<br />

<strong>de</strong>r 309 <strong>Familie</strong>n leben in ländlichen Gebieten,<br />

40% in Agglomerationen und 25% in Städten.<br />

zeigt sich darin, dass <strong>de</strong>r ISEI 53.9 Punkte beträgt<br />

und damit <strong>de</strong>n ISEI <strong>de</strong>r Schweizer Durchschnittsbevölkerung<br />

mit 49.2 Punkten <strong>de</strong>utlich überflügelt.<br />

Der Anteil an gut ausgebil<strong>de</strong>ten Eltern ist<br />

<strong>de</strong>mentsprechend auffallend hoch: im Vergleich<br />

zur Schweizer Gesamtbevölkerung, in <strong>de</strong>r 20%<br />

Frauen und 29% Männer einen Hochschul- o<strong>de</strong>r<br />

Fachhochschulabschluss besitzen, sind es in <strong>de</strong>r<br />

Stichprobe 57% <strong>de</strong>r Mütter und 67% <strong>de</strong>r Väter.<br />

Aus diesem Grund wird vereinfachend von einer<br />

«Mittelschichtstichprobe» gesprochen.


Was die Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r beteiligten <strong>Familie</strong>n<br />

betrifft, unterschei<strong>de</strong>t sich die Stichprobe<br />

mit 70% erwerbstätigen Müttern und 98% Vätern<br />

nur gering von <strong>de</strong>r gesamten Erwerbsbevölkerung<br />

in <strong>de</strong>r Schweiz, in <strong>de</strong>r 69% <strong>de</strong>r Mütter<br />

und 96% <strong>de</strong>r Väter einer bezahlten Berufsarbeit<br />

nachgehen. Die grosse Mehrheit (98%) <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

wohnt mit bei<strong>de</strong>n Eltern im gleichen Haushalt.<br />

8% sind Einzelkin<strong>de</strong>r, 56% haben ein Geschwister,<br />

29% zwei und 7% drei o<strong>de</strong>r mehr Geschwister.<br />

Die Geschwisterposition <strong>de</strong>r untersuchten<br />

Kin<strong>de</strong>r sieht folgen<strong>de</strong>rmassen aus: 161<br />

Kin<strong>de</strong>r sind Erstgeborene, 38 sind mittlere Kin<strong>de</strong>r<br />

und 107 sind Letztgeborene.<br />

Datenerhebung<br />

Für die Datenerhebung wur<strong>de</strong>n die Kin<strong>de</strong>r<br />

zweimal zuhause während maximal vier Stun<strong>de</strong>n<br />

besucht. Der erste Besuch fand zwischen Juni<br />

und Dezember 2010 statt, <strong>de</strong>r zweite Besuch genau<br />

17 Monate später, d.h. zwischen November<br />

2011 und Mai 2012. Erfasst wur<strong>de</strong>n Daten anhand<br />

von Fragebögen, Leitfragenkatalogen, Beobachtungsrastern<br />

und Tests zu folgen<strong>de</strong>n Bereichen:<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 24<br />

Wohn-, Haushalts- und Berufsverhältnisse,<br />

Aktivitäten und Freizeitverhalten, Mediennutzung<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s, Einstellungen <strong>de</strong>r Eltern<br />

zu Erziehung und Bildung<br />

Kindliches Sozialverhalten<br />

Betreuungssituation <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

Entwicklungsverlauf <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s seit Geburt<br />

Kognitiver Fähigkeitstest<br />

Test zur Erfassung <strong>de</strong>r sprachlichen Vorläuferfähigkeiten<br />

Test zur Erfassung <strong>de</strong>r mathematischen Vorläuferfähigkeiten<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />

Stamm, M. et al. (2013). FRANZ: Früher an die<br />

Bildung – erfolgreicher in die Zukunft? Familiäre<br />

Aufwachsbedingungen, familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />

und kindliche Entwicklung. Schlussbericht<br />

zuhan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Hamasil Stiftung und <strong>de</strong>r<br />

AVINA Stiftung. <strong>Fribourg</strong>: Departement Erziehungswissenschaften.<br />

www.margritstamm.ch


Briefing Paper 4: Familiäre Aktivitäten, För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />

und Elterneinstellungen<br />

Dieses Briefing Paper gibt Auskunft über die<br />

FRANZ-Ergebnisse zu <strong>de</strong>n inner- und ausserfamiliären<br />

Aktivitäten inklusive Mediennutzung und<br />

<strong>de</strong>n Einstellungen <strong>de</strong>r Eltern gegenüber För<strong>de</strong>rmassnahmen.<br />

Gemeinsame Aktivitäten<br />

Welche familiären Aktivitäten prägen die Vorschulzeit<br />

<strong>de</strong>r FRANZ-Kin<strong>de</strong>r? Unsere Auswertungen<br />

zeigen folgen<strong>de</strong> Rangreihenfolge:<br />

Geschichten vorlesen<br />

Gemeinsames Geschichten auf Tonträgern<br />

anhören<br />

Singen und Musizieren<br />

Aktivitäten im Freien<br />

Malen/Basteln<br />

Bibliotheksbesuche<br />

In rund <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n fin<strong>de</strong>n solche Aktivitäten<br />

min<strong>de</strong>stens dreimal, in etwa 40% ein-<br />

bis zweimal wöchentlich statt. Nur etwa 5% bis<br />

Alter <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

3.5 Jahre<br />

5 Jahre<br />

Abbildung 2: Mediennutzung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s (Häufigkeiten)<br />

Die Abbildung zeigt ferner, dass die Kin<strong>de</strong>r mit<br />

dreieinhalb Jahren <strong>de</strong>utlich mehr Medien konsumiert<br />

hatten als mit fünf Jahren. Dieser Rückgang<br />

kann unterschiedlich interpretiert wer<strong>de</strong>n:<br />

Er kann mit <strong>de</strong>m zunehmen<strong>de</strong>n Besuch familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung und ausserfamiliärer<br />

För<strong>de</strong>rangebote sowie mit <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rgarteneintritt<br />

zusammenhängen. Da die<br />

Kin<strong>de</strong>r zunehmend seltener zuhause waren,<br />

hatten sie auch weniger Zeit, sich mit Medien<br />

zu beschäftigen.<br />

Möglich ist auch, dass die Eltern <strong>de</strong>n Medienkonsum<br />

aus erzieherischen Grün<strong>de</strong>n bewusst<br />

reduziert resp. ganz unterbun<strong>de</strong>n ha-<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 25<br />

10% <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n sind etwas weniger aktiv. Der<br />

innerfamiliäre Alltag dieser Vorschulkin<strong>de</strong>r ist<br />

somit von vielseitigen und häufig gemeinsamen<br />

Aktivitäten geprägt. Diese Aktivitäten sind über<br />

die gesamte Vorschulzeit hinweg stabil geblieben.<br />

Mediennutzung<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

prozentuale Verteilung <strong>de</strong>r Haushalte<br />

Von grossem Interesse ist die Frage, welche Medien<br />

die Kin<strong>de</strong>r in ihren ersten Lebensjahren genutzt<br />

haben und in welchem Ausmass. Zunächst<br />

einmal zeigen unsere Daten, dass die beliebtesten<br />

Medien Tonträger (Kassettengeräte, CD- und<br />

MP3-Player) sowie Radio waren. Ebenfalls – aber<br />

seltener – genutzt wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Fernseher, <strong>de</strong>r<br />

Computer, die Spielkonsole, Vi<strong>de</strong>o-/DVD-Geräte,<br />

die Stereoanlage und das Handy. Abbildung 2<br />

ver<strong>de</strong>utlicht eine durchschnittliche Nutzungshäufigkeit<br />

<strong>de</strong>r erwähnten Mediensorten. Demzufolge<br />

nutze ein Kind we<strong>de</strong>r mit dreieinhalb noch<br />

mit fünf Jahren Medien mehr als zwei Stun<strong>de</strong>n<br />

pro Tag (die Skala reicht nur bis «1 bis 2 Stun<strong>de</strong>n<br />

pro Tag») und nur eine kleine Min<strong>de</strong>rheit tat<br />

dies zwischen einer und zwei Stun<strong>de</strong>n.<br />

1 bis 2 Stun<strong>de</strong>n pro Tag<br />

weniger als 1 Stun<strong>de</strong> pro Tag<br />

weniger als 2 Stun<strong>de</strong>n pro<br />

Woche<br />

nie<br />

ben. Darauf verweist auch die Tatsache, dass<br />

<strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, die ganz ohne Medien<br />

aufwachsen, bis zum fünften Altersjahr von<br />

1% auf 6% angestiegen ist.<br />

Ausserfamiliäre För<strong>de</strong>rmassnahmen<br />

Vielseitig und bemerkenswert sind jedoch auch<br />

die ausserfamiliären Aktivitäten. Insgesamt sind<br />

es 45% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, welche einer, 31%, welche<br />

zwei und 12%, die drei verschie<strong>de</strong>nen Aktivitäten<br />

min<strong>de</strong>stens einmal pro Woche nachgehen<br />

und die keinen therapeutischen o<strong>de</strong>r son<strong>de</strong>rpädagogischen<br />

Fokus haben. Diese betreffen sportliche<br />

(z. B. Handball, Judo, Fechten), motorischbewegungsorientierte<br />

(z. B. Ballett, Reiten), mu-


sische (z. B. Geige o<strong>de</strong>r Klavier spielen), sprachliche<br />

(z. B. Englisch, Französisch, Chinesisch) o<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re Bereiche (z. B. Schach). Der durchschnittliche<br />

monatliche Aufwand pro Kind beträgt 23<br />

CHF., wobei die Bandbreite enorm ist und zwischen<br />

null Franken und 189 Franken beträgt.<br />

Einstellungen und Erwartungen <strong>de</strong>r Eltern<br />

Dass Eltern mit ihrem Verhalten einen grossen<br />

Einfluss auf die Entwicklung ihres Kin<strong>de</strong>s haben,<br />

ist aus <strong>de</strong>r Forschung schon lange bekannt.<br />

Trotz<strong>de</strong>m liegen hierzu für <strong>de</strong>n Vorschulbereich<br />

kaum Untersuchungen vor. Unsere Ergebnisse<br />

sin <strong>de</strong>shalb für <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Sprachraum neu.<br />

Abbildung 3 ver<strong>de</strong>utlicht, wie die Eltern zu Fragen<br />

<strong>de</strong>r Erziehung und Bildung ihrer Vorschulkin<strong>de</strong>r<br />

stehen. Um diese Frage zu beantworten,<br />

baten wir sie, ihre Einstellungen und Erwartungshaltungenzu<br />

Erziehung, Bildung und För<strong>de</strong>rung<br />

in einem Fragebogen anhand verschie<strong>de</strong>ner<br />

Aussagen in ihrer Wichtigkeit einzuschätzen. Zur<br />

Diskussion stan<strong>de</strong>n Aussagen zu fünf Bereichen:<br />

Soziales Verhalten (z.B. «Mein Kind soll lernen,<br />

auch mit an<strong>de</strong>ren auszukommen»), Anpassungsfähigkeit<br />

(z.B. «Ich erwarte, dass unser Kind die<br />

Tischmanieren übernimmt»), Motorik und Sport<br />

(z.B. «Unser Kind ist zu jung, um schwimmen zu<br />

Mittelwert<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Anpassungsfähigkeit<br />

Soziales Verhalten<br />

Motorik/Sport<br />

Abbildung 3: Elterliche Einstellungen und Erwartungen<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />

Stamm, M. & E<strong>de</strong>lmann, D. (in Druck). Elternerwartungen<br />

an Vorschulkin<strong>de</strong>r. Eine empirische<br />

Studie zu ihrer Rolle und ihren Determinanten.<br />

Erscheint in: Schweizerische Zeitschrift<br />

für Bildungswissenschaften.<br />

Stamm, M. (2008). Vorschulkin<strong>de</strong>r im Treibhaus.<br />

Gedanken zur frühen För<strong>de</strong>reuphorie<br />

<strong>de</strong>r Eltern. Neue Zürcher Zeitung, NZZ, Bildungsbeilage,<br />

Nr. 10, B1, 14. 01. siehe auch<br />

www.margritstamm.ch.<br />

Stamm, M. et al. (2013). Kapitel 4.2: Wie gestaltet<br />

sich <strong>de</strong>r Alltag in <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n und wel-<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 26<br />

lernen»), Kunst und Musik (z.B. «Ich erwarte von<br />

unserem Kind, dass es sich dafür interessiert, ein<br />

Instrument spielen zu lernen») sowie Schulvorbereitung<br />

(z. B. Eltern sollten ihrem KInd helfen,<br />

Wörter schreiben zu lernen).<br />

Eingetragen sind die Mittelwerte. Zunächst wird<br />

ersichtlich, dass die höchsten Elternerwartungen<br />

das soziale Verhalten und die Anpassungsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s betreffen. Etwas weniger wichtig<br />

waren <strong>de</strong>n Eltern Motorik und Sport, gefolgt von<br />

Kunst und Musik. Die Erwartungshaltungen in<br />

Bezug auf schulvorbereiten<strong>de</strong> Massnahmen<br />

wur<strong>de</strong>n als am wenigsten wichtig erachtet.<br />

Als Fazit lässt sich somit formulieren, dass <strong>de</strong>n<br />

Eltern <strong>de</strong>r Umgang ihres Kin<strong>de</strong>s mit an<strong>de</strong>ren<br />

Kin<strong>de</strong>rn und Erwachsenen sowie seine Fähigkeit,<br />

sich anzupassen, wichtiger sind als schulvorbereiten<strong>de</strong><br />

Massnahmen. Überblickt man jedoch<br />

auch die För<strong>de</strong>raktivitäten <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n, dann<br />

sind diese Ergebnisse etwas zu relativieren: Die<br />

<strong>Familie</strong>n unternehmen recht viel, um ihre Kin<strong>de</strong>r<br />

zu för<strong>de</strong>rn. Vielleicht geschieht dies nicht mit<br />

<strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Schulvorbereitung. Trotz<strong>de</strong>m geben<br />

sie ihren Kin<strong>de</strong>rn dadurch einen Rucksack mit,<br />

<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st recht gut gefüllt ist.<br />

Kunst/Musik<br />

Schulvorbereitung<br />

che Betreuungsformen wer<strong>de</strong>n gewählt? In<br />

(dies.). FRANZ: Früher an die Bildung – erfolgreicher<br />

in die Zukunft? Familiäre Aufwachsbedingungen,<br />

familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />

und kindliche Entwicklung (S. 15-22). <strong>Fribourg</strong>:<br />

Departement Erziehungswissenschaften.<br />

www.margritstamm.ch.


Briefing Paper 5: Betreuungsmuster und ihr<br />

Einfluss auf die kindliche Entwicklung<br />

Kaum ein Thema hat in letzter Zeit die Gemüter<br />

so erregt wie die Frage, ob eine familienergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung und damit die mütterliche Berufstätigkeit<br />

einem Vorschulkind scha<strong>de</strong>n. Die<br />

Diskussion war und ist dabei stark von Vorurteilen<br />

geprägt. Obwohl wir uns als pluralistische<br />

Gesellschaft rühmen, ist es offenbar kaum möglich,<br />

unterschiedliche Auffassungen vom ‚richtigen<br />

<strong>Familie</strong>nleben’ nebeneinan<strong>de</strong>r bestehen zu<br />

lassen. Nicht zuletzt verkörpern die politischen<br />

Parteien die enorme Polarität, welche dieser<br />

Frage zu Grun<strong>de</strong> liegt.<br />

Im FRANZ-Projekt hat uns die ‚Betreuungsfrage‘<br />

jedoch vor allem aus zwei Grün<strong>de</strong>n interessiert:<br />

erstens, weil wir die Gesamtsituation in <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n<br />

erfassen und zweitens, weil wir in Erfahrung<br />

bringen wollten, wie sich Betreuungsmuster<br />

auf die kindliche Entwicklung auswirken. Die<br />

Betreuungsformen können in folgen<strong>de</strong> drei Kategorien<br />

unterteilt wer<strong>de</strong>n:<br />

familieninterne Betreuung<br />

institutionelle Betreuungsformen (Kin<strong>de</strong>rtagesstätten<br />

[Kitas] und Spielgruppen)<br />

nicht-institutionelle Betreuungsformen (Tagesfamilien,<br />

Nannys, Au-pairs, Babysitter,<br />

Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn sowie<br />

Verwandte).<br />

Alter <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

jünger als 3.5 Jahre<br />

3.5 Jahre<br />

zwischen 3.5 und 5 Jahren<br />

5 Jahre<br />

Abbildung 4: Anzahl <strong>de</strong>r besuchten Betreuungsformen<br />

Auswirkungen <strong>de</strong>r Betreuungsformen<br />

Welches sind die Auswirkungen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />

Betreuungsformen auf die Kin<strong>de</strong>r? Hierzu<br />

haben wir mit Hilfe von Korrelations- und Regressionsanalysen<br />

Zusammenhänge und Abhängigkeiten<br />

zwischen familienergänzen<strong>de</strong>r Betreu-<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Vielfalt <strong>de</strong>r Betreuungsmuster<br />

Seite 27<br />

30% <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n haben ihr Kind in <strong>de</strong>n ersten<br />

drei Lebensjahren ausschliesslich selbst betreut.<br />

Dieser Anteil ist bis zum fünften Lebensjahr auf<br />

fast 50% angestiegen. Die 70% fremdbetreuten<br />

Kin<strong>de</strong>r besuchten zu etwa gleichen Teilen institutionelle<br />

und nicht-institutionelle Betreuungsformen.<br />

Zunächst waren es durchschnittlich etwas<br />

mehr als zwei Tage pro Woche. Aufgrund <strong>de</strong>s<br />

Kin<strong>de</strong>rgarteneintritts verringerte sich die Intensität<br />

auf rund eineinhalb Tage pro Woche.<br />

Erstaunlich ist dabei, dass die Kin<strong>de</strong>r oft nicht lediglich<br />

an einem familienergänzen<strong>de</strong>n Ort betreut<br />

wor<strong>de</strong>n sind, son<strong>de</strong>rn an mehreren. Abbildung<br />

4 ver<strong>de</strong>utlicht diesen Sachverhalt. Demnach<br />

sind ein Drittel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n ersten<br />

drei Lebensjahren an mehr als zwei Orten betreut<br />

wor<strong>de</strong>n. Mit dreieinhalb Jahren waren es<br />

mehr als 50%, mit fünf Jahren jedoch wie<strong>de</strong>r nur<br />

mehr 38%. Anzunehmen ist, dass auch dieser<br />

Rückgang auf <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rgarteneintritt zurückzuführen<br />

ist.<br />

Die Betreuungsverhältnisse sind bei fast zwei<br />

Dritteln <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r stabil geblieben. 30% <strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>r wechselten einmal und nur ein kleiner<br />

Anteil (7.5%) mehr als einmal.<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

prozentuale Verteilung <strong>de</strong>r Haushalte<br />

3 o<strong>de</strong>r mehr<br />

Betreuungsformen<br />

2 Betreuungsformen<br />

1 Betreuungsform<br />

ung und verschie<strong>de</strong>nen Bereichen kindlicher<br />

Entwicklung betrachtet. Als Entwicklungsbereiche<br />

einbezogen wur<strong>de</strong>n die kognitive Entwicklung,<br />

die sprachliche Entwicklung, die mathematische<br />

Entwicklung sowie die sozial-emotionale<br />

Entwicklung. In Tabelle 1 sind diejenigen Prä


diktoren dargestellt, welche sich für eine familienergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung als relevant herausgestellt<br />

haben. Mit <strong>de</strong>m helleren Blau eingefärbt<br />

sind dabei diejenigen Merkmale, die am be<strong>de</strong>utsamsten<br />

sind, dunkelblau hingegen die Merkmale<br />

mit einem negativen Einfluss.<br />

Tabelle 1 zeigt folgen<strong>de</strong>n Sachverhalt: Der Entwicklungsstand<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r wird von vier Merkmalsbereichen<br />

beeinflusst: von <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />

Betreuung (z.B. Besuch einer Kita o<strong>de</strong>r<br />

einer Tagesfamilie), vom Kind selbst (z.B. Geschlecht),<br />

von <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> (z.B. Bildungsniveau<br />

<strong>de</strong>r Mutter) und <strong>de</strong>n Medien (z.B. – negativ –<br />

Nutzung von Bildschirmmedien). In drei Entwicklungsbereichen<br />

– kognitiv, mathematisch und<br />

sprachlich – spielt die <strong>Familie</strong> eine prägen<strong>de</strong>re<br />

Rolle als eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung.<br />

Teilweise gilt dies auch für die Medien. An<strong>de</strong>rs<br />

formuliert: Zwar zeigt familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />

be<strong>de</strong>utsame positive Effekte auf diese<br />

drei Entwicklungsbereiche, entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r sind<br />

jedoch <strong>de</strong>r familiäre Hintergrund und mediale<br />

Einflüsse.<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 28<br />

In Bezug auf das viel diskutierte sozialemotionale<br />

und das oppositionell-aggressive<br />

Verhalten zeigen sich folgen<strong>de</strong> Sachverhalte: Eltern<br />

schätzen ihre Töchter sozial kompetenter<br />

ein als ihre Söhne, insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn<br />

ihnen die soziale Erziehung ihres Kin<strong>de</strong>s wichtig<br />

ist. Eine wichtige Rolle spielen auch die Nutzung<br />

interaktiver Medien und <strong>de</strong>ren Besprechung mit<br />

<strong>de</strong>m Kind. Fazit: Wenn die Eltern häufig mit <strong>de</strong>m<br />

Kind über seine Mediennutzung sprechen und es<br />

zu<strong>de</strong>m interaktive Medien nutzt, zeigt es ein<br />

besseres Sozialverhalten. Bei Mädchen ist dies<br />

eher <strong>de</strong>r Fall als bei Knaben. <strong>Familie</strong>nergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung hat keinen Einfluss.<br />

Beim oppositionell-aggressiven Verhalten spielt<br />

familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung allerdings eine<br />

Rolle. Eltern, <strong>de</strong>ren Kind eine Kita besucht hat<br />

o<strong>de</strong>r besucht, schätzen es aggressiver ein als Eltern,<br />

welche ihr Kind nicht in einer Kita haben<br />

betreuen lassen. Dies gilt ebenso, wenn das Kin<strong>de</strong>r<br />

Geschwister hat – unabhängig von Alter und<br />

Anzahl. Medien hingegen sind be<strong>de</strong>utungslos.<br />

Tabelle 1: Merkmale, welche <strong>de</strong>n Entwicklungsstand <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r signifikant beeinflussen (Mit <strong>de</strong>m helleren<br />

Blau [] eingefärbt sind dabei diejenigen Merkmale, die am be<strong>de</strong>utsamsten sind, mit <strong>de</strong>m dunkleren Blau [] die Merkmale mit einem<br />

negativen Einfluss.)<br />

Betreuungsmerkmale <br />

Kindsmerkmale<br />

<strong>Familie</strong>n-<br />

Merkmale<br />

Medien-<br />

merkmale<br />

Entwicklung<br />

kognitiv sprachlich mathematisch<br />

Tagesfamilienbetreuung<br />

Bildungsjahre<br />

<strong>de</strong>r Mutter<br />

Anzahl Zeitungen<br />

und Zeitschriften<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />

Besuch einer<br />

Kita<br />

Ältere Geschwister<br />

Bildungsjahre<br />

<strong>de</strong>r Mutter<br />

Nutzung von<br />

Bildschirmmedien<br />

(z. B.<br />

TV)<br />

Informative Medien<br />

Besuch einer<br />

Kita<br />

Bildungsjahre <strong>de</strong>r<br />

Mutter<br />

Gewichtung <strong>de</strong>r<br />

sozialen Entwicklung<br />

durch die Eltern<br />

Nutzung interaktiver<br />

Medien<br />

sozialemotional<br />

Geschlecht<br />

(männlich)<br />

Gewichtung<br />

<strong>de</strong>r sozialen<br />

Entwicklung<br />

durch die Eltern<br />

Nutzung interaktiver<br />

Medien<br />

(z. B. Spielkonsole)<br />

Besprechung<br />

<strong>de</strong>r Medieninhalte <br />

oppositionellaggressiv<br />

Besuch einer<br />

Kita<br />

Geschwister<br />

Stamm, M. (2011). Wieviel Mutter braucht ein<br />

Kind? Theoretische Befun<strong>de</strong> und empirische<br />

Fakten zur Frage <strong>de</strong>r Nützlichkeit o<strong>de</strong>r Schäd-


lichkeit von früher familienexterner Betreuung.<br />

Diskurs Kindheits- und Jugendforschung,<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

1, 17-30.<br />

Seite 29


Briefing Paper 6: Typische Entwicklungsverläufe<br />

Aus <strong>de</strong>r Entwicklungspsychologie ist bekannt,<br />

dass sich Kin<strong>de</strong>r im Vorschulalter massiv unterschei<strong>de</strong>n<br />

und die Bandbreite in allen Entwicklungsbereichen<br />

gross ist. Deshalb interessieren<br />

die Entwicklungsverläufe <strong>de</strong>r FRANZ-<br />

Kin<strong>de</strong>r und zwar sowohl im Hinblick auf ihre<br />

sprachliche, mathematische, intellektuelle und<br />

sozial-emotionale Entwicklung als auch hinsichtlich<br />

von <strong>Familie</strong>n- und Betreuungsmerkmalen.<br />

Anhand einer Clusteranalyse konnten vier Typen<br />

von Entwicklungsverläufen i<strong>de</strong>ntifiziert<br />

wer<strong>de</strong>n. Einbezogen wur<strong>de</strong>n vier Bereiche:<br />

Kognition (intellektuelle Entwicklung), Wortschatz,<br />

Mathematik und Sozialverhalten (inkl.<br />

oppositionell-aggressives Verhalten). Diese<br />

sind in Abbildung 5 abgebil<strong>de</strong>t. Dargestellt<br />

Entwicklungsverlauf<br />

1.5<br />

1<br />

0.5<br />

0<br />

-0.5<br />

-1<br />

-1.5<br />

Typ 1<br />

N=36<br />

25%<br />

Typ 2<br />

N=29<br />

21%<br />

Abbildung 5: Vier Typen von Entwicklungsmustern (z-Werte)<br />

Nutzt man die Merkmale, die sich in <strong>de</strong>n Regressionsanalysen<br />

als (ten<strong>de</strong>nziell) be<strong>de</strong>utsam<br />

herausgestellt haben – also die Betreuungsform,<br />

die das Kind am häufigsten besucht und<br />

<strong>de</strong>ren Intensität, die Bildungsjahre <strong>de</strong>r Mutter<br />

sowie das Vorhan<strong>de</strong>nsein von Geschwistern –<br />

so lassen sich diese vier Typen weiter differenzieren.<br />

In Tabelle 2 sind die Kennwerte dargestellt,<br />

wobei die höchsten Werte blau eingefärbt<br />

sind.<br />

Typ 3<br />

N=32<br />

23%<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 30<br />

sind die z-Werte. Sie sind das Ergebnis <strong>de</strong>r<br />

Transformation von Messwerten («z-<br />

Transformation). Typ 1 setzt sich aus kognitiv<br />

unterdurchschnittlich entwickelten Kin<strong>de</strong>rn<br />

mit eher beschei<strong>de</strong>nem Wortschatz zusammen.<br />

Bei <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Typs 2 han<strong>de</strong>lt es<br />

sich um solche, die in allen Bereichen – ausser<br />

im mathematischen – überdurchschnittlich<br />

weit entwickelt sind. Typ 3 wie<strong>de</strong>rum ähnelt<br />

<strong>de</strong>m Typ 1 insofern, als dass die Kin<strong>de</strong>r, ausser<br />

in ihrer kognitiven Entwicklung, sprachlich,<br />

mathematisch und sozial nicht auf <strong>de</strong>m gleichen<br />

Entwicklungsniveau sind. Typ 4 umfasst<br />

Kin<strong>de</strong>r mit zwar fortgeschrittener kognitiver<br />

und mathematischer Entwicklung, jedoch lediglich<br />

durchschnittlich ausgeprägtem Wortschatz.<br />

Auffallend ist ferner ihr eher negatives<br />

Sozialverhalten.<br />

Typ 4<br />

N=44<br />

31%<br />

Kognition<br />

Wortschatz<br />

Mathematik<br />

Sozialverhalten<br />

Betrachtet man die Kennwerte <strong>de</strong>r einzelnen<br />

Typen, so lässt sich Typ 1 anhand jüngerer Geschwister<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Für Typ 2 trifft dies für die nichtinstitutionelle<br />

Hauptbetreuung, d.h. für die<br />

Betreuung durch Tagesfamilien etc. und ihre<br />

Intensität sowie die mütterlichen Bildungsjahre,<br />

zu. Für Typ 3 gilt dasselbe für die Betreuung<br />

in Kitas, Spielgruppen etc. und ältere Geschwister.<br />

Typ 4 unterschei<strong>de</strong>t sich letztlich<br />

durch die ausschliesslich familieninterne Betreuung<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen.


<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 31<br />

Tabelle 2: Typen nach Betreuungs- und <strong>Familie</strong>nmerkmalen<br />

Merkmal<br />

Hauptbetreuung<br />

Typ 1 Typ 2 Typ 3 Typ 4<br />

Kita, Spielgruppe etc. 0.04 0.02 0.08 -0.10<br />

Tagesfamilie, Verwandte, Au Pair,<br />

Nanny etc.<br />

-0.05 0.09 -0.05 0.01<br />

Nur familienintern 0.00 -0.11 -0.04 0.10<br />

Intensität familienergänzen<strong>de</strong>r Betreuung<br />

<strong>Familie</strong><br />

-0.11 0.20 0.12 -0.12<br />

Bildungsjahre <strong>de</strong>r Mutter -0.09 0.16 -0.12 0.06<br />

Jüngere Geschwister 0.31 -0.23 0.00 -0.10<br />

Ältere Geschwister -0.10 0.10 0.13 -0.07<br />

Auf dieser Basis sowie <strong>de</strong>r vorangehen<strong>de</strong>n<br />

Clusteranalyse lassen sich die vier Typen folgen<strong>de</strong>rmassen<br />

beschreiben und etikettieren:<br />

Typ 1: Wenig fremdbetreute Langsamentwickler<br />

Kin<strong>de</strong>r dieses Typs sind kognitiv und sprachlich<br />

wenig fortgeschritten. Sie wer<strong>de</strong>n zwar<br />

fremdbetreut, jedoch <strong>de</strong>utlich weniger als an<strong>de</strong>re<br />

Kin<strong>de</strong>r. Ausser<strong>de</strong>m haben sie überdurchschnittlich<br />

oft jüngere Geschwister. Ihre Mütter<br />

verfügen über ten<strong>de</strong>nziell weniger hohe<br />

Bildungsabschlüsse.<br />

Typ 2: Intensiv fremdbetreute Schnellentwickler<br />

Im Vergleich zu allen an<strong>de</strong>ren Typen weisen<br />

Kin<strong>de</strong>r, die diesem Typ zugeordnet wer<strong>de</strong>n,<br />

weit fortgeschrittene Entwicklungsverläufe<br />

auf, nämlich in <strong>de</strong>r intellektuellen Entwicklung,<br />

im Wortschatz sowie in ihrem Sozialverhalten.<br />

Einzig für Mathematik trifft dies nicht<br />

zu. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren verbringen<br />

Kin<strong>de</strong>r dieses Typs mehr Zeit in familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung, d.h. bei Tagesfamilien,<br />

Verwandten etc., und sie haben auch seltener<br />

jüngere Geschwister. Zu<strong>de</strong>m verfügen ihre<br />

Mütter über die vergleichsweise höchsten Bildungsabschlüsse.<br />

Typ 3: Intensiv fremdbetreute Langsamentwickler<br />

Typ 3 bil<strong>de</strong>t gewissermassen <strong>de</strong>n Gegenpol<br />

von Typ 2, weisen doch diese Kin<strong>de</strong>r in allen<br />

Entwicklungsbereichen unterdurchschnittliche<br />

Verläufe auf. Am ausgeprägtesten trifft dies<br />

im Wortschatz und <strong>de</strong>n mathematischen Fähigkeiten<br />

zu. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Typen<br />

fallen drei Aspekte beson<strong>de</strong>rs auf: Die<br />

Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Typs 3 wer<strong>de</strong>n intensiver (in Kitas,<br />

Spielgruppen etc.) fremdbetreut, das Bildungsniveau<br />

ihrer Mütter ist am tiefsten und<br />

sie haben häufiger ältere Geschwister. Ihr So-<br />

zialverhalten ist von <strong>de</strong>n Eltern leicht negativ<br />

eingeschätzt wor<strong>de</strong>n.<br />

Typ 4: Ausschliesslich familienintern betreute<br />

Schnellentwickler<br />

Typ 4 umfasst Kin<strong>de</strong>r, welche in <strong>de</strong>r mathematischen<br />

Entwicklung einerseits am weitesten<br />

fortgeschritten sind und auch intellektuell<br />

überdurchschnittliche Werte zeigen. An<strong>de</strong>rerseits<br />

ist ihr Sozialverhalten vergleichsweise am<br />

wenigsten entwickelt. Im Wortschatz lässt sich<br />

keine Ten<strong>de</strong>nz feststellen. Geschwister haben<br />

sie seltener, und die Mütter sind vergleichsweise<br />

eher gut gebil<strong>de</strong>t. Im Unterschied zu<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren drei Typen wer<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r dieses<br />

Typs am ausgeprägtesten ausschliesslich familienintern<br />

betreut.<br />

Fazit<br />

Die Typologie bestätigt dreierlei:<br />

Erstens die enorme Heterogenität <strong>de</strong>r<br />

Entwicklungsverläufe von relativ bildungsnah<br />

aufwachsen<strong>de</strong>n Vorschulkin<strong>de</strong>rn. Sie<br />

lässt sich im Wesentlichen auf drei Merkmale<br />

zurückführen: auf das Betreuungsmuster<br />

(familieninterne/-ergänzen<strong>de</strong> Betreuung)<br />

und die Intensität <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />

Betreuung, auf das Bildungsniveau<br />

<strong>de</strong>r Mutter, auf das Vorhan<strong>de</strong>nsein<br />

von Geschwistern.<br />

Zweitens, dass sowohl familieninterne als<br />

auch familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung mit<br />

beson<strong>de</strong>rs günstigen, aber auch mit eher<br />

langsamen Entwicklungsverläufen einhergehen<br />

können.<br />

Drittens, dass es bestimmte Konstellationen<br />

gibt, welche einen beson<strong>de</strong>rs günstigen<br />

und akzelerierten Entwicklungsverlauf<br />

charakterisieren. Das sind die «intensiv<br />

fremdbetreuten Schnellentwickler». Die<br />

Umweltbedingungen dieser Kin<strong>de</strong>r zeich-


nen sich zum einen durch eine intensive<br />

familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung aus, zum<br />

an<strong>de</strong>ren durch das Vorhan<strong>de</strong>nsein vorwiegend<br />

älterer und seltener jüngerer Geschwister<br />

sowie durch Mütter mit einem<br />

hohen formalen Bildungsniveau. Es sind<br />

also keinesfalls – wie dies in <strong>de</strong>r populärwissenschaftlichen<br />

Literatur häufig behauptet<br />

wird – lediglich hohe intellektuelle<br />

Fähigkeiten o<strong>de</strong>r hohe Sprach- o<strong>de</strong>r Sozialkompetenzen,<br />

welche beson<strong>de</strong>rs günstige<br />

Vorschulentwicklungen respektive eine<br />

gute Schulfähigkeit prädizieren. Vielmehr<br />

ist es eine Kombination von Merkmalen<br />

personaler, familialer und betreuungsrelevanter<br />

Art, wobei die familialen<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 32<br />

Faktoren die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Variable darstellen.<br />

Weiterführen<strong>de</strong> Literatur<br />

Schnei<strong>de</strong>r, W. (Hrsg.). Entwicklung von <strong>de</strong>r<br />

Kindheit bis zum Erwachsenenalter: Befun<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Münchner Längsschnittstudie LOGIK.<br />

Weinheim: Beltz PVU.<br />

Zimmermann, P. Becker-Stoll, F., Grossmann,<br />

K., Grossmann, K.E., Scheuerer-Englisch, H. &<br />

Wartner, U. (2000). Längsschnittliche Bindungsentwicklung<br />

von <strong>de</strong>r frühen Kindheit bis<br />

zum Jugendalter. Kindheit und Entwicklung ,<br />

47, 99-117.


<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 33<br />

Briefing Paper 7: Pädagogische und bildungspolitische<br />

Konsequenzen<br />

Dieses Briefing Paper greift die wichtigsten Ergebnisse<br />

unserer FRANZ-Studie heraus, diskutiert<br />

sie und leitet daraus sieben Empfehlungen<br />

ab. Wie mehrfach bereits betont, sind sie auf die<br />

Mittelschicht ausgerichtet.<br />

Mehrheitlich anregungsreiche <strong>Familie</strong>numwelten<br />

Insgesamt zeigt unsere FRANZ-Studie, dass die<br />

meisten Kin<strong>de</strong>r eine Vorschulzeit in anregen<strong>de</strong>n<br />

familiären Umgebungen verbracht haben. Die<br />

Eltern planen in mo<strong>de</strong>ratem Ausmass die Aktivitäten<br />

für ihre Kin<strong>de</strong>r, die weitgehend auf eine<br />

ganzheitliche Entwicklung ausgerichtet sind. Da<br />

86% <strong>de</strong>r Eltern auch über ein beträchtliches kulturelles<br />

Kapital im Sinne von vielen Büchern,<br />

Zeitungen und Zeitschriften verfügen, üben sie<br />

auch in dieser Hinsicht eine beträchtliche Mo<strong>de</strong>llwirkung<br />

auf ihre Kin<strong>de</strong>r aus. Da sie <strong>de</strong>n Medienkonsum<br />

ebenfalls gezielt kontrollieren und<br />

ihn bewusst und in Interaktion mit <strong>de</strong>m Kind<br />

gestalten, ergibt sich insgesamt ein Bild einer<br />

entwicklungsför<strong>de</strong>rlichen Vorschulkindheit. Dass<br />

dieser allgemeine Befund allerdings zu differenzieren<br />

ist, zeigt unsere Typologie. Sie verweist<br />

darauf, dass in diesen <strong>Familie</strong>n sowohl akzelerierte<br />

als auch verlangsamte kindliche Entwicklungsmuster<br />

möglich sind.<br />

Empfehlung 1: Es sollte verstärkt zur Kenntnis<br />

genommen wer<strong>de</strong>n, dass es erziehungskompetente<br />

<strong>Familie</strong>n gibt. Sie kommen nicht nur<br />

ihren Aufgaben und Verpflichtungen nach,<br />

son<strong>de</strong>rn stellen ihren Kin<strong>de</strong>rn auch gute Entwicklungsmöglichkeiten<br />

zur Verfügung. Solche<br />

Mo<strong>de</strong>lle haben durchaus Best-Practice<br />

Charakter und sollten <strong>de</strong>shalb in <strong>de</strong>r Diskussion<br />

um Frühför<strong>de</strong>rung und <strong>Familie</strong>nverantwortung<br />

ebenso thematisiert wer<strong>de</strong>n wie die<br />

Negativmo<strong>de</strong>lle von <strong>Familie</strong>n, <strong>de</strong>nen dies<br />

nicht gelingt. Der bildungs- und sozialpolitische<br />

Blick sollte ein differenzierterer wer<strong>de</strong>n<br />

als er bisher ist.<br />

Vielfältige Betreuungsmuster, aber mütterliche<br />

Hauptverantwortung<br />

Die Vielfalt <strong>de</strong>r Betreuungsmuster ist enorm.<br />

30% <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r sind in ihren ersten drei Lebensjahren<br />

ausschliesslich familienintern, 70% zusätzlich<br />

durchschnittlich an zwei Wochentagen<br />

fremdbetreut wor<strong>de</strong>n. Im Vergleich zur Schwei-<br />

zer Durchschnittsbevölkerung mit 48% ausschliesslich<br />

familieninterner und 52% familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung sind die Anteile unserer<br />

Studie damit höher. Ein Drittel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r ist in<br />

<strong>de</strong>n ersten drei Lebensjahren zu<strong>de</strong>m an mehr als<br />

zwei Orten betreut wor<strong>de</strong>n. Mit dreieinhalb<br />

Jahren waren es mehr als 50%, bei <strong>de</strong>n Fünfjährigen<br />

jedoch wie<strong>de</strong>r nur mehr 38%. Mit <strong>de</strong>m<br />

Besuch <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rgartens haben offenbar viele<br />

<strong>Familie</strong>n vermehrt auf zusätzliche familienergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung verzichtet, weshalb <strong>de</strong>r<br />

Anteil <strong>de</strong>r ausschliesslich zuhause betreuten<br />

Kin<strong>de</strong>r im Alter von fünf Jahren auf fast 50%<br />

angestiegen ist.<br />

Auch unsere Studie kommt – wie viele an<strong>de</strong>re<br />

Untersuchungen – zum Schluss, dass die Betreuung<br />

zuhause mehrheitlich von <strong>de</strong>n Müttern<br />

geleistet wird, auch wenn diese einer Berufstätigkeit<br />

von 60% o<strong>de</strong>r mehr nachgehen. Sie sind<br />

es vorwiegend, welche die interne Verantwortung<br />

für die Erziehung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung<br />

tragen und mit allen Kompromissentscheidungen<br />

durch <strong>de</strong>n <strong>Familie</strong>n- und Berufsalltag<br />

jonglieren.<br />

Empfehlung 2: Die Diskussion um die Vereinbarkeit<br />

von Beruf und <strong>Familie</strong> ist nahezu ausschliesslich<br />

auf das Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>r Berufstätigkeit<br />

bei<strong>de</strong>r Elternteile ausgerichtet und auf eine<br />

einzelne Betreuungsform fokussiert – die<br />

Kita, die Tagesfamilie o<strong>de</strong>r die Nanny – und<br />

damit zu wenig auf die Tatsache, dass <strong>de</strong>r<br />

Grossteil <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>n eine Kombination verschie<strong>de</strong>ner<br />

Möglichkeiten wählen will o<strong>de</strong>r<br />

wählen muss.<br />

Die familienpolitische Diskussion sollte somit<br />

verstärkt verschie<strong>de</strong>ne familiäre Betreuungsmo<strong>de</strong>lle<br />

und auch <strong>de</strong>n möglicherweise nicht<br />

immer unproblematischen Mix an Betreuungsmustern<br />

in <strong>de</strong>n Blick nehmen. Die offenbar<br />

starke interne Rolle <strong>de</strong>r Mutter, auch<br />

wenn diese beruflich engagiert ist, sollte zu<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>n Blick für die Notwendigkeit öffnen,<br />

dass eine Diskussion zu kurz greift, welche lediglich<br />

die Teilzeitarbeit von Vätern in <strong>de</strong>n<br />

Blick nimmt.


Die <strong>Familie</strong> als Herzstück <strong>de</strong>r kindlichen<br />

Entwicklung<br />

Vergleicht man die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n<br />

Betreuung für die Entwicklung von<br />

Vorschulkin<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>rjenigen <strong>de</strong>s familiären<br />

Hintergrun<strong>de</strong>s, so erweist sich dieser als ein<strong>de</strong>utig<br />

wichtiger. Die familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung<br />

hat zwar einen (mehrheitlich positiven) Einfluss<br />

auf die Entwicklung, doch wird sie durch Merkmale<br />

<strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> überlagert und verliert dadurch<br />

an Relevanz. Als beson<strong>de</strong>rs be<strong>de</strong>utsam erweisen<br />

haben sich das mütterliche Bildungsniveau, die<br />

Anzahl <strong>de</strong>r im Haushalt verfügbaren Zeitungen<br />

und Zeitschriften sowie das Vorhan<strong>de</strong>nsein von<br />

Geschwistern. Die Geschwisterreihenfolge spielt<br />

dabei eine Rolle. So haben die am fortgeschrittensten<br />

entwickelten Kin<strong>de</strong>r am häufigsten ältere<br />

Geschwister. Dies mag damit zu tun haben,<br />

dass sie die kognitive und sprachliche Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r Jüngeren stimulieren, weil diese<br />

dadurch im Alltag mit kognitiv herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />

Spielen in Kontakt kommen.<br />

Dass <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r familienergänzen<strong>de</strong>n Betreuung<br />

relativ beschei<strong>de</strong>n ist, mag zwar erstaunen.<br />

Denn viele frühere Untersuchungen fan<strong>de</strong>n<br />

einen starken positiven Einfluss von familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung auf die Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>r. Allerdings haben sich diese Studien oft<br />

auf benachteiligte <strong>Familie</strong>n konzentriert, in <strong>de</strong>nen<br />

die Kin<strong>de</strong>r wenig geför<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n. Unser<br />

Befund dürfte <strong>de</strong>shalb mit zwei Aspekten zusammenhängen:<br />

Erstens fällt die durchschnittliche<br />

Betreuungsintensität mit etwa zwei Tagen<br />

pro Woche im Vergleich zu an<strong>de</strong>ren Studien eher<br />

gering aus. Zweitens ist das familiäre Umfeld<br />

unserer FRANZ-Kin<strong>de</strong>r schon sehr för<strong>de</strong>rlich,<br />

sodass familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung nur wenig<br />

daran än<strong>de</strong>rn kann. Insgesamt schaffen die Eltern<br />

ihren Kin<strong>de</strong>rn nicht nur eine behütete und<br />

voraussetzungsreiche, weil sorgfältig ausgestattete<br />

Kindheit, son<strong>de</strong>rn auch mit einiger Sicherheit<br />

Vorteile für das spätere Leben.<br />

Empfehlung 3a: Der <strong>Familie</strong>nbildung und Elternarbeit<br />

sollte in <strong>de</strong>r Diskussion um<br />

Frühför<strong>de</strong>rung und Schulvorbereitung die<br />

gleiche Be<strong>de</strong>utung beigemessen wer<strong>de</strong>n wie<br />

<strong>de</strong>m Ausbau familienergänzen<strong>de</strong>r Betreuung.<br />

Empfehlung 3b: Unsere auf privilegiertere<br />

<strong>Familie</strong>n eingeschränkten FRANZ-Ergebnisse<br />

erlauben einen neuen Blick auf die Situation<br />

benachteiligt aufwachsen<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r: Wenn<br />

familiäre Einflüsse <strong>de</strong>rart be<strong>de</strong>utsam sind,<br />

dann sind Kin<strong>de</strong>r aus sozial schwachen und<br />

risikobehafteten <strong>Familie</strong>n doppelt benachteiligt:<br />

weil diese ihnen oft wenig för<strong>de</strong>rliche<br />

Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 34<br />

Aufwachsbedingungen zur Verfügung stellen<br />

können. Darüber hinaus besuchen solche Kin<strong>de</strong>r<br />

auch <strong>de</strong>utlich seltener als privilegiertere<br />

Kin<strong>de</strong>r eine familienergänzen<strong>de</strong> Betreuung,<br />

welche kompensierend wirken kann. Diese<br />

Gesamtsituation kann zur Folge haben, dass<br />

sich die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Startchancen <strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>r weiter vergrössern und zwar <strong>de</strong>shalb,<br />

weil solche aus privilegierteren <strong>Familie</strong>n dank<br />

ihrer besseren Lernausgangslagen stärker profitieren.<br />

Deshalb sollte alles daran gesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n, dass eine frühzeitige, d.h. in <strong>de</strong>r<br />

Schwangerschaft und vor allem nach <strong>de</strong>r Geburt<br />

eines Kin<strong>de</strong>s einsetzen<strong>de</strong> <strong>Familie</strong>nbegleitung<br />

für benachteiligte <strong>Familie</strong>n systematisch<br />

und flächen<strong>de</strong>ckend aufgebaut wird. Wir wissen<br />

alle, dass erst das Angebot die Nachfrage<br />

schafft.<br />

Positive Entwicklungsverläufe bei allen Betreuungsmustern<br />

möglich<br />

Alle in unserer Studie eruierten Betreuungskonstellationen<br />

können för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Auswirkungen auf<br />

die kindliche Entwicklung haben. Die Entwicklungsmuster<br />

sind jedoch unterschiedlicher Art.<br />

Damit wird <strong>de</strong>utlich, dass die Heterogenität<br />

gleichaltriger – und vor allem auch aus ähnlichen<br />

Milieus stammen<strong>de</strong>r – Vorschulkin<strong>de</strong>r in allen<br />

Entwicklungsbereichen – im sprachlichen, mathematischen,<br />

intellektuellen Bereich und auch<br />

im Sozialverhalten – gross ist. Grundsätzlich<br />

kann von keinem Betreuungsmuster erwartet<br />

wer<strong>de</strong>n, dass es Fortschritte in allen kindlichen<br />

Entwicklungsbereichen garantiert.<br />

Ein intensiverer Besuch einer familienergänzen<strong>de</strong>n<br />

Betreuung – Tagesfamilie, Kita, Spielgruppe<br />

– wirkt sich beispielsweise auf die kognitive,<br />

sprachliche und mathematische Entwicklung<br />

positiv aus: Der Hauptgrund hierfür dürfte sein,<br />

dass die Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Betreuungseinrichtungen<br />

von spezifischen Anregungen<br />

profitieren können. Allerdings gehen bestimmte<br />

Merkmale ausschliesslich familieninterner Betreuung<br />

ebenfalls mit günstigen Entwicklungsverläufen<br />

einher, so etwa das Bildungsniveau <strong>de</strong>r<br />

Mutter o<strong>de</strong>r das Vorhan<strong>de</strong>nsein älterer Geschwister.<br />

In Bezug auf die soziale Entwicklung<br />

(oppositionell-aggressives Verhalten) präsentiert<br />

sich das Bild etwas an<strong>de</strong>rs: In Kitas betreute<br />

Kin<strong>de</strong>r zeigten im Elternurteil ein aggressiveres<br />

Verhalten als Kin<strong>de</strong>r, die keine Kita besuchten.<br />

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Kin<strong>de</strong>r,<br />

die häufig mit Gleichaltrigen in institutionellen<br />

Betreuungsformen zusammen sind, auch mehr<br />

Gelegenheit zu Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen haben als<br />

Kin<strong>de</strong>r, die ausschliesslich im Kreis <strong>de</strong>r Kernfamilie,<br />

bei Verwandten o<strong>de</strong>r Grosseltern betreut


wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>rerseits zeigen ausschliesslich familienintern<br />

betreute Kin<strong>de</strong>r die geringste Sozialkompetenz<br />

(vgl. Typ 4 <strong>de</strong>r Clusteranalyse).<br />

Insgesamt lassen die Ergebnisse zu <strong>de</strong>n Betreuungseffekten<br />

auf die Entwicklungsverläufe folgen<strong>de</strong><br />

Aussagen zu: Wird ein Kind nicht nur familienintern,<br />

son<strong>de</strong>rn auch familienergänzend<br />

betreut, zeigt es zwar ein etwas aggressiveres<br />

Verhalten, profitiert im Gegenzug jedoch in kognitiver,<br />

sprachlicher und mathematischer Hinsicht.<br />

An<strong>de</strong>rerseits sind ausschliesslich familienintern<br />

betreute Kin<strong>de</strong>r am wenigsten weit in<br />

ihrem Sozialverhalten entwickelt.<br />

In Bezug auf das Ergebnis, wonach in Kitas betreute<br />

Kin<strong>de</strong>r im Elternurteil ein aggressiveres<br />

Verhalten zeigten als Kin<strong>de</strong>r, die keine Kita besuchten,<br />

wäre die Interpretation unzulässig, dass<br />

Fremdbetreuung für junge Kin<strong>de</strong>r generell die<br />

Aggressionsbereitschaft erhöhe. Erstens han<strong>de</strong>lt<br />

es sich bei unseren Daten ausschliesslich um<br />

eine Elterneinschätzung. Zweitens kann nicht<br />

je<strong>de</strong>s oppositionell-aggressive Verhalten, wie<br />

etwa das Nicht-Befolgen von Anweisungen,<br />

Wutausbrüche o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Formen von Impulsivität,<br />

per se als Negativverhalten beurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />

In bestimmten Kontexten können solche<br />

Verhaltensweisen sogar angemessen sein.<br />

Empfehlung 4: Die bisherige Diskussion, welche<br />

sich einseitig entwe<strong>de</strong>r auf positive o<strong>de</strong>r<br />

auf negative Auswirkungen von Kitas auf die<br />

kindliche Entwicklung konzentriert hat, ist zu<br />

revidieren. Weil <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong> grösser<br />

ist als <strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r Fremdbetreuung,<br />

müssen Urteile zur Qualität von Fremdbetreuung<br />

immer unter Einbezug familiärer<br />

Merkmale getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Beson<strong>de</strong>rs günstige Entwicklungsverläufe<br />

Hohe mütterliche Bildung und intensive familienergänzen<strong>de</strong><br />

Betreuung gehen mit <strong>de</strong>n fortgeschrittensten<br />

Entwicklungsverläufen einher.<br />

Darauf verweisen die «intensiv fremdbetreuten<br />

Schnellentwickler» (Typ 2). Ebenfalls überdurchschnittliche<br />

Entwicklungen- ausgenommen im<br />

sozialen Verhalten – weisen die Kin<strong>de</strong>r dann auf,<br />

wenn sie in <strong>de</strong>r <strong>Familie</strong>, nicht aber familienergänzend<br />

betreut wer<strong>de</strong>n. Dafür steht Typ 4, die<br />

«ausschliesslich familienintern betreuten Schnellentwickler».<br />

Ein vergleichsweise geringes formales<br />

Bildungsniveau <strong>de</strong>r Mutter, kombiniert<br />

mit sowohl wenig als auch viel familienergänzen<strong>de</strong>r<br />

Betreuung, steht in Zusammenhang mit<br />

weniger fortgeschrittenen Entwicklungsverläufen.<br />

Diese Zusammenhänge fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n<br />

Typen 1 («wenig fremdbetreute Langsament-<br />

<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong><br />

Seite 35<br />

wickler») und 3 («intensiv fremdbetreute Langsamentwickler»).<br />

Empfehlung 5: Die Entwicklungsmuster <strong>de</strong>r<br />

FRANZ-Kin<strong>de</strong>r verweisen auf ihre – kurz vor<br />

<strong>de</strong>m Schuleintritt – sehr unterschiedlichen<br />

Lernausgangslagen. Nimmt man nicht nur<br />

diese Mittelschichtkin<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn zusätzlich<br />

auch die Kin<strong>de</strong>r aus benachteiligten <strong>Familie</strong>n<br />

und solche mit Migrationshintergrund in <strong>de</strong>n<br />

Blick, dann ist zu erwarten, dass die Heterogenität<br />

in dieser Hinsicht noch viel grösser ist.<br />

Kin<strong>de</strong>rgarten und Schuleingangsstufe sollten<br />

<strong>de</strong>shalb solche empirischen Tatsachen als<br />

selbstverständliches und unhinterfragtes<br />

Fundament ihrer pädagogischen Arbeit zugrun<strong>de</strong><br />

legen.<br />

Medien als unabhängige Einflussgrösse<br />

Medien erweisen sich als be<strong>de</strong>utsam für die<br />

kindliche Entwicklung. Dies gilt unabhängig von<br />

familiären und betreuungsbezogenen Einflüssen.<br />

Für einen för<strong>de</strong>rlichen Einfluss zentral ist in erster<br />

Linie die Tatsache, dass ein Grossteil <strong>de</strong>r Eltern<br />

die genutzten Medien gemeinsam mit <strong>de</strong>m<br />

Kind bespricht. Tun sie dies regelmässig, wirkt<br />

sich dies positiv auf seine kognitive und soziale<br />

Entwicklung aus. Zum an<strong>de</strong>ren sind Form und<br />

Inhalt <strong>de</strong>r Medien wichtig: Konsumiert das Kind<br />

hauptsächlich informative Medieninhalte – beispielsweise<br />

Hörbücher o<strong>de</strong>r Fernsehsendungen,<br />

welche auch problemlösungsorientiert sind – so<br />

sind damit positive Effekte auf <strong>de</strong>n Wortschatz<br />

verbun<strong>de</strong>n, wahrscheinlich <strong>de</strong>shalb, weil solche<br />

Medien in <strong>de</strong>r Lage sind, <strong>de</strong>n Sprachgebrauch<br />

mo<strong>de</strong>llhaft zu beeinflussen. An<strong>de</strong>rs sieht es bei<br />

interaktiven Medienformen aus: Wer<strong>de</strong>n diese<br />

häufiger genutzt, verlangsamt sich die sprachliche<br />

und mathematische Entwicklung. In Bezug<br />

auf Bildschirmmedien sind unsere Befun<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rsprüchlich:<br />

So wirkt sich eine intensivere<br />

Nutzung unabhängig von <strong>de</strong>n Inhalten negativ<br />

auf <strong>de</strong>n Wortschatz, jedoch positiv auf das Sozialverhalten,<br />

aus. Dieser Befund kann damit erklärt<br />

wer<strong>de</strong>n, dass Kin<strong>de</strong>r soziales Lernen regelmässiger<br />

praktizieren können, wenn sie gemeinsam<br />

Medien konsumieren.<br />

Empfehlung 6: Angesichts unserer Ergebnisse,<br />

wonach ein guter pädagogischer Einsatz<br />

von Medien sowohl die sprachliche Entwicklung<br />

als auch das Sozialverhalten positiv unterstützen<br />

kann, sollte das Thema ‚Medien im<br />

Vorschulbereich‘ eine viel grössere Be<strong>de</strong>utung<br />

erhalten als dies bis anhin <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

Dies gilt sowohl für die Eltern- und <strong>Familie</strong>narbeit<br />

als auch für die Aus- und Weiterbildung<br />

in pädagogischen Institutionen.


Entwicklung, Betreuung und För<strong>de</strong>rung von Vorschulkin<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Mittelschicht<br />

Seite 36


<strong>Bildungsort</strong> <strong>Familie</strong>

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