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Fledermaus-Anzeiger - Stiftung zum Schutze unserer Fledermäuse ...

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<strong>Fledermaus</strong>-<strong>Anzeiger</strong><br />

Offi zielles Mitteilungsorgan der <strong>Stiftung</strong> <strong>Fledermaus</strong>schutz &<br />

des BAFU-Projektes Koordinationsstelle Ost für <strong>Fledermaus</strong>schutz (KOF)<br />

Redaktionsadresse: <strong>Stiftung</strong> <strong>Fledermaus</strong>schutz, Zürichbergstrasse 221, 8044 Zürich<br />

Sekretariat 044 254 26 80; Fax 044 254 26 81; <strong>Fledermaus</strong>schutz-Nottelefon 079 330 60 60<br />

fl edermaus@zoo.ch; www.fl edermausschutz.ch<br />

FMAZ 89 Dezember 2009 Aufl age 3’000<br />

Mückenfl edermäuse – «kleine Seeräuberinnen»<br />

Die Thurgauische Koordinationsstelle<br />

für <strong>Fledermaus</strong>schutz führte<br />

2009 ein Projekt zur Jagdlebensraumwahl<br />

der Mückenfl edermäuse<br />

am Bodensee durch. Mittels Radiotelemetrie<br />

fand man heraus, dass<br />

unsere kleinsten einheimischen<br />

Flatterer eine Vorliebe für Flachwasserzonen<br />

haben.<br />

Wolf-Dieter Burkhard / KFB TG<br />

Im Kanton Thurgau wurden in den Jahren<br />

2001 bis 2008 rund ein Dutzend Wochenstuben<br />

der Mückenfl edermaus (Pipistrellus pygmaeus)<br />

gefunden – so viele wie schweizweit<br />

nur noch in der Region Luzern. Diese kleinste<br />

unter den europäischen <strong>Fledermaus</strong>arten<br />

ist erst 1995 als eigenständige Art erkannt<br />

worden. Entsprechend gering sind genauere<br />

Kenntnisse über ihr Verhalten. Wegen ihrer<br />

starken äusserlichen Ähnlichkeit waren<br />

Mückenfledermäuse wegen ihrer charakteristischen<br />

Ultraschallrufe zuvor stets als<br />

Mückenfl edermaus aus Kreuzlingen TG<br />

eine «Ruf-Variante» der Zwergfl edermaus<br />

(Pipistrellus pipistrellus) angesehen worden:<br />

Die Hauptruffrequenz liegt bei der Zwergfl edermaus<br />

nämlich bei etwa 45 kHz, bei der<br />

Mückenfl edermaus hingegen deutlich höher<br />

bei rund 55 kHz. Heute sind die beiden Arten<br />

für <strong>Fledermaus</strong>fachpersonen meist auch<br />

durch äussere Merkmale voneinander zu<br />

unterscheiden.<br />

Erstnachweis TG im Fitnesscenter<br />

Im Jahr 2000 wurde das erste Exemplar im<br />

Kanton Thurgau entdeckt. Es handelte sich<br />

um ein einzelnes Männchen, das sich in<br />

ein Fitnesscenter verirrt hatte und dort für<br />

erhebliche Aufregung beim Personal gesorgt<br />

hatte. Der erste Beweis, dass sich die Art im<br />

Thurgau fortpfl anzt, gelang im Jahr darauf:<br />

Im Zwischendach eines Zweifamilienhauses<br />

in Kreuzlingen wurde eine Wochenstube gefunden,<br />

die über 200 Tiere umfasste.<br />

Der nachgewiesene Thurgauische Bestand<br />

umfasst mittlerweile mehrere hundert Tiere<br />

und gehört damit zu den bedeutendsten in<br />

der Schweiz. Sämtliche bis heute im Thurgau<br />

bekannt gewordenen Quartiere der Mückenfledermaus<br />

befinden sich in Kreuzlingen<br />

und Romanshorn, also in zwei Gemeinden,<br />

FOTO: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

welche am südlichen Bodenseeufer liegen.<br />

Diese auffällige Nähe <strong>zum</strong> See weckte die<br />

Vermutung, die ausgedehnten Flachwasserzonen<br />

des Sees könnten eine wesentliche<br />

Rolle bei der Nahrungssuche spielen und so<br />

die Konzentration der Tiere entlang dieser<br />

Uferzonen erklären.<br />

Sender im Rückenfell<br />

Um die These zu untermauern, wurden im Mai<br />

und Juli 2009 je zwei Tiere aus jeweils einer<br />

Wochenstubenkolonie in Kreuzlingen und<br />

Romanshorn mit einem Sender «versehen».<br />

Ausgewählt wurden Geräte von lediglich<br />

einem Drittel Gramm Gewicht, um die Tiere<br />

im Flug möglichst wenig zu belasten. Die Befestigung<br />

mit einem medizinischen Klebstoff<br />

im Rückenfell gewährleistete, dass die Sender<br />

nach wenigen Tagen wieder abfi elen.<br />

In den darauf folgenden Nächten wurden die<br />

Aktivitäten der besenderten Tiere verfolgt und<br />

miteinander verglichen. In einzelnen Fällen<br />

war auch die Beobachtung mit Nachtsichtgeräten<br />

möglich. Es stellte sich heraus, dass die<br />

Mückenfl edermäuse nach dem abendlichen<br />

Verlassen ihrer Quartiere meist sofort <strong>zum</strong><br />

nahen See flogen, um dann ausdauernd,<br />

d.h. meist während mehreren Stunden über<br />

Aktuell im FMAZ 89<br />

Schutz und Forschung<br />

Jagd Mückenfl edermäuse TG ........... 1<br />

Tagaktive Mückenfl edermäuse .......... 2<br />

Kohlmeisen fressen <strong>Fledermäuse</strong> ..... 8<br />

News aus den Regionen<br />

Kleine Hufeisennase SO ................... 4<br />

Kleine Hufeisennase SG ................... 4<br />

Baufachleute LU ................................ 5<br />

Wimperfl edermaus SO ...................... 5<br />

Neue Mitarbeitende GR ..................... 5<br />

Langohren TI ..................................... 6<br />

Brandtfl edermaus SH ........................ 6<br />

«Multikulti» ......................................... 7<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Neue Mitarbeiterin SSF .................... 6<br />

<strong>Fledermaus</strong>haus Österreich .............. 8


2 FMAZ 89 Dezember 2009<br />

dem Wasser zu jagen. Anders als Wasserfl<br />

edermäuse, welche ihrer Beute meist dicht<br />

über der Wasseroberfläche nachstellen<br />

oder sie direkt vom Wasserspiegel ablesen,<br />

nutzten die Mückenfl edermäuse auch höhere<br />

Bereiche oder suchten die Ufergebiete nach<br />

Nahrung ab, wobei sie <strong>zum</strong> Teil sogar über die<br />

Baumkronen aufstiegen. Der Jagdfl ug erfolgte<br />

nicht, wie es bei den Zwergfl edermäusen oft<br />

zu beobachten ist, kleinräumig begrenzt und in<br />

engen Kurven, sondern führte «grosszügiger»<br />

über weitere Distanzen. Zeitweise jagten die<br />

Mückenfl edermäuse weit draussen über dem<br />

See, dann aber auch wieder über Jachthäfen<br />

zwischen vertäuten Schiffen.<br />

Mit Highspeed ins Jagdgebiet<br />

Die Verfolgung der besenderten Tiere erwies<br />

nach dem Ausfl ug sich als sehr anspruchsvoll,<br />

und dies trotz zweier unabhängiger<br />

Teams, die mit Autos ausgerüstet waren. Die<br />

telemetrierten Tieren stammten aus zwei Wochenstuben<br />

der beiden grossen Siedlungen<br />

Kreuzlingen und Romanshorn. Die vielen<br />

Häuser schluckten oft die Sendersignale oder<br />

die Strassen in der Stadt verhinderten ein<br />

zügiges Vorwärtskommen der zu verfolgenden<br />

Tiere. Die Mückenfl edermäuse bewegten sich<br />

zudem mit erstaunlich hohem Tempo fort: Auf<br />

einer parallel zur Hauptstrasse Kreuzlingen-<br />

Ermatingen führenden Flugstrecke wurde eine<br />

durchschnittliche Fluggeschwindigkeit von<br />

30 bis 35 km/h gemessen. Glücklicherweise<br />

konnten die Tiere aber meist bald wieder<br />

geortet werden, in der Regel jagend über den<br />

Flachwasserzonen. Solange sie sich in Ufernähe<br />

bewegten, liessen sich ihre Flugmanöver<br />

recht gut verfolgen. Schwieriger wurde es,<br />

wenn sie weit hinaus aufs Wasser zur Jagd<br />

FOTO: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

fl ogen und die Signale infolgedessen nur noch<br />

schwach empfangen werden konnten, was<br />

öfters der Fall war.<br />

Grosse Strecken kein Problem<br />

Eine der Kreuzlinger Mückenfledermäuse<br />

entzog sich mehrere Abende lang den Verfolgern.<br />

Erst nach mehreren Anläufen gelang<br />

es, ihre Flugroute zu erkennen. Zunächst<br />

flog sie hang aufwärts auf den Seerücken<br />

und jagte dort im Bereich einer grossen<br />

Waldlichtung, dies aber nur während zehn<br />

bis zwanzig Minuten. Danach folg sie hinunter<br />

<strong>zum</strong> Untersee und jagte – wiederum nur kurze<br />

Zeit – an den Dorfrändern von Tägerwilen<br />

und Triboltingen – und dann strebte auch sie<br />

Vorn der Schifffahrtshafen von Kreuzlingen, in der Bildmitte die sogenannte «Wollschweininsel», dahinter<br />

die ausgedehnte Flachwasserzone des Konstanzer Trichters, Jagdgebiete mehrerer Mückenfl edermäuse.<br />

FOTO: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

Die Mückenfl edermäuse jagten oft in Hafenanlagen, sofern diese genügend grosse freie Flächen aufwiesen.<br />

hin <strong>zum</strong> See. Hier war sie ausdauernd über<br />

den Flachwasserbereichen unterwegs, aber<br />

auch über den grossfl ächigen Schilfgürteln,<br />

welche für den östlichen Teil des Untersees<br />

typisch sind.<br />

Ausser dem hohen Tempo, mit dem die<br />

kleinen <strong>Fledermäuse</strong> unterwegs waren, erstaunten<br />

auch die zurückgelegten Strecken.<br />

Einzelne Tiere entfernten sich viele Kilometer<br />

von ihren Tagesquartieren. Die weiteste festgestellte<br />

Distanz betrug über 12 km. Während<br />

die Mückenfl edermäuse in Romanshorn stets<br />

wieder in dasselbe Tagesschlafquartier zurück<br />

kehrten und damit die weiteren Abklärungen<br />

erleichterten, wählten die Kreuzlinger oft einen<br />

anderen Tagesunterschlupf, den zu fi nden<br />

nicht immer einfach war und bei einem der<br />

Tiere gar nicht gelang.<br />

Beide Jagdlebensräume über dem Bodensee<br />

– sowohl der Obersee als auch der<br />

kleinere Untersee – zeichnen sich durch<br />

ausgedehnte Flachwasserzonen aus, welche<br />

einen immensen Reichtum an Insekten<br />

hervorbringen. Dass diese Fülle an kleinen<br />

Beutetieren eine Erklärung dafür ist, weshalb<br />

die Thurgauischen Mückenfledermäuse<br />

bis heute fast ausschliesslich am Boden-<br />

Das Projekt «Radio-Telemetrie-Untersuchungen an<br />

Mückenfl edermäusen (Pipistrellus pygmaeus) im<br />

Kanton Thurgau» wurde mit Hilfe des Biologen Dr.<br />

René Güttinger und der fi nanziellen Unterstützung<br />

der WWF-Sektion Bodensee/Thurgau durchgeführt.<br />

Die Thurgauische Koordinationsstelle für <strong>Fledermaus</strong>schutz<br />

dankt herzlich für die Hilfe.<br />

An den Untersuchungen beteiligten sich zudem viele<br />

Lokale <strong>Fledermaus</strong>schützende aus dem Thurgau:<br />

FOTO: CHRISTIAN EHRAT<br />

Trudy Christoffel, Hans Eberhardt, Thomas Haller,<br />

Marius Heeb, Susi Kreis, Sonja Pfi ster und Priska<br />

Wyss. Ihnen sei an dieser Stelle für ihre Hilfe<br />

gedankt.


Dezember 2009 FMAZ 89 3<br />

FOTO: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

Die Flachwasserzone vor den Hafenanlagen von Kreuzlingen und Konstanz wird von den Mückenfl edermäusen<br />

intensiv bejagt.<br />

see beobachtet wurden, konnte durch die<br />

Radiotelemetrie-Untersuchungen gestützt<br />

werden. Die Abklärungen brachten insgesamt<br />

wertvolle, neue und detaillierte Erkenntnisse<br />

über das Jagdverhalten <strong>unserer</strong> kleinsten<br />

einheimischen <strong>Fledermaus</strong>art, aber auch über<br />

ihre «Treue» zu ihren Jagdlebensräumen, zur<br />

Quartierwahl, zu Fluggeschwindigkeit und<br />

Flugrouten.<br />

Die Angaben zu den Jagdlebensräumen<br />

bestätigen und ergänzen die Untersuchungen<br />

von Thomas Sattler*, der im Rahmen seiner<br />

Diplomarbeit in der ganzen Schweiz mit<br />

dem Auto Transekte abfuhr und dabei mit<br />

dem Detektor Ultraschallrufe aufzeichnete:<br />

Mückenfl edermäuse jagen im Tiefl and in der<br />

Nähe von Gewässern, oft in oder in der Nähe<br />

von Siedlungen und in offenen Baumbeständen.<br />

Die Entdeckung der starken Präferenz<br />

für die Jagd über dem Wasser ist in dieser<br />

Hinsicht neu. Da Thomas Sattler sein Auto<br />

nicht auf diesem Element einsetzen konnte<br />

und die Reichweite eines Ultraschalldetektors<br />

beschränkt ist, ist das Fehlen dieses Befundes<br />

in seiner Arbeit aber gut nachvollziehbar.<br />

*Sattler, T. et al. (2007): Ecological niche modelling of<br />

two cryptic bat species calls for a reassessment o their<br />

conservation status. Journal of Applied Ecology. doi:<br />

10.1111/j.1365-2664.2007.01328.x<br />

FOTO: HANSUELI ALDER<br />

KARTE: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

Jagdlebensräume zweier Mückenfl edermäuse im Grossraum Konstanz. Einrandige Kreise: Jagdlebensräume<br />

der Mückenfl edermaus Nr. 720; zweirandige Kreise: Jagdlebensräume der Mückenfl edermaus Nr. 774.<br />

Ausgefüllte Kreise: Tagesschlafquartier. Balken: 10 km.<br />

Die beiden Konstanzer Mückenfl edermäuse jagten jeweils eine gewisse Zeit in einem Jagdgebiet, bevor sie<br />

ins nächste weiter zogen. Beeindruckend sind nicht nur die grossen Distanzen, die die kleinen Flatterer in<br />

einer Nacht zurücklegen, sondern auch die erstaunliche Treue zu ihren bevorzugten Jagdgebieten.<br />

Tagaktive<br />

Mückenfl edermäuse<br />

In einem Buchenwald in Mittelitalien konnten<br />

<strong>Fledermaus</strong>forscher ein für <strong>Fledermäuse</strong><br />

aussergewöhnliches Verhalten beobachten.<br />

Dr. Danilo Russo* von der Universität Neapel<br />

war mit seinem Team in den Abruzzen auf der<br />

Suche nach Quartieren der Mopsfl edermaus<br />

(Barbastella barbastellus). Eines späten<br />

Nachmittags entdeckten sie aber jagende<br />

<strong>Fledermäuse</strong> unbekannter Artzugehörigkeit<br />

in einem Wald. Die Forscher nahmen an,<br />

dass es sich dabei um ein altbekanntes, aber<br />

seltenes Phänomen handelt, dass auch in der<br />

Schweiz im Herbst gelegentlich beobachtet<br />

werden kann.<br />

Als Danilo Russo aber am nächsten Tag<br />

erneut die betreffende Stelle passierte, waren<br />

auch die <strong>Fledermäuse</strong> wieder da. Grund<br />

genug das ungewöhnliche Betragen genauer<br />

unter die Lupe zu nehmen. Die Forscher<br />

stellten zuerst fest, dass es sich bei den<br />

tagaktiven Flatterern um Mückenfl edermäuse<br />

(Pipistrellus pygmaeus) handelte, die<br />

dank ihrer charakteristischen Ultraschallrufe<br />

einfach identifiziert werden können. Sie<br />

beobachteten auch in den Sommern der<br />

folgenden beiden Jahre, dass diese Population<br />

von Mückenfl edermäusen häufi g vor<br />

Sonnenuntergang aktiv war. Die Tagaktivität<br />

ist also systematisch. Der Vorteil liegt darin,<br />

dass tagaktive <strong>Fledermäuse</strong> länger auf die<br />

Jagd gehen können, somit mehr Nahrung<br />

erbeuten dürften und deshalb wohl langfristig<br />

einen grösseren Fortpfl anzungserfolg haben.<br />

Die Strategie ist allerdings heikel, denn nicht<br />

umsonst sind die meisten <strong>Fledermäuse</strong> erst<br />

von der Abenddämmerung an aktiv: Tagsüber<br />

werden <strong>Fledermäuse</strong> leicht zur Beute von<br />

Räubern wie Greifvögeln. Allerdings setzen<br />

die tagaktiven Mückenfl edermäuse nicht alles<br />

auf eine Karte, denn nachmittags können sie<br />

fast ausschliesslich in Bodennähe unter den<br />

Bäumen, wo sie relativ sicher sind, auf der<br />

Jagd beobachtet werden. Jagdaktivität vor<br />

Sonnenuntergang im Sommer konnte auch<br />

schon in der Schweiz beobachtet werden,<br />

so vor dunklen Felswänden, wo Insekten<br />

zahlreich aufsteigen dürften.<br />

Falls sich die Strategie auszahlt, dürften<br />

nach und nach weitere Mückenfl edermauspopulationen<br />

tagaktiv werden. Falls nicht, dürfte<br />

das spezielle Verhalten der Mückenfl edermäuse<br />

mit der Zeit wieder verschwinden.<br />

Ein Paradebeispiel für tagaktive <strong>Fledermaus</strong>arten<br />

ist übrigens der Azoren-Abendsegler<br />

(Nyctalus azoreum). Auf den Sonnen-<br />

Inseln gibt es denn auch keine tagaktiven<br />

Raubvögel.<br />

*Russo, D., L. Cistrone, A. P. Garonna & G. Jones<br />

(2009): The early bat catches the fl y: Daylight foraging in<br />

soprano pipistrelles. Mammalian Biology, doi:10.1016/j.<br />

mambio.2009.08.002.


4 FMAZ 89 Dezember 2009<br />

Kleine Hufeisennase: Sensation im hinteren Leimental SO<br />

In Metzerlen wurde eine Kolonie der<br />

vom Aussterben bedrohten Kleinen<br />

Hufeisennase entdeckt.<br />

Elias Bader / KFB SO<br />

Der Entdeckung der Kolonie ging eine eigentliche<br />

Schatzsuche voraus. In einem Obstgarten<br />

am Dorfrand zeichneten Martin Obrist<br />

von der WSL und Peter Flückiger, ehemaliger<br />

KFB Solothurn, am 7. August 2003 um 21:35h<br />

Rufe einer Kleinen Hufeisennase auf. Die Art<br />

gilt seit den 1960ern Jahren in der Region als<br />

ausgestorben. Es konnte gut sein, dass dies<br />

eine der letzten Überlebenden ihrer Art aus<br />

dem französischen Biedertal gleich jenseits<br />

der Grenze war.<br />

Die Weiterleitung dieser Beobachtung an<br />

den <strong>Fledermaus</strong>experten Dr. Fabio Bontadina<br />

von der Universität Bern liessen diesen<br />

aber stutzig werden. Flugbeobachtungen so<br />

früh am Abend deuteten darauf hin, dass die<br />

Tiere erst ausgefl ogen waren und sich noch<br />

ganz in der Nähe ihres Quartieres aufhielten.<br />

Die im Obstgarten aufgezeichnete Kleine<br />

Hufeisennase musste auf dem direkten Weg<br />

zwischen ihrem Gebäudequartier und ihrem<br />

Jagdgebiet unterwegs gewesen sein. Ein Blick<br />

auf das Luftbild zeigte, dass der Obstgarten<br />

auf halbem Weg zwischen Gebäuden im<br />

Dorf Metzerlen und dem nahen Wald liegt.<br />

Im August 2008 konnte dann Fabio Bontadina<br />

mithilfe eines <strong>Fledermaus</strong>detektors zuerst<br />

eine jagende Kleine Hufeisennase mitten im<br />

Dorf und nur kurz später ausfl iegende Tiere<br />

aus einem historischen Bauernhaus in Metzerlens<br />

Dorfkern ausmachen. War das die erste<br />

Schweizer Wochenstubenkolonie nördlich der<br />

Voralpen seit Jahrzehnten?<br />

Die Spannung war gross, als sich nun im<br />

Juni 2009 die Hausbesitzerin Marianne Frei<br />

und ihr Mann, Gemeindepräsident Willi Wyss,<br />

mit dem <strong>Fledermaus</strong>schutz-Beauftragten des<br />

Kantons Solothurn, Elias Bader, seinem Kollegen<br />

aus dem Aargau, Andres Beck, sowie<br />

Fabio Bontadina zu einer Besichtigung des<br />

potentiellen Wochenstubenquartiers in der Solothurner<br />

Exklave trafen. Die Gruppe staunte,<br />

als sie im Obergeschoss des Gebäudes<br />

tatsächlich 15 Kleine Hufeisennasen vorfand.<br />

Der nur spärlich vorhandene Kot liess darauf<br />

schliessen, dass die Kleinen Hufeisennasen<br />

erst seit relativ kurzer Zeit in dem alten Haus<br />

seine Jungen aufziehen. Es handelt sich<br />

also um eine der seit längerem erwarteten<br />

Neubesiedlungen, ein wichtiges Zeichen für<br />

die sehnlichst erhoffte Bestandeserholung<br />

dieser stark bedrohten <strong>Fledermaus</strong>art!<br />

FOTO: ELIAS BADER<br />

Das Quartier der neu entdeckten Wochenstube<br />

befi ndet sich in diesem Haus in Metzerlen. Es steht<br />

seit rund 15 Jahren leer.<br />

Ausser man tut es...<br />

René Güttinger / KFB SG/AI/AR<br />

Silvio Hoch / KFB FL<br />

2009 ergab sich für uns, nach vielen Jahren,<br />

erstmals die Gelegenheit, beim einzigen<br />

Wochenstubenquartier der Kleinen Hufeisennase<br />

im Kanton St. Gallen eine verlässliche<br />

Bestandeszählung vorzunehmen. Wir konnten<br />

abends ins ansonsten hermetisch abgesperrte<br />

Areal rund um das Quartiergebäude gelangen<br />

und endlich sichere Ausfl ugszählungen durchführen.<br />

Waren bei Dachstockkontrollen bislang<br />

meist um die fünf bis zehn Tiere zu beobachten<br />

gewesen (unterschiedlich je nach Witterung),<br />

ergaben zwei Ausfl ugzählungen im vergangenen<br />

Kleine Hufeisennase aus Flums mit Minisender<br />

FOTO: ELIAS BADER<br />

Durch das oberste Loch auf der Hinterseite des<br />

Hauses fl iegt die Mehrheit der Kleinen Hufeisennasen<br />

aus.<br />

Sommer endlich Gewissheit über die wahre<br />

Koloniegrösse: 48 ausfl iegende Tiere am 25.<br />

Mai, und 55 Tiere am 13. Juli.<br />

Drei mit Minisendern versehene Weibchen<br />

zeigten dann rasch die Ursache für die zahlenmässige<br />

Diskrepanz: Der hauptsächliche Hangplatz<br />

der Tiere befi ndet sich im Zwischenboden<br />

des Estrichs. Vor allem zwei Stellen, an denen<br />

Bodenbretter fehlen oder gegen die Balken und<br />

Fassade nicht sauber abschliessen, ermöglichen<br />

den Tieren den Zugang. Vorläufi g noch offen<br />

bleibt, wie wir künftig in diesem Quartierraum<br />

Hinweise auf die Anzahl Jungtiere gewinnen<br />

können.<br />

Die Beobachtungen werfen ein ganz neues<br />

Licht auf die Bedeutung der einzigen noch bekannten<br />

Wochenstube in der Region. Wir freuen<br />

uns ausserordentlich!<br />

FOTO: RENÉ GÜTTINGER


Dezember 2009 FMAZ 89 5<br />

Baufachleute im Dienste des <strong>Fledermaus</strong>schutzes LU<br />

Ruth Ehrenbold / KFB LU<br />

Bei der Beratung auf einer Baustelle im<br />

Kanton Luzern betreffend Förderungsmassnahmen<br />

für <strong>Fledermäuse</strong>, waren Bauleiter,<br />

Dachdecker und Zimmermann (alle inklusive<br />

Lehrlinge) dabei. Eines der Männergesichter,<br />

nämlich das des Dachdeckers, kam der<br />

KFB des Kantons Luzern, Ruth Ehrenbold,<br />

bekannt vor. Sie schaute ihn lange prüfend<br />

an, worauf er bestätigte, dass sie vor Jahren<br />

auch schon miteinander auf einer Baustelle<br />

gearbeitet hatten. Er wusste sogar noch ganz<br />

genau wo. Auch damals setzte er Vorschläge<br />

zur Umsetzung von Schutzmassnahmen für<br />

<strong>Fledermäuse</strong> um.<br />

Sofort zückte Ruth Ehrenbold die neue<br />

Broschüre der SSF «<strong>Fledermaus</strong>freundliche<br />

Sanierungen». Dachdecker Peter Sidler<br />

staunte, als er sich darin wieder erkannte.<br />

Freude und Stolz waren ihm anzusehen.<br />

Selbstverständlich waren die vorhandenen<br />

Faltblätter im Nu unter den anwesenden<br />

Kollegen verteilt.<br />

An dieser Stelle möchten wir allen Handwerkern<br />

unsern Dank aussprechen für die tolle<br />

Zusammenarbeit mit dem <strong>Fledermaus</strong>schutz.<br />

Wie Peter Sidler von der Firma Zihlmann in<br />

Wolhusen, setzen viele von ihnen vorbildlich<br />

Massnahmen zur Erhaltung oder Schaffung<br />

von <strong>Fledermaus</strong>quartieren um.<br />

Wimperfl edermaus SO<br />

In Himmelried SO wurde erstmals eine<br />

Wimperfledermaus (Myotis emarginatus)<br />

nachgewiesen. Es handelte sich dabei um<br />

ein Männchen, welches sich unter einem<br />

Dachvorsprung gemütlich gemacht hatte.<br />

Auch wenn es sich «nur» um ein Männchen<br />

handelt, ist es nichtsdestotrotz ein spannender<br />

Fund, <strong>zum</strong>al die Wimperfl edermaus<br />

in der ganzen Schweiz äusserst selten und<br />

dementsprechend wenig über sie bekannt ist.<br />

So sind weniger als ein Dutzend Wochenstubenquartiere<br />

bekannt.<br />

Da die Art vergleichsweise standorttreu ist<br />

und sich in ihrem Leben kaum weiter als 40<br />

km von ihrem Geburtsort entfernt, bleibt zu<br />

hoffen, dass in naher Zukunft noch weitere<br />

Funde im Kanton Solothurn gemacht werden.<br />

FOTO: ELIAS BADER<br />

Dachdecker Peter Sidler im Dienste des <strong>Fledermaus</strong>schutzes:<br />

Als Aushängeschild im Faltblatt<br />

«<strong>Fledermaus</strong>freundliche Sanierungen» der SSF und<br />

im Sommer 09 bei der Arbeit an einem neuen <strong>Fledermaus</strong>quartier<br />

im Dach einer alten Residenz (unten).<br />

Bei der aktuellen Beratung werden übrigens<br />

neben Nischen im Zwischendach ein kleiner<br />

<strong>Fledermaus</strong>estrich im obersten Bereich des<br />

Daches geschaffen werden. Die Ideen, welche<br />

die Fachleute vom Bau einbringen, sind dabei<br />

äusserst wertvoll und tragen sehr viel <strong>zum</strong><br />

erfolgreichen <strong>Fledermaus</strong>schutz bei.<br />

FOTO: RUTH EHRENBOLD<br />

Verstärkung im <strong>Fledermaus</strong>schutz Graubünden<br />

FOTO: WWW.FLEDERMAUSSCHUTZ.CH<br />

Silvia Giovanoli Hehli hat zusammen mit einem Dutzend Kolleginnen und Kollegen die Diplomprüfung als<br />

Lokale <strong>Fledermaus</strong>schützerin bestanden. Seit Juli 2009 hat für sie und das Team der frischgebackenen<br />

<strong>Fledermaus</strong>schützenden ein neuer Lebensabschnitt begonnen – ganz nach dem Motto des knallroten<br />

trendigen T-Shirts: nachtaktiv! Wir wünschen viel Erfolg und Spass beim Einsatz für die Flatterhaften.


6 FMAZ 89 Dezember 2009<br />

Verbreitung Langohren im Tessin aufgeklärt<br />

Im FMAZ 87 berichteten wir über<br />

die Studie, die das Vorkommen<br />

der drei Langohrarten im Kanton<br />

Tessin untersuchte und stellten<br />

erste Resultate wurden vor. In der<br />

Zwischenzeit ist sie beendet und<br />

die Ergebnisse der genetischen<br />

Untersuchungen stehen fest.<br />

Marzia Mattei / KFB TI<br />

Von 72 untersuchten Langohr-Quartieren<br />

ist nun die genaue Artzusammensetzung<br />

bekannt. 85% der Unterschlüpfe sind von der<br />

im 2001 neu beschriebenen Art, dem Alpenlangohr<br />

(Plecotus macrobullaris), bewohnt,<br />

die restlichen 15% vom Braunen Langohr<br />

(Plecotus auritus).<br />

Einzeltiere: 44% Braune Langohren<br />

Das Interesse der Studie galt aber nicht nur<br />

den Quartieren, sondern auch Einzelfunden.<br />

Es wurden sowohl Langohren bestimmt, die<br />

Neue Mitarbeiterin SSF<br />

Seit Oktober 2009 arbeitet Murièle Jonglez als<br />

Leiterin des Publikumsdienstes im Team der<br />

<strong>Stiftung</strong> <strong>Fledermaus</strong>schutz. Sie tritt damit die<br />

Nachfolge für Karin Iten an.<br />

Parallel zu ihrem Biologiestudium, welches sie<br />

im Jahr 2005 an der Universität Zürich begann,<br />

war Murièle Jonglez in verschiedenen Firmen<br />

als Kundenberaterin tätig.<br />

Die ersten Kontakte mit <strong>Fledermäuse</strong>n knüpfte<br />

sie vor einem Jahr, als sie anfi ng im Freiwilligenteam<br />

der <strong>Stiftung</strong> <strong>Fledermaus</strong>schutz mitzuwirken.<br />

Seitdem begeistert sie sich für die kleinen<br />

gefl ügelten Säugetiere und setzt sich <strong>zum</strong> Ziel,<br />

das Wesen der <strong>Fledermäuse</strong> einem breiteren<br />

Publikum näher zu bringen. Nun freut sie sich<br />

auf weitere interessante und lehrreiche Begegnungen<br />

mit den fl atterhaften Nachtschwärmern<br />

und auf neue Herausforderungen bei der SSF.<br />

Wir wünschen Murièle viel Erfolg und Erfüllung<br />

in ihrer neuen Stelle.<br />

FOTO: WWW.FLEDERMAUSSCHUZ.CH<br />

bei laufenden Projekten des CPT (Centro<br />

Protezione Chirotteri) gefangen wurden wie<br />

auch solche aus der Sammlung des Museo<br />

Cantonale di Storia Naturale in Lugano. Bei<br />

den 18 untersuchten Individuen fällt das Arten-<br />

Verhältnis ausgeglichener aus als bei den<br />

Quartieren: 56% der untersuchten Tieren waren<br />

Alpenlangohren, 44% Braune Langohren.<br />

Welche Art ist häufi ger?<br />

Um diese Frage zu beantworten, muss berücksichtigt<br />

werden, dass die Auswahl der<br />

untersuchten Quartiere nicht als repräsentativ<br />

erachtet werden kann. Sie besteht fast ausschliesslich<br />

aus Estrichen und Kirchentürmen,<br />

während andere typische Langohr-Unterschlüpfe<br />

wie Baumhöhlen fehlen. Der Fund<br />

von Einzeltieren hingegen ist zufällig und stellt<br />

so besser die tatsächliche Verbreitung der<br />

Langohren dar. Im Kanton Tessin scheinen die<br />

beiden erwähnten Langohrarten somit etwa<br />

gleich häufi g vorzukommen. Ihre Ansprüche<br />

an die unmittelbare Umgebung sind jedoch<br />

unterschiedlich. Das Alpenlangohr ist stärker<br />

an Gebäude – vor allem an Estriche – gebunden,<br />

während das Braune Langohr neben Unterschlüpfen<br />

an menschlichen Behausungen<br />

auch andere Verstecke nutzt. Dieser Befund<br />

erklärt denn auch, dass Alpenlangohren bei<br />

den untersuchten Quartieren stärker vertreten<br />

sind. Zudem bevorzugt das Alpenlangohr,<br />

FOTO: DANIELE STANGA<br />

Alpenlangohr in der Kirche von Muggio. Dieses<br />

Quartier wird im Rahmen des Monitoringprogrammes<br />

prioritärer <strong>Fledermaus</strong>kolonien überwacht.<br />

Braunes Langohr<br />

Quartiere<br />

Einzelfunde<br />

Alpenlangohr<br />

Quartiere<br />

Einzelfunde<br />

16. <strong>Fledermaus</strong>art im Kanton SH<br />

Am 26.06.2009 gingen in Trasadingen beim Abfang<br />

vor einem <strong>Fledermaus</strong>-Quartier hinter der Wandverschalung<br />

eines Einfamilienhauses sieben säugende<br />

Weibchen der äusserst seltenen Brandtfl edermaus<br />

(Myotis brandtii) ins Netz. Es handelt sich dabei<br />

nicht nur um den Erstnachweis dieser <strong>Fledermaus</strong>art<br />

im Kanton Schaffhausen, sondern auch gleichzeitig<br />

um den ersten Fortpfl anzungsnachweis dieser<br />

<strong>Fledermaus</strong>art, über deren Lebensweise bisher erst<br />

wenig bekannt ist. Ein sensationeller Erfolg, der<br />

Dank des Engagements von Deborah Schneider für<br />

ihre Maturaarbeit zustandegekommen ist!<br />

GRAFIK: CENTRO PROTEZIONE CHIROTTERI TICINO<br />

Verbreitung der Langohren im Tessin. Resultate der<br />

genetischen Studie.<br />

seinem Namen keine Ehre erweisend, tief<br />

gelegene und somit wärmere Lebensräume!<br />

Und das Graue Langohr?<br />

Mit dieser Studie konnte das Graue Langohr im<br />

Kanton Tessin nicht nachgewiesen werden. Die<br />

bisher dem Grauen Langohr zugeschriebenen<br />

<strong>Fledermaus</strong>kolonien an Gebäuden bestehen in<br />

Wirklichkeit allesamt aus Alpenlangohren. Die<br />

Daten zu früher abgefangenen Tiere können<br />

leider nicht überprüft werden, da die Tiere<br />

unmittelbar nach der Bestimmung wieder frei<br />

gelassen wurden. Da jedoch die typischen morphologischen<br />

Merkmale der Alpenlangohren<br />

mit den notierten Eigenschaften der damals<br />

gefangenen Tiere übereinstimmen, muss man<br />

annehmen, dass es sich bei den damals untersuchten<br />

Tieren um Alpenlangohren handelt. Aus<br />

diesen Erkenntnissen ist zu schliessen, dass im<br />

Kanton Tessin nur zwei der drei einheimischen<br />

Langohrarten vorkommen.<br />

FOTO: HANSUELI ALDER


Dezember 2009 FMAZ 89 7<br />

«Multikulti» bei <strong>Fledermäuse</strong>n TG<br />

Der Titel ist nicht wirklich ernst zu<br />

nehmen. Er dient als Aufhänger, um<br />

ein Problem für uns <strong>Fledermaus</strong>schützende<br />

zu schildern, das uns<br />

zunehmend beschäftigt und unsere<br />

Arbeit erschwert: das gemeinsame<br />

Nutzen von Quartieren durch verschiedene<br />

<strong>Fledermaus</strong>arten.<br />

Wolf-Dieter Burkhard / KFB TG<br />

Als wir 1983 mit der Inventarisierung der<br />

<strong>Fledermaus</strong>bestände im KantonThurgau<br />

anfingen, galt die Annahme, ein Quartier<br />

sei jeweils von Angehörigen derselben Art<br />

besetzt. Bei unseren Abfängen sind uns zur<br />

damaligen Zeit auch nie zwei verschiedene<br />

Arten aus derselben Ausflugsöffnung ins<br />

Netz gegangen. Inzwischen hat sich dies<br />

geändert, und wir sind vorsichtiger geworden<br />

mit unseren Aussagen. Zwei Ereignisse aus<br />

der jüngsten Zeit sollen dies illustrieren.<br />

Im Juli 2009 unterstützten wir eine Doktorandin<br />

der Universität Tübingen bei ihrem<br />

Vorhaben, Orientierungsrufe von Rauhautfl<br />

edermäusen (Pipistrellus nathusii) aufzunehmen.<br />

In Etzwilen (TG) befi nden sich die<br />

einzigen bekannten Wochenstuben der Art in<br />

der Schweiz. Zu <strong>unserer</strong> Überraschung fl ogen<br />

aus dem beobachteten Haus aber nicht die<br />

erwarteten Rauhautfl edermäuse aus, sondern<br />

Zwergfl edermäuse (Pipistrellus pipistrellus).<br />

Offenbar wird der Zwischenraum unter den<br />

Dachziegeln von beiden Arten genutzt. Immerhin<br />

sind die Ausfl ugsöffnungen – <strong>zum</strong>indest<br />

nach den bisherigen Beobachtungen – nicht<br />

dieselben: Während die Rauhautfl edermäuse,<br />

welche 2008 abgefangen und zweifelsfrei als<br />

solche bestimmt worden waren, das Dach am<br />

Nordgiebel verliessen, fl ogen die Zwergfl edermäuse<br />

aus mehreren Spalten am First aus.<br />

Schwieriger ist die Sachlage in einem Mückenfl<br />

edermausquartier in Romanshorn (TG),<br />

der bisher einzigen Wochenstube dieser Art<br />

in jener Region. Bei den vorbereitenden Beobachtungen<br />

für ein Radio-Telemetrie-Projekt<br />

mit Mückenfledermäusen (siehe Seite 1)<br />

gewannen wir den Eindruck, es fl ögen auch<br />

FOTO: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

Wolf-Dieter Burkhard wusste, dass hier Mückenfl edermäuse einen Unterschlupf gefunden hatten. Doch beim<br />

Ausfl ug waren zunächst nur Zwergfl edermäuse zu beobachten. Erst viel später zeigte sich die erste Mückenfl edermaus.<br />

Ein etwas weniger geduldiger <strong>Fledermaus</strong>schützender hätte nach dem Ausfl ug der Zwergfl edermäuse<br />

die Beobachtung vermutlich abgebrochen.<br />

FOTO: MARTIN KREIS<br />

FOTO: WOLF-DIETER BURKHARD<br />

Riese unter Zwergen: In diesem <strong>Fledermaus</strong>kasten konnte ein Grosser Abendsegler fest gestellt werden, der<br />

sich unter eine Wochenstubenkolonie von Wasserfl edermäusen gemischt hatte.<br />

einzelne Zwergfl edermäuse aus. Akustische<br />

Nachprüfungen bestätigten den Verdacht. So<br />

vorgewarnt, liessen wir beim Abfang besondere<br />

Vorsicht walten – und wir wurden belohnt:<br />

Von den insgesamt 16 <strong>Fledermäuse</strong>n, die wir<br />

abfi ngen, waren nur elf Mückenfl edermäuse,<br />

die übrigen wurden als Zwergfl edermäuse<br />

bestimmt. Und alle waren sie aus derselben<br />

engen Öffnung am Dachrand ausgefl ogen.<br />

Ein erneuter Abfang am Ende der Aufzuchtzeit<br />

bestätigte, dass nach wie vor<br />

beide Arten dasselbe Quartier nutzten, und<br />

zwar in ähnlichem Zahlenverhältnis wie<br />

einige Wochen zuvor. Die unterschiedlichen<br />

Ausfluggewohnheiten manifestierten sich<br />

im Fangergebnis: Zuerst fl ogen vornehmlich<br />

Zwergfl edermäuse ins Netz, dann vermehrt<br />

die Mückenfl edermäuse, welche meist später<br />

zu ihren Jagdfl ügen aufbrechen.<br />

Ein Blick in die Quartierdatenbank der<br />

Koordinationsstelle zeigt, dass die Nutzung<br />

desselben Quartiers von mehr als einer <strong>Fledermaus</strong>art<br />

sehr selten ist oder eben bisher<br />

nicht entdeckt wurde. Noch seltener ist die<br />

Nutzung desselben Hangplatzes belegt.<br />

Trotzdem zeigen die Befunde im Thurgau<br />

eindeutig: Bei der Abklärung, welche<br />

<strong>Fledermaus</strong>art ein Quartier nutzt, müssen<br />

Fleder mausschützende sorgfältiger vorgehen.<br />

Es ist durchaus möglich, dass auch nahe<br />

verwandte Arten denselben Unterschlupf als<br />

Tagesversteck wählen. Es ist daher ratsam,<br />

bei Abfängen nicht nur früh ausfliegende<br />

<strong>Fledermäuse</strong> ins Netz zu bekommen, sondern<br />

auch die «Spätaufsteher». Und: Akustisches<br />

Bestimmungen können helfen, «Multikulti-<br />

Gesellschaften» zu enttarnen.


8 FMAZ 89 Dezember 2009<br />

Kohlmeisen auf <strong>Fledermaus</strong>-Raubzug<br />

In der Not fressen Meisen winterschlafende<br />

<strong>Fledermäuse</strong>. Diese erstaunlichen<br />

Beobachtungen haben<br />

Forscher vom Max-Planck-Institut<br />

für Ornithologie in Seewiesen zusammen<br />

mit Kollegen in einer Höhle<br />

in Ungarn gemacht.<br />

Kohlmeisen (Parus major) gehören unbestritten zu<br />

den schönsten <strong>unserer</strong> einheimischen Vogelarten.<br />

Dass sich das Klischee «schön gleich dumm» defi<br />

nitiv halten lässt, haben die niedlichen Vögel nun<br />

mit ihrem erstaunlichen Einfallsreichung bewiesen.<br />

Forscher um Björn Siemers beobachteten an 21<br />

Tagen während zwei Wintern, dass insgesamt<br />

18-mal Kohlmeisen in eine Höhle in Nordosten<br />

Ungarns fl ogen, um dort überwinternde Zwerg-<br />

1. Österreichisches <strong>Fledermaus</strong>haus<br />

Klaus Krainer / Arge Naturschutz<br />

Österreich erfreut sich dank unvergleichlichem<br />

Charme und feinstem Essen nach wie vor einer<br />

grossen Beliebtheit. Bei Ihrer Ferienplanung<br />

sollten Sie unbedingt auch einen Stopp in<br />

Kärnten in Erwägung ziehen.<br />

Bei der Ortschaft Feistritz/Gail befi ndet sich<br />

das erste Österreichische <strong>Fledermaus</strong>haus: Es<br />

beherbergt eine Kolonie von Kleinen Hufeisennasen,<br />

die im Gebäude live beobachtet werden<br />

können. Die Tiere halten sich im Dachboden<br />

des Gebäudes sowie im <strong>Fledermaus</strong>raum im 1.<br />

Stock auf, der nur durch eine Glasscheibe von<br />

den Informationsräumen getrennt ist. So können<br />

die Besucher die 30-50 Tiere umfassende Wochenstubenkolonie<br />

der Kleinen Hufeisennase<br />

ungestört beobachten.<br />

FOTO: KRAINER / ARGE NATURSCHUTZ<br />

fl edermäuse (Pipistrellus pipistrellus) zu suchen<br />

und zu fressen. Vermutlich führt eine extreme<br />

Futternot zu der Entwicklung dieses Verhaltens,<br />

denn Kohlmeisen fressen normalerweise keine<br />

<strong>Fledermäuse</strong>. Im Nordosten Ungarns können die<br />

Winter aber hart sein, insbesondere bei geschlossener<br />

Schneedecke.<br />

Durch den großen Eingang der Höhle fällt etwas<br />

Licht, so dass sich die Meisen im Halbdunkel noch<br />

orientieren können. In der Höhle fi nden die Vögel<br />

die <strong>Fledermäuse</strong> möglicher Weise durch Laute,<br />

welche die im Winterschlaf gestörten Tiere beim<br />

Aufwachen zur Abwehr ausstoßen. Die Meisen benötigten<br />

höchstens eine Viertelstunde, bis sie eine<br />

<strong>Fledermaus</strong> erbeutet haben. Teilweise trugen sie<br />

die Tiere in ihrem Schnabel aus der Höhle heraus<br />

und fraßen sie auf Bäumen in der Nähe der Höhle.<br />

Das aussergewöhnliche Verhalten ist allerdings<br />

stark vom vorhandenen Nahrungsangebot<br />

FOTO: JAINDL / ARGE NATURSCHUTZ<br />

Die Besucher erhalten zudem spannende Informationen<br />

zur Lebensweise der heimischen<br />

<strong>Fledermäuse</strong> und der Kleinen Hufeisennase im<br />

Speziellen durch einen Mitarbeiter der Arge Naturschutz.<br />

Weiter wurden im <strong>Fledermaus</strong>raum sowie<br />

im Dachboden je zwei Kameras installiert. Im<br />

Medien-/Lehrraum können sowohl Live-Bilder als<br />

auch Aufzeichnungen auf einer Video leinwand<br />

betrachtet werden. Seit April 2009 ist auch eine<br />

Webcam installiert: (www.arge-naturschutz.<br />

at/startseite/fledermaushaus). Schautafeln,<br />

Skizzen, Videoaufzeichungen, Binokulare,<br />

Bastelanleitungen, Rätsel und eine Power-Point-<br />

Präsentation runden das Angebot ab.<br />

Da das Gebäude für viele Jahre unbewohnt<br />

war, hatten sich die <strong>Fledermäuse</strong> in den<br />

Räumlichkeiten angesiedelt. 2007/2008 wurde<br />

das Kraftwerkhaus Feistritz an der Gail auf<br />

Initiative der Arge Naturschutz in Kooperation<br />

mit der Gemeinde Feistritz an der Gail und<br />

der Koordinationsstelle für <strong>Fledermaus</strong>schutz<br />

und -forschung in Österreich (KFFÖ) sowie mit<br />

fi nanzieller Unterstützung des Naturschutzes des<br />

Landes Kärnten sowie des Lebensministeriums<br />

zu einem <strong>Fledermaus</strong>-Informationszentrum<br />

ausgebaut (www.arge-naturschutz.at/projekte/<br />

fl edermaushaus/).<br />

Geöffnet: in der Zeit vom 01.05. bis 25.09.<br />

jeden Freitag sowie jeden ersten Sonntag im<br />

Monat jeweils von 14:00h - 21:00h.<br />

FOTO: WWW.FLEDERMAUSSCHUTZ.CH<br />

FOTO: CARSSTEN BRAUN<br />

Opfer Zwergfl edermaus (oben) und Täterin Kohlmeise<br />

abhängig. Als die Forscher wenige Meter vor<br />

dem Höhleneingang zusätzliches Futter in Form<br />

von Sonnenblumenkernen und Speck anboten,<br />

holte sich nur mehr eine einzige Kohlmeise eine<br />

<strong>Fledermaus</strong>. Dieses innovative Verhalten ist kein<br />

Einzelfall und wird wahrscheinlich von Generation<br />

zu Generation weitergegeben. Denn Péter Estók,<br />

Erstautor der Studie, beobachtete bereits zehn<br />

Jahre zuvor eine <strong>Fledermaus</strong> fressende Kohlmeise<br />

in dieser Höhle. Auch aus Polen wurde solch eine<br />

Beobachtung berichtet. «Dies könnte entweder für<br />

eine kulturelle Weitergabe zwischen verschiedenen<br />

Populationen sprechen, oder für eine unabhängige<br />

Entwicklung an verschiedenen Orten aufgrund<br />

gleicher ökologischer Gegebenheiten», fasst Björn<br />

Siemers zusammen.<br />

* Péter Estók, Sándor Zsebõk, Björn M. Siemers (2009): Great<br />

tits search for, capture, kill and eat hibernating bats. Biology<br />

Letters. DOI: 10.1098/rsbl.2009.0611<br />

Mehr Informationen mit Videos z. B. unter: www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/pressemitteilungen/2009/<br />

pressemitteilung200909081/index.html<br />

IMPRESSUM<br />

FLEDERMAUS-ANZEIGER (FMAZ)<br />

Gegründet 1984, 26. Jahrgang, Auflage 3’000, erscheint<br />

halbjährlich. Wird auf Anfrage hin ab aktueller Ausgabe im Inland<br />

im Gratisabonnement abgegeben. Keine Nach lieferung älterer<br />

Ausgaben. Solche können unter www.fledermausschutz.ch<br />

herunter geladen werden.<br />

Redaktion<br />

Dr. Hubert Krättli, <strong>Stiftung</strong> <strong>Fledermaus</strong> schutz (SSF),<br />

Zürichbergstrasse 221, 8044 Zürich,<br />

Sekretariat 044 254 26 80; Fax 044 254 26 81;<br />

<strong>Fledermaus</strong>schutz-Nottelefon 079 330 60 60;<br />

fl edermaus@zoo.ch; www.fl edermausschutz.ch<br />

Verkaufsartikel beim Shop SSF<br />

044 254 26 80, Fax 044 254 26 81,<br />

fl edermaus@zoo.ch oder www.fl edermausschutz.ch<br />

Druck und Versand des FMAZ werden von der <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Fledermaus</strong>schutz im Rahmen des BAFU-Auftrags<br />

Koordinationsstelle Ost für <strong>Fledermaus</strong>schutz (KOF) realisiert.<br />

Druck: <strong>Stiftung</strong> Zentralstelle der Studentenschaft, Uni Zürich.<br />

Spendenkonto <strong>Stiftung</strong> <strong>Fledermaus</strong>schutz: PC 80-7223-1

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