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Wie weit flogen die Tomaten? - Deutscher Frauenrat

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Dr. Angela Icken Stand November 2011<br />

„<strong>Wie</strong> <strong>weit</strong> <strong>flogen</strong> <strong>die</strong> <strong>Tomaten</strong>?“<br />

Oder: Nach 60 Jahren besteht der DF in einer veränderten Frauenverbandslandschaft 1<br />

In meinem Vortrag werde ich den Deutschen <strong>Frauenrat</strong> als gleichstellungspolitischen Akteur in<br />

Verbindung setzen mit der Entwicklung der Neuen Frauenbewegung und der Frauen- und<br />

Gleichstellungspolitik in Deutschland. Hierbei stütze ich mich nicht nur auf meine eigene Arbeit<br />

sondern auch auf das große Werk von Professor Ilse Lenz ‚Die Neue Frauenbewegung in<br />

Deutschland, Abschied vom kleinen Unterschied‘ und <strong>die</strong> Arbeit von Irene Stoehr und Rita<br />

Pawlowski ‚Die unfertige Demokratie, 50 Jahre „Informationen für <strong>die</strong> Frau“‘.<br />

1945<br />

„Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker.“ 2 Damit brachte Helene Weber <strong>die</strong><br />

Haltung vieler Frauen gegenüber Männern als politischen Akteuren aber auch Männern<br />

insgesamt vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Z<strong>weit</strong>en Weltkrieges schließlich auf den<br />

Punkt:<br />

Eine anonym gebliebene Berlinerin schreibt in ihr Tagebuch:<br />

„Immer wieder bemerkte ich, dass sich mein Gefühl, das Gefühl aller Frauen den Männern<br />

gegenüber änderte. Sie tun uns leid, erscheinen uns so kümmerlich und kraftlos. Das<br />

schwächliche Geschlecht. Eine Art Kollektiv-Enttäuschung breitet sich unter der Oberfläche bei<br />

den Frauen aus. … Am Ende des Krieges steht neben vielen Niederlagen auch <strong>die</strong> Niederlage<br />

der Männer als Geschlecht.“ 3<br />

Die Rolle von Frauen hat sich bedingt durch zwei Weltkriege bis 1945 gewaltig verändert. Sie<br />

haben - während ihre Männer im Krieg waren - ihre Familien ernährt, Verantwortung für ihre<br />

Kinder, Eltern und andere Familienangehörige übernommen. Daraus sind sie mit neuem<br />

Selbstbewusstsein daraus hervorgegangen.<br />

1949 – 1965<br />

Gründungsphase des Informations<strong>die</strong>nstes für Frauenfragen Frauenverbände und<br />

Informations<strong>die</strong>nst für Frauenfragen als einzige gleichstellungspolitische Akteure<br />

Daher verwundert es nicht, wenn <strong>die</strong> Alliierten Besatzungsmächte, insbesondere <strong>die</strong><br />

Amerikaner, auf <strong>die</strong> Frauen setzten, wenn es darum ging, Deutschland – auch das politische<br />

Deutschland – wieder aufzubauen. In allen Besatzungszonen wollten engagierte Frauen etwas<br />

tun, um <strong>die</strong> Lebensbedingungen ihrer Familien wieder zu verbessern und dazu beizutragen,<br />

den Frieden zu sichern.<br />

Ruth Woodsmall, <strong>die</strong> dem Stab des High Commissioner of Germany (HICOG) angehörte,<br />

1 Die Überschrift ist teilweise dem Buch von Prof. Dr. Ilse Lenz: Die neue Frauenbewegung entnommen‘<br />

2 Helene Weber am 2.12.1949 im Deutschen Bundestag<br />

3 Anonyme Autorin: Eine Frau in Berlin, Tagebuchaufzeichnungen, Genf und Frankfurt/Main 1959, S. 8/144/271;<br />

Zitiert nach Genth, R. e.a.: Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945-1949,<br />

S. 32<br />

© Dr. Angela Icken, 2011


machte sich stark für eine Einbeziehung der Frauen in den Demokratisierungsprozess in<br />

Deutschland und ihre Unterstützung. Finanziell bedeutete das, dass der HICOG deutsche<br />

Frauenorganisationen 1952 mit 616.000 DM unterstützte, für damalige Verhältnisse eine<br />

immense Summe.<br />

© Dr. Angela Icken, 2011<br />

2<br />

Ruth Woodsmall war <strong>die</strong> Gründung einer übergeordneten Einrichtung sehr wichtig, darum ließ<br />

sie in <strong>die</strong>sem Punkt auch nicht locker. Ihr Ansatz, möglichst junge und ‚unbelastete‘ Frauen<br />

einzubeziehen, wie z.B. <strong>die</strong> 30-jährige Hildegard Brücher (Arbeitsgemeinschaft der<br />

Wählerinnen), ließ sich nicht realisieren. Je <strong>weit</strong>er <strong>die</strong> Gründung des Informations<strong>die</strong>nstes für<br />

Frauenfragen voranging, umso mehr traten <strong>die</strong> vor dem Z<strong>weit</strong>en Weltkrieg engagierten Frauen<br />

und <strong>die</strong> Frauenorganisationen, <strong>die</strong> sie vertreten haben, wieder in den Vordergrund.<br />

Es brauchte etwas, bis <strong>die</strong> Organisation einen Namen hatte: ‚Informations<strong>die</strong>nst für<br />

Frauenfragen‘. Ruth Woodsmall war sehr zufrieden mit <strong>die</strong>sem Namen, da er ihr zentrales<br />

Anliegen deutlich machte: Es wurde keine Organisation gegründet, <strong>die</strong> eigene Forschung<br />

betrieb, <strong>die</strong> selbst politisch aktiv wurde, sondern eine Organisation, <strong>die</strong> Dienstleistungen für<br />

Frauenverbände erbrachte.<br />

Hieraus resultieren damals wie heute Missverständnisse bei den Frauenorganisationen, in<br />

Öffentlichkeit und Politik, auf <strong>die</strong> ich später zurückkommen werde.<br />

Von Anfang an war klar, dass der Informations<strong>die</strong>nst für Frauenfragen nie finanziell unabhängig<br />

sein würde, sondern immer eine staatliche Förderung benötigen würde. Auch hierauf komme<br />

ich noch einmal zurück.<br />

In der gleichstellungspolitischen Praxis gab es eine hohe Anerkennung der Frauen und des<br />

Informations<strong>die</strong>nstes für Frauenfragen. Deutlich wird <strong>die</strong>se bei dem heute noch virulenten<br />

Thema Gremienbesetzung: Drei Frauen des Informations<strong>die</strong>nstes bzw. der ihm<br />

angeschlossenen Verbände gehörten dem Vorstand der ‚Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung<br />

und Arbeitslosenversicherung‘ an und fünf dem Verwaltungsrat.<br />

Gleichwohl waren <strong>die</strong> Anfänge schwierig. Dorothea Frandsen beschrieb in einem Interview, das<br />

ich mit ihr führte, <strong>die</strong> Anfänge des Informations<strong>die</strong>nstes für Frauenfragen:<br />

„Frau Glaser hat ja als einsame ‚Einmann-Frau‘ den Informations<strong>die</strong>nst für Frauenfragen<br />

geleitet und den Informations<strong>die</strong>nst gemacht. Das war wirklich dramatisch. Annemarie Glaser<br />

hatte eine kleine Wohnung in einer Villenstraße in Bad Godesberg im Parterre – in der<br />

Augustastraße. Sie hatte dort ein Zimmer. Das war ihr Wohnzimmer, das Zimmer für den<br />

Informations<strong>die</strong>nst und <strong>die</strong> Bibliothek, <strong>die</strong> sie aus kleinen Anfängen aufbauen konnte. Abends<br />

machte sie sich dort ihr Bett zurecht und schlief da auch. Sonst hatte sie nur noch einen Flur<br />

und eine kleine Küche. Und im Flur waren noch Regale und Akten.“<br />

Auch wenn <strong>die</strong> Anfänge schwierig waren, so waren sie doch erfolgreich.<br />

Wenn Frauen etwas durchsetzen wollten, beriefen sie sich auf Art. 3, Abs. 2 GG und Elisabeth<br />

Selbert, d.h. es gab bei ihnen ein sehr hohes Bewusstsein im Hinblick auf Gleichberechtigung<br />

und Partizipation.<br />

Bei der Durchsicht der ‚Informationen für <strong>die</strong> Frau‘ der ersten Jahre fallen sofort <strong>die</strong><br />

Diskussionen um <strong>die</strong> Notwendigkeit von Änderungen gesetzlicher Regelungen und<br />

Stellungnahmen hierzu an <strong>die</strong> Bundesregierung auf.


Im Mai 1952 informierten <strong>die</strong> ‚Informationen für <strong>die</strong> Frau‘ eingehend über Stellungnahmen der<br />

Mitgliedsorganisationen des Informations<strong>die</strong>nstes für Frauenfragen zur Reform des Ehe- und<br />

Familienrechts. Welche Bedeutung <strong>die</strong>sem in der Öffentlichkeit aber auch auf politischer und<br />

ministerialer Ebene zugemessen wurde, wird darin deutlich, dass 4.000 Exemplare <strong>die</strong>ser<br />

Ausgabe von den Justizministerien der Länder an <strong>die</strong> Gerichte verteilt wurden, um <strong>die</strong>se über<br />

<strong>die</strong> Position der Frauen in <strong>die</strong>sen Fragen zu informieren.<br />

Der Informations<strong>die</strong>nst war auch an anderer Stelle erfolgreich:<br />

Seit 1954 gilt der Mutterschutz auch für Beamtinnen.<br />

1957 trat das Erste Gleichberechtigungsgesetz in Kraft.<br />

© Dr. Angela Icken, 2011<br />

3<br />

Die Mitgliedsverbände des Informations<strong>die</strong>nstes traten – den Artikel 3 Abs. 2 des<br />

Grundgesetzes im Rücken – mit einigem Selbstbewusstsein auf: 1957 forderten sie von Konrad<br />

Adenauer zwei Ministersessel für Frauen. Sie wollten kein Sonderministerium für Frauenfragen,<br />

sondern sie wollten ‚richtige‘ Ministerien für Frauen. Bald nach der Bundestagswahl wurde<br />

deutlich, dass der wiedergewählte Bundeskanzler Adenauer keine Experimente mit einer Frau<br />

in der Ministerriege wagen wollte. 19 Frauenverbände, <strong>die</strong> schon vorher mehr Frauen auf den<br />

Wahllisten gefordert hatten, verfassten ein Protestschreiben an Adenauer. Sie wurden<br />

unterstützt von Journalisten. So hieß es in der NRZ vom 2.11.1957: „Männer haben einige<br />

Jahrtausende lang den tragischen Beweis geführt, dass unsere frauenlose Politik in <strong>die</strong><br />

Sackgasse führt.“ Und <strong>die</strong> Stuttgarter Zeitung berichtet aus Lehrerkreisen, dass sich <strong>die</strong> Lehrer<br />

angesichts der Nichtachtung von Frauen nun schwertun, „unsere Mädchen zu aktiver politischer<br />

Betätigung zu bewegen.“ 4<br />

In der kommenden Woche jährt es sich zum 50. Mal, dass <strong>die</strong> erste Frau Bundesministerin<br />

wurde: Dr. Elisabeth Schwarzhaupt wurde Bundesministerin für Gesundheit, ein<br />

neugeschaffenes Ressort, das <strong>die</strong> Zuständigkeiten, <strong>die</strong> bisher in vielen Ministerien lagen, in<br />

einem Haus bündelte. Ohne <strong>die</strong> anhaltenden Proteste der Frauenverbände, Adenauer hat<br />

zunächst wohl gedacht, <strong>die</strong>ses Problem aussitzen zu können, hätte das erste Ministeramt für<br />

eine Frau noch auf sich warten lassen.<br />

Wichtig ist mir, hier festzustellen, dass <strong>die</strong> Frauenorganisationen und mit ihnen der<br />

Informations<strong>die</strong>nst für Frauenfragen <strong>die</strong> einzigen gleichstellungspolitischen Akteure in engerem<br />

Sinne waren.<br />

Auf der staatlichen Seite stand ihnen ein einziges ganz kleines Referat in der<br />

Verfassungsabteilung des Bundesinnenministeriums als Ansprechpartner zur Verfügung.<br />

1950 gab es den Beschluss des Deutschen Bundestages zur Einrichtung eines<br />

Frauenreferates. Dieses wurde angesiedelt in der Verfassungsabteilung des BMI und man sieht<br />

hier noch den großen Einfluss Elisabeth Selberts.<br />

Dr. Dorothea Karstens wurde <strong>die</strong> erste Frauenreferentin im BMI, Innenminister Dr. Gustav<br />

Heinemann kannte sie aus ihrer gemeinsamen Arbeit in der evangelischen Kirche.<br />

4 Irene Stoehr, Rita Pawlowski: Die unfertige Demokratie- - 50 Jahre ‚Informationen für <strong>die</strong> Frau‘


1952 kam Dr. Dorothea Frandsen (1963-1974 Referatsleitung) hinzu. Das Referat hatte eine<br />

Fülle von Aufgaben und Kompetenzen, aber bei <strong>weit</strong>em nicht das Personal (sechs<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich der Referatsleitung) und <strong>die</strong> notwendigen<br />

finanziellen Ressourcen. Das hat sich in der Gleichstellungspolitik bis heute wohl wenig<br />

geändert.<br />

© Dr. Angela Icken, 2011<br />

4<br />

1964 erfolgte <strong>die</strong> Einrichtung der ersten Enquete ‚Frau in Politik und Gesellschaft‘‘, <strong>die</strong> durch<br />

das Frauenreferat innerhalb der Bundesregierung koordiniert wurde. Dies war der erste –<br />

zweifellos noch unvollkommene – Versuch einer gleichstellungspolitischen Bestandsaufnahme.<br />

1965 – 1976 (Phase der Bewusstwerdung und Artikulation)<br />

Neue gleichstellungspolitische Akteure betreten <strong>die</strong> Bühne<br />

Die Zuständigkeit für Frauen geht vom BMI ins BMJFG über<br />

Diese Enquete ‚Frau und Gesellschaft‘, <strong>die</strong> sich schwerpunktmäßig mit dem Recht von Frauen<br />

auf Bildung, Erwerb und eigenständige soziale Sicherung beschäftigte, orientierte sich an einer<br />

vergleichbaren amerikanischen Enquete, <strong>die</strong> John F. Kennedy eingerichtet hatte. <strong>Wie</strong> sehr<br />

Mitgliedsorganisationen des Informations<strong>die</strong>nstes <strong>die</strong> Enquete begleitet haben, wird deutlich an<br />

den zu <strong>die</strong>ser Zeit zahllosen Stellungnahmen der Frauenverbände in den ‚Informationen für <strong>die</strong><br />

Frau‘.<br />

Vermutlich war es <strong>die</strong> Beschäftigung mit der eigenen Lebenssituation und den Perspektiven<br />

ihrer Töchter, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Frauen in den Frauenverbänden unruhig werden ließ. Waren sie doch mit<br />

einem hohen Anspruch im Hinblick auf <strong>die</strong> Gleichberechtigung an sich und an <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

in den Nachkriegsjahren gestartet. Und wie begrenzt waren nun ihre Perspektiven.<br />

Aus meiner Sicht führte <strong>die</strong>s seitens des Informations<strong>die</strong>nstes und seinen Mitgliedsorganisationen<br />

zu einer ausgesprochen intensive Werbung für <strong>die</strong> Verbesserung der<br />

politischen Partizipation von Frauen – bei den Parteien und bei den Frauen. Der Anteil von<br />

Frauen im Deutschen Bundestag lag deutlich unter 10 Prozent – der Handlungsbedarf war<br />

unübersehbar und wurde von allen Frauenorganisationen mitgetragen.<br />

So wichtig es war, möchte ich an <strong>die</strong>ser Stelle nur kurz auf das Internationale Jahr der Frau<br />

1975 eingehen. Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> – seit 1970 führte der Verband nun <strong>die</strong>sen Namen –<br />

drei Konferenzen, <strong>die</strong> auch seine damaligen Arbeitsschwerpunkte widerspiegelten:<br />

Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen<br />

Chancengleichheit im Beruf, Verbesserung der Aufstiegschancen<br />

Verbesserung der politischen Teilhabe auch durch Zugang von Frauen zu politischen<br />

Mandaten<br />

Dies sind Themen, <strong>die</strong> uns heute noch immer beschäftigen.<br />

Wichtiger ist an <strong>die</strong>ser Stelle aus meiner Sicht, einzugehen auf das Verhältnis des Deutschen<br />

<strong>Frauenrat</strong>es zu den Organisationen der Neuen Frauenbewegung.<br />

Ab 1965 bildet sich <strong>die</strong> Neue Frauenbewegung im Zuge der antiautoritären Studenten und<br />

Studentinnen- und Jugendbewegung heraus. Vor allem sozialistische Studentinnen und Mütter<br />

engagierten sich hier anfangs.


© Dr. Angela Icken, 2011<br />

5<br />

Das erstarrende politische System der Bundesrepublik der 70er Jahre begünstigte das<br />

Entstehen der neuen Frauenbewegung. Diese stellte sich selbstbewusst dar, autonom, oft antistaatlich<br />

und kritisch gegenüber etablierten Institutionen – auch den Frauenorganisationen. Dies<br />

verhinderte auch, dass es einfach zu Kooperationen mit den etablierten Frauenverbänden<br />

kommen konnte. Hieraus wird deutlich, dass sich <strong>die</strong> frauenpolitische Interessenvertretung<br />

zwischen zwei Polen bewegte: Während <strong>die</strong> etablierten Verbände – auch der Deutsche<br />

<strong>Frauenrat</strong> versuchten, von ‚innen heraus‘ auf gesellschaftliche Veränderungen hinzuarbeiten,<br />

eine gewisse Staatsnähe hatten und Staatsinterventionen z.B. zur Durchsetzung der<br />

Gleichberechtigung durchaus akzeptierten, lehnte <strong>die</strong> neue Frauenbewegung staatliche<br />

Intervention als solche erst einmal ab<br />

Frauen außerhalb der etablierten Frauenverbände brachten neue Organisations- und<br />

Artikulationsformen in enger Anlehnung an <strong>die</strong> Studentenbewegung hervor, <strong>die</strong> für <strong>die</strong><br />

etablierten Frauenorganisationen definitiv gewöhnungsbedürftig waren. Die demonstrierten<br />

doch tatsächlich und ihre Sprache war häufig sicher nicht salonfähig.<br />

Sie stellten aber <strong>die</strong> richtigen Fragen – zu Themen, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong> Mitgliedsorganisationen des<br />

Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es beschäftigten. Sie fragten aber anders – nach Chancengleichheit für<br />

Mädchen und Frauen in der Bildung, nach dem Anspruch von Frauen auf Erwerb und sie<br />

sprachen offen und lautstark über <strong>die</strong> Lust Mütter zu sein, verbanden <strong>die</strong>s aber mit dem<br />

Hinweis auf <strong>die</strong> Leistung, <strong>die</strong> sie für <strong>die</strong> Gesellschaft erbrachten und forderten eine<br />

entsprechende Anerkennung. Eines wollten sie aber ganz bestimmt nicht - dem Mann untertan<br />

sein.<br />

Mit der Frage: „<strong>Wie</strong> <strong>weit</strong> <strong>flogen</strong> <strong>die</strong> <strong>Tomaten</strong>?“ stellt llse Lenz <strong>die</strong> Frage nach dem, was durch<br />

<strong>die</strong> neue Frauenbewegung verändert wurde. Die Frauen der neuen Frauenbewegung und der<br />

Mitgliedsorganisationen des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es erreichten, dass Frauenpolitik<br />

gesellschaftsfähig wurde und das führte zu einer Institutionalisierung der Frauen- und<br />

Gleichstellungspolitik. Der Weg dorthin war aber noch <strong>weit</strong>.<br />

Die Vertreterinnen der Neuen Frauenbewegung und <strong>die</strong> der Frauenorganisationen waren sicher<br />

nicht von Anfang an Freundinnen. Dies schildert Irmgard von Meibom in ihrem Interview:<br />

„1974 fand in der Evangelischen Akademie in Loccum eine Tagung zum Thema ‚Emanzipation<br />

der Frau‘ statt. Dort nahm ich als zukünftige Vorsitzende des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es – es war<br />

schon klar, dass ich <strong>die</strong>ses Amt übernehmen sollte – als Exponentin der traditionellen<br />

Frauenverbände teil. Von Seiten der autonomen Frauen nahmen u.a. teil: Alice Schwarzer,<br />

Leona Siebenschön und Hannelore Marbry – <strong>die</strong> ganze Crème de la Crème der autonomen<br />

Frauengruppen. Wir haben bis in <strong>die</strong> Nächte diskutiert unter anderem auch darüber, … dass<br />

selbstverständlich … <strong>die</strong> autonomen Frauengruppen ihre Bedeutung gehabt haben und weiß<br />

Gott noch haben. Aber <strong>die</strong>se konnten nur aufbauen, auf dem was da war. Wir haben das in aller<br />

Freundschaft diskutiert. Ich habe sehr deutlich gemacht, dass <strong>die</strong> autonome Frauenbewegung<br />

kein Anfang war, sondern ein Bau auf einem Gerüst. Und <strong>die</strong>ses Gerüst ist ja 100 Jahre alt. …<br />

Später als ich Vorsitzende des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es war, hat der Vorstand dann <strong>die</strong><br />

autonomen Gruppen eingeladen und das war ein tolles Gespräch. Ich habe gesagt, dass wir ja<br />

unglaubwürdig werden, wenn wir alles was sie machen und umgekehrt alles was wir machen<br />

negieren. Wir müssen also Gemeinsames anerkennen und Unterschiede deutlich nennen.<br />

Dieses Vorgehen hat sich sehr bewährt. … Wir haben damals <strong>die</strong> Klage der ‚EMMA (gegen den


Stern) unterstützt. – Das war aufsehenerregend, dass wir das mitmachten. D.h wir haben ja<br />

nicht <strong>die</strong> Klage als solche unterstützt, sondern <strong>die</strong> Rüge an den Presserat! – Mit Erfolg!“<br />

Dies kann man genauso auch in der Biografie Alice Schwarzers nachlesen.<br />

© Dr. Angela Icken, 2011<br />

6<br />

Die zuvor angesprochene Institutionalisierung der Gleichstellungspolitik nimmt <strong>weit</strong>er Formen<br />

an.1972 war <strong>die</strong> Zuständigkeit für Frauenfragen vom Bundesinnenministerium an das<br />

Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit übergegangen. Elisabeth Haines leitete<br />

das Referat in Zukunft im BMJFG.<br />

1976-1980 (Phase der Pluralisierung und Konsoli<strong>die</strong>rung)<br />

Frauenprojekte als neue Organisationsform<br />

Einrichtung des Arbeitsstabs Frauenpolitik unter der Leitung von Marlies Kutsch<br />

In den kommenden Jahren erfolgte eine stärkere Ausdifferenzierung der neuen<br />

Frauenbewegung und ein Aufgreifen vieler Themen: Dies waren zum Beispiel Lohn für<br />

Hausarbeit, das Thema findet sich auch in der Arbeit der Mitgliedsorganisationen des<br />

Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es wieder – ich verbinde es sehr eng mit Siglinde Porsch, der ehemaligen<br />

Vorsitzenden des damaligen Deutschen Hausfrauenbundes.<br />

Das Thema Mädchenbildung wurde intensiv diskutiert – was schließlich zu einer stärker an den<br />

Bedarfen von Mädchen orientierten Bildung und einer gezielten Mädchenförderung führte. Die<br />

Diskriminierung von Lesben, Gewalt gegen Frauen, all das waren Themen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Frauen<br />

bewegten. Wir wissen alle, dass Dinge gut belegt sein wollen, wenn sie auf <strong>die</strong> politische<br />

Agenda gehoben werden sollen und so wurde in <strong>die</strong>ser Phase der Grundstein gelegt für<br />

geschlechterdifferenziertes Wissen und Forschung. Der Verein Sozialwissenschaftliche<br />

Forschung und Praxis für Frauen e.V: als Dachnetzwerk etablierte sich.<br />

Gruppen und Organisationen der neuen Frauenbewegung entwickelten Frauenprojekte als<br />

neue Organisationsform, eine Arbeitsform, <strong>die</strong> den tra<strong>die</strong>rten Frauenorganisationen noch fremd<br />

war. Die Befürchtung stand im Raum, dass durch <strong>die</strong> öffentliche Förderung eine Gängelung<br />

erfolgen würde nach dem Motto: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Um für <strong>die</strong> Frauen-<br />

Projekte eine öffentliche Förderung zu bekommen, mussten <strong>die</strong> Gruppen eine entsprechende<br />

Rechtsform – zum Beispiel <strong>die</strong> eines eingetragen Vereins - vorweisen können. Zwangsläufig<br />

begannen <strong>die</strong> Frauengruppen nun, sich eine feste Struktur zu geben.<br />

Ende der 70er Jahre erfolgte das Herausbilden einer Bewegungsöffentlichkeit. Über <strong>die</strong><br />

Gründung der EMMA schreibt Alice Schwarzer in ihrer gerade erschienen Biografie<br />

‚Lebenslauf‘. Ebenso wichtig war aber <strong>die</strong> Zeitung ‚Courage‘, <strong>die</strong> stärker als <strong>die</strong> EMMA von den<br />

Akteurinnen der Frauenbewegung getragen wurde.<br />

Es gab zahlreiche Frauenkongresse, auf denen <strong>die</strong> Akteurinnen der neuen Frauenbewegung,<br />

der Frauenverbände aber auch der staatlichen, institutionalisierten Frauenpolitik einander<br />

begegneten, ins Gespräch kamen.<br />

1976 wurden in Berlin und Köln, in den darauf folgenden Jahren auch in anderen deutschen<br />

Städten Frauenhäuser gegründet. Sie waren Projekte, <strong>die</strong> sehr auf der Initiative der Neuen<br />

Frauenbewegung gründeten.


© Dr. Angela Icken, 2011<br />

7<br />

Bedingt durch das Internationale Jahr der Frau 1975 war auch der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> geübt in<br />

der Durchführung von Veranstaltungen und organisierte <strong>die</strong> Konferenz „Brauchen wir ein<br />

Antidiskriminierungsgesetz?“ - vor gut 30 Jahren. Es wurde heftig diskutiert, davon zeugen<br />

auch <strong>die</strong> ‚Informationen für <strong>die</strong> Frau‘ und Irene Stoehr kommt in ihrer Publikation ‚Die unfertige<br />

Demokratie‘ zu dem Schluss: Hätte man statt des Begriffes Antidiskriminierungsgesetz den<br />

Begriff Gleichberechtigungsgesetz‘ verwendet, dann wäre das Fazit ein positives gewesen.<br />

1979 erfolgte dann ein <strong>weit</strong>erer Schritt im Hinblick auf eine Institutionalisierung der<br />

Frauenpolitik: Im BMJFG wurde der Arbeitsstab Frauenpolitik unter der Leitung von Marlies<br />

Kutsch eingerichtet. Dies war ein erster – zugegeben kleiner Schritt - weg von der<br />

Marginalisierung der Frauenpolitik.<br />

1980-1989<br />

Phase der Professionalisierung und institutionellen Integration<br />

Einrichtung der Abteilung Frauenpolitik<br />

Von nun an nahm <strong>die</strong> Institutionalisierung der Frauenpolitik ihren Lauf:<br />

Die Organisationsformen der neuen Frauenbewegung veränderten sich, wie es soziale<br />

Bewegungen insgesamt kennzeichnet. Ilse Lenz konstatiert eine Integration in politische<br />

Parteien, Gewerkschaften und Kirchen.<br />

Die Kooperationen zwischen autonomen Netzwerken, Verbänden, Politikerinnen und<br />

Wissenschaftlerinnen nahmen zu und vertieften sich.<br />

Die Forderung nach der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen wie auch <strong>die</strong><br />

Frauenpolitik wurde gesellschaftsfähig.<br />

Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> forderte einen Bundesfrauenplan analog zum seit den 20er Jahren<br />

bestehenden Bundesjugendplan. Damit strebte er <strong>die</strong> Anerkennung ehrenamtlich von Frauen<br />

und Frauenverbänden geleisteter Arbeit als gesellschaftliche Arbeit ein. Er war in <strong>die</strong>sem Punkt<br />

nicht erfolgreich.<br />

Anders dagegen in seinem Bestreben, eine europäische Frauenlobby ins Leben zu rufen. Über<br />

10 Jahre ackerte er, es gab in verschiedenen europäischen Ländern Konferenzen – allein zwei<br />

organisiert durch den Deutschen <strong>Frauenrat</strong>. 1994 schließlich<br />

wurde <strong>die</strong> European Women’s Lobby gegründet.<br />

Auf der staatlichen Seite ging <strong>die</strong> Institutionalisierung der Frauenpolitik nun sehr zügig voran.<br />

Mit Lie Selter in Köln wurde <strong>die</strong> erste kommunale Frauenbeauftragte und Eva Rühmkorf in<br />

Hamburg <strong>die</strong> erste Frauenbeauftragte auf Landesebene etabliert.<br />

1986 erfolgte <strong>die</strong> Einrichtung der Abteilung Frauenpolitik im BMJFFG durch Kanzlererlass, 1987<br />

nahm sie <strong>die</strong> Arbeit auf. An <strong>die</strong> erste Bundesfrauenministerin Rita Süssmuth erinnert sich wohl<br />

jede und viele von Ihnen sicher auch an Hanna Beate Schöpp-Schilling, <strong>die</strong> erste Leiterin der<br />

Abteilung Frauenpolitik.


© Dr. Angela Icken, 2011<br />

8<br />

Hier wird nun deutlich, dass <strong>die</strong> drei unterschiedlichen Akteure – Neue Frauenbewegung –<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> – und <strong>die</strong> Institutionen der Frauenpolitik - gleichwertige Akteure im<br />

frauenpolitischen Spiel waren. Das will ich an einem Beispiel darstellen:<br />

Vor der ersten großen Rentenreform – so ca. 1984 – hatte der Vorstand des Deutschen<br />

<strong>Frauenrat</strong>es ein Gespräch mit dem Bundeskanzler, <strong>die</strong>s berichtete Brunhilde Fabricius in einem<br />

Interview. Von der ursprünglich geplanten rentensteigernden Anrechnung von fünf Jahren war<br />

nahezu nichts mehr übrig geblieben. Der Vorstand trat so massiv auf, dass Bundeskanzler Kohl<br />

fragte: „Wollen Sie mich unter Druck setzen?“ Brunhilde Fabricius antwortete: „Wir wollen Sie<br />

nicht unter Druck setzen, wir wollen Ihnen nur deutlich machen, in welcher Stimmung <strong>die</strong><br />

Frauen sind.“<br />

„Annelies Kohleiss hatte unterschiedliche Berechnungen bei der Anerkennung von<br />

Kindererziehungszeiten angestellt. Das hat den Bundeskanzler dann auch so überzeugt, dass<br />

er sofort einen Termin mit dem zuständigen Ressortminister und Dr. Kohleiss und den anderen<br />

Frauen der Rentenkommission des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es vereinbart hat. … Die Anrechnung<br />

von Kindererziehungszeiten in der Rente ist dann doch gekommen.“<br />

Es war dann <strong>die</strong> Aufgabe der institutionalisierten Frauenpolitik, dazu beizutragen, dass <strong>die</strong>se<br />

neuen rentenrechtlichen Regelungen bei der Rechtssetzung adäquat umgesetzt wurden.<br />

Hiervon ist in der Öffentlichkeit nichts bekannt, und <strong>die</strong>s ist symptomatisch für <strong>die</strong> Arbeit und <strong>die</strong><br />

Erfolge des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es: Er kann sich eher nicht seiner Erfolge rühmen, sondern er<br />

beglückwünscht <strong>die</strong> Politik zu ihren politischen Maßnahmen.<br />

1989-2000 Phase der Internationalisierung, Vereinigung und Neuorientierung<br />

Weltfrauenkonferenz in Peking<br />

Es folgt nach Ilse Lenz eine Phase der Internationalisierung und der Neuorientierung in der<br />

Frauenszene. In <strong>die</strong>ser Zeit wird es schwierig zwischen den Organisationen der Neuen<br />

Frauenbewegung und den Mitgliedsorganisationen des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es zu<br />

unterscheiden. Organisationen, <strong>die</strong> aus der neuen Frauenbewegung stammen, sind mittlerweile<br />

Mitglieder des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es geworden.<br />

An <strong>die</strong> Stelle der Abgrenzung, Auseinandersetzung und der Diskussion zwischen den Frauen<br />

treten <strong>die</strong> Herausforderungen durch <strong>die</strong> Internationalisierung und Globalisierung. Nicht zuletzt<br />

durch <strong>die</strong> in der Aktionsplattform von Peking festgeschriebene Anwendung des Gender<br />

Mainstreaming wird <strong>die</strong> Frauenfrage zur Geschlechterfrage.<br />

Und dann war da ja auch noch <strong>die</strong> <strong>Wie</strong>dervereinigung und <strong>die</strong> Situation der Frauen und vor<br />

allem der Frauenverbandsarbeit möchte ich beschreiben mit den Worten Hanne Pollmanns:<br />

„Im Hinblick auf <strong>die</strong> Frauenorganisationen in den neuen Ländern hat sich der <strong>Frauenrat</strong> sehr<br />

bemüht. Nur haben wir sehr schnell feststellen müssen, dass es keine Strukturen gab, wie wir<br />

sie uns vorstellen: Nicht <strong>die</strong> kirchlichen, nicht <strong>die</strong> Parteifrauen oder Gewerkschafterinnen waren<br />

in der Lage, das auch nur in Ansätzen vergleichbar herzustellen. Wir mussten uns auf eine<br />

völlig neue Landschaft, was <strong>die</strong> Organisation von Frauen angeht, einstellen. Ich bilde mir ein,<br />

dass wir auf <strong>die</strong> Frauen zugegangen sind, und auch nicht überheblich oder als Wessis. Aber zu<br />

meiner Zeit war es so, dass wir wegen unserer Historie, unseres langen Vorlaufs als<br />

Frauenorganisationen eben auch sehr skeptisch betrachtet wurden. Wir waren aus Sicht der


DDR Frauen Teil des – politischen – Establishments, und das war ja nun gerade, was wir sie<br />

haben wollten.“<br />

© Dr. Angela Icken, 2011<br />

9<br />

Tief beeindruckt von der zunehmenden Verschlechterung der gesellschaftlichen und<br />

wirtschaftlichen Situation von Frauen in den neuen Bundesländern griff der Vorstand des<br />

Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es zu einer für ihn höchst ungewöhnlichen Maßnahme: Er startete zu einer<br />

Info-Tour durch <strong>die</strong> neuen Länder. Auf den Weg machten sich Dr. Heide Ott, Siglinde Porsch<br />

und Hanne Pollmann. Die Info-Tour führte von Dresden über Chemnitz, Erfurt Jena, Gera<br />

Leipzig und Halle nach Magdeburg. Bestimmt wurde <strong>die</strong> Strecke danach, was in fünf Tagen<br />

geschafft werden konnte. Gereist wurde mit einem Kleinbus mit mobilem Informationsstand<br />

bestehend aus Sonnenschirm, Tapetentisch und Stühlen sowie einer Lautsprecheranlage und<br />

Informationsmaterial des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es. Sie bekamen Kontakt zu vielen Hundert<br />

Frauen, hörten von der Frauenarbeitslosigkeit, Wegbrechen der Kinderbetreuungsplätze,<br />

Rentenfragen und <strong>die</strong> fehlende Repräsentanz von Frauen in der Politik. Viele von uns werden<br />

sich daran erinnern, wie sich <strong>die</strong> Lebens- und Erwerbsbedingungen für Frauen in den neuen<br />

Bundesländern verschlechterten.<br />

Und ich denke, viele Frauen konnten sich dort gar nicht vorstellen, wie schnell ihre<br />

Gleichstellung ins Wanken kommen konnte. Frauen in Männerberufen waren kein Thema – sie<br />

waren selbstverständlich, ihre Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuungsangebote ebenso.<br />

Während § 32 des Einigungsvertrages für <strong>die</strong> Jugend- und Wohlfahrtsverbände feststellte,<br />

dass <strong>die</strong>se einen unverzichtbaren Beitrag zum Aufbau eines Sozialstaates bildeten und daher<br />

ihr Aufbau in den ostdeutschen Bundesländern gefordert werden sollte, wurden <strong>die</strong><br />

Frauenorganisationen mit keinem Wort erwähnt. Entweder man kannte ihre Arbeit nicht oder<br />

hat sie einfach vergessen<br />

Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> setzte gemeinsam mit der Abteilung Frauenpolitik ein Sonderprogramm<br />

zum Aufbau pluraler Frauenverbandsstrukturen in den neuen Ländern durch, das<br />

nicht- wie zunächst geplant- mit 5 Mio. OM ausgestattet war, sondern letztlich mit 16 Mio.<br />

DM.<br />

Frauenverbandsarbeit war im Verständnis der jungen Frauenorganisationen 1991/92 in den<br />

neuen Bundesländern z.T. völlig anders als das im Westen der Fall war. Als Karla Staszak, <strong>die</strong><br />

Gleichstellungsbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern 1995 bei einer Tagung der<br />

Frauenvereine und -projekte in Güstrow feststellte: „Wir benötigen Frauenvereine als<br />

Arbeitgeberinnen,“ zuckten Teilnehmerinnen aus den alten Ländern doch etwas zusammen.<br />

Dies entsprach nicht ihrem Verständnis von Frauenverbandsarbeit.<br />

Mit viel Engagement baute der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> Verbindungsbüros zum Aufbau von<br />

Frauenverbandsstrukturen in den neuen Ländern auf, der – zumindest kurzfristige – Erfolg<br />

hielt sich jedoch in Grenzen. Die Frauen dort wollten sich nicht von Organisationen einbinden<br />

lassen und sie erlebten in ihrem Alltag, dass ihre Lebensbedingungen immer schlechter<br />

wurden. Daran konnten auch <strong>die</strong> (westdeutschen) Frauenverbände nicht ändern.<br />

Eines haben Ost- und Westfrauen aber erreicht: Die Ergänzung Art. 3, Abs. 2 des<br />

Grundgesetzes. Hanne Pollmann berichtete in einem Interview hierzu, dass alle<br />

gleichstellungspolitischen Akteurinnen in Ost und West in <strong>die</strong>ser Situation eine Fortschreibung<br />

des Artikels 3 Abs. 2 GG haben wollten, „ damit wir nicht immer zum Verfassungsgericht


© Dr. Angela Icken, 2011<br />

10<br />

rennen müssen, um <strong>die</strong> Gleichberechtigung einzuklagen.“ Dieses Anliegen stieß natürlich nicht<br />

bei den politischen Akteuren (in engerem Sinne) auf große Gegenliebe. Erfolglos blieb<br />

dementsprechend ein Schreiben, das dann verschiedene Mitglieder der Bundesregierung<br />

gerichtet war. Es blieb meist unbeantwortet oder eine Antwort kam erst, als der<br />

Einigungsvertrag geschlossen war. Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> startet eine Plakataktion mit<br />

prominenten Unterstützerinnen <strong>die</strong>ser Forderung und eine Postkarten-Aktion. „Mit lila<br />

Waschkörben zogen wir zur CDU­ Zentrale. Aber der Rücklauf betrug ‚nur' 800.000 Postkarten<br />

und der Tierschutz, der ja auch in <strong>die</strong> Verfassung wollte, der hatte Millionen. Da hieß es 'Guckt<br />

mal, so wenig Postkarten von Euch und der Tierschutz hat so viel mehr. Da sollen wir auf Euch<br />

hören?“<br />

„In <strong>die</strong>ser Situation hatte der Vorstand wieder einmal ein Gespräch bei Bundeskanzler Kohl<br />

und der wusste von unseren Bestrebungen nichts. Das hat er uns glaubhaft versichert. Er ließ<br />

seinen Abteilungsleiter Helmut Stahl rufen und nachgefragt. Der musste bestätigen, dass der<br />

Bundeskanzler damit bisher nicht befasst wurde. Und der Bundeskanzler meinte nur: ,Ich will<br />

das aber drin haben.' Und so haben wir <strong>die</strong> Fortschreibung bekommen.“<br />

Hieraus wird deutlich wie wichtig <strong>die</strong> frauen- und gleichstellungspolitischen Akteurinnen auf<br />

unterschiedlicher Ebene sind: Die einen bringen das Thema auf <strong>die</strong> Tagesordnung, <strong>die</strong><br />

anderen gewinnen eine Öffentlichkeit für das Thema und <strong>die</strong> Dritten – in <strong>die</strong>sem Fall der<br />

Deutsche <strong>Frauenrat</strong> – haben den Zugang zu den politischen Akteuren.<br />

Seit dem Jahr 2000 ist es still geworden um <strong>die</strong> neue Frauenbewegung und <strong>die</strong><br />

Frauenverbände. Der Institutionalisierungsprozess ist abgeschlossen, es gibt scheinbar<br />

‚business as usual‘. Aber heute wissen und schätzen wir alle aus meiner Sicht nicht<br />

hinreichend, wie‘ <strong>weit</strong> <strong>die</strong> <strong>Tomaten</strong> ge<strong>flogen</strong>‘ sind, wie sich <strong>die</strong> Frauenverbandslandschaft, <strong>die</strong><br />

Frauenverbandsarbeit und ihre Themen unter dem Einfluss der Organisationen, <strong>die</strong> aus der<br />

neuen Frauenbewegung hervorgegangen sind und <strong>die</strong> nach der Wende in den neuen Ländern<br />

entstanden sind, verändert haben.<br />

Heute haben der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> und auch wir im Bundesfrauenministerium große<br />

Themen auf der Agenda, von denen ich nur einige nennen will: Das sind z.B. Entgeltgleichheit<br />

und Frauen in Führungspositionen. Durch einen langen Atem haben wir es geschafft, dass das<br />

Hilfetelefon - ein bundes<strong>weit</strong>er Notruf für von Gewalt betroffene Frauen – endlich – Realität<br />

wird. Das haben wir geschafft, weil wir alle an einem Strang zogen.<br />

lch habe anfangs gesagt, dass ich noch einmal zurückkommen werde auf zwei Themen, <strong>die</strong><br />

bei der Gründung des „lnformations<strong>die</strong>nstes für Frauenfragen“ schon kritisch diskutiert wurden:<br />

Die Frage danach, dass der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> eigentlich kein eigener politischer Akteur im<br />

engeren Sinne ist sondern auf der Basis der Beschlusse seiner Mitgliedsorganisationen<br />

handelt und <strong>die</strong> Frage nach der öffentlichen Förderung.<br />

In § 2 der Satzung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es heißt es: „Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> vertritt bei<br />

Wahrung der Selbständigkeit und bei Bejahung der Verschiedenartigkeit seiner<br />

Mitgliedsverbände deren gemeinsame Interessen in der Öffentlichkeit, um den Belangen der<br />

Frauen in der Bundesrepublik Deutschland Gewicht zu geben und sie durchzusetzen.“<br />

Und:


© Dr. Angela Icken, 2011<br />

11<br />

„Über <strong>die</strong> notwendigen Maßnahmen zur Zweckverwirklichung entscheidet der Vorstand auf der<br />

Grundlage der Beschlüsse der einmal jährlich stattfindenden Mitgliederversammlung.“<br />

Der Vorstand arbeitet auf der Grundlage der Beschlüsse der Mitgliederversammlung.<br />

Dies heißt: Sie alle sind der Deutsche <strong>Frauenrat</strong>! Ihr Engagement und Ihrer aller<br />

Auseinandersetzung mit gleichstellungspolitisch relevanten Themen, zu denen Sie einen<br />

Beschluss der Mitgliederversammlung herbeiführen, ermöglicht dem Vorstand des Deutschen<br />

<strong>Frauenrat</strong>es ein Handeln. Wenn Sie nicht auf der Höhe der politischen Diskussion sind, kann<br />

es auch der Vorstand des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es in seinen Aktionen und Stellungnahmen<br />

nach außen nicht sein. Hier liegt bei Ihnen eine ganz besondere Verantwortung, <strong>die</strong> Sie auch<br />

im Einzelfall nicht an den Deutschen <strong>Frauenrat</strong> zurückgeben können.<br />

Es kann nicht heißen, dass der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> <strong>die</strong>se oder jene Aktion durchführen möge,<br />

wie ich es bei den Mitgliederversammlungen oft gehört habe. In den vergangen Monaten und<br />

Jahren hat es von politischer Seite häufiger <strong>die</strong> Forderung gegeben, dass sich der Deutsche<br />

<strong>Frauenrat</strong> zu <strong>die</strong>ser oder jener gleichstellungspolitischen Maßnahme positionieren möge. Das<br />

kann er laut Satzung nur, wenn ein entsprechender Beschluss vorliegt. Also: Die Präsenz des<br />

Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es in der politischen Willensbildung hängt von Ihnen ab.<br />

Die andere Frage ist <strong>die</strong> nach der Unabhängigkeit des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es im Hinblick auf<br />

<strong>die</strong> institutionelle Förderung durch den Bund. Und umgekehrt. Ich weiß, dass Sie oft von<br />

Besucherinnen aus dem Ausland gefragt werden, wie das denn klappen kann.<br />

Eine Institutionelle Förderung <strong>die</strong>nt der Deckung der gesamten Ausgaben oder eines nicht<br />

abgegrenzten Teils der Ausgaben eines Zuwendungsempfängers. Obwohl <strong>die</strong> Förderung des<br />

Zuwendungsempfängers jährlich neu beantragt und vom Zuwendungsgeber neu bewilligt<br />

werden muss, gleicht <strong>die</strong> institutionelle Förderung in der Praxis einer Art Dauerverpflichtung für<br />

<strong>die</strong> öffentliche Hand. Es gelten das Subsidiaritätsprinzip, das Gebot der Wirtschaftlichkeit und<br />

Sparsamkeit und das Besserstellungsverbot, <strong>die</strong> im öffentlichen Haushaltsrecht verankert sind.<br />

So <strong>weit</strong> so gut.<br />

Das Geld soll <strong>die</strong> geförderte Organisation in <strong>die</strong> Lage versetzen, ihre satzungsgemäßen<br />

Aufgaben zu erfüllen. Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> ist ein wichtiger Mitspieler im großen Spiel der<br />

Gleichstellungspolitik und ich denke, dass es sich in der Vergangenheit bewährt hat, wenn sich<br />

<strong>die</strong> gleichstellungspolitischen Akteure gegenseitig herausgefordert und unterstützt haben. So<br />

sollte es auch <strong>weit</strong>erlaufen: Stellen Sie Forderungen an uns – aber unterstützen Sie uns auch<br />

durch Ihre öffentliche Anerkennung.<br />

Das 60Jährige Bestehen des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es fällt zusammen mit dem 25Jährigen<br />

Bestehen der Abteilung Gleichstellung, Chancengleichheit. Wir sollten uns alle anerkennend auf<br />

<strong>die</strong> Schulter klopfen, denn – auch wenn noch viel zu tun ist – wir haben gemeinsam viel<br />

erreicht.<br />

Angela Icken ist Autorin des Buches: Der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> – Etablierte Frauenverbandsarbeit im<br />

gesellschaftlichen Wandel, Leske+Budrich, Opladen 2002. Promotion 2002 – nebenberuflich – bei Prof.<br />

Dr. Sigrid Metz-Göckel an der Universität Dortmund. Angela Icken arbeitet als Referatsleiterin im<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Abteilung Gleichstellung.


Literatur<br />

© Dr. Angela Icken, 2011<br />

12<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 25 Jahre Bundesfrauenministerium – Von<br />

der Frauenpolitik zu einer nachhaltigen Politik der fairen Chancen für Frauen und Männer, Berlin<br />

November 2011<br />

Icken, Angela: der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> – Etablierte Frauenverbandsarbeit im gesellschaftlichen Wandel,<br />

Leske und Budrich, Opladen 2002<br />

Lenz, Ilse: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland, Abschied vom kleinen Unterschied, Ausgewählte<br />

Quellen, VS Verlag für Sozialwissenschaften, <strong>Wie</strong>sbaden 2009<br />

Stoehr, Irene; Pawlowski, Rita: Die unfertige Demokratie, 50 Jahre ‚Informationen für <strong>die</strong> Frau‘, Berlin,<br />

April 2002

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