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Gleichberechtigt ist noch nicht gleich - Deutscher Frauenrat

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Thema<br />

<strong>Gleichberechtigt</strong> <strong>ist</strong> <strong>noch</strong><br />

<strong>nicht</strong> <strong>gleich</strong><br />

Eine kleine Geschichte der Emanzipation von Inge von Bönninghausen<br />

Recht und Realität sind nur selten deckungs<strong>gleich</strong>. Das Recht kann einer<br />

gesellschaftlichen Wirklichkeit hinterherhinken, indem es legalisiert, was längst<br />

gelebte Wirklichkeit <strong>ist</strong>: mit der Gleichstellung außerehelich geborener Kinder zum<br />

Beispiel. Ein Gesetz kann eine Entwicklung fördern, etwa wenn es Kindern unter drei<br />

Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zuerkennt. Der Staat kann<br />

ferner das Recht nutzen, um sich klar zu einem Wert zu bekennen – so war es, als<br />

Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde.<br />

Mich beschäftigt die Frage,<br />

warum die Un<strong>gleich</strong>zeitigkeit<br />

von Recht und Realität den Entwicklungsprozess<br />

der Demokratie gerade<br />

in Bezug auf die Rechte der Frau so<br />

durchgängig charakterisiert. Seit der<br />

Französischen Revolution desavouiert<br />

die Realität das Versprechen, alle<br />

Menschen seien <strong>gleich</strong>, auf doppelte<br />

Weise. Frauen mussten sich erst<br />

einmal dieselben Rechte erstreiten,<br />

die Männern von feudalen und später<br />

demokratischeren Regierungen<br />

Zug um Zug zugestanden wurden.<br />

Und dann müssen sie <strong>noch</strong> einmal<br />

genauso hart darum kämpfen, diese<br />

Rechte auch tatsächlich wahrnehmen<br />

zu können. Ein sehr einfaches Beispiel:<br />

Frauen haben wie Männer das<br />

passive Wahlrecht – und sind doch<br />

in keinem Parlament ihrem Anteil an<br />

den Wahlberechtigten entsprechend<br />

vertreten. Die Gründe dafür liegen<br />

in einem ganzen Bündel aus Diskriminierungen,<br />

in unterschiedlichen<br />

Lebens- und Interessenslagen sowie<br />

beharrender Männerdominanz. Ich<br />

konzentriere mich im Folgenden<br />

auf die h<strong>ist</strong>orischen Wurzeln der<br />

Un<strong>gleich</strong>heit, denn: Wenn man etwas<br />

ändern will, <strong>ist</strong> es äußerst hilfreich zu<br />

wissen, wie es entstanden <strong>ist</strong>.<br />

Es <strong>ist</strong> nur 150 Jahre her, dass Frauen<br />

nach dem Scheitern der Märzrevolution<br />

von 1848 in allen deutschen<br />

Kleinstaaten jegliche politische Betä-<br />

FrauenRat 4/08<br />

tigung verboten wurde. Und das zu<br />

einer Zeit, in der die Gedanken der<br />

französischen Revolution auch hierzulande<br />

<strong>nicht</strong> mehr auszulöschen waren<br />

und sich trotz aller monarchischen<br />

Repressionen sehr allmählich Parteien<br />

entwickelten. Die Frau war in dieser<br />

wichtigen Zeit die »Andere«, die<br />

in den Besitz des Vaters oder Ehemannes<br />

gehörte und – weil unfrei –<br />

<strong>nicht</strong> einmal Bürgerin sein konnte. Sie<br />

war vom Aufbau eines neuen, demokratischen<br />

Systems ausgeschlossen<br />

und konnte in der Folgezeit immer<br />

nur dazu-kommen, sie musste sich<br />

dem bereits Vorgefundenen anpassen<br />

und sich in ihm »bewähren«.<br />

Unbewusstes Erbe<br />

Die Frauen hatten aber schon<br />

auf den Barrikaden gekämpft,<br />

waren <strong>nicht</strong> mehr wegzuschließen<br />

und fanden für ihre intellektuelle wie<br />

praktische Energie eigene Tätigkeitsfelder.<br />

Die enormen Aktivitäten und<br />

Erfolge der Frauenbewegung in der<br />

zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

und zu Beginn des 20. sind vor dem<br />

Hintergrund dieses Politikverbots zu<br />

lesen. Frauen gründeten ihre eigenen<br />

Vereine und besetzten eigene, aus<br />

heutiger Sicht sehr wohl politische<br />

Themen: in erster Linie Bildung<br />

und den Zugang zu Berufen, dann<br />

die professionelle Sozialarbeit und<br />

schließlich ihre Un-Rechtslage. 1901<br />

war im Bund <strong>Deutscher</strong> Frauenvereine<br />

(gegründet 1894) immerhin die stattliche<br />

Anzahl von 137 Vereinen mit<br />

insgesamt 70.000 Mitgliedern zusammengeschlossen.<br />

Einerseits, so lässt sich feststellen,<br />

entwickelten Frauen auf diese Weise<br />

früh ein breiteres Verständnis von<br />

Politik im Sinne gesellschaftlicher<br />

Zusammenhänge und Verantwortung.<br />

Andererseits <strong>ist</strong> aber auch deutlich<br />

eine Idealisierung der sogenannten<br />

»Kulturaufgaben« der Frau zu<br />

erkennen. Kultur umfasste im Denken<br />

der bürgerlichen Frauenbewegung<br />

alles »Ge<strong>ist</strong>ige« und »Innere«,<br />

alles dem rein Ökonomischen und<br />

Machtpolitischen Überlegene. Diese<br />

Überhöhung trug erheblich dazu bei,<br />

dass gerade die Führerinnen der Frauenbewegung<br />

– u.a. Gertrud Bäumer,<br />

Helene Lange, Marie Stritt, Anita<br />

Augspurg – sich nach 1908, als sie<br />

Parteien beitreten durften, mit den<br />

Niederungen der realen Politik schwer<br />

taten. So schrieb Gertrud Bäumer:<br />

»Es handelt sich um die Frage, ob<br />

die Frau aus ihrem Wesen die Welt<br />

umzuschaffen vermag zu höherer<br />

Menschlichkeit. Nur wenn die Frauen<br />

mit und in der Sachle<strong>ist</strong>ung, die<br />

sie in Beruf oder Verwaltung oder<br />

Politik einsetzen, aus ihrem weiblichen<br />

Prinzip heraus, unverschoben,<br />

unbeirrt, ungebrochen, kühn und<br />

frei wirken, hat ihre Teilnahme an


Schreib- und Lesefibel für den Regierungs-Bezirk Bromberg von Ferdinand Hirt. Ferdinand-Hirt-Verlag,<br />

Breslau, S. 42<br />

Wie hat sich das Verhältnis von Männern und Frauen in den letzten<br />

hundert Jahren entwickelt? Wie verändern sich Rollenbilder, wo haben<br />

Geschlechterklischees die gesellschaftlichen Umbrüche scheinbar<br />

schadlos überlebt oder wurden erst mit großer zeitlicher Verzögerung<br />

aufgebrochen? Bei unserer Suche nach einer Bebilderung für das<br />

vorliegende Heft stießen wir auf Schulbücher aus hundert Jahren – und dort<br />

auf eine beeindruckende Zahl adrett werkelnder Mütter und Hausfrauen,<br />

zeitungslesender Väter und emsiger Handwerker, tobender Jungs und<br />

brav helfender Mädchen. Aber auch auf eine allmähliche Aufweichung<br />

solcher Rollenstereotype: Erwerbstätige Mütter und wickelnde Väter haben<br />

mittlerweile Eingang gefunden. Gut so: Denn das zeigt, dass sich was getan<br />

hat – und wird Jungen und Mädchen hoffentlich Lust auf ein Leben jenseits<br />

vorgefertigter Rollenbilder machen.<br />

Wir danken allen angefragten Verlagen für die freundliche Genehmigung<br />

zum Nachdruck der Illustrationen. K.N.<br />

dieser Welt einen fruchtbaren Sinn.«<br />

Als weibliches Prinzip galt der »Ge<strong>ist</strong><br />

des Verstehens und der Versöhnlichkeit«.<br />

Das männliche Prinzip dagegen<br />

wurde <strong>gleich</strong>gesetzt mit Kampf und<br />

Machtwille.<br />

Dies hatte zweifelsohne mit den<br />

schrecklichen Erfahrungen des Ersten<br />

Weltkriegs zu tun, aber <strong>nicht</strong> nur.<br />

Beide Richtungen der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung, die »gemäßigte«<br />

ebenso wie die »radikale«, gingen<br />

von einem grundsätzlichen Unterschied<br />

zwischen Frauen und Männern<br />

aus und erhoben die Frau sittlichmoralisch<br />

über den Mann. So schrieb<br />

Anita Augspurg 1920: »Das Wesen<br />

der Frau wird die Welt erlösen.« Für<br />

die Protagon<strong>ist</strong>innen des radikalen<br />

Flügels, zu dem Augspurg gehörte,<br />

war der Krieg der »Männerbankrott«,<br />

die wichtigste Aufgabe der Frauen<br />

dagegen die Arbeit für Frieden,<br />

1910<br />

Thema<br />

Abrüstung und Völkerverständigung<br />

weltweit.<br />

Ich erkenne hier ein unbewusstes<br />

Erbe, das bis heute viele Frauen<br />

von der Politik als »schmutzigem<br />

Geschäft« zurückhält und <strong>gleich</strong>zeitig<br />

an diejenigen Frauen, die sich hineinbegeben,<br />

höchste Ansprüche stellt.<br />

Wenn schon Politik, dann muss frau<br />

doppelt integer, doppelt fleißig, doppelt<br />

bürgerinnennah, doppelt sozial<br />

FrauenRat 4/08


Thema<br />

und doppelt ideal<strong>ist</strong>isch sein. Auffällig<br />

<strong>ist</strong> auch, dass nach beiden Weltkriegen<br />

und im Kalten Krieg starke Frauenfriedensbewegungen<br />

entstanden,<br />

häufig getragen von der Vorstellung,<br />

dass Frauen dem Leben näher und<br />

mithin friedlicher seien.<br />

Abstand zwischen Recht und<br />

Realität<br />

Der Erste Weltkrieg veränderte das<br />

Verhältnis von Frauen zur Politik<br />

und der Politik zu Frauen. Gertrud<br />

Bäumer, die Vorsitzende des Bundes<br />

<strong>Deutscher</strong> Frauenvereine, hatte schon<br />

vor Kriegsbeginn einen genauen Plan<br />

entworfen, wie der BDF »gerüstet sei,<br />

wenn die Stunde schlägt«, nämlich<br />

mit dem »nationalen Frauendienst«.<br />

Zur Aufrechterhaltung der sogenannten<br />

Heimatfront sicherte der<br />

nationale Frauendienst gemeinsam<br />

mit kommunalen Ämtern, konfessionellen<br />

Verbänden, Rotem Kreuz usw.<br />

die Versorgung und Unterstützung<br />

der Familien von neun Millionen Soldaten.<br />

Später organisierten Frauen<br />

wie Marie-Elisabeth Lüders den Frauenarbeitsmarkt.<br />

Zwei Dinge konnten<br />

nach diesen mörderischen Kriegsjahren<br />

<strong>nicht</strong> mehr in Zweifel gezogen<br />

werden: Frauen hatten sich als<br />

staatstreu und opferbereit erwiesen,<br />

und sie konnten jede Arbeit übernehmen,<br />

auch die schwerste. Das<br />

Stimmrecht bekamen sie vom Rat der<br />

Volksbeauftragten am 12. November<br />

1918. Endlich waren sie Bürgerinnen<br />

– aber schon drei Tage später schlossen<br />

Gewerkschaften und Arbeitgeber<br />

das »Zentralabkommen«, nach dem<br />

sämtliche aus dem Heeresdienst<br />

zurückkehrenden Arbeitnehmer einen<br />

Anspruch auf ihren alten Arbeitsplatz<br />

bekamen. Frauen wurden rigoros<br />

entlassen.<br />

Geradezu beispielhaft klafft hier der<br />

Abstand zwischen Recht und Realität.<br />

Der Gleichheitsanspruch gilt<br />

<strong>nicht</strong> mehr, wenn starke Gruppen<br />

ihre männlichen Interessen durchsetzen<br />

können, weil andere, h<strong>ist</strong>orisch<br />

gewachsenen Rechte und Gewohnheiten<br />

unverändert gelten. In diesem<br />

Fall das männliche Privileg, Kriegsdienst<br />

zu le<strong>ist</strong>en, verbunden mit der<br />

tradierten Ernährerrolle.<br />

FrauenRat 4/08<br />

Vom Wahlrecht zur Quote<br />

An der Wahl zur verfassungsgebendenNationalversammlung<br />

nahmen neunzig Prozent der<br />

Wählerinnen teil. Dass 9,6 Prozent<br />

weibliche Abgeordnete ins Parlament<br />

einzogen, war eine Sensation und<br />

wurde bis 1983 <strong>nicht</strong> wieder erreicht.<br />

In der Weimarer Verfassung hieß es<br />

dann: »Frauen und Männer haben<br />

grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen<br />

Rechte und Pflichten.« Gegen<br />

dieses »grundsätzlich«, das jederzeit<br />

Ausnahmen zuließ, hat dreißig Jahre<br />

später im Parlamentarischen Rat Elisabeth<br />

Selbert gekämpft. Auch das<br />

»staatsbürgerlich« bedeutete eine<br />

folgenreiche Einschränkung, denn<br />

alle männlichen Vorrechte, vor allem<br />

in Ehe und Familie, blieben unangetastet,<br />

so wie sie im durch und<br />

durch patriarchalischen Bürgerlichen<br />

Gesetzbuch von 1900 betoniert<br />

waren.<br />

Als 1948/49 der Parlamentarische Rat<br />

ein neues Grundgesetz für die Bundesrepublik<br />

ausarbeitete, war die weit<br />

überzählige weibliche Bevölkerung<br />

nur durch vier von insgesamt siebzig<br />

Mitgliedern vertreten, und sie waren<br />

sich in Sachen Gleichberechtigung<br />

keineswegs einig. Helene Wessel<br />

(Zentrum) und Helene Weber (CDU)<br />

wollten Artikel 3 unverändert aus der<br />

Weimarer Verfassung übernehmen;<br />

Elisabeth Selbert (SPD) beantragte die<br />

Änderung in »Männer und Frauen<br />

sind <strong>gleich</strong>berechtigt«; Friederike<br />

Nadig (SPD) war gegen diesen Vorschlag,<br />

weil damit das Familienrecht<br />

im BGB verfassungswidrig würde.<br />

Bekanntermaßen konnte Selbert<br />

sich schließlich mit großer Unterstützung<br />

durch Frauen in Verbänden<br />

und Gewerkschaften durchsetzen.<br />

Obwohl das Grundgesetz <strong>nicht</strong> nur<br />

die uneingeschränkte Gleichberechtigung<br />

einführte, sondern auch in Artikel<br />

117 festlegte, dass bis 1953 alle<br />

abweichenden Einzelgesetze, insbesondere<br />

im Bürgerlichen Gesetzbuch,<br />

dem neuen Grundrecht angepasst<br />

werden mussten, nahmen Parlament<br />

und Regierung sich weitere fünf Jahre<br />

Zeit, bis sie 1958 endlich unter ständigem<br />

Druck von außen das Gleichberechtigungsgesetz<br />

zustande brachten.<br />

Nach der Vereinigung der beiden<br />

deutschen Staaten gab es <strong>noch</strong><br />

einmal eine Grundsatzdebatte zur<br />

Gleichberechtigung. War Artikel 3<br />

als Feststellung zu verstehen – »ja,<br />

so <strong>ist</strong> es« oder als Versprechen<br />

– »so sollte es sein«? War Gleichberechtigung<br />

eng auszulegen als<br />

Rechts<strong>gleich</strong>heit oder war gemeint,<br />

dass Frauen und Männer in <strong>gleich</strong>er<br />

Weise überall zu beteiligen sind?<br />

Beziehen sich die Grundrechte nur<br />

auf das Verhältnis des Staates zu<br />

seinen Bürgerinnen und Bürgern<br />

oder auch auf das gesellschaftliche<br />

Zusammenleben? Als Antwort auf<br />

diese Fragen wurde 1994 Artikel<br />

3 um den wichtigen Satz ergänzt:<br />

»Der Staat fördert die tatsächliche<br />

Durchsetzung der Gleichberechtigung<br />

von Frauen und Männern und<br />

wirkt auf die Beseitigung bestehender<br />

Nachteile hin.« Gerade dass<br />

der Staat auf die Beseitigung von<br />

Nachteilen hinwirken soll, bewe<strong>ist</strong>,<br />

dass es eben <strong>nicht</strong> nur um formale<br />

Rechte geht, sondern um <strong>gleich</strong>e<br />

Behandlung. Hier <strong>ist</strong> ein Verfassungsauftrag<br />

formuliert, der meines<br />

Erachtens viel zu wenig beachtet<br />

und genutzt wird.<br />

Es war ein langer, steiniger Weg bis<br />

die Frau als Bürgerin dem männlichen<br />

Bürger rechtlich <strong>gleich</strong>gestellt wurde.<br />

Die Verfassung <strong>ist</strong> eindeutig, aber der<br />

politische Alltag? 1918 hatten Frauen<br />

das aktive und passive Wahlrecht<br />

bekommen, und genau siebzig Jahre<br />

später führte die SPD die Quote von<br />

vierzig Prozent für Kandidaturen und<br />

Parteiämter ein. Die Grünen waren<br />

etwas früher dran mit der höheren<br />

Quote von fünfzig Prozent und der<br />

Doppelbesetzung von Spitzenämtern.<br />

Die CDU hat ein weiches Quorum<br />

eingeführt. Warum war das nötig?<br />

Hatte die Demokratie versagt, war<br />

es die Schuld der Parteien oder der<br />

Frauen selbst?<br />

Auch dieses Beispiel zeigt, dass das<br />

Recht zwar Voraussetzungen schafft,<br />

aber <strong>nicht</strong> naturwüchsig zur Gleichheit<br />

führt. Der Ausschluss von allem<br />

Politischen gerade in der frühen<br />

Entwicklungsphase der Demokratie,<br />

Kriege und die brutale Unterbrechung<br />

des Emanzipationsprozesses durch


den Nationalsozialismus haben tiefe<br />

Spuren gezogen.<br />

Frauen – das andere Geschlecht<br />

Ebenso wirksam war und <strong>ist</strong> die<br />

Herausbildung des »anderen<br />

Geschlechts« seit der europäischen<br />

Aufklärung. An ihr haben Philosophen,<br />

Mediziner, Ökonomen und<br />

Dichter theoretisch wie praktisch<br />

gewirkt. Im Verlauf des 17. und 18.<br />

Jahrhunderts trat die Vernunft an die<br />

Stelle des Glaubens und entzog der<br />

»gottgewollten« irdischen Ordnung<br />

des Feudalismus die Legitimation.<br />

Gleichzeitig wurden Frauen und<br />

Männern, die nun <strong>nicht</strong> mehr durch<br />

Geburt ihren Platz in der Gesellschaft<br />

einnahmen, bestimmte Eigenschaften<br />

zugedacht, die die Natur des jeweiligen<br />

Geschlechts ausmachen sollten:<br />

Mann <strong>ist</strong> <strong>gleich</strong> Ge<strong>ist</strong>, Verstand<br />

und Aktivität; Frau <strong>ist</strong> <strong>gleich</strong> Körper,<br />

Gefühl, Passivität. Und so, wie der<br />

Ge<strong>ist</strong> den Körper beherrscht, der<br />

Verstand das Gefühl und die Aktivität<br />

die Passivität – so beherrscht der<br />

Mann die Frau. Mit den gegensätzlichen,<br />

über- und untergeordneten<br />

Geschlechtscharakteren schuf so die<br />

»Natur« wieder eine unhinterfragbare<br />

Ordnung. Und die wurde dringend<br />

gebraucht, denn <strong>nicht</strong> nur der Glaube<br />

und die weltliche Herrschaft wankten;<br />

der Übergang von einer bäuerlichen<br />

zur industriellen Produktionsweise<br />

erforderte völlig neue Arbeitsstrukturen.<br />

Auf die fortschreitende Trennung<br />

von außerhäuslicher Produktion in<br />

der Verantwortung des Mannes und<br />

häuslicher Reproduktion in weiblicher<br />

Hand waren die gegensätzlichen<br />

Geschlechtscharaktere passgenau<br />

zugeschnitten. Nichts anderes als ihre<br />

Gebärfähigkeit definierte die Aufgaben,<br />

Fähigkeiten und Eigenschaften<br />

der Frau. Was sie im Haus tut, <strong>ist</strong><br />

<strong>nicht</strong> Arbeit, sondern Ausdruck ihrer<br />

natürlichen Bestimmung – <strong>nicht</strong><br />

zuletzt deshalb werden »weibliche«<br />

Tätigkeiten des Pflegens, Hütens und<br />

Versorgens auch als Beruf bis heute<br />

schlechter bezahlt. Dagegen entsteht<br />

männliche Identität gerade durch<br />

Arbeit. Und dies keineswegs nur in<br />

bürgerlichen Schichten. Auch die<br />

Arbeiterin sollte vom »unnatürlichen«<br />

Zwang zur Arbeit befreit werden.<br />

Im Verlauf des 19. und bis weit ins<br />

20. Jahrhundert hinein wurden diese<br />

Wesenstrennung und ihre praktischen<br />

Folgen vertieft und verstetigt, gipfelnd<br />

in Sigmund Freuds Behauptung,<br />

die Frau sei ein misslungener Mann<br />

und der Penisneid ihr Schicksal. Einem<br />

»Schicksal« aber kann niemand entrinnen.<br />

Die radikale Wende brachte<br />

erst Simone de Beauvoirs Erkenntnis<br />

»Man wird <strong>nicht</strong> zur Frau geboren,<br />

man wird dazu gemacht«. Wenn<br />

<strong>nicht</strong> die Natur die Geschlechter<br />

vorgibt, sondern im weitesten Sinn<br />

soziale Bedingungen sie prägen,<br />

dann lässt sich alles neu denken und<br />

verändern. Vieles hat sich seitdem im<br />

Denken verändert, sowohl durch die<br />

Thema<br />

Unterscheidung von Sex und Gender<br />

als auch durch die Erforschung der<br />

Geschlechterrollen und -verhältnisse.<br />

Das praktische Leben hat manche<br />

Rollenzuschreibungen außer Kraft<br />

gesetzt. Mir scheint jedoch: Je<br />

erkennbarer weibliche wie männliche<br />

Rollenmuster <strong>nicht</strong> mehr zu neuen<br />

Arbeitsstrukturen in der Wissens- und<br />

Dienstle<strong>ist</strong>ungsproduktion passen,<br />

umso leichter werden sie einerseits<br />

überwunden – und andererseits wortgewaltig<br />

verteidigt.<br />

Inge von Bönninghausen <strong>ist</strong> Journal<strong>ist</strong>in<br />

und ehemalige WDR-Fernsehredakteurin;<br />

von 2003 bis 2004 war sie Vorsitzende<br />

des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es.<br />

Hagemann-Fibel von Bernhard Schreiber. Hagemann-Verlag, Düsseldorf, S. 2<br />

FrauenRat 4/08<br />

1968

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