Der Jahresbericht 2007 als Download (568 KB) - Deutscher Frauenrat
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DEUTSCHER<br />
FRAUENRAT<br />
Das Jahr<br />
<strong>2007</strong><br />
The Year
Vorwort Lobbyarbeit mit Glanzlichtern<br />
Preface<br />
Themen Doppelbelastung behindert Karriere<br />
Topics<br />
Rückblick auf das Jahr <strong>2007</strong><br />
Lobbying Highlights<br />
The year <strong>2007</strong> in review . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
Double Workloads Hurt Career Chances<br />
Meeting with Chancellor Angela Merkel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
Wertvoll – Frauen in Europa<br />
50 Jahre Europäische Union<br />
Valuable – Women in Europe<br />
European Union celebrates fifty-year anniversary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
Keine Religion steht über dem Gesetz<br />
Tagung der Europäischen Frauenlobby<br />
No Religion Is above the Law<br />
Conference of the European Women’s Lobby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
180.000 x Abpfiff<br />
Übergabe der Kampagne-Unterschriften<br />
180,000 Signatures for “Final Whistle”<br />
Lists submitted to the Federal Parliament. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
Opferschutz und Menschenrechte<br />
Ein Jahr nach der Kampagne »Abpfiff« – eine Bilanz<br />
Victim Protection and Human Rights<br />
Taking stock one year after the “Final Whistle” campaign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
Nicht akzeptabel<br />
Stellungnahme zum neuen Zuwanderungsgesetz<br />
Unacceptable<br />
New immigration legislation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
Würde und Selbstbestimmung<br />
Positionen zur Pflegereform<br />
Dignity and Self-Determination<br />
Position on the nursing care insurance reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
Fortschritt oder Flopp?<br />
Die Pflegereform<br />
Flight or Flop?<br />
The nursing care reform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
Auf Augenhöhe<br />
Treffen mit Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen<br />
Seeing Eye to Eye<br />
Meeting with Family Minister Ursula von der Leyen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
Individualbesteuerung statt Familiensplitting<br />
Aufruf<br />
Individual instead of joint taxation for family members<br />
Call for action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
Ausgezeichnet<br />
Bundesverdienstkreuz für Frauen<br />
Honoured<br />
National Order of Merit for women . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
Die feministische Prinzessin<br />
Zu Besuch: Sheikha Haya Rashed Al Khalifa<br />
The Feminist Princess<br />
A visit by Sheikha Haya Rashed al-Khalifa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Beschlüsse Politischer Auftrag<br />
Beschlüsse <strong>2007</strong> (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Lobbyarbeit mit Glanzlichtern<br />
Rückblick auf das Jahr <strong>2007</strong><br />
Erfreut und auch ein wenig stolz präsentieren wir unseren <strong>Jahresbericht</strong> <strong>2007</strong>, in dem<br />
wir unsere wichtigsten Aktivitäten aus dem vergangenen Jahr zusammengefasst<br />
haben. Denn es ist dem Deutschen <strong>Frauenrat</strong> gelungen, auf vielen Politikfeldern zu<br />
arbeiten und dort unverzichtbare frauen- und gleichstellungspolitische Aspekte<br />
einzubringen. Bemerkenswert ist, dass inzwischen die Familienpolitik der<br />
Bundesregierung deutliche gleichstellungspolitische Ansätze aufweist, deren Fehlen<br />
wir lange kritisiert haben.<br />
Ein zentrales Thema war die Pflegereform, die uns auch 2008 weiter beschäftigen<br />
wird. Denn der Pflegebedarf in unserer alternden Gesellschaft wächst, dabei tragen<br />
Frauen nicht nur die Hauptlast der Pflege, sondern stellen auch die Mehrzahl der<br />
Pflegebedürftigen. Unser Hauptanliegen aber ist, dass Pflegeaufgaben weder<br />
einseitig zulasten von Frauen gehen noch individualisiert werden.<br />
Wie zu befürchten war, ist nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 das von uns<br />
skandalisierte und viel beachtete Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution<br />
wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden. In Gesprächen und Veranstaltungen mit<br />
ParlamentarierInnen und in einer Stellungnahme zum neuen Zuwanderungsgesetz<br />
haben wir versucht, es auf der politischen Agenda zu halten.<br />
Einer der größten Erfolge im Jahr <strong>2007</strong> war, dass die »Zwangsverrentung« ab dem<br />
58. Lebensjahr gestoppt, bzw. die Altersgrenze auf das 63. Lebensjahr verschoben<br />
werden konnte. Einen wichtigen Beitrag dazu hat eine konzertierte Aktion mehrerer<br />
großer Verbände geleistet, bei der der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> mit dabei war.<br />
Das erste Halbjahr <strong>2007</strong> war auch für die Frauenlobby thematisch bestimmt von der<br />
deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Immer wieder haben wir von der Regierung<br />
gefordert, Gleichstellungspolitik zu einem Querschnittsthema der Ratspräsidentschaft<br />
zu machen. Zugegebenermaßen mit wenig Erfolg. Auf einem großen Straßenfest<br />
anlässlich des 50. Jahrestages der EU-Gründung stellten wir die Themen<br />
Entgeltgleichheit, Altersarmut, illegale Beschäftigung und Migration öffentlich zur<br />
Diskussion. Zunehmend bedeutender wird die Arbeit auf europäischer und<br />
internationaler Ebene. Die Tagung »Frauen – Religionen – Europa: Nachdenken über<br />
ein spannendes Verhältnis«, die wir zusammen mit der Europäischen Frauenlobby<br />
realisiert haben, steht beispielhaft für dieses Arbeitsfeld.<br />
Was wäre Lobbyarbeit ohne das unmittelbare Gespräch mit EntscheidungsträgerInnen<br />
oder ohne Glanzlichter? Wir hatten einige davon: das Gespräch des<br />
Vorstandes mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Besuch der Sheika Haya Rashed<br />
Al Khalifa, zum damaligen Zeitpunkt Präsidentin der UN-Generalversammlung, oder<br />
die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes – einmal nur an Frauen – durch den<br />
Bundespräsidenten.<br />
So weit unser Rückblick, der gleichzeitig auch Vorschau ist und hoffentlich Interesse<br />
weckt, die Arbeit des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es weiter zu verfolgen und zu<br />
unterstützen.<br />
Brunhilde Raiser<br />
Vorsitzende<br />
Lobbying Highlights<br />
The year <strong>2007</strong> in review<br />
The <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> (National Council<br />
of German Women’s Organizations) is<br />
pleased and <strong>als</strong>o proud to present the<br />
summary of last year’s major activities in<br />
our <strong>2007</strong> Annual Report. Of particular note<br />
is that the family policies of the federal<br />
government, which we had long been<br />
criticizing, are now showing clear signs of<br />
an equal opportunity approach.<br />
One of our major concerns of last year,<br />
which will <strong>als</strong>o carry over into 2008, is the<br />
proposed reform of the nursing care<br />
system. As our society ages, the need for<br />
nursing care will <strong>als</strong>o increase. Not only do<br />
women perform the majority of care work,<br />
they <strong>als</strong>o form the majority of those who<br />
need care. Our main concern here is that<br />
this load does not fall overwhelmingly on<br />
the shoulders of women<br />
Our campaign against human trafficking<br />
and forced prostitution, held in conjunction<br />
with the 2006 Football World Cup in<br />
Germany, aroused much public attention<br />
and concern. But as feared, this issue has<br />
largely vanished once again from public<br />
debate. We have been working to keep it<br />
on the political agenda.<br />
One of our greatest successes in <strong>2007</strong> was<br />
helping to block the clause requiring<br />
“compulsory retirement” and lower<br />
benefits at age 58 for unemployed persons,<br />
or rather shifting it to age 63.<br />
In the first six months of <strong>2007</strong>, our<br />
activities were largely influenced by the<br />
fact that Germany held the presidency of<br />
the European Council. At a large fair to<br />
mark the 50th anniversary of the European<br />
Union, we organized public discussions of<br />
equal pay for men and women, old-age<br />
poverty, undocumented labour and<br />
immigration. Work on the European and<br />
international levels is assuming ever<br />
greater importance. The conference<br />
“Women – Religions – Europe: Exploring<br />
an intriguing relationship”, which we<br />
organized together with the European<br />
Women’s Lobby, is one example of this<br />
development.<br />
An essential part of lobbying work consists<br />
of direct contact with decision makers. The<br />
year’s highlights in this regard included<br />
above all the meeting with Chancellor<br />
Angela Merkel, and secondly a visit to our<br />
offices by Sheika Haya Rashed al-Khalifa<br />
who was President of the UN General<br />
Assembly at the time.<br />
Brunhilde Raiser<br />
President
2 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Im Bundeskanzlerinamt:<br />
Angela Merkel mit dem Vorstand<br />
des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es<br />
At the Federal Chancellery:<br />
Angela Merkel with the Board of the<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong><br />
Double Workloads<br />
Hurt Career Chances<br />
Meeting with Chancellor<br />
Angela Merkel<br />
Gender mainstreaming, said Angela Merkel<br />
to her guests right at the start, is an idea<br />
that is very hard to get across, and is <strong>als</strong>o<br />
hard to put into policy. With a start like this,<br />
the meeting on September 19 between the<br />
Board of the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> and<br />
Chancellor Merkel could only improve.<br />
And it did. Held at the federal chancellery<br />
and <strong>als</strong>o attended by Minister of State<br />
Maria Böhmer who is the Commissioner for<br />
Migration, Refugees, and Integration, the<br />
discussion was detailed and objective. It<br />
focused on ways to combine work and a<br />
family, on the reform of the health and<br />
nursing care system, on immigration and<br />
integration, and on education and research.<br />
The participants all agreed that the new<br />
generous state subsidies for parental leave<br />
and the planned expansion of childcare<br />
centres represent a significant step toward<br />
enabling people to balance work and a<br />
family. The Board of the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong> therefore gives positive marks to<br />
the equal opportunity approach taken by<br />
current family-related policy.<br />
Health and nursing care reform<br />
At the same time, the Board drew attention<br />
to major weaknesses for gender equality in<br />
Doppelbelastung<br />
behindert Karriere<br />
Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
Gender Mainstreaming, ließ Angela Merkel<br />
ihre Gäste zum Auftakt wissen, sei <strong>als</strong><br />
Begriff kaum zu vermitteln und auch politisch<br />
schwer handhabbar. So eingestimmt<br />
konnte das Gespräch, das der Vorstand<br />
des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es am 19. September<br />
mit der Bundeskanzlerin führte,<br />
nur noch besser werden.<br />
Das wurde es auch. Denn die Runde im<br />
Kanzlerinnenamt, an der auch die Beauftragte<br />
für Migration, Flüchtlinge und<br />
Integration, Staatsministerin Maria Böhmern<br />
teilnahm, diskutierte sachlich und<br />
auf den Punkt. Die Themen waren:<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheits-<br />
und Pflegereform, Zuwanderung<br />
und Integration, Bildung und Forschung.<br />
Einig waren sich die Gesprächspartnerinnen,<br />
dass das Elterngeld und der geplan-<br />
te Ausbau der Kinderbetreuung die Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf – nicht<br />
nur für Frauen, sondern auch für Männer<br />
– einen guten Schritt vorangebracht haben.<br />
Die DF-Vorsitzende, Brunhilde Raiser,<br />
wertete dabei den gleichstellungspolitischen<br />
Ansatz der aktuellen Familienpolitik<br />
positiv.<br />
Gesundheits- und Pflegereform<br />
Gleichzeitig wies sie aber auch auf offensichtliche<br />
gleichstellungspolitische Schwachstellen<br />
der aktuellen Reformpolitik hin.<br />
Zum Beispiel sei die Gesundheitsreform<br />
trotz vielfältiger Erkenntnisse aus der medizinischen<br />
Forschung und Praxis ohne die<br />
mindeste Berücksichtigung des geforderten<br />
Gender Mainstreaming durchgeführt<br />
worden. Sie hoffe, so Raiser, dass sich das<br />
beim Thema Pflege, das vor allem Frauen<br />
betrifft, nicht wiederhole.
Das Jahr <strong>2007</strong> 3<br />
Gesundheitsreformen, so Bundeskanzlerin<br />
Merkel, seien immer ein schwieriges Thema,<br />
bei dem stets monetäre Aspekte im<br />
Vordergrund stünden. Dem Thema Pflege<br />
räumte sie hohe Bedeutung ein. Ziel der<br />
Reform sei es, weg von illegaler Beschäftigung<br />
zu kommen, auch wenn die Bezahlung<br />
immer ein großes Problem sei. Außerdem<br />
müsse die ambulante Pflege vorangebracht<br />
werden, auch wenn dahinstünde,<br />
ob dies auf Frauen ausschließlich<br />
positive Auswirkungen habe.<br />
Zuwanderung<br />
<strong>Der</strong> Deutsche <strong>Frauenrat</strong> lobte, dass das<br />
Thema Integration unter der Bundeskanzlerin<br />
einen höheren Stellenwert <strong>als</strong> bisher<br />
erhalten habe. Die stellvertretende DF-<br />
Vorsitzende, Brigitte Triems, bemängelte<br />
aber auch die große Diskrepanz zwischen<br />
den im Nationalen Integrationsplan geäußerten<br />
guten Absichten und dem neuen<br />
Zuwanderungsgesetz. Sie kritisierte dabei<br />
vor allem die vorgeschriebenen<br />
Deutschkenntnisse, die Einwanderungswillige<br />
aus nicht-visumsfreien Ländern<br />
zukünftig nachweisen müssen, <strong>als</strong> »Auslese«<br />
in erwünschte und nicht erwünschte<br />
MigrantInnen. Ferner zweifelte sie den<br />
praktischen Nutzen und die Durchführbarkeit<br />
dieser Maßnahme an und äußerte<br />
Bedenken hinsichtlich der Qualität der geplanten<br />
Integrationskurse. Denn in den<br />
Curricula werde der Verfasstheit und gesellschaftlichen<br />
Realität Deutschlands zu<br />
wenig Zeit eingeräumt. Besonders das<br />
Thema Gleichberechtigung, das in der Integrationsdebatte<br />
eine große Rolle spiele,<br />
komme darin so gut wie nicht vor.<br />
Bundeskanzlerin und Staatsministerin begründeten<br />
die Sinnhaftigkeit des Deutschkenntnisnachweises<br />
damit, dass Migrantinnen,<br />
besonders aus der Türkei, in der<br />
Lage sein sollten, in Deutschland auch<br />
ohne Hilfe ihrer Männer in der Landessprache<br />
zu kommunizieren. Das sei eine<br />
Frage der eigenen Überlebensfähigkeit, so<br />
die Bundeskanzlerin. Maria Böhmer verwies<br />
darauf, dass in der Türkei rund<br />
500.000 Mädchen nie eine Schule von innen<br />
sähen. Die neue Regelung im Zuwanderungsgesetz<br />
sei somit auch ein Signal an<br />
die Eltern, Mädchen in die Schule zu<br />
schicken und nicht zu früh dort herauszuholen.<br />
Im Übrigen setze sie sich dafür ein,<br />
dass die Rückkehrfrist für Zwangsverheiratete<br />
auf zwei Jahre angehoben werde.<br />
Die bisher im Gesetz festgelegte Frist von<br />
sechs Monaten war von Frauen- und Menschenrechtsverbänden,<br />
auch vom Deutschen<br />
<strong>Frauenrat</strong>, <strong>als</strong> viel zu kurz kritisiert<br />
worden.<br />
Das Zuwanderungsgesetz, sagte Angela<br />
Merkel abschließend, wolle eine positive<br />
Botschaft aussenden. Natürlich fänden<br />
sich immer einige Fälle, für die es ungerecht<br />
sei, dafür gäbe es Härtefallregelungen.<br />
Im Übrigen müsse sich seine Tauglichkeit<br />
in der Praxis erweisen.<br />
Berufswahl und Innovation<br />
Einig waren sich die Gesprächspartnerinnen<br />
in der Notwendigkeit, Mädchen und<br />
junge Frauen stärker für technische Berufe<br />
zu gewinnen. Denn sonst, so die<br />
Bundeskanzlerin, gerate die Innovationsfähigkeit<br />
des Landes in Gefahr. Aus eigener<br />
Erfahrung wisse sie, dass Mädchen<br />
anders an Technik herangeführt werden<br />
müssten <strong>als</strong> Jungen. Darauf nähmen die<br />
Schulen aber bislang zu wenig Rücksicht.<br />
Einigkeit bestand auch darin, dass sich das<br />
Spektrum der Berufswahl nicht nur für<br />
junge Frauen, sondern auch für junge<br />
Männer erweitern müsse.<br />
Die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie, so Angela Merkel, sei auch<br />
deswegen so wichtig, weil besonders in<br />
technischen Berufen eine Unterbrechung<br />
schon von wenigen Jahren das Aus für die<br />
Karriere bedeute. Unter einer Doppelbelastung<br />
sei sie aber ebenso wenig zu<br />
schaffen.<br />
the current healthcare reform. For example,<br />
despite widespread documented results<br />
from medical research and practice, the<br />
reform was put through without the least<br />
account taken of demands for gender<br />
mainstreaming. Expressed in terms of<br />
hope, the Board called for this mistake not<br />
to be repeated in the upcoming reform of<br />
the nursing care system.<br />
Healthcare reforms, according to<br />
Chancellor Merkel, are always difficult due<br />
to the central role played by funding. She<br />
regards nursing care as a very important<br />
issue. The aim of the reform is to reduce<br />
undocumented labour in this sector even<br />
though funding will always remain a major<br />
problem. In addition, priority must be<br />
placed on expanding out-patient care<br />
services.<br />
Immigration<br />
The <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> appreciates the<br />
fact that more attention has been paid to<br />
integration under Chancellor Merkel than<br />
before. But otherwise the positions taken<br />
by the DF and the federal government<br />
diverge markedly. The women’s lobby<br />
criticized the large discrepancy between<br />
the good intentions expressed in the<br />
National Integration Plan and the actual<br />
content of the new Immigration Act. In<br />
particular, the German language skills that<br />
need to be demonstrated by potential<br />
immigrants from non-visa-free countries<br />
essentially “select” between desired and<br />
undesired candidates.<br />
By contrast, both the Chancellor and the<br />
Minister of State view the Act as a<br />
“positive sign” to potential immigrants,<br />
and defend requirements such as language<br />
skills and integration courses as measures<br />
that protect especially women immigrants.<br />
Innovation and choice of profession<br />
Angela Merkel and her guests once again<br />
reached agreement in the areas of training<br />
and education, particularly regarding the<br />
need to attract more girls and young<br />
women to technical professions. If not, said<br />
the Chancellor, this will jeopardize the<br />
country’s capacity for innovation. At the<br />
same time, she noted that the range of<br />
professions must be expanded not only for<br />
young women but <strong>als</strong>o for young men.<br />
According to the Chancellor, the reason<br />
why it is so important to successfully<br />
balance a job and a family is that especially<br />
in the technical professions, taking a few<br />
years off work usually means an end to the<br />
career. But those same careers are just as<br />
hard to manage under a double workload.
4 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Valuable –<br />
Women in Europe<br />
European Union celebrates fiftyyear<br />
anniversary<br />
Hundreds of thousands of people – and the<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> as well – celebrated<br />
the 50th anniversary of the European<br />
Union in Berlin on March 25. At a fair held<br />
at the Brandenburg Gate, federal<br />
ministries, foreign embassies, and major<br />
institutions of civil society hosted a<br />
colourful entertainment programme. The<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> presented its lobbying<br />
activities under the motto of “Valuable –<br />
Women in Europe”.<br />
A bit of history: On 25 March 1957, the<br />
“Treaties of Rome” laid the foundation for<br />
the newly formed economic community.<br />
Included therein was the principle of<br />
“equal pay for equal work”. But fifty years<br />
later, what is the status of economic<br />
equality for women and men? To answer<br />
this question, the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong><br />
invited experts to address the public and<br />
answer questions.<br />
Women pensioners deserve more<br />
Lydia la Riviere-Zydel, a former president of<br />
the European Women’s Lobby (EWL) spoke<br />
about how pension systems discriminate<br />
against women. In many EU member states,<br />
women’s pensions at the end of their<br />
working careers pay only half as much as<br />
men’s. Women are therefore much more<br />
susceptible to old-age poverty. Thus far<br />
pension system reforms have not eliminated<br />
structural disadvantages for women.<br />
A decent existence for all<br />
Europe is one of the wealthiest regions in<br />
the world. Despite that, poverty continues<br />
to be one of the biggest problems in the<br />
European Union – because poverty is<br />
relative. According to a recent study by the<br />
EU Commission, around 16 percent of the<br />
EU population lives in relative poverty.<br />
Women, and especially single mothers, are<br />
affected to a disproportionate degree.<br />
Christine Bergmann, who was the German<br />
Minister of Family Affairs from 1998 to<br />
2002, spoke about the vicious circle of a<br />
lack of educational opportunities, lower<br />
professional qualifications, an impenetrable<br />
labour market, low wages, “mini-jobs”<br />
(below the income level for mandatory<br />
healthcare and pension benefits), and the<br />
lack of childcare facilities. As a former<br />
member of the Ombudsrat, an independent<br />
advisory council established by the<br />
SPD/Green coalition government in 2004<br />
to monitor implementation of the Hartz IV<br />
labour market reform and especially the<br />
Völker hört die Signale: auf dem EU-Fest in Berlin<br />
At the EU anniversary celebration in Berlin<br />
Wertvoll – Frauen in Europa<br />
50 Jahre Europäische Union<br />
Hunderttausende Menschen feierten am<br />
25. März in Berlin den 50. Geburtstag der<br />
Europäischen Union – und der Deutsche<br />
<strong>Frauenrat</strong> feierte mit. Rund um das Brandenburger<br />
Tor präsentierten sich Bundesministerien,<br />
Botschaften und Institutionen<br />
der Zivilgesellschaft mit einem bunten Unterhaltungsprogramm.<br />
Die Frauenlobby<br />
stellte ihren politischen Auftritt unter das<br />
Motto »Wertvoll – Frauen in Europa«.<br />
Zur Erinnerung: Am 25. März 1957 wurde<br />
mit den Römischen Verträgen der Grundstein<br />
für die neue Wirtschaftsgemeinschaft<br />
gelegt. Eingang fand darin auch das<br />
Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«.<br />
Wie aber steht es fünfzig Jahre später mit<br />
der ökonomischen Gleichstellung von<br />
Frauen und Männern?, fragte der Deutsche<br />
<strong>Frauenrat</strong> und lud Expertinnen zum<br />
öffentlichen Gespräch.<br />
Rentnerinnen verdienen mehr<br />
Lydia la Rivière-Zydel, ehemalige Präsidentin<br />
der Europäischen Frauenlobby (EWL),<br />
sprach über die Benachteiligung von Frauen<br />
durch die Rentensysteme. In vielen<br />
Mitgliedsstaaten erhalten Frauen am Ende<br />
ihres Erwerbslebens bis zu fünfzig Prozent<br />
weniger Rente <strong>als</strong> Männer. Dadurch liegt<br />
ihr Armutsrisiko im Alter deutlich höher.<br />
Die bisherigen Reformen an den Rentensystemen<br />
haben die strukturelle Diskriminierung<br />
nicht behoben.<br />
Menschenwürdiges Dasein für alle<br />
Europa ist eine der reichsten Regionen der<br />
Welt. Trotzdem ist Armut in der Europäischen<br />
Union nach wie vor eines der größten<br />
Probleme. Denn Armut ist relativ. Nach<br />
einer jüngsten Studie der EU-Kommission
Das Jahr <strong>2007</strong> 5<br />
leben etwa 16 Prozent der Bevölkerung in<br />
der Europäischen Union in relativer Armut.<br />
Frauen, vor allem alleinerziehende Mütter,<br />
sind überdurchschnittlich davon betroffen.<br />
Christine Bergmann, von 1998 bis 2002<br />
Bundesfrauenministerin, sprach über den<br />
Teufelskreis aus fehlenden Bildungschancen,<br />
geringer beruflicher Qualifikation, undurchlässigem<br />
Arbeitsmarkt, Niedriglöhnen,<br />
Minijobs, fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen.<br />
Das ehemalige Mitglied<br />
des Ombudsrates, der 2004 von der<br />
damaligen rot-grünen Bundesregierung <strong>als</strong><br />
unabhängiges Gremium eingesetzt wurde,<br />
um die Umsetzung der Arbeitsmarktreform<br />
Hartz IV und hier insbesondere die<br />
Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG<br />
II) zu begleiten, musste sich auch der Kritik<br />
an den Hartz-Gesetzen stellen. Christine<br />
Bergmann zweifelte aber Behauptungen<br />
an, dass durch das ALG II die Anzahl armer<br />
Haushalte angestiegen sei.<br />
Sicherheit durch Legalität<br />
Weil die legale Arbeitsmigration in den<br />
Mitgliedsstaaten der EU nur eingeschränkt<br />
zugelassen ist, stieg die vorübergehende<br />
und irreguläre Arbeitsmigration stark an.<br />
Frauen machen heute gut die Hälfte der<br />
WanderarbeiterInnen innerhalb Europas<br />
aus. Sie arbeiten vorwiegend im Bereich<br />
der haushaltsnahen Dienstleistungen oder<br />
aber in der Prostitution und erleben besonders<br />
<strong>als</strong> irreguläre Migrantinnen nicht<br />
nur Ausbeutung, sondern Rechtlosigkeit<br />
und Gewalt. Über Wege und Beschäftigungsbedingungen<br />
von Arbeitsmigrantinnen<br />
in Europa sprach Sonja Marko, die <strong>als</strong><br />
Referentin für Migration bei der Dienstleistungegesellschaft<br />
ver.di arbeitet.<br />
Neben diesen Gesprächen konnten sich<br />
Festmeilen-BesucherInnen im Zelt des<br />
Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es über die Arbeit der<br />
Frauenlobby informieren, mit Vorstandsmitgliedern<br />
und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle<br />
diskutieren und an einem<br />
»Frauen-in-Europa-Quiz« teilnehmen.<br />
Ein gelungener und seriöser Auftritt, wie<br />
viele BesucherInnen bestätigten, der einmal<br />
mehr das europäische Engagement<br />
des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es ins rechte Licht<br />
rückte.<br />
Broschüre »Wertvoll – Frauen in Europa«:<br />
www.frauenrat.de/files/Kampagne_<br />
wertvoll_dt.pdf<br />
new welfare payment scheme (ALG II),<br />
Christine Bergmann had to respond to<br />
criticism of the Hartz regulations. She did<br />
not agree with assertions, however, that<br />
the ALG II welfare reform had led to an<br />
increase in the number of households<br />
below the poverty line.<br />
Legalizing labour migration<br />
Because labour migration among member<br />
states of the European Union is subject to<br />
legal limitations, there has been a sharp<br />
increase in temporary and undocumented<br />
migration. Women currently make up a<br />
good half of the migrant workforce in<br />
Europe. They are active primarily in the<br />
household services sector, although <strong>als</strong>o in<br />
prostitution. Their undocumented status<br />
makes them vulnerable not only to<br />
economic exploitation, but <strong>als</strong>o to criminal<br />
activity and violence. Sonja Marko, an<br />
expert at the ver.di trade union on migrant<br />
labour in the service sector, spoke about the<br />
conditions for migrant workers in Europe.<br />
In addition to these talks, visitors to the<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>’s tent on the<br />
fairgrounds took the opportunity to find out<br />
more about the organization’s lobbying<br />
work, speak with board members and staff,<br />
and take part in a “Women in Europe Quiz”.<br />
The “Wertvoll – Women in Europe” booklet<br />
(English) is available at:<br />
www.frauenrat.de/files/Kampagne_<br />
wertvoll_en.pdf
6 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
No Religion<br />
Is above the Law<br />
Conference of the European<br />
Women’s Lobby<br />
“Women – Religions – Europe: Exploring<br />
an intriguing relationship” – This was the<br />
topic of the seminar that the European<br />
Women’s Lobby (EWL) held in Potsdam on<br />
May 18 together with the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong>.<br />
The seminar was based on a position<br />
paper that the EWL had released in 2006<br />
on “Religions and Women’s Human<br />
Rights”, which critically examines the<br />
influence of religions, especially<br />
patriarchal variants, on the situation of<br />
women in European societies, and <strong>als</strong>o<br />
questions the role models that religions<br />
and/or religious communities convey to<br />
women.<br />
Dr. Christina von Braun, a professor of<br />
cultural studies in Berlin, provided an<br />
insightful introduction to the general<br />
topic. Using both images and text as<br />
examples, she showed how differently the<br />
relations between women and men in the<br />
three “religions of the book” (Judaism,<br />
Christianity, Islam) have been and<br />
continue to be constructed, as well as the<br />
symbolic significance of these<br />
constructions within the religions. She<br />
<strong>als</strong>o examined how and why the<br />
phenomenon of secularization, which has<br />
taken different developmental paths and<br />
is <strong>als</strong>o understood differently in different<br />
European countries, could only have<br />
arisen in a predominately Christian<br />
context.<br />
Two major aspects of the topic were then<br />
examined in greater detail, namely<br />
“Religions, Women and Fundamentalism”<br />
and “Religions and Role Models”.<br />
Discussion clearly revealed that<br />
fundamentalist currents are not unique to<br />
a single religion – although public debate<br />
in this area focuses more often than not<br />
on Islam – and that certain traditions<br />
(such as wearing a headscarf or veil)<br />
cannot be interpreted solely as an<br />
expression of fundamentalist leanings. The<br />
conclusion reached by many participants<br />
was that we are more than ever in need of<br />
prudent, questioning and self-critical<br />
dialogue with each other in order to<br />
address these difficult questions in a<br />
fruitful manner.<br />
Documentation of the conference:<br />
www.frauenrat.de –> English –> Further<br />
Information<br />
Keine Religion<br />
steht über dem Gesetz<br />
Tagung der Europäischen Frauenlobby<br />
»Frauen – Religionen – Europa: Nachdenken<br />
über ein spannendes Verhältnis.« Unter<br />
diesem Titel stand das Seminar, das die<br />
Europäische Frauenlobby (WEWL)n Kooperation<br />
mit dem Deutschen <strong>Frauenrat</strong><br />
am 18. Mai im Potsdam durchführte.<br />
Hintergrund war u.a. das 2006 von der<br />
EWL beschlossene Positionspapier »Religionen<br />
und Menschenrechte von Frauen«,<br />
das sich kritisch mit dem Einfluss von Religionen,<br />
insbesondere von patriarchalischen<br />
religiösen Strömungen, auf die Situation<br />
von Frauen in den europäischen<br />
Gesellschaften beschäftigt und auch danach<br />
fragt, welche Rollenbilder für Frauen<br />
von Religionen und/oder Religionsgemeinschaften<br />
transportiert werden.<br />
Die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Christina<br />
von Braun führte grundlegend in die<br />
Thematik ein. Sie zeigte anhand sprachlicher<br />
und bildlicher Beispiele auf, wie unterschiedlich<br />
in den drei Buchreligionen<br />
(Judentum, Christentum, Islam) das Verhältnis<br />
der Geschlechter zueinander konstruiert<br />
wurde (und wird) und welche symbolische<br />
Bedeutung es innerhalb dieser<br />
Religionen jeweils hat . Ferner ging es darum,<br />
wie und warum das Phänomen der<br />
Säkularisierung, das in den europäischen<br />
Staaten unterschiedlich entwickelt ist und<br />
verstanden wird, nur im überwiegend vom<br />
Christentum geprägten europäischen<br />
Raum entstehen konnte. Säkularisierung,<br />
so eine ihrer Thesen, habe nicht das Christentum<br />
beendet, sondern es in den staatlichen/gesellschaftlichen<br />
Raum überführt.<br />
Im Folgenden wurden zwei der wichtigsten<br />
Aspekte genauer betrachtet: »Religionen,<br />
Frauen und Fundamentalismus« sowie<br />
»Religionen und Rollenbilder«. Deutlich<br />
wurde dabei, dass fundamentalistische<br />
Strömungen nicht allein einer Religion – in<br />
der öffentlichen Debatte oft genug dem Islam<br />
– zugeschrieben bzw. bestimmte Traditionen<br />
(wie das Tragen eines Kopftuchs)<br />
nicht allein <strong>als</strong> Ausdruck fundamentalistischer<br />
Haltungen interpretiert werden können.<br />
Vielmehr – so die Erkenntnis bei vielen<br />
Teilnehmerinnen – ist ein behutsamer,<br />
nachfragender und selbstkritischer Umgang<br />
miteinander erforderlich, um den mit<br />
diesem Thema verbundenen schwierigen<br />
Fragen gerecht zu werden.<br />
Wie nicht anders zu erwarten, standen am<br />
Ende des Tages keine fertigen Rezepte,<br />
wohl aber die Gewissheit, dass dieses Thema<br />
noch lange nicht abgeschlossen ist.<br />
Tagungsdokumentation:<br />
www.frauenrat.de –> <strong>Frauenrat</strong> –> Infomaterial<br />
Kirsti Kolthoff, Annette Lawson, Brunhilde Raiser auf der EWL-Tagung (v.l.n.r.)<br />
Kirsti Kolthoff, Annette Lawson and Brunhilde Raiser (from left to right)
Das Jahr <strong>2007</strong> 7<br />
Übergabe der Unterschriften an<br />
Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner (mi.)<br />
Presenting signatures to Susanne Kastner (center),<br />
Vice President of the German Parliament<br />
180.000 x Abpfiff<br />
Übergabe der<br />
Kampagne-Unterschriften<br />
Vertreterinnen des Netzwerkes »Abpfiff –<br />
Schluss mit Zwangsprostitution« haben<br />
am 16. Januar Bundestagsvizepräsidentin<br />
Susanne Kastner – stellvertretend für<br />
das Bundestagspräsidium – insgesamt<br />
180.000 Unterschriften überreicht. Diese<br />
waren während der Fußball-Weltmeisterschaft<br />
2006 bundesweit gesammelt worden.<br />
Die bundesweite Kampagne hatte<br />
das internationale Großereignis genutzt,<br />
um die öffentliche Aufmerksamkeit auf<br />
das Thema Menschenhandel zum Zwecke<br />
der sexuellen Ausbeutung zu lenken. Ihre<br />
Forderungen an Bundesregierung und<br />
Bundesländer wurden von zahlreichen<br />
Einheimischen und Gästen aus aller Welt<br />
unterstützt. Darüber hinaus fand »Abpfiff«<br />
international ein breites Medienecho.<br />
Die Kampagne war vom Deutschen <strong>Frauenrat</strong><br />
(DF) initiiert und koordiniert worden.<br />
Eine Allianz aus 16 katholischen Frauenverbänden<br />
unterstützte ihre wesentlichen<br />
politischen Forderungen mit 100.000 Unterschriften.<br />
Die Vorsitzende des DF, Brunhilde Raiser,<br />
umriss bei der Unterschriftenübergabe<br />
noch einmal die gemeinsamen zentralen<br />
Kampagneforderungen. Besonders wichtig<br />
bei der Bekämpfung des Menschenhandels<br />
zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung<br />
seien gezielte Wirtschaftshilfen<br />
für die Herkunftsländer, um die eigenständige<br />
Existenzsicherung von Frauen in<br />
ihren Heimatorten zu gewährleisten. Die-<br />
ses Vergabekriterium müsse mit an oberster<br />
Stelle stehen.<br />
Weitere Vertreterinnen des Kampagne-<br />
Netzwerkes kritisierten u.a., dass sich die<br />
aufenthaltsrechtliche Situation für Betroffene<br />
des Menschenhandels immer noch<br />
nicht ausreichend verbessert und die sogenannte<br />
EU-Opferschutzrichtlinie (2004/<br />
81) bis heute in Deutschland nicht umgesetzt<br />
sei. Außerdem fehlten in vielen Bundesländern<br />
bei der Polizei Spezialdienststellen<br />
zur Bekämpfung des Menschenhandels.<br />
Zur aktuellen Forderung nach der Bestrafung<br />
von Freiern, die wissentlich die Dienste<br />
von Zwangsprostituierten in Anspruch<br />
nehmen, äußerte sich Brunhilde Raiser<br />
skeptisch. Denn bislang fehle der Nachweis,<br />
dass dieses Mittel tatsächlich geeignet<br />
sei, den Menschenhandel einzudämmen.<br />
Bundestagsvizepräsidentin Dr. Susanne<br />
Kastner zeigte großes Engagement für das<br />
Thema. Sie regte an, Menschenhandel<br />
und Zwangsprostitution im zeitlichen Rahmen<br />
der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands<br />
(1.1. – 30.6. <strong>2007</strong>) in einer gemeinsamen<br />
Veranstaltung von Bundestag und<br />
NGOs auf die politische Tagesordnung zu<br />
setzen.<br />
Dokumentation der Kampagne (deutsch-englisch):<br />
www.frauenrat.de/files/abpfiff_<br />
dokumentation.pdf<br />
180,000 Signatures for<br />
“Final Whistle”<br />
Lists submitted to the Federal<br />
Parliament<br />
On 16 January 2008, representatives of the<br />
“Final Whistle – Stop Forced Prostitution”<br />
campaign network presented lists with a<br />
total of 180,000 signatures to Susanne<br />
Kastner, Vice President of the German<br />
Parliament, who accepted them in the<br />
name of the Parliament’s executive<br />
committee. The signatures were collected<br />
throughout Germany during the 2006<br />
Football World Cup, as part of a countrywide<br />
campaign that used the major<br />
international sporting event to raise public<br />
awareness of human trafficking for sexual<br />
exploitation. The campaign’s calls for action<br />
to both the federal government and the<br />
governments of the individual German<br />
states were supported by large numbers of<br />
citizens and international guests alike. The<br />
“Final Whistle” campaign <strong>als</strong>o received<br />
comprehensive media coverage abroad.<br />
This campaign was initiated and<br />
coordinated by the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>. An<br />
alliance of 16 Catholic women’s<br />
organizations supported its major policy<br />
demands by collecting 100,000 signatures.<br />
Vice President of the German Parliament<br />
Dr. Susanne Kastner, who is very committed<br />
to this issue, successfully placed human<br />
trafficking and forced prostitution on the<br />
federal policy agenda. She endorsed a joint<br />
event by the Parliament and NGOs during<br />
the German presidency of the European<br />
Council (1 January – 30 June <strong>2007</strong>).<br />
Campaign documentation (German-<br />
English): www.frauenrat.de/files/abpfiff_<br />
dokumentation.pdf
8 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Victim Protection and<br />
Human Rights<br />
Taking stock one year after the<br />
“Final Whistle” campaign<br />
Parliamentarians, experts on human<br />
rights, and representatives of women’s<br />
rights organizations, police unions and<br />
federal ministries met at the German<br />
Parliament on June 13 – one year after<br />
the campaign “Final Whistle – Stop<br />
Forced Prostitution” – to evaluate the<br />
current status of efforts to combat human<br />
trafficking.<br />
Presentations and discussions focused<br />
once again on the demand for<br />
substantially better protection for the<br />
victims of human trafficking. These talks all<br />
expressed fundamental criticism of the<br />
new Immigration Act, which makes<br />
virtually no progress in this area.<br />
Furthermore it does not satisfactorily<br />
implement the EU directive on protecting<br />
the victims of human trafficking<br />
(2004/81/EC).<br />
Regarding the human rights aspect, several<br />
speakers referred to the European Council’s<br />
2005 Convention on Action against<br />
Trafficking in Human Beings. The major<br />
progress therein consists of placing<br />
trafficking in a human rights context,<br />
focusing on victim protection, and<br />
prescribing an independent monitoring<br />
mechanism to ensure compliance by the<br />
parties that sign such agreements.<br />
Although Germany actively supported and<br />
<strong>als</strong>o signed this convention, it has yet to<br />
ratify it.<br />
Opferschutz und<br />
Menschenrechte<br />
Ein Jahr nach der Kampagne »Abpfiff« – eine Bilanz<br />
Parlamentarierinnen, Menschenrechtsexpertinnen,<br />
Vertreterinnen von Frauenrechtsorganisationen,Polizei-Gewerkschaften<br />
und Ministerien trafen sich am<br />
13. Juni im Bundestag, um sich ein Jahr<br />
nach der Kampagne »Abpfiff – Schluss mit<br />
Zwangsprostitution« über den aktuellen<br />
Stand der Bekämpfung von Menschenhandel<br />
zu informieren.<br />
Im Mittelpunkt der Referentinnen- und<br />
Diskussionsbeiträge stand die Forderung<br />
nach einem deutlich verbesserten Schutz<br />
der von Menschenhandel Betroffenen.<br />
Damit verbunden war die allseits geteilte<br />
Kritik am neuen Zuwanderungsgesetz,<br />
das kaum Verbesserungen in dieser Hinsicht<br />
enthält. So fehlt beispielsweise nach<br />
wie vor ein rechtlicher Anspruch der Betroffenen<br />
auf ausreichende medizinische<br />
und therapeutische Versorgung. Die Einführung<br />
eines entsprechenden Paragrafen<br />
war ursprünglich vorgesehen, später aber<br />
ersatzlos gestrichen worden. Das Änderungsgesetz<br />
setzt die EU-Opferschutzrichtlinie<br />
nicht angemessen um.<br />
Macherinnen der Veranstaltung »Menschenhandel« im Bundestag<br />
Activists of the conference on human trafficking held at the Federal Parliament<br />
Das Problem: Auf internationaler, europäischer<br />
und auch auf nationaler Ebene gibt<br />
es inzwischen hinreichend Konventionen,<br />
Richtlinien, Gesetze zur Bekämpfung von<br />
Menschenhandel. Doch ist deren Umsetzung<br />
bislang völlig unzureichend, die<br />
Strafverfolgung kaum effektiv, und die<br />
Betroffenen erhalten keinen ausreichenden<br />
Schutz und keine angemessene<br />
Betreuung.<br />
Im Zusammenhang mit der Menschenrechtsfrage<br />
wiesen mehrere Referentinnen<br />
auf die Menschenhandelskonvention<br />
des Europarats von 2005 hin. <strong>Der</strong>en wichtigster<br />
Mehrwert besteht darin, dass sie<br />
auf den Menschenrechten basiert, den<br />
Opferschutz in den Mittelpunkt stellt und<br />
einen unabhängigen Monitoringmechanismus<br />
vorschreibt, der die Einhaltung der<br />
Bestimmungen seitens der Vertragsparteien<br />
garantiert. Diese Konvention wurde<br />
von Deutschland zwar aktiv unterstützt<br />
und auch unterzeichnet, bislang aber<br />
noch nicht ratifiziert.<br />
Die Veranstaltung, getragen von Deutschem<br />
<strong>Frauenrat</strong>, bundesweitem Koordinationskreis<br />
gegen Frauenhandel und Gewalt<br />
an Frauen im Migrationsprozess<br />
(KOK), Parlamentarischem Forum für sexuelle<br />
und reproduktive Gesundheit und<br />
Rechte, Forum Menschenrechte und pro<br />
Familia Bundesverband, ging zwar ohne<br />
weitere konkrete Verabredungen auseinander.<br />
Doch am Ende stand das feste und<br />
unwidersprochene Versprechen an die<br />
Adresse der PolitikerInnen, die dem neuen<br />
Zuwanderungsgesetz zugestimmt haben:<br />
Nach der Reform ist vor der Reform. Wir<br />
bleiben dran.<br />
Die Tagungsdokumentation:<br />
www.frauenrat.de/files/Dokumentation_<br />
Menschenhandel_130607.pdf
Das Jahr <strong>2007</strong> 9<br />
Nicht akzeptabel<br />
Stellungnahme zum neuen Zuwanderungsgesetz<br />
Die Reform des Zuwanderungsgesetzes<br />
lässt nicht erkennen, dass Integration<br />
gewollt ist, kritisierte der Deutsche<br />
<strong>Frauenrat</strong> in seiner Stellungnahme vom<br />
14. Mai <strong>2007</strong> zum Gesetzesentwurf der<br />
Bundesregierung. Das Signal »Wir wollen<br />
<strong>als</strong> aufnehmende Gesellschaft dazu<br />
beitragen, dass Sie sich hier zu Hause<br />
fühlen« fehle dabei völlig.<br />
Generell weist die Frauenlobby darauf<br />
hin, dass Zuwanderungs- und Integrationspolitik<br />
Frauen in hohem Maße und<br />
in besonderer Weise betrifft. Daher dürfen<br />
sie nicht von notwendigen Integrationsmaßnahmen<br />
ausgeschlossen oder<br />
besonders hohe Anstrengungen von ihnen<br />
erwartet werden.<br />
Ehen nicht unter generellen<br />
Verdacht stellen<br />
Insbesondere die Regelungen für den<br />
Familien- und Ehegattennachzug sind<br />
unzureichend. Im Gesetzentwurf ist<br />
nicht eindeutig geregelt, wann von einer<br />
Scheinehe gesprochen werden<br />
kann. Ferner darf es nicht zu einer generellen<br />
Verdächtigung binationaler<br />
Ehen <strong>als</strong> »Scheinehen« kommen.<br />
Mit besonderer Verständnislosigkeit<br />
nimmt der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> zur<br />
Kenntnis, dass in Deutschland geschiedene<br />
Frauen nur dann Bleiberecht erhalten,<br />
wenn die Ehe mindestens vier<br />
Jahre Bestand hatte. »Diese Maßnahme<br />
soll ‚Scheinehen’ bekämpfen – um den<br />
Preis, dass Frauen möglicherweise vier<br />
Jahre in einer Gewaltbeziehung ausharren<br />
müssen, um nicht ihr Aufenthaltsrecht<br />
zu verlieren«, heißt es in der<br />
Stellungnahme.<br />
Opferschutz verbessern<br />
Insbesondere bei den Integrationsmaßnahmen<br />
fordert der Deutsche <strong>Frauenrat</strong><br />
eine größere Ausrichtung an den Zielgruppen.<br />
Sprach- und Orientierungskurse<br />
müssen die Belange von Frauen<br />
und Männern berücksichtigen, aber<br />
auch die Herkunftsländer und damit<br />
unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen.<br />
Vor allem müssten Zugangsbarrieren<br />
abgebaut werden. Die<br />
derzeit vorgesehenen Integrationsmaßnahmen<br />
lassen hingegen vermuten,<br />
dass sie nicht wirklich integrieren, sondern<br />
im Vorfeld selektieren sollen.<br />
Grundsätzlich begrüßt die Frauenlobby<br />
die Neuregelungen der Opferschutzrichtlinie,<br />
fordert jedoch größere Anstrengung<br />
beim Schutz der Opfer von<br />
Menschenhandel. Dazu gehören: gesicherter<br />
Aufenthaltsstatus für mindestens<br />
drei Monate, unentgeltlicher<br />
Rechtsbeistand sowie medizinische und<br />
therapeutische Hilfe für das Opfer und<br />
ein gesicherter Aufenthaltsstatus für<br />
Zeuginnen auch nach dem Prozessende.<br />
Abschließend bedauert der Deutsche<br />
<strong>Frauenrat</strong>, dass der Gesetzgeber im aktuellen<br />
Gesetzentwurf die Chance ungenutzt<br />
gelassen hat, humanitäre Mindestrechte<br />
für Menschen ohne legalen<br />
Aufenthalt zu etablieren.<br />
Die Stellungnahme zum Zuwanderungsänderungsgesetz<br />
im Wortlaut:<br />
www.frauenrat.de/files/Zuwanderung_<br />
Stellungnahme_<strong>2007</strong>_05_14.pdf<br />
Unacceptable<br />
New immigration legislation<br />
In its statement of 14 May <strong>2007</strong>, the<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> (DF) criticized the<br />
federal government’s proposed reform of<br />
immigration law for not displaying any<br />
indication that immigration is welcomed.<br />
As a general point, the DF emphasizes that<br />
immigration and integration policy affects<br />
women to a much higher degree than men<br />
and in specific ways. As such, the requisite<br />
integration programs must not exclude<br />
women or demand unduly great sacrifices<br />
on their part.<br />
Marriage should not constitute automatic<br />
grounds for suspicion<br />
In particular, the rules governing the right<br />
for immigrants to bring their spouses and<br />
family members to Germany as well are<br />
inadequate. The proposed legislation does<br />
not clearly define what may be viewed as a<br />
fictitious marriage. Furthermore, care<br />
should be taken not to automatically view<br />
bi-national marriages with suspicion.<br />
The <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> is particularly<br />
alarmed by the provision that divorced<br />
women may only receive a residence<br />
permit in Germany if their marriage has<br />
lasted a minimum of four years. As noted in<br />
the DF’s statement, “This measure is<br />
intended to combat ‘fictitious marriages’ –<br />
at the expense of women who may have to<br />
endure a violent relationship for four years<br />
in order not to lose their residency status”.<br />
Better protection for victims<br />
In general, the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong><br />
welcomes the new regulations for<br />
protecting crime victims, but calls for<br />
greater efforts to protect victims of human<br />
trafficking. These include: guaranteed<br />
residence for at least three months, free<br />
legal counselling, medical and<br />
psychological treatment, and guaranteed<br />
residence for witnesses after legal<br />
proceedings are over.<br />
Finally, the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> regrets that<br />
legislators have not taken this opportunity<br />
to provide minimum humanitarian rights<br />
for illegal residents.
10 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Dignity and Self-<br />
Determination<br />
Position on the nursing care<br />
insurance reform<br />
Holding a job while caring for infirm<br />
family members<br />
It is essential that those who care for<br />
elderly or ill family members do not have to<br />
leave their jobs and thus lose their financial<br />
independence. It is impossible to know in<br />
advance how long such breaks in<br />
employment may last, and they often<br />
extend over a number of years. Another<br />
reason why our demands in this area are<br />
so crucial is that – as is well known – it is<br />
primarily women who care for infirm family<br />
members. Having already left the workforce<br />
to raise children, they now run the risk of<br />
having to leave their jobs once again to<br />
care for family members due to a lack of<br />
alternatives.<br />
Free choice of care personnel<br />
Infirm individu<strong>als</strong> must be able to freely<br />
choose who cares for them, <strong>als</strong>o and<br />
especially with respect to gender.<br />
Self-determination<br />
An important aim of any society must be to<br />
enable its ill, elderly, and disabled members<br />
to live a life of dignity and with as much<br />
self-determination as their situation allows.<br />
This <strong>als</strong>o means that they must have as<br />
much control as possible over their lives,<br />
including the question of how and where<br />
they receive care. Introduction of a<br />
“nursing care budget” can strengthen this<br />
capacity for self-determination, because it<br />
leaves decisions about how to use this<br />
budget to the individu<strong>als</strong> affected, i.e.<br />
whether they use it to purchase home care<br />
or services, or to make use of additional inpatient<br />
care options.<br />
Volunteer organizations<br />
We welcome considerations on how to<br />
increase the level of volunteer work in the<br />
care sector. However, it is of the utmost<br />
importance here to scrutinize potential<br />
regulations for undesired side effects. It is<br />
absolutely essential that any measures<br />
Würde und<br />
Selbstbestimmung<br />
Positionen zur Pflegereform<br />
Vereinbarkeit von Pflege und Erwerb<br />
Von höchstem Interesse ist, dass eine Erwerbstätigkeit<br />
und damit die eigenständige<br />
Existenzsicherung nicht für die Pflege<br />
von Angehörigen unterbrochen werden,<br />
zumal die Dauer einer solchen Unterbrechung<br />
naturgemäß in vielen Fällen nicht<br />
vorhersehbar ist und sich oftm<strong>als</strong> über<br />
mehrere Jahre erstreckt. Die entsprechenden<br />
Forderungen sind auch deshalb zentral,<br />
weil bekanntlich überwiegend Frauen<br />
die familiäre Pflege wahrnehmen und Gefahr<br />
laufen, nach der Unterbrechung der<br />
eigenen Erwerbsarbeit wegen der Kindererziehung<br />
nun auch im Pflegefall mangels<br />
anderer Möglichkeiten eine Unterbrechung<br />
in Kauf zu nehmen.<br />
Freie Wahl der Pflegeperson<br />
Die Wahlfreiheit der zu Pflegenden mit<br />
Blick auf die Pflegeperson muss unbedingt<br />
gewährleistet sein; insbesondere gilt dies<br />
hinsichtlich des Geschlechts. <strong>Der</strong> Hinweis,<br />
dass dies bereits im SGB IX §9 geregelt sei,<br />
reicht nicht aus, ist doch aus der Praxis bekannt,<br />
dass »berechtigte Wünsche« eine<br />
Frage der Auslegung sind und so in zahlreichen<br />
Fällen keine angemessene Berücksichtigung<br />
finden.<br />
Selbstbestimmung<br />
Ziel der Gesellschaft muss es sein, kranken,<br />
alten und behinderten Menschen ein im<br />
Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstbestimmtes<br />
und würdevolles Leben zu ermöglichen.<br />
Dazu gehört auch, dass sie so<br />
lange wie möglich über die Belange ihres<br />
Lebens selbst bestimmen können, mithin<br />
auch über die Frage, wie und wo sie gepflegt<br />
werden wollen. Diese Selbstbestimmung<br />
kann durch eine Pflegebudgetregelung<br />
gestärkt werden, die es den Einzelnen<br />
überlässt zu entscheiden, ob sie mit diesem<br />
Budget Personen- oder Sachleistungen<br />
einkaufen wollen oder ob sie außerhalb<br />
dieser Regelung stationäre Pflege in Anspruch<br />
nehmen wollen. Angemessen und<br />
den Interessen der Betroffenen entsprechend<br />
wäre hier die Anerkennung von<br />
Pflegebedürftigen <strong>als</strong> ArbeitgeberInnen<br />
durch die KostenträgerInnen. Die zu Pflegenden<br />
würden dann ihre Pflege- oder Assistenzpersonen<br />
selbst beschäftigen und<br />
müssten folgerichtig die Leistung der Pflegeversicherung<br />
<strong>als</strong> Geldleistung erhalten.<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
Die Überlegungen, auch im Bereich der<br />
Pflege das bürgerschaftliche Engagement<br />
zu stärken, sind begrüßenswert. Allerdings<br />
ist es hier besonders wichtig, alle<br />
eventuellen Regelungen auf unerwünschte<br />
Nebenwirkungen hin zu prüfen. In keinem<br />
Fall dürfen Maßnahmen dazu führen,
Das Jahr <strong>2007</strong> 11<br />
dass ehrenamtlich Engagierte die »AusputzerInnen<br />
der Nation« werden, d.h.<br />
Leistungen übernehmen, die eigentlich<br />
Pflichtleistungen der Gesellschaft sind.<br />
Auch muss dafür gesorgt werden, dass Erwerbsarbeit,<br />
die in diesem Bereich überwiegend<br />
von Frauen geleistet wird, nicht<br />
ersetzt bzw. auf bestimmte technische<br />
Dienste begrenzt wird.<br />
Es ist festzuschreiben, dass in der Pflege<br />
ehrenamtlich Engagierte eine ihrer Tätigkeit<br />
entsprechende Einweisung, Aus- oder<br />
Fortbildung erhalten sowie – wg. der gerade<br />
mit pflegerischer Tätigkeit verbundenen<br />
psychischen Belastung – eine Begleitung/Supervision<br />
zur Bearbeitung ihrer<br />
eigenen Motivation, der Auswirkungen<br />
auf die eigene seelische Gesundheit etc.<br />
Hier ist die Förderung des Auf- und Ausbaus<br />
entsprechender Netzwerke oder anderer<br />
geeigneter Maßnahmen zur Unterstützung<br />
vorzusehen. Die Kosten für diese<br />
Aus- und Fortbildungsmaßnahmen sowie<br />
für die Begleitung sind in keinem Fall den<br />
zu Pflegenden anzulasten. Zu klären ist<br />
auch, wer die notwendige Einweisung/<br />
Ausbildung/Begleitung übernimmt. Darüber<br />
hinaus stellt sich die Frage, wie der<br />
sich derzeit automatisch einstellenden Assoziation<br />
entgegengewirkt werden kann,<br />
dass »bürgerschaftliches Engagement in<br />
der Pflege« ein Dienst ist, der von Frauen<br />
erbracht wird und werden soll.<br />
Illegale Beschäftigungen<br />
<strong>Der</strong> Deutsche <strong>Frauenrat</strong> begrüßt die<br />
Bemühungen, illegale Beschäftigung im<br />
Pflegebereich einzudämmen; dies entspricht<br />
sowohl den Interessen der zu Pflegenden<br />
und der illegal Beschäftigten <strong>als</strong><br />
auch der gesamten (Steuer-)Gesellschaft.<br />
Die angestrebte steuerliche Vergünstigung<br />
könnte allerdings zu einer Mehrklassengesellschaft<br />
führen: Für Haushalte,<br />
die aufgrund geringer Einkommen gar<br />
keine Steuern zahlen, aber deshalb auch<br />
keine teuren legalen Pflegekräfte bezahlen<br />
können, ist dies keine Lösung. Notwendig<br />
ist vielmehr, dass dem Pflegesystem<br />
ausreichend Geld zur Verfügung<br />
steht, um Pflegekräfte angemessen und<br />
tariflich gebunden zu entlohnen.<br />
Pflegestützpunkte<br />
Sie sind <strong>als</strong> wohnortnahes Unterstützungsangebot<br />
sehr zu begrüßen. Für die<br />
konkrete Ausgestaltung gilt auch hier,<br />
dass die Prinzipien Unabhängigkeit, Niedrigschwelligkeit<br />
und Barrierefreiheit gewahrt<br />
sein müssen. Gleichzeitig müssen<br />
auch die Beratungs- und Angebotsvielfalt<br />
(Information über die verschiedensten<br />
Möglichkeiten und Angebote) und die<br />
Entscheidungsfreiheit der Beteiligten gewährleistet<br />
sein.<br />
Freie Wahl der ÄrztInnen<br />
Im Sinne der Freiheit der zu Pflegenden bei<br />
der Wahl ihrer Ärztin oder ihres Arztes sind<br />
HeimärztInnen kritisch zu betrachten bzw.<br />
abzulehnen. Vielmehr sollten Hausbesuche<br />
durch ÄrztInnen gefördert werden.<br />
Dies käme nicht nur Menschen in Heimen<br />
zugute, sondern auch anderen Personenkreisen,<br />
für die ein Besuch der Ärztin/des<br />
Arztes, z.B. wegen der Schwere der aktuellen<br />
Erkrankung oder eingeschränkter<br />
Mobilität, erschwert ist.<br />
Rückstufung in niedrigere Pflegestufe<br />
Grundsätzliches Ziel der Pflege muss es<br />
sein, Würde, Selbstbestimmung und Teilhabe<br />
der Pflegebedürftigen am gesellschaftlichen<br />
Leben zu sichern. Dem entsprechen<br />
Maßnahmen, die geeignet sind,<br />
möglichst lange die dafür notwendige<br />
Mobilität und Aktivität zu erhalten.<br />
Prävention und Rehabilitation sind wichtige<br />
Elemente, um dieses Ziel zu erreichen.<br />
Überaus fragwürdig hingegen erscheint<br />
das Vorhaben, Heimen eine Sonderprämie<br />
zu zahlen, wenn es ihnen gelingt, Pflegebedürftige<br />
in eine niedrigere Pflegestufe<br />
einzustufen. Sollte dies weiter verfolgt<br />
werden, ist sicherzustellen, dass diese<br />
niedrigere Einstufung nachprüfbar aufgrund<br />
einer tatsächlichen und nachhaltigen<br />
Verbesserung des Zustandes und der<br />
Selbständigkeit erfolgt.<br />
Aktualisierte ausführliche Stellungnahme:<br />
www.frauenrat.de/files/Stellungnahme_<br />
Pflegereform080114.pdf<br />
taken do not prompt volunteers to “do the<br />
country’s dirty work”, i.e. to provide<br />
services that are actually the responsibility<br />
of the society as a whole. It is <strong>als</strong>o<br />
important that gainful employment in this<br />
sector, which is done predominately by<br />
women, not be thereby replaced and/or<br />
limited to certain technical services. The law<br />
must require volunteer care workers to<br />
receive instruction, training or further<br />
education appropriate to their respective<br />
activities, as well as support/supervision in<br />
assessing their motivation for such work<br />
and any effects on their mental health due<br />
to the psychological stress involved.<br />
Furthermore, the question must be<br />
addressed of what is currently being done<br />
– and what should be done – to counter<br />
the automatic association of “volunteer<br />
work with the infirm and elderly” with<br />
women.<br />
Illegal employment<br />
The <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> welcomes efforts<br />
to reduce illegal employment in the care<br />
sector, because such efforts serve the<br />
interests of all concerned: the care<br />
recipients, the illegal workers themselves,<br />
and taxpayers as a whole. However, the<br />
proposed tax deductions for care expenses<br />
could widen class-based divisions in<br />
society. They are not a solution for<br />
households that don’t pay any taxes due to<br />
low income levels. A much better solution<br />
is to ensure that the care system has<br />
sufficient funds such that care personnel<br />
can be adequately paid and covered by<br />
labour agreements.<br />
Care support centres<br />
Establishing a network of local care centres<br />
that provide informational and<br />
organizational support is an excellent idea.<br />
Regarding the specifics of such facilities,<br />
the principles of institutional<br />
independence, customer friendliness and<br />
wheelchair accessibility must be ensured.<br />
Free choice of physicians<br />
In the interest of ensuring that the elderly<br />
and infirm can freely choose which<br />
physicians they wish to be treated by, the<br />
idea that care institutions should retain inhouse<br />
physicians should be viewed<br />
critically or rejected. If residents of care<br />
institutions require on-site visits, this<br />
should be arranged by their own<br />
physicians. This will not only benefit the<br />
residents themselves, but <strong>als</strong>o other groups<br />
of persons who require house calls on<br />
account of the severity of their condition<br />
and/or restricted mobility.
12 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Teilnehmerinnen formulieren<br />
Forderungen an die Pflegereform<br />
Formulating changes<br />
to the nursing care reform<br />
Flight or Flop?<br />
The nursing care reform<br />
Will the proposed reform of the nursing<br />
care system meet the requirements of<br />
society at large as well as the needs of<br />
those affected? What impact will it have on<br />
women? These questions were addressed<br />
at a conference held jointly by the Friedrich<br />
Ebert Foundation and the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong> in Berlin on December 7.<br />
Violence: taboo topic in nursing care<br />
Women not only perform the majority of<br />
nursing care; they <strong>als</strong>o constitute the<br />
majority of those who receive care. The<br />
latter group figured largely in the talk by<br />
Martina Böhmer, a geriatric nurse. The<br />
needs of these individu<strong>als</strong> have not been<br />
addressed adequately at all throughout the<br />
debate on reform. She spoke not only<br />
about scandalous deficits in care as such,<br />
but <strong>als</strong>o and especially about violations<br />
and violence in care contexts. Sexual<br />
violence in nursing care continues to be the<br />
object of strict taboos. Precisely the older<br />
generation of women was often confronted<br />
with sexual violence in the second world<br />
war and post-war period. Care that violates<br />
boundaries – and sometimes just the fact<br />
of male personnel – causes the trauma to<br />
be experienced again. This in turn triggers<br />
fear and resistance, which – if personnel do<br />
not realize what is going on – is diagnosed<br />
as dementia or depression, and often<br />
receives completely inappropriate<br />
treatment. As an absolute minimum<br />
requirement, Böhmer called for women to<br />
have a legal right to female care personnel.<br />
Fortschritt oder Flopp?<br />
Die Pflegereform<br />
Wird die aktuell diskutierte Pflegereform<br />
den Erfordernissen der Gesellschaft und<br />
Bedürfnissen der Betroffenen gerecht?<br />
Welche Auswirkungen wird sie für Frauen<br />
haben? Diese Fragen standen im Zentrum<br />
einer Konferenz, die die Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung zusammen mit dem Deutschen<br />
<strong>Frauenrat</strong> am 7. Dezember in Berlin durchführte.<br />
Mühsamer Koalitionskompromiss<br />
Elke Ferner, stellvertretende Vorsitzende<br />
der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzende<br />
der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer<br />
Frauen (ASF), sprach zunächst<br />
über die Rahmenbedingungen der<br />
Reform, die im Wesentlichen vom ständig<br />
steigenden Pflegebedarf bestimmt werden<br />
(bis 2030 soll sich die Zahl der 85-<br />
Jährigen und noch Älteren verdoppeln)<br />
und den gleichzeitig schwindenden Rücklagen<br />
der Pflegekassen.<br />
In einem weiteren Schritt stellte sie die vier<br />
Schwerpunkte des aktuellen Gesetzentwurfes<br />
ausführlicher vor: I. Stärkung der<br />
ambulanten Versorgung, II. Verbesserung<br />
der Versorgung von Demenzkranken, III.<br />
Pflegezeit für nahe Angehörige und IV.<br />
Qualitätssicherung in der Pflege.<br />
Tabuthema Gewalt in der Pflege<br />
Frauen tragen nicht nur die Hauptlast der<br />
Pflege, sie stellen auch die Mehrheit der<br />
Pflegebedürftigen. Auf diese Gruppe legte<br />
Martina Böhmer, Ausbilderin in der Altenpflege<br />
und selbst viele Jahre in diesem<br />
Beruf tätig, das Augenmerk ihres Vortrags.<br />
Denn deren Bedürfnisse kämen in der<br />
ganzen Reformdebatte eindeutig zu kurz.<br />
Die Referentin sprach nicht nur über skandalöse<br />
Defizite, sie thematisierte vor allem<br />
auch Grenzüberschreitungen und Gewalt<br />
in der Pflege. Vor allem sexualisierte Gewalt<br />
sei im Pflegebereich nach wie vor<br />
stark tabuisiert. Dabei seien gerade ältere<br />
Frauen in der Kriegs- und Nachkriegszeit<br />
häufig davon betroffen gewesen. Intimität<br />
verletzende Pflege – auch männliches Pflegepersonal<br />
– aber führten immer wieder<br />
zur Retraumatisierung der Betroffenen<br />
und in der Folge zu Angst- und Abwehr-
Das Jahr <strong>2007</strong> 13<br />
reaktionen, die in Unkenntnis von den<br />
Pflegeverantwortlichen <strong>als</strong> Alterserkrankungen<br />
wie Demenz oder Depression diagnostiziert<br />
und oft völlig f<strong>als</strong>ch behandelt<br />
würden. Das Allermindeste sei daher, dass<br />
Frauen einen gesetzlichen Anspruch auf<br />
gleichgeschlechtliche Pflege bekommen,<br />
forderte Böhmer.<br />
Kultursensible Pflege<br />
Mit der ebenfalls wachsenden Zahl pflegebedürftiger<br />
MigrantInnen wird auch<br />
der Bedarf an kultursensibler Pflege immer<br />
größer. Was damit gemeint ist und<br />
wie dieser Aspekt nicht nur theoretisch in<br />
die Aus- und Fortbildung von Pflegenden,<br />
sondern vor allem in die tägliche Pflegepraxis<br />
integriert werden kann, darum ging<br />
es u.a. in den folgenden Gruppendiskussionen.<br />
Auf Augenhöhe<br />
Treffen mit Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen<br />
Zu einem vertraulichen Austausch trafen<br />
sich am 3. Mai der Vorstand des Deutschen<br />
<strong>Frauenrat</strong>es (DF) mit Ursula von der<br />
Leyen in den Räumen des Bundesfrauenministeriums.<br />
Hauptthema des Hintergrundgesprächs<br />
war der geplante Ausbau<br />
der Kinderbetreuung, außerdem<br />
ging es um das Ehegatten- und Familiensplitting,<br />
die Frauengesundheitspolitik<br />
und das geplante Pflegezeitengesetz. Zur<br />
Offene Wünsche und Forderungen<br />
Gesprächsrunde mit Bundesfrauenministerin Ursula von der Leyen (mi.)<br />
Meeting with Family Affairs Minister Ursula von der Leyen (center)<br />
In einer abschließenden Runde brachten<br />
VertreterInnen von Frauen-, SeniorInnenund<br />
Wohlfahrtsverbänden und der Politik,<br />
darunter auch Brigitte Faber, Vorstandsmitglied<br />
des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es, ihre<br />
offenen Wünsche und Forderungen an die<br />
Pflegereform vor. Dazu zählen u.a. eine Erweiterung<br />
und Neudefinition von Qualität<br />
und der Expertenstandards, mehr Selbstbestimmung<br />
für Pflegebedürftige, weniger<br />
Bürokratie, eine gesetzlich verankerte<br />
freie Wahl der Pflegekraft, eine bezahlte<br />
zehntägige Freistellung für die familiäre<br />
Pflege, ein Mindestlohn für professionell<br />
Pflegende, eine Umverteilung der Pflegearbeit<br />
im professionellen, familiären und<br />
ehrenamtlichen Bereich auch auf Männer<br />
– letztendlich eine kritische Hinterfragung<br />
der Sinnhaftigkeit der geplanten Reform.<br />
Eröffnung gab die Vorsitzende des Deutschen<br />
<strong>Frauenrat</strong>es, Brunhilde Raiser, zu,<br />
dass sich der DF mit der sehr starken familienpolitischen<br />
Ausrichtung der Bundesfrauenministerin<br />
zunächst schwer<br />
getan habe, lobte aber deren dahinter<br />
sichtbares gleichstellungs- und frauenpolitisches<br />
Engagement. Beide Seiten wünschen<br />
sich für die Zukunft einen stärkeren<br />
Austausch.<br />
Culturally sensitive care<br />
With the growing number of immigrants,<br />
there will be an ever increasing need for<br />
culturally sensitive care. Group discussions<br />
focused on what this means in concrete<br />
terms, and how it can be integrated into<br />
educational and training programmes for<br />
care personnel not only in theory but <strong>als</strong>o<br />
in daily practice.<br />
Outstanding wishes and demands<br />
Politicians and representatives of women’s,<br />
senior citizens’ and charity organizations<br />
listed their outstanding wishes and<br />
demands, including the following:<br />
expanding and redefining standards of<br />
quality and expertise; greater selfdetermination<br />
for care recipients; less<br />
bureaucracy; the legal right to free choice<br />
of care personnel; 10 days of paid leave a<br />
year to provide nursing care for family<br />
members; a minimum wage for care<br />
personnel; shifting a greater share of care<br />
work to men in professional, family and<br />
volunteer frameworks.<br />
Seeing Eye to Eye<br />
Meeting with Family Minister<br />
Ursula von der Leyen<br />
The Board of the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> held<br />
an informal meeting on May 3 with Ursula<br />
von der Leyen, the Federal Minister of<br />
Family and Women’s Affairs. The meeting<br />
focused primarily on the planned<br />
expansion of childcare facilities. It <strong>als</strong>o<br />
covered the issue of joint income tax<br />
declarations for marriage partners and<br />
families, as well as the planned reform of<br />
the nursing care system. While DF President<br />
Brunhilde Raiser noted right at the outset<br />
that the women’s lobby had initially found<br />
the very family-oriented position taken by<br />
the Minister to be quite problematic, she<br />
then approved the Minister’s strong<br />
underlying commitment to equal<br />
opportunities and women’s rights. The two<br />
sides called for more intensive dialogue in<br />
the future.
14 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Individual instead of<br />
joint taxation for<br />
family members<br />
Call for action<br />
Sixteen organizations and trade unions<br />
actively involved in family and women’s<br />
rights issues – including the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong> – presented an alternative model<br />
of taxation to the public to coincide with<br />
the <strong>2007</strong> CDU party convention held<br />
December 2-4:<br />
“We reject the idea of extending the policy<br />
of spousal tax splitting* to cover families<br />
as well, as proposed by the CDU in its new<br />
party platform that will be voted on today.<br />
Our alternative proposal is simple and<br />
transparent: We call for the income of all<br />
married individu<strong>als</strong> to be taxed separately,<br />
as is the case for all other taxpayers in the<br />
country.<br />
The current tax code recognizes and<br />
supports the obligation for married<br />
individu<strong>als</strong> to provide maintenance for their<br />
spouses by allowing for a basic,<br />
transferable deduction. This should be<br />
introduced for civil unions as well. Our<br />
proposed reform of spousal tax splitting<br />
will save around 16 billion euros a year.<br />
This money should then be applied directly<br />
to improving the quality of life for children<br />
and families in Germany.<br />
We hold further expansion of the childcare<br />
and educational infrastructure to be just as<br />
important as having childrearing expenses<br />
covered by the state. A good third of all<br />
families would not benefit in any way from<br />
extending the principle of spousal tax<br />
splitting to families, either because their<br />
income levels are too low or because they<br />
receive welfare payments.<br />
If deductions for children are increased, this<br />
will disproportionately benefit those with<br />
higher incomes and more children. Tax<br />
splitting for families will serve to widen an<br />
already existing socioeconomic gap. It will<br />
boost the current negative effects of<br />
spousal tax splitting – with respect to both<br />
income distribution and gender equality –<br />
to an even higher level.”<br />
Berlin, 3 December <strong>2007</strong><br />
* Whereby the difference in spousal<br />
incomes is split equally for taxation<br />
purposes. Depending on the model,<br />
extending the policy to families would split<br />
household income at the same, lower, or<br />
higher rates among dependent children as<br />
well.<br />
Individualbesteuerung<br />
statt Familiensplitting<br />
Aufruf<br />
Anlässlich des CDU-Parteitags Anfang<br />
Dezember wandten sich 16 familienund<br />
frauenpolitisch aktive Verbände<br />
und Gewerkschaften, darunter auch<br />
der Deutsche <strong>Frauenrat</strong>, mit einem alternativen<br />
Steuermodell an die Öffentlichkeit:<br />
»Wir lehnen die Erweiterung des Ehegattensplittings<br />
zu einem Familiensplitting<br />
ab, wie es die CDU in ihrem heute<br />
zur Abstimmung stehenden neuen<br />
CDU-Grundsatzprogramm vorschlägt.<br />
Unser Alternativvorschlag ist einfach<br />
und transparent: Wir fordern, dass die<br />
Einkommen von Ehepartnern<br />
grundsätzlich individuell besteuert werden,<br />
so wie es für Menschen in allen anderen<br />
Lebensformen gilt.<br />
Die bestehende Unterhaltspflicht in<br />
Ehen wird über einen übertragbaren<br />
Grundfreibetrag berücksichtigt. Dies<br />
soll künftig auch eingetragenen Lebenspartnerschaften<br />
zugute kommen.<br />
Durch die von uns vorgeschlagene Reform<br />
des Ehegattensplittings werden<br />
Mittel in Höhe von ca. 16 Mrd. Euro frei.<br />
Dieses Geld soll gezielt dafür eingesetzt<br />
werden, die Lebenssituation von Kindern<br />
und Familien in Deutschland zu<br />
verbessern.<br />
<strong>Der</strong> weitere Ausbau der Bildungs- und<br />
Betreuungsinfrastruktur ist dabei für<br />
uns ebenso zentral wie die Schaffung<br />
einer eigenständigen materiellen Existenzsicherung<br />
für Kinder. Ein gutes<br />
Drittel aller Familien würde von der Einführung<br />
eines Familiensplittings in keiner<br />
Weise profitieren, da sie aufgrund<br />
ihres geringen Einkommens keine Steu-<br />
ern zahlen oder weil sie von sozialen<br />
Transfers leben.<br />
Eine stärkere Berücksichtigung von Kindern<br />
im Steuerrecht kommt vor allem<br />
besonders gut verdienenden Menschen<br />
mit mehreren Kindern zugute. Das<br />
Familiensplitting trägt aus unserer Sicht<br />
zur sozialen Spaltung von Familien bei.<br />
Es führt die verteilungs- und geschlechterpolitisch<br />
negativen Auswirkungen<br />
des gegenwärtigen Ehegattensplittings<br />
auf noch höherem Niveau fort.«<br />
Die unterzeichnenden Verbände und<br />
Organisationen:<br />
Arbeiterwohlfahrt, <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>,<br />
<strong>Deutscher</strong> Gewerkschaftsbund,<br />
<strong>Deutscher</strong> Juristinnenbund, Deutsches<br />
Kinderhilfswerk, IG Metall Vorstand,<br />
Evangelische Aktionsgemeinschaft für<br />
Familienfragen, Gewerkschaft Erziehung<br />
und Wissenschaft, Gewerkschaft<br />
Nahrung – Genuss – Gaststätten, Lesben-<br />
und Schwulenverband Deutschland,<br />
Transnet Hauptvorstand, Verband<br />
alleinerziehender Mütter und Väter,<br />
Verband berufstätiger Mütter, Verband<br />
binationaler Familien und Partnerschaften,<br />
Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft<br />
ver.di/Bereich Frauen- und<br />
Gleichstellungspolitik, Zukunftsforum<br />
Familie<br />
Berlin, 3. Dezember <strong>2007</strong><br />
<strong>Der</strong> gemeinsame Vorschlag für eine Individualbesteuerung<br />
mit übertragbarem Grundfreibetrag:<br />
www.frauenrat.de/files/<br />
Individualbesteuerung Endversion.pdf
Das Jahr <strong>2007</strong> 15<br />
Ausgezeichnet<br />
Bundesverdienstkreuz für Frauen<br />
Bundespräsident Horst Köhler hat am 21.<br />
Juni zum ersten Mal in seiner Amtszeit<br />
ausschließlich Frauen mit dem Verdienstorden<br />
der Bundesrepublik Deutschland<br />
ausgezeichnet. Vorstandmitglieder des<br />
Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es nahmen <strong>als</strong> Ehrengäste<br />
am Festakt teil.<br />
Köhler betonte in seiner Ansprache, dass<br />
die gesellschaftlichen Verdienste von Frauen<br />
häufig unterbewertet bzw. <strong>als</strong> selbstverständlich<br />
erachtet würden. Zwar sei der<br />
Anteil der Ordensträgerinnen seit 1990<br />
von 16 auf 25 Prozent angestiegen. Doch<br />
gemessen am Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung<br />
und an ihrem vielfältigen<br />
Engagement sei das immer noch viel<br />
zu wenig. »Deswegen nehme ich seit Oktober<br />
letzten Jahres Vorschlagslisten nur<br />
noch an, wenn von zehn Kandidaten mindestens<br />
drei Frauen sind«, sagte Köhler.<br />
Die Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger,<br />
eine der Ausgezeichneten, hob in ihrer<br />
Dankesrede hervor, dass Frauen in<br />
Deutschland durchschnittlich nach wie vor<br />
22 Prozent weniger verdienten <strong>als</strong> Männer.<br />
Dies zeige, »dass wir alle weiter kämpfen<br />
müssen« um Gleichberechtigung.<br />
Selten so gelacht mit<br />
Bundespräsident Köhler<br />
Having fun with President Köhler<br />
Honoured<br />
National Order of Merit<br />
for women<br />
On June 21, German President Horst Köhler<br />
conferred the National Order of Merit<br />
(Bundesverdienstkreuz) exclusively on<br />
women candidates for the first time in his<br />
term of office. Board members of the<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> attended the<br />
ceremony as guests of honour.<br />
President Köhler emphasised in his speech<br />
that women’s contributions to society are<br />
often underestimated or taken for granted.<br />
True, since 1990 the number of women<br />
receiving this award has risen from 16 to<br />
25 percent. But given their share of the<br />
total population and the considerable<br />
extent of their contributions, that is still far<br />
too low. “For that reason,” he said, “I only<br />
consider proposed lists if at least 30<br />
percent of the candidates are women.”<br />
Television host Bettina Böttinger, who was<br />
one of those honoured, stressed in her<br />
acceptance speech that women in<br />
Germany still earn an average of 22<br />
percent less than men. This shows, she<br />
added, “that we must all continue to fight”<br />
for equal rights.
16 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
The Feminist Princess<br />
A visit by<br />
Sheikha Haya Rashed al-Khalifa<br />
She was the President of the 61st session<br />
of the UN General Assembly from<br />
September 2006 to September <strong>2007</strong>, and<br />
the third woman to hold this post. On<br />
March 1, Sheikha Haya Rashed al-Khalifa<br />
made an official visit to the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong> as part of a tour through Europe.<br />
This was a logical stop on her trip, because<br />
the 54-year-old lawyer from Bahrain is a<br />
committed advocate of women’s rights.<br />
Topics discussed included gender equality<br />
and empowerment for women as part of<br />
the millennium go<strong>als</strong> and the ongoing<br />
restructuring of women’s policy at the UN.<br />
The UN President was particularly<br />
interested in German legislation to protect<br />
women against violence, and <strong>als</strong>o in the<br />
new Parental Leave Act which she would<br />
love to see introduced in Bahrain. She was<br />
especially eloquent on the topic of women<br />
and Islam. It is not the Qur’an that<br />
discriminates against women but rather<br />
old-fashioned interpretations thereof. “Holy<br />
Scripture should not be followed blindly,”<br />
said the Muslim feminist from a royal<br />
family, “but rather must be read in a way<br />
that addresses today’s demands.”<br />
Sheikha Haya Rashed al-Khalifa is the greatgranddaughter<br />
of former Bahrain ruler Isa<br />
Ibn Ali al-Khalifa. She studied law in Kuwait,<br />
at the Sorbonne in Paris, and at different<br />
Egyptian universities. In 1979 she became<br />
the first female lawyer in the island state –<br />
and faced great opposition by the country’s<br />
entire legal community, as she recounts.<br />
Women have had the vote in Bahrain since<br />
May of 2002. That too distinguishes the<br />
country from its neighbours in terms of<br />
democracy and human rights.<br />
Die feministische Prinzessin<br />
Zu Besuch: Sheikha Haya Rashed Al Khalifa<br />
Im Jahr <strong>2007</strong> war sie Präsidentin der UN-<br />
Generalversammlung, die dritte in dieser<br />
Position in der Geschichte der Vereinigten<br />
Nationen. Am 1. März stattete Sheikha<br />
Haya Rashed Al Khalifa dem Deutschen<br />
<strong>Frauenrat</strong> im Rahmen einer Europareise<br />
einen offiziellen Besuch ab. Denn die 54jährige<br />
Rechtsanwältin aus Bahrain ist eine<br />
engagierte Frauenrechtlerin.<br />
Die Gesprächsthemen: Gleichberechtigung<br />
und Empowerment von Frauen im<br />
Rahmen der Millenniumsziele und neue<br />
frauenpolitische Strukturen in der UN. Besonderes<br />
Interesse zeigte die UN-Präsidentin<br />
für die deutsche Gesetzgebung zum<br />
Schutz von Frauen vor Gewalt und für das<br />
neue Elterngeldgesetz, für das si ein<br />
Bahrain werben möchte. Lebhaft wurde<br />
sie beim Thema Frauen und Islam. Nicht<br />
der Koran diskriminiere Frauen, sondern<br />
seine veralteten Auslegungen. Den »heiligen<br />
Texten« dürfte nicht blind gehorcht<br />
werden, »wir müssen sie so lesen, dass sie<br />
Hoher Besuch beim Deutschen <strong>Frauenrat</strong><br />
High-level visit to the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong><br />
den heutigen Bedürfnissen entsprechen«,<br />
so die muslimische Feministin, die aus königlicher<br />
Familie stammt.<br />
Sheikha Haya Rashed Al Khalifa ist Urenkelin<br />
des bahrainischen Herrschers Isa Ibn<br />
Ali Al Khalifa. Sie studierte Jura in Kuwait,<br />
an der Sorbonne in Paris und an verschiedenen<br />
ägyptischen Unversitäten.<br />
1979 ließ sie sich <strong>als</strong> erste Anwältin des<br />
Inselstaates nieder – konfrontiert mit der<br />
Abscheu der ganzen Anwaltszunft ihres<br />
Landes, wie sie erzählte. Heute beschäftigt<br />
ihre Kanzlei 14 Anwälte, die Handelsverträge<br />
abwickeln und Banken beraten.<br />
Seit Mai 2002 dürfen Frauen in Bahrain<br />
wählen. Auch das hebt den Kleinstaat<br />
hinsichtlich Demokratisierung und Menschenrechte<br />
deutlich von benachbarten<br />
Ländern ab. Sheikha Haya Rashed Al Khalifa<br />
hat nicht unerheblich an diesem Prozess<br />
mitgewirkt.
Das Jahr <strong>2007</strong> 17<br />
Beschlüsse <strong>2007</strong> (Auswahl)<br />
Politischer Auftrag<br />
PatientInnenverfügung<br />
Die Diskussion um die PatientInnenverfügung und ihre Folgen<br />
gehört zu den rechtlich und ethisch schwierigsten. Es kann<br />
nicht übersehen werden, dass bei der Errichtung und dem Umgang<br />
mit einer PatientInnenverfügung große Unsicherheit und<br />
Unkenntnis herrschen. So wird in der PatientInnverfügung der<br />
persönliche Wille der betroffenen Person klar zum Ausdruck<br />
gebracht und darüber hinaus wird gleichzeitig die verfassungsmäßig<br />
verbürgte PatientInnenautonomie gestärkt. Im<br />
Rahmen der Diskussion spielen auch die Fragen über ein lebenswertes<br />
Leben und ein Sterben in Würde eine große Rolle.<br />
Aufgrund dessen beauftragt die Mitgliederversammlung<br />
(MV) den Vorstand, sich in den nächsten Monaten verstärkt<br />
mit diesem Thema zu befassen und der MV 2008 das Ergebnis<br />
vorzulegen. Die MV bittet den Vorstand, zeitnah die Verbände<br />
zu einem DF-internen Konsultationstag einzuladen,<br />
die in besonderer Weise mit dieser Frage befasst sind, und seine<br />
Überlegungen dort zu beraten.<br />
Die nachfolgend benannten Eckpunkte sollen u.a. bei diesen<br />
Überlegungen einbezogen werden; sie bieten dem Vorstand<br />
auch den Rahmen für eine vorläufige Orientierung für eine<br />
Stellungnahme, sollte diese durch Maßnahmen des Gesetzgebers<br />
in der Zeit vor der MV 2008 erforderlich werden.<br />
Um die Interessen und Sichtweisen aller potenziell Betroffenen<br />
ausreichend zu berücksichtigen, bedarf es einer breit<br />
angelegten Diskussion; diese wird aus Sicht des DF bisher<br />
nicht geführt. In dieser Diskussion müssen in Respekt voreinander<br />
alle strittigen Fragen in Offenheit diskutiert werden.<br />
Mitgliederversammlung <strong>2007</strong>:<br />
Brunhilde Raiser mit BMFSFJ-Abteilungsleiterin<br />
Eva-Maria Welskop-Deffaa (li.) und BMBF-Abteilungsleiterin<br />
Dr. Susanna Schmidt (re.)<br />
At the <strong>2007</strong> General Assembly:<br />
Brunhilde Raiser with BMFSFJ department director<br />
Eva-Maria Welskop-Deffaa (left) and BMBF department director<br />
Dr. Susanna Schmidt (right)<br />
Bei dieser Diskussion, erst recht aber bei Überlegungen,<br />
welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, muss mehr<br />
<strong>als</strong> bisher auf nicht intendierte, sehr wohl aber wahrzunehmende<br />
Botschaften geachtet werden. Häufig stellt sich<br />
für Menschen mit Behinderungen die Diskussion darüber,<br />
ob ein Leben mit einer ggf. lebensbedrohlichen Krankheit<br />
oder schweren Beeinträchtigung noch würdevoll sei, <strong>als</strong><br />
Abwertung ihres eigenen Lebens dar.<br />
Es muss deutlicher <strong>als</strong> bisher kommuniziert werden, dass<br />
PatientInnenverfügungen nicht nur festlegen können, dass<br />
in einem bestimmten Krankheitsstadium keine lebensverlängernden<br />
Maßnahmen mehr vorgenommen werden sollen,<br />
sondern auch, dass in diesem Fall alle lebensverlängernden<br />
Maßnahmen ergriffen werden sollen.<br />
Eine gesetzliche Regelung für die Patientinnenverfügung<br />
kann die Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
für Schwerstkranke und Pflegebedürftige nicht<br />
ersetzen. Im Gegenteil: Nur wenn hier optimale Bedingungen<br />
gegeben sind, kann letztlich von einer wirklichen<br />
Freiheit der Einzelnen gesprochen werden. Solange Menschen<br />
den direkten oder indirekten Druck verspüren, dass<br />
sie – um niemanden zur Last zu fallen, um in diesen Phasen<br />
des Lebens nicht alleine zu sein usf. – eine PatientInnenverfügung<br />
mit dem Ziel des Einstellens lebensverlängernder<br />
Maßnahmen abfassen sollten, wird ein gesellschaftliches<br />
Problem in einem erheblichem Umfang individualisiert.<br />
PatientInnenverfügungen gelten in der Regel für eine begrenzte<br />
Zeit und müssen in regelmäßigen Abständen<br />
erneuert werden. Um die rechtlich bestehenden Möglichkeiten<br />
in möglichst vollem Umfang zu nutzen, sollte verstärkt<br />
dafür geworben werden, dass gleichzeitig mit der<br />
PatientInnenverfügung eine Vorsorgevollmacht erteilt<br />
wird. So kann in einem höheren Maße sichergestellt werden,<br />
dass in diesen Fällen Angehörige oder Personen des<br />
persönlichen Vertrauens gemeinsam mit ÄrztInnen etc.<br />
entscheiden, was zu tun ist, Außerdem kann die aktuelle<br />
Situation besser berücksichtigt werden
18 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
Es muss sichergestellt werden, dass alle diejenigen, die bei<br />
der Erstellung einer PatientInnenverfügung beratend tätig<br />
werden, für diese Tätigkeit umfassend geschult sind und<br />
in der Beratung auf alle vorhandenen Möglichkeiten aufmerksam<br />
machen.<br />
Gesundheits- und Pflegewesen zukunftsfest machen<br />
<strong>Der</strong> Deutsche <strong>Frauenrat</strong> befürwortet folgende Forderungen:<br />
1. Wir fordern einen Ausbau der Angebote der Kurzzeit- und<br />
Tagespflege.<br />
2. Neue Wohnformen, wie etwa SeniorInnen-Wohngemeinschaften<br />
oder Generationen übergreifende Wohnformen,<br />
können familiäre Netze ersetzen und sollten daher unterstützt<br />
werden.<br />
3. Pflegestützpunkte sollten flächendeckend, aber nicht in<br />
Abhängigkeit von Kostenträgern oder leistungsträgern<br />
eingerichtet werden, sodass eine unabhängige Beratung<br />
gewährleistet ist.<br />
4. Um die ambulante Versorgung im hausärztlichen Bereich<br />
– vor allem im ländlichen Raum – aufrechtzuerhalten, muss<br />
die Berufsausübung für die Hausärztin bzw. <strong>als</strong> Hausarzt<br />
und das medizinische Fachpersonal attraktiver ausgestaltet<br />
werden.<br />
Pflegereform/bezahlte Freistellung<br />
Auf der Mitgliederversammlung <strong>2007</strong>:<br />
Spaß mit High Tech<br />
At the <strong>2007</strong> General Assembly: High-tech fun<br />
Unterhaltungmit jugendlichem Schwung:<br />
Die feministischen Hip-Hopperinnen »Ladys«<br />
Entertaining with youthful energy:<br />
The feminist hip-hop »Ladys«<br />
<strong>Der</strong> <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> unterstützt, dass eine bessere Vereinbarkeit<br />
der Pflege von Angehörigen und Erwerbstätigkeit<br />
durch die Einführung einer Pflegezeit ermöglicht wird.<br />
Die Maßnahmen helfen den Pflegebedürftigen, so lange wie<br />
möglich in ihrer angestammten Umgebung zu bleiben.<br />
Dazu trägt auch die neue Pflegezeit für Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmer von bis zu sechs Monaten bei voller sozialer<br />
Absicherung bei.<br />
Oftm<strong>als</strong> werden Familienmitglieder von heute auf morgen<br />
pflegebedürftig. Für uns ist es wichtig, dass berufstätige Angehörige<br />
nicht aus finanziellen Gründen daran gehindert<br />
werden, dann eine gute Pflege und Betreuung zu organisieren.<br />
Deshalb fordert der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> die Einführung einer<br />
Lohnersatzleistung für die vorgesehene zehntägige Freistellung<br />
von der Arbeit.<br />
Es entspricht dem Familienbild des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es,<br />
dass sich nicht nur berufstätige Eltern um ihre kranken Kinder<br />
kümmern können, sondern auch Kinder im Falle einer<br />
plötzlich auftretenden Pflegebedürftigkeit der Eltern für sie da<br />
sein können.<br />
Kinderarmut bekämpfen<br />
<strong>Der</strong> Deutsche <strong>Frauenrat</strong> befürwortet folgende Forderungen:<br />
1. Damit Bildung und Erziehung gelingen können, müssen Eltern<br />
ihren Kindern von Anfang an Zeit und Aufmerksamkeit<br />
widmen. Eltern müssen in der Lage sein, selbst zu entscheiden,<br />
wie sie ihre Lebensplanung und das Wohl ihrer Kinder<br />
miteinander vereinbaren. Dafür brauchen sie Unterstützung,<br />
denn Kinder sind nicht nur familiäres Glück, sondern auch gesellschaftlicher<br />
Reichtum. Dort, wo das Kindeswohl gefährdet
Das Jahr <strong>2007</strong> 19<br />
erscheint, müssen den Eltern niedrigschwellige und wirksame<br />
Hilfsangebote gemacht werden. Betreuungsangebote<br />
müssen ausgebaut und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />
verbessert werden.<br />
2. Steuerliche Maßnahmen zum Wohle von Kindern sollen<br />
nachvollziehbar sein. Schon heute unterliegen zahlreiche<br />
wichtige Kinderartikel dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz.<br />
Doch die Regelungen sind insgesamt unübersichtlich. Daher<br />
soll auch unter dem Gesichtspunkt der Finanzierbarkeit geprüft<br />
werden, wo in Zukunft grundsätzlich der untere Mehrwertsteuersatz<br />
angewendet werden kann. Ziel muss sein, auf<br />
typische Kleinkind- und Kinderprodukte des täglichen Bedarfs<br />
den ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden.<br />
3. Armut beginnt häufig <strong>als</strong> Bildungsarmut. Frühkindliche<br />
Förderung ist ein Schlüssel zur Armutsprävention. Erziehung,<br />
Bildung und Betreuung gehören zusammen. <strong>Der</strong> Ausbau des<br />
Betreuungsangebots für Unter-Dreijährige gewinnt für eine<br />
frühkindliche Bildung immer mehr Bedeutung. Sie bietet Vätern<br />
und Müttern eine Chance, Familie und Beruf besser zu<br />
vereinbaren. Für Alleinerziehende bedeuten mehr Betreuungsangebote<br />
häufig die einzige Möglichkeit auf eine erneute<br />
Berufstätigkeit. <strong>Der</strong> Beschluss der Bundesregierung<br />
(BR), 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren bis 2013 ein<br />
Betreuungsangebot in Tagespflege und Kindertagesstätten zu<br />
schaffen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.<br />
4. Erziehung, Bildung und Betreuung gehören zusammen.<br />
Die Kindertagespflege muss attraktiver ausgestaltet und die<br />
Qualifizierung der Kindertagesmütter und -väter verbessert<br />
werden. Mittelfristig soll mindestens das letzte Kindergartenjahr<br />
verpflichtend und beitragsfrei angeboten sowie die Verzahnung<br />
mit den Grundschulen vorangetrieben werden. Zur<br />
Überwindung von Bildungsarmut muss auch sichergestellt<br />
werden, dass kein Kind aus materiellen Gründen die Angebote<br />
von Ganztagseinrichtungen nicht wahrnehmen kann.<br />
Voraussetzung ist eine nachhaltige und solide Finanzierung,<br />
die nicht einseitig zulasten der Kommunen geht. Das frühzeitige<br />
Erkennen und die angemessene Förderung von Kindern<br />
mit Lernschwächen wie auch von Hochbegabten sollen<br />
ein fester Bestandteil der Ausbildung von Erzieherinnen und<br />
Erziehern sowie der Lehrerbildung werden.<br />
5. <strong>Der</strong> frühe und unkomplizierte Zugang zu Beratungs- und<br />
Hilfsangeboten für Eltern ist genauso wichtig wie die Kooperation<br />
von Gesundheitswesen, Kinder- und Jugendhilfe.<br />
Um Kinder vor Verwahrlosung und Misshandlung zu schützen,<br />
müssen Anzeichen frühzeitig erkannt werden. Damit die<br />
Prävention durch Früherkennungsuntersuchungen verbessert<br />
werden kann, setzt sich der Deutsche <strong>Frauenrat</strong> dafür<br />
ein, dass alle Kinder an diesen Untersuchungen teilnehmen.<br />
Tagespflege, Kindertageseinrichtungen und Kinderärzte sollen<br />
verstärkt für ein soziales Frühwarnsystem gewonnen<br />
werden.<br />
Gerechte Verteilung der Lohnsteuerbelastung<br />
zwischen Ehegatten<br />
Die Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>s unterstützt<br />
das Anliegen einer gerechten Verteilung der Steuerbelastung<br />
unter den Ehegatten und beauftragt die BR, in diesem<br />
Sinne tätig zu werden.<br />
Kinderbetreuung ist Recht ... aber nicht billig!<br />
Die Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es begrüßt<br />
den von der Koalition vereinbarten Ausbau der Krip-
20 Das Jahr <strong>2007</strong><br />
penplätze und die geplante Einführung eines Rechtsanspruchs<br />
auf einen Krippenplatz auch für unter dreijährige<br />
Kinder. Wir fordern die zügige Umsetzung des Ausbaus der<br />
notwendigen Kinderkrippenplätze. Diese überfällige infrastrukturelle<br />
Leistung darf nicht im Finanzierungsstreit zwischen<br />
Parteien und Föderalismusebenen untergehen!<br />
Wir erinnern daran, dass sich auf europäischer Ebene alle Mitgliedstaaten<br />
bereits im Rahmen der Lissabon-Strategie dazu<br />
verpflichtet haben, dass für die Dekade bis 2010 das Bildungs-<br />
und Betreuungsangebot für Kinder bis zum dritten Lebensjahr<br />
für 30% der Kinder realisiert sein soll. Wir fordern<br />
die zügige Umsetzung dieser Verpflichtung – und dies nicht<br />
erst wie geplant bis 2013.<br />
Wir fordern ein flächendeckendes Ganztagsangebot an Krippen-<br />
und Kindergartenplätzen und einen gebührenfreien<br />
Zugang zu Kindertagesstätten und Kinderkrippen. <strong>Der</strong><br />
Grundstein für Chancengleichheit, erfolgreiches Lernen und<br />
Bildung wird frühzeitig in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen<br />
für Kinder gelegt. Gebühren halten Kinder fern, und<br />
trotz Staffelung müssen einkommensschwache Familien einen<br />
höheren Anteil ihres Einkommens aufwenden <strong>als</strong> einkommensstarke<br />
Familien.<br />
Wir fordern die Sicherung und Weiterentwicklung von qualitativ<br />
hochwertig ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern<br />
sowie die Sicherung und Weiterentwicklung eines qualitativ<br />
hochwertigen Betreuungsangebotes.<br />
Das von der CSU geforderte Betreuungsgeld für Eltern,<br />
(mehrheitlich Mütter, die ihr Kind nicht in einer Bildungs- und<br />
Betreuungseinrichtung betreuen lassen wollen) lehnen wir<br />
ab. Die Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es<br />
spricht sich dafür aus, dass zunächst alle verfügbaren finanziellen<br />
Mittel in die soziale Infrastruktur investiert werden, bevor<br />
über neue Transferleistungen nachgedacht wird. Die von<br />
der CSU geforderte Transferleistung benachteiligt Alleinerziehende,<br />
die auf eine Erwerbsarbeit angewiesen sind.<br />
Die Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es fordert<br />
die Bundesregierung, den Bundesrat und die Landesregierungen<br />
auf, sich eindeutig und zügig auf die notwendige<br />
Finanzierung zu verständigen und den Beschluss gemeinsam<br />
zu tragen und umzusetzen. Wir brauchen von Bund, Ländern<br />
und Kommunen ein stimmiges Konzept!<br />
<strong>Der</strong> Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ist eine wesentliche<br />
Voraussetzung für Chancengerechtigkeit für Kinder, für<br />
eine tatsächliche Wahlfreiheit und für die Vereinbarkeit von<br />
Beruf und Familie. Diese Vereinbarkeit ist der Schlüssel für die<br />
Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben und für gleiche Chancen<br />
im Beruf.<br />
Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes<br />
(BEEG)<br />
Die Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es fordert<br />
den Vorstand auf, darauf hinzuwirken, dass das Gesetz<br />
zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) wie folgt geändert<br />
wird:<br />
Teilen sich in der Elternzeit beide Elternteile gleichmäßig Erwerbs-<br />
und Familienarbeit, d.h. beide arbeiten in der Elternzeit<br />
Teilzeit, dürfen sie Paaren gegenüber, bei denen jeweils<br />
ein Elternteil bis zu 12 Monate auf Erwerbstätigkeit verzichtet,<br />
nicht benachteiligt werden.<br />
Das BEEG ist so zu ändern, dass bei Teilzeitarbeit in der<br />
Elternzeit beide Elternteile zusammen 14 Monate jeweils<br />
anteiliges Elterngeld beziehen können.<br />
Gender-Index für Deutschland<br />
Die Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es fordert<br />
die Bundesregierung auf, die Führung eines Gender-Index<br />
auf allen Politikebenen – Bund, Land, Kommunen – zu<br />
veranlassen und zu unterstützen. Hierbei können, wie die<br />
Machbarkeitsstudie von Hans-Böckler-Stiftung und DGB<br />
Gender-Index – eine Landkarte für Deutschland zeigt, Vorgehensweise<br />
und Auswertungsergebnisse der entsprechenden,<br />
Maßnahmen und Praxisauswertungen Schwedens wertvolle<br />
Orientierung geben.<br />
Auf Bundesebene sollte die Durchführungsverantwortung<br />
hierfür in einem Bundesinstitut und nicht in erster Linie beim<br />
Frauenministerium angesiedelt sein, um gleich ein Zeichen zu<br />
setzen dafür, dass dies eine alle Ressorts betreffende, generell<br />
zu verantwortende Aufgabe ist.<br />
Mindestinhalte des Gender-Index sollten Daten- und Lagebeschreibungen<br />
zur Gleichstellung in den Bereichen sein:<br />
Erwerbsarbeit<br />
Qualifikationsstände/Gleichstellungsrelevanz<br />
Arbeitslosigkeit<br />
Arbeitsmarktpolitik<br />
Einkommen<br />
Betreuungsinfrastruktur<br />
Politische Teilhabe.<br />
Alle Beschlüsse <strong>2007</strong><br />
www.frauenrat.de/files/Beschluesse_MV<strong>2007</strong>.pdf
Dieses Verzeichnis der Mitgliedsverbände des Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es gibt<br />
einen Überblick über die zahlreichen Frauenverbände und -organisationen,<br />
welche die Lobby der Frauen bilden. Es informiert über die Ziele, Arbeitsweisen<br />
und Kommunikationsformen, und es zeigt, wie vielfältig sich die<br />
Verbände engagieren.<br />
Das Verzeichnis kann kostenlos bestellt werden bei der Geschäftsstelle des<br />
Deutschen <strong>Frauenrat</strong>es.<br />
This directory of the <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>’s member organizations provides<br />
an overview of the many associations and groups that make up the<br />
“Women’s Lobby”. It includes brief synopses of their aims, structures and<br />
means of communication, showing the wide range of work they do.<br />
The directory can be ordered free of charge from the office of the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong>.<br />
DEUTSCHER<br />
FRAUENRAT<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong> – Lobby der Frauen –<br />
Bundesvereinigung von Frauenverbänden<br />
und Frauengruppen gemischter Verbände in<br />
Deutschland e.V.<br />
Axel-Springer-Straße 54a<br />
10117 Berlin<br />
Fon +49-(0)30-20 45 69-0<br />
Fax +49-(0)30-20 45 69-44<br />
kontakt@frauenrat.de<br />
www.frauenrat.de<br />
Redaktion<br />
Ulrike Helwerth<br />
Lektorat<br />
Karin Nungeßer<br />
Verantwortlich für den Inhalt<br />
Henny Engels, Geschäftsführerin<br />
Gestaltung<br />
Michael Pickardt, Berlin<br />
Druck<br />
agit, Berlin<br />
Fotos<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>, außer Bundesregierung/Bergmann<br />
(2), Brigitte Faber (5),<br />
Katrin Lechler (10)<br />
Finanziert durch das Bundesministerium für<br />
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Zwangsverrentung in letzter Minute stoppen<br />
Gemeinsame Erklärung<br />
<strong>Der</strong> Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der<br />
Deutsche <strong>Frauenrat</strong>, der Sozialverband Deutschland<br />
(SoVD), der Sozialverband VdK Deutschland und die<br />
Volkssolidarität unterstützen die erklärte Absicht der<br />
Bundesregierung, der Beschäftigung und<br />
Eingliederung in den Arbeitsmarkt oberste Priorität<br />
einzuräumen. Die Koalition darf aber nicht<br />
zulassen, dass ältere Arbeitslose, von denen die<br />
meisten trotz aller Bemühungen keine Chance auf<br />
eine anständige Beschäftigung haben, in eine Rente<br />
mit hohen Abschlägen gezwungen werden. Dies<br />
würde ab dem 1. Januar 2008 ca. 120.000 bis<br />
150.000 Menschen jährlich betreffen.<br />
DGB, <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>, SoVD, VdK und die<br />
Volkssolidarität fordern die Koalition eindringlich<br />
auf, die Zwangsverrentung noch in letzter Minute<br />
zu stoppen. Es muss im SGB II gesetzlich klargestellt<br />
werden, dass Arbeitslose nicht in eine Altersrente<br />
mit Abschlägen gezwungen werden dürfen. Eine<br />
solche Zwangsverrentung wäre die unweigerliche<br />
Folge, wenn die Regelung im §5 Abs. 3 SGB II nach<br />
Auslaufen der Übergangsregelungen (in Verbindung<br />
mit der sogenannten 58er-Regelung) ohne<br />
Änderung wirksam wird.<br />
DGB, <strong>Deutscher</strong> <strong>Frauenrat</strong>, SoVD, VdK und die<br />
Volkssolidarität halten es für unverantwortlich,<br />
wenn die Koalition das Problem einfach aussitzen<br />
würde und die von der noch immer ungünstigen<br />
Stop Compulsory Retirement<br />
Joint declaration<br />
The Federation of German Trade Unions, the <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Frauenrat</strong>, the Sozialverband Deutschland SoVD, the<br />
Sozialverband VdK Deutschland, and the Volkssolidarität* call on<br />
the federal government to stop the threatened compulsory<br />
retirement of unemployed persons age 58 or older, which is due<br />
to go into effect in January of 2008.<br />
The above organizations support the federal government’s<br />
stated intention to place the highest priority on measures that<br />
include and integrate people into the labour market. But, the<br />
coalition government must not allow older unemployed persons,<br />
most of whom have no prospect of getting a suitable job<br />
despite their best efforts, to be forced into retirement with a<br />
major reduction in benefits. This will affect around 120,000 to<br />
150,000 individu<strong>als</strong> a year as of 1 January 2008.<br />
This type of compulsory retirement will be inevitable if the<br />
regulation defined in §5 sec. 3 of the SGB II (Social Law Code)<br />
goes into effect unchanged when the transition regulation runs<br />
out (in conjunction with the so-called “58 rule”).<br />
It is politically unacceptable for the coalition government to<br />
denigrate the life-long contribution of elderly unemployed<br />
persons via compulsory cuts in their pensions. These cuts will<br />
Arbeitsmarktsituation Betroffenen ab Januar 2008<br />
gegen ihren Willen mit hohen Abschlägen bei der<br />
Rente bestraft werden. Es wäre politisch<br />
unanständig, wenn die Koalition die Lebensleistung<br />
älterer Arbeitsloser durch Zwangskürzungen bei der<br />
Rente missachten würde. Schließlich würden diese<br />
Abschläge bis zum Lebensende gelten.<br />
Insbesondere für Langzeitarbeitslose müssen<br />
weitere Einbußen auch bei der Alterssicherung<br />
vermeiden werden. Ihre Rente ist ohnehin häufig<br />
niedrig. Die Abschläge würden das Risiko erhöhen,<br />
in Altersarmut abzurutschen und lebenslang von<br />
Sozialleistungen abhängig zu sein.<br />
Berlin, 27. November <strong>2007</strong><br />
Die Proteste gegen die Zwangsverrentung zeigten<br />
Erfolg: Ende November einigte sich die Große<br />
Koalition auf Druck der SPD darauf, dass ältere<br />
Arbeitslose ab dem 58. Lebensjahr weiterhin<br />
Arbeitslosengeld II beziehen können. Dabei müssen<br />
sie sich nicht arbeitssuchend melden, falls ihnen<br />
nicht innerhalb von zwölf Monaten ein<br />
Arbeitsangebot gemacht werden kann. Sie können<br />
aber auch auf eigenen Wunsch weiterhin die<br />
Vermittlungsangebote der Arbeitsagentur und<br />
Jobcenter in Anspruch nehmen. In Rente, die für<br />
die meisten mit Abschlägen verbunden ist, können<br />
ältere Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen nun erst<br />
ab 63 Jahren geschickt werden – anstatt mit 58.<br />
then affect them throughout the rest of their lives. Especially for<br />
long-term unemployed persons, further cuts must be avoided as<br />
their pensions are usually low to begin with. These cuts will <strong>als</strong>o<br />
increase the risk that they will slip into old-age poverty and<br />
become dependent on welfare for the remainder of their lives.<br />
* three social lobbying organizations<br />
Berlin, 27 November <strong>2007</strong><br />
Protests against the compulsory retirement regulation have<br />
yielded results. In late November, the CDU/SPD coalition<br />
government agreed that unemployed persons may continue to<br />
receive “Arbeitslosengeld II” (minimum unemployment benefits)<br />
when they reach the age of 58. They do not have to be<br />
registered in the job-hunting database if they have not received<br />
a job offer or application notice from the Labour Agency within<br />
the previous twelve months. They can, if they wish, continue to<br />
make use of the job placement services from the Labour Agency<br />
and Job Centers. In concrete terms, this means that the<br />
recipients of “Arbeitslosengeld II” cannot yet be classified as<br />
pensioners – most of whom receive lower benefits – until the<br />
age of 63 instead of 58.