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SCHREIBER <strong>•</strong> SOMMERBAUER <strong>•</strong> DOHR RECHTSANWÄLTE<br />

An den<br />

Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte<br />

EUROPEAN COURT OF HUMAN RIGHTS<br />

COUR EUROPÉENNE DES DROITS DE L’HOMME<br />

Conseil de l’Europe - Council of Europe - Europarat<br />

Strasbourg, France – Frankreich<br />

Council of Europe<br />

Palais de l’Europe<br />

Avenue de l’Europe<br />

F-67075 Strasbourg Cedex, France<br />

Beschwerdeführer: Werner NEUBAUER, Abgeordneter<br />

zum Nationalrat der Republik Österreich<br />

vertreten durch: Rechtsanwalt<br />

MMag. Dr. Michael Hermann DOHR, LL.M., LL.M.<br />

akademischer Europarechtsexperte<br />

Master of European Law<br />

Kollonitschgasse 10<br />

2700 Wiener Neustadt<br />

Österreich (Austria)<br />

(Vertretungsvollmacht beiliegend)<br />

austrolaw<br />

Dr. Ingo SCHREIBER<br />

Mag. Manfred SOMMERBAUER<br />

MMag. Dr. Michael DOHR, LL.M., LL.M.<br />

akademischer Europarechtsexperte<br />

A – 2700 WIENER NEUSTADT<br />

K o l l o n i t s c h g a s s e 1 0<br />

Tel.: +43 (0) 2622/ 230 16–0<br />

Fax: +43 (0) 2622/ 69 676<br />

office@austrolaw.at<br />

www.austrolaw.at<br />

UID: ATU 20579504<br />

DVR: 0962066<br />

RA-Code: S 200.481<br />

1-fach<br />

1 Beilage (Ordner)


I. LES PARTIES<br />

THE PARTIES<br />

DIE PARTEIEN<br />

A. LE REQUÉRANT<br />

THE APPLICANT<br />

Der Beschwerdeführer:<br />

1. Vorname: Werner Familienname: NEUBAUER<br />

2. Geschlecht: männlich<br />

3. Staatsangehörigkeit: österreichisch<br />

4. Beruf: Abgeordneter zum Nationalrat der Republik Österreich<br />

5. Geburtsdatum und -ort: 29.10.1956, Linz<br />

6. Ständige Anschrift: 1.) Grabnerstraße 4, A - 4020 Linz, Österreich<br />

2.) Parlament, A – 1010 Wien, Österreich<br />

7. Telefonnummern des bevollmächtigten Rechtsvertreters:<br />

++ 43 650 90 90 140<br />

++ 43 2622 230 160<br />

8. Anschrift des bevollmächtigten Rechtsvertreters:<br />

Rechtsanwalt MMag. Dr. Michael DOHR, LL.M., LL.M.<br />

akademischer Europarechtsexperte<br />

Kollonitschgasse 10<br />

A – 2700 WIENER NEUSTADT<br />

ÖSTERREICH<br />

2


B. LA HAUTE PARTIE CONTRACTANTE<br />

THE HIGH CONTRACTING PARTY<br />

DIE HOHE VERTRAGSCHLIESSENDE PARTEI<br />

(Indiquer ci-après le nom de l’Etat / des Etats contre le(s) quel(s) la requête est dirigée)<br />

(Fill in the name of the State(s) against which the application is directed)<br />

(Angabe des Staates / der Staaten, gegen den / die die Beschwerde gerichtet ist)<br />

Tschechische Republik<br />

II. EXPOSÉ DES FAITS<br />

STATEMENT OF THE FACTS<br />

DARLEGUNG DES SACHVERHALTES<br />

In der Tschechischen Republik wird das Atomkraftwerk Temelin betrieben.<br />

Von diesem gehen infolge technischer Mängel massive aktuelle Gefahren aus.<br />

Diese übersteigen das durchschnittliche Maß des Gefahrenpotenzials eines<br />

Atomkraftwerks erheblich.<br />

In Fachkreisen wird der Atomreaktor gleichsam als „Schrottreaktor“ angesehen.<br />

Die bisherige Zahl der nachgewiesenen Störfälle ist bereits weit über der<br />

Norm und lässt weiteres technisches Versagen samt damit verbundenen<br />

Gefährdungen erwarten.<br />

Die aktuellen Schwerpunkte der von dem Atomkraftwerk Temelin ausgehenden<br />

konkreten Gefährdungen liegen aus technischer und medizinischer Sicht<br />

insbesondere in:<br />

<strong>•</strong> unsicheren Rohrleitungen<br />

3


<strong>•</strong> unzureichenden Sicherheitsventilen<br />

<strong>•</strong> seismischer Anfälligkeit aufgrund des Standorts<br />

<strong>•</strong> unsachgemäßen Verschweißungen im Primärkreislauf an den Druckbehältern<br />

<strong>•</strong> erfolgten Umgestaltungen im Kern und damit verbundene Mischung<br />

inkompatibler Technologien<br />

<strong>•</strong> langfristiger Versprödungsproblematik<br />

<strong>•</strong> krebserregenden Strahlungsaustritten<br />

<strong>•</strong> zusätzlicher Gefahrenerhöhung durch Ausbau auf weitere 2 Blöcke.<br />

Daraus erhellen übermäßige Gefahren, die aufgrund zahlreicher bereits erfolgter<br />

Störfälle eine konkrete und aktuelle Bedrohung des Beschwerdeführers und<br />

seiner Mitbürger bewirken, zumal das Atomkraftwerk Temelin unweit vom Wohnort<br />

des Beschwerdeführers betrieben wirkt und somit dessen Wohnort akut gefährdet ist<br />

(wie übrigens auch ganz Österreich und ganz Tschechien sowie zahlreiche weitere<br />

europäische Bevölkerungsgruppen).<br />

Im Atomkraftwerk Temelin sind nämlich aktuell schwere Unfälle mit erheblichen<br />

Freisetzungen radioaktiver Schadstoffe zu befürchten.<br />

Dies betrifft insbesondere die Druckwasserreaktoren des Reaktortyps WWER-<br />

1000/320, der in Temelin errichtet wurde.<br />

So gibt es bei der damit verbundenen Problematik der 28,8m-Bühne nicht einmal<br />

den Ansatz einer Lösung und die Qualifikation der Sicherheitsventile ist bis<br />

heute nicht gegeben.<br />

4


Die Kühlungsmechanismen sind unzureichend und die Sicherheitshülle ist<br />

irresistent.<br />

Die spezifische Unfallgeneigtheit des Atomkraftwerks Temelin drückt sich in<br />

der Gefahr einer (teilweisen oder vollständigen) Zerstörung des Reaktorkernes<br />

mit den hochradioaktiven Brennelementen (Kernschmelze). Eine Kernschmelze<br />

tritt ein, wenn der Kern nicht ausreichend gekühlt wird – sei es aufgrund eines Lecks<br />

im primären Kühlkreislauf oder aufgrund von Störungen, bei denen die Kühlung<br />

ausfällt, während der Primärkreislauf intakt bleibt (sogenannte Transienten).<br />

Der Umfang der Freisetzung radioaktiver Schadstoffe nach dem Schmelzen des<br />

Reaktorkerns (der Quellterm) hängt wesentlich von der Sicherheitshülle<br />

(Containment) ab. Je früher das Containment seine Integrität verliert (oder<br />

umgangen wird), desto größer sind die freigesetzten Mengen. Da gerade diese<br />

Bestandteile und Materialien beim Atomkraftwerk Temelin schadhaft sind,<br />

wie bereits durch wiederholte Störfälle bisher zum Ausdruck gekommen ist, handelt<br />

es sich beim Atomkraftwerk Temelin um einen aktuell bedrohlichen<br />

Risikofaktor, von dem hochgradige Gefahren ausgehen, die auch nicht vor<br />

Landesgrenzen haltmachen. Dabei muss man gar nicht einmal vom schlimmsten<br />

anzunehmenden Unfall ausgehen wie es in Tschernobyl der Fall war, auch kleinere<br />

Störfälle wie sie in Temelin schon bisher der Fall waren und weiterhin – sogar<br />

verstärkt – konkret zu befürchten sind, würden fatale Konsequenzen für Menschen<br />

und Tiere in der Umgebung haben. Auch besteht Gefahr in Verzug, da eine neue<br />

5


Kernkraftanlage am Standort Temelin in Planung ist und bereits um die Durchführung<br />

einer Umweltverträglichkeitsprüfung angesucht worden ist.<br />

Die jeweiligen Details zu den technischen und gesundheitlichen Aspekten sind<br />

im Einzelnen dem Anhang zu entnehmen, der einen integrierenden<br />

Bestandteil der gegenständlichen Beschwerde bildet.<br />

Diesbezüglich werden im Anhang vorgelegt:<br />

<strong>•</strong> technische Expertisen hochrangiger Experten zu eklatanten baulichen und<br />

technologischen Mängeln des Atomkraftwerks Temelin,<br />

<strong>•</strong> Verweise auf das Weißbuch der EU und Studien zur durch Strahlenaustritt<br />

hervorgerufenen Gesundheitsgefährdung,<br />

<strong>•</strong> Auflistung bisheriger Störfälle zum Nachweis der weit außer der Norm<br />

sowie<br />

liegenden Gefährdungsaspekte<br />

<strong>•</strong> weitere relevante Unterlagen zum faktischen Nachweis der konkreten<br />

aktuellen Lebens- und Umweltgefährdung, die vom Atomkraftwerkt<br />

Temelin ausgeht.<br />

<strong>•</strong> Bekanntmachung des Vorhabens der Inbetriebnahme einer weiteren<br />

Kernkraftanlage am Standort Temelin.<br />

Das Atomkraftwerk Temelin wird unmittelbar vom belangten Staat,<br />

jedenfalls aber in dessen staatlicher Schutzpflichtverantwortung (siehe dazu die<br />

nachfolgenden Rechtsausführungen), betrieben.<br />

6


III. EXPOSÉ DE LA OU DES VIOLATION(S) DE LA CONVENTION ET / OU<br />

DES PROTOCOLES ALLÉGUÉE(S), AINSI QUE DES ARGUMENTS À L’APPUI<br />

STATEMENT OF ALLEGED VIOLATION(S) OF THE CONVENTION AND / OR<br />

PROTOCOLS AND OF RELEVANT ARGUMENTS<br />

ANGABE DER GELTEND GEMACHTEN VERLETZUNG(EN) DER KONVENTION<br />

UND/ODER ZUSATZPROTOKOLLE UND BEGRÜNDUNG DER BESCHWERDE<br />

Es werden in erster Linie Verletzungen des Artikel 8 EMRK und des Artikel 2<br />

EMRK geltend gemacht.<br />

Der von Artikel 8 EMRK erfasste Schutzbereich ist nach der Rechtsprechung der<br />

Straßburger Konventionsorgane weit und betrifft die gesamte persönliche Sphäre<br />

eines Menschen. Laut der Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Costello-<br />

Roberts 1 ist er „einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich“. Jedenfalls umfasst<br />

der Schutzbereich des Artikel 8 EMRK die Beeinträchtigung durch<br />

gesundheitsgefährdende Emissionen 2 und gleichermaßen auch die<br />

Gefährdung durch extremen Fluglärm 3 , woraus aufgrund eines Größenschlusses<br />

folgt, dass auch eine Gefährdung der Umwelt und der Bevölkerung durch<br />

existenzielle Gefährdung – wie im gegenständlichen Beschwerdeanlassfall – einen<br />

Eingriff in den Schutzbereich des Artikel 8 EMRK und mangels Rechtfertigung dieses<br />

Eingriffs einen Menschenrechtsverstoß darstellt.<br />

Zur Abwendung derartiger Gefahren hat der Europäische Gerichtshof für<br />

Menschenrechte ausdrücklich aus Artikel 8 EMRK positive Verpflichtungen für die<br />

1 Veröffentlicht in ÖJZ 1993, 707.<br />

2 Entscheidung des EGMR vom 9.12.1994 in der Rechtssache Lopez Ostra (ÖJZ 1995, 347), Serie A 303-C,<br />

Z. 51; ebenso Rechtssache Hatton, Nr. 36022/97, Z. 97 ff.<br />

3 Entscheidung des EGMR vom 21.2.1990 in der Rechtssache Powell und Rayner (ÖJZ 1990, 418), Serie A 172,<br />

Z. 42 und 45.<br />

7


Mitgliedstaaten abgeleitet, die in Form staatlicher Schutzpflichten zum<br />

Ausdruck kommen. 4<br />

Gleichermaßen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt<br />

judiziert, dass auch Artikel 2 Absatz 1 1. Satz EMRK nicht nur das Verbot<br />

staatlicherseitiger Tötungen 5 (status negativus) normiert, sondern auch eine<br />

positive Schutzpflicht des Staates 6 (status activus).<br />

Im letztgenannten Sinne folgt aus Artikel 2 Absatz 1 1. Satz EMRK die<br />

Verpflichtung jedes Staates, Gefährdungen des Rechts auf Leben – und<br />

damit jede Gefährdung des Lebens selbst – wirksam zu unterbinden.<br />

Bei Bestehen einer Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des<br />

Beschwerdeführers und seiner Mitbürger fällt seine Beschwerden in den<br />

Anwendungsbereich von Artikel 2 EMRK. Diese Gefahr – und bereits eine Gefahr<br />

genügt nach der Rechtsprechung – besteht im Anlassfall offenkundig.<br />

Artikel 2 EMRK begründet nämlich positive Verpflichtungen der Staaten,<br />

angemessene Schritte zum Schutz des Lebens zu setzen und wirksame Abhilfe<br />

gegen Bedrohungen des Lebens zu schaffen.<br />

Diese Verpflichtung ist im Kontext jeder öffentlichen oder privaten Aktivität<br />

anwendbar, in der das Recht auf Leben betroffen ist. Dies trifft insbesondere bei<br />

gefährlichen industriellen Aktivitäten zu. Genau dies ist hier gegeben.<br />

4<br />

Vgl dazu insbesondere die vorgenannte Entscheidung des EGMR vom 9.12.1994 in der Rechtssache Lopez<br />

Ostra (ÖJZ 1995, 347), Serie A 303-C, Z. 51.<br />

5<br />

Unter Beachtung der in Art 2 EMRK festgelegten Ausnahmen.<br />

6<br />

EGMR 9. 6. 1998, LCB, ÖJZ 1999, 353.<br />

8


Die erwähnte Staatenpflicht umfasst sogenannte substantielle und prozessuale<br />

Aspekte.<br />

Beide Aspekte sind vorliegend verletzt.<br />

Da der belangte Staat es verabsäumt hat, angemessene Schritte zum Schutz<br />

des Lebens zu setzen und wirksame Abhilfe gegen Bedrohungen des<br />

Lebens zu schaffen, und stattdessen sogar die gefährlichen nuklearen Aktivitäten<br />

begünstigt und mitgetragen hat, hat er es jedenfalls zumindest verabsäumt, seiner<br />

positiven Verpflichtung zur Errichtung eines rechtlichen und administrativen Rahmens<br />

zum Schutz vor Bedrohungen des Rechts auf Leben nachzukommen, sodass<br />

bereits unter diesem Aspekt eine Verletzung des substantiellen Aspekts von<br />

Artikel 2 EMRK vorliegt.<br />

Ebenso liegt auch eine Verletzung des prozessualen Aspekts von Artikel 2<br />

EMRK vor.<br />

Verallgemeinert man den in der (jüngeren) Rechtsprechung des EGMR zum Ausdruck<br />

kommenden Ansatz, gelangt man zu dem Grundsatz, dass aus den materiellen<br />

Rechtsschutzgeboten der EMRK zur Gewährleistung der in der EMRK verbürgten<br />

Rechte, jedenfalls aber der vorstehend zitierten Bestimmungen der EMRK,<br />

grundlegende staatliche Schutzpflichten resultieren, die im Sinne eines<br />

9


vollständigen „effet utile“ 7 sicherstellen sollen, dass das betreffende materielle<br />

Konventionsrecht in seinem vollen Kontext auch faktisch gewährleistet werden<br />

kann.<br />

Dies ist ein Grundziel, auf dem die gesamte evolutive Auslegung der EMRK durch<br />

den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beruht 8 und das dogmatisch im<br />

Sinne der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte herangezogenen<br />

Fortentwicklungskriterien der Grund- und Menschenrechte und damit der<br />

Grundrechtsinterpretation des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte<br />

schlechthin liegt. 9<br />

Diese sowohl aus Artikel 8 EMRK als auch aus Artikel 2 EMRK erfließenden<br />

Schutzpflichten hat der belangte Staat jedoch verletzt.<br />

Durch den Betrieb des Atomkraftwerks Temelin hat der belangte Staat, in dessen<br />

Verantwortungsbereich der Betrieb fällt, nämlich eine mehrfache konkrete<br />

Gefährdung des Beschwerdeführers und seiner Mitbürger verschuldet.<br />

Ordnet man den Betrieb des Atomkraftwerkes Temelin direkt dem belangten Staat in<br />

aktiver Verantwortung zu – was in dieser Beschwerde ausdrücklich vorgebracht<br />

wird –, ist er unmittelbar verantwortlich.<br />

7 Zur Effektivitätsorientierung der EMRK-Auslegung unter dem (insbesondere auch vom EuGH<br />

herangezogenen, aber auch in der Rechtsprechung des EGMR zum Ausdruck kommenden) Interpretationsansatz<br />

des „effet utile“ vgl Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, München 2003, 12 mwN.<br />

8 Zur evolutiven Auslegung im Allgemeinen vgl Matscher, Quarant ans d’activité de la cour européenne des<br />

droits de l’homme, in: Académie de droit international de la Haye (Hrsg), Recueil des Cours 1997, Bd 270, Den<br />

Haag/Boston/London 1999, 281 ff.<br />

9 Matscher, Methods of the interpretation of the Convention, in: MacDonald/Matscher/Petzold (Hrsg), The<br />

european system for the protection of human rights, Dordrecht 1993, 70 ff.<br />

10


Geht man hingegen – eventualiter – nicht von einer aktiven Betreibung des<br />

Atomkraftwerkes Temelin durch den belangten Staat aus, so ist diesem jedenfalls<br />

vorzuwerfen, durch Nichtuntersagung der gefährdenden Anlage seine<br />

staatlichen Schutzpflichten gegenüber dem Beschwerdeführer verletzt zu<br />

haben.<br />

So oder so ergibt sich die staatliche Verantwortung und die Verletzung der<br />

bestehenden staatlichen Schutzpflichten durch den belangten Staat im<br />

aufgezeigten Umfange.<br />

Kein Vorliegen einer allfälligen EMRK-konformen Rechtfertigung:<br />

Die aufgezeigten Gefährdungen sind auch keinesfalls gerechtfertigt.<br />

Sie stellen nämlich keine Maßnahme dar, die in einer demokratischen<br />

Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das<br />

wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung<br />

von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum<br />

Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig wäre.<br />

Gerade hinsichtlich der – für eine konventionsrechtliche Rechtfertigung<br />

unabdinglichen – Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft wird in der<br />

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nämlich<br />

gefordert, dass der Eingriff in die betreffenden Schutzbereiche der zitierten<br />

11


Menschenrechte einem geradezu „zwingenden sozialen Bedürfnis“ entsprechen<br />

und verhältnismäßig sein müsse. 10<br />

Dies ist vorliegend jedenfalls nicht der Fall. 11<br />

Vorläufiges Ergebnis und Anträge:<br />

Aus den in der gegenständlichen Beschwerde aufgezeigten Gründen ergibt sich die<br />

Verletzung der geltend gemachten Menschenrechte, nämlich der Artikel 2<br />

und 8 EMRK, und wird beantragt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />

möge diese feststellen und die belangten Staaten zur Abstandnahme von den<br />

Gefährdungshandlungen verpflichten.<br />

Weitere Konventionsverletzungen:<br />

Das menschenrechtliche Gebot positiver Schutzpflichten des Staates wurde<br />

jüngst auch im Urteil des EGMR in der Rechtssache Budayeva und andere<br />

gegen Russland, Urteil vom 20.03.2008, Kammer I, Beschwerde-Nummern<br />

15.339/02, 21.166/02, 20.058/02, 11.673/02 und 15.343/02, ausdrücklich anerkannt.<br />

In jenem Fall waren diese auf Artikel 2 EMRK, Artikel 13 EMRK und Artikel 1 1.<br />

Protokoll zur EMRK gestützt worden.<br />

Davon ausgehend, werden in der gegenständlichen Beschwerde ergänzend auch<br />

diese Bestimmungen herangezogen. Die Beschwerde wird daher – ergänzend zur<br />

10 Urteil des EGMR vom 25.3.1983 in der Rechtssache Silver (EuGRZ 1984, 147).<br />

11 Wobei bereits das legitime Ziel zu bezweifeln ist.<br />

12


ereits ausgeführten Verletzung von Artikel 2 und Artikel 8 EMRK – auch auf<br />

Artikel 13 EMRK und Artikel 1 des 1.Protokolls zur EMRK gestützt. Diese<br />

Bestimmungen sind aus folgenden Gründen verletzt:<br />

Artikel 1 des 1.Protokolls zur EMRK ist wegen des durch die konkrete Bedrohung<br />

bewirkten Eingriffs in das Eigentumsrecht des Einschreiters verletzt, dessen Eigentum<br />

in Form seiner Wohnstätte innnerhalb des unmittelbaren Gefahrenradius des<br />

Atomkraftwerkes Temelin liegt.<br />

Artikel 13 EMRK ist dadurch verletzt, dass den Einschreitern kein wirksames<br />

innerstaatliches Rechtsmittel zur Verfügung steht (siehe dazu die Ausführungen zum<br />

Umstand der von vornherein nicht bestehenden innerstaatlichen Rechtsmittel im<br />

Rahmen der Angaben zur Zulässigkeit der Beschwerde).<br />

Es wird daher beantragt, auch eine Verletzung von Artikel 2 EMRK, Artikel<br />

13 EMRK und Artikel 1 1. Protokoll zur EMRK festzustellen.<br />

IV. EXPOSÉ RELATIF AUX PRESCRIPTIONS DE L’ARTICLE 35 § 1 DE LA<br />

CONVENTION<br />

STATEMENT RELATIVE TO ARTICLE 35 § 1 OF THE CONVENTION<br />

ANGABEN ZU ARTIKEL 35 ABS. 1 DER KONVENTION<br />

Zur innerstaatlichen Rechtswegerschöpfung:<br />

Es bestehen keine wirksamen innerstaatlichen Rechtsmittelmöglichkeiten,<br />

da das Atomkraftwerk Temelin als direkt von der Tschechischen Republik betriebene<br />

13


Anlage in der Tschechischen Republik nicht zivilrechtlich oder öffentlichrechtlich<br />

belangbar ist.<br />

Selbst wenn es das wäre, wären aber gegen das Atomkraftwerk Temelin gerichtete<br />

Rechtsmittel in der Tschechischen Republik wegen der staatlichen Betreibung<br />

desselben als Prestigeprojekt der Tschechischen Regierung von vornherein<br />

aussichtslos. Es bestehen somit jedenfalls keine „effective remedies“.<br />

Überdies ist der Beschwerdeführer in der Tschechischen Republik mangels dortigen<br />

Wohnsitzes nicht klagslegitimiert. In Österreich ist eine Klagsführung auch nicht<br />

möglich, wie dies bereits im Falle anderer zivilrechtlicher Klagen gegen das<br />

Atomkraftwerk Temelin und gegen die Tschechische Republik in diesem<br />

Zusammenhang erwiesen haben.<br />

Daraus erweist sich die Erfüllung des prozessualen<br />

Zulässigkeitserfordernisses der gegenständlichen Beschwerde, da dem<br />

Beschwerdeführer weder in der Tschechischen Republik noch in einem anderen Staat<br />

ein wirksames innerstaatliches Rechtsmittel zur Verfügung steht, um Abhilfe gegen<br />

die aufgezeigten Menschenrechtsverletzungen zu schaffen.<br />

Die gegen den verantwortlichen Staat hiermit beim Europäischen Gerichtshof für<br />

Menschenrechte eingereichte Beschwerde trägt somit dem Erfordernis der<br />

Ausschöpfung zur Verfügung stehender innerstaatlicher Rechtsmittel<br />

Rechnung (zumal inexistente innerstaatliche Rechtsmittel oder aussichtslose<br />

innerstaatliche Rechtsmittel nicht zu ergreifen sind).<br />

Somit erweist sich die gegenständliche Beschwerde unter diesem prozessualen<br />

Aspekt als zulässig.<br />

14


Überdies sind auch – wie nachfolgend dargestellt – alle weiteren<br />

Zulässigkeitserfordernisse erfüllt.<br />

Zur Beschwerdezulässigkeit gemäß Artikel 35 EMRK im Einzelnen:<br />

Die gegenständliche Beschwerde erfüllt alle Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />

gemäß Artikel 35 EMRK:<br />

<strong>•</strong> Es liegt in Anbetracht der innerstaatlichen Unanfechtbarkeit die Erschöpfung<br />

aller innerstaatlichen Rechtsmittel vor, weil gar keine innerstaatlichen Rechtsmittel<br />

zulässig sind. Somit würden solche auch keine „effective remedies of law“ darstellen,<br />

sondern „inneffective remedies“, welche nach der Rechtsprechung des EGMR wegen<br />

Aussichtslosigkeit nicht ergriffen werden müssen.<br />

<strong>•</strong> Es ist bei Übermittlung der Beschwerde an den EGMR dem Erfordernis der<br />

Beschwerdeerhebung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen<br />

innerstaatlichen Entscheidung somit jedenfalls Rechnung getragen, weil es gar<br />

keinen innerstaatlichen Rechtszug gibt.<br />

<strong>•</strong> Die Beschwerde ist nicht anonym.<br />

<strong>•</strong> Sie stimmt auch nicht mit einer schon vorher vom Gerichtshof geprüften<br />

Beschwerde überein und ist auch keiner anderen internationalen Untersuchungs-<br />

oder Vergleichsinstanz unterbreiteten worden.<br />

15


<strong>•</strong> Es ist keine offensichtliche Unbegründetheit der Beschwerde gegeben. 12<br />

<strong>•</strong> Es liegt ersichtlich auch keine missbräuchliche Ausübung des Beschwerde-<br />

rechts vor.<br />

<strong>•</strong> Es liegt auch keine Unvereinbarkeit der Beschwerde mit der Konvention oder<br />

den Protokollen dazu vor, also keine Unvereinbarkeit<br />

V. EXPOSÉ DE L'OBJET DE LA REQUÊTE<br />

STATEMENT OF THE OBJECT OF THE APPLICATION<br />

ANGABE DES BESCHWERDEGEGENSTANDES<br />

Beschwerdegegenstand:<br />

>>> ratione personae,<br />

>>> ratione loci,<br />

>>> ratione temporis oder<br />

>>> ratione materiae.<br />

Aufgrund des dargelegten Sachverhalts rügt der Beschwerdeführer mit seiner<br />

Individualbeschwerde sämtliche sich aus dem gesamten Vorbringen<br />

ausdrücklich oder schlüssig ergebenden Konventionsverstöße und stützt die<br />

Beschwerde im Übrigen auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, der sich im<br />

vorliegenden Zusammenhang aus der EMRK und ihren Zusatzprotokollen ergibt.<br />

Beschwerdeanträge:<br />

12 Siehe die vorstehenden Ausführungen zu den meritorischen Beschwerdeaspekten.<br />

16


Es wird beantragt, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wolle<br />

<strong>•</strong> die vorstehende Beschwerde annehmen und für zulässig erklären;<br />

<strong>•</strong> den vorgetragenen Sachverhalt überprüfen und, sofern keine<br />

einvernehmliche Lösung im Sinne des Artikel 30 EMRK erzielt werden sollte,<br />

feststellen, dass der Beschwerdeführer in seinen Rechten nach den gerügten<br />

Bestimmungen der EMRK sowie in allen übrigen vom EGMR für einschlägig<br />

befundenen Menschenrechten verletzt worden ist.<br />

VI. AUTRES INSTANCES INTERNATIONALES TRAITANT OU AYANT TRAITÉ<br />

L’AFFAIRE<br />

STATEMENT CONCERNING OTHER INTERNATIONAL PROCEEDINGS<br />

ANDERE INTERNATIONALE INSTANZEN, DIE MIT DIESER ANGELEGENHEIT<br />

BEFASST SIND ODER WAREN<br />

Es wurden keine anderen internationalen Gerichte, Schlichtungs-,<br />

Untersuchungsbehörden oder Entscheidungsorgane angerufen.<br />

VII. PIÈCES ANNEXÉES (PAS D’ORIGINAUX, UNIQUEMENT DES COPIES;<br />

PRIÈRE DE N'UTILISER NI AGRAFE, NI ADHÉSIF, NI LIEN D'AUCUNE<br />

SORTE)<br />

LIST OF DOCUMENTS (NO ORIGINAL DOCUMENTS, ONLY PHOTOCOPIES,<br />

DO NOT STAPLE, TAPE OR BIND DOCUMENTS)<br />

BEIGEFÜGTE UNTERLAGEN (KEINE ORIGINALE, NUR KOPIEN;<br />

DIE DOKUMENTE BITTE NICHT HEFTEN, KLEBEN ODER BINDEN)<br />

<strong>•</strong> Vertretungsvollmacht<br />

<strong>•</strong> weitere relevante Unterlagen – wie eingangs erwähnt:<br />

<strong>•</strong> technische Expertisen hochrangiger Experten zu eklatanten baulichen<br />

und technologischen Mängeln des Atomkraftwerks Temelin,<br />

17


<strong>•</strong> Verweise auf das Weißbuch der EU und Studien zur durch<br />

Strahlenaustritt hervorgerufenen Gesundheitsgefährdung,<br />

<strong>•</strong> Auflistung bisheriger Störfälle zum Nachweis der weit außer der Norm<br />

liegenden Gefährdungsaspekte<br />

sowie<br />

<strong>•</strong> weitere relevante Unterlagen zum faktischen Nachweis der konkreten<br />

aktuellen Lebens- und Umweltgefährdung, die vom Atomkraftwerkt Temelin<br />

ausgeht.<br />

18


VIII. DÉCLARATION ET SIGNATURE<br />

DECLARATION AND SIGNATURE<br />

ERKLÄRUNG UND UNTERSCHRIFT<br />

Je déclare en toute conscience et loyauté que les renseignements qui figurent sur la présente formule<br />

de requête sont exacts.<br />

I hereby declare that, to the best of my knowledge and belief, the information I have given in the<br />

present application form is correct.<br />

Ich erkläre nach bestem Wissen und Gewissen, dass die von mir im vorliegenden Beschwerdeformular<br />

gemachten Angaben richtig sind.<br />

Lieu / Place / Ort: Linz – Wiener Neustadt - Wien<br />

Date / Date / Datum : ... September 2008<br />

Signature du représentant du requérant (Signature of the applicant’s representative / Unterschrift des<br />

Vertreters des Beschwerdeführers):<br />

------------------------------------------------------------------------<br />

Rechtsanwalt<br />

MMag. Dr. Michael Hermann DOHR, LL.M., LL.M.<br />

akademischer Europarechtsexperte<br />

Master of European Law<br />

Kollonitschgasse 10<br />

2700 Wiener Neustadt<br />

Österreich (Austria)<br />

unter Berufung auf die beiliegende Vollmacht<br />

19


E UROPÄISCHER G ERICHTSHOF FÜR M ENSCHENRECHTE<br />

V O L L M A C H T<br />

gemäß Artikel 36 der Verfahrensordnung<br />

Ich, Nationalratsabgeordneter Werner NEUBAUER, Grabnerstraße 4, A - 4020 Linz,<br />

Österreich<br />

(Name und Anschrift des Beschwerdeführers)<br />

bevollmächtige hiermit<br />

Rechtsanwalt<br />

MMag. Dr. Michael Hermann DOHR, LL.M., LL.M.<br />

akademischer Europarechtsexperte<br />

Master of European Law<br />

Kollonitschgasse 10<br />

2700 Wiener Neustadt<br />

Österreich (Austria)<br />

(Name, Anschrift und Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten),<br />

mich in dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte<br />

und in etwaigen Folgeverfahren nach der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

zu vertreten, die meine am heutigen Tage<br />

(Tag des Schreibens, mit dem die Beschwerde erhoben wurde)<br />

nach Artikel 34 der Konvention gegen<br />

eingereichte Beschwerde betreffen.<br />

TSCHECHIEN<br />

(belangter Staat)<br />

.........................................................<br />

............................................................<br />

(Ort und Datum) (Unterschrift des Beschwerdeführers)<br />

Hiermit erkläre ich mich mit der obigen Bevollmächtigung einverstanden.<br />

.................................................................<br />

(Unterschrift des Bevollmächtigten)<br />

20

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