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Am Berghof · Lebensgeschichten unserer Vorfahren · Leseprobe

„Oft sind sie zu Nomaden der Berghöfe geworden, die Vorfahren: unsere Mütter und Väter. Manchmal sind es schon die Kinder, die nie eine Heimat haben und früh Ziehende sind. Wer das Dienstbotenalter erreicht, bleibt als Arbeitskraft unentbehrlich und kann sich am Hof mit Einsatz und Tüchtigkeit, zumindest für einige Jahre, eine Heimat schaffen. Heimat ist dann dort, wo die Leute gebraucht und geduldet sind.“ (Hans Rieder)

„Oft sind sie zu Nomaden der Berghöfe geworden, die Vorfahren: unsere Mütter und Väter. Manchmal sind es schon die Kinder, die nie eine Heimat haben und früh Ziehende sind. Wer das Dienstbotenalter erreicht, bleibt als Arbeitskraft unentbehrlich und kann sich am Hof mit Einsatz und Tüchtigkeit, zumindest für einige Jahre, eine Heimat schaffen. Heimat ist dann dort, wo die Leute gebraucht und geduldet sind.“ (Hans Rieder)

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Hans Rieder<br />

<strong>Am</strong> <strong>Berghof</strong><br />

<strong>Lebensgeschichten</strong> <strong>unserer</strong> <strong>Vorfahren</strong>


IMPRESSUM<br />

© 2013<br />

Alle Rechte vorbehalten: Hans Rieder <strong>·</strong> creart<br />

Keine Teile dieser Publikation, weder Texte noch Bilder, dürfen ohne schriftliche Einwilligung des Autors und Herausgebers in<br />

irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.<br />

Eigenverlag: creart<br />

Grafi sches Konzept & Layout: creart<br />

Druck: Druckerei A. Weger, Brixen<br />

Hans Rieder<br />

<strong>Am</strong> <strong>Berghof</strong><br />

<strong>Lebensgeschichten</strong> <strong>unserer</strong> <strong>Vorfahren</strong><br />

Bestellungen:<br />

creart <strong>·</strong> Ahrnerstr. 39 <strong>·</strong> I-39030 Luttach <strong>·</strong> Ahrntal<br />

Tel. +39 0474 671 820<br />

info@creart.cc W I R R E A L I S I E R E N I H R B U C H P R O J E K T


„Die <strong>Vorfahren</strong> zu schätzen hat mich meine Kindheit gelehrt“<br />

Oft sind sie zu Nomaden der Berghöfe geworden,<br />

die <strong>Vorfahren</strong>: unsere Mütter und Väter. Manchmal<br />

sind es schon die Kinder, die nie eine Heimat haben<br />

und früh Ziehende sind. Wer das Dienstbotenalter<br />

erreicht, bleibt als Arbeitskraft unentbehrlich und<br />

kann sich am Hof mit Einsatz und Tüchtigkeit, zumindest<br />

für einige Jahre, eine Heimat schaffen. Heimat<br />

ist dann dort, wo die Leute gebraucht und geduldet<br />

sind. <strong>Am</strong> Hof hat niemand große Ansprüche zu<br />

stellen; dort wird gearbeitet und nach den täglichen<br />

Ritualen gelebt. Da stört es nicht, wenn das Tal zur<br />

Welt wird, denn weiter reichen der Blick und das Betätigungsfeld<br />

der <strong>Vorfahren</strong> meistens nicht.<br />

In diesem Umfeld sind es vor allem die Frauen, die<br />

eine unscheinbare, aber eine unentbehrliche Rolle<br />

Die Widmung und mein Dank:<br />

übernehmen. Nur wenn der Erbe nicht da ist, sind<br />

es die Frauen, die den Hof übernehmen. Ansonsten<br />

sind sie dafür nicht vorgesehen. Sie ringen der<br />

Natur ab, was diese hergibt, sind von einer Zähigkeit<br />

und oft auch von einer Leidensfähigkeit, die sich<br />

unglaublich anhört. Wenn auch der Bauer nach außen<br />

den Hof repräsentiert, das Innenleben gestaltet<br />

die Bäuerin.<br />

In den vielen Beiträgen stehen die <strong>Lebensgeschichten</strong><br />

einfacher Frauen und Männer am Hof im Mittelpunkt.<br />

Von Bescheidenheit und Genügsamkeit ist<br />

ihr Leben geprägt: Still, wie sie ihr Leben führen,<br />

gehen sie wieder. Geblieben sind uns beeindruckende<br />

Fotos und die <strong>Lebensgeschichten</strong> von unseren<br />

<strong>Vorfahren</strong> in den Bergtälern.<br />

„Dieses Buch widme ich zuallererst allen,<br />

die uns das Bildmaterial zur Verfügung gestellt und mir Geschichte und Geschichten erzählt haben.<br />

Auch wenn aufgrund der größtenteils mündlichen Überlieferungen und Recherchen<br />

die Arbeit aufwendig ist, gehört sie zum spannendsten Abschnitt dieser Buchveröffentlichung.<br />

Groß ist die Achtung vor den Leistungen der Hauptdarsteller,<br />

die uns in ihrer Zeit respektvoll verharren lassen. Erfreuen wir uns an den Bildern und<br />

den Geschichten <strong>unserer</strong> <strong>Vorfahren</strong>; sie haben Aussagekraft und Symbolik.“<br />

Der Autor<br />

Hans Rieder<br />

Frauen am Hof<br />

Die Hoffrauen 9<br />

Die Kindsdirn 13<br />

Der Ruf der Kinder 15<br />

Kinder sind ein Geschenk 17<br />

Die Kleinmagd 21<br />

Die Großmagd 25<br />

Die Bäuerin 27<br />

Frauen können Bäuerinnen 29<br />

Die Bauernhochzeit 33<br />

Dorfgeschichten<br />

Das Schicksal 43<br />

Die Ellerbäuerin 45<br />

Die Hoferbin 53<br />

Die Mutter für alle 58<br />

Die Heimatsuche 61<br />

Die Klosterfrau 65<br />

Die Abendstille 69<br />

Der Bauer 71<br />

Der Altbauer 73<br />

Die Holzknechte 83<br />

Das Mittagessen 89<br />

Die einsamen Bergkinder 91<br />

Die Katakombenlehrerin 95<br />

Die Dorfl ehrerin 101<br />

Der Edelweißklauber 109<br />

Kinder werden zu Engeln 111<br />

Der Rebell 115<br />

Die Oberleiter Saga 119<br />

Der Mord von Steinhaus 131<br />

Der Wilderer 141<br />

Ahrntaler Heilkunst 143<br />

Die Volksmedizin 151<br />

Die Grenzkinder 153<br />

Das Dorfgasthaus 161<br />

Das Schachen-Dörfl 167<br />

Die Hebamme im Dorf 171<br />

Volksfrömmigkeit<br />

Der Volksglaube 179<br />

Die neuen Kirchenglocken 187<br />

Der Kirchgang 193<br />

Antlass 201<br />

Das Ablassgebet 203<br />

Der Abschied der Eltern 205<br />

Gebet zum hl. Schutzengel 207<br />

Die Viehsegnung 211<br />

Alfons Innerbichler, der Missionar 215<br />

Beim Prënta 223<br />

Spuren der <strong>Vorfahren</strong><br />

Heimat und Landschaften 239<br />

Die Stille der Berge 241<br />

Das Bauernhaus 245<br />

Die Olëiga 251<br />

Gelebte Familientraditionen 271<br />

Almlandschaften – Almgeschichte 303<br />

Auf der Alm 307<br />

Kriegszeiten und Kriegserlebnisse 341<br />

Das Heimweh 343<br />

Soldat und Dolmetscher 353<br />

Dolomitenfront 359<br />

Ein Staunen bleibt 366<br />

Der Autor<br />

Literatur- und Bildnachweis 368<br />

4 5


6<br />

Frauen am Hof<br />

Von links: Zäzilia Zimmerhofer, Dirndl (Rieserhäusl am Holzberg in Steinhaus), Elisabeth Niederegger,<br />

Kindsdirn mit Kleinkind Anna Hofer (Tënggbäuerin), Anna Hofer, die Platterbäuerin,<br />

und die Großmagd Maria Oberschmied vom Oberjahrl in St. Johann (1929)


Unterschiedlich fällt die Bewertung aus, wenn wir<br />

die Rolle der Bäuerin am Hof betrachten. Eins trifft<br />

auf alle Bäuerinnen zu: Sie sind Mütter, Arbeiterinnen<br />

am Hof, die Frauen, die im Haus die Verantwortung<br />

tragen und letztendlich auch ein gewichtiges<br />

Wort mitreden, wenn die weiblichen Dienstboten<br />

ausgewählt und am Hof neu angestellt oder ums<br />

Blaibm gefragt werden. Dass der Alltag der Bäuerin<br />

gefüllt ist mit Arbeit, Umsicht und oft auch mit Güte,<br />

wird oftmals zur Selbstverständlichkeit. Wenn am<br />

Sonntag nach dem Kirchn die Bauern und Knechte<br />

ins Dorfgasthaus gehen, dann sind die Frauen am<br />

Herd, denn das Essen für alle Hofbewohner will<br />

auch am Sonntag gekocht sein. Für die Arbeiten in<br />

der Küche ist die Bäuerin zuständig. Sie bestimmt,<br />

wann das Brotbacken ansteht, was jeden Tag auf<br />

den Tisch kommt. Im Godn, der Vorratskammer,<br />

sind Kartoffeln, Butter, Brot und andere Lebensmittel<br />

gelagert. Obwohl dieser Raum nie abgesperrt ist,<br />

wacht die Bäuerin darüber, dass keine Lebensmittel<br />

im Gonta (eine Schrankvorrichtung) ohne ihr Wissen<br />

entfernt werden. Neben der täglichen Arbeit ist<br />

und bleibt die Bäuerin vor allem Mutter. Wenn an<br />

einem Hof zehn und mehr Kinder zur Welt kommen,<br />

wird dies nie als Belastung, sondern immer<br />

als Geschenk empfunden. Es gibt viele Fälle, wo<br />

Kind oder Mutter oder beide bei der Geburt sterben.<br />

Überhaupt ist die Sterberate im Vergleich zu heute<br />

relativ hoch, da die Mütter ja immer am Hof entbinden.<br />

Die Hebamme vom Dorf kommt ins Haus, hilft<br />

bei der Geburt. Dies geht in vielen Fällen auch gut,<br />

tritt aber eine größere Komplikation auf, sind auch<br />

sie mit den bescheidenen medizinischen Ausstattungen<br />

hilfl os. Und doch verfügen diese Hebammen<br />

über eine Erfahrung und Kenntnisse, die in vielen<br />

Fällen sehr hilfreich sind, was ihnen in der Dorfbevölkerung<br />

einen hohen Stellenwert einbringt. Ist<br />

die Hebamme auf einem anderen Hof bei der Geburt<br />

dabei, muss die Bäuerin oft allein entbinden. Wenn<br />

eine Mutter am Hof bei einer Geburt stirbt, ist dies<br />

immer besonders tragisch. In solchen Fällen wird<br />

in ihrem Sterbebildchen dann immer geschrieben:<br />

„Sie starb in der Erfüllung ihrer Mutterpfl icht“.<br />

Der Blick des Bauern muss dann nach vorne gehen:<br />

meistens wird nochmals geheiratet. Die Kinder der<br />

Die Bäuerin<br />

Die tüchtige Wirtschafterin am Hof<br />

Maria Gasteiger vom Schneider in Weißenbach (1920),<br />

später beim Roschtbichla in St. Johann.<br />

ersten Frau werden wie selbstverständlich als die ihren<br />

angenommen. Nicht von ungefähr gibt es dann<br />

gar einige Familien, in denen Kinder von mehreren<br />

Anna Kirchler aus Weißenbach (geb. 1874): sie ist die Großmutter<br />

<strong>unserer</strong> Zeitzeugin Maria Ludwig (Dörfl Moidl).<br />

Bäuerinnen am Hof sind. Eins bleibt die Mutter und<br />

Bäuerin aber immer: eine Respektsperson für alle<br />

Hofbewohner, die gute Seele im Haus und das Herz<br />

der Familie.<br />

8 9


Dorfgeschichten<br />

Vor der Dorfschmiede in Luttach: Das Beschlagen (Anbringen der Hufeisen) der Pferde gehört zu den Hauptaufgaben des<br />

Dorfschmiedes. Von links: Rosa, Maria und Josefa Außerhofer; der Lois (Pronta Lois), der Bub vom Dorfschmied, auf dem Pferd<br />

10 11


„Das Schicksal oder Gott hat es so gewollt“, sagt<br />

die Mutter und Bäuerin, wenn sie auf ihr Leben zurückblickt.<br />

Sie führt uns in eine Zeit, in der der 1.<br />

Weltkrieg alles verändert, ihren Mann, den Bauern<br />

Balthasar Rieder an die Dolomitenfront ruft, von<br />

dem er nicht mehr zurückkehren sollte. So bleibt sie<br />

allein mit den Kindern, dem Hof und mit all der Verantwortung,<br />

die sie einmal gemeinsam tragen wollten:<br />

die Bäuerin und der Bauer vom <strong>Berghof</strong>.<br />

Es ist dies die Geschichte von Katharina Rieder, der<br />

Kuglbäuerin, die mit Beginn des 1. Weltkrieges die<br />

tragende Rolle am Hof übernehmen muss. So wie<br />

andere Frauen auch, trifft sie die Grausamkeit eines<br />

Krieges, der viele Familien in Trauer und in einen<br />

regelrechten Überlebenskampf treibt. Doch das Leben<br />

muss weitergehen! Die Kraft einer Hofgeneration<br />

darf nicht ausgehen, denn Hofl eute geben nie auf.<br />

Der Abschied von daheim fällt beim Einrücken (der<br />

Einberufung an die Front) zunächst nicht schwer,<br />

denn, was es heißt, in den Krieg zu ziehen, ist damals<br />

wohl niemandem bewusst: „In ein paar Tagen<br />

bin ich zurück“, soll der Bergbauer gesagt haben, als<br />

er die Kraagse (Tragvorrichtung zum Einbringen<br />

des Bergheues) im Sommer 1914 oben in der Bergwiese<br />

zur Seite legt, obwohl die Heumahd noch zu<br />

beenden ist.<br />

Die Zeit seiner Abwesenheit wird ein Warten, ein<br />

Hoffen und ein Bangen. Wie oft mag die Bäuerin<br />

gebetet haben, dass ihr Mann bald und gesund nach<br />

Hause kommt. Vier Jahre lang lässt ihn der Krieg an<br />

der Dolomitenfront nicht mehr los. Im April 1918,<br />

als der 1. Weltkrieg praktisch zu Ende geht und sich<br />

manche Soldaten bereits auf dem Rückzug befi nden,<br />

fällt der Bauer im Kugelhagel der Feinde.<br />

Fern der Heimat wird er begraben, der Mutter und<br />

den Kindern bleibt nicht einmal mehr das Grab, an<br />

dem sie trauern können. Stark ist der Glaube an ein<br />

Wiedersehen und ein besseres, ewiges Leben, wie<br />

es auf seinem Sterbebild heißt. Was ihm der Krieg<br />

in all den Jahren an Hunger, Kälte und Entbehrungen<br />

auferlegt hat, hat er, so wie viele andere, mit ins<br />

Grab genommen: ins Grab am Soldatenfriedhof in<br />

Grado, fern der Heimat, fern von seinem geliebten<br />

<strong>Berghof</strong>. Zurück bleibt eine Mutter mit zwei kleinen<br />

Kindern, die ihren Vater nicht gekannt haben. Der<br />

Das Schicksal<br />

Eine Bergbäuerin bleibt allein zurück<br />

Balthasar Rieder, Soldat an der Dolomitenfront im 1. Weltkrieg<br />

Verlust des Bauern wiegt schwer, der Vater für die<br />

Kinder ist nicht mehr da. Dann führt die Bäuerin<br />

und Mutter mit ihrer Hände Arbeit den Hof weiter,<br />

Rosa Rieder, Kuglertochter am Holzberg in Steinhaus<br />

adoptiert noch einen Sohn und übergibt dem Hoferben,<br />

der zum Jüngling herangewachsen ist, das<br />

Anwesen. Nochmals schlägt das Schicksal zu. Die<br />

Tochter Rosa verunglückt am 2. September 1934 mit<br />

dem Fahrrad, sie stürzt in St. Jakob in den Bach und<br />

kann nur mehr tot geborgen werden. „So hat es Gott<br />

gewollt und dann ist es richtig“, soll die Kuglerin<br />

am Todestag ihrer Tochter gesagt haben. Wenn eine<br />

Mutter Leid zu ertragen hat, dann geht ihr die Kraft<br />

auch in den schwersten Stunden nicht aus.<br />

12 13


14<br />

Volksfrömmigkeit<br />

Prozession in Luttach: Jungfrauen tragen die Madonna mit Blumenschmuck und die Giitschnfohne (Fahne für die Jungfrauen).<br />

Von links: das Mädchen Paula Feichter (Maschtl Paula), Theresia Hopfgartner (Schnaida Thrëse),<br />

Zilli Hopfgartner (Schnaida Zille) und Franziska Stolzlechner (Haisl Franze)


Der Ablass (do Oblass) hat im religiösen Leben und<br />

in der Volksfrömmigkeit der Bevölkerung einen<br />

wichtigen Stellenwert. Mit Ablass sind der Nachlass<br />

und die Sühne der Sündenstrafen gemeint.<br />

Während mit der Beichte ein Vergehen von Gott<br />

verziehen wird, muss dieses durch die Strafe oder<br />

Sühne abgebüßt werden. Je nach Vergehen häuft<br />

sich bei jedem Menschen ein Strafregister an, das<br />

abgetragen werden muss, um das ewige Leben zu<br />

erlangen, im Volksmund ausgedrückt heißt es: um<br />

in den Himmel zu kommen.<br />

Nach der Meinung<br />

des Volkes gibt es immer<br />

zwei Möglichkeiten<br />

Sühne zu erlangen: Das<br />

kann nach dem Ableben<br />

erfolgen, wenn die Verstorbenen<br />

im Fegefeuer<br />

für die Vergehen in ihrem<br />

Leben büßen müssen.<br />

Der direkte Weg in<br />

den Himmel wird jenen<br />

zuteil, die sich durch das<br />

Ablassgebet bereits auf<br />

Erden vollständige Sühne<br />

erbeten haben.<br />

Das Ablassgebet geht immer<br />

auf die Verordnungen<br />

der Päpste zurück,<br />

die ein Gebet mit einem<br />

Ablass verbunden haben.<br />

Ein Ablass kann aber<br />

nicht nur für sich selbst,<br />

sondern auch für jemand<br />

anderen erbeten werden.<br />

So beten die Gläubigen<br />

zu Allerheiligen oftmals für Verstorbene oder für<br />

die Armen Seelen.<br />

Das für uns wohl bekannteste Ablassgebet erlässt<br />

Papst Johannes XXIII. mit dem folgenden Morgengebet:<br />

„Lass uns, oh Gott, mit dir in deinem Namen<br />

und mit deinem Segen unsere Arbeit tun, zu deiner<br />

Ehre und zu unserem Heile.“ Mit diesem Gebet<br />

Das Ablassgebet<br />

Volksglaube zur Sühne der Sünden<br />

und mit der Tagesarbeit erlangen die Menschen einen<br />

vollkommenen Ablass, das heißt, damit hat der<br />

Betroffene alle Vergehen gesühnt. Allerdings muss<br />

er auch Abkehr leisten von der Gewohnheitssünde<br />

(Sünden, die öfters wiederholt werden) und gleichzeitig<br />

auch das Sakrament der Beichte ablegen und<br />

die Kommunion empfangen.<br />

Daneben gibt es aber auch den unvollkommenen Ablass,<br />

auch Teilablass genannt. Dieser sühnt, so wie<br />

es das Wort schon sagt, nur einen Teil der irdischen<br />

Vergehen. Einen solchen<br />

Ablass kann auch jemand<br />

erlangen, der eine momentane<br />

Arbeit und seinen<br />

christlichen Glauben<br />

dem Herrgott schenkt.<br />

Kleine Vergehen können<br />

durch einfaches Gebet<br />

gänzlich gesühnt werden.<br />

Auch heute wird der<br />

Ablass am Grab von Verstorbenen<br />

gebetet. Dazu<br />

gehören folgende Gebete:<br />

Das Vater unser, das Gegrüßet<br />

seist du Maria, das<br />

Ehre sei dem Vater, dem<br />

Sohn, dem Hl. Geist, sowie<br />

ein Gebet nach freier<br />

Auswahl, immer nach<br />

Meinung des Hl. Vaters.<br />

Klar defi niert ist im Katechismus<br />

auch das Begehen<br />

einer schweren<br />

Sünde: „Wenn man Gott,<br />

dem Herrn, in einer wichtigen<br />

Sache mit vollem Wissen und Wollen nicht gehorcht,<br />

begeht man eine schwere Sünde.“ Das Ablassgebet<br />

erhält vor allem beim Ableben eines Menschen<br />

eine besondere Bedeutung. Durch das Beten<br />

vor der Bahre im Heimathaus, den Vermerk auf dem<br />

Sterbebild, in dem auf das Ablassgebet hingewiesen<br />

wird, und durch den Ablass am offenen Grab, sollen<br />

die Verstorbenen möglichst viel Sühne erlangen.<br />

Auf dem Sterbebild steht, wie der Verstorbene einen Ablass erlangen kann. Dabei wird die Sühne der Vergehen immer<br />

auch mit einer Zeitangabe festgelegt. Es bleibt immer das Ziel der Leute, möglichst viel bereits zu Lebzeiten abzubüßen.<br />

16 17


Die Prënta in St. Peter um 1920<br />

Michael Oberhollenzer mit seiner Frau Walburga Brugger vom Millahaisl in St. Peter<br />

18 19


Spuren der <strong>Vorfahren</strong><br />

Der Schafhirte auf der Alm des Linima im Zillergrund<br />

20 21


22<br />

Ban Untoberga in St. Jakob<br />

Der Bauernhof und die Gehöfte hängen am steilen Berghang. So als wären sie mit der Naturlandschaft gewachsen, runden sie das<br />

harmonische Bild des Bauernlandes ab. Vorne gibt die Stützmauer aus Stein den Gebäuden Halt, die Rückseite des Gehöfts krallt<br />

sich am Gelände fest. Auch hier oben fi nden die Leute Heimat und bescheidenes Auskommen.


Die Familienstruktur, generell in Südtirol und in unserem<br />

Tal, ändert sich im letzten Jahrhundert stetig.<br />

Aus den großen Bauernfamilien werden Klein- und<br />

Kleinstfamilien. Die Siedlungsstruktur ist mittlerweile<br />

eine andere geworden. Ein Aspekt bleibt nach<br />

wie vor aufrecht: In der Familie suchen die Leute<br />

immer Halt, Heimat und besonders in schwierigen<br />

Zeiten bleibt es immer etwas Besonderes heimzukommen.<br />

Wenn wir die Familie von früher meinen,<br />

gehen wir immer von der Großfamilie aus, in der oft<br />

bis zu drei Generationen zumeist auf einem Bauernhof<br />

zusammenleben.<br />

Die Großfamilien<br />

Gelebte Familientraditionen<br />

Richten wir den Blick auf die Kulturlandschaft <strong>unserer</strong><br />

Dörfer vor fünfzig und mehr Jahren, lassen<br />

sich erste Rückschlüsse auch auf die Familiensituationen<br />

ziehen. Zum Großteil gibt es die Bauernfamilien,<br />

die über Felder und Wälder verfügen, das<br />

Vieh halten und Getreide und andere Lebensmittel<br />

anbauen. Etwas abseits und unscheinbar stehen vereinzelt<br />

Häuser, in denen oft recht mittellose Familien<br />

(di Hittna) wohnen. Diese halten sich oft etwas<br />

Kleinvieh und arbeiten als Dienstboten oder Tagewerker<br />

auf den Bauernhöfen. Da in solchen Häusern<br />

das Essen immer knapp ist, müssen die Kinder früh<br />

aus dem Haus, um va do Köscht zi kemm. Auf deren<br />

Befi ndlichkeit wird notgedrungen wenig Rücksicht<br />

genommen: Das Heimweh ist zu ertragen, die Mutter-<br />

und Vaterliebe bleibt oft durch die frühe räumliche<br />

Trennung unerwidert. Die Arbeit wird früh<br />

vermittelt. Kinder und Jugendliche treten ihre ersten<br />

Dienststellen bereits im Jugendalter an. Selten brechen<br />

Leute aus diesem vorgegebenen Familienschema<br />

aus und doch gibt es wenige, die oft den Weg<br />

hinaus in die Welt wagen. Bis herauf in die fünfziger<br />

Jahre des letzten Jahrhunderts sind dies vor<br />

allem jene, die einen geistlichen Beruf wählen oder<br />

die im Zuge der Option und der Umsiedlung eine<br />

neue Heimat suchen. Immer ist es die starke und<br />

ordnende Hand des Bauern oder Familienoberhauptes<br />

und dies im wörtlichen Sinn, die in der Familie<br />

bestimmend ist. Den Begriff Heimat defi nieren unsere<br />

<strong>Vorfahren</strong> sicherlich anders als wir. Für sie ist<br />

Unsere <strong>Vorfahren</strong> defi nieren Heimat<br />

Familie und Heimat zuallererst der Ort, wo sie ihr<br />

Auskommen haben. Wer Glück hat und tüchtig ist,<br />

fi ndet eine Stelle, wo er eine Bleibe und genug zum<br />

Essen hat. Dass die Familie gleichzeitig auch soziale<br />

Einrichtung ist, erscheint selbstverständlich. Körperlich<br />

Kranke, Behinderte und ältere Familienmitglieder<br />

werden am Hof gepfl egt und versorgt. Dass<br />

es in solchen Fällen immer wieder Ausnahmen gibt,<br />

lässt sich nicht verleugnen. Manche Leute führen einen<br />

sehr bescheidenen Lebensabend und begegnen<br />

im Alter dem Hunger und dem Außenseiterdasein.<br />

Der Ruf einer Familie im Dorf soll kein schlechter<br />

sein. Unangenehme Vorkommnisse dürfen deshalb<br />

nicht thematisiert werden. Relativ unsensibel wird<br />

in vielen Fällen mit geistig behinderten Menschen<br />

umgegangen. Sie werden im Dorf häufi g verspottet<br />

und als nicht vollwertig angesehen. Als eines der<br />

traurigsten Kapitel darf sicherlich die Abschiebung<br />

dieser Leute angesehen werden. Vielen Zeitzeugen<br />

fährt heute noch der Schauer über den Rücken, wenn<br />

sie auf die Verwahrungsanstalt dieser Leute (Irrenhaus)<br />

in Pergine angesprochen werden.<br />

Die Hofübergabe<br />

Ein Kapitel für sich bleiben die Hofübergaben von<br />

einer Generation auf die nächste. Ein ungeschriebenes<br />

Gesetz besagt, dass immer der älteste Sohn auch<br />

der Hoferbe wird. Verschiedene Umstände lassen<br />

das nicht immer zu und so muss eine andere Lösung<br />

gefunden werden. Oft fällt es den Altbauern schwer,<br />

sich vom Besitz zu trennen, und häufi g wird das<br />

Erbe erst nach ihrem Ableben an die nächste Generation<br />

übertragen. In der Regel werden dann die weichenden<br />

Kinder vom Hoferben ausbezahlt. Da es bis<br />

in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf<br />

fast allen Höfen eine große Anzahl an Kindern gibt,<br />

wird die Auszahlung mancherorts zum Problem. Es<br />

gibt sogar Fälle, in denen Höfe, die an die nächste<br />

Generation übergeben werden, immer noch mit Erbschulden<br />

belastet sind. Ab und zu kommt es auch<br />

vor, dass Hofbesitzer net hausn (wirtschaften) können<br />

und dadurch den Hof verlieren. Das wirft kein<br />

gutes Licht auf die Leute und wird über die Dörfer<br />

hinaus als Schande bezeichnet.<br />

Beim Ella um 1920. Vorne von links: Lorenz, Johann Lechner (der Bauer), Josef, Maria Brugger (die Bäuerin) und Maria<br />

Hinten von links: Paul, Johann (wird später Bauer am Hof) und Peter<br />

24 25


26 27


Kriegszeiten und Kriegserlebnisse<br />

Das lange Warten der Mütter auf die Heimkehr der<br />

Väter und der Söhne mag wohl manches Mutterherz<br />

gebrochen haben. Einige <strong>unserer</strong> <strong>Vorfahren</strong> erleben<br />

die Kriegswirren innerhalb von zwanzig Jahren<br />

gleich zweimal: Sie sind als Soldaten sowohl im 1.<br />

als auch im 2. Weltkrieg dabei. Manchen von ihnen<br />

bleibt das nur deshalb erspart, weil sie aus dem 1.<br />

Weltkrieg nicht mehr zurückkehren. Zwischen den<br />

Kriegen liegt zudem die Geschichte des Faschismus,<br />

eine ungute Zeit, die enorme Auswirkungen auf<br />

Südtirol hat. Dies bewirkt, dass Ruhe und Frieden<br />

nie zum Alltag gehören, zu sehr werden die Schikanen<br />

der Faschisten zelebriert. Dann spaltet die Option<br />

die Bevölkerung, stellt sie vor eine unmenschliche<br />

Wahl und schon steht der nächste Krieg an.<br />

Der 2. Weltkrieg bricht aus, wütet in Europa und<br />

bringt auch in die Familien des Ahrntales viel Leid.<br />

Kriege zerstören Familien<br />

Unsere Großväter sind wohl mit wenigen Informationen<br />

in den 1. Weltkrieg eingerückt, ohne zu wissen,<br />

welches Elend, welches Leid und welche Entbehrungen<br />

auf sie zukommen. Viele Ahrntaler sind dann<br />

auch über Jahre an der Dolomitenfront, der Grenze<br />

zu Italien stationiert. Sie halten die Stellung gegen<br />

den Feind, müssen über unwegsames Gelände Wege<br />

und Seilbahnen anlegen, damit der Nachschub an<br />

Lebensmitteln und Munition nicht zum Stillstand<br />

kommt. Die kalten Winter in den Bergen, das Heimweh<br />

und die Ungewissheit, wie es der Familie zuhause<br />

geht, lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Dazu<br />

kommt noch, dass sie jeden Tag Kameraden neben<br />

sich sterben sehen.<br />

Wenn mir die Barbara Innerhofer (Rungga Warbl)<br />

erzählt, wie der 2. Weltkrieg in ihrer Familie wütet,<br />

hört sich das unglaublich an: „Von den 9 Buben<br />

müssen 7 in den 2. Weltkrieg einrücken. Unser Vater<br />

Vinzenz, der aus dem 1. Weltkrieg unverletzt<br />

heimkommt, wird um die Grausamkeiten des Krieges<br />

wohl gewusst haben und redet wohl deshalb<br />

mit den Söhnen nie darüber. Die Söhne bekommen<br />

selbst die gesamte Wucht des Krieges zu spüren. Der<br />

Tonige (Anton) fällt bereits 1942 an der russischen<br />

Front. Alfons wird schwer verwundet und muss eine<br />

Das Warten auf die Heimkehr<br />

Beinamputation über sich ergehen lassen. Ludwig<br />

bleibt in Ungarn vermisst, während der Zënz (Vinzenz)<br />

Glück hat, denn er wird nur zeitweise in do<br />

Fëschtung (Franzensfeste) stationiert. Franz kehrt<br />

von einem Heimaturlaub nicht mehr an die Front zurück<br />

und wählt zu Weihnachten 1944 den Weg des<br />

Deserteurs, treibt sich in den Wäldern umher und<br />

versteckt sich im Futterhaus des Oberlinterhofes.<br />

Dort wird er heimlich von den Eltern mit den wichtigsten<br />

Lebensmitteln versorgt. Rudl gerät in Schlesien<br />

in russische Gefangenschaft und kehrt 1945 im<br />

Herbst nach Hause zurück. Als auch noch do Seppl<br />

(Josef) einrücken muss, wird der zur SS gerufen<br />

und kommt nach Finnland. In den letzten Tagen vor<br />

dem Einrücken verschanzt er sich in seiner Schlafkammer.<br />

Er spricht mit niemandem mehr und am<br />

Tage seines Abschieds geht er traurig und langsamen<br />

Schrittes das Feld hinunter. Nochmals schaut<br />

er zurück und lässt eine weinende Mutter und uns<br />

kleine Geschwister zurück. Er ahnt wohl, dass er<br />

nicht mehr nach Hause zurückkehren wird. Was unsere<br />

Mutter in all dieser Zeit wohl mitgemacht hat,<br />

können wir heute nicht mehr verstehen“, fährt die<br />

Zeitzeugin fort. „Sonntags geht sie immer schon zur<br />

Frühmesse, betet die ganze Zeit allein in der Kirche,<br />

bis das Sonntagsamt anfängt. Sie hat für ihre Buben<br />

so viel zu beten“, schließt die Warbl ihre Erinnerungen.<br />

Wie ein Mutterherz all diese Sorgen und Ungewissheiten<br />

erträgt, kann niemand nachvollziehen.<br />

Auch Mütter sind Kriegsopfer<br />

Oft sind die Frauen während des Krieges mit ihren<br />

Kindern allein am Hof, warten auf die Rückkehr der<br />

Männer, der Söhne. Sie hoffen, dass der Dorfpfarrer<br />

nicht zu ihnen ins Haus kommt, denn der erhält die<br />

Todesnachricht und muss sie dann den Angehörigen<br />

überbringen. Zumindest im 2. Weltkrieg fi ndet nach<br />

dem Eintreffen der Todesnachricht, im Friedhof des<br />

jeweiligen Dorfes, immer eine Heldengedenkfeier<br />

statt. Den Angehörigen bleibt nichts mehr von ihren<br />

Männern und Söhnen, nicht einmal ein Grab zum<br />

Trauern. Das fi nden die Gefallenen fern der Heimat;<br />

manchmal in einem Soldatenfriedhof, manchmal<br />

bleiben sie auch für immer verschollen.<br />

Soldatengrab im fernen Russland:<br />

ein Foto vom Grab und die Armbanduhr wird der Familie von Anton Innerhofer zugeschickt.<br />

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Die Soldaten und ihre Kleider<br />

Manche der Soldaten beherrschen auch das Handwerk: Sie sind Schuster, Schneider, Sattler.<br />

Damit können sie auch ihre Montur selber herstellen oder Flickarbeiten vornehmen.<br />

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Die Lebensgeschichte steht der Mutter und Bäuerin ins Gesicht geschrieben:<br />

Der strenge Blick einerseits, die Güte in den Gesichtszügen andererseits,<br />

spiegeln den Bauernalltag mit all den Mühen in ihrem Gesicht wider.<br />

Die Bescheidenheit, die Genügsamkeit und die guten Arbeitshände regeln<br />

vieles am Hof und bestimmen im Bauernalltag die Arbeit und das Geschehen.<br />

Ihre ganze Kraft setzen die Frauen wie selbstverständlich für Familie<br />

und Hof ein. Still, wie sie ihr Leben führen, gehen sie wieder.<br />

Uns bleiben beeindruckende Erinnerungen und ihre <strong>Lebensgeschichten</strong>:<br />

die Geschichten von den Frauen auf den Berghöfen.

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