noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW
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geglaubte Welt: ins magische Mittelalter.<br />
Letzten Herbst tourten „Cantus Levitas“<br />
durch die Straßen Europas. In Straßburg<br />
spielten sie vor dem Münster vor 300 Neugierigen.<br />
„Da war eine Gruppe Hip-Hopper,<br />
die haben auf einmal ihren Ghettoblaster<br />
ausgeschaltet und zu unserer Musik<br />
getanzt.“ Die Erinnerung bringt Basti zum<br />
Lachen.<br />
Sven erinnert sich an eine türkische<br />
Familie, die sie mit ihrer Musik in der<br />
Heilbronner Fußgängerzone zum Tanzen<br />
brachten, oder eine ältere Dame, die ihnen<br />
eine Rose zuwarf. „Zum Glück geraten<br />
wir andauernd in solche Situationen. Man<br />
lernt als Freak ganz unterschiedliche Menschen<br />
kennen und hat mehr vom Leben“,<br />
freut sich Kilian.<br />
Bis die Band in ihre Rolle geschlüpft<br />
war, mussten sie einige Beklemmungen<br />
abwerfen. Der erste Auftritt in Mittelalter-<br />
Montur ließ das Adrenalin rauschen. Es<br />
dauerte aber nicht lang, bis die Mitglieder<br />
ihre Narrenfreiheit als Vorteil erkannten:<br />
„Wenn man einmal über den gesellschaftlichen<br />
Schatten gesprungen ist, gibt es keine<br />
Hemmungen mehr“, meint Basti. „Im<br />
Gegenteil: Es wächst der Anspruch, sich<br />
selbst immer wieder neu zu erfinden und<br />
einen Schritt weiter zu gehen“. Sven fügt<br />
hinzu: „Nach einer Weile war es für uns<br />
völlig normal, in Mittelalter-Tracht im Mc-<br />
Donalds zu sitzen. Mit Jeans und T-Shirt<br />
fühlten wir uns auf einmal viel zu gewöhnlich.“<br />
Sich selbst nicht zu ernst nehmen, Spaß<br />
an der Musik zu haben und den Leuten etwas<br />
Neues zu bieten, darum geht es „Cantus<br />
Levitas“.<br />
„Freaksein ist für mich die Freude am<br />
Leben. Es ist egal, was für ein Freak du<br />
bist, solange du dich nur in deinem Gen-<br />
re austobst“, findet Sven. Basti nickt, er<br />
schreibt als Laie Lieder auf Latein und hat<br />
sich schon im Schwertkampf ausprobiert:<br />
„Das Freaksein lässt sich nicht auf eine<br />
bestimmte Eigenart eingrenzen. Es dominiert<br />
das ganze Leben.“<br />
Sarah ist 16 und in einer Gruppe, die<br />
das Freaksein schon im Name vorsieht. Sarah<br />
ist ein Jesus Freak und das von ganzem<br />
Herzen: „Wir sind verknallt in Jesus!“<br />
Mit zwölf Jahren fing sie an, die Jesus<br />
Freaks regelmäßig zu besuchen. Heute<br />
ist sie 16 und hat nichts an Begeisterung<br />
verloren. In einem Alter, in dem anderen<br />
nichts über Mode und Party geht, hat sie<br />
ganz eigene Ansprüche an ihr Leben: Jesus<br />
zur Nummer eins zu machen. Eine klare<br />
Ansage.<br />
Die Jesus Freaks sind ein bunter Haufen,<br />
ein Querschnitt der Gesellschaft. Vom<br />
60-jährigen Opa über Ökos bis hin zum<br />
Karrieristen sind alle vertreten. Und alle-<br />
Freaks sind von<br />
einer Reihe von<br />
Umständen als<br />
solche erkoren<br />
samt Freaks? „Wir folgen Jesus und an ihm<br />
hängt unser Herz. Punkt.“ Entschlossene<br />
Worte, die man in ihrer Charta findet.<br />
Und weiter: „Ein kompromissloses Leben<br />
mit Jesus ist das Coolste, Heftigste, Intensivste<br />
und Spannendste überhaupt.“<br />
Sarahs Stimme klingt gelöst, als sie von<br />
ihrem Glauben spricht. Sie scheint ihren<br />
Platz im Leben gefunden zu haben. Dabei<br />
handelt es sich beim Glauben um einen<br />
ständigen Prozess der Suche. „Es geht<br />
darum, eine selbstständige Beziehung zu<br />
Jesus zu finden. Das ist ein Auf und Ab“.<br />
Freak, meint sie, könne man auch noch<br />
in hohem Alter werden. Sie habe keine<br />
Kinderkirchen-Karriere absolviert. „Meine<br />
Eltern haben mich nicht besonders religiös<br />
aufgezogen. Zu den Jesus Freaks bin ich<br />
einfach aus Neugierde geraten.“<br />
Die Jesus Freaks halten nicht viel auf<br />
Konventionen und die spießige Sonntagskirche.<br />
Ihnen sei es wichtig, ihren Glauben<br />
authentisch zu leben. Ihre Gottesdienste<br />
feiern sie lounge-mäßig im „Freakraum“,<br />
ausgestattet mit gemütlichen Sofas, Theke<br />
und Musikanlage. Man reicht Snacks herum<br />
und trinkt Bier. Aus der steifen Weihnachtsfeier<br />
wird kurzerhand die „Happy-<br />
Birthday-Jesus-Party“. Ihre Sprache ist<br />
betont locker, sie haben alle „Bock“ auf<br />
Jesus. Sie eifern ihm nicht nur im Denken<br />
nach, sondern schreiten zur Tat. In der<br />
Vergangenheit verteilten die Jesus Freaks<br />
Brot an Obdachlose und kümmerten sich<br />
um Migranten. Ihr Ziel ist es, dass auf der<br />
ganzen Welt die Jugend für Jesus aufsteht.<br />
Genauer wollen sie sich nicht festlegen.<br />
Jeder solle frei sein, sein eigenes Ding zu<br />
machen.<br />
Einmal im Jahr findet „Freakstock“<br />
statt, Europas größtes Jesus-Festival. Besucher<br />
reisen aus ganz Europa an, um christliche<br />
Bands zu hören und in Workshops<br />
gemeinsam über das Leben nachzudenken<br />
und sich auszutauschen. Wenn Sarah mit<br />
anderen Jesus Freaks zusammentrifft,<br />
fühlt sie sich gleich heimisch. „Das ist total<br />
verrückt: Wir kennen uns nicht, sind aber<br />
auf der genau gleichen Wellenlänge. Diese<br />
Aha-Effekte erlebe ich immer wieder.“<br />
Noir <strong>Nr</strong>. 9 (Februar 2009) 5