noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW

noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW

24.10.2012 Aufrufe

Lifestyle ~ Kultur ~ Titelthema ~ Porträt ~ Reportage ~ Wissen ~ Reise ~ Sport ~ Noir-Intern ~ Politik ~ Querbeet REAL LIFE UND DAS ECHTE LEBEN Um Quoten zu erreichen, muss die Sendung gut sein. Das bedeutet manchmal: besser als die Realität. Die privaten Fernsehsender haben das längst begriffen Wenn die Fernsehquote alles entscheidet, bricht die Fiktion der Realität schnell das Genick. Real Life ist in. Den Trend hat jeder TV-Sender erkannt, allen voran die privaten. Von Peter Zwegert, dem Schuldenberater, natürlich staatlich geprüft, bis hin zu „Bauer sucht Frau“ wird jede Art des Lebens und Zusammenlebens durch mindestens eine Sendung abgedeckt. Die Sender, die keine Auswanderer-Reportage im Programm bieten, sind von vornherein nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Als „Blödsinn, widerwärtig“ und „nicht zu ertragen“ beschreibt Marcel Reich-Ranitzki die Situation im deutschen Fernsehen. Ganz so schlimm mag es vielleicht doch nicht sein, zumal nicht jeder gerne Arte in seiner Freizeit sieht. Die Zuschauerzahlen bestätigen das. Quoten sind ohnehin wichtig. „Ohne Quoten geht einfach nichts“, sagte Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF auf den Jugendmedientagen 2008 in Mainz. Um Quoten zu erreichen, muss die Sendung gut sein. Besser als die der Konkurrenz und oftmals besser als die Realität selbst. Die Folge: Es wird gefaked. Das beginnt bereits, wenn Tine Wittler, Wohnexpertin bei RTL, an der Haustüre klingelt und die überraschte Familie, die natürlich vollzählig in der Tür steht, schon die richtigen Mikrophone angesteckt hat. Als irrelevante Nebensache wird dies von den Sendern selbst abgetan, schließ- lich wird die eigentliche Botschaft der Sendung nicht wesentlich beeinflusst. Seltsam jedoch, wenn in einer Überraschungssendung alle vorher Bescheid wissen. „Bauer sucht Frau“ ist spätestens seit dem Bildzeitungsartikel vom 1. Dezember enttarnt. Der Bild-Zeitung wurde ein firmeninterner Vertrag zwischen der Produktionsfirma und den Frauen aus der Sendung vorgelegt. Traumbauer wird den Kandidatinnen zugeteilt Während es in der Sendung so scheint, als könnten die Frauen selbst den Bauern ihrer Träume auswählen, haben sie zwar in der Realität die Möglichkeit Wünsche zu äußern, werden dann aber fest zugeteilt. Die 26-jährige Bianca wollte eigentlich zu Bauer Andi. Leider war dieser schon völlig ausgebucht, und Bianca wurde Bauer Markus zugeteilt. Den mochte sie allerdings gar nicht. Kandidatin Silke hatte sich zwar für Bauer Markus beworben, war nach dem ersten Treffen jedoch äußerst abgeneigt. Doch auch hier schreibt der Vertrag feste Regeln vor: Unter drei Tagen geht keiner. So kam es dann, wie es kommen musste. Silke blieb bei Markus und spielte der Kamera Gefühle vor. Doch als die Regisseurin beim gemeinsamen Tanz einen romantischen Kuss forderte, „war Schluss“, so Silke gegenüber der Bild. Doch der übermütige Markus war nicht mehr zu stoppen und hatte seine Lippen schon auf ihre gepresst. „Nicht zu beschweren“ habe sich Silke, meint die Regiesseurin, schließlich kassiere sie 150 Euro pro Tag, beim Scheunenfest sogar 250 Euro. Wer das noch als Kleinigkeiten ansieht, sollte Bauer Bernhard und seine Liebste Beate genauer unter die Lupe nehmen. Nicht nur, dass sich die zwei zwar im Fernsehen getrennt haben, hinter der Kamera aber eigentlich zusammenziehen, sondern auch die Tatsache, dass Bernhard eigentlich gar kein Bauer ist. Er vermietet landwirtschaftliche Fahrzeuge und ist Großhändler für Heu. Die Rinder, die in der Sendung immer wieder gezeigt werden, sind „nur noch der Rest von der Landwirtschaft.“ Quoten erzielen kann nicht jeder, und es mag auch eine Herausforderung sein. Wer faked, hat es einfacher. Dem Zuschauer etwas vortäuschen, was es in Realität nicht gibt – den Trend hat jeder TV-Sender erkannt. Sebastian Czub 2 Noir Nr. 9 (Februar 2009) Foto: Chris D / jugendfotos.de

Lifestyle ~ Kultur ~ Titelthema ~ Porträt ~ Reportage ~ Wissen ~ Reise ~ Sport ~ Noir-Intern ~ Politik ~ Querbeet Robert Beck befindet sich in seiner Midlifecrisis. Hinter ihm liegt eine gescheiterte Musikerkarriere, nun ist er liebloser Deutsch- und Musiklehrer an einem Münchner Gymnasium. Viele schnell zer- Hörenswert Fotos: Diogenes Verlag (oben); Bonaparte (unten) brochene Liebesaffären hat Beck erlebt, doch von der wahren Liebe keinen blassen Schimmer. Jetzt kann sich alles ändern: In Becks elfter Klasse ist ihm der Außenseiter Rauli Kantas aus Litauen aufgefallen. Der 17-jährige hat ein unglaubliches Talent: Er spielt besser Gitarre als Jimi Hendrix! Beck erblickt seine große Chance: Er will Raulis Manager werden und ihn – und sich selbst – zum Star machen. Doch ganz so einfach ist das nicht, da der Litauer so manches Geheimnis mit sich trägt. Zur gleichen Zeit scheint sich Becks Leben auch privat zu bessern: Er trifft auf die Kellnerin Lara, mit der er das erste Mal so richtig glücklich wird. Bei einer Reise mit Rauli und dem alten Freund Charlie in die Türkei erkennt Beck wie auch die anderen, Do you Want to Party With the Bonaparte? Wie? Ein längst verstorbener französischer Kaiser macht Musik? Falsch gedacht! Bonaparte sind alles andere als verstorben. Die rund 20 Jungs und Mädels um den Schweizer Tobias Jundt fangen gerade erst an, richtig durchzustarten. Circa 20 Mitglieder – ziemlich viel für eine Band möchte man meinen, doch gerade diese eher unübliche Anzahl an Bandmitgliedern macht Bonaparte zu dem, was sie wirklich sind: eine international gemischte Trash-Elektro-Punk-Gruppe mit Musikern, Tänzern, Fotografen und Selbstdarstellern, die, so Tobias Jundt, „alle eigentlich nur darauf hinarbeiten zusammen zukommen, auf der Bühne zu stehen und einfach zu explodieren.“ Musikalisch gesehen hat jedoch Tobias Jundt das Sagen. „Ich bin der Diktator“, sagt Jundt. Oder anders ausgedrückt: Tobias bestimmt, wie die Musik gespielt wird, und der Rest trägt seinen nicht unwichtigen Teil dazu bei. „Ohne die anderen wäre ich nichts“, gibt Tobias zu. Dabei darf sich der Zuschauer bei Bonaparte nicht wundern, wenn auf einmal ein singender Panda, ein Matrose, ein Vampir und eine Ziege die Bühne rocken und man sich vorkommt wie im Zirkus. Denn genauso verrückt, wie sich VOM LEHRER ZUM MANAGER Eines hat der deutschen Literaturszene in den letzten Jahren gefehlt: frischer, jugendlicher Witz und Ton. Jetzt ist beides da. Ein 23-jähriger Autor wirbelt die Szene auf das ganze anhört, ist es auch, und dementsprechend lustig und abgedreht ist die fast komplett improvisierte Performance der Truppe. Wie ein Zirkus – genau so hören sich Bonaparte an. Alles, um das es geht, ist eine riesige Party zu feiern. Bei jedem Konzert sind andere Akteure auf der Bühne, was Langeweile gar nicht erst aufkommen lässt. Außerdem gibt es die Jungs und Mädels nicht nur auf der Bühne zu sehen, sondern auch seit September des vergangenen Jahres auf ihrem Release-Album „Too much“ zu hören. Ein zweites Album ist bereits in Planung. Auf der Scheibe „Too much“ versprühen sie mit dem über zwei Jahre gesammelten Material die Philosophie des Hedonismus, welche die Lust als höchstes Gut und Bedingung für Glückseligkeit und gutes Leben ansieht. Diese Denkweise spiegelt sich auch oft in den Texten wider, wie zum Beispiel „You know Tolstoi but I know Playboy, you know politics but I know party chicks, you know baudelaire, I like your dass es wichtig ist, sich selbst zu finden und sein Leben zu gestalten, so dass man stets von Erinnerungen zehren kann. Frisch, leicht und locker erzählt der junge Benedict Wells die Geschichte von Becks letztem Sommer. Oft mit einem witzigen Ton, der herzhaftes Lachen garantiert. Dennoch fehlt dem Roman nicht die Ernsthaftigkeit: Lebensphilosophische Tipps werden gekonnt eingeflochten und regen zum Nachdenken an. Hier hat es ein Talent geschafft, die Literaturszene zu erobern. Hoffentlich liest man noch einige Jahre solch gute Romane von ihm! (Wells, Benedict: Becks letzter Sommer. Diogenes Verlag, September 2008) Elisabeth Böker hair, do you speak japanese? ... You know too much, too much, too much, too much, too much.” Die Musik macht einfach Spaß, gute Laune und regt sofort zum Tanzen an, ganz egal wie es aussieht. So heißt es in einem Lied: „I can do it if I like but everybody says I can't dance.“ Aber eventuell liegt das Problem auch einfach daran: „Can I dance something you can play to?“ Fazit: Bonaparte sind immer für eine Überraschung gut! Ihre Musik ist ein Muss für alle Indie-Fans und jeden, der Lust auf Party hat. Florian Carl Noir Nr. 9 (Februar 2009) 3

Lifestyle ~ Kultur ~ Titelthema ~ Porträt ~ Reportage ~ Wissen ~ Reise ~ Sport ~ Noir-Intern ~ Politik ~ Querbeet<br />

REAL LIFE UND DAS ECHTE LEBEN<br />

Um Quoten zu erreichen, muss die Sendung gut sein. Das bedeutet manchmal: besser als die Realität.<br />

Die privaten Fernsehsender haben das längst begriffen<br />

Wenn die Fernsehquote alles entscheidet, bricht die Fiktion der Realität schnell das Genick.<br />

Real Life ist in. Den Trend hat jeder<br />

TV-Sender erkannt, allen voran die<br />

privaten. Von Peter Zwegert, dem Schuldenberater,<br />

natürlich staatlich geprüft, bis<br />

hin zu „Bauer sucht Frau“ wird jede Art<br />

des Lebens und Zusammenlebens durch<br />

mindestens eine Sendung abgedeckt. Die<br />

Sender, die keine Auswanderer-Reportage<br />

im Programm bieten, sind von vornherein<br />

nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Als<br />

„Blödsinn, widerwärtig“ und „nicht zu ertragen“<br />

beschreibt Marcel Reich-Ranitzki<br />

die Situation im deutschen Fernsehen.<br />

Ganz so schlimm mag es vielleicht doch<br />

nicht sein, zumal nicht jeder gerne Arte in<br />

seiner Freizeit sieht. Die Zuschauerzahlen<br />

bestätigen das.<br />

Quoten sind ohnehin wichtig. „Ohne<br />

Quoten geht einfach nichts“, sagte Nikolaus<br />

Brender, Chefredakteur des ZDF auf<br />

den Jugendmedientagen 2008 in Mainz.<br />

Um Quoten zu erreichen, muss die Sendung<br />

gut sein. Besser als die der Konkurrenz<br />

und oftmals besser als die Realität<br />

selbst. Die Folge: Es wird gefaked. Das beginnt<br />

bereits, wenn Tine Wittler, Wohnexpertin<br />

bei RTL, an der Haustüre klingelt<br />

und die überraschte Familie, die natürlich<br />

vollzählig in der Tür steht, schon die richtigen<br />

Mikrophone angesteckt hat.<br />

Als irrelevante Nebensache wird dies<br />

von den Sendern selbst abgetan, schließ-<br />

lich wird die eigentliche Botschaft der Sendung<br />

nicht wesentlich beeinflusst. Seltsam<br />

jedoch, wenn in einer Überraschungssendung<br />

alle vorher Bescheid wissen. „Bauer<br />

sucht Frau“ ist spätestens seit dem Bildzeitungsartikel<br />

vom 1. Dezember enttarnt.<br />

Der Bild-Zeitung wurde ein firmeninterner<br />

Vertrag zwischen der Produktionsfirma<br />

und den Frauen aus der Sendung vorgelegt.<br />

Traumbauer wird<br />

den Kandidatinnen<br />

zugeteilt<br />

Während es in der Sendung so scheint,<br />

als könnten die Frauen selbst den Bauern<br />

ihrer Träume auswählen, haben sie zwar in<br />

der Realität die Möglichkeit Wünsche zu<br />

äußern, werden dann aber fest zugeteilt.<br />

Die 26-jährige Bianca wollte eigentlich zu<br />

Bauer Andi. Leider war dieser schon völlig<br />

ausgebucht, und Bianca wurde Bauer Markus<br />

zugeteilt. Den mochte sie allerdings gar<br />

nicht. Kandidatin Silke hatte sich zwar für<br />

Bauer Markus beworben, war nach dem ersten<br />

Treffen jedoch äußerst abgeneigt.<br />

Doch auch hier schreibt der Vertrag feste<br />

Regeln vor: Unter drei Tagen geht keiner.<br />

So kam es dann, wie es kommen musste.<br />

Silke blieb bei Markus und spielte der<br />

Kamera Gefühle vor. Doch als die Regisseurin<br />

beim gemeinsamen Tanz einen romantischen<br />

Kuss forderte, „war Schluss“,<br />

so Silke gegenüber der Bild. Doch der<br />

übermütige Markus war nicht mehr zu<br />

stoppen und hatte seine Lippen schon auf<br />

ihre gepresst. „Nicht zu beschweren“ habe<br />

sich Silke, meint die Regiesseurin, schließlich<br />

kassiere sie 150 Euro pro Tag, beim<br />

Scheunenfest sogar 250 Euro.<br />

Wer das noch als Kleinigkeiten ansieht,<br />

sollte Bauer Bernhard und seine Liebste<br />

Beate genauer unter die Lupe nehmen.<br />

Nicht nur, dass sich die zwei zwar im Fernsehen<br />

getrennt haben, hinter der Kamera<br />

aber eigentlich zusammenziehen, sondern<br />

auch die Tatsache, dass Bernhard eigentlich<br />

gar kein Bauer ist. Er vermietet landwirtschaftliche<br />

Fahrzeuge und ist Großhändler<br />

für Heu. Die Rinder, die in der<br />

Sendung immer wieder gezeigt werden,<br />

sind „nur noch der Rest von der Landwirtschaft.“<br />

Quoten erzielen kann nicht jeder,<br />

und es mag auch eine Herausforderung<br />

sein. Wer faked, hat es einfacher. Dem<br />

Zuschauer etwas vortäuschen, was es in<br />

Realität nicht gibt – den Trend hat jeder<br />

TV-Sender erkannt. Sebastian Czub<br />

2 Noir <strong>Nr</strong>. 9 (Februar 2009) Foto: Chris D / jugendfotos.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!