noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW

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24.10.2012 Aufrufe

Lifestyle ~ Kultur ~ Titelthema ~ Porträt ~ Reportage ~ Wissen ~ Reise ~ Sport ~ Noir-Intern ~ Politik ~ Querbeet 18 AUF EINDRINGLINGE WIRD GESCHOSSEN Das Recht auf Waffenbesitz ist ein amerikanisches Bürgerrecht. Sophie Rebmann hat bei einem USA-Aufenthalt erlebt, wie manche Amerikaner mit der Waffe umgehen Auf Eindringlinge wird geschossen. Auf Überlebende wird nochmals geschossen.” So steht es auf einem der Schilder, die bei meiner Freundin in Amerika das Grundstück säumen. Ihr Vater hat diese aufgestellt und trägt ständig eine geladene Waffe bei sich. Die Drohung hat er zum Glück noch nie wahrgemacht. In den USA besitzt jeder zweite Haushalt eine Schusswaffe. Dabei gibt es zwei Typen von Waffenbesitzern. Beide erkennt man schon daran, wie sie ihre Waffe aufbewahren. Zum einen ist da der unerschrockene „Do-it-yourself”-Typ, der seine Waffe unter dem Kopfkissen versteckt, immer geladen und griffbereit. Er besitzt die Waffe, um sich im Ernstfall verteidigen zu können. Frei nach dem Motto „eine Waffe gehört in ein Haus, genauso wie ein Feuerlöscher” glaubt er, es sei die Pflicht jedes Amerikaners, Waffen zu besitzen, um seine Kinder und die Familie zu schützen. Einige dieser unerschrockenen Selbstverteidiger schließen sich in „bürgerliche Armeen” zusammen und üben an Wochenenden das Schießen, um sich im Ernstfall wehren zu können – notfalls auch „gegen die Regierung”. Der zweite Typ ist der stolze Noir Nr. 9 (Februar 2009) „Wildlife”-Typ, der seine Gewehre für die Jagd benutzt. Er plaziert sie meist in einer Glasvitrine, am besten für alle sichtbar im Wohnzimmer, neben einer amerikanischen Flagge und dem Bild des im Irak kämpfenden Sohnes. Eine kurze Geschichte des Waffenbesitzes: Als 1979 die Menschenrechte der Verfassung der USA hinzugefügt wurden, wurde den Bürgern Amerikas das Recht zugesprochen, bewaffnet zu sein. Damals wurde es als nötig und fortschrittlich gesehen. Schon von Anfang an benötigten die Siedler ihre Waffen, um zu überleben. Bei der Eroberung neuer Gebiete mussten sie sich gegen Indianerstämme wehren, später brauchten sie die Waffen im Bürgerkrieg. So kam es auch, dass das Recht auf Waffenbesitz erst 1994 vom sogenannten „Brady-Gesetz” eingeschränkt wurde, das aber lediglich den Verkauf von Gewehren an unter 18-Jährige, an psychisch Kranke und Straftäter verbietet. Trotz der Einschränkungen ist die Mordrate in den USA heute noch sehr hoch. 2007 wurden laut FBI 3,8 Morde auf 100 000 Menschen begangen. In Deutschland sind es im Vergleich nur 0,28 Morde. Nur wenn wieder einmal ein schrecklicher Amoklauf passiert, scheinen ein paar Amerikaner aufzuwachen. In Demonstrationen wird dann gegen des liberale Waffenrecht protestiert, das zuvor von allen begrüßt wurde und kaum jemanden störte. Dabei variiert die Härte der Waffengesetze von Staat zu Staat. Während in Florida die Bürger das Recht besitzen, loszuschießen, sobald sie sich bedroht fühlen, dürfen in Kalifornien neben Polizisten nur Menschen „mit gutem Charakter” eine Waffe besitzen. Aber zu Änderungen an den Gesetzen kommt es nicht. Zu stark ist der Einfluss der Waffenlobby in den USA, der „National Rifle Association”. Nach einem Amoklauf an einer Schule versprach Bill Clinton den amerikanischen Bürgern einmal, er würde das Waffengesetz ändern, wenn „sich zuerst die amerikanische Kultur ändere”. Zu stark sah er das Recht der Amerikaner auf Waffenbesitz in der langen Tradtition verankert. Dabei scheinen die Amerikaner nicht zu begreifen, dass Waffengewalt meist mit neuer Gewalt erwidert wird. Bis zur Ankunft der Amerikaner auf dem Kontinent kannten die Ureinwohner keinerlei Schusswaffen. An einem sonnigen Tag lagen meine Freundin und ich in der Bucht auf deren Steg. Ich zeigte auf einen Steg gegenüber und fragte sie nach den Menschen, die dort wohnten. Da meinte sie nur: „Mit denen haben wir nicht viel zu tun. Die dachten immer mein Vater sei ein komischer Kauz und redeten nie mit uns. Und außerdem hat mein Vater einmal auf ihr Bootshaus geschossen.” Foto: www.photocase.com/User:seloro

Lifestyle ~ Kultur ~ Titelthema ~ Porträt ~ Reportage ~ Wissen ~ Reise ~ Sport ~ Noir-Intern ~ Politik ~ Querbeet Foto: Luca Leicht KRÄNKELT DAS MIKROFINANZWESEN? Armutsbekämpfung lautet das Credo der Entwicklungspolitik. Doch damit bleibt es vor der fauchenden Finanzkrise nicht verschont. Wie ein Werkzeug der Entwicklungshilfe dem Tiger zum Opfer fällt Wir wollten auf den Mond, also sind wir da hingeflogen. Wir erreichten, was wir wollten.“ Muhammend Yunus ist tatsächlich eine Punktlandung in der Entwicklungspolitik gelungen. Vor mehr als 30 Jahren gründete der gebürtige Bengale in seinem Heimatland die erste Bank für Mikrokredite. Seitdem hat die Grameen Bank mit inzwischen über 2500 Filialen in Bangladesch Kredite in Höhe von umgerechnet sechs Millionen Dollar an rund sieben Millionen Arme vergeben. Als Sozialunternehmen ist die Grameen Bank nicht gewinnorientiert. Sie verfolgt ausschließlich das Ziel der Armutsbekämpfung. Das Konzept des Mikrofinanzwesen ist simpel: Die Bank verleiht Kleinstkredite in Höhe von meistens bis zu hundert Euro an Menschen, denen der Zugang zu herkömmlichen Krediten verwehrt bleibt. Somit ermöglicht sie Menschen aus den ärmsten Bevölkerungsschichten den Start ins eigene Gewerbe. „Heute bin ich Geschäftsfrau“, sagt Frau Nabori, eine erfolgreiche Kreditnehmerin aus Kenia, stolz. Ein Kredit von 80 Euro half ihr, das erste Gemüsebeet anzulegen. Heute beliefert sie die örtliche Grundschule mit Gurken und Tomaten. Das bringt ihr ein stattliches Monatseinkommen von rund 50 Euro. So kann sie für jedes ihrer Kinder die notwendigen Schulgebühren aufbringen. Hilfe zur Selbsthilfe lautet die Maxime. Und tatsächlich fällt das Konzept des Mikrofinanzwesens auf fruchtbaren Boden. Diesen Beweis liefert auch die ungewöhn- lich hohe Rückzahlquote der Kreditnehmer, die mit rund 98,6 Prozent den deutschen Durchschnittswert von 95, 4 Prozent bei weitem übertrifft. Inzwischen gibt es in fast allen Ländern Mikrokredit-Programme. Mit dieser weltweiten Adaption des erfolgreichen Konzepts aus Bangladesch geht allerdings auch eine beunruhigende Entwicklung einher. Vom Begründer Muhammed Yunus noch sehr genau als Werkzeug gegen die Armut definiert, verliert das Mikrofinanzwesen allmählich diese Funktion. Spätestens seit große Investoren wie die Investmentbank CitiGroup die Rentabilität von Mikrofinanzinvestments für sich entdeckt haben, findet eine fortschreitende Kapitalisierung des Sektors statt. Das Sozialunternehmen Mikrokredit wird zur Kapitalanlage. Damit gerät auch dieser Sektor in die vernichtenden Fänge der Finanzkrise. Die Auswirkungen der Krise auf die welt- weit Ärmsten verschärft diese Situation zusätzlich. Durch steigende Öl- und Nahrungsmittelpreise sind vor allem die wirtschaftlich schwachen Entwicklungsländer betroffen, wo die meisten Kreditnehmer rund 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Viele können somit ihre Kredite nicht mehr begleichen. Hinzu kommt, dass viele Kleinstunternehmen der Kreditnehmer von der Insolvenz bedroht sind, da auch in den Entwicklungsländern die Binnennachfrage auf Grund der Krise abschwächt. Folglich sind Mikrofinanzinstitute von zwei Seiten durch die Finanzkrise bedroht: Von „oben“ sind sie durch die Insolvenz ihrer Kapitalgeber, der Investoren, gefährdet. Von „unten“ droht die Insolvenz ihrer Kreditnehmer und damit das Ausbleiben von Kreditrückzahlungen. Neben ganzen Banken und Staaten, die vor dem Bankrott stehen, mag die Gefährdung des Mikrofinanzsektors vielleicht klein anmuten. Dennoch, ein kleiner Verlust für die Finanzkrise, ein großer Verlust für die Entwicklungspolitik. Möge Muhammed Yunus bei seiner Mondlandung nur nicht einfach den Boden unter den Füßen verlieren. Felicia Schneiderhan Noir Nr. 9 (Februar 2009) 19

Lifestyle ~ Kultur ~ Titelthema ~ Porträt ~ Reportage ~ Wissen ~ Reise ~ Sport ~ Noir-Intern ~ Politik ~ Querbeet<br />

Foto: Luca Leicht<br />

KRÄNKELT DAS MIKROFINANZWESEN?<br />

Armutsbekämpfung lautet das Credo der Entwicklungspolitik. Doch damit bleibt es vor der fauchenden<br />

Finanzkrise nicht verschont. Wie ein Werkzeug der Entwicklungshilfe dem Tiger zum Opfer fällt<br />

Wir wollten auf den Mond, also sind<br />

wir da hingeflogen. Wir erreichten,<br />

was wir wollten.“ Muhammend Yunus ist<br />

tatsächlich eine Punktlandung in der Entwicklungspolitik<br />

gelungen. Vor mehr als<br />

30 Jahren gründete der gebürtige Bengale<br />

in seinem Heimatland die erste Bank für<br />

Mikrokredite. Seitdem hat die Grameen<br />

Bank mit inzwischen über 2500 Filialen<br />

in Bangladesch Kredite in Höhe von umgerechnet<br />

sechs Millionen Dollar an rund<br />

sieben Millionen Arme vergeben.<br />

Als Sozialunternehmen ist die Grameen<br />

Bank nicht gewinnorientiert. Sie verfolgt<br />

ausschließlich das Ziel der Armutsbekämpfung.<br />

Das Konzept des Mikrofinanzwesen<br />

ist simpel: Die Bank verleiht Kleinstkredite<br />

in Höhe von meistens bis zu hundert<br />

Euro an Menschen, denen der Zugang zu<br />

herkömmlichen Krediten verwehrt bleibt.<br />

Somit ermöglicht sie Menschen aus den<br />

ärmsten Bevölkerungsschichten den Start<br />

ins eigene Gewerbe. „Heute bin ich Geschäftsfrau“,<br />

sagt Frau Nabori, eine erfolgreiche<br />

Kreditnehmerin aus Kenia, stolz.<br />

Ein Kredit von 80 Euro half ihr, das erste<br />

Gemüsebeet anzulegen. Heute beliefert sie<br />

die örtliche Grundschule mit Gurken und<br />

Tomaten. Das bringt ihr ein stattliches<br />

Monatseinkommen von rund 50 Euro. So<br />

kann sie für jedes ihrer Kinder die notwendigen<br />

Schulgebühren aufbringen.<br />

Hilfe zur Selbsthilfe lautet die Maxime.<br />

Und tatsächlich fällt das Konzept des Mikrofinanzwesens<br />

auf fruchtbaren Boden.<br />

Diesen Beweis liefert auch die ungewöhn-<br />

lich hohe Rückzahlquote der Kreditnehmer,<br />

die mit rund 98,6 Prozent den deutschen<br />

Durchschnittswert von 95, 4 Prozent<br />

bei weitem übertrifft.<br />

Inzwischen gibt es in fast allen Ländern<br />

Mikrokredit-Programme. Mit dieser weltweiten<br />

Adaption des erfolgreichen Konzepts<br />

aus Bangladesch geht allerdings auch<br />

eine beunruhigende Entwicklung einher.<br />

Vom Begründer Muhammed Yunus noch<br />

sehr genau als Werkzeug gegen die Armut<br />

definiert, verliert das Mikrofinanzwesen<br />

allmählich diese Funktion. Spätestens seit<br />

große Investoren wie die Investmentbank<br />

CitiGroup die Rentabilität von Mikrofinanzinvestments<br />

für sich entdeckt haben,<br />

findet eine fortschreitende Kapitalisierung<br />

des Sektors statt. Das Sozialunternehmen<br />

Mikrokredit wird zur Kapitalanlage.<br />

Damit gerät auch dieser Sektor in die<br />

vernichtenden Fänge der Finanzkrise.<br />

Die Auswirkungen der Krise auf die welt-<br />

weit Ärmsten verschärft diese Situation<br />

zusätzlich. Durch steigende Öl- und Nahrungsmittelpreise<br />

sind vor allem die wirtschaftlich<br />

schwachen Entwicklungsländer<br />

betroffen, wo die meisten Kreditnehmer<br />

rund 80 Prozent ihres Einkommens für<br />

Nahrungsmittel ausgeben. Viele können<br />

somit ihre Kredite nicht mehr begleichen.<br />

Hinzu kommt, dass viele Kleinstunternehmen<br />

der Kreditnehmer von der Insolvenz<br />

bedroht sind, da auch in den Entwicklungsländern<br />

die Binnennachfrage auf Grund<br />

der Krise abschwächt. Folglich sind Mikrofinanzinstitute<br />

von zwei Seiten durch die<br />

Finanzkrise bedroht: Von „oben“ sind sie<br />

durch die Insolvenz ihrer Kapitalgeber, der<br />

Investoren, gefährdet. Von „unten“ droht<br />

die Insolvenz ihrer Kreditnehmer und<br />

damit das Ausbleiben von Kreditrückzahlungen.<br />

Neben ganzen Banken und Staaten, die<br />

vor dem Bankrott stehen, mag die Gefährdung<br />

des Mikrofinanzsektors vielleicht<br />

klein anmuten. Dennoch, ein kleiner Verlust<br />

für die Finanzkrise, ein großer Verlust<br />

für die Entwicklungspolitik. Möge Muhammed<br />

Yunus bei seiner Mondlandung<br />

nur nicht einfach den Boden unter den<br />

Füßen verlieren. Felicia Schneiderhan<br />

Noir <strong>Nr</strong>. 9 (Februar 2009) 19

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