noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW
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18<br />
AUF EINDRINGLINGE WIRD GESCHOSSEN<br />
Das Recht auf Waffenbesitz ist ein amerikanisches Bürgerrecht. Sophie Rebmann hat bei einem<br />
USA-Aufenthalt erlebt, wie manche Amerikaner mit der Waffe umgehen<br />
Auf Eindringlinge wird geschossen.<br />
Auf Überlebende wird nochmals<br />
geschossen.” So steht es auf einem der<br />
Schilder, die bei meiner Freundin in Amerika<br />
das Grundstück säumen. Ihr Vater<br />
hat diese aufgestellt und trägt ständig eine<br />
geladene Waffe bei sich. Die Drohung hat<br />
er zum Glück noch nie wahrgemacht.<br />
In den USA besitzt jeder zweite Haushalt<br />
eine Schusswaffe. Dabei gibt es zwei Typen<br />
von Waffenbesitzern. Beide erkennt man<br />
schon daran, wie sie ihre Waffe aufbewahren.<br />
Zum einen ist da der unerschrockene<br />
„Do-it-yourself”-Typ, der seine Waffe unter<br />
dem Kopfkissen versteckt, immer geladen<br />
und griffbereit. Er besitzt die Waffe, um<br />
sich im Ernstfall verteidigen zu können.<br />
Frei nach dem Motto „eine Waffe gehört<br />
in ein Haus, genauso wie ein Feuerlöscher”<br />
glaubt er, es sei die Pflicht jedes Amerikaners,<br />
Waffen zu besitzen, um seine Kinder<br />
und die Familie zu schützen. Einige<br />
dieser unerschrockenen Selbstverteidiger<br />
schließen sich in „bürgerliche Armeen” zusammen<br />
und üben an Wochenenden das<br />
Schießen, um sich im Ernstfall wehren zu<br />
können – notfalls<br />
auch „gegen die<br />
Regierung”.<br />
Der zweite<br />
Typ<br />
ist der<br />
stolze<br />
Noir <strong>Nr</strong>. 9 (Februar 2009)<br />
„Wildlife”-Typ, der seine Gewehre für die<br />
Jagd benutzt. Er plaziert sie meist in einer<br />
Glasvitrine, am besten für alle sichtbar<br />
im Wohnzimmer, neben einer amerikanischen<br />
Flagge und dem Bild des im Irak<br />
kämpfenden Sohnes.<br />
Eine kurze Geschichte des Waffenbesitzes:<br />
Als 1979 die Menschenrechte der<br />
Verfassung der USA hinzugefügt wurden,<br />
wurde den Bürgern Amerikas das Recht<br />
zugesprochen, bewaffnet zu sein. Damals<br />
wurde es als nötig und fortschrittlich gesehen.<br />
Schon von Anfang an benötigten die<br />
Siedler ihre Waffen, um zu überleben.<br />
Bei der Eroberung neuer Gebiete mussten<br />
sie sich gegen Indianerstämme wehren,<br />
später brauchten sie die Waffen im Bürgerkrieg.<br />
So kam es auch, dass das Recht auf<br />
Waffenbesitz erst 1994 vom sogenannten<br />
„Brady-Gesetz” eingeschränkt wurde, das<br />
aber lediglich den Verkauf von Gewehren<br />
an unter 18-Jährige, an psychisch Kranke<br />
und Straftäter verbietet. Trotz der Einschränkungen<br />
ist die Mordrate in den<br />
USA heute noch sehr hoch. 2007 wurden<br />
laut FBI 3,8 Morde auf 100 000 Menschen<br />
begangen. In Deutschland sind es im Vergleich<br />
nur 0,28 Morde.<br />
Nur wenn wieder einmal ein schrecklicher<br />
Amoklauf passiert, scheinen ein<br />
paar Amerikaner aufzuwachen. In Demonstrationen<br />
wird dann gegen des liberale<br />
Waffenrecht protestiert, das zuvor von<br />
allen begrüßt wurde und kaum jemanden<br />
störte. Dabei variiert die Härte der Waffengesetze<br />
von Staat zu Staat. Während in<br />
Florida die Bürger das Recht besitzen, loszuschießen,<br />
sobald sie sich bedroht fühlen,<br />
dürfen in Kalifornien neben Polizisten nur<br />
Menschen „mit gutem Charakter” eine<br />
Waffe besitzen.<br />
Aber zu Änderungen an den Gesetzen<br />
kommt es nicht. Zu stark ist der Einfluss<br />
der Waffenlobby in den USA, der „National<br />
Rifle Association”.<br />
Nach einem Amoklauf an einer Schule<br />
versprach Bill Clinton den amerikanischen<br />
Bürgern einmal, er würde das Waffengesetz<br />
ändern, wenn „sich zuerst die amerikanische<br />
Kultur ändere”. Zu stark sah er das<br />
Recht der Amerikaner auf Waffenbesitz in<br />
der langen Tradtition verankert.<br />
Dabei scheinen die Amerikaner nicht<br />
zu begreifen, dass Waffengewalt meist<br />
mit neuer Gewalt erwidert wird. Bis zur<br />
Ankunft der Amerikaner auf dem Kontinent<br />
kannten die Ureinwohner keinerlei<br />
Schusswaffen.<br />
An einem sonnigen Tag lagen meine<br />
Freundin und ich in der Bucht auf deren<br />
Steg. Ich zeigte auf einen Steg gegenüber<br />
und fragte sie nach den Menschen, die dort<br />
wohnten. Da meinte sie nur: „Mit denen<br />
haben wir nicht viel zu tun. Die dachten<br />
immer mein Vater sei ein komischer Kauz<br />
und redeten nie mit uns. Und außerdem<br />
hat mein Vater einmal auf ihr<br />
Bootshaus geschossen.”<br />
Foto: www.photocase.com/User:seloro