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noir | Nr. 9 - Jugendpresse BW

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Fotos: privat<br />

EIN „WHOLE TRAIN“ IST NICHT GENUG<br />

Für die einen sind es hässliche Schmierereien, für andere Kunst: Graffi ti. Der 16-jährige Mark ist bereits ein<br />

erfahrener Sprayer. Immer wieder wagt er sich an Grenzen, dabei gerät er nicht selten in Lebensgefahr:<br />

Porträt eines Freaks<br />

Gehetzt rennen sie auf den Schienen<br />

durch den dunklen Tunnel, nirgends<br />

ein Licht in Sicht. Der Zug kann jeden<br />

Moment kommen, laut Fahrplan in den<br />

nächsten 14 Sekunden. Sie müssen den<br />

S-Bahnschacht finden; und zwar schnell,<br />

sonst ist es zu spät. Marks* Herz schlägt<br />

immer schneller. Dann hält er den Atem<br />

an, er kann den Zug schon hören. Plötzlich<br />

ruft sein Kumpel: „Ich hab ihn!“ Schnell<br />

quetschen sich die beiden durch den engen<br />

Schacht. Der Zug kommt immer näher.<br />

Wie immer schaffen sie es in der letzten<br />

Sekunde. Doch das Herzklopfen geht weiter:<br />

„Wo sind die Überwachungskameras?<br />

Was für Möglichkeiten gibt es zu fliehen,<br />

wenn die Polizei kommt?“<br />

Schnell klären sie alles ab und beginnen<br />

anschließend mit ihrer großen Leidenschaft,<br />

dem Sprayen. Mark übt meistens<br />

tagelang das Motiv, bevor er es an eine<br />

Wand sprüht. Am anspruchsvollsten wird<br />

es, wenn man einen „whole train“ macht,<br />

also einen ganzen Zug besprüht. Dafür<br />

braucht man lange und genügend Sprayer.<br />

Würde man sich erwischen lassen, würde<br />

es ein Vermögen kosten. Doch Mark und<br />

seine Kumpels lassen sich nicht erwischen<br />

und wenn, fliehen sie. Ihr Ansehen in der<br />

Sprayerszene ist groß und es wächst immer<br />

mehr. Mark ist stolz darauf, sein Kämpfen<br />

und Trainieren hat sich gelohnt. Mit dreizehn<br />

fing der heute 16-jährige an, in jeder<br />

freien Minute zu üben. Er trainierte verschiedene<br />

Stile wie zum Beispiel „samy style“,<br />

„wildstyle“, „bubblestyle“, oder „shufflestyle“.<br />

Ebenso übte Mark seinen „tag“,<br />

das ist die Unterschrift eines Sprayers, die<br />

er unter jedes Bild sprüht. Dann begann<br />

er in Baden-Württemberg damit, Wände<br />

und Züge anzusprühen. Also eigentlich<br />

„öffentliches Eigentum“. Die Polizei sieht<br />

das als Sachbeschädigung. Doch Mark<br />

hält die Graffiti-Bilder für Kunst.<br />

Durch illegale Sprayer-Wettbewerbe wurde<br />

er in ganz Deutschland bekannt, vor<br />

* Alle Namen von der Redaktion geändert<br />

allem aber in Berlin. Mark traf viel andere<br />

Sprayern und verbesserte seinen Stil.<br />

Heute malt er die bunten Graffitis in halb<br />

Europa. Um zu sprühen flogen Mark und<br />

seine Kumpels bis nach Mallorca. Frankreich<br />

gehört dagegen schon zum Alltag.<br />

Einen ganzen Zug anzusprühen, reichte<br />

nicht mehr für den Kick. Mark und seine<br />

Kumpels wollten es aufregender, wieder etwas<br />

Neues entdecken. So wagten sie es, in<br />

einem Zug die Notbremse zu ziehen, kurz<br />

rauszuspringen und den Zug, wenn auch<br />

nur für ein paar Sekunden lang, zu besprühen.<br />

Es mag sich krass anhören, dass junge<br />

Menschen für das Sprayen ihr Leben riskieren.<br />

Doch Marks Leben besteht nur aus<br />

Sprayen: „Ohne Sprayen wäre mein Leben<br />

ein Nichts“, meint der 16-Jährige. Besonders<br />

wichtig ist für ihn auch das Sprayer-<br />

Gebot, niemals einen anderen zu verraten.<br />

„Das gemeinsame Sprayen stärkt das<br />

gegenseitige Vertrauen – man hält einfach<br />

zusammen“, erzählt Mark.<br />

Viele Sprayer kamen in U-Bahn-Schächten<br />

ums Leben, darunter welche, die Mark<br />

kannte. Natürlich hat er selbst auch Angst,<br />

doch auch diese Angst gehört zu seinem<br />

Kick. Marks Ziel für die Zukunft ist es,<br />

immer mehr Ansehen zu bekommen und<br />

seine tags an immer mehr Zügen, Bussen<br />

und Wänden zu sehen. Anna Ruppert<br />

Besprühtes öffentliches Eigentum: Kunst für die einen, Sachbeschädigung für die anderen<br />

Noir <strong>Nr</strong>. 9 (Februar 2009) 11

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