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Textsemantische Grundlagen der Analyse von Musikszenen und ...

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Für den Zuschauer ist die Strategie durchsichtig, mit <strong>der</strong> Reiner hier das<br />

Verhältnis <strong>der</strong> beiden Männer zu ihrem Projekt darstellt – weil er um den<br />

Charakter des Songs als Party-Mitsing-Musik weiß <strong>und</strong> weil er verstehen<br />

kann, dass die beiden Helden emotional <strong>und</strong> epistemologisch bei sich, aber<br />

nicht in Afrika sind.<br />

Schon einige <strong>der</strong> oben beschriebenen Beispiele deuten darauf hin, dass die<br />

<strong>Musikszenen</strong> auffallend oft reflexiv gesetzt sind. Nur bei oberflächlicher<br />

Betrachtung ergeben sie sich organisch aus <strong>der</strong> Handlung. Genauere<br />

Betrachtung zeigt, dass sie dramaturgisch angesteuert werden, Bereiche <strong>und</strong><br />

Register des Wissens in die Geschichten integrierend, die sie für eine kurze<br />

Phase »fragilisieren«, durchlässig machen, sie mit einem umfassen<strong>der</strong>en<br />

Horizont <strong>von</strong> Verstehen, Genießen <strong>und</strong> Wertschätzen kurzschließen. Ein<br />

Beispiel, das sich sofort aufdrängt, stammt aus dem Film PRETTY WOMAN<br />

(USA 1990, Garry Marshall): Der Held entführt die Prostituierte, die er auf<br />

<strong>der</strong> Straße als Tagesbegleitung engagiert hatte, in eine Aufführung <strong>der</strong><br />

Verdischen Traviata – <strong>und</strong> als sie zu weinen beginnt, zeigt sie ihre wahre<br />

Klassenhaltung, eine Empfindsamkeit, die unter <strong>der</strong> Schnoddrigkeit <strong>und</strong><br />

abweisenden Unverbindlichkeit ihres professionellen Verhaltenscodex' nur<br />

geschlummert hatte. Wir sehen in einer summary sequence die Aufführung<br />

<strong>von</strong> Beginn an, dazu erklingt ein (mehr o<strong>der</strong> weniger flüssiges) Medley<br />

einiger Kernszenen <strong>der</strong> Oper; wir sehen vor allem, wie sich die Heldin<br />

immer mehr auf das Stück <strong>und</strong> die Musik einlässt, <strong>und</strong> ihre Tränen am Ende<br />

beweisen, dass sie den »Herzenstest« bestanden hat (vgl. Mikos 1993, 77,<br />

79). Der Film instantiiert auch das Motiv <strong>der</strong> »selbstlosen Kurtisane«, wie<br />

es in Alexandre Dumas' Kameliendame (1848), die wie<strong>der</strong>um die Gr<strong>und</strong>lage<br />

für La Traviata (1853) bildete, nahezu prototypisch ausgeführt war; die Oper<br />

dramatisiert zudem eine Figurenkonstellation, die <strong>der</strong> in PRETTY WOMAN<br />

entspricht, sie allerdings zu einem tragisch-rührseligen Ende führt. Für den<br />

Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, 9, 2013 // 256

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