1. Einleitung Die Gesamtheit der Wörter einer ... - Das slavische Verb

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8. LEXIKOLOGIE UND LEXIKOGRAPHIE (1. TEIL) 1. Einleitung 1 2. Lexikalische Bedeutung und ihre Beschreibung 2 2.1 Lexikalische Bedeutung 2 2.2 Vokabel und Lexem 3 2.3 Lexikalische Explikation 3 2.4 Lexikalisches Konzept 5 2.5 Denotation und Konnotation 7 2.6 Lexikographie 7 3. Intralexikalische Paradigmatik: Polysemie und Bedeutungsvarianz 8 4. Interlexikalische Paradigmatik 9 4.1 Formale interlexikalische Beziehungen 9 4.2 Funktionale interlexikalische Beziehungen 10 5. Phraseologie 11 6. Lexikalische Felder 13 7. Lexikalische Stilistik 15 7.1 Stilschicht 15 7.2 Emotional-expressive Färbung 17 7.3 Stilhöhe 17 Literatur 17 Im ersten Teil werden grundlegende traditionelle Begriffe vorgestellt. Im zweiten Teil (Kap. 20) wird dies vertieft, besonders im Hinblick auf die Beschreibung und Klassifizierung übertragener Bedeutungen (Metaphern, Metonymien), auf die Explikation lexikalischer Bedeutungen und auf lexikalische Kategorien. In Kap. 20 gibt es auch eine Liste wichtiger Wörterbücher. 1. Einleitung Die Gesamtheit der Wörter einer Sprache ohne die grammatischen Derivate bildet ihren W o r t s c h a t z , ihr V o k a b u l a r . Die Wörter des Vokabulars mit lexikalischer Bedeutung bilden ihre L e x i k (auch: ihr Lexikon). Die L e x i k o l o g i e beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Beschreibung der lexikalischen Bedeutungen der Vokabeln und ihren paradigmatischen und ihren syntagmatischen Beziehungen innerhalb des Wortschatzes. Die beiden Hauptkomponenten der Sprache sind Lexik und Grammatik. Während die Grammatik eher mit einer Maschine vergleichbar ist, die aus bestimmtem Input einen bestimmten Output herstellt, ist die Lexik mit dem Material vergleichbar, das in

8. LEXIKOLOGIE UND LEXIKOGRAPHIE (<strong>1.</strong> TEIL)<br />

<strong>1.</strong> <strong>Einleitung</strong> 1<br />

2. Lexikalische Bedeutung und ihre Beschreibung 2<br />

2.1 Lexikalische Bedeutung 2<br />

2.2 Vokabel und Lexem 3<br />

2.3 Lexikalische Explikation 3<br />

2.4 Lexikalisches Konzept 5<br />

2.5 Denotation und Konnotation 7<br />

2.6 Lexikographie 7<br />

3. Intralexikalische Paradigmatik: Polysemie und Bedeutungsvarianz 8<br />

4. Interlexikalische Paradigmatik 9<br />

4.1 Formale interlexikalische Beziehungen 9<br />

4.2 Funktionale interlexikalische Beziehungen 10<br />

5. Phraseologie 11<br />

6. Lexikalische Fel<strong>der</strong> 13<br />

7. Lexikalische Stilistik 15<br />

7.1 Stilschicht 15<br />

7.2 Emotional-expressive Färbung 17<br />

7.3 Stilhöhe 17<br />

Literatur 17<br />

Im ersten Teil werden grundlegende traditionelle Begriffe vorgestellt. Im zweiten Teil (Kap. 20) wird<br />

dies vertieft, beson<strong>der</strong>s im Hinblick auf die Beschreibung und Klassifizierung übertragener Bedeutungen<br />

(Metaphern, Metonymien), auf die Explikation lexikalischer Bedeutungen und auf lexikalische<br />

Kategorien. In Kap. 20 gibt es auch eine Liste wichtiger <strong>Wörter</strong>bücher.<br />

<strong>1.</strong> <strong>Einleitung</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Gesamtheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wörter</strong> <strong>einer</strong> Sprache ohne die grammatischen Derivate bildet ihren<br />

W o r t s c h a t z , ihr V o k a b u l a r . <strong>Die</strong> <strong>Wörter</strong> des Vokabulars mit lexikalischer<br />

Bedeutung bilden ihre L e x i k (auch: ihr Lexikon). <strong>Die</strong> L e x i k o l o g i e<br />

beschäftigt sich im Wesentlichen mit <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> lexikalischen Bedeutungen<br />

<strong>der</strong> Vokabeln und ihren paradigmatischen und ihren syntagmatischen Beziehungen<br />

innerhalb des Wortschatzes.<br />

<strong>Die</strong> beiden Hauptkomponenten <strong>der</strong> Sprache sind Lexik und Grammatik. Während<br />

die Grammatik eher mit <strong>einer</strong> Maschine vergleichbar ist, die aus bestimmtem Input<br />

einen bestimmten Output herstellt, ist die Lexik mit dem Material vergleichbar, das in


2 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

<strong>der</strong> Maschine zu einem bestimmten Produkt verarbeitet wird. Sie ist das Reservoir, aus<br />

dem das sprachlich zu Formende geschöpft wird. Psycholinguistisch gesprochen ist sie<br />

ein ungeheures Netzwerk, das in gewisser Weise einen vergleichsweise geringen Grad<br />

<strong>der</strong> Strukturiertheit aufweist. <strong>Die</strong> Lexikologie sieht ihre Aufgabe darin, in diesem<br />

Netzwerk strukturierte Komponenten zu ermitteln. <strong>Das</strong> geschieht in erster Linie, in dem<br />

alle Arten von Relationen beschrieben werden, in denen eine lexikalische Einheit, also<br />

ein Wort o<strong>der</strong> eine Bedeutung, mit an<strong>der</strong>en lexikalischen Einheiten steht. Daneben<br />

werden auch Mengen lexikalischer Einheiten beschrieben. Es sind Ausschnitte aus dem<br />

Netzwerk, und damit sind sie <strong>der</strong> psycholinguistischen Betrachtungsweise noch näher<br />

als die Beziehungen zwischen einzelnen lexikalischen Einheiten. Auf sie wurde im<br />

Kap. Psycholinguistik eingegangen, so dass hier nur <strong>der</strong> Begriff des lexikalischen<br />

Feldes vorgestellt werden muss.<br />

2. Lexikalische Bedeutung und ihre Beschreibung<br />

<strong>Wörter</strong> bestehen <strong>einer</strong>seits aus Morphemen (mindestens einem), an<strong>der</strong>erseits, wie die<br />

Morpheme, aus <strong>einer</strong> Form und <strong>einer</strong> Bedeutung. Man sagt auch “sie haben eine<br />

(äußere) Form und eine Bedeutung”. <strong>Die</strong> Form ist eine konkrete, d.h. wahrnehmbare,<br />

phonetische o<strong>der</strong> graphische Komponente, die Bedeutung eine ideelle, d.h. reale, aber<br />

nicht direkt wahrnehmbare Komponente.<br />

2.1 Lexikalische Bedeutung<br />

Unter B e d e u t u n g soll unter linguistischen Gesichtspunkten <strong>der</strong> geistige Inhalt<br />

verstanden werden, <strong>der</strong> <strong>einer</strong> sprachlichen Form F und nur ihr regelhaft zugeordnet ist.<br />

Unter funktionalen Gesichtspunkten ist die Bedeutung ein Potenzial semantischer,<br />

pragmatischer, kombinatorischer und stilistischer Funktionen. So gesehen gibt es keine<br />

Bedeutung an sich, son<strong>der</strong>n immer nur eine “Bedeutung von F”. <strong>Die</strong> Bedeutung bildet<br />

zusammen mit <strong>der</strong> sprachlichen Form eine bilaterale (zweiseitige) sprachliche Einheit.<br />

Lexikalisch ist nur diejenige Bedeutung, die selbständig einem Objekt, <strong>einer</strong><br />

Eigenschaft, <strong>einer</strong> aktionalen Situation o<strong>der</strong> eine Relation zugeordnet ist: Nur<br />

Inhaltswörter, also Substantive, Adjektive, <strong>Verb</strong>en und Adverbien (einschließlich <strong>der</strong><br />

entsprechenden Pronomina und Numeralia, s. Kap. Wortarten) haben eine lexikalische<br />

Bedeutung. <strong>Die</strong> lexikalische Bedeutung bildet einen Komplex aus semantischen und<br />

kombinatorischen Funktionen, sehr oft mit weiteren, pragmatischen o<strong>der</strong> stilistischen,<br />

Funktionen. <strong>Die</strong>se Funktionen werden traditionell auf die Komponenten Denotation<br />

und Konnotation verteilt (s.u.). Neben dem hier vorgestellten, gängigen Verständnis<br />

von Bedeutung gibt es in <strong>der</strong> Linguistik und darüber hinaus alle möglichen an<strong>der</strong>en<br />

Interpretationen dieses für die menschliche Sprache konstitutiven Begriffs.<br />

Über die Bedeutung stehen <strong>Wörter</strong> in Relation nicht nur zu unserem Wissen von <strong>der</strong><br />

Welt, son<strong>der</strong>n auch in Relation zu Weltphänomenen selbst (die unter diesem<br />

Gesichtspunkt auch Referenten, Referenzobjekte genannt werden), mit ihnen werden ja<br />

diese Phänomene bezeichnet: Objekte (Personen und Sachen), vgl. otec ‘Vater’, stol<br />

‘Tisch’, Eigenschaften, vgl. belyj ‘weiß’, aktionale Situationen, vgl. pisat’ ‘schreiben’,<br />

und Relationen, vgl. v�era ‘gestern’. Der Bezug zu diesen Weltphänomenen ist ein<br />

semantischer, die Funktion eine Bezeichnungsfunktion. Man sagt bei Vorkommen:


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 3<br />

“Mit dem Wort W wird das referenzielle Phänomen R bezeichnet”, bei Typen: “Mit<br />

dem Wort W kann das referenzielle Phänomen R bezeichnet werden.”<br />

2.2 Vokabel und Lexem<br />

Einem lexikalischen Stamm bzw. einem Wort können eine o<strong>der</strong> mehrere lexikalische<br />

Bedeutungen zugeordnet sein, im letzteren Falle ist das Wort polysem, vgl. golova <strong>1.</strong><br />

‘Kopf’ und golova 2. ‘Haupt, Führungsfigur’ o<strong>der</strong> serdce bol’nogo ‘Herz (des<br />

Kranken)’ und serdce Rossii ‘Herz (Russlands)’, s.u. <strong>Die</strong> sprachliche Form eines<br />

Wortes ohne grammatische Markierung mit d e r bzw. e i n e r lexikalischen<br />

Bedeutung bezeichnen wir als L e x e m (lekséma), die sprachliche Form eines<br />

Wortes mit allen ihren lexikalischen Bedeutungen als V o k a b e l 1 . Im Westen und<br />

oft auch in den <strong>slavische</strong>n Län<strong>der</strong>n wird <strong>der</strong> Ausdruck “Lexem” mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

gleichbedeutend für “Wort” bzw. „Vokabel“ verwendet. In <strong>der</strong> “Moskauer<br />

semantischen Schule”, die weltweit führend hinsichtlich lexikographischer<br />

Beschreibungen ist (für das Russische ist vor allem die Arbeitsgruppe von Ju. D.<br />

Apresjan zu nennen), wird dieser Ausdruck (“leksema”) dagegen verwendet für die<br />

Form eines Wortes mit <strong>einer</strong> bestimmten lexikalischen Bedeutung. In diesem, auch hier<br />

verwendeten Sinne, ist also golova <strong>1.</strong> ‘Kopf’ ein Lexem und golova 2. ‘Haupt,<br />

Führungsfigur’ ein an<strong>der</strong>es Lexem.<br />

2.3 Lexikalische Explikation<br />

Der lexikalische B e g r i f f , d.h. <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> lexikalischen Bedeutung, wird in <strong>einer</strong><br />

E x p l i k a t i o n beschrieben (Bedeutungserklärung, tolkovánie; sie erscheint in<br />

linguistischen Texten in einfachen Anführungszeichen; in <strong>Wörter</strong>büchern in einem<br />

beson<strong>der</strong>en Schriftformat; bei Polysemie werden die Bedeutungen durchnummeriert).<br />

Vgl. zu golova: ‚oberer Teil vom Körper des Menschen, oberer o<strong>der</strong> vor<strong>der</strong>er Teil vom<br />

Körper des Tiers, <strong>der</strong> das Gehirn enthält’ (nach MAS = „Malyj akademi�eskij slovar’“).<br />

<strong>Die</strong> Explikation repräsentiert den Begriff in wissenschaftlicher Form, so wie<br />

phonetische und phonologische Transkriptionen die äußere Form repräsentieren. Als<br />

Sprache <strong>der</strong> Explikation, als M e t a s p r a c h e also, kann die beschriebene o<strong>der</strong> jede<br />

an<strong>der</strong>e Sprache verwendet werden, sie kann mehr o<strong>der</strong> weniger formalisiert sein.<br />

Nach den Bestimmungen <strong>der</strong> Moskauer semantischen Schule (Ju.D.Apresjan, I.<br />

Mel’�uk und viele an<strong>der</strong>e) soll die Explikation diejenigen Komponenten <strong>der</strong> Bedeutung<br />

repräsentieren, die notwendig und zureichend für die Identifikation <strong>der</strong><br />

zu bezeichnenden Phänomene – Objekte, aktionale Situationen, Eigenschaften,<br />

Relationen – sind. Sie repräsentiert also den lexikalischen Begriff. <strong>Die</strong>se For<strong>der</strong>ung gilt<br />

in gleicher Weise für Definitionen wissenschaftlicher Termini. <strong>Die</strong> Explikationen von<br />

<strong>Wörter</strong>n unterscheiden sich von solchen Definitionen jedoch dadurch, dass das in <strong>der</strong><br />

Bedeutung aufgehobene so genannte naive Weltbild <strong>der</strong> Sprecher <strong>der</strong> beschriebenen<br />

Sprache abgebildet werden soll. Linguistische Bedeutungsexplikationen sind<br />

1 TKS: : “Edinicej opisaniä v TKS ävläetsä slovarnaä stat´ä, sootvetstvuüwaä odnoj<br />

LEKSEME ili odnoj FRAZEME: odno slovo ili odno frazeologiçeskoe soçetanie v odnom<br />

znaçenii. Gruppa slovarnyx statej leksem, dostatoçno blizkix po smyslu i imeüwix odno i<br />

to�e oznaçaüwee (= to�destvennuü osnovu), obßedinäetsä v odnu vokabulu.”


4 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

typischerweise empirisch, induktiv und beziehen sich auf alle Wortarten. Definitionen<br />

sind dagegen theoretische, meist auf empirischer o<strong>der</strong> theoretischer Forschung<br />

beruhende Konstrukte. Sie sind häufig axiomatisch, deduktiv und benennen in <strong>der</strong><br />

Regel Merkmale, die a l l e n Elementen <strong>einer</strong> genau abgegrenzten, ungestuften<br />

Klasse und nur diesen gemeinsam sind. Definiert werden meistens Substantive (mehr<br />

zu Definitionen in Kap. 20/<strong>1.</strong>).<br />

Es folgen Beispiele für die Explikationen von blagodarnyj ‚dankbar’ und zavidovat’<br />

‚beneiden’ (s. Apresjan 1974: 107-9; obrazcy tolkovanij; weitere Beispiele für<br />

lexikographische Explikationen im Anhang):<br />

X blagodaren Y-u za Z � ‘Sçitaä, çto Y sdelal X-y dobro Z, X çuvstvuet<br />

sebä obäzannym kompensirovat´ Z slovesnym priznaniem ili otvetnym<br />

dobrym postupkom’ (v slovaräx zdes´ krug - blagodarnyj tolkuetsä çerez<br />

priznatel´nyj i naoborot).<br />

X zaviduet Z-y Y-a � ‘X ne imeet Z-a, i Y imeet Z, i X ispytyvaet<br />

otricatel´nuü qmociü, kauziruemuü �elaniem, çtoby Y ne imel Z-a, a<br />

X imel Z’.<br />

In den beiden russischen Akademie-<strong>Wörter</strong>büchern <strong>der</strong> Nachkriegszeit (dem großen,<br />

BAS, mit 17 und dem kleinen, MAS, mit 4 Bänden) wird als Metasprache die russische<br />

Standardsprache verwendet, also die Sprache, die auch beschrieben werden soll.<br />

Gefor<strong>der</strong>t wird jedoch zunehmend für eine Sprache in <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> Metasprache ein<br />

normierter Code. Der kann aus <strong>der</strong> russischen Standardsprache abgeleitet werden und<br />

besteht aus <strong>einer</strong> begrenzten Anzahl von <strong>Wörter</strong>n, Formen und syntaktischen Regeln,<br />

wobei Mehrdeutigkeiten (Polysemien) und Unschärfen getilgt sind. Eine genauere<br />

Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> für funktionale Beschreibungen aller Art so wichtigen Bedingungen für<br />

adäquate Explikationen gibt es im Anhang.<br />

Eine <strong>der</strong> wichtigsten Bedingungen für die Metasprache im Sinne <strong>der</strong> Moskauer<br />

semantischen Schule ist die Vermeidung von zirkulären Explikationen und von<br />

Synonyma (dies gilt natürlich in strengstem Maß auch für Definitionen). Vgl. eine<br />

zirkuläre Explikation mit Synonym in MAS:<br />

vynut´ <strong>1.</strong> ‘dostat´, izvleç´ otkuda-l., iz çego-l. ili peremestit´ iznutri<br />

naru�u’<br />

dostat´ <strong>1.</strong> ‘vzät´ çto-l. naxodäweesä na rasstoänii, izvleç´, vynut´ çto-l.<br />

iz çego-l.<br />

Erst durch wirklich explizite Explikationen ist u.a. die Vergleichbarkeit von Bedeutungserklärungen<br />

gewährleistet. An Explikationen mit standardisierten Beschreibungsverfahren<br />

können z.B. die Unterschiede und Übereinstimmungen in <strong>der</strong><br />

Bedeutung von <strong>Verb</strong>en wie in den folgenden Fällen abgelesen werden:<br />

X katitsja ‘x rollt’<br />

X katit Y-a ‘X bewirkt, dass Y rollt’<br />

X u�itsja (Z-omu) ‘X lernt Z’


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 5<br />

X u�it Y-a (Z-omu)’ ‘X bewirkt, dass Y (Z) lernt’<br />

In den Explikationen des BAS z.B. sind solche systematischen Zusammenhänge<br />

nicht direkt ablesbar, vgl.:<br />

uçit´ ‘peredavat´ komu-libo kakie-nibud´ znaniä, navyki’<br />

uçit´sä ‘usvaivat´ kakie-libo znaniä, ovladevat´ znaniämi, izuçat´ çtolibo’.<br />

Ein Begriff hatte bereits in <strong>der</strong> traditionellen Logik zwei Dimensionen: den<br />

I n h a l t und den U m f a n g (in neurer Sprechweise: Intension und Extension 2 ). Der<br />

Inhalt ist die Menge <strong>der</strong> Merkmale des Begriffs, repräsentiert durch die Explikation<br />

bzw. Definition. Der Umfang ist das, was heute als Kategorie 3 bezeichnet wird – die<br />

Menge <strong>der</strong> Elemente, die dem Begriff zugeordnet werden können. Der Umfang des<br />

Begriffs ‘Haus’ als Typus besteht also aus allen realen und fiktiven, gewesenen,<br />

seienden und zukünftigen Häusern. Der Umfang des Begriffs ‚seines Vaters Haus’ ist<br />

ein bestimmtes Haus. Je mehr Merkmale einem Begriff zukommen, desto kl<strong>einer</strong> wird<br />

<strong>der</strong> Umfang und umgekehrt. Holzhäuser gibt es weniger als Häuser (dies gilt für<br />

Begriffstypen und fast immer auch für Begriffsvorkommen).<br />

In <strong>der</strong> Umgangssprache wird übrigens häufig Begriff für Wort o<strong>der</strong> Ausdruck<br />

gesagt; das sollte vermeiden, wer klar sprechen will. Unprofessionell ist auch das<br />

Heranziehen etymologischer Gedanken für die Explikation von <strong>Wörter</strong>n o<strong>der</strong> Definition<br />

von Termini. So wenig, wie es beim Terminus Akkusativ um Anklagen geht, so wenig<br />

hat das Jägerschnitzel mit Jägern zu tun und Radikale mit einem „an die Wurzel“-<br />

Gehen. <strong>Das</strong> Atom ist nicht unteilbar, Nemcy sind nicht stumm und <strong>der</strong> Instrumental hat<br />

nur entfernt etwas mit Instrumenten zu tun.<br />

Man sprach im Strukturalismus bei Elementen <strong>der</strong> begrifflichen Metasprache in Analogie zu den<br />

phonetischen Merkmalen von semantischen Merkmalen (semantí�eskij príznak). So wäre ‘bewirken’ ein<br />

semantisches Merkmal, ebenso Begriffe wie ‘Mensch’, ‘Tier’, ‘Lebewesen’, u.s.w., auch ‘Fehlen’,<br />

‘Zugehörigkeit’, ‘Vergleich’ usw. <strong>Die</strong>se Merkmale wurden meist abgekürzt, mit Vorzeichen und in<br />

geraden Klammern geschrieben, z.B. [+HUM] für ‘Person / menschlich’, [-CAUS] für ‘nicht kausativ’ in<br />

katat’sja ‘rollen’.<br />

2.4 Lexikalisches Konzept<br />

<strong>Das</strong>, was aus dem Netzwerk <strong>der</strong> Lexik aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>einer</strong> einzelnen lexikalischen<br />

Einheit in den Blick kommt, bezeichnen wir hier als lexikalisches Konzept (s.u.). Ein<br />

lexikalisches Konzept ist die Menge aller konzeptuellen Einheiten, die mit <strong>einer</strong><br />

lexikalischen Bedeutung in Beziehung stehen. Es sind letztlich assoziative Relationen<br />

paradigmatischer und syntagmatischer Art. <strong>Die</strong> Bezugsgröße, quasi den Standort <strong>der</strong><br />

Beschreibung, dieses Netzausschnitts bildet ein Lexem, also die äußere Form <strong>einer</strong><br />

lexikalischen Vokabel mit <strong>einer</strong> bestimmten lexikalischen Bedeutung, z.B. golova 2.<br />

‚Kopf (Salat)’. <strong>Das</strong> Zentrum des lexikalischen Konzeptes bildet die denotative<br />

2 Der Ausdruck Extension wird auch auf Aussagen, und dann auf <strong>der</strong>en Wahrheitswert bezogen, hat also<br />

in diesem Kontext eine an<strong>der</strong>e Funktion.<br />

3 Früher waren damit allgemeine Begriffe wie Raum, Zeit, Kausalität gemeint.


6 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

Bedeutung, <strong>der</strong> Begriff. Mit ihm sind die an<strong>der</strong>en Bedeutungen <strong>der</strong> Vokabel, an<strong>der</strong>e<br />

<strong>Wörter</strong> sowie konzeptuelle Einheiten verbunden, z.B. mental gespeicherte Gefühle,<br />

Bil<strong>der</strong>, Bewegungsabläufe und weiteres nichtsprachliches Wissen. <strong>Das</strong> Lexem L und<br />

das mit ihm paradigmatisch und syntagmatisch verbundene formale und funktionale<br />

sprachliche und nichtsprachliche Wissen bilden das lexikalische Konzept von L. <strong>Die</strong><br />

Beziehungen zu an<strong>der</strong>en Lexemen sind formal und funktional, bestehen in<br />

paradigmatischen und syntagmatischen Relationen.<br />

<strong>Das</strong> lexikalische Konzept bietet u.a. die Möglichkeit, das vielfältige lexikologische<br />

Begriffsangebot in einem integralen Zusammenhang, als <strong>der</strong> umfassendste<br />

lexikologische Begriff aus <strong>der</strong> Perspektive eines einzelnen Lexems, vorzustellen. Eine<br />

schematische Orientierung:<br />

Motivationen:<br />

Polysemie<br />

Wortfamilie<br />

Lexikalische<br />

Para- und Syntagmatik:<br />

interlexikalische Beziehungen<br />

lexikalische Kategorien<br />

Selektionsrestriktionen u.a.<br />

Lexikalischer Begriff<br />

mit seinen notwendigen und zureichenden<br />

Komponenten<br />

Welt- und Handlungswissen:<br />

Skripts und Frames<br />

Enzyklopädisches Wissen<br />

Schema: Komponenten eines idealen lexikalischen Konzepts<br />

Konnotationen<br />

im engeren Sinne:<br />

Stilfärbung<br />

Emotional-expressive Färbung<br />

Der Begriff ist das Zentrum eines lexikalischen Konzepts. Er ist das aus <strong>der</strong><br />

Bedeutung, d.h. aus dem funktionalen Potenzial eines Lexems (nicht <strong>einer</strong> ganzen<br />

Vokabel), was notwendig und zureichend ist, damit das gemeinte Weltphänomen<br />

identifiziert werden kann (s.u.).<br />

Polysemie, interlexikalische Paradigmatik (Synonymie, Homonymie usw.) und<br />

Konnotationen (s.u.) bilden traditionell die zentralen Themen <strong>der</strong> Lexikologie.<br />

Polysemie und Wortfamilie – letztere wird im Rahmen <strong>der</strong> lexikalischen Wortbildung<br />

behandelt, s. Kap. X – erfassen die Ableitungsbeziehungen von Bedeutungen und<br />

Formen und haben insofern vieles gemeinsam. Frames und Skripts gehören zum<br />

Bereich <strong>der</strong> Psycholinguistik (s. Kap. x).<br />

Enzyklopädisches, d.h. allgemein verbreitetes Wissen über individuelle und<br />

kategoriale Phänomene und Sachverhaltslogik wurden in <strong>der</strong> Linguistik, zumal <strong>der</strong><br />

Lexikographie, lange Zeit theoretisch ignoriert, praktisch meistens einbezogen. Aber<br />

mit <strong>der</strong> Verfolgung des Ziels, das Verstehen von Äußerungen zu modellieren wurde<br />

deutlich, dass in <strong>der</strong> Erfassung eine unumgängliche, auch für die Linguistik relevante


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 7<br />

theoretische Aufgabe besteht. <strong>Die</strong>ser Herausfor<strong>der</strong>ung haben sich vor allem<br />

kognitionswissenschaftliche Ansätze gestellt.<br />

<strong>Die</strong> meisten dieser Relationen können mithilfe von Assoziationstests ermittelt<br />

werden. <strong>Die</strong>s ist die psycholinguistisch-empirische Parallele zur lexikologischen<br />

Beschreibung, die die sprachlichen Formen, Introspektion und logische Schlüsse,<br />

Grammatik, Korpusarbeit und nicht zuletzt die lexikographischen Vorarbeiten einsetzt,<br />

um die lexikalischen Eigenschaften von Inhaltswörtern zu beschreiben. In<br />

Assoziationstests kommen immer auch individuelle Erfahrungen zum Ausdruck. Sie<br />

gehören ebenfalls zu einem psychologischen Konzept, bleiben aber in linguistischen<br />

Beschreibungen (und auch hier) unbeachtet. Denn es geht um sprachlich relevante und<br />

folglich mit einiger Häufigkeit auftretende Assoziationen. Sie sind auch im Schema<br />

nicht aufgeführt, das nur ideale (= idealisierte) Sachverhalte abbilden soll.<br />

2.5 Denotation und Konnotation<br />

Linguistische Beschreibungen erfassen je nach Zielsetzung Wissen, das Sprecher und<br />

Hörer mit <strong>der</strong> Verwendung eines Wortes aktivieren können. Es ist, wie eben erwähnt,<br />

nicht das gesamte Wissen, an<strong>der</strong>erseits beschränken sie sich keineswegs auf das, was in<br />

<strong>der</strong> <strong>Wörter</strong>buchexplikation erscheint. Zunächst konzentriert sich die lexikographische<br />

Beschreibung auf den Begriff, d.h. auf die Bestandteile <strong>der</strong> Bedeutung, die notwendig<br />

und zureichend sind, um die Bezeichnungsmöglichkeiten des beschriebenen Wortes zu<br />

erfassen, was traditionell die D e n o t a t i o n (denotative Bedeutung) genannt wird.<br />

<strong>Die</strong> Wissensmengen, die wir sonst noch in <strong>Verb</strong>indung mit einem Wort gespeichert<br />

haben, können – in einem weiten Verständnis des Wortes – als K o n n o t a t i o n e n<br />

angesehen werden. Im engen (und hier verwendeten) Sinne gelten nur die Stilfärbungen<br />

als Konnotationen. <strong>Die</strong> Beschreibung konnotativer Komponenten setzt immer die <strong>der</strong><br />

denotativen voraus.<br />

Unter Zuordnung <strong>der</strong> Begriffe zu traditionellen systemlinguistischen und<br />

psycholinguistischen Sprechweisen könnte man folgende terminologische Parallelen<br />

formulieren (mit: Denotation = Begriff, Konnotation im weiten Sinne):<br />

Denotation + Konnotation = Bedeutung<br />

Begriff + Assoziationen = lexikalisches Konzept<br />

<strong>Die</strong> erste Variante entspricht <strong>der</strong> traditionellen sprachwissenschaftlichen<br />

Sprechweise, die zweite ist psycholinguistisch orientiert. Im Schema des idealen<br />

lexikalischen Konzepts in 2.4 sind diese Ebenen vermengt, weil jeweils die<br />

gebräuchlichsten Ausdrücke für die funktionalen Komponenten verwendet werden.<br />

2.6 Lexikographie<br />

<strong>Die</strong> anwendungsorientierte Schwester <strong>der</strong> Lexikologie ist die Lexikographie. Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Lexikographie ist die Bereitstellung von systematischen Beschreibungen des<br />

Wortschatzes bestimmter Sprachvarietäten o<strong>der</strong> von Teilen daraus in <strong>einer</strong> auf<br />

bestimmte Nutzerkategorien abgestimmten Form. In dieser Hinsicht sind insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Makrostruktur (Struktur des <strong>Wörter</strong>buchs als Ganzes) und die Mikrostruktur<br />

(Struktur eines <strong>Wörter</strong>buchartikels) grundlegende Strukturierungsprinzipien (in


8 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

Apresjan 1986: 67f findet sich eine Auflistung aller Informationen, die ein<br />

<strong>Wörter</strong>buchartikel enthalten sollte).<br />

Während die Lexikologie sich meist auf die Beschreibung des aus Inhaltswörtern<br />

bestehenden Teils des Wortschatzes beschränkt, ist <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Lexikographie<br />

<strong>der</strong> gesamte Wortschatz. Insofern kann die Lexikologie als Disziplin angesehen werden,<br />

die einen Teilbereich aus dem Arbeitsbereich <strong>der</strong> Lexikographie bearbeitet, wobei sie<br />

die anwendungsbezogene Aufgabenstellung zugunsten <strong>einer</strong> allgemeinen Beschreibung<br />

all <strong>der</strong> Eigenschaften von Inhaltswörtern, die nicht grammatisch sind, aufgibt.<br />

<strong>Wörter</strong> werden lexikographisch in <strong>der</strong> Form von <strong>Wörter</strong>büchern, auch digitalen,<br />

erfasst. <strong>Die</strong> Typen von <strong>Wörter</strong>büchern spiegeln die Möglichkeiten lexikologischer<br />

Untersuchungen des Wortschatzes wie<strong>der</strong>. So gibt es z.B. <strong>Wörter</strong>bücher zum<br />

Wortschatz <strong>der</strong> russischen Standardsprache insgesamt, zu <strong>Wörter</strong>n einzelner Jargons<br />

wie dem von Studenten o<strong>der</strong> Computerspezialisten, zu Synonyma usw.). Sie sind in <strong>der</strong><br />

Regel alphabetisch nach den Anfangsbuchstaben geordnet, einige, die grammatisch<br />

o<strong>der</strong> für die Wortbildung relevant sind, auch nach den Endbuchstaben (“a tergo”).<br />

Daneben gibt es thematische <strong>Wörter</strong>bücher, die den ganzen Wortschatz o<strong>der</strong> einen Teil<br />

davon nach Gegenstandsbereichen ordnen. <strong>Die</strong> wichtigsten Titel zu verschiedenen<br />

<strong>Wörter</strong>buchtypen sind unten im Abschnitt „<strong>Wörter</strong>bücher“ aufgelistet. Weitere Typen<br />

von <strong>Wörter</strong>büchern sind Dialektwörterbücher, Onomastische <strong>Wörter</strong>bücher<br />

(Personennamen, geographische Namen usw.), Abkürzungswörterbücher,<br />

Terminologische <strong>Wörter</strong>bücher, Orthographische und orthoepische (Aussprachenorm-)<br />

<strong>Wörter</strong>bücher.<br />

Traditionell enthalten <strong>Wörter</strong>bücher auch grammatische Informationen, vor allem zur Flexion und<br />

Rektion. Mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach einem „ i n t e g r a l e n W ö r t e r b u c h “ steht eine<br />

systematische Ausweitung <strong>der</strong> Grammatik im <strong>Wörter</strong>buch und die gegenseitige Bezugnahme von<br />

Grammatik und <strong>Wörter</strong>buch auf dem Programm (s. Apresjan 1986, 1995, erste umfangreiche<br />

Realisierung im TKS). Von einem integralen <strong>Wörter</strong>buch wird gefor<strong>der</strong>t,<br />

• dass es für Durchschnittsverwen<strong>der</strong> geeignet ist;<br />

• dass Grammatik und Lexik bezüglich <strong>der</strong> Typen <strong>der</strong> enthaltenen Information und formalen Sprachen<br />

ihrer Aufzeichnung aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt sind;<br />

• dass es verschiedene Typen von Lexika, z.B. erklärende, Kollokations-, Synonymie-, Phraseologiewörterbücher<br />

in sich vereint.<br />

3. Intralexikalische Paradigmatik: Polysemie und Bedeutungsvarianz<br />

Ein, wenn nicht das zentrale Problem <strong>der</strong> Lexikologie ist die synchrone<br />

Verän<strong>der</strong>lichkeit, die Mehrdeutigkeit <strong>der</strong> Bedeutung. Hat ein lexikalischer Stamm (und<br />

damit ein Inhaltswort) als Typus mehrere lexikalische Funktionen, so sprechen wir von<br />

lexikalischer Alternation. Alternieren lexikalische Bedeutungen, liegt P o l y s e m i e<br />

vor, alternieren verschiedene Funktionen ein und <strong>der</strong>selben lexikalischen Bedeutung,<br />

liegt B e d e u t u n g s v a r i a n z vor. In den Artikeln <strong>der</strong> <strong>Wörter</strong>bücher werden die<br />

Bedeutungen unter einem Stichwort / Lemma meist in nummerierten Absätzen<br />

beschrieben, die Angaben zu Bedeutungsvarianten werden durch kleine Buchstaben<br />

o<strong>der</strong> Symbole, etwa senkrechte Striche, unterschieden.<br />

Für die “lexikalische Bedeutung” eines polysemen Wortes im hiesigen Sinne wird in <strong>der</strong> Russistik<br />

auch leksiko-semanti�eskij variant / lexikalisch-semantische Variante gesagt. Der Ausdruck „Variante“<br />

bedeutet also etwas ganz an<strong>der</strong>es als bei uns “Variante <strong>einer</strong> lexikalischen Bedeutung”. Als Oberbegriff<br />

für “lexikalische Bedeutung” und “lexikalische Bedeutungsvariante” kann <strong>der</strong> Ausdruck “Lesart”


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 9<br />

gebraucht werden, z.B. dann, wenn man sich nicht schlüssig ist, ob eine Bedeutung o<strong>der</strong> eine Variante<br />

vorliegt, was durchaus vorkommen kann. “Lexikalische Alternationen” können damit alternative<br />

Lesarten, alternative Bedeutungen o<strong>der</strong> alternative Bedeutungsvarianten sein.<br />

4. Interlexikalische Paradigmatik<br />

Polysemie und Bedeutungsvarianz betreffen Verhältnisse innerhalb eines Wortes<br />

(intralexikalische Beziehungen), die folgenden Begriffe das Verhältnis zwischen<br />

verschiedenen <strong>Wörter</strong>n, es sind interlexikalische Beziehungen. Im folgenden werden<br />

die wichtigsten interlexikalischen Beziehungen genannt, zunächst solche, bei denen es<br />

um formale Relationen, dann solche, bei denen es um Bedeutungsbeziehungen geht.<br />

Auch Wortbildungsrelationen sind interlexikalisch. Da sie aber formal und funktional<br />

systematischen Charakter haben, werden sie im Rahmen <strong>der</strong> Morphologie behandelt.<br />

4.1 Formale interlexikalische Beziehungen<br />

In den üblichen einsprachigen, so genannten erklärenden <strong>Wörter</strong>büchern, o<strong>der</strong> den<br />

zweisprachigen <strong>Wörter</strong>büchern, welche den Wortschatz o<strong>der</strong> Teile <strong>der</strong> Lexik <strong>einer</strong><br />

Sprache in alphabetischer Reihenfolge aufführen, wird die Beziehung “1 äußere Form :<br />

mehrere Bedeutungen” auf zwei Arten wie<strong>der</strong>gegeben: durch Eintragung mehrerer Bedeutungen<br />

unter einem Stichwort, z.B. rabota - <strong>1.</strong> ‘Tätigkeit’, 2. ‘Ergebnis <strong>der</strong><br />

Tätigkeit’, 3. ... o<strong>der</strong> durch Eintragung jeweils eines Stichwortes für jede Bedeutung,<br />

z.B. <strong>1.</strong> brak ‘Ehe’ und 2. brak ‘Ausschussware’. Im ersten Fall wird ein Wort als<br />

polysem angesehen, im zweiten Fall werden zwei <strong>Wörter</strong> angesetzt und als<br />

Homonyme (omónimy) betrachtet.<br />

Ganz offensichtlich besteht <strong>der</strong> Unterschied darin, dass zwischen den einzelnen<br />

Bedeutungen eines polysemen Wortes ein Zusammenhang gesehen wird, zwischen<br />

denen von Homonymen nicht. Allerdings gehen die Auffassungen <strong>der</strong><br />

<strong>Wörter</strong>buchverfasser, wie beim Ansetzen von Bedeutungen und Bedeutungsvarianten<br />

im Einzelfall, d.h. in <strong>der</strong> Frage, welche <strong>Wörter</strong> jeweils als Homonyme o<strong>der</strong> als polysem<br />

anzusehen sind, auseinan<strong>der</strong>, zum Teil sehr weit. So werden im <strong>Wörter</strong>buch von<br />

O�egov und im Homonymiewörterbuch von Achmanova (1974) dvor ‘Hof’ (‘vor dem<br />

Haus’ usw.) und dvor ‘Hof’ (‘des Zaren’ usw.) als Homonyme aufgeführt. Im russischdeutschen<br />

<strong>Wörter</strong>buch von Bielfeldt gilt dvor als polysem. Entscheidungen zwischen<br />

Homonymie und Polysemie erfor<strong>der</strong>n eindeutige Kriterien für die Feststellung, ob ein<br />

Zusammenhang zwischen zwei Bedeutungen gegeben ist o<strong>der</strong> nicht.<br />

Bezogen auf die Übereinstimmung nur in <strong>der</strong> mündlichen o<strong>der</strong> nur in <strong>der</strong><br />

schriftlichen Form unterscheidet man H o m o p h o n e und H o m o g r a p h e<br />

(omofóny - omográfy): vgl. die Homophone plod - plot, ‘Frucht’ - ‘Floß’, dolgo -<br />

dolga , ‘lange’ - ‘<strong>der</strong> Schuld’ gegenüber den Homographen múka - muká ‘Qual’ -<br />

‘Mehl’.<br />

Paronyme (parónim) werden bedeutungsverschiedene <strong>Wörter</strong>n mit ähnlicher<br />

äußerer Form genannt (�vecija – �vejcarija ‘Schweden – Schweiz’, devu�ka - devo�ka<br />

‘Mädchen (Kind)’ - ‘Mädchen, junge Frau’). Hier wird beson<strong>der</strong>s deutlich, dass sich<br />

Abgrenzungskriterien für die interlexikalischen Beziehungen an bestimmten –<br />

theoretischen o<strong>der</strong> praktischen – Zwecken orientieren sollten, um nicht beliebig zu sein,


10 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

d.h., dass die Termini selbst einen bestimmten Zweck haben müssen. Ein solches<br />

Kriterium wäre bei Paronymen etwa die Gefahr <strong>der</strong> Verwechslung durch bestimmte<br />

Verwen<strong>der</strong>gruppen, etwa Russisch-Lernende.<br />

4.2 Funktionale interlexikalische Beziehungen<br />

Bei Synonymie (sinonimíja) liegt weitgehende Identität <strong>der</strong> Bedeutung vor,<br />

vgl. z.B. vvoz - import, meist ist es nur eine weitgehende Ähnlichkeit (auch “Quasi-<br />

Synonymie”, z.B. trud - rabota). Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen,<br />

dass die Kriterien für die Feststellung von Bedeutungsähnlichkeiten sehr<br />

unterschiedlich ausfallen können, dementsprechend auch <strong>der</strong> Umfang dessen, was in<br />

einem Wortschatz als synonym angesehen wird.<br />

In Opposition zu den Synonymen sind A n t o n y m e (antónim) <strong>Wörter</strong> mit in<br />

irgend<strong>einer</strong> Weise konträrer Bedeutung (vysokij - nizkij, ljubit’ - nenavidet’, du�a - telo,<br />

vgl. dt. hoch - niedrig, lieben - hassen, Körper - Seele). K o n v e r s e Bedeutung<br />

haben Lexeme, wenn sie (bei Wechsel <strong>der</strong> Perspektive) äquivalente Sachverhalte<br />

bezeichnen können, z.B. dat’ ‚geben’ und polu�it’ ‚nehmen’ (X dal Y-u Z – Y polu�il Z<br />

ot X-a); vgl. noch kupit’ ‚kaufen’ – prodat’ ‚verkaufen’, otec ‚Vater’ – syn ‚Sohn’ usw.<br />

Von M e r o n y m i e (meronimija; auch: Partonymie) wird bei <strong>einer</strong> Relation<br />

zwischen <strong>Wörter</strong>n gesprochen, die <strong>einer</strong> Teil-Ganzes-Beziehung entsprechen, vgl.<br />

glaza, rot, usǐ , ... stehen als Bezeichnung <strong>der</strong> Teile in Relation zur Bezeichnung des<br />

Ganzen golova; kuxnja, vannaja, stolovaja, ... – kvartira.<br />

Hyponyme sind Hyperonymen begrifflich untergeordnet, z.B. sind die<br />

Hyponyme dub, lipa, ber�za, �lka ... dem Hyperonym <strong>der</strong>evo untergeordnet. Vgl. noch:<br />

su��estvitel´noe, prilagatel´noe, nare�ie, glagol ... sind Hyponyme zu �ast´ re�i; Rose,<br />

Nelke, Tulpe, Narzisse, ... zu Blume. Taxonomien (s.u. ...) sind Hyponymie-Systeme mit<br />

mehreren Ebenen. <strong>Die</strong> Bedeutung von Hyponymen wird durch die Bedeutung des<br />

Hyperonyms, des Wortes für den Oberbegriff, zusammengefasst, Hyponyme<br />

implizieren die Bedeutung des Hyperonyms, die Bedeutung von Rose impliziert die von<br />

Blume. Der U m f a n g (die Extension) <strong>der</strong> Bedeutung eines Hyponyms, d.h. die<br />

Erscheinungen, die von dem Hyponym bezeichnet werden können, ist ein Teil des<br />

Umfangs <strong>der</strong> Bedeutung des zugehörigen Hyperonyms. <strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> Eichen ist ein<br />

Teil <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> Bäume.<br />

Intralexikalische<br />

Relationen<br />

Interlexikalische Relationen<br />

Bedeutung(en) funktionale Relationen formale Relationen<br />

Monosemie<br />

Synonymie<br />

Homonymie<br />

Polysemie<br />

(durch Modifikation,<br />

Metonymie, Metapher<br />

u.a. motiviert)<br />

Bedeutungsvarianz<br />

Partonymie<br />

Antonymie<br />

Hyponymie<br />

Konverse<br />

Paronymie<br />

Intra- und interlexikalische Paradigmatik


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 11<br />

5. Phraseologie<br />

<strong>Die</strong> Phraseologie (frazeológiä) wird im Russischen oft in Büchern über Lexikologie<br />

behandelt, gehört aber eigentlich zur Syntax, denn P h r a s e o l o g i s m e n<br />

(frazeologízm / frazeologíçeskaä ediníca / frazeologíçeskij oborót;<br />

idióm / idiomatízm) sind mehr o<strong>der</strong> weniger stark “eingefrorene”<br />

Wortkombinationen. Sie können als Produkte <strong>der</strong> Anwendung syntaktischer Regeln<br />

rekonstruiert werden, werden aber nicht mehr durch die freie Kombination von <strong>Wörter</strong>n<br />

entsprechend den synchronen Regularitäten <strong>der</strong> Sprache neu gebildet, son<strong>der</strong>n usuell<br />

mit bestimmten Bedeutungen und bestimmten äußeren Formen reproduziert.<br />

Strukturelle Typen von Phraseologismen sind:<br />

• Substantivfügungen (NP):<br />

wissenschaftliche Termini: slo�noe predlo�enie; fleksiä osnovy<br />

administrative Termini: �eleznaä doroga, attestat zrelosti, socialistiçeskoe<br />

sorevnovanie;<br />

Klischees: bor´ba za mir, türma narodov<br />

an<strong>der</strong>e: kruglyj durak, toçka zreniä<br />

• <strong>Verb</strong>fügungen:<br />

F u n k t i o n s v e r b g e f ü g e (= delexikalisiertes / semantisch entleertes <strong>Verb</strong> +<br />

<strong>Verb</strong>alabstraktum / Nominalisierung): xranit´ molçanie, sdelat´ predlo�enie,<br />

brosit´ vzgläd, nanesti udar, o<strong>der</strong>�at´ pobedu;<br />

an<strong>der</strong>e <strong>Verb</strong>fügungen: bit´ baklu‚i, kupat´sä v zolote<br />

• Sätze:<br />

Sprichwörter: Volkov boät´sä - v les ne xodit´; Ne vse to zoloto, çto blestit.<br />

Geflügelte Worte: Lübvi vse vozrasty pokorny;<br />

an<strong>der</strong>e Sätze: (deneg u menä) kot naplakal ‘(ich habe) sehr wenig (Geld)’<br />

Für die Klassifizierung von Phraseologismen nach funktionalen Gesichtspunkten<br />

werden in <strong>der</strong> Literatur viele Merkmale herangezogen (vgl. Eismann 1999; Kap. 2.2.,<br />

und 3). Es scheint aber sinnvoll, nach den auch für an<strong>der</strong>e lexikalische Zusammenhänge<br />

verbreiteten Begriffen zu arbeiten, nämlich nach dem Prinzip <strong>der</strong> Kompositionalität /<br />

Motiviertheit. <strong>Die</strong>se können wir mit in <strong>der</strong> Phraseologie geläufigen Kriterien 4<br />

verbinden. (<strong>Die</strong> älteren, mehr o<strong>der</strong> weniger auf Vinogradov zurückgehenden<br />

Klassifikationen, vgl. z.B. �anskij 1964: 193-204, von dem die meisten unserer<br />

Beispiele übernommen wurden, eignen sich aufgrund <strong>der</strong> unscharfen Definitionen nicht<br />

gut.)<br />

Phraseologismen sind dann zu definieren als Wortfügungen o<strong>der</strong> Sätze, die nicht<br />

anhand des syntaktisch-semantischen Kompositionalitätsprinzips rekonstruiert werden<br />

können, so dass für die funktionale Rekonstruktion nur die Analyse von<br />

Motiviertheitsbeziehungen in Frage kommt. Der Grund für diese Situation kann sein:<br />

(a) dass ein W o r t nur in <strong>einer</strong> bestimmten <strong>Verb</strong>indung mit an<strong>der</strong>en <strong>Wörter</strong>n<br />

vorkommt (unikales Wort), z.B. zakadyçnyj (drug) ‘Busenfreund‘, skalit´ (zuby)<br />

4 <strong>Die</strong> im Folgenden genannten Kriterien (a) –(c) beruhen auf <strong>einer</strong> mündlichen Mitteilung von Klaus<br />

Hartenstein, Hamburg.


12 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

‚die Zähne fletschen’, o<strong>der</strong>�at´ pobedu ‘Sieg erringen’, potupit´ golovu ‘(beschämt)<br />

den Kopf senken’.<br />

Während hier jeweils das Substantiv in s<strong>einer</strong> freien (nicht phraseologisch<br />

gebundenen) Bedeutung auftritt und also teilweise motiviert ist (�anskij:<br />

frazeologíçeskoe soçetánie / Phraseologische Fügung), wäre als Spezialfall (a’)<br />

anzusetzen, dass ein Phraseologismus überhaupt nicht synchron motiviert ist, wie bit´<br />

baklu‚i, ‘faulenzen’, auch wenn darin bekannte <strong>Wörter</strong> wie hier bit’ vorkommen, dies<br />

jedoch in <strong>einer</strong> unbekannten (nicht freien) Bedeutung; vgl. auch neroven ças (on<br />

zametit qto) ‘plötzlich’; sem´ pätnic na nedele (u nego) ‘er wirft ständig seine<br />

Entscheidungen um‘ (�anskij:: frazeologíçeskoe srawénie / phraseologische<br />

Verflechtungen);<br />

(b) dass eine B e d e u t u n g eines Wortes nur in <strong>einer</strong> bestimmten <strong>Verb</strong>indung<br />

mit an<strong>der</strong>en <strong>Wörter</strong>n (in Ausweitung <strong>der</strong> Definition: o<strong>der</strong> nur in <strong>einer</strong> bestimmten<br />

<strong>Verb</strong>indung mit an<strong>der</strong>en Begriffen) vorkommt, z.B. tresku�ij moroz ‚klirren<strong>der</strong> Frost’, v<br />

mgnovenie oka ‘Lidschlag‘, krylo doma ‚Flügel des Hauses’ („gebundene /<br />

idiomatische Bedeutung“ im Gegensatz zur „freien Bedeutung“);<br />

(c) dass für etwas Gemeintes eine bestimmte Ausdrucksform (als Standardform)<br />

bereitsteht (onomasiologisch gebundene / parametrische Ausdrucksform). Hierzu gibt<br />

es ein Kontinuum von vollständig transparenten bis kaum transparenten<br />

Phraseologismen:<br />

socialistiçeskoe sorevnovanie ‚sozialistischer Wettbewerb’;<br />

trudovye uspexi ‘Arbeitserfolge’;<br />

vys‚ee uçebnoe zavedenie ‚Hochschule’;<br />

Lübvi vse vozrasty pokorny ‚Der Liebe ist jedes Alter zu <strong>Die</strong>nsten’<br />

zakinut´ udoçku ‚die Angel auswerfen’ (wörtlich und übertragen), ‚seine Fühler<br />

ausstrecken’,<br />

Ne vse to zoloto, çto blestit ‚Es ist nicht alles Gold was glänzt’<br />

pervyj blin komom (kom ’Klumpen’) ‚Der erste Versuch geht gern mal daneben’<br />

namylit´ golovu ‘den Kopf waschen, gehörig kritisieren’<br />

brat´ sebä v ruki ‚sich zusammennehmen, -reißen’<br />

iz pal´ca vysosat´ ‚sich aus den Fingern saugen, sich ausdenken’<br />

Der zweite Beispielblock enthält Übertragungen, <strong>der</strong> erste nicht, das mittlere<br />

Beispiel kann wörtlich und übertragen verwendet werden. <strong>Die</strong> Bedeutung des<br />

Phraseologismus ist in allen Beispielfällen vollständig motivierbar. Der phraseologische<br />

Charakter besteht hier darin, dass nur diese und keine an<strong>der</strong>e Ausdrucksweise für den<br />

Fügungs- o<strong>der</strong> Satzbegriff verwendet wird. <strong>Die</strong> Beispiele des <strong>1.</strong> Blocks sind<br />

kompositional, jedoch nur im Hinblick auf die Analyse, d.h. es besteht nur eine<br />

semasiologische Kompositionalität. Im Hinblick auf die Produktion, onomasiologisch<br />

gesehen, besteht die Nichtkompositionalität darin, dass genau die Formulierung des<br />

Phraseologismus für den Fügungs- bzw. Satzbegriff zu wählen ist.


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 13<br />

<strong>Die</strong> Klassifizierung ist nicht immer eindeutig. Im folgenden Beispiel könnte sie<br />

Schwierigkeiten machen, es befindet sich im Übergang von Typ (c) zum nicht<br />

motivierbaren Typ (a’):<br />

polo�it´ zuby na polku ‘hungern, elend sein, (wörtlich) die Zähne aufs Regal<br />

legen‘<br />

In <strong>der</strong> westlichen Fremdsprachenvermittlung wird im Zusammenhang mit den<br />

Beschränkungen, die für die lexikalischen <strong>Verb</strong>indungsmöglichkeiten zwischen<br />

<strong>Wörter</strong>n <strong>einer</strong> Fügung gelten, <strong>der</strong> Ausdruck Kollokation verwendet. Kollokationen umfassen<br />

neben phraseologischen Fügungen vom Typ (c) vor allem Beschränkungen <strong>der</strong><br />

<strong>Verb</strong>indbarkeit von <strong>Wörter</strong>n mit an<strong>der</strong>en <strong>Wörter</strong>n. Im Russischen sind zum Beispiel<br />

folgende Kollokationen vorgegeben:<br />

inozemnye obyçai/nravy ‘Gebräuche/Sitten an<strong>der</strong>er Völker’<br />

zagraniçnye tovary ‘ausländische Waren’<br />

inostrannye äzyki ‘Fremdsprachen’<br />

Zagraniçnyj pasport ist ein Pass für das Ausland, inostrannyj pasport ein ausländischer<br />

Pass. Weitere Beispiele im Anhang unter A<strong>1.</strong><strong>1.</strong>2.Z<br />

6. Lexikalische Fel<strong>der</strong><br />

Im Strukturalismus, z.B. von de Saussure, wurde behauptet, dass sprachliche Zeichen<br />

nicht absolut, son<strong>der</strong>n durch ihren “Wert” bestimmt sind, d.h. dadurch, dass sie als<br />

Elemente eines Systems eine bestimmte Position in Relation zu den an<strong>der</strong>en Elementen<br />

dieses Systems haben. Ein Beispiel für ein solches System bzw. für einen Systemausschnitt<br />

aus dem Wortschatz sind die Notenskalen für Schülerleistungen. So sagt,<br />

absolut genommen, çetvörka noch nichts über den Leistungsstand aus, ebenso wenig<br />

wie unsere Note “Vier”. Erst wenn man den “Bedeutungswert” kennt, d.h. das<br />

Gesamtsystem und die relative Stellung von “Vier” zu den an<strong>der</strong>en Noten <strong>der</strong> Skala,<br />

bekommt man ein Bild von dem dadurch bezeichneten Leistungsstand. In Russland<br />

enthält die Notenskala fünf Einheiten, in <strong>der</strong> Zählung ausgehend von “Fünf” (otli�no)<br />

zur “Eins” (o�en’ plocho). Je nach Skalaeinteilung des Notensystems, ob es sechs<br />

Einheiten enthält, wie bei uns, o<strong>der</strong> zwanzig, wie in Frankreich, hat ein Ausdruck für<br />

eine Note also verschiedene Bedeutung. <strong>Das</strong> gilt analog auch für die Bezeichnung <strong>der</strong><br />

Leistung durch Adverbien wie choro�o, befriedigend usw.<br />

Ähnlich, wenn auch insgesamt komplizierter, verhält es sich mit den Bezeichnungen<br />

von Farben. Bekanntlich ist das Spektrum des Sonnenlichts ein Kontinuum, so dass es<br />

keine physikalischen Kriterien für das gibt, was man noch als blau o<strong>der</strong> schon als grün<br />

bezeichnen soll. Allerdings gibt es physiologische Ursachen dafür, dass fast alle<br />

Sprachen sehr wohl einen Unterschied z.B. zwischen Blau und Grün machen. <strong>Das</strong><br />

Russische freilich hat da, wo wir nur von blau und grün sprechen, die drei<br />

Bezeichnungen sinij – goluboj – zelenyj. Beiden Wortparadigmen liegt ein und<br />

desselben physikalische Farbenspektrum zu Grunde. Es geht bei sinij – goluboj nicht<br />

um einen Unterschied zwischen einem ‘Dunkelblau’ und ‘Hellblau’, also um den


14 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

jeweiligen Anteil von ‘Weiß’, son<strong>der</strong>n um eine unterschiedliche Einteilungen eines<br />

Kontinuums im Russischen und Deutschen.<br />

Systeme von paradigmatischen Bedeutungen, die sich in begrifflicher Nachbarschaft<br />

in einem Bezeichnungssystem befinden, werden lexikalische F e l d e r (póle) genannt.<br />

<strong>Die</strong> Betrachtung von Fel<strong>der</strong>n ist vor allem für die Beschreibung von Lexemen für<br />

ideelle, sensumotorisch nicht wahrnehmbare, Erscheinungen nützlich. Für die<br />

Unterschiede in <strong>der</strong> Intensität und an<strong>der</strong>e Abstufungen seelischer Schmerzen scheint es<br />

noch weniger objektive Anhaltspunkte zu geben als für Farben. Zur Bestimmung <strong>der</strong><br />

Bedeutung von toska sollte daher das Feld <strong>der</strong> <strong>Wörter</strong> für ‘seelischen Schmerz’ herangezogen<br />

werden und toska vor allem von den <strong>Wörter</strong>n grust’, pe�al’, gore, skorb’,<br />

kru�ina abgegrenzt werden. Dabei sind <strong>einer</strong>seits die Überlappungen <strong>der</strong> Bedeutungen<br />

dieser <strong>Wörter</strong> in Rechnung zu stellen, an<strong>der</strong>erseits die Tatsache, dass jedes dieser<br />

<strong>Wörter</strong> auf <strong>der</strong> Systemebene einen “Ausschnitt” (und nicht einen Punkt) aus <strong>der</strong> Skala<br />

<strong>der</strong> Gefühle des seelischen Schmerzes darstellt. Im Text kann die jeweilige Art des<br />

Schmerzes genauer eingegrenzt sein. Es ist jeweils ein bestimmter Bereich, und er führt<br />

dazu, dass z.B. �echov für seine Erzählung über den Kutscher, dessen Sohn gestorben<br />

ist, als Überschrift “Toska” wählt und damit beim Leser eine ganz bestimmte<br />

Vorstellung erreicht. <strong>Die</strong>se Vorstellung wäre nicht erreichbar durch grust’ o<strong>der</strong> pe�al’,<br />

die ein weniger starkes, eher vorübergehendes Gefühl ausdrücken, bei pe�al’ mit leicht<br />

poetischer Schattierung, auch nicht mit gore o<strong>der</strong> skorb’, die stärker den Anlass<br />

seelischen Schmerzes, ein Unglück, einen Verlust, in den Vor<strong>der</strong>grund stellen, skorb’<br />

wie<strong>der</strong>um in an<strong>der</strong>er, angehobener Stilhöhe. Noch deutlicher weicht das in <strong>der</strong><br />

Volksdichtung gebräuchliche kru�ina stilistisch von <strong>der</strong> neutralen Stilhöhe ab, auf <strong>der</strong><br />

toska angesiedelt ist. Auch diese noch recht groben Abgrenzungen im Feld ‘seelischer<br />

Schmerz’ machen deutlich, dass es bei <strong>Wörter</strong>n dieser Art weniger um eine absolute<br />

Umschreibung <strong>der</strong> Bedeutung gehen kann, als um die Feststellung des<br />

Bedeutungswertes, d.h. <strong>der</strong> semantischen und stilistischen Unterschiede zu den<br />

Nachbarn in diesem Feld.<br />

Wenn wir die Bestimmung eines Bedeutungswertes durch den Bezug auf Nachbarn<br />

im lexikalischen Feld “relativ” nennen, dann können wir von “absoluter” Bestimmung<br />

sprechen, wenn die Explikation ohne den ausdrücklichen Verweis auf die Feldnachbarn<br />

auskommt, wenn also die Explikation nur aus Elementen <strong>einer</strong> Metasprache besteht,<br />

z.B. die Explikation von u�it’ durch ‘peredavat´ komu-libo kakie-nibud´ znaniä,<br />

navyki / an jemanden irgendwelche Kenntnisse, Fertigkeiten weitergeben’, die das<br />

BAS (außer <strong>der</strong> Umschreibung mit dem Synonym obu�at’ kogo-libo) gibt. Ob eine<br />

bestimmte Bedeutungsbestimmung besser relativ o<strong>der</strong> absolut sein sollte, hängt sehr<br />

davon ab, was mit dem Wort bezeichnet wird. Oft wird es sinnvoll sein, beide<br />

Bestimmungsweisen gleichzeitig anzuwenden, oft wird keine <strong>der</strong> beiden etwas bringen<br />

(z.B. für elementare Sinneserfahrungen, auditive wie Klirren, Klingeln, Klingen,<br />

Klötern, Tönen, Läuten; hier wird man vor allem die Subjekte, die das Geräusch<br />

erzeugen, zur Bestimmung heranziehen). <strong>Die</strong> Vorstellung, eine Bedeutung sei<br />

ausschließlich o<strong>der</strong> auch nur primär relativ zu bestimmen, also durch ihr Verhältnis zu<br />

den paradigmatischen Feld-Nachbarn, ist eine <strong>der</strong> Übertreibungen von Strukturalisten.<br />

Deutlich zeigt sich dies z.B. an Verwandtschaftsbezeichnungen /-terminologie, vgl.<br />

otec, mat´, syn, doç´, ded, babu‚ka, zät´, ... , die eine beson<strong>der</strong>s klare Struktur zu<br />

bilden scheinen (und die zugleich die verschiedene Strukturierung ein und <strong>der</strong>selben


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 15<br />

semantischen „Substanz“ in verschiedenen Sprachen demonstrieren sollten). <strong>Die</strong><br />

Verwandtschaftsbezeichnungen <strong>einer</strong> Sprache bilden in <strong>der</strong> Regel eine logische<br />

Struktur mit dem „Ego“ als gemeinsamem Referenzpunkt, <strong>der</strong>en Einheiten sich durch<br />

Oppositionen von wenigen s e m a n t i s c h e n M e r k m a l e n wie ‘männlich’,<br />

‘weiblich’, ’Abkomme von ...’ beschreiben lassen. <strong>Die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Sprache erfasst<br />

im Gefolge <strong>der</strong> sozioökonomischen Verän<strong>der</strong>ungen auch die Verwandtschaftsterminologie,<br />

so dass von <strong>der</strong> klaren Eleganz dieses Felds nicht mehr viel übrig bleibt.<br />

Viele Termini sind heute vielen Russen unbekannt o<strong>der</strong> undeutlich präsent (vgl. die<br />

Befragung von Rathmayr 1980: 140ff):<br />

svökor , svekrov´ ‘Vater / Mutter des Ehemanns’; test´, töwa ‘Vater / Mutter<br />

<strong>der</strong> Ehefrau’ von fast allen richtig umschrieben;<br />

dever´ ‘Bru<strong>der</strong> des Ehemanns’ und ‚urin ‚Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ehefrau’ von weniger als<br />

50% richtig umschrieben;<br />

zät´ von fast allen, aber nur in <strong>der</strong> Bedeutung ‘Mann <strong>der</strong> Tochter’; Levin (s.<br />

ebd.): für alle Arten von Schwager;<br />

nevestka ‘Frau des Sohnes’ dito, aber von den 1950-60 Geborenen zur Hälfte<br />

auch in <strong>der</strong> Bedeutung ‚Frau des Bru<strong>der</strong>s’ (also eine generationsmäßig bedingte<br />

Überschneidung);<br />

svoäk als ‘Mann <strong>der</strong> Schwester <strong>der</strong> Frau’ unbekannt, wenn angegeben, dann als<br />

‘Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Frau’.<br />

7. Lexikalische Stilistik<br />

<strong>Die</strong> lexikalische Stilistik ist ein traditioneller Bereich <strong>der</strong> Lexikographie im Übergang<br />

zur Soziolinguistik und <strong>der</strong>en Varietätensystem. Synonymwörterbücher, erklärende,<br />

zweisprachige u.a <strong>Wörter</strong>bücher enthalten Informationen über stilistische Eigenschaften<br />

<strong>der</strong> <strong>Wörter</strong>, z.B. zu da ‘und’ razg(ovornoe slovo), orat´ ‘laut sprechen’<br />

prostor(eçnoe slovo), vsledstvie ‘infolge’ kni�n(oe slovo), oralo ‘Pflug’<br />

ustar(eloe slovo). <strong>Die</strong>se so genannten Stilvermerke (stilistí�eskie pométy) beziehen<br />

sich auf Stilfärbungen (stilistí�eskaja okráska / -oe okra�énie). Sie haben verschiedenen<br />

Charakter, meist verfügt ein Wort über mehrere dieser Charakterzüge gleichzeitig:<br />

• die Stilschicht<br />

• die emotional-expressive Färbung<br />

• die Stilhöhe<br />

7.1 Stilschicht<br />

<strong>Die</strong> häufigsten Termini für stilistische Merkmalhaftigkeit verweisen auf die Stilschicht<br />

und beziehen sich auf die Zugehörigkeit <strong>der</strong> sprachlichen Einheiten zu den Varietäten<br />

<strong>der</strong> Ethnosprache Russisch, beson<strong>der</strong>s auf die Angemessenheit im Hinblick auf den<br />

Standard, die literatursprachliche Norm. Ein Wort kann diesbezüglich stilistisch neutral<br />

o<strong>der</strong> stilistisch merkmalhaft sein. Im letzteren Fall stammt es aus einem bestimmten<br />

Funktionsbereich innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb <strong>der</strong> Standardsprache, dessen „Aura“ ihm<br />

anhaftet, z.B. die des Dialektalen (Ländlichen), des Ungebildeten, Professionellen,


16 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

Bürokratischen, Feierlichen. <strong>Die</strong>se Aura hat eine wertende und eine expressive<br />

Komponente. Beispiele für Färbung nach Stilschicht (vs. obwenarodnaä leksika):<br />

• Professionalismen (professionalizmy): skal´pel´, alibi, kombajn, ‚apka<br />

‚Überschrift für mehrere Zeitungsartikel’;<br />

• umgangssprachliche <strong>Wörter</strong>: razgovornaja leksika (çepuxa ‚Unsinn’) o<strong>der</strong><br />

prostore�naja leksika (na-/stuçat´ ‚denunzieren’);<br />

• <strong>Wörter</strong> mit dialektaler Färbung (dialektizm / oblastnoe slovo ‚regionales Wort’,<br />

z.B. bach�á ‚Melonenfeld in <strong>der</strong> Steppe’); erscheint in <strong>der</strong> schönen Literatur um<br />

z.B. für Milieu-Authentizität u.ä. zu sorgen.<br />

Wie im Kap. Soziolinguistik erwähnt, stehen <strong>der</strong> städtische Substandard (das<br />

Prostore�ie) und die Dialekte, sowie Son<strong>der</strong>sprachen bestimmter Berufe o<strong>der</strong> sozialer<br />

Gruppierungen wie Studenten, Geheimsprachen außerhalb <strong>der</strong> literatursprachlichen<br />

Norm. Razgovornaja Re�’ (Standardumgangssprache) dagegen ist die prinzipiell<br />

mündlich realisierte Varietät <strong>der</strong> Standardsprache. Hat ein Wort den Stilvermerk<br />

„razg.(ovornoe slovo)“, steht es nicht außerhalb <strong>der</strong> literatursprachlichen Norm, kann<br />

aber nicht ohne speziellen Effekt in schriftsprachlichen Funktionalstilen verwendet<br />

werden, weil es d o r t die „Aura“ des Umgangssprachlichen besitzt. Noch stärker ist<br />

<strong>der</strong> Effekt, wenn <strong>Wörter</strong> aus einem Substandard in schriftsprachlichen Texten<br />

verwendet werden.<br />

Wenn also Stilvermerke in erklärenden o<strong>der</strong> zweisprachigen <strong>Wörter</strong>büchern wie<br />

prost., argo, obl.(astnoe slovo) auf die Zugehörigkeit zu sozialen o<strong>der</strong> regionalen<br />

Varietäten außerhalb <strong>der</strong> Standardsprache verweisen, bedeutet dies immer, dass die mit<br />

diesem Vermerk versehenen <strong>Wörter</strong> zwar in Texten <strong>der</strong> Standardsprache verwendet<br />

werden, dort aber aufgrund ihrer Stilfärbung einen Son<strong>der</strong>status haben. Es sind usuell<br />

gewordene, und in die Standardsprache integrierte stilistische Anomalien, sie haben<br />

innerhalb <strong>der</strong> normorientierten Rede jedoch ihren „Zitatcharakter“ behalten („Zitat“ aus<br />

<strong>einer</strong> an<strong>der</strong>en Varietät). <strong>Die</strong> Realisierung ist immer an die entsprechende, meist so<br />

genannte expressive Funktion gebunden, z.B. die Verwendung eines bestimmten<br />

prostore�ie-Wortes an die Funktion des Schimpfwortes.<br />

Mit den Stilschichten kommen also die verschiedenen Ebenen des Normsystems <strong>der</strong><br />

Ethnosprache Russisch ins Spiel. „Zitatcharakter“ bzw. expressive Funktion haben<br />

stilistisch gefärbte <strong>Wörter</strong> jedoch nur dann, wenn sie in einem Stilbereich verwendet<br />

werden, dem sie nicht zugehören. In ihrem angestammten Stilmilieu sind sie neutral,<br />

wie z.B. mundartliche <strong>Wörter</strong> in einem mundartlichen Text unbemerkt bleiben. <strong>Das</strong><br />

heißt, dass sich die stilistische Markiertheit erst außerhalb des angestammten<br />

Stilbereichs bzw. außerhalb <strong>der</strong> angestammten Varietät erweist. <strong>Wörter</strong>bücher, die das<br />

Vokabular <strong>einer</strong> bestimmten Varietät erfassen (Medizin, Razgovornaja re�’, Dialekt,<br />

Studentensprache usw.) sind daher kein Gegenstand <strong>der</strong> lexikalischen Stilistik, son<strong>der</strong>n<br />

soziolinguistischer Lexikographie.<br />

Eine zusätzliche Stilschicht neben denen <strong>der</strong> Standardumgangssprache und <strong>der</strong><br />

Substandards, nämlich eine zeitliche, kommt mit Vermerken wie ustar.(elyj) ‚veraltet’<br />

in die Liste <strong>der</strong> Stilschichten. Sie markieren Archaismen. Vermerke wie cerk.(ovno)kni�n.(oe<br />

slovo) ‚kirchen<strong>slavische</strong>s Wort’ verweisen ebenfalls auf eine archaistische<br />

Stilschicht. Es handelt sich dann um <strong>Wörter</strong>, die nicht, wie die meisten <strong>Wörter</strong>


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 17<br />

kirchen<strong>slavische</strong>r Herkunft, so in das mo<strong>der</strong>ne Russisch integriert sind, dass die<br />

Sprecher sich dieser Tatsache sehr oft nicht mehr bewusst sind.<br />

7.2 Emotional-expressive Färbung<br />

Stilvermerke wie neodobr.(ítel´noe slovo) o<strong>der</strong> tor�.(éstvennoe slovo)<br />

verweisen auf die emotional-expressive Färbung eines Wortes (qmocional´noqkspressivnoe<br />

okra‚énie). <strong>Die</strong> Verwendung solcher <strong>Wörter</strong> ist freilich meist an<br />

Stilschichten gebunden. Im Unterschied zu den stilistisch gefärbten <strong>Wörter</strong>n, die<br />

aufgrund ihrer Verlagerung aus dem angestammten Stilbereich expressiv werden,<br />

tragen diese i m m e r eine expressive Färbung. Hinsichtlich <strong>der</strong> stilistischen Wertung<br />

ist damit <strong>der</strong> logische Unterschied zu machen, ob Wertung sich auf die Zugehörigkeit<br />

zu <strong>einer</strong> bestimmten Varietät (mit hohem o<strong>der</strong> niedrigem Prestige) bezieht o<strong>der</strong> auf das<br />

bezeichnete Phänomen. Bei den <strong>Wörter</strong>n selbst sind oft beide Komponenten<br />

kombiniert: kljá�a ‚Mähre’ ist zum einen ein Wort <strong>der</strong> Standardumgangssprache, <strong>einer</strong><br />

Varietät, zum an<strong>der</strong>en wird damit jedenfalls kein edles Rennpferd benannt, es sein<br />

denn, das Wort wird als Schimpfwort benutzt.<br />

Beispiele für expressive Stilfärbung sind buchsprachliche <strong>Wörter</strong> / kni�naä<br />

leksika: bessmertie, vostor�estvovat´ (= pobedit´), gräduwij (= buduwij)<br />

o<strong>der</strong> poqtiçeskaä leksika (lanity, persy, usta, �rebij, prelestnyj,<br />

predavat´sä).<br />

7.3 Stilhöhe<br />

Emotional-expressiv gefärbte <strong>Wörter</strong> sind meist auch merkmalhaft im Hinblick auf eine<br />

an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Stilfärbung, die <strong>der</strong> S t i l h ö h e , <strong>einer</strong> ebenfalls bewertenden, aus <strong>der</strong><br />

Vergangenheit <strong>der</strong> Sprachstilistik stammenden Begriffsskala. Sie umfasst meist die<br />

Termini<br />

vysókij ‚hoher’ / sre´dnij ‚mittlerer’ / nízkij, sní�ennyj ‚niedriger’ Stil.<br />

<strong>Die</strong> Skala <strong>der</strong> Stilhöhen geht auf das historische System <strong>der</strong> Stile zurück, das im 18. Jh. u.a. von<br />

Lomonosov aus dem Westen importiert und im Hinblick auf die damalige schöne Literatur des<br />

Russischen ausformuliert worden war. Es ist im Laufe <strong>der</strong> Zeit auf die russische Literatursprache<br />

insgesamt bezogen und den jeweiligen kulturellen Vorstellungen angepasst worden. <strong>Die</strong> Termini<br />

implizieren aber bis heute mehr o<strong>der</strong> weniger ausgeprägt eine Bewertung im Sinne von ‚höher = besser’.<br />

U.a. wegen dieser mit <strong>der</strong> hoch-niedrig-Orientierung verbundenen sozialen Wertung sind diese<br />

Begriffe von weniger belasteten, funktional orientierten Begriffen abgelöst worden. Mit <strong>der</strong> die<br />

Stilhöhen ersetzenden Stilschichtung wird die stilistische Funktion unter dem Gesichtspunkt<br />

<strong>der</strong> Zugehörigkeit eines Wortes zu <strong>einer</strong> Varietät betrachtet.<br />

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