Gaffer am Einsatzort
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POM Martin Schardt, PKA Tim Kohzer, POM’in Corinna Steinmetz, Altenholz 1<br />
Altenholzer Thesen (6)<br />
<strong>Gaffer</strong> <strong>am</strong> <strong>Einsatzort</strong><br />
Am 22.03.2010 wurde durch eine gemeins<strong>am</strong>e Veranstaltung des Innenministeriums und<br />
des Fachbereichs Polizei der FHVD Schleswig-Holstein im Rahmen einer<br />
Podiumsdiskussion das Thema „<strong>Gaffer</strong> <strong>am</strong> <strong>Einsatzort</strong>“ aufgegriffen. Die Eröffnung der<br />
Veranstaltung erfolgte durch Carsten Kock, Chefkorrespondent bei RSH, der auch die<br />
spätere Podiumsdiskussion moderierte. Nach erfolgter Begrüßung durch den Präsidenten<br />
der FHVD, Herrn Karl Wagner, wurde durch den Innenminister des Landes Schleswig-<br />
Holstein, Herrn Klaus Schlie, eine Einführung in die Thematik gegeben. Es folgte eine<br />
Podiumsdiskussion, bei der von den Teilnehmern die folgenden Thesen vertreten wurden:<br />
Klaus Schlie, Innenminister des Landes Schleswig-Holstein<br />
Eine Veränderung des geltenden Rechts zur Bekämpfung der Problematik des Gaffens ist<br />
nicht hilfreich. Zur Problemlösung ist ein gesellschaftlicher Ansatz erforderlich. Als<br />
Lösungsmöglichkeit sind Präventionsarbeit oder das Schaffen einer Bereitschaft zur<br />
Übernahme von Verantwortung bei den Medien denkbar. Sinnvolle Prävention wäre<br />
umsetzbar durch eine Erhöhung der Kompetenz in erster Hilfe mittels veränderter<br />
Fahrschulausbildung oder Kursen an Schulen, durch veränderte Erziehungsarbeit bei<br />
Kindern und Jugendlichen oder den Aufbau von Hemmschwellen. Den Medien müssten auf<br />
der einen Seite Grenzen gesetzt werden auf der anderen Seite wäre es hilfreich, wenn sie<br />
über die Probleme des Gaffens aufklärten.<br />
Joachim Gutt, Polizeidirektor und Abteilungsleiter im Landespolizei<strong>am</strong>t<br />
Bei großen Veranstaltungen und Vers<strong>am</strong>mlungen entstehen durch Neugierige<br />
Rückzugsräume, Schutzmöglichkeiten und Rückhalteräume für potenzielle Straftäter. Die<br />
polizeiliche Arbeit wird hierdurch erschwert. Eine Sanktionierung stößt auf taktische<br />
Grenzen, da die Kräfte für die eigentliche Lage benötigt werden und nicht zur Verfolgung der<br />
Schaulustigen eingesetzt werden können. Eine denkbare Lösung wäre die Dokumentation<br />
und das Videografieren der <strong>Gaffer</strong>.<br />
Dr. Ralf Kirchhoff, Leitender Branddirektor und Amtsleiter der Berufsfeuerwehr Kiel<br />
Selbst bei alltäglichen Einsätzen der Feuerwehr sind <strong>Gaffer</strong> immer anwesend.<br />
Behinderungen der Einsatzkräfte aber auch Eigengefährdung der Schaulustigen durch ihre<br />
Anwesenheit im Gefahrenbereich oder durch traumatisierende Bilder sind die Folge. Selbst<br />
Absperrmaßnahmen und Abschirmen des Geschehens helfen wenig. Eine Einsicht bei den<br />
<strong>Gaffer</strong>n ist durch Gespräche kaum zu erreichen. Als Lösungsansatz wäre eine öffentliche<br />
Ächtung des Verhaltens von Neugierigen denkbar. Schaulustige sollten in den Medien<br />
gezeigt und ihr Auftreten als moralisch verwerflich dargestellt werden. Zusätzlich sollte die<br />
Thematik öffentlich diskutiert werden.<br />
Hartmut Brenneisen, Leitender Regierungsdirektor und Dekan des Fachbereichs<br />
Polizei der FHVD<br />
<strong>Gaffer</strong>ei stellt sich nicht als Rechtsproblem dar, denn es gibt ausreichend hoheitliche<br />
Eingriffsmöglichkeiten nach dem LVwG, dem Katastrophenschutzgesetz oder dem
Brandschutzgesetz. Bei der Bewertung der zu beobachtenden Verhaltensweisen sind<br />
phänomenologische Unterschiede zwingend zu berücksichtigen. So gibt es (1) ängstliche,<br />
hilflose und unsichere Personen, (2) Schaulustige, Neugierige oder Katastrophentouristen,<br />
(3) Sensationsjournalisten und Handyreporter, (4) strafrechtlich relevante Verweigerer und<br />
(5) passiv oder sogar aktiv Hilfe leistende Sympathisanten. Die Anwesenden an einem<br />
Unglücksort dürfen also niemals in einen Begriff gepresst werden.<br />
Prof. Dr. Monika Frommel, Direktorin des Institutes für Sanktionsrecht und<br />
Kriminologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel<br />
In der heutigen Gesellschaft gibt es <strong>Gaffer</strong>, weil wir nicht mehr geübt sind, zu helfen. Wir sind<br />
es in unserer spezialisierten Welt gewöhnt, dass Fachleute die Aufgaben übernehmen und<br />
besser sind. Hinzukommt, dass in der modernen Handygesellschaft Hemmschwellen<br />
abgebaut wurden. Es ist zur Gewohnheit geworden in allen möglichen Situationen Bilder zu<br />
machen, je schockierender, desto besser passen sie in die Mediengesellschaft. Eine<br />
Verschärfung von strafrechtlichen Normen kann keine Lösung sein – sehr wohl aber eine<br />
konsequentere Durchsetzung von zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen, besonders<br />
gegen die Presse. Darüber hinaus ist es wichtig, Einsicht zu schaffen, dass Bilder verwerflich<br />
sein können und die Folgen für Opfer und Helfer aufzuzeigen. Die Handlungskompetenz in<br />
Erste-Hilfe-Situationen sollte erhöht werden.<br />
Heiner Backer, Psychosoziale Notfallversorgung Schleswig-Holstein<br />
Die Schaulustigen lassen sich nach dem moralischen Wert ihres Handelns in vier Gruppen<br />
einteilen: (1) Diejenigen, die erstarrt und hilflos sind und deswegen selbst Hilfe benötigen,<br />
(2) Neugierige, die durch ihre Anwesenheit Einsatzkräfte behindern, (3) professionelle<br />
<strong>Gaffer</strong>, die Filmaufnahmen machen und so die moralische Grenze deutlich überschreiten<br />
und (4) Katastrophentouristen, die die schwersten Minuten anderer für die eigene<br />
Unterhaltung nutzen. Eine Lösung könnte die Veränderung des bestehenden Wertesystems<br />
hin zur Nächstenhilfe sein. Schon bei Kindern müsste in der Erziehung vermittelt werden, wie<br />
anderen Menschen geholfen werden kann. Ziel muss es sein, zu erreichen, dass die<br />
Menschen, die auf einen schwierigen Einsatz zukommen, umdrehen und sich entfernen,<br />
anstatt sich durchzudrängeln und zu gaffen.<br />
Peter Wüst, Journalist<br />
Problematisch <strong>am</strong> Ort des Geschehens sind selten die professionellen Journalisten. Durch<br />
hohe Preise, die von der Boulevardpresse für interessante Laienbilder gezahlt werden,<br />
werden Menschen aufgefordert, hinzusehen und Bilder zu machen. Als Lösung des<br />
Problems sollte die Polizei die Presseausweise überprüfen und Platzverweise für<br />
Schaulustige und Laien aussprechen. Ein Abschirmen des Geschehens mit Sichtsperren ist<br />
nicht sinnvoll, da es die Neugier der Umstehenden verstärkt und die Phantasie beflügelt.<br />
Hilfreich ist es, wenn professionelle Pressevertreter die <strong>Gaffer</strong> filmen oder fotografieren, da<br />
diese dann ein schlechtes Gewissen bekommen.<br />
1 POM Martin Schardt, PKA Tim Kohzer und POM`in Corinna Steinmetz studieren zurzeit im<br />
Fachbereich Polizei der FHVD Schleswig-Holstein und stehen im 6. Semester unmittelbar vor<br />
ihrem Abschluss „Bachelor of Arts – Polizeivollzugsdienst“.