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Aktivität und Teilhabe – eine empirische Untersuchung zu den<br />
Auswirkungen von neurologischen Krankheiten<br />
Julia Lange B.Sc. & Prof. Dr. Claudia Wendel<br />
in Kooperation mit den Kliniken Beelitz GmbH<br />
Hintergrund<br />
Mit der Einführung des SGB IX (2001) wurde die Forderung nach Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft als höchstes<br />
Rehabilitationsziel definiert. Diese Konzeption stützt sich auf das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte<br />
Modell der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Mit ihr wurde ein Klassifikationssystem<br />
entwickelt, dass auf der Grundlage des bio-psycho-sozialen Modells versucht, eine multidimensionale Betrachtungsweise von<br />
Krankheiten und deren Auswirkungen auf das gesamte Leben zu erreichen. Hierzu werden sowohl medizinische- und<br />
Umweltfaktoren als auch Aspekte der Aktivität und Teilhabe und personenbezogene Faktoren betrachtet (vgl. Abb. 1).<br />
Fragestellung<br />
Bislang liegen der Forschung kaum Studien zur Wirksamkeit teilhabeorientierter Rehabilitation vor. Somit stellt sich die Frage, wie sich Einschränkungen, die durch neurologische<br />
Krankheiten entstehen, auf Aktivität und Teilhabe des Patienten am Leben in der Gemeinschaft auswirken. Hierzu werden Aspekte der Anpassungsfähigkeit des Patienten aus<br />
seiner Sicht sowie der der Angehörigen und der des therapeutischen Teams miteinander verglichen.<br />
Methode<br />
In den Kliniken Beelitz GmbH wurden im Sommer 2009 Daten zu Aspekten der Teilhabe von Patienten mit<br />
neurologischen Krankheiten in Phase D erhoben. Die Rehabilitationsphase beschreibt den Schweregrad der jeweiligen<br />
Funktionseinbußen und wird im deutschsprachigen Raum global durch das Phasenmodell der neurologischen<br />
Rehabilitation bestimmt (vgl. Abb. 2).<br />
Es wurde das Mayo-Portland Adaptability Inventory (Malec & Lezak, 2006) eingesetzt, welches die Bandbreite von<br />
physischen, kognitiven, emotionalen, Verhaltens- und sozialen Problemen erfasst, die bei Menschen mit neurologischen<br />
Krankheiten auftreten können. Das MPAI besteht aus drei Skalen: Fähigkeiten (Ability), Interne<br />
Kontextfaktoren/Einstellung/Anpassung (Adjustment) und Partizipation (Participation). Es ergibt sich ein Gesamtscore,<br />
der die globale Anpassungsfähigkeit des Patienten abbildet. Die Stichprobengröße beträgt N = 16. Zur Fremdbeurteilung<br />
wurden Angehörige und Therapeuten mit identischer Fragebogenversion befragt. Es wurde ein<br />
Messwiederholungsdesign (3 Gruppen) umgesetzt (MANOVA).<br />
Abb. 3: Mittelwerte der drei Gruppen für die Skalen globale<br />
Anpassungsfähigkeit , Interne Kontextfaktoren/<br />
Einstellung/Anpassung und Fähigkeiten.<br />
globale Anpassungsfähigkeit<br />
Interne<br />
Kontextfaktoren/Einstellung/Anpassung<br />
Fähigkeiten<br />
Ergebnisse<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />
Therapeuten Angehörige Patienten<br />
Diskussion<br />
Abb. 2: Phasenmodell der neurologischen/neurochirurgischen<br />
Behandlung und Rehabilitation (in in Anlehnung an BAR, 1998). 1998).<br />
Abb. 1: Wechselwirkungen zwischen den<br />
Komponenten der ICF. (WHO, 2005, S. 23)<br />
Die Ergebnisse der MANOVA zeigten, dass sich für die globale<br />
Anpassungsfähigkeit (F=34.71, p
Aktivität und Teilhabe – eine empirische<br />
Untersuchung zu den Auswirkungen von<br />
neurologischen Krankheiten<br />
Julia Lange B. Sc. & Prof. Dr. Claudia Wendel<br />
Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften,<br />
Studiengang Rehabilitationspsychologie, (jule.lange1@gmx.net)<br />
Zusammenfassung<br />
Mit der International Classification of Functioning, Disability and Health, kurz<br />
ICF, wurde ein Modell implementiert, das sowohl medizinische Faktoren, als<br />
auch Umweltfaktoren, Aspekte von Aktivität und Teilhabe und personenbezogene<br />
Faktoren integriert, um eine multidimensionale Betrachtungsweise von<br />
Krankheiten und deren Auswirkungen auf das gesamte Leben zu erreichen. Aufgrund<br />
der kargen Studienlage zu diesem Thema stellt sich die Frage, wie sich<br />
Einschränkungen, die durch neurologische Krankheiten entstehen, auf die Teilhabe<br />
des Patienten am Leben in der Gemeinschaft auswirken. Hierzu werden<br />
mittels des Mayo-Portland Adaptability Inventory (MPAI) Daten zu Aspekten<br />
der Anpassungsfähigkeit von Patienten einer stationären neurologischen Rehabilitationseinrichtung<br />
erhoben. Weiterhin erfolgt eine Befragung der Angehörigen<br />
und Therapeuten mit identischer Fragebogenversion. Für die Auswertung werden<br />
die drei Perspektiven miteinander verglichen.<br />
Die Stichprobengröße beträgt N = 16. Die Berechnungen erfolgten mittels multivariater<br />
Varianzanalysen mit Messwiederholung.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass sich für die globale Anpassungsfähigkeit ein hoch<br />
signifikanter Unterschied zwischen den drei Perspektiven ergibt. Weiterhin fanden<br />
sich für die Subskalen Interne Kontextfaktoren/Einstellung/Anpassung und<br />
Fähigkeiten deutliche Unterschiede zwischen Selbst– und Fremdbeurteilung.<br />
Die Beeinträchtigungen des Patienten werden von ihm und seinen Angehörigen<br />
als signifikant höher wahrgenommen als von den Therapeuten.<br />
In weiteren Arbeiten besteht nun die Aufgabe, diejenigen Faktoren zu identifizieren,<br />
die zu den Unterschieden in den Einschätzungen führen und dieses Wissen<br />
in der Praxis zu nutzen.<br />
<strong>Fachhochschule</strong> <strong>Schmalkalden</strong> 1
1 Hintergrund<br />
Mit der Einführung des SGB IX (2001) wurde die Forderung nach Teilhabe<br />
am Leben in der Gemeinschaft als höchstes Rehabilitationsziel definiert. Diese<br />
Konzeption stützt sich auf das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte<br />
Modell der International Classification of Functioning, Disability and<br />
Health (ICF). Mit ihr wurde ein Klassifikationssystem entwickelt, das auf der<br />
Grundlage des bio-psycho-sozialen Modells versucht, eine multidimensionale<br />
Betrachtungsweise von Krankheiten und deren Auswirkungen auf das gesamte<br />
Leben zu erreichen. Hierzu werden sowohl medizinische- und Umweltfaktoren<br />
als auch Aspekte der Aktivität und Teilhabe und personenbezogene Faktoren betrachtet<br />
(vgl. Abb. 1).<br />
Abb. 1: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF. (WHO, 2005, S. 23)<br />
2 Fragestellung der Arbeit<br />
Bislang liegen der Forschung kaum Studien zur Wirksamkeit teilhabeorientierter<br />
Rehabilitation vor. Somit stellt sich die Frage, wie sich Einschränkungen, die<br />
durch neurologische Krankheiten entstehen, auf Aktivität und Teilhabe des Patienten<br />
am Leben in der Gemeinschaft auswirken. Hierzu werden Aspekte der<br />
Anpassungsfähigkeit des Patienten aus seiner Sicht sowie der der Angehörigen<br />
und der des therapeutischen Teams miteinander verglichen.<br />
3 Methode<br />
In den Kliniken Beelitz GmbH wurden im Sommer 2009 Daten zu Aspekten der<br />
Teilhabe von Patienten mit neurologischen Krankheiten in Phase D erhoben. Im<br />
deutschsprachigen Raum ist die neurologische Rehabilitation als Phasenmodell<br />
organisiert, die jeweilige Rehabilitationsphase repräsentiert somit den Schweregrad<br />
der Funktionseinbußen. In Phase D (Anschlussrehabilitation / Anschlussheilbehandlung)<br />
sind die Patienten bei den Aktivitäten des täglichen Lebens<br />
weitestgehend selbstständig, eventuell bedarf es hier der Benutzung von Hilfs-<br />
11. Nachwuchswissenschaftlerkonferenz 14. April 2010 2
mitteln. Ziel dieser Phase ist das Erreichen von Alltagskompetenz in solchem<br />
Maße, dass eine weitgehend selbständige Lebensführung bzw. die Wiederaufnahme<br />
einer Erwerbstätigkeit wieder möglich wird.<br />
Es wurde das Mayo-Portland Adaptability Inventory (Malec & Lezak, 2006) eingesetzt,<br />
welches die Bandbreite von physischen, kognitiven, emotionalen, Verhaltens-<br />
und sozialen Problemen erfasst, die bei Menschen mit neurologischen<br />
Krankheiten auftreten können. Das MPAI besteht aus drei Skalen: Fähigkeiten<br />
(Ability), Interne Kontextfaktoren/Einstellung/Anpassung (Adjustment) und Partizipation<br />
(Participation). Es ergibt sich ein Gesamtscore, der die globale Anpassungsfähigkeit<br />
des Patienten abbildet.<br />
Die Stichprobengröße beträgt N = 16. Zur Fremdbeurteilung wurden Angehörige<br />
und Therapeuten mit einer identischen Fragebogenversion befragt. Es wurde ein<br />
Messwiederholungsdesign (3 Gruppen) umgesetzt (MANOVA).<br />
4 Ergebnisse<br />
Die Ergebnisse der MANOVA zeigten, dass sich die globale Anpassungsfähigkeit<br />
zwischen den drei Perspektiven statistisch signifikant unterscheidet (F=34.71,<br />
p
5 Diskussion<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich durch den Vergleich von Aspekten<br />
der Anpassungsfähigkeit des Patienten aus seiner Sicht, aus der seiner<br />
Angehörigen und der des therapeutischen Teams hochrelevante Zusammenhänge<br />
ergaben. Patienten und Angehörige beurteilten die Beeinträchtigungen<br />
des Erkrankten signifikant höher als das therapeutische Team. Die deutlichen<br />
Unterschiede auf der Skala Interne Kontextfaktoren/Einstellung/Anpassung<br />
lassen sich durch Items zur Stimmung und zu interpersonellen Beziehungen<br />
aufklären (z.B. „gesteigerte Wahrnehmung von Schwierigkeiten“ oder „Depressivität“).<br />
Inwieweit die gezeigten Unterschiede zwischen Selbst- und<br />
Fremdbeurteilung für die praktische Arbeit mit Patienten, die an neurologischen<br />
Erkrankungen leiden, Bedeutung haben, kann nur in weiter folgenden<br />
Untersuchungen beantwortet werden. Für die Zukunft besteht somit die Aufgabe<br />
zu zeigen, bei welchen Konstrukten sich die hier errechneten Unterschiede<br />
besonders deutlich zeigen und was dies für den Praxisalltag bedeutet.<br />
Literatur<br />
[1] BAR. (1998). Arbeitshilfe für Rehabilitation von Schlaganfallpatienten. (Heft<br />
4) (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Hrsg.). Frankfurt/M: Schriftenreihe<br />
der BAR.<br />
[2] Fries W. & Fischer S. (2008). Beeinträchtigungen der Teilhabe nach erworbenen<br />
Hirnschädigungen: Zum Verhältnis von Funktionsstörungen, personbezogenen<br />
und umweltbezogenen Kontextfaktoren – eine Pilotstudie. Rehabilitation<br />
(47), 265-274.<br />
[3] Malec, J. F. &. Lezak M. D. (2008). Manual for the Mayo-Portland Adaptability<br />
Inventory (MPAI-4) for Adults, Children and Adolescents (4. Version).<br />
Rehabilitation Hospital of Indiana USA, Oregon Health and Science University.<br />
[4] SGB IX. (2006). Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen: mit<br />
Behinderungsgleichstellungsgesetz, Wahlordnung, Schwerbehindertenvertretungen,Schwerbehinderten<br />
- Ausgleichsgabeverordnung, Werkstättenverordnung,<br />
Werkstätten – Mitwirkungsverordnung, Schwerbehindertenausweisverordnung,<br />
Nahverkehrszügeverordnung, Bundesversorgungsgesetz und<br />
weiteren wichtigen Vorschriften. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.<br />
[5] WHO. (2005). ICF – International Classification of Functioning, Disability<br />
and Health. Genf: World Health Organization.<br />
11. Nachwuchswissenschaftlerkonferenz 14. April 2010 4