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Wir alle ...<br />

Doch es haben viele Bewohner<br />

Gartenstühle und Tische vor ihren<br />

Haustüren platziert und pflegen ihre<br />

Nachbarschaft. Vor wenigen Jahren noch<br />

war diese Atmosphäre nicht zu spüren.<br />

Barbara Frantzeskakis, Jugendreferent<strong>in</strong><br />

im Jugend- und K<strong>in</strong><strong>der</strong>treff Wer<strong>der</strong>au:<br />

»Man muss sich e<strong>in</strong>fach mal vorstellen,<br />

dass es vorher e<strong>in</strong> richtiger Dorfflecken<br />

war, je<strong>der</strong> kannte sich. Auf e<strong>in</strong>mal<br />

kommen neue Menschen <strong>in</strong> diese enge<br />

Geme<strong>in</strong>schaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, die an<strong>der</strong>s leben,<br />

an<strong>der</strong>s sprechen, an<strong>der</strong>s kochen. Es kam<br />

hier ganz plötzlich e<strong>in</strong>iges an Konfliktpotenzial<br />

re<strong>in</strong>. <strong>Das</strong> sorgte für starke<br />

Verän<strong>der</strong>ungen im Lebensumfeld, und da<br />

musste schnell etwas getan werden.«<br />

Die Stadt Nürnberg vernahm diese<br />

Verstimmungen beson<strong>der</strong>s durch die<br />

Kommunalwahlen im März 2002, <strong>als</strong> trotz<br />

vorm<strong>als</strong> nie vorhandener Anzeichen <strong>der</strong><br />

Xenophobie die rechtsorientierte<br />

,Bürger<strong>in</strong>itiative Auslän<strong>der</strong>stop’ zehn<br />

Prozent <strong>der</strong> Stimmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wer<strong>der</strong>au für<br />

sich gew<strong>in</strong>nen konnte. Gleichzeitig wurde<br />

Dr. Ulrich Maly neuer Oberbürgermeister<br />

<strong>der</strong> Frankenmetropole und schritt direkt<br />

zur Tat. Der Sozialdemokrat <strong>in</strong>itiierte das<br />

Stadtteilprojekt Wer<strong>der</strong>au, das mit dem<br />

ersten Runden Tisch im Oktober 2002<br />

begann, den Mart<strong>in</strong>a Haag organisierte<br />

und koord<strong>in</strong>ierte: »Deutsche und nichtdeutsche<br />

Alt- und Neu-Wer<strong>der</strong>auer,<br />

E<strong>in</strong>richtungen, Initiativen, Polizei,<br />

Schulen, Kirchen sollten vertreten se<strong>in</strong>.<br />

Wir wollten unbed<strong>in</strong>gt vor Ort ermitteln,<br />

wo es Probleme im Stadtteil gab und was<br />

sich die Bewohner wünschten.« E<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>es Anliegen waren e<strong>in</strong><br />

Jugendtreff und Spielplätze für die vielen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen, die bisher ke<strong>in</strong>e<br />

Freizeitmöglichkeiten hatten. E<strong>in</strong> zweiter<br />

Hauptpunkt war <strong>der</strong> ausdrückliche<br />

Wunsch nach <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung des<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>s: »Es g<strong>in</strong>g<br />

nicht vorrangig um religiöse Unterschiede,<br />

son<strong>der</strong>n eher um kulturelle<br />

Konflikte und Missverständnisse. Es<br />

fehlte oft e<strong>in</strong>fach nur Verständnis <strong>in</strong><br />

Alltagssituationen, wie das Aufhängen von<br />

Wäsche an Feiertagen. Sprachliche<br />

Barrieren waren natürlich <strong>auch</strong> e<strong>in</strong> Grund<br />

für Probleme. Diese Kulturunterschiede<br />

s<strong>in</strong>d da eben e<strong>in</strong>e dankbare Projektionsfläche.«<br />

Der 2500-Seelen-Stadtteil krempelte nach<br />

diesen Diskussionen und Bedarfsermittlungen<br />

die Ärmel hoch und bewirkte<br />

mit e<strong>in</strong>em außergewöhnlichen Eigenengagement<br />

und <strong>der</strong> nötigen Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Stadt Nürnberg <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit<br />

wahre Vorbildaktionen: Die Stadt sagte <strong>der</strong><br />

Wer<strong>der</strong>au unter an<strong>der</strong>em den Bau drei<br />

neuer Spielplätze zu. Bevor die Bauarbeiten<br />

begannen, trafen sich Deutsche und<br />

Nicht-Deutsche, Alt- und Neu-Wer<strong>der</strong>auer<br />

und räumten geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> freudiger<br />

Erwartung die dafür vorgesehenen Plätze<br />

frei. Die E<strong>in</strong>weihung <strong>der</strong> Spielplätze durch<br />

den Oberbürgermeister wurden zu großen<br />

Ereignissen, er<strong>in</strong>nert sich Mart<strong>in</strong>a Haag<br />

mit Begeisterung: »Durch solche<br />

symbolische Aktionen verschwimmen<br />

sche<strong>in</strong>bare kulturelle Grenzen und<br />

Unterschiede. Man arbeitet zusammen an<br />

e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Interesse. Es wurde<br />

<strong>als</strong>o nicht nur geredet, son<strong>der</strong>n <strong>auch</strong><br />

vere<strong>in</strong>t angepackt. Ich me<strong>in</strong>e, dass das<br />

mehr bewirken kann <strong>als</strong> Worte und<br />

Appelle.«<br />

In <strong>der</strong> Wer<strong>der</strong>au geht man seit längerem<br />

Sprachdefizite praktisch an: Die Grundschulen<br />

und K<strong>in</strong><strong>der</strong>gärten haben För<strong>der</strong>projekte<br />

für K<strong>in</strong><strong>der</strong> wie <strong>auch</strong> für ihre<br />

Eltern. Die Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter<br />

s<strong>in</strong>d geschult und stellen sich auf<br />

<strong>in</strong>dividuellen Bedarf e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Spiel- und<br />

Lerngruppe <strong>der</strong> Arbeiterwohlfahrt<br />

(,Hippy’) wurde mit Hilfe <strong>der</strong> Stadt<br />

e<strong>in</strong>gerichtet. Der Stadtteilladen Diana<br />

bietet Deutsch- und Alphabetisierungskurse<br />

an.<br />

Anlässe und regelmäßige Treffen zur<br />

<strong>in</strong>terkulturellen Begegnung s<strong>in</strong>d ebenso<br />

Bestandteil des Lebens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wer<strong>der</strong>au.<br />

»Natürlich läuft nicht immer alles<br />

reibungslos, aber wo tut es das schon.<br />

Doch die Wer<strong>der</strong>au ist seit drei Jahren die<br />

Heimat me<strong>in</strong>er Familie, und wir s<strong>in</strong>d froh,<br />

hier zu leben. Natürlich müssen beide<br />

Seiten aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zukommen und sich<br />

bemühen, mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu kommunizieren.<br />

<strong>Das</strong> geht Schritt für Schritt«, ist<br />

Havva Özcan überzeugt. Die engagierte<br />

und mit Leib und Seele bekennende<br />

Nürnberger<strong>in</strong> widmet diesem Bestreben<br />

viel Energie und ist Beisitzer<strong>in</strong> im<br />

Bürgervere<strong>in</strong> Wer<strong>der</strong>au e. V., <strong>der</strong> sich für<br />

e<strong>in</strong> positives Geme<strong>in</strong>wesen im Stadtteil<br />

stark macht. Mart<strong>in</strong>a Haag und sie<br />

begrüßen sich mittlerweile mit e<strong>in</strong>er<br />

herzlichen Umarmung: »Man sieht nicht<br />

nur an <strong>der</strong> Auswertung des Stadtteilprojekts<br />

Wer<strong>der</strong>au, dass sich das<br />

Zusammenleben und das Zusammenwirken<br />

hier spürbar verbessert hat! Und<br />

ich bilde mir e<strong>in</strong>, dass die türkischen<br />

Familien diesen E<strong>in</strong>druck teilen!«, ist<br />

Mart<strong>in</strong>a Haag überzeugt.<br />

Eigens für das Stadtteilfest haben<br />

Graffiti-Künstler e<strong>in</strong>e Wand mit dem<br />

Motto ,Wir alle geme<strong>in</strong>sam!’ gestaltet.<br />

Während die Jugendlichen Gökhan, Vito<br />

und Murat e<strong>in</strong>e deutsche und e<strong>in</strong>e<br />

türkische Flagge auf das Kunstwerk<br />

sprühen, verteilt Ilka Soldner trotz des<br />

strömenden Regens unermüdlich rote<br />

Luftballons und hat für Fragen stets e<strong>in</strong><br />

offenes Ohr. Die sozialdemokratische<br />

Stadträt<strong>in</strong> wohnt im Nachbardorf und ist<br />

stolz, für die Wer<strong>der</strong>au zuständig zu se<strong>in</strong>:<br />

»Es war von Anfang an geplant, dass wir<br />

aus dem Wer<strong>der</strong>au-Projekt e<strong>in</strong> Modell<br />

machen, das wir <strong>auch</strong> auf an<strong>der</strong>e<br />

Stadtteile <strong>in</strong> Nürnberg übertragen<br />

können. Und es hat funktioniert.« Ilka<br />

Soldner freut sich über die heiteren<br />

Gesichter auf dem Fest und die Tatsache,<br />

dass die Wer<strong>der</strong>auer dieses Ereignis nun<br />

selbst auf die Be<strong>in</strong>e gestellt haben. Diese<br />

glücklichen Gesichter möchte sie aber<br />

noch länger sehen und sieht dies <strong>als</strong><br />

Appell an sich selbst und ihre Kollegen:<br />

»Der ideelle Rückhalt durch die<br />

Kommunalpolitik ist <strong>in</strong> solchen Projekten<br />

sehr wichtig. Die Menschen müssen e<strong>in</strong>e<br />

Perspektive erhalten und e<strong>in</strong>e Verstetigung<br />

solcher Projekte sehen und wie<strong>der</strong><br />

erleben, wie wichtig Verständigung<br />

untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ist. Vor Ort ist hier so viel<br />

Eigenengagement, und wenn die<br />

Wer<strong>der</strong>auer sehen, dass die Unterstützung<br />

wegfällt, fühlen sie sich hängen gelassen,<br />

und alles schläft allmählich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>.<br />

Deswegen müssen wir alles tun, damit es<br />

weitergeht.«<br />

Ansprechpartner<br />

Mart<strong>in</strong>a Haag<br />

Regiestelle Sozialraumentwicklung<br />

Referat für Jugend, Familie und Soziales<br />

Stadt Nürnberg<br />

Telefon 0911 - 231 7695<br />

mart<strong>in</strong>a.haag@stadt.nuernberg.de<br />

www.soziales.nuernberg.de/projekte/<br />

wer<strong>der</strong>au.html<br />

Erich Schlapp<br />

Bürgervere<strong>in</strong> Nürnberg-Wer<strong>der</strong>au,<br />

Marterlach und Sandreuth e. V.<br />

Telefon 0911 - 9415 473<br />

DER STADTTEIL ALS ORT SOZIALRÄUMLICHER KONFLIKTE<br />

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