Regeln für Unternehmen - EU-Koordination
Regeln für Unternehmen - EU-Koordination
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Sonderteil 06.03<br />
<strong>EU</strong>-RUNDSCHREIBEN<br />
herausgegeben vom Deutschen Naturschutzring (DNR) e.V.<br />
Die Zukunft der Europäischen Union<br />
Weltweite <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> globale <strong>Unternehmen</strong>
Sonderteil 06.03<br />
2 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
<strong>EU</strong>-RUNDSCHREIBEN<br />
herausgegeben vom Deutschen Naturschutzring (DNR) e.V.<br />
Impressum <br />
Sonderteil <strong>EU</strong>-Rundschreiben<br />
Jahrgang 12 (2003), Heft 06<br />
Berlin, 4. Juli 2003<br />
Herausgeber<br />
Deutscher Naturschutzring,<br />
Dachverband der deutschen Natur- und<br />
Umweltschutzverbände (DNR) e.V.<br />
Redaktion<br />
DNR Geschäftsstelle Berlin/<br />
<strong>EU</strong>-<strong>Koordination</strong> und Internationales<br />
Nika Greger (ng), Juliane Grüning (jg),<br />
Britta Steffenhagen (bs)<br />
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin<br />
Tel. 030 / 443391-81, Fax -80<br />
eMail: juliane.gruening@dnr.de<br />
Internet: www.dnr.de<br />
DNR Geschäftsstelle Bonn<br />
Am Michaelshof 8-10, 53177 Bonn<br />
Tel. 0228 / 35 90-05, Fax -96<br />
eMail: info@dnr.de, Internet: www.dnr.de<br />
Abonnement-Verwaltung<br />
Thomas Kreutzberg, Geschäftsstelle Bonn<br />
eMail: thomas.kreutzberg@dnr.de<br />
Technik<br />
Layout: DNR-Redaktionsbüro, Berlin<br />
Druck: Druckerei Eberwein, Bonn<br />
Gastartikel<br />
Artikel aus Verbänden und Forschung<br />
sind willkommen. Kürzung und redaktionelle<br />
Bearbeitung von Beiträgen vorbehalten.<br />
Mit Namen gezeichnete Beiträge geben<br />
nicht unbedingt die Meinung der Redaktion/des<br />
Herausgebers wieder. Redaktionsschluss:<br />
jeweils 15. des Monats.<br />
Copyright, Weitergabe<br />
Die Urheberrechte liegen beim Herausgeber.<br />
Eine freie Weitergabe, insbesondere<br />
der eMail-Version, ist nicht zulässig.<br />
Bezüglich vergünstigter Sammelabos bitte<br />
bei der Redaktion nachfragen. Einzelne<br />
Artikel können nachgedruckt werden,<br />
wenn die Quelle angegeben wird. Die Redaktion<br />
freut sich über ein Belegexemplar.<br />
Förderhinweis<br />
Dieses Projekt wird finanziell vom Bundesumweltministerium<br />
und vom Umweltbundesamt<br />
gefördert. Die Förderer übernehmen<br />
keine Gewähr <strong>für</strong> die Richtigkeit,<br />
Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben<br />
sowie <strong>für</strong> die Beachtung der Rechte<br />
Dritter. Die geäußerten Ansichten und<br />
Meinungen müssen nicht mit denen der<br />
Förderer übereinstimmen.
Inhalt <br />
4 Einführung: <strong>Unternehmen</strong>s-<br />
verantwortung<br />
• Rechte <strong>für</strong> Menschen, <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong><br />
Konzerne: NGOs fordern verbindliche<br />
internationale Vereinbarungen<br />
8 Freiwillige<br />
Selbstverpflichtungen<br />
• Selbstverpflichtungen der Wirtschaft:<br />
Skepsis der NGOs beruht auf<br />
Erfahrung<br />
• Friends of the Earth lehnen freiwillige<br />
Initiativen ab<br />
14 Internationale<br />
Vereinbarungen<br />
• Die OECD-Leitsätze<br />
• Die "Draft Norms" der<br />
UN-Menschenrechtskommission<br />
• Die <strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie<br />
22 Einführung in die<br />
<strong>EU</strong>-Umwelthaftung<br />
• Wozu ein Umwelthaftungsrecht?<br />
• Umwelthaftung: Entscheidende<br />
rechtliche Stichworte<br />
• Wozu ein einheitliches<br />
<strong>EU</strong>-Haftungsrecht?<br />
• Weitere Ansätze <strong>für</strong> ein Haftungsrecht<br />
• Was fordert das Europäische<br />
Umweltbüro?<br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 3
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung <br />
Rechte <strong>für</strong> Menschen, <strong>Regeln</strong><br />
<strong>für</strong> Konzernriesen<br />
NGOs fordern internationale <strong>Regeln</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />
Das weltweite Netzwerk von Friends of the<br />
Earth International (FoEI), dessen deutsche<br />
Sektion der BUND ist, kämpft gemeinsam<br />
mit anderen Nichtregierungsorganisationen<br />
(NGO) <strong>für</strong> ein internationales<br />
Regelwerk <strong>für</strong> multinationale <strong>Unternehmen</strong>,<br />
das die Rechte der von Konzernaktivitäten<br />
betroffenen Menschen und<br />
Gemeinden garantiert und gleichzeitig die<br />
Konzerne <strong>für</strong> ihre Taten weltweit haftbar<br />
macht. Dazu gehört das Recht der Menschen,<br />
Konzerne in deren Heimatländern<br />
zu verklagen, ebenso wie das Recht,<br />
schädliche Konzernakitivtäten insgesamt<br />
zu unterbinden, wenn sie sozial- und<br />
umweltpolitische Ziele untergraben.<br />
Während Entwicklungsländer und die<br />
Zivilgesellschaft <strong>für</strong> solche Forderungen<br />
meistens viel übrig haben (siehe auch die<br />
Forderungen einiger Entwicklungsländer<br />
nach <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung im<br />
Bereich Investitionen), blockieren vor<br />
allem die Industrieländer jeglichen Fortschritt<br />
und handeln damit weniger im<br />
Interesse der Menschen, sondern in dem<br />
der multinationalen Konzerne. <br />
4 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Multinationale Konzerne:<br />
Rücksichtslos und nicht zu fassen<br />
Friends of the Earth International und<br />
seine 68 Mitgliedsorganisationen in allen<br />
Teilen der Welt beobachten seit Jahren die<br />
Aktivitäten multinationaler Konzerne.<br />
Nachhaltige Entwicklung, soziale und ökologische<br />
Gerechtigkeit, die Anerkennung<br />
der ökologischen Schulden des Nordens<br />
<strong>für</strong> die Ausbeutung ökologischer Ressoucen<br />
im Süden, aber auch drohende weltweite<br />
Katastrophen wie z.B. der globale<br />
Klimawandel und der rasante Verlust der<br />
Artenvielfalt, die die natürlichen Lebensgrundlagen<br />
vieler Menschen vor allem in<br />
den Entwicklungsländern zerstören, stellen<br />
Regierungen vor große politische<br />
Herausforderungen. Es müssen <strong>Regeln</strong><br />
entwickelt werden, die ökologisch und<br />
sozial schädliche Geschäftspraktiken<br />
multinationaler Konzern einem international<br />
verbindlichen Regime aus Rechten <strong>für</strong><br />
die betroffenen Menschen und Gemeinschaften<br />
sowie sanktionierbare Vorschriften<br />
<strong>für</strong> die Konzerne unterstellen. Das<br />
hätte Katastrophen wie in Bophal oder<br />
Nigeria, die Tankerunglücke "Exxon Valdez",<br />
"Erika" oder "Prestige" verhindern<br />
oder doch wenigstens deren Folgen mindern<br />
können. <br />
Besondere Verantwortung der<br />
Industrieländer<br />
Die reichen Industrieländer haben eine<br />
besondere Verantwortung, sich dieser<br />
Herausforderung zu stellen, da die allermeisten<br />
multinationalen Konzerne aus<br />
eben diesen Ländern stammen, dabei<br />
aber besonders in den Entwicklungsländern<br />
desaströse soziale Probleme erzeugen.<br />
Immer wieder werden sie mit Menschenrechtsverletzungen<br />
in Verbindung<br />
gebracht und betreiben einen beispiellosen<br />
Raubbau an der Natur, der die ökologischen<br />
Lebensgrundlagen der Menschen<br />
zerstört. Dazu gehören beispielsweise<br />
Ölkonzerne wie Exxon in Indonesien, Shell<br />
in Nigeria oder Premier in Pakistan und<br />
Burma. Auch im Holzhandel gibt es Probleme:<br />
z.B. profitieren französische Konzerne<br />
von illegal eingeschlagenen Tropenhölzern,<br />
die etwa die Hälfte der <strong>EU</strong>-<br />
Importe ausmachen. Waldrodungen auf<br />
Grund und Boden indigener Völker <strong>für</strong> den<br />
europäischen Papierverbrauch sind ebenso<br />
an der Tagesordnung, wie unmenschliche<br />
Gesundheits- und Sicherheitsstandards<br />
in der Bekleidungsindustrie, z.B.<br />
bei den Zulieferern von Nike. Diese transnationalen<br />
Konzerne beuten Menschen<br />
und natürliche Ressourcen im Süden aus,<br />
um die Nachfrage im Norden zu befriedigen.<br />
Dadurch sammelt der Norden eine<br />
ökologische Schuld gegenüber dem Süden<br />
an, indem er mehr als seinen gerechten<br />
Anteil an globalen Umweltgütern und<br />
Ressourcen <strong>für</strong> sich beansprucht.<br />
Durch ihre ökonomische Macht und intensive<br />
Lobbyarbeit bei den Regierungen der<br />
Industrieländer, dem Internationalen<br />
Währungsfonds, der Weltbank, der<br />
Welthandlsorganisation (WTO) und anderen<br />
Institutionen haben multinationale<br />
Konzerne großen Einfluss auf die Weltwirtschaft<br />
und erweisen sich immer wieder<br />
als Verhinderer sozialer und ökologischer<br />
Nachhaltigkeit.
G8-Länder blockieren Charta zur<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
Die reichen Industrieländer hatten sich<br />
jüngst vorgenommen, die Rolle multinationaler<br />
Konzerne im Weltwirtschaftssystem<br />
auf dem diesjährigen G8-Gipfel in Evian zu<br />
diskutieren. Französische Pläne <strong>für</strong> eine<br />
"Charter of Principles for Responsible<br />
Market Economies" wurden allerdings<br />
noch vor dem Gipfel von anderen G8-<br />
Ländern erfolgreich torpediert. Statt<br />
betroffenen Menschen Rechte zuzusprechen,<br />
sollen ihnen nun noch mehr Rechte<br />
genommen werden: Das vor allem von der<br />
<strong>EU</strong> vorangetriebene Investitionsabkommen<br />
unter dem Dach der WTO sieht vor,<br />
Rechte und Einflussmöglichkeiten der<br />
Menschen und der demokratisch gewählten<br />
Regierungen weiter zu beschneiden<br />
und statt dessen Konzernen und Investoren<br />
mehr Freiheiten und Schutz zu garantieren.<br />
Dazu gehört zum Beispiel die<br />
Möglichkeit, Staaten zu verklagen, wenn<br />
diese durch neue Sozial- oder Umweltgesetze<br />
die Profite der Konzerne schmälern<br />
könnten.<br />
Konflikte werden sich verschärfen<br />
Statt Rechten <strong>für</strong> Menschen und <strong>Regeln</strong><br />
<strong>für</strong> Konzerne setzen die Industrieländer<br />
nach wie vor lieber auf zahnlose Initativen<br />
freiwilliger Selbstverpflichtung der Konzerne<br />
und überlassen ansonsten ihre<br />
Verpflichtungen, die Menschen vor sozialem<br />
und ökologischem Unbill multinationaler<br />
Konzerne zu schützen, dem Spiel des<br />
"freien Marktes". Weil weiterhin nur ein<br />
winziger Bruchteil der Konzerne seine<br />
Geschäftspraktiken nach ethischen und<br />
sozial bzw. ökologisch nachhaltigen Kriterien<br />
ausrichtet, wird diese marktorientierte<br />
Strategie die Konflikte nicht lösen, sondern<br />
verschärfen.<br />
Nach wie vor werden die Weltanschauung<br />
der Konzernwelt und vier ihrer Prinzipien<br />
unterschätzt:<br />
- möglichst viele Kosten an die Gemeinschaft<br />
zu externalisieren (z.B. Umweltverbrauch),<br />
- möglichst viele Gewinne von der Gemeinschaft<br />
zu internalisieren,<br />
- möglichst wenig Geld an die Angestellten,<br />
aber<br />
- möglichst viel Geld an die Aktionäre<br />
auszuzahlen.<br />
<br />
Spaniens Steuerzahler haften <strong>für</strong><br />
jüngste Ölkatastrophe<br />
Eines der jüngeren Beispiele ist die Ölkatastrophe<br />
der "Prestige". Das gültige<br />
Haftungsregime sieht zur Wiedergutmachung<br />
des Schadens lediglich eine Zahlung<br />
von 150 Millionen US-Dollar vor, bei<br />
einem Schaden <strong>für</strong> Umwelt und die lokale<br />
Fischereiwirtschaft entlang der galizischen<br />
Küste in Höhe von über einer Milliarde US-<br />
Dollar -- ein Schaden, <strong>für</strong> den nun die<br />
spanischen Steuerzahler aufkommen<br />
müssen. Unter anderem Japan hat alle<br />
vorgeschlagenen Reformen <strong>für</strong> das Haftungsregime<br />
erfolgreich blockiert. Die<br />
"Prestige" wurde in Japan gebaut.<br />
Corporate Social Responsibility - Wie<br />
erfolgreich sind freiwillige Lösungen?<br />
Es gibt eine Reihe von freiwilligen Initiativen,<br />
die sich unter dem Schlagwort der<br />
"Corporate Social Responsibility" zusammenfassen<br />
lassen. Prominentester Vertreter<br />
ist der "Global Compact" der Vereinten<br />
Nationen, dem sich Konzerne anschließen<br />
können, in dem sie sich verpflichten, sich<br />
zu bemühen, eine Reihe von ökologischen,<br />
sozialen und menschenrechtlichen<br />
Prinzipien einzuhalten.<br />
Die OECD hat vor einiger Zeit ihre "Guidelines<br />
for Multinational Enterprises" überarbeitet,<br />
und auch der "European Code of<br />
Conduct for European Enterprises Operating<br />
in Developing Countries" enthält<br />
Mechanismen, wenig zukunftsfähiges<br />
Verhalten von Konzernen ins Licht der<br />
Öffentlichkeit zu rücken. Diese und eine<br />
Reihe weiterer Initiativen haben bisher<br />
den fortwährenden Missbrauch von Konzernmacht<br />
nicht unterbinden können, vor<br />
allem weil sie wenig Anreize zur Einhaltung<br />
bieten, die die finanziellen Anreize<br />
zur Nichteinhaltung ausgleichen könnten.<br />
Die in den Initiativen formulierten Standards<br />
sind nicht nur schwach, sondern<br />
eben freiwillig und damit weder sanktionier-<br />
noch einklagbar. Mechanismen <strong>für</strong><br />
Kontrolle und Monitoring über die Einhaltung<br />
von Richtlinien über das Maß hinaus,<br />
das die Konzerne selbst <strong>für</strong> richtig und<br />
wichtig erachten, gibt es nicht. Schließlich<br />
sprechen die Initiativen den betroffenen<br />
Menschen keine Rechte zu. Umfang,<br />
Themen und Konsequenzen sogenannter<br />
"stakeholder dialogues" definieren die<br />
Konzerne - nicht die betroffenen Menschen.<br />
<br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 5
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung <br />
<br />
Ein global verbindliches Regime zur<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung muss her<br />
Die Idee, schädlichen Konzernaktivitäten<br />
verbindliche <strong>Regeln</strong> vorzusetzen, ist nicht<br />
neu, wie die Geschichte von Gesundheits-<br />
und Sicherheitsbestimungen oder Arbeitnehmerrechten<br />
und Umweltstandards<br />
zeigt. Allerdings hat deren Entwicklung bei<br />
weitem nicht dem Umfang und der Geschwindigkeit<br />
mitgehalten, mit der Märkte<br />
und Produktionsprozesse globalisiert<br />
wurden. Multinationale Konzerne haben<br />
an Macht und Einfluss gewonnen, die die<br />
Kraft vieler Entwicklungsländer um ein<br />
Vielfaches übersteigt, so dass häufig nicht<br />
sozial- und umweltpolitische Maßnahmen<br />
die Konzerne zügeln, sondern Konzerne<br />
die Entwicklung und Umsetzung von Politikzielen<br />
in diesen Ländern be- und verhindern.<br />
Vielmehr wetteifern Entwicklungsländer<br />
um die geringsten Standards, um<br />
Investitionen anzulocken und Konzerne im<br />
Land zu halten ("Race to the Bottom").<br />
Großkonzerne spielen ihre Macht<br />
gegen arme Länder aus<br />
Nicht nur sind die Standards dort in der<br />
Regel weitaus niedriger als in den reichen<br />
Ländern. Auch drängen Konzerne die<br />
Regierungen häufig, sie von bestehenden<br />
Standards auszunehmen bzw. diese einfach<br />
nicht umzusetzen. Der georgische<br />
Präsident Schwardnadse beispielsweise<br />
zwang nach Intervention durch BP seine<br />
Umweltministerin, eine Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
<strong>für</strong> den georgischen Teil der<br />
geplanten Pipeline vom Kaspischen Meer<br />
ans Mittelmeer zu unterzeichnen und<br />
damit gegen geltendes georgisches Umweltrecht<br />
verstoßen. Multinationale Konzerne<br />
zur Verantwortung zu ziehen oder<br />
gar auf Schadensersatz zu verklagen,<br />
übersteigt nicht nur häufig die rechtlichen<br />
und finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen.<br />
Zudem fallen bei multinationalen<br />
Konzernen Produktion und Absatzmärtke<br />
oder Besitzverhältnisse in unterschiedliche<br />
rechtliche Rahmenbedingungen, die<br />
zum Teil untereinander inkonsistent sind,<br />
was es schwer oder unmöglich macht<br />
ihrer rechtlich habhaft zu werden. <br />
6 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Dezentralisierung statt Privatisierung!<br />
Hinzu kommt die wachsende Tendenz, im<br />
öffentlichen Interesse eingeführte soziale<br />
und ökologische Beschränkung von Konzernaktivitäten<br />
nun dem Interesse eines<br />
möglichst ungehinderten Handels mit<br />
Waren und Dienstleistungen zu opfern.<br />
Dazu gehört auch, dass Konzerne mehr<br />
und mehr Aufgaben überantwortet bekommen,<br />
die vormals in öffentlicher Hand<br />
lagen, wie zum Beispiel das Gesundheitswesen<br />
oder die Wasserversorgung, wo<br />
das öffentliche Interesse (Wasser so<br />
sauber wie möglich) mit dem privaten<br />
Interesse an Profit (Wasser so sauber wie<br />
gesetzlich nötig) ausgetauscht wird.<br />
Friends of the Earth International erkennt<br />
an, dass ökonomische Aktivitäten nicht<br />
per se schlecht sind. Vor allem kleine und<br />
mittelständische Betriebe sind Motoren<br />
lokaler Wirtschaftskreisläufe, die <strong>für</strong> die<br />
Entwicklung von Wohlstand gerade in den<br />
armen Ländern große Bedeutung haben.<br />
Dabei sind solche <strong>Unternehmen</strong> durch<br />
ihre geringere Größe automatisch viel<br />
direkter lokalen Gemeinschaften verpflichtet.<br />
Auch in der Entwicklung zukunftsfähiger<br />
Technologien wie zum Beispiel im<br />
Bereich erneuerbarer Energien sind Kreativität<br />
und Fähigkeiten von <strong>Unternehmen</strong><br />
gefragt. Das darf aber nicht darüber<br />
hinwegtäuschen, dass wirtschaftliche<br />
Aktivitäten gerade der großen, multinationalen<br />
Konzerne den sozial- und umwelpolitischen<br />
Zielen der Gemeinschaften, in<br />
deren Umgebung sie operieren, verpflichtet<br />
sein müssen. Verantwortung darf nicht<br />
in erster Linie die Verantwortung gegenüber<br />
den Aktionären ("shareholders")<br />
heißen, sondern Verantwortung gegenüber<br />
aller durch die Konzerntätigkeiten<br />
betroffenen Menschen und Gemeinschaften<br />
("stakeholders").<br />
Rechte <strong>für</strong> Menschen, <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong><br />
Konzerne: wie sieht das aus?<br />
Ein globales Regime aus Rechten <strong>für</strong><br />
Menschen und <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> Konzerne muss<br />
nach Ansicht von Friends of the Earth<br />
International unter dem Dach der Vereinten<br />
Nationen stehen. Der Weltgipfel <strong>für</strong><br />
Nachhaltige Entwicklung hat dies implizit<br />
erkannt und in seinem Aktionsplan bereits<br />
gefordert, "basierend auf den Rio-<br />
Prinzipien aktiv die <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
voranzutreiben, auch durch die<br />
Entwicklung und wirksame Umsetzung von<br />
zwischenstaatlichen Vereinbahrungen und<br />
Maßnahmen." <br />
WTO-Investitionsabkommen mit<br />
verbindlichen <strong>Regeln</strong> reicht nicht<br />
Für ein mögliches Investitionsabkommen<br />
innerhalb der WTO haben einige Entwicklungsländer<br />
unter der Führung Kenias<br />
<strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> Investoren und Konzerne zum<br />
Schutz heimischer Entwicklungsziele<br />
gefordert. Die Richtung dieses Vorschlages<br />
ist begrüßenswert, aber weil die WTO<br />
eher die Interessen von Konzernen als die<br />
der Menschen verfolgt, würde ein Regime<br />
unter der WTO zwangsläufig erheblich<br />
zugunsten von multinationalen Konzernen<br />
verwässert, während gleichzeitig die WTO<br />
und die reichen Länder sich damit schmücken<br />
würden, den Forderungen nach<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung nachgekommen<br />
zu sein - während sie über das<br />
vorgeschlagene Investitionsabkommen<br />
gleichzeitig den Menschen Rechte nehmen<br />
und sie multinationalen Konzernen<br />
zuschustern.<br />
Erforderliche Regimeprinzipien aus<br />
Sicht von FoEI<br />
Das von Friends of the Earth International<br />
geforderte Regime würde Mechanismen<br />
einführen, über die von Konzernaktivitäten<br />
betroffene Menschen ihre Rechte geltend<br />
machen könnten. Da<strong>für</strong> müssen international<br />
gültige und verbindliche soziale und<br />
ökologische Pflichten <strong>für</strong> Konzerne eingeführt<br />
werden, die in der Konsequenz zu<br />
konsistenten, hohen Standards unternehmerischer<br />
Praktiken führen und verhindern,<br />
dass Regierungen auf die Lobbyisten<br />
der Konzerne reagieren und nicht<br />
auf die sozial- und umweltpolitischen<br />
Bedürfnisse ihrer Bürger. Das Regime<br />
müsste Sanktionen <strong>für</strong> Nichteinhaltung der<br />
Standards vorsehen und soziale wie ökologische<br />
Gerechtigkeit <strong>für</strong> Menschen und<br />
Gemeinschaften garantieren. Die wichtigsten<br />
Bestandteile eines Regimes wären<br />
nach Ansicht von Friends of the Earth<br />
International:
a.<br />
Konzernaktivitäten müssen hohen Standards<br />
in sozial- und umweltpolitischer,<br />
aber auch menschenrechtlicher Hinsicht<br />
genügen, die z.B. auf bestehenden internationalen<br />
Abkommen zum Umweltschutz<br />
oder Schutz von Arbeitsrechten basieren.<br />
Das Regime muss Regierungen die Möglichkeit<br />
verbriefen, nach dem Vorsorgeprinzip<br />
neue Standards und Gesetze zu<br />
erlassen oder zu verschärfen, die die<br />
Regierung <strong>für</strong> ihre sozial- und umweltpolitischen<br />
Entwicklungsziele <strong>für</strong> nötig erachtet.<br />
b.<br />
Das vorgeschlagene Regime muss Menschen<br />
und Gemeinschaften ihre Rechte<br />
auf Zugang und Kontrolle über ihre natürlichen<br />
Ressourcen garantieren, die sie <strong>für</strong><br />
nachhaltige Entwicklung und ein Leben in<br />
angemessenem Wohlstand und Würde<br />
benötigen. Das schließt Rechte <strong>für</strong> indigene<br />
Völker über Gemeinschaftsgüter wie<br />
Wälder, Wasserressourcen, Fischbestände,<br />
Mineralien und genetische Ressoucen<br />
und lokale Gemeinschaften mit ein. Konzernaktivitäten,<br />
die diese Rechte beeinträchtigen<br />
könnten, dürfen nur nach<br />
vorheriger Beratung und in Einvernehmen<br />
mit den betroffenen Menschen stattfinden,<br />
die von den Konzernen gerecht entschädigt<br />
werden müssen. Insbesondere<br />
verbriefen solche Rechte den Menschen<br />
auch das Recht, Konzernaktivitäten auf<br />
ihrem Land vollständig zu untersagen,<br />
wenn diese Aktivitäten sozial- und umweltpolitische<br />
Ziele untergraben könnten.<br />
c.<br />
Konzerne müssen <strong>für</strong> ihr Verhalten und<br />
z.B. die Nichteinhaltung internationaler<br />
Standards im Sinne des Verursacherprinzips<br />
voll haftbar gemacht werden können.<br />
Von Konzernaktivitäten betroffene Menschen<br />
müssen die Möglichkeit erhalten,<br />
ihre Rechte einzufordern und notfalls<br />
Konzerne und ihre Muttergesellschaften in<br />
deren Heimatländern zu verklagen. Das<br />
erfordert unter anderem auch die Einführung<br />
eines internationalen Rechtshilfefonds.<br />
Auf diese Weise können Konzerne<br />
der Haftung nicht dadurch entgehen, dass<br />
sie einfach die Zuständigkeiten angerufener<br />
Gerichte anzweifeln. <br />
d.<br />
Nur wirksame Sanktionen auf nationaler<br />
wie internationaler Ebene garantieren die<br />
Einhaltung von Pflichten, <strong>Regeln</strong> und<br />
Standards. Neben Strafen finanzieller Art<br />
könnten solche Sanktionen auch die Auslistung<br />
aus nationalen Börsen oder die<br />
Verweigerung öffentlicher Kredite beinhalten.<br />
e.<br />
Pflichten und <strong>Regeln</strong> müssen generell<br />
nicht nur <strong>für</strong> die Konzerne gelten, sondern<br />
auch <strong>für</strong> die Personen in den Chefetagen,<br />
so dass konkrete Personen <strong>für</strong><br />
die Einhaltung von national und international<br />
gültigen sozialen und ökologischen<br />
Standards, Abkommen und Gesetzen<br />
haften. Gegenwärtige Umweltabkommen,<br />
die sich bisher nur auf Staaten bzw. Regierungen<br />
beziehen, würden damit auch<br />
auf Konzerne und die verantwortlichen<br />
Personen anwendbar sein. Haftungsfragen<br />
müssen auch Schadensersatz und<br />
Ausgleichszahlungen <strong>für</strong> die Zerstörung,<br />
Beeinträchtigung oder Sanierung von<br />
Ökosystemen berücksichtigen.<br />
f.<br />
Konzerne müssen regelmäßig Berichte<br />
über Einhaltung und Übertretung von<br />
Sozial- und Umweltstandards vorlegen,<br />
die von unabhängiger Seite überprüft<br />
werden können. Konzernaktivitäten müssen<br />
im Einvernehmen mit der betroffenen<br />
Bevölkerung stehen. Das erfordert volle<br />
Transparenz über Planungen und mögliche<br />
soziale und ökologische Auswirkungen<br />
und den ungehinderten Zugang zu<br />
Informationen auch in der Vorbereitung<br />
von Umweltverträglichkeitsprüfungen.<br />
g.<br />
Nur mit einer starken, internationalen<br />
Struktur mit rigorosen und unabhängigen<br />
Umsetzungs- und Kontrollmechanismen<br />
lassen sich die vorschlagenen Bestandteile<br />
eines Regimes durchsetzen. Der Internationale<br />
Strafgerichtshof könnte zu<br />
einem unabhängigen Schiedsgericht <strong>für</strong><br />
Konzernverbrechen an ökologischen,<br />
sozialen und Menschenrechten erweitert<br />
werden. <br />
Gastautor: Jan Kowalzig, BUND<br />
Kontakt <br />
• Rechte <strong>für</strong> Menschen,<br />
<strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> Konzernriesen<br />
BUND, Daniel Mittler, Jan Kowalzig,<br />
Referat Internationale Umweltpolitik,<br />
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin<br />
Tel. 030 / 275864-68, Fax -40<br />
eMail: daniel.mittler@bund.net<br />
Internet: www.bund.net<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 7
Freiwillige Selbstverpflichtungen <br />
Selbstverpflichtungen der<br />
Wirtschaft und ihre Grenzen<br />
Skepsis überwiegt in der Debatte über<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
Die meisten Nichtregierungsorganisationen<br />
(NGO) und Gewerkschaften waren<br />
stets skeptisch gegenüber freiwilligen<br />
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft.<br />
Diese Skepsis hat ihre Ursachen nicht in<br />
der ideologischen Ablehnung privater<br />
Eigeninitiative und einer blinden Staatsgläubigkeit.<br />
Sie gründet vielmehr in den<br />
Erfahrungen mit der alltäglichen Praxis<br />
vieler <strong>Unternehmen</strong>. Allzu oft besteht bis<br />
heute eine erhebliche Kluft zwischen den<br />
verbalen Verpflichtungen der <strong>Unternehmen</strong><br />
zu ökologischem und sozialem Handeln<br />
und den realen Auswirkungen ihrer<br />
Aktivitäten auf Menschen und Umwelt. Der<br />
Liste von "best-practice"-Beispielen steht<br />
eine Liste von "worst-practice"-Beispielen<br />
gegenüber.<br />
Zielkonflikt der Wirtschaft zwischen<br />
kurz- und langfristigen Interessen<br />
Die Hoffnung auf das freiwillige Engagement<br />
der <strong>Unternehmen</strong> basiert auf dem<br />
Missverständnis, dass die freiwillige Verwirklichung<br />
sozialer, ökologischer und<br />
menschenrechtlicher Standards automatisch<br />
im Interesse der <strong>Unternehmen</strong> und<br />
ihrer Eigentümer liegt. Dies ist angesichts<br />
des globalisierten Wettbewerbsdrucks,<br />
dem viele <strong>Unternehmen</strong> ausgesetzt sind,<br />
und der wachsenden Macht institutioneller<br />
Anleger mit ihren hohen Renditeerwartungen,<br />
keineswegs der Fall. Es existiert in<br />
den <strong>Unternehmen</strong>sstrategien vielmehr ein<br />
Zielkonflikt zwischen den kurzfristigen<br />
wirtschaftlichen und den langfristigen<br />
gesellschaftlichen Interessen - mit anderen<br />
Worten ein Zielkonflikt zwischen der<br />
Maximierung des "Shareholder Value" und<br />
des "Stakeholder Value". Angesichts<br />
abstürzender Aktienkurse und weltweiter<br />
Rezessionstendenzen behalten in diesem<br />
Konflikt die Shareholder meist - und mikroökonomisch<br />
durchaus rational - die<br />
Oberhand. <br />
8 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
NGO-Kriterienkatalog <strong>für</strong> freiwillige<br />
Selbstverpflichtungen<br />
Dennoch lehnen manche NGOs freiwillige<br />
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft nicht<br />
grundsätzlich ab. In einer gemeinsamen<br />
Stellungnahme an die UN-Kommission <strong>für</strong><br />
nachhaltige Entwicklung (CSD) listete eine<br />
Gruppe von Umwelt- und Entwicklungs-<br />
NGOs einen Katalog von Kriterien auf, die<br />
erfüllt sein müssen, damit freiwillige<br />
Selbstverpflichtungen "einen positiven<br />
Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung<br />
leisten” 1 . Der Katalog enthält folgende<br />
sieben Punkte:<br />
Substanz<br />
Der Text muss in Sprache und Zielsetzung<br />
klar und nicht verwässert sein, er muss<br />
sich auf die zentralen Themen und nicht<br />
auf unwichtige Details konzentrieren, und<br />
er darf keine Doppeldeutigkeiten und<br />
Schlupflöcher enthalten.<br />
Partizipation<br />
Alle betroffenen ”Stakeholder” müssen<br />
am Prozess beteiligt werden.<br />
Motivation<br />
Der Text muss ausreichende Anreize<br />
enthalten, um die freiwillige Erfüllung der<br />
Verpflichtungen zu gewährleisten.<br />
Integration<br />
Es muss sichergestellt sein, dass <strong>Unternehmen</strong><br />
soziale und ökologische Werte in<br />
ihren Firmenzielen verankern und in den<br />
Instrumenten der Erfolgskontrolle berücksichtigen.<br />
Transparenz<br />
Es muss sichergestellt sein, dass Informationen<br />
über die Produkte und Produktionsverfahren<br />
eines <strong>Unternehmen</strong>s in<br />
angemessenem Umfang rechtzeitig veröffentlicht<br />
werden.<br />
Unabhängige Verifizierung<br />
Die Verwirklichung des Kodex muss von<br />
unabhängiger Seite überprüft werden.<br />
Verantwortlichkeit/<br />
Rechenschaftspflicht<br />
In dem Kodex müssen Sanktionsmechanismen<br />
gegenüber Firmen, die den Kodex<br />
konsequent verletzen, verankert sein. <br />
1 Vgl. CSD (1998), para. 26.<br />
Innerbetriebliche Verhaltenskodizes<br />
unzureichend<br />
Beurteilt man die innerbetrieblichen Verhaltenskodizes<br />
der <strong>Unternehmen</strong> anhand<br />
dieses Kriterienkataloges, ist festzustellen,<br />
dass kein einziger den Autoren bekannter<br />
Kodex alle sieben Kriterien erfüllt.<br />
In der Regel sind weder die Partizipation<br />
der Betroffenen noch eine unabhängige<br />
Verifizierung vorgesehen. Die Erwartung,<br />
dass ein <strong>Unternehmen</strong> bei Nichteinhaltung<br />
eines Kodex sich selbst Sanktionen auferlegt,<br />
wäre absurd. Konsequenterweise<br />
nutzen NGOs und Gewerkschaften innerbetriebliche<br />
Verhaltenskodizes als Referenzrahmen<br />
in der Regel nicht. Eine positive<br />
Rolle können diese Formen der<br />
Selbstverpflichtung allenfalls als Instrument<br />
der innerbetrieblichen Bewusstseinsbildung<br />
spielen.<br />
Multistakeholder-Ansätze werden<br />
verstärkt eingesetzt<br />
Immer mehr <strong>Unternehmen</strong> sehen den<br />
begrenzten Nutzen der "ersten Generation"<br />
von unilateralen Selbstverpflichtungen<br />
- nicht zuletzt <strong>für</strong> die eigene Öffentlichkeitsarbeit<br />
- und konzentrieren sich<br />
inzwischen auf weitergehende Initiativen<br />
mit stärkerer Legitimationskraft. Dazu<br />
zählen in erster Linie die sogenannten<br />
Multistakeholder-Ansätze, die in den<br />
letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden<br />
geschossen sind. Bei diesen Modellen<br />
werden Gewerkschaften, Umwelt- und<br />
Menschenrechtsgruppen und andere<br />
Akteure der Zivilgesellschsft beteiligt. Aber<br />
auch sie weisen eine Reihe struktureller<br />
Schwächen und Grenzen auf.
Strukturelle Schwächen der<br />
Multistakeholder-Ansätze:<br />
a. Begrenzte Zahl<br />
Trotz des Booms der letzten Jahre ist die<br />
Zahl der Initiativen und der beteiligten<br />
<strong>Unternehmen</strong> verglichen mit ihrer weltweiten<br />
Zahl gering. Die UNCTAD 2 schätzt die<br />
Zahl transnationaler <strong>Unternehmen</strong> auf<br />
60.000, die ihrer Tochterfirmen auf über<br />
700.000. Sieht man von den relativ weit<br />
verbreiteten Umweltmanagementsystemen<br />
der ISO-14000-Serie ab, sind an den<br />
Multistakeholder-Initiativen insgesamt nur<br />
einige hundert <strong>Unternehmen</strong> beteiligt.<br />
Zumeist sind es <strong>Unternehmen</strong>, die in<br />
besonderem Maße auf Konsumentendruck<br />
reagieren (z.B. Kaufhausketten, Sportartikelindustrie),<br />
deren Produktion erhebliche<br />
Risiken birgt und die daher besonders im<br />
öffentlichen Rampenlicht stehen (z.B.<br />
Chemieindustrie), oder in denen Arbeitnehmerinteressen<br />
besonders gut gewerkschaftlich<br />
organisiert sind (z.B. Volkswagen).<br />
Die überwiegende Mehrheit der<br />
<strong>Unternehmen</strong> ist an Multistakeholder-<br />
Initiativen nicht beteiligt.<br />
b. Begrenzte Beteiligung<br />
Einzelne NGOs und Gewerkschaften spielen<br />
innerhalb von Multistakeholder-Initiativen<br />
eine herausragende Rolle, beispielsweise<br />
der WWF beim Marine Stewardship<br />
Council (MSC) oder die Internationalen<br />
Gewerkschaftsdachverbände bei<br />
den Globalen Rahmenabkommen mit<br />
einzelnen <strong>Unternehmen</strong>. Insgesamt ist<br />
aber sowohl die Breite als auch die Quantität<br />
zivilgesellschaftlicher Mitwirkung in<br />
den Initiativen begrenzt. In den meisten<br />
Initiativen sind nur relativ wenige NGOs<br />
und Gewerkschaften beteiligt. Zivilgesellschaftliche<br />
Gruppen aus Entwicklungsländern<br />
sind in fast allen Fällen unterrepräsentiert.<br />
In manchen Initiativen, wie den<br />
Globalen Rahmenabkommen, ist die Beteiligung<br />
von NGOs und lokalen Gruppen von<br />
vornherein gar nicht vorgesehen. <br />
2 United Nations Conference on Trade<br />
and Development<br />
c. Begrenzter Blickwinkel<br />
So selektiv wie die Beteiligung zivilgesellschaftlicher<br />
Gruppen ist auch der thematische<br />
Fokus der einzelnen Initiativen. Die<br />
einen haben vor allem ökologische Aspekte<br />
im Blick (z.B. ISO, MSC), die anderen<br />
konzentrieren sich auf die Verwirklichung<br />
der Kernarbeitsnormen der Internationalen<br />
Arbeitsorganisation ILO (z.B. SA<br />
8000, Globale Rahmenabkommen). Damit<br />
reflektieren die Initiativen in der Regel nur<br />
Teilaspekte unternehmerischer Verantwortung<br />
und nicht einen kohärenten<br />
Ansatz nachhaltiger Entwicklung, der<br />
ökologische, soziale, menschenrechtliche<br />
und ökonomische Ziele gleichermaßen<br />
umfasst. Die Initiativen entsprechen gelegentlich<br />
eher einem Ansatz von "corporate<br />
accountability à la carte". Das heißt, die<br />
<strong>Unternehmen</strong> picken sich die Verantwortungsbereiche<br />
heraus, in denen es ihnen<br />
am wenigsten weh tut Zugeständnisse zu<br />
machen. Aber die umweltfreundliche<br />
Produktion von Landminen kann ebenso<br />
wenig einem umfassenden Verständnis<br />
von <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung entsprechen<br />
wie die Herstellung eines 20-<br />
Liter-Autos, auch wenn sie ohne Kinderarbeit<br />
erfolgt.<br />
d. Begrenzte Überwachung<br />
Die Einhaltung der freiwilligen Selbstverpflichtungen<br />
wird im Rahmen von Multistakeholder-Initiativen<br />
in sehr unterschiedlichem<br />
Umfang überwacht. Während<br />
manche Initiativen die Zertifizierung und<br />
das Auditing durch kommerzielle Firmen<br />
vorsehen (z.B. Forest Stewardship Council,<br />
SA 8000), beschränken sich andere<br />
auf die innerbetriebliche Kontrolle (z.B.<br />
einige Globale Rahmenabkommen), und<br />
manche verzichten auf eine Überwachung<br />
vollständig (z.B. die Global Reporting<br />
Initiative). Der Einsatz kommerzieller<br />
Audit- und Zertifizierungsfirmen bei der<br />
Überwachung ökologischer, sozialer und<br />
menschenrechtlicher Standards wird von<br />
NGOs skeptisch beurteilt. Aber die NGOs<br />
selbst haben meist nicht die personellen,<br />
technischen und finanziellen Kapazitäten,<br />
um die Einhaltung von <strong>Unternehmen</strong>spflichten<br />
systematisch zu überwachen. Mit<br />
der vielgepriesenen Wachhund-Funktion<br />
sind sie überfordert. Effektiver sind möglicherweise<br />
Beschwerdeverfahren ("complaints-based-systems"),<br />
die aber nicht<br />
ohne eine unabhängige Instanz, die die<br />
Beschwerden entgegen nimmt und beurteilt<br />
(Schiedsgericht o.ä.), und wirksame<br />
Sanktionsmechanismen auskommen. Über<br />
beides verfügen Multistakeholder-Initiativen<br />
in der Regel nicht. <br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 9
Freiwillige Selbstverpflichtungen <br />
Mögliche Stärke: Trendsetter-Funktion<br />
Im positiven Sinne können Multistakeholder-Initiativen<br />
Trendsetter-Funktion haben,<br />
dass heißt in der Verpflichtung der<br />
beteiligten <strong>Unternehmen</strong> auf soziale,<br />
ökologische und menschenrechtliche<br />
Standards über die bestehenden gesetzlichen<br />
<strong>Regeln</strong> hinausgehen. Aber erst wenn<br />
alle <strong>Unternehmen</strong> dem gesetzten Trend<br />
folgen, d.h. "best practice" zur "normal<br />
practice" wird, kann eine positive Breitenwirkung<br />
erzielt werden. Aber spätestens<br />
hier sind die Grenzen der Freiwilligkeit<br />
erreicht. Denn dies geschieht erfahrungsgemäß<br />
nicht freiwillig, sondern nur, wenn<br />
staatliche oder zwischenstaatliche Institutionen<br />
die erforderlichen <strong>Regeln</strong> setzen.<br />
US-Studie fordert stärkere politische<br />
Einmischung<br />
Zu diesem Urteil kommt auch eine Untersuchung<br />
des California Global Corporate<br />
Accountability Project, das auf der Grundlage<br />
von Fallstudien über die Öl- und<br />
Hightech-Industrie eine "neue politische<br />
Agenda <strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung"<br />
("A New Policy Agenda for Corporate<br />
Accountability") formuliert. Darin heißt<br />
es: 3<br />
"Best Practice isn’t Good Enough: Public<br />
Policy is Needed - The case study lessons<br />
point to two broad conclusions. First,<br />
individual companies can do much on a<br />
voluntary basis to improve their own<br />
environmental and social commitment and<br />
performance. The performance span<br />
between leading companies, especially<br />
those committed to best practice, and<br />
lagging companies, is substantial. Second,<br />
without change in the policy frameworks<br />
that set rules and determine market incentives<br />
for all players, voluntary initiatives<br />
can go only so far. They cannot fully<br />
resolve the human and labor rights dilemmas<br />
that multinationals face in a highly<br />
differentiated global economy, nor deliver<br />
broad social objectives such as sustainability<br />
at home or abroad. Without complementary<br />
policies that change market<br />
incentives and generate a new, common<br />
floor for corporate social obligation, voluntary<br />
initiatives will generate limited and<br />
incremental change. At the macro level,<br />
and often the micro level as well, best<br />
practice is not good enough.” <br />
3 Natural Heritage Institute et al. (Hg.)<br />
(2002), S. 158.<br />
10 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Beispiel OECD<br />
Die OECD-Leitsätze <strong>für</strong> multinationale<br />
<strong>Unternehmen</strong> (siehe Seite 15) zeigen, in<br />
welche Richtung internationale <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung gehen können.<br />
Sie wurden von Regierungen verabschiedet<br />
und sind <strong>für</strong> diese verbindlich.<br />
Sie gelten <strong>für</strong> alle <strong>Unternehmen</strong> mit Sitz in<br />
den 33 Unterzeichnerstaaten der Leitsätze.<br />
Sie umfassen ein breites Themenspektrum,<br />
das ökologische und arbeitsrechtliche<br />
Fragen einschließt. Und sie<br />
verfügen über einen, wenn auch rudimentären,<br />
Beschwerdemechanismus. Sie<br />
haben aber auch gravierende Schwächen:<br />
Die <strong>Unternehmen</strong>spflichten sind, etwa im<br />
Umweltbereich, sehr vage formuliert; das<br />
Beschwerdeverfahren hängt von der<br />
Kooperationsbereitschaft und dem guten<br />
Willen der zuständigen Nationalen Kontaktstellen<br />
ab; Sanktions- und Entschädigungsverfahren<br />
sind bei Verletzung der<br />
Leitsätze nicht vorgesehen.<br />
Beispiel UN: Draft Norms<br />
Die so genannten Draft Norms der UN-<br />
Unterkommission zur Förderung und zum<br />
Schutz der Menschenrechte (siehe Seite<br />
17-20) haben das Potenzial, in Inhalt und<br />
Grad der Verbindlichkeit über die Leitsätze<br />
hinauszugehen. Sie können manche<br />
Schwächen der Leitsätze beheben, insbesondere<br />
wenn sie mit nationalen Rechtsinstrumenten<br />
verknüpft und durch internationale<br />
Instrumente, wie ein internationales<br />
Umwelthaftungsrecht, ergänzt würden.<br />
Derzeit kommt der Entwurf dieser<br />
Normen den Forderungen von NGOs und<br />
Gewerkschaften nach verbindlichen internationalen<br />
<strong>Unternehmen</strong>sregeln am<br />
nächsten. Zugleich steht er im Einklang<br />
mit dem Beschluss des Johannesburg-<br />
Gipfels, die Verantwortlichkeiten und<br />
Pflichten von <strong>Unternehmen</strong> ("corporate<br />
responsibility and accountability") u.a.<br />
durch die Entwicklung zwischenstaatlicher<br />
Abkommen und internationale Initiativen<br />
aktiv zu fördern. 4 <br />
4 Vgl. UN-Dok. A/CONF.199/20, Annex,<br />
para. 49.<br />
Mehr-Ebenen-Strategie erforderlich<br />
Aus ihren bisherigen Erfahrungen mit<br />
<strong>Unternehmen</strong>saktivitäten, der Anwendung<br />
freiwilliger Selbstverpflichtungen und dem<br />
Engagement der Regierungen in diesem<br />
Bereich haben NGOs die Konsequenzen<br />
gezogen. Bei internationalen Treffen und<br />
Strategiedebatten, wie zuletzt während<br />
des Weltsozialforums in Porto Alegre,<br />
zeichnete sich <strong>für</strong> ihre zukünftige Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
eine "Mehr-Ebenen-<br />
Strategie" ab:<br />
a. Verstärkte Unterstützung lokaler<br />
Gruppen<br />
Lokale Gruppen müssen in ihrer Auseinandersetzung<br />
mit transnationalen <strong>Unternehmen</strong><br />
unterstützt werden. Dies schließt traditionelle<br />
Formen der Öffentlichkeitsarbeit und<br />
des "naming and shaming" bis hin zu<br />
Boykotts ebenso ein wie die aktivere<br />
Nutzung von Beschwerdemöglichkeiten,<br />
etwa im Rahmen der OECD-Leitsätze, und<br />
von nationalen Klageverfahren. Über die<br />
"extraterritoriale" Anwendung nationaler<br />
Rechtsinstrumente gegenüber Transnationalen<br />
Konzernen (TNC) gibt es vor allem<br />
in Europa bisher kaum Erfahrungen. Eine<br />
Grundvoraussetzung da<strong>für</strong> ist der bessere<br />
weltweite Informationsfluss zwischen den<br />
Gruppen in Nord und Süd.<br />
b. Verbindliche <strong>Regeln</strong> auf nationaler<br />
und regionaler Ebene<br />
Ein verstärktes Eintreten <strong>für</strong> verbindliche<br />
<strong>Unternehmen</strong>sregeln auf der nationalen<br />
und regionalen Ebene ist notwendig.<br />
Beispiele sind der britische Vorschlag <strong>für</strong><br />
ein Gesetz zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
("Corporate Responsibility Bill") aus<br />
dem Jahr 2002 und der Vorschlag des<br />
Europäischen Parlaments <strong>für</strong> einen Verhaltenskodex<br />
<strong>für</strong> in Entwicklungsländern<br />
tätige europäische <strong>Unternehmen</strong> 5 . <br />
5 Europäisches Parlament: Entschließung<br />
zu <strong>EU</strong>-Normen <strong>für</strong> in Entwicklungsländern<br />
tätige europäische <strong>Unternehmen</strong><br />
im Hinblick auf die Entwicklung eines<br />
europäischen Verhaltenskodex, 15. Januar<br />
1999.
c. Trendsetter positiv verstärken<br />
Die Weiterentwicklung internationaler<br />
"Trendsetter-Initiativen" zwischen fortschrittlichen<br />
<strong>Unternehmen</strong>, NGOs und<br />
Gewerkschaften sollte forciert werden, um<br />
dadurch die Latte <strong>für</strong> alle <strong>Unternehmen</strong><br />
höher zu schrauben. Dies kann insbesondere<br />
dort sinnvoll sein, wo Regierungen<br />
sich wechselseitig blockieren und kurzfristige<br />
zwischenstaatliche Lösungen nicht in<br />
Sicht sind.<br />
d. International vernetzen<br />
Die internationale Kampagne <strong>für</strong> verbindliche<br />
<strong>Unternehmen</strong>sregeln muss fortgesetzt<br />
werden. Viele NGOs und Gewerkschaften<br />
sehen die Verankerung verbindlicher<br />
<strong>Unternehmen</strong>sregeln auf der globalen<br />
Ebene weiterhin als ein zentrales Ziel<br />
an. Die Draft Norms der UN-Unterkommission<br />
können da<strong>für</strong> einen Ausgangspunkt<br />
bilden. Neben den langfristigen Forderungen<br />
nach einer Rahmenkonvention zur<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung (Framework<br />
Convention on Corporate Accountability)<br />
wird es in nächster Zukunft vor allem<br />
darum gehen, Fortschritte in Teilbereichen<br />
zu erzielen, z.B. bezüglich eines internationalen<br />
Umwelthaftungsrechts oder der<br />
Forderung nach verbindlicher Offenlegung<br />
transnationaler Zahlungsflüsse von <strong>Unternehmen</strong><br />
an Regierungen, wie sie die<br />
Publish-What-You-Pay-Kampagne erhebt.<br />
Verantwortung geht über Umwelt,<br />
Arbeit und Menschenrechte hinaus<br />
In den internationalen Debatten von NGOs<br />
wurde aber auch deutlich, dass die Forderung<br />
nach stärkerer <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
sich zukünftig nicht auf den<br />
Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsbereich<br />
reduzieren darf. Zivilgesellschaftliche<br />
Organisationen müssen verstärkt auch<br />
andere Implikationen transnationaler<br />
Wirtschaftsaktivitäten in den Blick nehmen.<br />
Denn TNCs haben z.B. erheblichen Einfluss<br />
auf die Steuerpolitik und die Einnahmesituation<br />
von Staaten. (Mikroökonomisch<br />
durchaus rationales) Transfer-pricing<br />
und Gewinnverlagerungen in<br />
Niedrigsteuerländer reduzieren die<br />
Staatseinnahmen und können damit die<br />
staatliche Handlungsfähigkeit (z.B. im<br />
Umwelt- und Sozialbereich) erheblich<br />
einschränken. <br />
Ausländische Investoren haben aber auch<br />
Einfluss auf die Zahlungsbilanz eines<br />
Landes, auf seine Industriepolitik und<br />
selbst auf die öffentliche Meinung und die<br />
Politik insgesamt (z.B. durch Korruption<br />
und Verflechtungen zwischen Wirtschaft<br />
und Politik, Beispiel: Enron). Freiwillige<br />
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft befassen<br />
sich mit diesen "Nebeneffekten"<br />
ihrer Aktivitäten in der Regel nicht. Und<br />
auch die Kampagnen von NGOs und Gewerkschaften<br />
haben sie in der Vergangenheit<br />
zu wenig beachtet, da sie meist<br />
nicht so offensichtlich sind, wie direkte<br />
Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverletzungen.<br />
NGOs müssen mehr Druck machen!<br />
Das Eintreten <strong>für</strong> internationale <strong>Unternehmen</strong>sregeln<br />
"jenseits der Freiwilligkeit"<br />
erfordert aber auch eine Schwerpunktverlagerung<br />
in den Strategien von NGOs und<br />
Gewerkschaften. Die zentrale Herausforderung,<br />
vor der zivilgesellschaftliche<br />
Organisationen gegenwärtig stehen, hat<br />
Peter Utting klar formuliert: 6<br />
"At present, much of the social force that<br />
is promoting corporate responsibility is<br />
channelling its energies and resources<br />
towards corporate self-regulation and civil<br />
regulation. Until greater public concern<br />
and civil society activism puts pressure on<br />
political parties, governments and multilateral<br />
organizations to support other regulatory<br />
approaches, it is unlikely that significant<br />
developments in this area will be<br />
made.” <br />
Gastautor: Jens Martens, WEED<br />
Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter Auszug<br />
aus: Kerkow/Martens/Schmitt (2003):<br />
Die Grenzen der Freiwilligkeit. Handlungsmöglichkeiten<br />
und Erfahrungen von NGOs<br />
und Gewerkschaften bei der Anwendung<br />
freiwilliger Selbstverpflichtungen der Wirtschaft.<br />
Bonn/Berlin (WEED-Arbeitspapier)<br />
6 Utting (2002), S. 116.<br />
Kontakt <br />
• Selbstverpflichtungen der<br />
Wirtschaft und ihre Grenzen<br />
Jens Martens, WEED, Bertha-von-<br />
Suttner-Platz 13, 53111 Bonn<br />
Tel. 0228-766130, Fax -696470<br />
eMail: jens.martens@weed-online.org<br />
Internet: weed-online.org<br />
Literatur:<br />
DGB-Bildungswerk/terre des hommes/<br />
WEED (Hg.) (2003): Auslandsinvestitionen<br />
und <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
zwischen ökonomischer Liberalisierung<br />
und sozial-ökologischer Regulierung.<br />
Düsseldorf/Osnabrück/Berlin.<br />
International Council on Human Rights<br />
Policy (2002): Beyond Voluntarism.<br />
Human Rights and the Developing International<br />
Legal Obligations of Companies.<br />
Genf.<br />
Natural Heritage Institute et al. (Hg.)<br />
(2002): Beyond Good Deeds. Case<br />
Studies and a New Policy Agenda for<br />
Corporate Accountability. Berkeley.<br />
NGLS/UNRISD (2002): Voluntary Approaches<br />
to Corporate Responsibility.<br />
Genf (NGLS Development Dossier).<br />
CSD (1998): Responsible Entrepreneurship.<br />
NGO Perspectives and Recommendations.<br />
New York (Background<br />
Paper No. 3).<br />
UNCTAD (1996): Self-Regulation of<br />
Environmental Management. An analysis<br />
of guidelines set by world industry<br />
associations for their member firms.<br />
New York/ Genf (UNCTAD/DTCI/29, Environmental<br />
Series No. 5).<br />
UN Subcommission on the Promotion<br />
and Protection of Human Rights<br />
(2002): Draft Norms on Responsibilities<br />
of Transnational Corporations and<br />
Other Business Enterprises with regard<br />
to Human Rights. Genf (UN Dok.<br />
E/CN.4/Sub.2/2002/13, 14.8.2002).<br />
Utting, Peter (2002): Regulating Business<br />
via Multistakeholder Initiatives:<br />
A Preliminary Assessment. In: NGLS/<br />
UNRISD (Hg.) (2002), S. 61-130<br />
(s.o.).<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 11
Freiwillige Selbstverpflichtungen <br />
Freiwillige Initiativen - kein<br />
Ersatz <strong>für</strong> verbindliche <strong>Regeln</strong><br />
Friends of the Earth lehnen freiwillige<br />
Initiativen ab<br />
Der BUND und sein internationaler Dachverband<br />
Friends of the Earth International<br />
lehnen freiwillige Initiativen als Ersatz <strong>für</strong><br />
verbindliche <strong>Regeln</strong> ab. Derartige Initiativen<br />
seitens der Wirtschaft dienen dazu,<br />
die Einführung von klaren <strong>Regeln</strong> zu<br />
verzögern oder zu verhindern. Die freiwilligen<br />
"Forestry Principles" des Erdgipfels<br />
in Rio de Janeiro von 1992 beispielsweise<br />
führten zu langen Debatten über Aufbau<br />
und Arbeitsweise eines Stakeholder-<br />
Forums, das seine erste Zusammenkunft<br />
neun (!) Jahre später hatte. Freiwillige<br />
Selbstverpflichtungen der Industrie retten<br />
nicht die Erde. Sie sind bestenfalls wirkungslos<br />
und können sogar negative<br />
Auswirkungen haben.<br />
Das sagt jedenfalls die OECD in einer<br />
neuen Studie, die anhand mehrerer Beispiele<br />
außerdem herausfand, dass die<br />
Kombination von freiwilligen Initiativen mit<br />
anderen Instrumentarien wie zum Beispiel<br />
Abgaben, Steuern, Verboten oder Subventionen<br />
sogar häufig zur Abschwächung<br />
dieser anderen Instrumentarien führe.<br />
(<strong>EU</strong>R 06.03, S. 10.)<br />
Ungenaue Formulierungen können frei<br />
interpretiert werden<br />
Damit alles bleibt wie es ist, sind Ziele,<br />
Maßnahmen und Standards von Initiativen<br />
freiwilliger Selbstverpflichtung zunächst<br />
einmal sehr schwach. So muss sich niemand<br />
anstrengen, um sie einzuhalten.<br />
Dazu geraten die Formulierungen absichtlich<br />
möglichst ungenau und sind also<br />
offen <strong>für</strong> Interpretation und vage Verpflichtungen.<br />
Worauf sich die Beteiligten<br />
schnell einigen können, kommt wohlklingend<br />
in die Vereinbarung; alles übrige,<br />
darunter die wirklich problematischen<br />
Themen, bleibt unberührt oder wird in<br />
unscharfe Absichtserklärungen verpackt.<br />
<br />
12 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke<br />
Sind diese Absichtserklärungen einmal<br />
vereinbart, bleibt wenig Notwendigkeit<br />
und Motivation zurück, vereinbarte Ziele<br />
zu verfolgen und Standards einzuhalten.<br />
Vielmehr geht es darum, die mit der Initiative<br />
verbundenen Kosten gering zu halten<br />
und das <strong>Unternehmen</strong> in der Öffentlichkeit<br />
möglichst gut darzustellen. Schönklingende,<br />
aber wirkungslose Vereinbarungen<br />
feierlich zu unterzeichnen und sich werbewirksam<br />
damit zu brüsten, sind eine<br />
beliebte Alternative zu wirklichen Verhaltensänderungen<br />
der Konzerne - eine in<br />
Deutschland allerdings wenig erfolgreiche<br />
Strategie: nur 7% der Bundesbürger<br />
halten Großunternehmen bei deren Bemühen<br />
um Umweltschutz <strong>für</strong> vertrauenswürdig.<br />
PR-Strategien wichtiger als inhaltliche<br />
Verpflichtung<br />
Anstatt sich einen guten Ruf <strong>für</strong> ökologisches<br />
Verhalten zu verdienen, bauen<br />
multinationale Konzerne häufig auf mangelnde<br />
Transparenz der Initiativen, die es<br />
der Willkür der Konzerne anheim stellt, ob<br />
und in welchem Umfang Informationen<br />
über Fortschritte bei der Erreichung oder<br />
Einhaltung von Standards veröffentlicht<br />
werden. Nicht eine Initiative, sondern die<br />
PR-Strategien gibt vor, wie die Einhaltung<br />
der Vereinbarungen <strong>für</strong> die Öffentlichkeit<br />
nachvollziehbar dokumentiert wird. <br />
Statt einklagbarer Rechte Debatten<br />
über weichen Konsens<br />
Der Kern freiwilliger Initiativen ist auch<br />
gleichzeitig der größte Schwachpunkt: sie<br />
sind nicht nur nicht kontrollierbar, sondern<br />
auch nicht einklagbar, und wer sie<br />
nicht einhält, hat nicht mit Sanktionen zu<br />
rechnen. Das schränkt die Möglichkeiten<br />
betroffener Menschen ein, sich gegen die<br />
Konzernaktivitäten zu wehren oder über<br />
demokratisch etablierte Wege Konzerne<br />
zur Einhaltung der freiwilligen Vereinbarungen<br />
zu bewegen. Während Verordnungen<br />
und Gesetze Mechanismen enthalten,<br />
die es Betroffenen erlauben, sich bei<br />
Behörden zu beschweren, Klage zu erheben<br />
oder andere rechtsstaatliche Mittel<br />
anzuwenden, sehen die "Stakeholder<br />
Dialogues" vor, in langwierigen Debatten<br />
möglichst weiche Konsense herbeizuführen,<br />
anstatt radikale und notwendige<br />
Verhaltensänderungen des <strong>Unternehmen</strong>s<br />
zu erzwingen. Damit verschiebt sich die<br />
Kompetenz der Politikgestaltung von<br />
gewählten Regierungen hin zu den Konzernen.<br />
Unbequeme Stakeholder werden<br />
ausgeladen<br />
Das zeigt sich auch bei der Entwicklung<br />
freiwilliger Standards, <strong>für</strong> die die Definitionsmacht<br />
über Art und Umfang der behandelten<br />
Themen häufig bei den <strong>Unternehmen</strong><br />
legt, die dann auch darüber<br />
entscheiden, wen sie zu ihren "Stakeholder<br />
Dialogues" einladen - und wen nicht.<br />
Konsequenzen dieser "Stakeholder Dialogues"<br />
liegen ebenfalls häufig im Ermessen<br />
der Konzerne - nicht der betroffenen<br />
Menschen. Damit können die Konzerne<br />
Prozess und Ergebnis leicht manipulieren,<br />
um wenig tun zu müssen, sich aber andererseits<br />
nach außen hin als offen und in<br />
der Sache bemüht darstellen.
Ohne Verbindlichkeit keine<br />
Verhaltensänderung<br />
Globale und regionale ökologische Probleme<br />
lassen sich nur durch Maßnahmen<br />
bewältigen, die ökonomische, soziale und<br />
ökologische Aspekte in Einklang bringen<br />
(was u.a. heißt: wirtschaftliche Tätigkeiten<br />
müssen in sozialen und ökologischen<br />
Grenzen statt finden). Verbindliche <strong>Regeln</strong>,<br />
ökonomische Anreizinstrumente und<br />
Förderprogramme können sich dabei<br />
gegenseitig ergänzen. <strong>Regeln</strong> schreiben<br />
klare und verbindliche Standards fest,<br />
ökonomische Instrumente schaffen Anreize<br />
zur Verhaltensänderung, und ökologische<br />
Förderprogramme können Schwachstellen<br />
des Marktes überwinden.<br />
Freiwillige Selbstverpflichtungen allerdings<br />
können solche Instrumente der Politik<br />
bestenfalls ergänzen. Was nicht passieren<br />
darf: endlos über freiwillige Initiativen<br />
debattieren, während die eigentlichen,<br />
verbindlichen Instrumente, die die notwendigen<br />
Veränderungen im Verhalten<br />
von multinationalen Konzernen erzeugen<br />
könnten, nicht vorhanden sind. <br />
Gastautor: Jan Kowalzig, BUND<br />
Kontakt <br />
• Freiwillige Initiativen -<br />
kein Ersatz <strong>für</strong> verbindliche<br />
<strong>Regeln</strong><br />
Daniel Mittler, Jan Kowalzig, BUND,<br />
Referat Internationale Umweltpolitik,<br />
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin<br />
Tel. 030 / 275864-68, Fax -40<br />
eMail: daniel.mittler@bund.net<br />
Internet: www.bund.net<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 13
Internationale Vereinbarungen <br />
Die OECD-Leitsätze<br />
Ein sinnvolles Instrument zur<br />
Regulierung von <strong>Unternehmen</strong>?<br />
Die Weltwirtschaft wächst, immer mehr<br />
<strong>Unternehmen</strong> investieren im Ausland oder<br />
stehen in Geschäftsbeziehung mit ausländischen<br />
Firmen. Nicht immer zum Vorteil<br />
<strong>für</strong> die Menschen vor Ort. Besonders in<br />
Entwicklungsländern gibt es immer wieder<br />
Beispiele, wo sich ausländische <strong>Unternehmen</strong><br />
nicht an Mindestnormen halten.<br />
Internationale <strong>Regeln</strong> sind also erforderlich,<br />
damit nicht einzelne Länder gegeneinander<br />
ausgespielt werden. Da es noch<br />
keine weltweit verbindlichen Regelungen<br />
<strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong> gibt, werden verschiedene<br />
freiwillige Ansätze diskutiert. Ein<br />
wichtiges Instrument sind hier die OECD-<br />
Richtlinien <strong>für</strong> multinationale <strong>Unternehmen</strong>,<br />
zu deren Umsetzung sich die OECD-<br />
Länder verpflichtet haben. 7 Im Anschluss<br />
an die gescheiterten Verhandlungen <strong>für</strong><br />
ein multilaterales Investitionsabkommen<br />
(MAI) wurde dieser freiwillige Verhaltenskodex<br />
unter Mitarbeit auch von Nichtregierungsorganisationen<br />
(NGO) und Gewerkschaften<br />
überarbeitet. <br />
7 OECD-Leitsätze <strong>für</strong> multinationale <strong>Unternehmen</strong>:<br />
Regierungsempfehlungen<br />
<strong>für</strong> verantwortungsvolles Verhalten von<br />
<strong>Unternehmen</strong>. 1976 von der Organisation<br />
<strong>für</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
& Entwicklung (OECD) verabschiedet,<br />
2000 erweitert und überarbeitet. Enthalten<br />
Prinzipien und Verhaltensweisen<br />
<strong>für</strong> alle Bereiche unternehmerischen<br />
Handelns, u.a.: Offenlegung von Informationen,<br />
die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen,<br />
Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung,<br />
Verbraucherinteressen.<br />
Die Leitsätze beziehen sich auf die<br />
Menschenrechte, die ILO-Kernarbeitsnormen,<br />
das Prinzip der Nachhaltigkeit<br />
und das Vorsorgeprinzip. Sie gelten<br />
weltweit <strong>für</strong> alle multinationalen <strong>Unternehmen</strong><br />
aus den 37 Unterzeichnerstaaten<br />
- unabhängig davon, wo diese<br />
ihre geschäftlichen Aktivitäten entfalten.<br />
Umsetzungs- und Beschwerdemechanismus:<br />
Mit Unterzeichnung der Leitsätze<br />
verpflichtet sich jede Regierung zur<br />
Einrichtung einer "Nationalen Kontaktstelle"<br />
(meist im Wirtschaftsministerium),<br />
die bei Beschwerdefällen ggf. ein<br />
Vermittlungsverfahren einleitet.<br />
14 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Möglichkeiten und Grenzen der<br />
Leitsätze<br />
Im Vergleich zu anderen freiwilligen Instrumenten<br />
ist hervorzuheben, dass die<br />
OECD-Leitsätze sehr umfassend sind und<br />
sich auf eine Reihe von internationalen<br />
Abkommen wie die Kernarbeitsnormen<br />
der International Labour Organisation<br />
(ILO) und die Menschenrechte beziehen.<br />
Auch die Verantwortung <strong>für</strong> die Zulieferbetriebe<br />
wird erfasst. Insbesondere durch<br />
die Existenz eines Beschwerdemechanismus<br />
sind die Leitlinien auch <strong>für</strong> die NGOs<br />
und Gewerkschaften bedeutsam und<br />
werden in jüngster Zeit als ein Instrument<br />
zur Regulierung von <strong>Unternehmen</strong> angewandt.<br />
Bei den nationalen Kontaktstellen,<br />
die jedes Unterzeichnerland einrichten<br />
muss, können Verstöße gegen die Leitsätze<br />
vorgebracht werden. Der Kontaktpunkt<br />
prüft die Beschwerde, spricht bei<br />
tatsächlichem Verstoß gegen die OECD-<br />
Leitlinien die Konzernleitung darauf an,<br />
fordert eine Stellungnahme ein und soll<br />
sich um eine Schlichtung des Streits bemühen.<br />
Falls dies scheitert, muss offiziell<br />
bekannt gegeben werden, dass das<br />
betreffende <strong>Unternehmen</strong> gegen die<br />
Leitsätze verstoßen hat. Im Verhältnis zu<br />
juristischen Instrumenten ist der OECD-<br />
Beschwerdemechanismus relativ einfach<br />
und ohne finanzielle Risiken oder umfangreiches<br />
juristisches Fachwissen anwendbar.<br />
Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass die<br />
Leitsätze nicht bindend sind. Die Rechte<br />
der Konzerne allerdings sind selbstverständlich<br />
verbindlich festgelegt. Außerdem<br />
sind im Rahmen der Leitsätze keine Sanktionen<br />
vorgesehen. Einzig durch die öffentliche<br />
Erklärung der Kontaktstelle über<br />
eine Nichteinigung kann es zu einem<br />
sogenannten "naming and shaming"<br />
kommen. Zu bemängeln ist auch, wie vage<br />
die Verantwortung der <strong>Unternehmen</strong> in<br />
Bezug auf ihre Zulieferer einbezogen wird:<br />
"Wo praktikabel", sollen diese zur Einhaltung<br />
der Leitsätze angehalten werden.<br />
Zudem wird derzeit in der OECD diskutiert,<br />
diese Verantwortung nur auf Zulieferbeziehungen<br />
mit sogenanntem "investment<br />
nexus" zu beschränken. Das würde einen<br />
großen Bereich von Vertrags- und Einkaufsbeziehungen<br />
der <strong>Unternehmen</strong><br />
außer Acht lassen, die natürlich ebenso in<br />
den Verantwortungsbereich der Multis<br />
gehören. <br />
Vielfach hängt die Umsetzung der Leitsätze<br />
und die Bearbeitung von Beschwerdefällen<br />
enorm vom Engagement der einzelnen<br />
Kontaktstellen ab. Oft sind die Verfahren<br />
viel zu langatmig und zäh, kann es<br />
Monate dauern, bis entschieden wird, ob<br />
der Fall überhaupt angenommen ist. Wie<br />
dann das weitere Verfahren läuft und in<br />
welchem Stadium sich der Fall befindet, ist<br />
nicht selten auch <strong>für</strong> die Beschwerdeführer<br />
intransparent.<br />
Vorgebrachte Beschwerdefälle<br />
Weltweit gab es seit der Überarbeitung<br />
der Leitsätze bislang rund 40 Beschwerdefälle.<br />
Zwei Drittel wurden von Gewerkschaften<br />
vorgebracht - selbstverständlich<br />
vor allem Konflikte, bei denen es um<br />
Arbeitsbeziehungen geht -, ein Drittel sind<br />
NGO-Beschwerden, die sich auf Menschenrechtsverletzungen,Gewerkschaftsthemen<br />
und Umweltfragen beziehen.<br />
Fünf Fälle in Deutschland<br />
Im Bundeswirtschaftsministerium, wo die<br />
deutsche Kontaktstelle angesiedelt ist,<br />
liegen derzeit fünf Beschwerden gegen<br />
multinationale Konzerne vor: Gegen BP,<br />
TotalFinaElf, Adidas, die WestLB und die<br />
Continental AG. Alle diese in den vergangenen<br />
15 Monaten eingebrachten Beschwerden<br />
wurden von NGOs wie Greenpeace,<br />
Germanwatch oder der Clean<br />
Clothes Campaign vorgebracht. Drei dieser<br />
Fälle beziehen sich auf Umweltfragen,<br />
insbesondere geht es um Erdölförderung<br />
und -transport in Russland, in Ecuador<br />
oder von Georgien in die Türkei. Bei den<br />
Beschwerden gegen Continental und<br />
Adidas handelt es sich vor allem um problematische<br />
Arbeitsbeziehungen.<br />
Debatten um Anwendbarkeit und<br />
Zuständigkeit<br />
Die schon vor längerer Zeit vorgebrachten<br />
Fälle gegen TotalFinaElf (TFE) und Continental<br />
lösten eine Reihe von Diskussionen<br />
um die Anwendbarkeit der Leitsätze aus:<br />
Im erstgenannten Fall geht es um Umweltverschmutzung<br />
bei der Erdölförderung<br />
in Russland. Da TFE das Öl nur<br />
einkauft, jedoch nicht selbst fördert, wird<br />
von der deutschen Kontaktstelle eingeschätzt,<br />
dass hier keine Investitionsbeziehungen<br />
vorliegen und die Leitsätze nicht<br />
anwendbar sein.
Die NGOs argumentieren jedoch, dass hier<br />
langfristige Geschäftsbeziehungen und<br />
Abhängigkeiten vorliegen und außerdem<br />
die neuerliche Definition "investment<br />
nexus" eine Einschränkung der Leitsätze<br />
darstellt. Immerhin hat das Wirtschaftsministerium<br />
trotzdem zu einem Vermittlungsgespräch<br />
außerhalb des OECD-<br />
Rahmens eingeladen. Weitere Schritte<br />
sind jedoch nicht absehbar.<br />
Der andere schon seit mehr als einem<br />
Jahr anhängige Fall beklagt die Verletzung<br />
von Arbeitnehmerbeziehungen bei einer<br />
mexikanischen Tochterfirma des Reifenkonzerns<br />
Continental. Hier geht es vor<br />
allem um die Zuständigkeit der Kontaktstelle.<br />
Da Mexiko auch OECD-Mitglied ist,<br />
soll die Behandlung eigentlich dort erfolgen.<br />
Die mexikanische Kontaktstelle war<br />
jedoch mehrere Monate unbesetzt, die<br />
Informationen über den Fall wurden nicht<br />
an Nachfolger weiter gegeben und seit<br />
über einem Jahr kam kein Vermittlungsprozess<br />
zustande.<br />
Bei der faktischen Abhängigkeit armer<br />
Länder von reichen ausländischen Investoren<br />
(Deutschland ist Mexikos wichtigster<br />
<strong>EU</strong>-Wirtschaftspartner und trägt zu 5%<br />
des Bruttoinlandsproduktes bei) sind<br />
Szenarien vorstellbar, in denen machtlose<br />
Kontaktstellen in ökonomisch schwachen<br />
Staaten dem Wirken einflussreicher Multis<br />
nichts entgegenzusetzen haben. Eine<br />
Chance haben OECD-Beschwerden überhaupt<br />
nur, wenn sie im Heimatland des<br />
Konzerns vorgebracht werden, weil die<br />
Kontaktstellen mehr Handhabe besitzen<br />
und hier Imageverlust und öffentliche<br />
Aufmerksamkeit drohen.<br />
NGOs treiben Umsetzung voran<br />
Neben der Vorbringung von Beschwerdefällen<br />
bemühen sich NGOs auch durch<br />
Arbeit auf struktureller Ebene, die Umsetzung<br />
der Leitsätze zu testen und zu verbessern.<br />
In Deutschland haben sich NGOs<br />
zu einem Arbeitskreis zusammengefunden,<br />
um ihre Erfahrungen mit den Leitsätzen<br />
und Beschwerdefällen auszutauschen<br />
und das Agieren gegenüber der deutschen<br />
Kontaktstelle zu diskutieren. Nach<br />
längeren Bemühungen sind inzwischen<br />
auch NGO-Vertreter im Beratungsgremium<br />
der deutschen Kontaktstelle vertreten und<br />
arbeiten - hoffentlich künftig gleichberechtigt<br />
- gemeinsam mit Ministeriumsvertretern,<br />
Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften<br />
in einem Arbeitskreis. <br />
In anderen Ländern gibt es zum Teil<br />
ähnliche Konstruktionen. Es gibt jedoch<br />
auch eine Reihe von OECD-Ländern, in<br />
denen die Kontaktstelle aus drei oder vier<br />
Parteien besteht: In Frankreich, Dänemark<br />
oder Schweden sind Gewerkschaften und<br />
Wirtschaft in der Kontaktstelle vertreten;<br />
in Finnland und Chile arbeiten NGOs sogar<br />
direkt in der Kontaktstelle mit.<br />
"OECD-Watch" dient internationaler<br />
Vernetzung<br />
Um sich international besser auszutauschen<br />
und auf OECD-Ebene mehr Einfluss<br />
zu gewinnen, haben sich internationale<br />
NGOs im März 2003 zum Netzwerk<br />
"OECD-Watch" zusammengeschlossen.<br />
Neben dem Erfahrungsaustausch über<br />
Beschwerdefälle und das Funktionieren<br />
der einzelnen Kontaktpunkte geht es<br />
OECD-Watch um die Einbringung von<br />
NGO-Positionen in die Debatte der OECD -<br />
beispielsweise bei den jährlichen Treffen<br />
der Kontaktstellen in Paris (immer im<br />
Juni). Dabei wird die Anwendbarkeit der<br />
Leitsätze, z.B. bei Zulieferfragen, debattiert.<br />
Es finden auch Konsultationen zwischen<br />
OECD-Watch und Unternehmerverbänden,<br />
die im BIAC 8 zusammengeschlossen<br />
sind, sowie Gewerkschaften, die im<br />
TUAC 9 organisiert sind. Als Kommunikationsmedium<br />
wurde ein Newsletter initiert,<br />
der u.a. auf der Germanwatch-Homepage<br />
www.germanwatch.org bezogen werden<br />
kann.<br />
Fazit<br />
Von den seit der Überarbeitung der Leitsätze<br />
eingebrachten Beschwerdefällen<br />
wurden bislang erst die wenigsten abgeschlossen.<br />
In einigen Fällen konnte eine<br />
positive Entwicklung erreicht werden, viele<br />
ziehen sich jedoch viel zu lange hin. Insgesamt<br />
ist es noch zu verfrüht, eine endgültige<br />
Aussage über den Erfolg des<br />
Instruments abzugeben. Die NGOs werden<br />
die Umsetzung der Leitsätze weiterhin<br />
kritisch verfolgen und mit weiteren Beschwerdefällen<br />
die praktische Nutzbarkeit<br />
ausprobieren.<br />
Gastautorin: Cornelia Heydenreich,<br />
Germantwatch<br />
8 Business Industry Advisory Committee<br />
9 Trade Union Advisory Committee<br />
Kontakt <br />
• Die OECD-Leitsätze<br />
Cornelia Heydenreich, Koordinatorin<br />
der deutschen NGOs zu den OECD-<br />
Leitsätzen im Projekt "KodexWatch",<br />
Germanwatch, Ziegelstr. 30, 10117<br />
Berlin<br />
Tel.: 030 / 2888356-0, Fax -1<br />
eMail: heydenreich@germanwatch.org<br />
Internet:<br />
www.germanwatch.org/kodex.htm<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 15
Internationale Vereinbarungen <br />
Die "Draft Norms" der UN-<br />
Menschenrechtskommission<br />
Ein verbindliches Dokument zur<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
Entstehungsgeschichte<br />
Mit ihrer Resolution 1998/8 vom 20. August<br />
1998 ebnete die Unterkommission<br />
zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte<br />
- ein Gremium der jährlich im<br />
Frühjahr in Genf tagenden UN-Menschenrechtskommission<br />
- den Weg zur Einrichtung<br />
einer Arbeitsgruppe, die den Auftrag<br />
erhielt, Arbeitsmethoden und Aktivitäten<br />
Transnationaler <strong>Unternehmen</strong> zu untersuchen.<br />
Die aus fünf unabhängigen Experten<br />
aus fünf Kontinenten bestehende "UN<br />
Working Group on the Working Methods<br />
and Activities of Transnational Corporations"<br />
wurde <strong>für</strong> drei Jahre eingesetzt und<br />
erstattet der Unterkommission regelmäßig<br />
Bericht über ihre Arbeit.<br />
Mit der Resolution 2001/3 (bzw. der<br />
Entscheidung 2001/101) verlängerte die<br />
Unterkommission im August 2001 das<br />
Mandat der Arbeitsgruppe <strong>für</strong> weitere drei<br />
Jahre. Das Aufgabengebiet wurde in einigen<br />
Punkten erweitert.<br />
Die Arbeitsgruppe soll u.a. verbindliche<br />
Normen zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
formulieren und Möglichkeiten zu deren<br />
Überwachung analysieren, mögliche Sanktionen<br />
bei Nichteinhaltung eingeschlossen.<br />
Des weiteren gehört es zu den Aufgaben<br />
des Gremiums, eine Liste der verschiedenen<br />
bestehenden regionalen wie<br />
internationalen Investitionsabkommen zu<br />
erstellen.<br />
Beide genannten Resolutionen der Unterkommission<br />
nehmen explizit Bezug auf die<br />
bürgerlichen und politischen sowie die<br />
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen<br />
Menschenrechte und auf das Recht auf<br />
Entwicklung.<br />
Auf ihrer 54. Sitzung im August 2002<br />
diskutierte die Unterkommission die von<br />
der Arbeitsgruppe inzwischen vorgelegten<br />
Draft Norms on Responsibilities of Transnational<br />
Corporations and Other Business<br />
Enterprises with Regard to Human Rights<br />
(siehe Dokument 5). Die Arbeitsgruppe<br />
wird anhand weiterer Kommentare die<br />
"Draft Norms” nochmals überarbeiten und<br />
zur 55. Sitzung der Unterkommission<br />
2003 erneut einbringen. <br />
16 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Zum Inhalt der "Draft Norms” und des<br />
"Draft Commentary”<br />
Es gibt zwei unterschiedliche Dokumente,<br />
die hier zu betrachten sind: zum einen die<br />
"Draft Norms" selbst. Das sind 18 Normen<br />
zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung, plus 5<br />
weitere Normen mit Definitionen. Neben<br />
diesen komprimierten "Draft Norms” gibt<br />
es den "Draft Commentary on the Norms<br />
of Responsibility of Transnational Corporations<br />
and Other Business Enterprises<br />
with Regard to Human Rights” (kurz:<br />
"Draft Commentary”). Dies ist das umfassendere<br />
und <strong>für</strong> die Debatte insgesamt<br />
wichtigere Dokument. Der "Draft Commentary"<br />
enthält Erläuterungen zu den einzelnen<br />
Normen, benennt konkret die Quellen,<br />
auf die die jeweilige Norm sich bezieht<br />
und gibt wichtige Hinweise <strong>für</strong> die mögliche<br />
Umsetzung.<br />
Keine der Normen ist neu. Vielmehr nehmen<br />
sie alle Bezug bzw. basieren auf<br />
einer Vielzahl bereits existierender Dokumente.<br />
Dabei handelt es sich zum Teil um<br />
rechtsverbindliche UN-Konventionen, wie<br />
den Internationalen Pakt <strong>für</strong> bürgerliche<br />
und politische Rechte, den Internationalen<br />
Pakt <strong>für</strong> wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />
Rechte oder die Genfer Konventionen.<br />
Zum anderen Teil handelt es sich um<br />
Erklärungen und andere, freiwillige Abkommen,<br />
wie z.B. die Erklärung von Rio,<br />
die Dreigliedrige Grundsatzerklärung der<br />
International Labour Organisation (ILO),<br />
die OECD-Richtlinien oder den Global<br />
Compact. Auch freiwillige Verhaltenskodizes<br />
von <strong>Unternehmen</strong>, von Nichtregierungsorganisationen<br />
(NGO) herausgegebene<br />
Richtlinien sowie Rahmenabkommen<br />
zwischen Transnationalen <strong>Unternehmen</strong><br />
und Gewerkschaften wurden von der<br />
Arbeitsgruppe bei der Erstellung der<br />
"Draft Norms" berücksichtigt. Aus all<br />
diesen Quellen hat die Arbeitsgruppe 18<br />
Normen komprimiert, die konkret <strong>Unternehmen</strong>sverhalten<br />
betreffen oder betreffen<br />
können. Insgesamt nennt die Präambel<br />
des "Draft Commentary" weit mehr als<br />
30 Instrumente, die die Grundlage der 18<br />
plus 5 Normen sind.<br />
Die Arbeitsgruppe hat sich bei der Namensgebung<br />
mittlerweile <strong>für</strong> den Begriff<br />
"Norms” entschieden, um deren normativen<br />
Charakter in den Vordergrund zu<br />
stellen. Erste Entwürfe hatten noch Bezeichnungen<br />
wie "Code of Conduct”,<br />
"Guidelines” oder "Principles” getragen. <br />
Es ist klar, dass sich die "Draft Norms" in<br />
erster Linie auf Transnationale <strong>Unternehmen</strong><br />
(TNU) beziehen. Durch die schon im<br />
Titel genannten "other business enterprises”<br />
werden jedoch bewusst auch Zulieferer<br />
und Unterauftragnehmer einbezogen.<br />
Die Draft Norms halten durchgängig am<br />
Primat der staatlichen Verantwortung<br />
("responsibility") fest:<br />
"States have the primary responsibility to<br />
respect, ensure respect for, prevent<br />
abuses of, and promote human rights<br />
recognised in international as well as<br />
national law, including assuring that<br />
transnational corporations and other<br />
business enterprises respect human<br />
rights.” (Auszug aus der ersten Norm:<br />
General Obligations)<br />
Darüber hinaus schreiben sie den <strong>Unternehmen</strong><br />
jedoch innerhalb des eigenen<br />
Tätigkeits- und Einflussbereiches die<br />
durchaus bindende Verpflichtung ("obligation")<br />
zur Wahrung und Förderung der<br />
Menschenrechte zu:<br />
"Within their respective spheres of activity<br />
and influence, transnational corporations<br />
and other business enterprises have the<br />
obligation to respect, ensure respect for,<br />
prevent abuses of, and promote human<br />
rights recognized in international as well<br />
as national law.” (Auszug aus der ersten<br />
Norm: General Obligations)<br />
Bei der näheren Beschreibung dessen,<br />
was von den <strong>Unternehmen</strong> erwartet wird,<br />
um diese Verpflichtung zu erfüllen, greift<br />
die Arbeitsgruppe in ihrem "Draft Commentary"<br />
mit einigen Ausnahmen in der<br />
Regel auf das stärke "sollen” - im Vergleich<br />
zu dem schwächeren "sollten” -<br />
zurück.
Inhalt des "Draft Commentary"<br />
An dieser Stelle soll eine stichwortartige<br />
Übersicht über die behandelten Inhalte<br />
genügen:<br />
- Norm 1: Generelle Verpflichtung<br />
- Norm 2: Gebot der Nicht-Diskriminierung<br />
- Normen 3-4: Recht auf Sicherheit der<br />
Person<br />
- Normen 5-9: Arbeitnehmerrechte (u.a.<br />
Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit<br />
und der Kinderarbeit)<br />
- Normen 10-12: Anerkennung von Nationaler<br />
Souveränität und Menschenrechten<br />
10<br />
- Norm 13: Verbraucherschutz<br />
- Norm 14: Umweltschutz<br />
- Normen 15-18 behandeln die konkrete<br />
Umsetzung der vorherigen Normen<br />
- Normen 19-23: Definitionen<br />
Norm 8 enthält die Forderung nach einer<br />
Entlohnung, die einen angemessenen<br />
Lebensstandard <strong>für</strong> die Arbeitenden und<br />
deren Familien sicherstellt ("living wage").<br />
Mehrere Normen sprechen im Kommentar<br />
explizit das Recht auf Entwicklung an (s.<br />
z.B. Kommentar b. zu Norm 10). Interessant<br />
in Zusammenhang mit der Diskussion<br />
um die TRIPS 11 ist sicher auch der Kommentar<br />
d. zu Norm 10, der die <strong>Unternehmen</strong><br />
unter anderem auffordert, geistiges<br />
Eigentum zur Erreichung sozialen und<br />
wirtschaftlichen Wohlstandes einzusetzen<br />
und ein Gleichgewicht von Rechten und<br />
Pflichten verlangt:<br />
"Transnational corporations and other<br />
business enterprises shall protect and<br />
enforce intellectual property rights [...] in<br />
a manner conducive to social and economic<br />
welfare, such as the protection of<br />
public health, and to a balance of rights<br />
and obligations.” <br />
10 Die <strong>Unternehmen</strong> sind aufgefordert,<br />
nationales Recht sowie international<br />
vereinbarte Menschenrechtsnormen anzuerkennen<br />
und zu beachten, einschließlich<br />
des Verbots der Korruption.<br />
11 Trade-Related Aspects of Intellectual<br />
Property Rights<br />
Der Kommentar a. zur Norm 11 greift<br />
sinngemäß eine Forderung aus der<br />
"Publish What You Pay”-Kampagne auf,<br />
wenn er sagt:<br />
"Transnational corporations and other<br />
business enterprises shall enhance the<br />
transparency of their activities in regard<br />
to payments made to governments and<br />
public officials; openly fight against bribery,<br />
extortion, and other forms of corruption;<br />
and cooperate with State authorities<br />
responsible for combating corruption.”<br />
Umsetzung der "Draft Norms" und<br />
Beschwerderecht<br />
Von zentraler Bedeutung im Gesamtkontext<br />
sind die Normen 15 und 16, die sich<br />
mit der Umsetzung der "Draft Norms"<br />
befassen. Während die Norm 15 und die<br />
Kommentare dazu sich mit der firmeninternen<br />
Umsetzung befassen, fordert die<br />
Norm 16 ein regelmäßiges und unabhängiges<br />
Monitoring sowie ein Beschwerdeverfahren.<br />
Die umfassenden Kommentare<br />
zur Norm 16 regen u.a. ein regelmäßiges<br />
Berichtswesen an. Dies könnte z.B. über<br />
Staatenberichte erfolgen, oder über die<br />
verschiedenen thematischen Mechanismen<br />
der UN. Als Überwachungsinstanz<br />
könnte neben verschiedenen vorgeschlagenen<br />
Instrumenten der Selbstkontrolle<br />
(s. Norm 15 plus Kommentare) extern<br />
z.B. auch ein UN Sonderberichterstatter<br />
<strong>für</strong> die "Draft Norms" oder eine Arbeitsgruppe<br />
aus unabhängigen Experten dienen.<br />
Zudem wird ein Beschwerdeverfahren<br />
vorgeschlagen, dass die Vertraulichkeit<br />
der Beschwerde und den Schutz des<br />
Beschwerdeführers sicherstellt und dass<br />
bei Feststellung eines Verstoßes gegen<br />
eine Norm eine entsprechende Entschädigung<br />
der Opfer vorsieht. <br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 17
Internationale Vereinbarungen <br />
Im Streitfall sollen die nationalen Gerichte<br />
über die Beschwerde, respektive die<br />
Entschädigung, entscheiden. Es sind<br />
Zweifel angebracht, ob bei den enormen<br />
Unterschieden im Gerichtswesen und der<br />
mangelnden Unabhängigkeit der Gerichte<br />
in einer Reihe von Staaten die nationalen<br />
Gerichte die geeignete Entscheidungsinstanz<br />
sind. Allerdings bietet sich derzeit<br />
auch keine bessere Alternative an. Einige<br />
Kommentare, darunter auch die zur Norm<br />
16, zeigen zahlreiche unterschiedliche<br />
Möglichkeiten der Umsetzung oder Überwachung<br />
der Normen auf. Der Text selbst<br />
lässt jedoch offen, welche dieser Möglichkeiten<br />
die Arbeitsgruppe favorisiert, ob<br />
die Maßnahmen alternativ oder kumulativ<br />
vorgeschlagen werden, oder wer ggf. die<br />
Entscheidung bzw. die Auswahl treffen<br />
soll. Es scheint, als seien all die genannten<br />
Institutionen aufgefordert, in ihrer<br />
Arbeit auf die "Draft Norms" - so sie denn<br />
von der Sub-Commission verabschiedet<br />
werden - als Berufungsgrundlage zurückzugreifen.<br />
Es stellt sich allerdings die<br />
Frage, wie die Aufforderung an die Firmen<br />
nach Transparenz und regelmäßiger<br />
Auswertung der Erfüllung der Normen (s.<br />
z.B. Kommentar g. zu Norm 16) angesichts<br />
der schieren Anzahl von <strong>Unternehmen</strong><br />
tatsächlich in der Praxis umsetzbar<br />
bzw. überprüfbar ist.<br />
Großes Potenzial auf dem Weg zu<br />
mehr Verbindlichkeit<br />
Dennoch: die Stärken der "Draft Norms"<br />
überwiegen die Schwächen bei weitem.<br />
Zudem hatte die Arbeitsgruppe bis Mitte<br />
Januar 2003 Kommentare aus Wissenschaft,<br />
Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft<br />
angefordert. Daraus werden sich<br />
weitere Konkretisierungen und Verbessrungen<br />
des Draft ergeben. Insgesamt<br />
bietet der vorgelegte Entwurf ein großes<br />
Potenzial, der Verabschiedung eines<br />
verbindlichen Dokumentes zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
<strong>für</strong> die Wahrung und<br />
Förderung aller Menschenrechte einen<br />
guten Schritt näher zu kommen. <br />
18 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Bewertung und Ausblick<br />
Einige Beobachter gehen davon aus, dass<br />
die "Draft Norms" im August 2003 von<br />
der Sub-Commission on the Promotion<br />
and Protection of Human Rights auf deren<br />
55. Sitzung verabschiedet werden. Dass<br />
sie nochmals zur weiteren Überarbeitung<br />
an die Arbeitsgruppe zurückgegeben<br />
werden, ist allerdings zum jetzigen Zeitpunkt<br />
nicht ganz auszuschließen. Wichtig<br />
ist: die "Draft Norms" müssen als gutes<br />
und starkes Dokument die Ebene der<br />
Sub-Commission verlassen, sonst droht<br />
ihnen in der Menschenrechtskommission<br />
die völlige Verwässerung oder das Aus.<br />
Entscheidend <strong>für</strong> den Erfolg ist auch, dass<br />
die erläuternden Kommentare und vor<br />
allem die Umsetzungsmechanismen Teil<br />
der verabschiedeten "Draft Norms" werden.<br />
Bislang erfahren die "Draft Norms" einige<br />
Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen,<br />
darunter Amnesty International,<br />
Christian Aid, Friends of the Earth,<br />
Lawyers Committee for Human Rights,<br />
Human Rights Watch, Oxfam und andere.<br />
In Deutschland unterstützt das Forum<br />
Menschenrechte den Entwurf der Arbeitsgruppe.<br />
Nennenswerte Zustimmung seitens<br />
Regierungen und Wirtschaft blieb<br />
bislang jedoch aus.<br />
Die Deutsche Bundesregierung hat sich<br />
mit den Draft Norms bisher kaum beschäftigt.<br />
Dabei stellen sie eine notwendige und<br />
zentrale Ergänzung zum Global Compact<br />
dar, der immer mehr in die Kritik gerät<br />
und an dessen Effektivität inzwischen<br />
auch von Seiten einiger <strong>Unternehmen</strong><br />
Zweifel laut werden. Als Lern- und Dialogforum<br />
hat der Global Compact sicherlich<br />
weiterhin seinen Wert. Aber als Instrument<br />
zur Förderung von <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
reicht er bei weitem nicht aus.<br />
Ein rechtsverbindliches Instrument ist hier<br />
unerlässlich. <br />
Die Arbeitsgruppe versteht die "Draft<br />
Norms" vor allem als Interpretations- und<br />
Orientierungshilfe <strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong>, Verbände,<br />
Staaten, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen<br />
und andere "stakeholder".<br />
In dem Moment, in dem sie von<br />
der Sub-Commission verabschiedet werden,<br />
können die "Draft Norms" bereits als<br />
soft law nutzbar gemacht werden. Längerfristig<br />
können und sollen sie zu einem<br />
rechtsverbindlichen Dokument weiterentwickelt<br />
werden. Die Resolution 2001/3<br />
der Sub-Commission beinhaltet dies.<br />
Damit die "Draft Norms" nach der Verabschiedung<br />
durch die Sub-Commission den<br />
weiteren Weg durch die UN-Institutionen<br />
antreten können, ohne bis zur Unkenntnis<br />
verwässert zu werden oder ganz zu scheitern,<br />
wird noch viel Lobbyarbeit durch<br />
Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften<br />
nötig sein.
Sachlich ist die bislang mangelnde Unterstützung<br />
durch die Wirtschaft meines<br />
Erachtens nicht gerechtfertigt. Schließlich<br />
beruhen die "Draft Norms" auf bestehenden<br />
Konventionen und Erklärungen. Zur<br />
Einhaltung der dort festgelegten Rechte<br />
sind die <strong>Unternehmen</strong> bereits jetzt verpflichtet.<br />
Die "Draft Norms" stellen klar<br />
und übersichtlich zusammen, welche<br />
Inhalte dieser bestehenden Menschenrechtsinstrumente<br />
unternehmerisches<br />
Handeln betreffen. Sie machen damit<br />
handhabbar, was bislang unübersichtlich<br />
in verschiedensten Dokumenten verstreut<br />
existiert. Die <strong>Unternehmen</strong> selbst sollten<br />
ein Interesse an einem solchen Dokument<br />
haben, das es ihnen leicht macht zu prüfen,<br />
welche Verantwortung sie konkret zur<br />
Förderung und Wahrung der Menschenrechte<br />
tragen und wie sie ihr in der Praxis<br />
gerecht werden können. <strong>Unternehmen</strong>,<br />
die es ernst meinen mit dem heute so<br />
gern verwendeten Begriff der Corporate<br />
(Social) Responsibility, sollten auch die<br />
Möglichkeit der in den "Draft Norms"<br />
vorgesehenen unabhängigen Überprüfung<br />
nicht scheuen - würde sie doch die Beurteilung<br />
aller nach den gleichen Kriterien<br />
ermöglichen und damit einen gerechten<br />
und freien Wettbewerb der Transnationalen<br />
<strong>Unternehmen</strong> in Sachen <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />
in Menschenrechtsfragen<br />
sicherstellen.<br />
Aufgabe <strong>für</strong> uns NGOs ist es m.E., die<br />
"Draft Norms" bekannter zu machen und<br />
den aktiven Dialog mit Politik und Wirtschaft<br />
über ihren Inhalt zu suchen. <br />
Gastautorin: Elisabeth Strohscheidt,<br />
Amnesty International<br />
Kontakt <br />
• Die "Draft Norms" der UN-<br />
Menschenrechtskommission<br />
Amnesty International Deutschland,<br />
Generalsekretariat, Greifswalder Str. 4<br />
10405 Berlin<br />
Tel. 0228-983730, Fax -630036<br />
eMail: info@amnesty.de<br />
Internet: www.amnesty.de<br />
Der Beitrag ist ein Auszug aus:<br />
DGB-Bildungswerk/terre des hommes/<br />
WEED (Hrsg.): Auslandsinvestitionen<br />
und <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung zwischen<br />
ökonomischer Liberalisierung<br />
und sozial-ökologischer Regulierung.<br />
Perspektiven und Strategien von NGOs<br />
und Gewerkschaften. Düsseldorf/Osnabrück/Berlin<br />
2003<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 19
Internationale Vereinbarungen <br />
Kritik am Entwurf der<br />
<strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie<br />
Umweltverbände: Minister sollen sich<br />
auf "Richtlinie mit Biss" einigen<br />
Im Vorfeld einer möglichen Einigung über<br />
die <strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie beim<br />
Umweltrat in Luxemburg haben fünf führende<br />
Umweltverbände die <strong>EU</strong>-Umweltminister<br />
aufgerufen, eine "robuste" Richtlinie<br />
zu entwerfen (siehe nächste Seite).<br />
Die Richtlinie müsse sicherstellen, dass<br />
statt des Steuerzahlers endlich die Verursacher<br />
von Umweltverschmutzung <strong>für</strong><br />
Schäden aufkommen.<br />
Aufruf führender Umweltverbände an<br />
die <strong>EU</strong>-Umweltminister<br />
BirdLife International, EEB, Friends of the<br />
Earth, Greenpeace und der WWF sind<br />
gemeinsam mit dem DNR der Ansicht,<br />
dass die <strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie<br />
einen starken Anreiz <strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />
darstellen muss, Umweltkatastrophen<br />
schon im Vorfeld zu vermeiden. Als Beispiele<br />
<strong>für</strong> vermeidbare Katastrophen<br />
nannten sie die Zerstörung der Doñana-<br />
Feuchtgebiete in Spanien 1998, die Verschmutzung<br />
des Flusses Tizsa (Theiß) in<br />
Ungarn und Rumänien 2000 und die<br />
Öltankerhavarien der "Erika" und der<br />
"Prestige".<br />
Verbraucher und Steuerzahler zahlen<br />
<strong>für</strong> die mangelnde Absicherung<br />
Nach Jahren der Vorbereitung <strong>für</strong> diese<br />
Richtlinie sei die Zeit da<strong>für</strong> gekommen,<br />
das "Verursacherprinzip" in die Realität<br />
umzusetzen. Die Umweltverbände riefen<br />
die Minister auf, dem Druck der Industrie<br />
zu widerstehen und sich auf eine Regelung<br />
zu einigen, die sicherstellt, dass nicht<br />
länger die Verbraucher am Ende die<br />
Rechnung begleichen müssen, um die<br />
Umwelt wieder herzustellen.<br />
<strong>EU</strong>-Parlament gab klares Signal<br />
Man könne nicht auf die nächste Umweltkatastrophe<br />
warten, um diese Richtlinie zu<br />
verabschieden, so die Umweltverbände<br />
weiter. Außerdem habe das Europäische<br />
Parlament im Mai diesen Jahres ein klares<br />
Signal <strong>für</strong> die Nachbesserung des Kommissionsvorschlags<br />
gegeben. Die europäischen<br />
Steuerzahler dürften nicht länger<br />
die Kosten und Konsequenzen ökologischer<br />
Folgeschäden tragen, die von verantwortungslosen<br />
<strong>Unternehmen</strong> angerichtet<br />
wurden. <br />
20 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Verwässerung der Richtlinie droht<br />
Nichtregierungsorganisationen be<strong>für</strong>chten,<br />
dass in den Verhandlungen wichtige<br />
Kernelemente der Richtlinie aufgehoben<br />
oder verwässert werden - und so nicht<br />
mehr als eine weitere zahnlose Richtlinie<br />
entsteht. Sie unterstützen viele der Nachbesserungen,<br />
die in der ersten Lesung<br />
des Europäischen Parlaments gemacht<br />
wurden. Weitreichende Ausnahmeregelungen,<br />
die quasi alle <strong>Unternehmen</strong> von der<br />
Umwelthaftung ausschlieen würden, die<br />
eine staatliche Genehmigung erhalten<br />
haben oder die auf dem Stand der Technik<br />
arbeiten, müssten verhindert werden.<br />
Die Richtlinie dürfe sich nicht nur auf<br />
grobe Verstöße gegen die Umweltauflagen<br />
beziehen. Außerdem sei der Kommissionsvorschlag<br />
abzulehnen, nach dem<br />
Schäden durch genetisch veränderte<br />
Organismen (GVO) nicht Gegenstand der<br />
Richtlinie sein sollten, da sie "ausdrücklich<br />
durch <strong>EU</strong>-Recht genehmigt sind".<br />
<strong>Unternehmen</strong> mit hohem Umweltrisiko<br />
sollen sich verpflichtend absichern<br />
Die Umweltverbände rufen die <strong>EU</strong>-Minister<br />
auf, in der Richtlinie eine Verpflichtung zur<br />
finanziellen Versicherung von <strong>Unternehmen</strong><br />
vorzusehen, deren Geschäft mit<br />
einem sehr hohen ökologischen Risiko<br />
verbunden ist. Dabei sei es wichtig, dass<br />
im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines<br />
<strong>Unternehmen</strong>s nicht mehr die Öffentlichkeit<br />
die Kosten übernehmen muss, wie<br />
das etwa im Fall des Doñana-Minen-<br />
Unglücks geschehen war, das die europäischen<br />
Steuerzahler 250 Millionen Euro<br />
<strong>für</strong> die Schadensbegrenzung kostete.<br />
Prestige-Katastrophe kostet die <strong>EU</strong>-<br />
Steuerzahler etwa eine Milliarde<br />
Die Prestige-Katastrophe habe die europäischen<br />
Steuerzahler schätzungsweise<br />
eine Milliarde Euro gekostet - die bisherigen<br />
Regelungen würden nur 170 Millionen<br />
Euro von dieser Summe abdecken,<br />
rechneten die Umweltverbände vor. Die<br />
neue Rechtsprechung müsse sicher stellen,<br />
dass <strong>Unternehmen</strong> in Zukunft den<br />
vollen Preis der von Ihnen verursachten<br />
Schäden übernehmen müssen, so dass<br />
mittelfristig ein Abgehen von verantwortungslosen<br />
und risikoreichen Praktiken<br />
einsetze. <br />
Biodiversitäts-Begriff der Richtlinie zu<br />
eng gefasst<br />
Im Hinsicht auf die Reichweite der Richtlinie<br />
fordern die NGOs, dass alle Lebensräume<br />
und Arten geschützt werden, die<br />
durch <strong>EU</strong>-Recht geschützt sind. Dies<br />
entspricht den Verbesserungsvorschlägen<br />
des <strong>EU</strong>-Parlaments. Da<strong>für</strong> müssten die<br />
<strong>EU</strong>-Umweltminister den bis jetzt zu engen<br />
Fokus der Richtlinie ausweiten, um sicherzustellen,<br />
dass in der Zukunft Umweltkatastrophen<br />
wie die Minenabwasserkatastrophe<br />
von 1998 in Aznalcollar im Vorfeld<br />
verhindert werden oder zumindest alle<br />
Schäden beseitigt werden.
Die Forderungen der europäischen<br />
Umweltverbände<br />
Das vom 27. Mai datierte Schreiben der<br />
fünf Umweltverbände an Repräsentanten<br />
der <strong>EU</strong> dringt auf Änderungen des Umwelthaftungsrichtlinien-Entwurfs<br />
folgenden<br />
Punkten:<br />
1. Ausnahmen/Absicherungen:<br />
Die breiten Ausnahmeregelungen <strong>für</strong><br />
"genehmigtes Tätigsein" und das Agieren<br />
auf "dem Stande der Technik" müssen<br />
gestrichen werden.<br />
Die weitreichenden Ausnahmen, die durch<br />
diese beiden Regelungen verursacht<br />
werden widersprechen sowohl dem "Verursacherprinzip"<br />
als auch dem "strikten<br />
Haftungsprinzip" auf dem die Richtlinie<br />
basieren soll, da so nur im schlimmsten<br />
Fall der Fahrlässigkeit tatsächlich die<br />
Umwelthaftungsrichtlinie greifen würde.<br />
2. Finanzielle Sicherheit<br />
Die Richtlinie muss von <strong>Unternehmen</strong>, die<br />
mit hohem Umweltrisiko arbeiten, eine<br />
Form der finanziellen Absicherung verpflichtend<br />
verlangen (z.B. Versicherungen,<br />
Anleihen, Kreditbriefe, Reserven).<br />
Durch finanzielle Absicherung der Risikovorhaben<br />
und Tätigkeiten muss verhindert<br />
werden, dass die Kosten <strong>für</strong> die Schadensbeseitigung<br />
im Falle der Insolvenz<br />
nicht auf die Öffentlichkeit übertragen<br />
werden.<br />
3. Reichweite<br />
Letztendlich muss jede Aktivität, die Umweltschäden<br />
verursacht, von der Richtlinie<br />
erfasst werden.<br />
Die Richtlinie sollte von ihrer Bestimmung<br />
überall da zutreffen, wo der tatsächliche<br />
Schaden, den Aktivitäten verursachen,<br />
oberhalb gewisser Schwellenwerte liegt.<br />
Dabei sollten nicht Gerichte entscheiden<br />
dürfen, auf wen die Richtlinie zutrifft - und<br />
auf wen eben nicht. Nur auf diese Weise<br />
kann die Anwendung der Richtlinie auch<br />
sicher gestaltet werden.<br />
4. Definition von "Biodiversität"<br />
Im Rahmen der Richtlinie muss eine umfassendere<br />
Definition von Biodiversität<br />
entwickelt werden. In diesem Sinn ist der<br />
Vorschlag des Parlaments zu begrüßen,<br />
alle Lebensräume und Arten, die durch<br />
<strong>EU</strong>-Recht geschützt sind, in die Definition<br />
von "Biodiversität" miteinzubeziehen. <br />
Es muss <strong>für</strong> die Bürger einen angemessenen<br />
Weg geben, Klagen einzubringen.<br />
Auch hier ist die Forderung des Parlaments<br />
zu unterstützen, nach der Nichtregierungsorganisationen<br />
und Betroffene<br />
das Recht haben sollen, im Falle von<br />
drohender Umweltschädigung Klage einzureichen.<br />
Die erste Lesung des europäischen Parlaments<br />
hat am 14. Mai stattgefunden. In<br />
der ersten Lesung wurden Nachbesserungen<br />
im Bezug auf die Ausnahmeregelungen<br />
bei Vorliegen einer Genehmigung<br />
und bei Ausführung auf dem "Stand der<br />
Technik" eingebracht.<br />
Die griechische Präsidentschaft hat einen<br />
Kompromissvorschlag eingebracht, der<br />
bestimmte "mitigating factors" einführt,<br />
die eine Regierung in Betracht ziehen<br />
kann, wenn sie die Kosten zuordnet.<br />
Frankreich, Großbritannien, Österreich<br />
und Portugal sind allerdings nicht gewillt,<br />
diesen Kompromissvorschlag anzunehmen,<br />
und bestehen auf der von der Kommission<br />
vorgeschlagenen Regelung. (du)<br />
Kontakt <br />
• Kritik am Entwurf der <strong>EU</strong>-<br />
Umwelthaftungsrichtlinie<br />
European Environmental Bureau<br />
(EEB), Bld. de Waterloo, 34, B-1000<br />
Bruxelles<br />
Tel. 0032 2 / 2891090<br />
eMail: info@eeb.org<br />
Umfassenderes Papier des EEB zur<br />
Umwelthaftung im Internet:<br />
www.eeb.org/archive/<br />
umwelthaftungd.htm<br />
BirdLife International, Rue de la Loi, 81<br />
B-1040 Bruxelles<br />
Tel. 0032 2 / 2300830<br />
eMail: bleco@birdlifeeco.net<br />
Friends of the Earth Europe (FoEE),<br />
Rue Blanche, 29, B-1060 Bruxelles<br />
Tel. 0032 2 / 5420180<br />
eMail: info@foeeurope.org<br />
Greenpeace International, European<br />
Unit, Chaussée de Haecht, 159,<br />
B-1030 Bruxelles<br />
Tel. 0032 2 / 2801400<br />
eMail:<br />
european.unit@diala.greenpeace.org<br />
WWF, European Policy Office, Avenue<br />
de Tervuren, 36, B-1040 Bruxelles<br />
Tel. 0032 2 / 7438800<br />
e-mail: wwf-epo@wwfepo.org<br />
DNR, <strong>EU</strong>-<strong>Koordination</strong> und Internationales,<br />
Nika Greger, Prenzlauer Allee<br />
230, 10405 Berlin<br />
Tel. 030 / 443391-86, Fax -80<br />
eMail: nika.greger@dnr.de<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 21
Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />
Umwelthaftung in Europa<br />
Über die Notwendigkeit einer<br />
<strong>EU</strong>-Richtlinie zur Umwelthaftung<br />
Das Europäische Umweltbüro hat einen<br />
Bericht über die Einführung der Umwelthaftung<br />
auf <strong>EU</strong>-Ebene erarbeitet, in dem<br />
auch auf die Mindestforderungen und den<br />
Stand der Verhandlungen eingegangen<br />
wird. Da er als allgemeine Einführung sehr<br />
gut geeignet ist, dokumentieren wir im<br />
Folgenden die deutsche Übersetzung.<br />
(ng)<br />
1. Wozu brauchen wir ein<br />
Umwelthaftungsrecht?<br />
Immer wieder hielten und halten Umweltkatastrophen<br />
die Menschen in Atem.<br />
Beispielsweise die Chemieunglücke von<br />
Seveso und bei Sandoz, Unfälle von Öltankern<br />
wie der Amoco Cadiz oder der<br />
Exxon Valdez oder die Atomkatastrophe<br />
von Tschernobyl, um nur einige wenige<br />
spektakuläre Beispiele zu nennen. Hinzu<br />
kommt die schleichende Verschmutzung<br />
und Vergiftung, beispielsweise von Böden<br />
und Grundwasser durch undichte Mülldeponien<br />
oder durch unsachgerechtes<br />
Düngen und Spritzen in der Landwirtschaft.<br />
In fast allen diesen Fällen gilt noch<br />
immer, dass zwar der finanzielle Vorteil<br />
beim Verursacher bleibt. Die Schäden, die<br />
beispielsweise durch unzureichende<br />
Schutzmaßnahmen oder durch rein profitorientiertes<br />
Wirtschaften entstehen, werden<br />
aber fast immer von der Allgemeinheit<br />
getragen. Dadurch werden alle sonstigen<br />
Bemühungen konterkariert, das Verursacher-Prinzip<br />
zu verankern.<br />
Aus diesem Grunde gewinnt das Haftungsrecht<br />
in der umweltpolitischen Diskussion<br />
zunehmend an Bedeutung. Danach soll<br />
derjenige, der einen Umweltschaden<br />
verursacht, auch <strong>für</strong> dessen Wiedergutmachung<br />
finanziell einstehen. Die Wirkung<br />
wäre klar: Eine solche Androhung würde<br />
einen enormen Anreiz schaffen, künftig<br />
Schäden unbedingt zu vermeiden. Insofern<br />
gilt das Umwelthaftungsrecht als<br />
neues wesentliches und wirksames Instrument<br />
zur Vorbeugung und Vermeidung.<br />
<br />
22 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Da<strong>für</strong> sprechen auch Erfahrungen aus<br />
einem vergleichbaren Bereich, nämlich<br />
der Produkthaftung. Nach dem "Ersten<br />
Bericht über die Anwendung der Richtlinie<br />
zur Produkthaftung" trug diese dazu bei,<br />
das Bewusstsein und die Vorsicht der<br />
Produzenten zu vergrößern. Dadurch<br />
wuchs auch die Sicherheit der Produkte.<br />
Der Bericht im einzelnen: "Als Folge<br />
schenkten <strong>Unternehmen</strong> und Versicherer<br />
Belangen der Produktsicherheit besondere<br />
Aufmerksamkeit. Unternommene Schritte<br />
schlossen Aspekte der Produktgestaltung,<br />
der Herstellung, der Qualitätskontrolle,<br />
der Produktbeschriftung sowie<br />
detaillierter Information über den sicheren<br />
Gebrauch des Produktes ein, außerdem<br />
eine Gebrauchskontrolle und, soweit<br />
notwendig, eine größere Bereitschaft und<br />
Effizienz hinsichtlich des Rückrufs von<br />
Produkten."<br />
Umwelthaftung ist gewiß kein umweltpolitisches<br />
Allheilmittel. Aber sie ist eine wirksame<br />
und notwendige Ergänzung zu<br />
anderen Maßnahmen. Diese Ansicht vertritt<br />
auch das 5. Umwelt-Aktionsprogramm<br />
der <strong>EU</strong>. Danach ist Umwelthaftung ein<br />
Instrument, das sich sowohl an der Ursache<br />
als auch am Ausmaß des Schadens<br />
orientiert. Sie kann deshalb dazu beitragen,<br />
Lücken in der europäischen Umweltschutzgesetzgebung<br />
zu schließen, und<br />
die Wirksamkeit umweltpolitischer Maßnahmen<br />
steigern.<br />
Zunehmend bedeutsam wird die Umwelthaftung<br />
auch angesichts der Tendenz,<br />
staatliches Eingreifen durch unternehmerische<br />
Eigenverantwortung zu ersetzen.<br />
Eine solche Strategie erfordert im Gegenzug,<br />
dass Unternehmer auch die Folgen<br />
tragen müssen von unterlassenen oder<br />
unzureichenden Schutzmaßnahmen, und<br />
zwar in stärkerem Maße als bisher. Denn<br />
schließlich heißt "Eigenverantwortung"<br />
nicht nur größere Handlungsfreiheit,<br />
sondern auch stärkere Verantwortlichkeit.<br />
Beides sind Kehrseiten derselben Medaille.<br />
Wer eine größere Handlungsfreiheit<br />
will, muss auch die entsprechende Verantwortlichkeit<br />
tragen. <br />
1.1. Gibt es Ansätze <strong>für</strong> ein<br />
Europäisches Haftungsrecht?<br />
Bereits im März 1993 legte die Europäische<br />
Kommission ein Grünbuch über die<br />
Verantwortlichkeit <strong>für</strong> Umweltschäden vor.<br />
Dieses sollte als Diskussionsgrundlage <strong>für</strong><br />
weiterführende Strategien auf europäischer<br />
Ebene dienen. Als Folge erhielt die<br />
Kommission über hundert Stellungnahmen<br />
von vielen Mitgliedstaaten sowie von<br />
zahlreichen Umweltschutzorganisationen<br />
und Industrieverbänden. Seither veranstaltete<br />
die Kommission zahlreiche Workshops<br />
und gab zwei (im Literaturverzeichnis<br />
genannte) Studien in Auftrag,<br />
deren Ergebnisse in diesen Bericht eingeflossen<br />
sind: Zum einen über die ökonomischen<br />
Auswirkungen der Umwelthaftung,<br />
zum anderen über bestehende<br />
Umwelthaftungssysteme in den einzelnen<br />
Mitgliedstaaten sowie anderer europäischer<br />
Staaten und der USA.<br />
Im April 1994 forderte schließlich das<br />
Europäische Parlament die Europäische<br />
Kommission auf, einen Entwurf <strong>für</strong> eine<br />
Umwelthaftungsrichtlinie zu erarbeiten.<br />
Obwohl die Europäische Kommission <strong>für</strong><br />
1996 und 1997 mehrfach angekündigt<br />
hatte, im Bereich Umwelthaftung tätig zu<br />
werden, blieb dies bislang vor allem aufgrund<br />
des massiven Widerstandes seitens<br />
Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs<br />
aus. Insofern besteht noch immer<br />
dringend Handlungsbedarf.<br />
1.2. Was heißt Umwelthaftung?<br />
Umwelthaftung ist Mittel und Weg, um<br />
Verursacher von Umweltschäden zu zwingen,<br />
Schäden, die sie verursachen, wiedergutzumachen<br />
bzw. <strong>für</strong> deren Wiedergutmachung<br />
zu bezahlen. Insofern ist<br />
Umwelthaftung ein wesentlicher Ausdruck<br />
des Verursacher-Prinzips. Das heißt: Nicht<br />
die Allgemeinheit und damit der Steuerzahler<br />
muss <strong>für</strong> einen Umweltschaden<br />
aufkommen, sondern derjenige, der ihn<br />
verursacht hat.<br />
1.3. Die Umwelthaftung im Verhältnis<br />
zu bestehenden Instrumenten<br />
Grundsätzlich gibt es zwei rechtliche und<br />
politische Systeme, um gegen Umweltverschmutzung<br />
und Zerstörung unserer<br />
Lebensgrundlagen vorzugehen:
- Das Ordnungsrecht legt mit rechtlichen<br />
Vorgaben die Voraussetzungen fest,<br />
unter denen umweltrelevantes Handeln<br />
erlaubt bzw. verboten ist. Nachteil ist,<br />
dass das Ordnungsrechts angesichts<br />
der Vielzahl und Vielschichtigkeit von<br />
Gefahren einen Umfang an Gesetzen und<br />
Verwaltungsmaßnahmen erfordert, die<br />
<strong>für</strong> den Einzelnen kaum noch durchschaubar<br />
sind. Außerdem basiert der<br />
Erfolg des Ordnungsrechts auf einer<br />
entsprechenden Kontrolle. Eine Regelung<br />
aller umweltpolitischen Herausforderungen<br />
durch Ordnungsrecht würde<br />
einen Kontrollaufwand erfordern, der<br />
weder praktikabel noch finanzierbar ist.<br />
- Neben das Ordnungsrecht treten deshalb<br />
seit einigen Jahren immer mehr<br />
marktwirtschaftlich orientierte Instrumente,<br />
beispielsweise das Öko-Audit<br />
sowie die noch immer in weiter Ferne<br />
schwebende ökologische Steuerreform.<br />
- Ein Umwelthaftungsrecht wäre ein<br />
wesentlicher Baustein eines Systems<br />
marktwirtschaftlicher Instrumente. Es<br />
schreibt dem Unternehmer nicht vor, wie<br />
er Schäden zu vermeiden hat. Vielmehr<br />
lässt es hier dem Unternehmer freien<br />
Spielraum. Er kann selbst entscheiden,<br />
welche vorbeugenden Maßnahmen er zu<br />
welchen Kosten unternehmen möchte.<br />
Kehrseite ist natürlich, dass er auftretende<br />
Umweltschäden finanziell tragen<br />
und wiedergutmachen muss. Zum einen<br />
kann das dazu führen, dass bestimmte<br />
Handlungen nicht mehr vorgenommen<br />
werden, weil das Schadens- und damit<br />
das Haftungsrisiko zu groß ist. Auf diese<br />
Weise können Umweltschutzbelange<br />
sehr stark in unternehmerische Entscheidungen<br />
einfließen. Zum anderen<br />
wird sich das Maß des Risikos, finanziell<br />
zu haften, in den Preisen widerspiegeln.<br />
Dies wäre ein wesentlicher Schritt zur<br />
Verwirklichung des Verursacherprinzips<br />
und hin zu ökologisch ehrlichen Preisen.<br />
1.4. Welche Vorteile hat ein<br />
Umwelthaftungsrecht <strong>für</strong> die Umwelt?<br />
- Da der Verursacher <strong>für</strong> seinen Schaden<br />
aufkommen muss, besteht ein großer<br />
Anreiz, Schäden zu vermeiden.<br />
- Umweltpolitische Belange bekommen<br />
dadurch in <strong>Unternehmen</strong>sentscheidungen<br />
einen neuen Stellenwert. Dies gilt<br />
um so mehr, wenn schwerwiegende und<br />
entsprechend teure Schäden drohen. <br />
- Umwelthaftung schafft auch in Bereichen<br />
Anreiz zur Vorbeugung, die bislang von<br />
bestehenden Mitteln nicht umfasst werden.<br />
Insofern kann es Lücken schließen.<br />
- Ein Umwelthaftungsrecht ist ein wesentlicher<br />
Schritt zur Verwirklichung des<br />
Verursacher-Prinzips. Das heißt: Nicht<br />
die Allgemeinheit und damit der Steuerzahler<br />
kommt <strong>für</strong> Umweltschäden auf,<br />
sondern der Verursacher.<br />
- Durch das drohende finanzielle Risiko<br />
und durch entsprechend hohe Versicherungsbeiträge<br />
wird sich Umwelthaftung<br />
auch in Preisen widerspiegeln. Sie ist<br />
damit ein wichtiger Beitrag zur Verwirklichung<br />
des Prinzips "ökologisch ehrliche<br />
Preise".<br />
1.5. Welche Vorteile hat die Wirtschaft<br />
von einem Umwelthaftungsrecht?<br />
- Umwelthaftung ist ein marktorientiertes<br />
Instrument. Sie lässt der Wirtschaft einen<br />
weiten unternehmerischen Spielraum<br />
und schreibt keine bestimmten Maßnahmen<br />
vor. Vielmehr können <strong>Unternehmen</strong><br />
möglichst optimierte und kosteneffiziente<br />
Maßnahmen <strong>für</strong> ihren Betrieb<br />
maßschneidern. Davon profitieren<br />
vor allem kleinere und mittlere <strong>Unternehmen</strong>.<br />
Aufgrund ihrer großen Dynamik<br />
sind sie besonders innovativ.<br />
- Nach Schätzungen einer Studie der <strong>EU</strong>-<br />
Kommission über die ökonomischen Aspekte<br />
einer Umwelthaftung beträgt der<br />
jährliche Schaden <strong>für</strong> die <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />
zwischen 4 und 7% des Bruttoinlandsproduktes.<br />
Dieser Schaden wird<br />
bislang von der Allgemeinheit getragen.<br />
Das heißt: Über Steuern finanzieren<br />
auch solche <strong>Unternehmen</strong> die Wiedergutmachung,<br />
die an den Schäden unbeteiligt<br />
sind. Umwelthaftung vermindert<br />
deshalb auch Wettbewerbsverzerrungen.<br />
- Das Argument der Wettbewerbsverzerrung<br />
gilt erst recht angesichts der sehr<br />
unterschiedlichen Haftungsniveaus in<br />
den einzelnen <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten. Sie<br />
bewirken unterschiedliche Kostenbelastungen<br />
und damit Wettbewerbsverzerrungen<br />
innerhalb der <strong>EU</strong>.<br />
- Ein europaweit einheitliches Umwelthaftungsrecht<br />
schafft Rechtssicherheit und<br />
Überschaubarkeit. Dies erleichtert<br />
grenzüberschreitende Investitionen innerhalb<br />
der <strong>EU</strong>.<br />
<br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 23
Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />
2. Entscheidende rechtliche<br />
Stichworte zur Umwelthaftung<br />
2.1. Was heißt zivilrechtliche Haftung?<br />
Ein zivilrechtliches Haftungsrecht existiert<br />
bereits heute in allen Mitgliedstaaten der<br />
Europäischen Union. Verallgemeinert<br />
bedeutet dies, dass wer Schaden erleidet,<br />
da<strong>für</strong> unter bestimmten Voraussetzungen<br />
Schadensersatz erhält. In der Regel setzt<br />
dies die Verletzung eines Rechtsgutes<br />
voraus. Geschützte Rechtsgüter sind<br />
beispielsweise das Leben, die körperliche<br />
Unversehrtheit und das Eigentum. Durch<br />
die Verletzung des Rechtsgutes muss ein<br />
Schaden verursacht sein. Das heißt: Der<br />
Schaden muss aufgrund der Verletzung<br />
des Rechtsgutes entstehen. Zwischen<br />
beidem muss also eine Kausalität bestehen.<br />
Außerdem erfordert eine zivilrechtliche<br />
Haftung in der Regel, dass die Verletzung<br />
des Rechtsgutes rechtswidrig ist. Das<br />
heißt: Der Handelnde muss gleichzeitig<br />
gegen ein Gesetz zum Schutze des<br />
Rechtsgutes verstoßen. Außerdem muss<br />
er dies schuldhaft tun, das heißt: vorsätzlich<br />
oder zumindest fahrlässig.<br />
All diese Voraussetzungen müssen von<br />
dem Kläger im Prozess dargelegt und<br />
bewiesen werden.<br />
Zwar bestehen in den einzelnen Mitgliedstaaten<br />
Abweichungen von diesen<br />
Grundsätzen, die teilweise auch die Position<br />
des Klägers erleichtern. Dennoch<br />
genügen die Bestimmungen nicht, um<br />
Umweltschäden ausreichend gerecht zu<br />
werden. Zum einen erfassen sie die Umwelt<br />
nur in Gestalt von Eigentum oder<br />
Gesundheit. Nicht jedoch betreffen sie den<br />
Schaden an einer Umwelt, die keinem<br />
gehört, zum Beispiel wildlebende Tier-<br />
oder Pflanzenarten, Luft und Wasser<br />
(soweit letzteres nicht unter das Eigentums-oder<br />
Nutzungsrecht beispielsweise<br />
eines Mineralbrunnens oder eines Wasserversorgungsunternehmens<br />
fällt). <br />
24 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Außerdem erfasst das zivilrechtliche Haftungsrecht<br />
in der Regel kaum Fälle, in<br />
denen der Umweltschaden im Rahmen<br />
eines genehmigten Betriebes entsteht,<br />
soweit alle Grenzwerte und Umweltschutzbestimmungen<br />
eingehalten werden. Keine<br />
Haftung entsteht weiterhin, wenn der<br />
Verursacher des Umweltschadens nicht<br />
schuldhaft gehandelt hat. Problematisch<br />
ist zudem, dass der Kläger beispielsweise<br />
die Kausalität zwischen Verletzung des<br />
Rechtsgutes und dem Schadenseintritt<br />
vollständig beweisen muss. Dies dürfte<br />
wohl nur in den wenigsten Fällen gelingen.<br />
2.2. Was heißt "strenges Haften"?<br />
Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Haftung,<br />
die auch im Rahmen eines Umwelthaftungsrechtes<br />
diskutiert werden. Dies<br />
ist zum einen eine fehlerabhängige Verschuldenshaftung<br />
und zum anderen eine<br />
fehlerunabhängige Gefährdungshaftung.<br />
Verschuldensabhängige Haftung heißt,<br />
dass der Verursacher nur dann <strong>für</strong> einen<br />
Schaden haftet, wenn er ihn fahrlässig<br />
oder vorsätzlich verursacht hat.<br />
Gefährdungshaftung bedeutet dagegen,<br />
dass es nicht darauf ankommt, ob sich<br />
der Verursacher fehlerhaft oder richtig<br />
verhalten hat. Entscheidend ist allein der<br />
Eintritt des Schadens, der allerdings<br />
durch ihn verursacht sein muss.<br />
2.3. Was heißt Kausalität, Beweislast<br />
und Umkehr der Beweislast?<br />
Kausalität bedeutet, dass der Schaden<br />
durch den Haftenden verursacht sein<br />
muß. Problematisch ist dies vor allem bei<br />
Distanzschäden, das heißt: wenn der<br />
Schaden weit entfernt von der Ursachenquelle<br />
entsteht, zum Beispiel bei Emissionen<br />
in die Luft (Stichwort: Waldsterben).<br />
Problematisch ist dies außerdem, wenn<br />
mehre voneinander unabhängige Handlungen<br />
zu einem Schaden führen, der<br />
durch eine Handlung alleine nicht eingetreten<br />
wäre. Problematisch sind weiterhin<br />
sogenannte Langzeit- und Sekundärschäden.<br />
Wenn zum Beispiel das Ufer eines<br />
Bergsees durch Öl verschmutzt wird, die<br />
Schadstoffe durch Regen in den See<br />
gelangen und dort als Folge einige Jahre<br />
später eine seltene Fischart ausstirbt. <br />
Bedeutsam sind diese Fragen der Kausalität<br />
vor allem im Zusammenhang mit der<br />
Beweislast. Nach geltendem Recht der<br />
<strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten muss fast ausnahmslos<br />
der Kläger die Kausalität darlegen und<br />
beweisen. Dies ist in den oben genannten<br />
Fällen, die meist die Regel sind, äußerst<br />
schwierig. Hinzu kommt, dass der Kläger<br />
häufig gar nicht die Einzelheiten eines<br />
Produktionsprozesses kennt. Zum Beispiel:<br />
welche Stoffe verwendet werden.<br />
Auch erfordert das detaillierte Darlegen<br />
und Beweisen der Kausalität meist eine<br />
wissenschaftliche Fachkenntnis, über die<br />
der Kläger in der Regel nicht verfügt.<br />
Fachleute und Umweltschützer fordern<br />
deshalb hier eine Umkehr der Beweislast,<br />
zumindest dann, wenn nach richterlicher<br />
Annahme eine hohe Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong><br />
eine Kausalität besteht. Dies würde konkret<br />
bedeuten, dass der Kläger "nur" eine<br />
hohe Wahrscheinlichkeit darlegen müsste,<br />
dass der Schaden von dem Beklagten<br />
verursacht wurde. Es würde dann dem<br />
Beklagten obliegen, zu beweisen, dass er<br />
den Schaden nicht verursacht hat.<br />
2.4. Was ist ein Umweltschaden?<br />
In nahezu keinem der <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />
sind bislang die Begriffe Umweltverschmutzung<br />
und Umweltschaden rechtlich<br />
verbindlich definiert. Die Europäische<br />
Kommission verweist hierzu in dem oben<br />
in Kapitel 1.1.genannten Grünbuch auf<br />
ihren Vorschlag zu einer Richtlinie über<br />
Abfallhaftung. Dort wird Umweltschaden<br />
als eine "wesentliche chemische oder<br />
biologische Verschlechterung der Umwelt"<br />
definiert.<br />
Problematisch ist auch die monetäre<br />
Berechnung von Umweltschäden. Dies gilt<br />
zumindest dann, wenn keine Wiederherstellung<br />
des ursprünglichen Zustandes<br />
und deshalb keine diesbezügliche Kostenrechnung<br />
möglich ist. Beispiel: Ausrottung<br />
von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten.
2.5. Was bedeutet Klagebefugnis?<br />
Die Klagebefugnis legt fest, wer klagen<br />
darf. Dies ist bislang in den <strong>EU</strong>-<br />
Mitgliedstaaten fast immer nur derjenige,<br />
der in seinen Rechten verletzt ist. Dies ist<br />
in der Regel der Eigentümer. Problematisch<br />
ist dies jedoch, wenn Umwelt geschädigt<br />
wird, die niemandem gehört.<br />
Zum Beispiel: Umwelt in Gestalt von wildlebenden<br />
Tier- und Pflanzenarten, Luft,<br />
Wasser. Problematisch ist weiterhin, wenn<br />
der Eigentümer selber der Verursacher<br />
ist. Hier zeigt sich eine Rechtslücke, die<br />
wohl größer ist als das, was bislang haftungsrechtlich<br />
abgedeckt ist.<br />
Um diese Lücke zu schließen, fordern<br />
Fachleute und Umweltschützer, Umweltschutzorganisationen<br />
ein Verbandsklagerecht.<br />
Das heißt: Umweltschutzorganisationen<br />
könnten dann auch als Nichteigentümer<br />
sowohl auf Beendigung der umweltschädigenden<br />
Handlung als auch auf<br />
Wiedergutmachung klagen. Dies würde<br />
ihre Kontrollposition wesentlich verstärken.<br />
Diese Auffassung vertritt auch die Europäische<br />
Kommission in ihrer Mitteilung zur<br />
Durchführung des Umweltrechts vom<br />
22.11.1996, KOM (96)500 endg. Darin<br />
betont sie die Notwendigkeit einer umweltrechtlichen<br />
Verbandsklage und kritisiert,<br />
dass der Zugang häufig durch untragbare<br />
Kosten erschwert wird. Positive<br />
Folge des verbesserten Zuganges zu den<br />
Gerichten sei eine allgemeine Verbesserung<br />
der praktischen Anwendung und<br />
Durchsetzung von Vorschriften, so die<br />
Kommission. Denn die Akteure würden<br />
sich dann stärker an Vorschriften halten,<br />
um Gerichtsverfahren zu vermeiden. <br />
2.6. Auf welchem Niveau muss die<br />
Umwelt wiederhergestellt werden?<br />
Die meisten Mitgliedstaaten sehen bei<br />
Umweltschäden, soweit sie bislang erfasst<br />
werden, grundsätzlich die Wiederherstellung<br />
des ursprünglichen Zustandes vor.<br />
Dies gilt allerdings in der Regel nur, soweit<br />
die Kosten nicht unangemessen sind.<br />
Problematisch ist zum einen die Frage, ab<br />
welcher Summe Kosten unangemessen<br />
sind. Fraglich ist zum anderen, welcher<br />
Zustand wiederhergestellt werden muss.<br />
Beispiel: Ein Biotop, in dem sehr seltene<br />
Vogelarten brüten, wird mit Öl verseucht.<br />
Muss das Gebiet dann in seiner ursprünglichen<br />
Funktion als Brutgebiet <strong>für</strong> diese<br />
seltenen Vögel wiederhergestellt werden?<br />
Oder reicht es, das Gebiet so zu reinigen<br />
und wiederherzustellen, dass es anderen,<br />
häufiger vorkommenden Arten genügt?<br />
Und bis zu welchen Kosten ist die<br />
bestmöglichste Sanierung angemessen?<br />
Diese Fragen bedürfen dringend einer<br />
rechtlichen Klärung durch ein<br />
Umwelthaftungsrecht. Dabei ist nach<br />
Ansicht des EEB grundsätzlich von der<br />
Wiederherstellung des ursprünglichen<br />
Zustandes auszugehen.<br />
2.7. Wer haftet <strong>für</strong> einen<br />
Umweltschaden?<br />
Dahinter steht die Frage, wer Verursacher<br />
eines Umweltschadens ist. Ist dies "nur"<br />
beispielsweise der emittierende Betrieb<br />
oder auch der Manager, der die entsprechenden<br />
Betriebsentscheidungen getroffen<br />
hat? Fraglich ist auch, inwieweit zum<br />
Beispiel Muttergesellschaften <strong>für</strong> Schäden<br />
ihrer Tochterunternehmen einstehen<br />
müssen. Dies ist zum Beispiel dann bedeutsam,<br />
wenn der Schaden sehr hoch<br />
und die Muttergesellschaft wesentlich<br />
finanzkräftiger als das Tochterunternehmen<br />
ist. Mangelnde haftungsrechtliche<br />
Berücksichtigung von Muttergesellschaften<br />
kann zudem dazu führen, dass Risikounternehmen<br />
auf besonders finanzschwache<br />
Tochterfirmen ausgelagert<br />
werden. Dies würde eine wirksame Umwelthaftung<br />
unterlaufen. <br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 25
Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />
Fraglich ist außerdem, ob und wie weit<br />
genehmigende Behörden <strong>für</strong> Umweltschäden<br />
haften, die aufgrund des von ihnen<br />
genehmigten Betriebes entstehen. Unklar<br />
ist auch, inwieweit Banken und andere<br />
Kreditgeber haften. Dies ist insbesondere<br />
dann interessant, wenn Umweltzerstörungen<br />
erst durch entsprechende Kredite<br />
möglich werden. Beispiel hier<strong>für</strong> sind<br />
große Staudammprojekte, die nur mit<br />
Billigung und Unterstützung von Banken<br />
realisiert werden können. Hier stellt sich<br />
die Frage, inwieweit sie nicht auch <strong>für</strong><br />
später auftretende Umweltschäden haften<br />
müssen. Dies gilt insbesondere dann,<br />
wenn die Bank die möglichen negativen<br />
Umweltauswirkungen durch entsprechende<br />
Umweltgutachten schon vor oder bei<br />
der Kreditzusage kannte.<br />
2.8. Was ist gesamtschuldnerische<br />
Haftung und Haftung nach Proporz?<br />
Diese Frage ist entscheidend <strong>für</strong> den Fall,<br />
daß mehrere einen Umweltschaden verursacht<br />
haben. Bei einer Haftung nach<br />
Proporz muss der Kläger jeden einzelnen<br />
Verursacher auf den jeweils durch ihn<br />
verursachten Schadensanteil verklagen.<br />
Dies bedeutet, dass der Kläger mehrere<br />
Prozesse mit einem entsprechend hohen<br />
Aufwand an Kosten und Zeit führen muss.<br />
Außerdem dürfte es in den meisten Fällen<br />
<strong>für</strong> den Kläger fast unmöglich sein, den<br />
genauen Schadensanteil eines jeden<br />
Verursachers genau zu beziffern.<br />
Fachleute und Umweltschützer fordern<br />
deshalb eine gesamtschuldnerische Haftung.<br />
Dies würde bedeuten, dass der<br />
Kläger entweder alle oder auch nur einen<br />
Verursacher in einem Prozess auf den<br />
gesamten Schaden verklagen kann. Das<br />
heißt: Er kann sich beispielsweise den<br />
finanzkräftigsten Verursacher aussuchen.<br />
Die einzelnen Höhen der Schadensanteile<br />
müssten dann die Verursacher untereinander,<br />
notfalls durch Prozess, klären. Dies<br />
dürfte ihnen auch leichter möglich und<br />
damit zumutbarer sein als dem fachlich<br />
meist außenstehenden Kläger. Außerdem<br />
würde nicht unbedingt der Geschädigte,<br />
sondern der verklagte Verursacher das<br />
finanzielle Risiko tragen, dass die übrigen<br />
Verursacher nicht genügend Geld haben,<br />
um ihren Schadensanteil zu tragen. <br />
26 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
2.9. Was bedeutet<br />
Versicherungspflicht?<br />
Hier wird diskutiert, ob und inwieweit ein<br />
Umwelthaftungsrecht mit der Versicherbarkeit<br />
von Umweltschäden einhergehen<br />
soll bzw. muss. Gegen eine Versicherungspflicht<br />
wird eingewendet, dass dies<br />
den Anreiz <strong>für</strong> potentielle Verursacher zur<br />
Schadensvermeidung vermindern könnte.<br />
Andererseits kann ohne Versicherung eine<br />
Haftung zum Konkurs eines <strong>Unternehmen</strong>s<br />
führen, zum Beispiel wenn der<br />
Schaden sehr groß ist. Auch kann ohne<br />
Versicherung eine Wiedergutmachung<br />
scheitern, falls die Kapitaldecke des Verursachers<br />
zu gering ist. Allerdings wehren<br />
sich Versicherer gegen eine allgemeine<br />
Versicherungspflicht <strong>für</strong> jeden potenziellen<br />
Umweltschaden. Außerdem fordern sie<br />
Schadensobergrenzen, um das eigene<br />
finanzielle Risiko einzugrenzen.<br />
2.10. Was ist ein Haftungsfonds?<br />
Hier zahlen <strong>Unternehmen</strong> Beiträge in<br />
einen gemeinsamen Fonds. Aus diesem<br />
wird dann die Wiedergutmachung von<br />
Schäden finanziert. Soweit jedes <strong>Unternehmen</strong><br />
ohne Rücksicht auf seine Präventionsmaßnahmen<br />
Beiträge entrichtet,<br />
besteht hier die Gefahr, dass umweltbewusste<br />
<strong>Unternehmen</strong> <strong>für</strong> schwarze<br />
Schafe mit bezahlen. Sie wären dann<br />
finanziell doppelt benachteiligt: durch<br />
höhere Kosten durch entsprechende<br />
Präventionsmaßnahmen sowie durch<br />
unangemessen hohe Beiträge.<br />
Gleichwohl sind Haftungsfonds eine sinnvolle<br />
Ergänzung zu einer Versicherung.<br />
Denn durch sie können auch solche Schäden<br />
wiedergutgemacht werden, die keinem<br />
konkreten Verursacher, aber beispielsweise<br />
einer Branche, zuzurechnen<br />
sind. Um umweltbewusste <strong>Unternehmen</strong><br />
nicht zu benachteiligen, könnten solche<br />
Haftungsfonds nach Ansicht von Fachleuten<br />
durch eine Schadstoffabgabe finanziert<br />
werden. Fachleute raten hier zudem<br />
zu möglichst regionalen Fonds. Das hieße:<br />
Schadstoffabgaben würden den Regionen<br />
zugutekommen, in denen sie entrichtet<br />
wurden. Dadurch würde die Verwendung<br />
transparenter und konkreter.<br />
Dies könnte zum einen die Akzeptanz von<br />
Schadstoffabgaben und Haftungsfonds<br />
steigern, zum anderen auch das Umweltbewusstsein<br />
von <strong>Unternehmen</strong> weiter<br />
erhöhen. <br />
3. Wozu ein einheitliches<br />
Europäisches Haftungsrecht?<br />
Alle in Kapitel 3 genannten rechtlichen<br />
Punkte sind in den einzelnen <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />
entweder überhaupt nicht oder<br />
nur sehr unzureichend und noch dazu<br />
sehr unterschiedlich geregelt. Noch immer<br />
haben die meisten <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />
kein spezielles Umwelthaftungsrecht.<br />
Vielmehr werden die meisten Fälle (und<br />
damit die wenigsten) noch immer über<br />
das in Kapitel 2 beschriebene Zivilrecht<br />
behandelt, mit allen bereits genannten<br />
Mängeln.<br />
Doch gerade aufgrund der Mängel und<br />
Lücken erkennen immer mehr Mitgliedstaaten<br />
die Notwendigkeit, ein Umwelthaftungsrecht<br />
zu schaffen. Einige, wie zum<br />
Beispiel Deutschland, haben inzwischen<br />
ein nationales Umwelthaftungsrecht.<br />
Andere Länder sind gerade dabei, ein<br />
solches zu erarbeiten. Österreich hat den<br />
Entwurf eines eigenen Umwelthaftungsrechts<br />
erst einmal eingestampft, mit der<br />
Begründung, man wolle auf ein europäisches<br />
Vorgehen warten. Insofern wäre<br />
jetzt der richtige Zeitpunkt, europaweit ein<br />
einheitliches Haftungsrecht zu schaffen.<br />
Dieses würde außerdem dazu beitragen,<br />
grenzüberschreitende Haftungsfälle einheitlich<br />
und damit auch durchschaubarer<br />
zu behandeln.<br />
Im Übrigen zeigt gerade das Beispiel<br />
Deutschland, dass bisherige nationale<br />
Ansätze oben genannten Herausforderungen<br />
bei weitem nicht genügen. Das<br />
deutsche Umwelthaftungsgesetz von<br />
1990 gilt als das bislang am weitesten<br />
gehende Umwelthaftungsrecht innerhalb<br />
der Europäischen Union. Es baut auf dem<br />
Konzept der Anlagenhaftung auf, führt<br />
eine Gefährdungshaftung ein, erleichtert<br />
den Kausalitätsnachweis und erweitert bei<br />
Beeinträchtigung den Anspruch auf Wiederherstellung<br />
des ursprünglichen Zustandes.<br />
Außerdem wird <strong>für</strong> die Betreiber<br />
bestimmter Anlagen die Pflicht zur Deckungsvorsorge<br />
begründet. Im einzelnen<br />
bedeutet dies:
a. Gefährdungshaftung<br />
Das Umwelthaftungsgesetz etabliert erstmals<br />
<strong>für</strong> Umwelteinwirkungen von bestimmten<br />
Anlagen eine Gefährdungshaftung<br />
<strong>für</strong> entstehende Personen- und<br />
Sachschäden. Es kommt also nicht auf ein<br />
Verschulden des Anlagenbetreibers an,<br />
sondern nur noch darauf, ob durch eine<br />
Umwelteinwirkung, die von der Anlage<br />
ausgeht, ein Personen- oder Sachschaden<br />
entstanden ist. Zwar ist dies ein<br />
wesentlicher Schritt hin zu einer besseren<br />
Umwelthaftung. Allerdings bleiben auch<br />
hier weiterhin Lücken. Zum einen ist die<br />
Gefährdungshaftung auf bestimmte Anlagen<br />
beschränkt. Sie lässt andere umweltrelevante<br />
Aktivitäten wie das Inverkehrbringen<br />
umweltgefährlicher Produkte,<br />
das Versprüchen von Pflanzenschutzmitteln,<br />
das Befördern und Lagern gefährlicher<br />
Stoffe oder die Abfallablagerung<br />
außerhalb von Anlagen völlig außer acht.<br />
Außerdem umfasst es keine rein ökologischen<br />
Schäden, also Schäden an der<br />
Umwelt, die niemandem gehört und an<br />
der keiner ein Nutzungsrecht hat, also<br />
zum Beispiel an wildlebenden Tier- und<br />
Pflanzenarten. Weiterhin bleiben sämtliche<br />
Summations- und Distanzschäden ausgespart.<br />
Denn das Umwelthaftungsrecht<br />
erfasst nur den einzelnen Schädiger<br />
hinsichtlich des ihm zurechenbaren Schadens.<br />
b. Beweisregel<br />
Das Umwelthaftungsgesetz vermutet zwar<br />
den Ursachenzusammenhang zwischen<br />
Schadensfall und einer Anlage, falls diese<br />
im Einzelfall geeignet erscheint, gerade<br />
diesen Schaden ausgelöst zu haben. Falls<br />
der Anlagenbetreiber dies bestreitet, ist<br />
er verpflichtet, den entsprechenden<br />
Gegenbeweis zu führen. Allerdings gibt es<br />
auch hier eine wesentliche Beschränkung:<br />
Die Beweiserleichertung wird auf den<br />
rechtswidrigen Betrieb und auf Störfälle<br />
beschränkt. Dies reicht <strong>für</strong> eine wirksame<br />
Umwelthaftung nicht.<br />
c. Ersatzleistung<br />
Das Umwelthaftungsgesetz begünstigt die<br />
Naturalherstellung <strong>für</strong> Sachschäden.<br />
Dabei ist der Wiederherstellungsanspruch<br />
nicht deshalb ausgeschlossen, weil die<br />
Wiederherstellung den Wert der Sache<br />
übersteigt. Allerdings ist auch hier nicht<br />
jeder Einwand des Schädigers ausgeschlossen,<br />
die Wiederherstellung sei<br />
unverhältnismäßig. <br />
d. Deckungsvorsorge<br />
Schließlich fordert das Umwelthaftungsgesetz<br />
von einigen Anlagenbetreibern mögliche<br />
Schadensersatzpflichten abzusichern.<br />
Dies soll dadurch geschehen, daß<br />
bis zu bestimmten Schadensersatzhöhen<br />
Sicherheitsleistungen erbracht werden.<br />
All dies zeigt: Trotz einiger Ansätze bietet<br />
auch das deutsche Umwelthaftungsgesetz<br />
keine ausreichenden Lösungen <strong>für</strong> die in<br />
Kapitel 2 genannten Herausforderungen.<br />
<br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 27
Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />
4. Weitere Ansätze <strong>für</strong> ein<br />
Haftungsrecht<br />
4.1. Was ist die "Lugano-Konvention"?<br />
Im März 1993 verabschiedete der Europarat<br />
in Lugano eine Konvention über die<br />
Zivile Haftung <strong>für</strong> Schäden, die aus gefährlichen<br />
Umweltaktivitäten resultieren<br />
("Lugano-Konvention"). Der Europarat ist<br />
eine internationale Organisation von<br />
derzeit 32 europäischen Staaten mit der<br />
Aufgabe, eine engere Verbindung zwischen<br />
ihren Mitgliedstaaten, insbesondere<br />
hinsichtlich gemeinsamer Grundsätze und<br />
Ideale sowie hinsichtlich des sozialen und<br />
wirtschaftlichen Fortschritts, zu fördern.<br />
Bekanntestes Beispiel hier<strong>für</strong> ist die<br />
Schaffung der Europäischen Menschenrechtskonvention.<br />
- Ziel der Lugano-Konvention ist es, eine<br />
adäquate Wiedergutmachung <strong>für</strong> Schäden<br />
zu ermöglichen, die durch umweltgefährliche<br />
Handlungen entstanden<br />
sind.<br />
- "Umweltgefährdende Handlung" ist dabei<br />
ein sehr weiter Begriff. Er umfasst professionelle<br />
Tätigkeiten im Umgang mit<br />
gefährlichen Substanzen, genetisch veränderten<br />
Organismen und Mikroorganismen<br />
sowie Anlagen <strong>für</strong> Abfallbeseitigung.<br />
Diese Tätigkeiten werden in verschiedenen<br />
Anhängen durch entsprechende<br />
Listen weiter präzisiert. Gleichzeitig<br />
ist die Lugano-Konvention ein offenes<br />
System. Sie erfasst auch solche<br />
Tätigkeiten, die in den Anhängen nicht<br />
ausdrücklich genannt werden. Dies ergibt<br />
sich aus der allgemeinen Definition<br />
in Artikel 2, Absatz 1,2 und 3. Außerdem<br />
wird dies im Erläuterungsbericht zur<br />
Konvention ausdrücklich klargestellt.<br />
- Die Konvention sieht eine strenge, also<br />
verschuldensunabhängige Haftung (siehe<br />
Kapitel 2) vor. Derjenige haftet verschuldensunabhängig,<br />
der die tatsächliche<br />
Kontrolle über die gefährliche Aktivität<br />
zu dem Zeitpunkt hat, in dem der<br />
Schaden entsteht oder, etwa bei einer<br />
Mülldeponie, bekannt wird. Dies schließt<br />
beispielsweise den Manager, der entsprechende<br />
Betriebsentscheidungen<br />
trifft, mit ein.<br />
- Die Konvention verleiht Umweltorganisationen<br />
ein Klagerecht auf Wiederherstellung<br />
bzw. Reinigung der Umwelt, auf das<br />
Beenden eines ungesetzlichen Verhaltens<br />
sowie auf das Ergreifen vorbeugender<br />
Maßnahmen. <br />
28 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
- Die Konvention umfasst alle Arten von<br />
Schäden, auch an den Charakteristika<br />
von Landschaften und am kulturellen<br />
Erbe.<br />
- Die Konvention gibt der Wiederherstellung<br />
klaren Vorrang vor finanzieller Entschädigung.<br />
Allerdings wird dies auch<br />
hier dadurch eingeschränkt, dass die<br />
Wiederherstellung "angemessen" sein<br />
muss. Als "unangemessen" gilt dabei<br />
gemäß der <strong>EU</strong>-Abfallrichtlinie von 1991,<br />
wenn die Kosten "tiefgreifend den Nutzen<br />
überschreiten und wenn Alternativmaßnahmen<br />
zu wesentlich günstigeren<br />
Kosten vorgenommen werden können".<br />
Beispiel: Überschreiten die Kosten <strong>für</strong><br />
die Wiederherstellung eines Waldes unangemessen<br />
die Kosten <strong>für</strong> die Herstellung<br />
des Waldes an anderer Stelle, so<br />
kann der Wald an der anderen Stelle<br />
gepflanzt werden.<br />
Zwar bietet die Lugano-Konvention eine<br />
ganze Reihe von Ansätzen zur Lösung der<br />
in Kapitel 2 skizzierten Herausforderungen.<br />
Dennoch bleiben auch hier viele<br />
Probleme ungelöst. Zudem räumt sie den<br />
ratifizierenden Staaten sehr viel Ermessen<br />
und Freiheit bei der Umsetzung der Bestimmungen<br />
ein. Insofern ist zweifelhaft,<br />
ob die Konvention zur Schaffung eines<br />
einheitlichen Europäischen Umwelthaftungsrechts<br />
geeignet ist.<br />
Problematisch ist auch, dass bislang<br />
(Stand: 21. Juni 1997) erst neun Staaten<br />
die Lugano-Konvention gezeichnet haben,<br />
davon sogar nur sechs, die zur Europäischen<br />
Union zählen: Finnland, Griechenland,<br />
Italien, Luxemburg, Niederlande und<br />
Portugal. Die drei übrigen zeichnenden<br />
Länder sind die Nicht-<strong>EU</strong>-Staaten Liechtenstein,<br />
Island und Zypern. Zudem gibt<br />
es bislang keine einzige Ratifizierung. Das<br />
heißt: Die "Lugano-Kovention" wurde noch<br />
von keinem Staat als eigenes Gesetz in<br />
Kraft gesetzt. Die Konvention tritt jedoch<br />
erst dann in Kraft, nachdem der dritte<br />
Staat ratifiziert hat. Allerdings sind inzwischen<br />
einige Länder dabei, wie etwa<br />
Finnland, Griechenland und die Niederlande,<br />
rechtliche Vorbereitungen <strong>für</strong> eine<br />
Ratifizierung zu treffen. Insgesamt stehen<br />
Österreich, Belgien, Finnland, Griechenland,<br />
Italien, Luxemburg, Portugal, Schweden<br />
und die Niederlande der Lugano-<br />
Konvention positiv gegenüber. Abgelehnt<br />
wird sie dagegen von Dänemark, Deutschland<br />
und Großbritannien. Irland, Spanien<br />
und Frankreich haben bislang noch keine<br />
Stellung bezogen. <br />
Fachleute be<strong>für</strong>worten deshalb, dass die<br />
Europäische Union einerseits der Lugano-<br />
Konvention beitritt. Dadurch würden die<br />
Bestimmungen der Konvention Teil des<br />
<strong>EU</strong>-Rechts. Das hieße: Die Mitgliedstaaten<br />
wären verpflichtet, wenigstens die Bestimmungen<br />
der Lugano-Konvention in<br />
nationales Recht umzusetzen. Zusätzlich<br />
soll eine <strong>EU</strong>-Richtlinie die in der Konvention<br />
nicht oder nicht ausreichend behandelten<br />
Probleme aufgreifen und lösen.<br />
4.2. Ist das Haftungsrecht der USA ein<br />
mögliches Modell <strong>für</strong> Europa?<br />
Wenn es um Abbau von staatlichen Genehmigungsverfahren<br />
und um mehr unternehmerische<br />
Freiheit und Eigenverantwortung<br />
geht, werden die USA von Industrievertretern<br />
und manchen Politikern gern<br />
als anzustrebendes Modell propagiert.<br />
Kehrseite des geringeren staatlichen<br />
Einflusses ist jedoch eine Stärkung des<br />
Verbrauchers, wie sie hierzulande Traum<br />
vieler Verbraucher und Alptraum zahlreicher<br />
Unternehmer ist. Wesentlicher Bestandteil<br />
der starken Verbraucherposition<br />
ist ein entsprechend rigides Haftungsrecht.<br />
In nahezu allen in Kapitel 2 genannten<br />
Punkten geht das<br />
Umwelthaftungsrecht der USA wesentlich<br />
weiter als das, was derzeit in den <strong>EU</strong>-<br />
Mitgliedstaten existiert:<br />
Wesentliche rechtliche Grundlage des US-<br />
amerikanischen Haftungsrechts (neben<br />
dem Zivil- und Deliktsrecht) ist der föderale<br />
"Comprehensive Environmental Response,<br />
Compensation and Liability Act"<br />
zum Umgang mit Altlasten, auch bekannt<br />
unter der Abkürzung "CERCLA" bzw. unter<br />
dem Begriff "Superfund". CERCLA umfasst<br />
zum einen den Umgang mit rein ökologischen<br />
Schäden, also solche an einer<br />
Umwelt, die niemandem gehört. Zum<br />
anderen regelt CERCLA den Ersatz von<br />
Reinigungskosten. Insofern schließt der<br />
"Superfund" eine rechtliche Lücke, die<br />
sich ansonsten aus einer alleinigen Anwendung<br />
von Zivil- und Deliktsrecht ergibt.<br />
Allerdings ist die Anwendung von<br />
CERCLA beschränkt. So gilt CERCLA nicht<br />
<strong>für</strong> bestimmte Substanzen, wie etwa Öl,<br />
nukleare Materialien und Pestizide. Diese<br />
werden rechtlich gesondert erfasst.
Zwar verlangt auch das zivilrechtliche<br />
Haftungsrecht der USA ein schuldhaftes<br />
Verhalten. Anders ist dies jedoch bei<br />
CERCLA. Hier geht die Rechtsprechung<br />
von einer verschuldensunabhängigen,<br />
also strengen Gefährdungshaftung aus.<br />
Eine verschuldensunabhängige Haftung<br />
besteht auch im Bereich der umweltrelevanten<br />
Produkthaftung, soweit fehlerhafte<br />
Produkte verkauft oder im Verkaufsgespräch<br />
Produkte falsch dargestellt werden.<br />
So hatten beispielsweise Klagen<br />
gegen Produzenten Erfolg, die gefährliche<br />
Substanzen an Kunden verkauften, die<br />
diese Substanzen später nicht sachgerecht<br />
entsorgten, sondern in der Umwelt<br />
deponierten.<br />
Unter CERCLA haften folgende potentiell<br />
Beteiligte:<br />
- Gegenwärtige und vergangene Eigentümer<br />
und Unternehmer auf dem Gelände;<br />
- Hersteller von gefährlichen Substanzen<br />
(egal ob in Form von Produkten oder<br />
Abfällen), soweit sie die nicht sachgemäße<br />
Beseitigung in der Umwelt arrangierten;<br />
- Transporteure, die die Stoffe in die<br />
Umwelt verbrachten<br />
Bemerkenswert ist auch, daß nach<br />
CERCLA mehrere Verursacher gesamschuldnerisch<br />
haften (siehe Kapitel 2),<br />
außer in den seltenen Fällen, in denen<br />
sich die Schadenszufügung als teilbar<br />
zeigt.<br />
Es haften weiterhin Direktoren und Manager,<br />
Muttergesellschaften und Kreditunternehmen,<br />
soweit sie an den schadensverursachenden<br />
Handlungen beteiligt<br />
bzw. darin verwickelt sind.<br />
Gemäß CERCLA wird die finanzielle Wiedergutmachung<br />
von Schäden an natürlichen<br />
Ressourcen, wie etwa Oberflächen-<br />
und Grundwasser, Luft, geologische und<br />
biologische Ressourcen (zum Beispiel<br />
Tier- und Pflanzenarten) durch entsprechende<br />
staatliche Treuhandfonds geltend<br />
gemacht. Diese Kollektivfonds, die von<br />
potentiellen Verursachern finanziert werden,<br />
unterstehen der Regierung. <br />
Berechnungsmaßstäbe <strong>für</strong> die Höhe von<br />
Umweltschäden werden derzeit noch<br />
entwickelt. Allerdings sieht CERCLA <strong>für</strong><br />
jeden einzelnen Schaden eine Obergrenze<br />
von derzeit 50 Millionen Dollar vor. Diese<br />
Begrenzung gilt aber nicht, wenn der<br />
Schaden grob fahrlässig oder vorsätzlich<br />
verursacht wurde.<br />
Klagebefugnis:<br />
Jeder, auch ein Umweltverband, ist berechtigt,<br />
gegen eine "bevorstehende und<br />
erhebliche Gefahr <strong>für</strong> öffentliche Gesundheit,<br />
Sicherheit, Wohlergehen oder <strong>für</strong> die<br />
Umwelt, verursacht durch Behandlung,<br />
Lagerung oder Wegwerfen von festen<br />
Abfällen" (dazu zählen auch gefährliche<br />
und flüssige Abfälle etc.), Klage zu erheben.<br />
Eine solche weite Klagebefugnis gibt<br />
es auch in anderen Bereichen des Umweltrechts.<br />
Unter CERCLA können allerdings<br />
nur private Kläger ihre eigenen<br />
Reinigungskosten geltend machen. Wiedergutmachung<br />
<strong>für</strong> Schäden an den natürlichen<br />
Ressourcen kann dagegen nur<br />
die Regierung über die bereits genannten<br />
Treuhandfonds verlangen.<br />
Beweislast:<br />
Sowohl gemäß CERCLA als auch dem<br />
sonstigen allgemeinen Recht , obliegt es<br />
dem Kläger, die überwiegende Wahrscheinlichkeit<br />
darzulegen, dass der Beklagte<br />
haftet. Allerdings kann unter<br />
CERCLA die Beweislast durch eine widerlegbare<br />
Vermutung auch umgekehrt sein,<br />
wie zum Beispiel bei der oben genannten<br />
Annahme einer gesamtschuldnerischen<br />
Haftung.<br />
Nach Ansicht des EEB ist das amerikanische<br />
Haftungsrecht in vielen Punkten<br />
auch <strong>für</strong> Europa vorbildlich und nachahmenswert.<br />
Dennoch ist das amerikanische<br />
System nicht völlig auf das europäische<br />
übertragbar. Denn in vielerlei Hinsicht<br />
unterscheiden sich das amerikanische<br />
Rechtssystem grundlegend von dem<br />
europäischen. So spielt die öffentlichrechtliche<br />
Genehmigung in den USA eine<br />
viel geringere Rolle. Als Gegengewicht ist<br />
das Haftungsrecht entsprechend stark.<br />
Nach Ansicht des EEB darf die Entwicklung<br />
in Europa jedoch nicht dahin gehen,<br />
daß Haftungsrecht staatliche Gesetzgebung<br />
ersetzt. Haftungsrecht kann und<br />
darf nur eine Ergänzung zum ordnungsrechtlichen<br />
Handeln sein, als ein wesentlicher<br />
Baustein marktwirtschaftlicher Instrumente.<br />
<br />
Kontakt <br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 29
Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />
5. Was fordert das<br />
Europäische Umweltbüro?<br />
Nach Ansicht des Europäischen Umweltbüros<br />
muss ein wirksames Umwelthaftungsrecht,<br />
das nicht nur ein zahnloser<br />
Tiger ist, folgende Standards erfüllen:<br />
Es muss sich um ein europäisches Haftungsrecht<br />
handeln und zwar um eine<br />
Richtlinie zum Umwelthaftungsrecht.<br />
Eine deutliche,<br />
verschuldensunabhängige Haftung<br />
Die Definition des Begriffes "Umwelt" muss<br />
ausreichend breit sein, um möglichst viele<br />
Arten von Umweltschäden zu erfassen.<br />
Vor allem muss er auch solche Arten von<br />
Umwelt einschließen, an denen kein Eigentumsrecht<br />
besteht. Nur so können<br />
auch Schäden, beispielsweise an Luft und<br />
Wasser sowie wild lebenden Tier- und<br />
Pflanzenarten, haftungsrechtlich berücksichtigt<br />
werden.<br />
Der Zugang zu rechtlichen Mitteln, wie<br />
etwa einer Klage, muss möglichst breit<br />
sein. Unabdingbar ist vor allem eine Klagebefugnis<br />
<strong>für</strong> Umweltschutzorganisationen<br />
und Einzelpersonen auch ohne Verletzung<br />
in einem eigenen Recht, wie etwa<br />
Eigentum. Dabei darf eine Klage nicht an<br />
der mangelnden Ausstattung mit finanziellen<br />
Mitteln scheitern. Außerdem muss es<br />
dem Kläger möglich sein, sowohl die<br />
Beendigung der umweltschädlichen Handlung<br />
als auch Schadensersatz zu verlangen.<br />
Die Anforderungen an den Nachweis der<br />
Kausalität zwischen Handlung bzw. Ereignis<br />
und dem eingetretenen Schaden<br />
müssen weniger streng sein. Denn im<br />
Falle eines Umweltschadens ist es <strong>für</strong> den<br />
Kläger häufig schwierig bis unmöglich,<br />
diese einzige und ausschließliche Kausalität<br />
nachzuweisen. Richtern muss es deshalb<br />
möglich sein, bereits aus einer ausreichend<br />
starken Vermutung, dass die<br />
Kausalität besteht, die Haftung des Unternehmers<br />
zu folgern.<br />
Im Falle mehrerer Verursacher bedarf es<br />
einer gesamtschuldnerischen Haftung.<br />
Dies erlaubt dem Kläger, in nur einem<br />
Prozess einen Verursacher auf den gesamten<br />
Schaden zu verklagen. <br />
30 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />
Durch entsprechende finanzielle Deckungsgarantien<br />
muss ausgeschlossen<br />
werden, dass besonders risikoreiche<br />
Handlungen auf besonders kapitalarme<br />
Tochterfirmen ausgelagert werden, die im<br />
Falle eine Schadens über keine ausreichende<br />
Kapitaldecke verfügen.<br />
Es darf keine Haftungsbegrenzungen<br />
geben. Denn ansonsten wird der Anreiz<br />
zur Vorbeugung und Vermeidung vermindert.<br />
So darf es zum Beispiel keine Haftungsbegrenzung<br />
<strong>für</strong> Abfalldeponien<br />
geben, nur weil sie staatlich genehmigt<br />
sind und bereits ein gewisses Maß an<br />
Verschmutzung besteht.<br />
Bis zu einer bestimmten Höhe müssen<br />
Schadensersatzforderungen durch eine<br />
Deckungsvorsorge abgesichert werden.<br />
Dies kann durch unternehmensbezogene<br />
finanzielle Rückstellungen oder durch<br />
rechtliche Garantien, wie etwa eine Bankbürgschaft<br />
geschehen. Darüber hinaus ist<br />
die Einführung einer Versicherungspflicht<br />
erforderlich. Denn Reparaturkosten <strong>für</strong><br />
Umweltschäden können so hoch sein,<br />
dass sie die Kapitaldecke eines Verursacher<br />
übersteigen.<br />
Es müssen Haftungsfonds errichtet werden.<br />
Sie dienen vor allem den Fällen, in<br />
denen die Verursacher nicht zu identifizieren,<br />
die Schäden aber bestimmten Branchen<br />
zuzurechnen sind. Ähnlich der in<br />
Kapitel 4.3. beschriebenen Treuhandfonds<br />
der USA könnten sie auf der Basis<br />
verschiedener Ursachenquellen (zum<br />
Beispiel ein Luftverschmutzungsfonds)<br />
oder verschiedener Schadensarten (zum<br />
Beispiel ein Waldschadensfonds) errichtet<br />
werden. Die Fonds müssen regional errichtet<br />
werden, damit das Geld den Regionen<br />
zu gute kommt, aus denen es kommt.<br />
Finanziert werden die Fonds - ebenfalls<br />
nach amerikanischem Vorbild - mit einer<br />
schadstoffbezogenen Abgabe. Nur dies<br />
entspricht dem Verursacher-Prinzip.
Interaktiv <br />
Verweise auf frühere<br />
<strong>EU</strong>R-Ausgaben<br />
Das <strong>EU</strong>-Rundschreiben und die Sonderteile<br />
beschränken sich in der Regel auf<br />
aktuelle Informationen. Daher wird in<br />
einigen Artikeln auf vorangegangene<br />
Ausgaben verwiesen, z.B. "<strong>EU</strong>R 04.02" als<br />
Hinweis auf Heft 4 des <strong>EU</strong>-Rundschreibens<br />
im Jahr 2002.<br />
Alle älteren Ausgaben sind im Internet<br />
zugänglich (www.dnr.de, "Publikationen",<br />
"<strong>EU</strong>R online", "Bisherige Ausgaben").<br />
<strong>EU</strong>-Rundschreiben im Internet<br />
www.dnr.de<br />
heißt die Internetseite des DNR. Ein Klick<br />
auf das blaue Titelblatt bringt Sie sofort<br />
zum <strong>EU</strong>-Rundschreiben. Dort finden Sie<br />
- den aktuellen Sonderteil<br />
- den aktuellen Hauptteil mit Inhaltsverzeichnis,<br />
Editorial, Serviceteil und vier<br />
ausgewählten Beiträgen<br />
- die bisherigen Ausgaben ab Januar<br />
2000 als Volltext-Archiv (PDF-Dateien)<br />
Gastautor/innen willkommen<br />
Wir freuen uns auf Ihre Beiträge in Absprache<br />
mit der Redaktion.<br />
Beiträge von Gastautor/innen stimmen<br />
nicht in allen Fällen mit der Meinung der<br />
Redaktion überein. Die Redaktion behält<br />
sich vor, Beiträge zu kürzen und zu überarbeiten.<br />
Kontakt <br />
• Umwelthaftung in Europa<br />
European Environmental Bureau<br />
(EEB), Roberto Ferrigno, Bld. de Waterloo,<br />
34, B-1000 Bruxelles<br />
Tel. 0032 2 / 289109-4, Fax -9<br />
eMail: roberto.ferrigno@eeb.org<br />
Internet: www.eeb.org<br />
Quelle: EEB: Umwelthaftung in Europa;<br />
Internet: www.eeb.org/archive/<br />
umwelthaftungd.htm<br />
Literatur:<br />
Andrea Bianchi, "The Harmonization of<br />
Laws on Liability for Environmental<br />
Damage in Europe: An Italian Perspective",<br />
Journal of Environmental Law Vol<br />
6 No 1, Oxford University Press, 1994<br />
Alfred Eberhardt, "Umweltschutz als<br />
Integrationsaufgabe - Ein Leitfaden <strong>für</strong><br />
Verwaltung, Politik und Wirtschaft",<br />
Economica Verlag, Bonn, 1996<br />
Europäische Kommission. "Contract<br />
B4/3040/94/000665/MAR/H1, Study<br />
of Civil Liability Systems for Remedying<br />
Environmental Damage", Study 1 and<br />
2, McKenna & Co, Dezember 1995<br />
Europäische Kommission, "Economic<br />
Aspects of Liability and Joint Compensation<br />
Systems for Remedying Environmental<br />
Damage" (Main Report)", März<br />
1996, Reference 3066<br />
Europäisches Umweltbüro, "European<br />
Environmental Bureau Position on the<br />
Green Book on Remedying Environmental<br />
Damage (COM(93)47 FIN) and<br />
a Comparison of the Green Book with<br />
an Earlier Draft Proposal of the Commission<br />
Services", October 1993<br />
Kurt Kiethe und Michael Schwab, "EG-<br />
rechtliche Tendenzen zur Haftung <strong>für</strong><br />
Umweltschäden", EuZW, Heft 14/1993,<br />
S. 437 ff.<br />
Joachim Schmidt-Salzer, "Verbraucherschutz,<br />
Produkthaftung, Umwelthaftung,<br />
<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung",<br />
Neue Juristische Wochenschrift (NJW),<br />
Heft 20/1994, S. 1305ff.<br />
X. Thunis, "Le temps de la responsabilité,<br />
Réfléxions sur la Convention du<br />
Conseil de l’Europe et sur le Livre vert<br />
concernant la réparation des dommages<br />
causés à l’environnement", Kluwer<br />
Éditions Juridiques Belgique, Aménagement-Environnement,<br />
1993, S. 215ff.<br />
weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 31