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Regeln für Unternehmen - EU-Koordination

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Sonderteil 06.03<br />

<strong>EU</strong>-RUNDSCHREIBEN<br />

herausgegeben vom Deutschen Naturschutzring (DNR) e.V.<br />

Die Zukunft der Europäischen Union<br />

Weltweite <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> globale <strong>Unternehmen</strong>


Sonderteil 06.03<br />

2 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

<strong>EU</strong>-RUNDSCHREIBEN<br />

herausgegeben vom Deutschen Naturschutzring (DNR) e.V.<br />

Impressum <br />

Sonderteil <strong>EU</strong>-Rundschreiben<br />

Jahrgang 12 (2003), Heft 06<br />

Berlin, 4. Juli 2003<br />

Herausgeber<br />

Deutscher Naturschutzring,<br />

Dachverband der deutschen Natur- und<br />

Umweltschutzverbände (DNR) e.V.<br />

Redaktion<br />

DNR Geschäftsstelle Berlin/<br />

<strong>EU</strong>-<strong>Koordination</strong> und Internationales<br />

Nika Greger (ng), Juliane Grüning (jg),<br />

Britta Steffenhagen (bs)<br />

Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin<br />

Tel. 030 / 443391-81, Fax -80<br />

eMail: juliane.gruening@dnr.de<br />

Internet: www.dnr.de<br />

DNR Geschäftsstelle Bonn<br />

Am Michaelshof 8-10, 53177 Bonn<br />

Tel. 0228 / 35 90-05, Fax -96<br />

eMail: info@dnr.de, Internet: www.dnr.de<br />

Abonnement-Verwaltung<br />

Thomas Kreutzberg, Geschäftsstelle Bonn<br />

eMail: thomas.kreutzberg@dnr.de<br />

Technik<br />

Layout: DNR-Redaktionsbüro, Berlin<br />

Druck: Druckerei Eberwein, Bonn<br />

Gastartikel<br />

Artikel aus Verbänden und Forschung<br />

sind willkommen. Kürzung und redaktionelle<br />

Bearbeitung von Beiträgen vorbehalten.<br />

Mit Namen gezeichnete Beiträge geben<br />

nicht unbedingt die Meinung der Redaktion/des<br />

Herausgebers wieder. Redaktionsschluss:<br />

jeweils 15. des Monats.<br />

Copyright, Weitergabe<br />

Die Urheberrechte liegen beim Herausgeber.<br />

Eine freie Weitergabe, insbesondere<br />

der eMail-Version, ist nicht zulässig.<br />

Bezüglich vergünstigter Sammelabos bitte<br />

bei der Redaktion nachfragen. Einzelne<br />

Artikel können nachgedruckt werden,<br />

wenn die Quelle angegeben wird. Die Redaktion<br />

freut sich über ein Belegexemplar.<br />

Förderhinweis<br />

Dieses Projekt wird finanziell vom Bundesumweltministerium<br />

und vom Umweltbundesamt<br />

gefördert. Die Förderer übernehmen<br />

keine Gewähr <strong>für</strong> die Richtigkeit,<br />

Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben<br />

sowie <strong>für</strong> die Beachtung der Rechte<br />

Dritter. Die geäußerten Ansichten und<br />

Meinungen müssen nicht mit denen der<br />

Förderer übereinstimmen.


Inhalt <br />

4 Einführung: <strong>Unternehmen</strong>s-<br />

verantwortung<br />

• Rechte <strong>für</strong> Menschen, <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong><br />

Konzerne: NGOs fordern verbindliche<br />

internationale Vereinbarungen<br />

8 Freiwillige<br />

Selbstverpflichtungen<br />

• Selbstverpflichtungen der Wirtschaft:<br />

Skepsis der NGOs beruht auf<br />

Erfahrung<br />

• Friends of the Earth lehnen freiwillige<br />

Initiativen ab<br />

14 Internationale<br />

Vereinbarungen<br />

• Die OECD-Leitsätze<br />

• Die "Draft Norms" der<br />

UN-Menschenrechtskommission<br />

• Die <strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie<br />

22 Einführung in die<br />

<strong>EU</strong>-Umwelthaftung<br />

• Wozu ein Umwelthaftungsrecht?<br />

• Umwelthaftung: Entscheidende<br />

rechtliche Stichworte<br />

• Wozu ein einheitliches<br />

<strong>EU</strong>-Haftungsrecht?<br />

• Weitere Ansätze <strong>für</strong> ein Haftungsrecht<br />

• Was fordert das Europäische<br />

Umweltbüro?<br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 3


<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung <br />

Rechte <strong>für</strong> Menschen, <strong>Regeln</strong><br />

<strong>für</strong> Konzernriesen<br />

NGOs fordern internationale <strong>Regeln</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />

Das weltweite Netzwerk von Friends of the<br />

Earth International (FoEI), dessen deutsche<br />

Sektion der BUND ist, kämpft gemeinsam<br />

mit anderen Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGO) <strong>für</strong> ein internationales<br />

Regelwerk <strong>für</strong> multinationale <strong>Unternehmen</strong>,<br />

das die Rechte der von Konzernaktivitäten<br />

betroffenen Menschen und<br />

Gemeinden garantiert und gleichzeitig die<br />

Konzerne <strong>für</strong> ihre Taten weltweit haftbar<br />

macht. Dazu gehört das Recht der Menschen,<br />

Konzerne in deren Heimatländern<br />

zu verklagen, ebenso wie das Recht,<br />

schädliche Konzernakitivtäten insgesamt<br />

zu unterbinden, wenn sie sozial- und<br />

umweltpolitische Ziele untergraben.<br />

Während Entwicklungsländer und die<br />

Zivilgesellschaft <strong>für</strong> solche Forderungen<br />

meistens viel übrig haben (siehe auch die<br />

Forderungen einiger Entwicklungsländer<br />

nach <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung im<br />

Bereich Investitionen), blockieren vor<br />

allem die Industrieländer jeglichen Fortschritt<br />

und handeln damit weniger im<br />

Interesse der Menschen, sondern in dem<br />

der multinationalen Konzerne. <br />

4 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Multinationale Konzerne:<br />

Rücksichtslos und nicht zu fassen<br />

Friends of the Earth International und<br />

seine 68 Mitgliedsorganisationen in allen<br />

Teilen der Welt beobachten seit Jahren die<br />

Aktivitäten multinationaler Konzerne.<br />

Nachhaltige Entwicklung, soziale und ökologische<br />

Gerechtigkeit, die Anerkennung<br />

der ökologischen Schulden des Nordens<br />

<strong>für</strong> die Ausbeutung ökologischer Ressoucen<br />

im Süden, aber auch drohende weltweite<br />

Katastrophen wie z.B. der globale<br />

Klimawandel und der rasante Verlust der<br />

Artenvielfalt, die die natürlichen Lebensgrundlagen<br />

vieler Menschen vor allem in<br />

den Entwicklungsländern zerstören, stellen<br />

Regierungen vor große politische<br />

Herausforderungen. Es müssen <strong>Regeln</strong><br />

entwickelt werden, die ökologisch und<br />

sozial schädliche Geschäftspraktiken<br />

multinationaler Konzern einem international<br />

verbindlichen Regime aus Rechten <strong>für</strong><br />

die betroffenen Menschen und Gemeinschaften<br />

sowie sanktionierbare Vorschriften<br />

<strong>für</strong> die Konzerne unterstellen. Das<br />

hätte Katastrophen wie in Bophal oder<br />

Nigeria, die Tankerunglücke "Exxon Valdez",<br />

"Erika" oder "Prestige" verhindern<br />

oder doch wenigstens deren Folgen mindern<br />

können. <br />

Besondere Verantwortung der<br />

Industrieländer<br />

Die reichen Industrieländer haben eine<br />

besondere Verantwortung, sich dieser<br />

Herausforderung zu stellen, da die allermeisten<br />

multinationalen Konzerne aus<br />

eben diesen Ländern stammen, dabei<br />

aber besonders in den Entwicklungsländern<br />

desaströse soziale Probleme erzeugen.<br />

Immer wieder werden sie mit Menschenrechtsverletzungen<br />

in Verbindung<br />

gebracht und betreiben einen beispiellosen<br />

Raubbau an der Natur, der die ökologischen<br />

Lebensgrundlagen der Menschen<br />

zerstört. Dazu gehören beispielsweise<br />

Ölkonzerne wie Exxon in Indonesien, Shell<br />

in Nigeria oder Premier in Pakistan und<br />

Burma. Auch im Holzhandel gibt es Probleme:<br />

z.B. profitieren französische Konzerne<br />

von illegal eingeschlagenen Tropenhölzern,<br />

die etwa die Hälfte der <strong>EU</strong>-<br />

Importe ausmachen. Waldrodungen auf<br />

Grund und Boden indigener Völker <strong>für</strong> den<br />

europäischen Papierverbrauch sind ebenso<br />

an der Tagesordnung, wie unmenschliche<br />

Gesundheits- und Sicherheitsstandards<br />

in der Bekleidungsindustrie, z.B.<br />

bei den Zulieferern von Nike. Diese transnationalen<br />

Konzerne beuten Menschen<br />

und natürliche Ressourcen im Süden aus,<br />

um die Nachfrage im Norden zu befriedigen.<br />

Dadurch sammelt der Norden eine<br />

ökologische Schuld gegenüber dem Süden<br />

an, indem er mehr als seinen gerechten<br />

Anteil an globalen Umweltgütern und<br />

Ressourcen <strong>für</strong> sich beansprucht.<br />

Durch ihre ökonomische Macht und intensive<br />

Lobbyarbeit bei den Regierungen der<br />

Industrieländer, dem Internationalen<br />

Währungsfonds, der Weltbank, der<br />

Welthandlsorganisation (WTO) und anderen<br />

Institutionen haben multinationale<br />

Konzerne großen Einfluss auf die Weltwirtschaft<br />

und erweisen sich immer wieder<br />

als Verhinderer sozialer und ökologischer<br />

Nachhaltigkeit.


G8-Länder blockieren Charta zur<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

Die reichen Industrieländer hatten sich<br />

jüngst vorgenommen, die Rolle multinationaler<br />

Konzerne im Weltwirtschaftssystem<br />

auf dem diesjährigen G8-Gipfel in Evian zu<br />

diskutieren. Französische Pläne <strong>für</strong> eine<br />

"Charter of Principles for Responsible<br />

Market Economies" wurden allerdings<br />

noch vor dem Gipfel von anderen G8-<br />

Ländern erfolgreich torpediert. Statt<br />

betroffenen Menschen Rechte zuzusprechen,<br />

sollen ihnen nun noch mehr Rechte<br />

genommen werden: Das vor allem von der<br />

<strong>EU</strong> vorangetriebene Investitionsabkommen<br />

unter dem Dach der WTO sieht vor,<br />

Rechte und Einflussmöglichkeiten der<br />

Menschen und der demokratisch gewählten<br />

Regierungen weiter zu beschneiden<br />

und statt dessen Konzernen und Investoren<br />

mehr Freiheiten und Schutz zu garantieren.<br />

Dazu gehört zum Beispiel die<br />

Möglichkeit, Staaten zu verklagen, wenn<br />

diese durch neue Sozial- oder Umweltgesetze<br />

die Profite der Konzerne schmälern<br />

könnten.<br />

Konflikte werden sich verschärfen<br />

Statt Rechten <strong>für</strong> Menschen und <strong>Regeln</strong><br />

<strong>für</strong> Konzerne setzen die Industrieländer<br />

nach wie vor lieber auf zahnlose Initativen<br />

freiwilliger Selbstverpflichtung der Konzerne<br />

und überlassen ansonsten ihre<br />

Verpflichtungen, die Menschen vor sozialem<br />

und ökologischem Unbill multinationaler<br />

Konzerne zu schützen, dem Spiel des<br />

"freien Marktes". Weil weiterhin nur ein<br />

winziger Bruchteil der Konzerne seine<br />

Geschäftspraktiken nach ethischen und<br />

sozial bzw. ökologisch nachhaltigen Kriterien<br />

ausrichtet, wird diese marktorientierte<br />

Strategie die Konflikte nicht lösen, sondern<br />

verschärfen.<br />

Nach wie vor werden die Weltanschauung<br />

der Konzernwelt und vier ihrer Prinzipien<br />

unterschätzt:<br />

- möglichst viele Kosten an die Gemeinschaft<br />

zu externalisieren (z.B. Umweltverbrauch),<br />

- möglichst viele Gewinne von der Gemeinschaft<br />

zu internalisieren,<br />

- möglichst wenig Geld an die Angestellten,<br />

aber<br />

- möglichst viel Geld an die Aktionäre<br />

auszuzahlen.<br />

<br />

Spaniens Steuerzahler haften <strong>für</strong><br />

jüngste Ölkatastrophe<br />

Eines der jüngeren Beispiele ist die Ölkatastrophe<br />

der "Prestige". Das gültige<br />

Haftungsregime sieht zur Wiedergutmachung<br />

des Schadens lediglich eine Zahlung<br />

von 150 Millionen US-Dollar vor, bei<br />

einem Schaden <strong>für</strong> Umwelt und die lokale<br />

Fischereiwirtschaft entlang der galizischen<br />

Küste in Höhe von über einer Milliarde US-<br />

Dollar -- ein Schaden, <strong>für</strong> den nun die<br />

spanischen Steuerzahler aufkommen<br />

müssen. Unter anderem Japan hat alle<br />

vorgeschlagenen Reformen <strong>für</strong> das Haftungsregime<br />

erfolgreich blockiert. Die<br />

"Prestige" wurde in Japan gebaut.<br />

Corporate Social Responsibility - Wie<br />

erfolgreich sind freiwillige Lösungen?<br />

Es gibt eine Reihe von freiwilligen Initiativen,<br />

die sich unter dem Schlagwort der<br />

"Corporate Social Responsibility" zusammenfassen<br />

lassen. Prominentester Vertreter<br />

ist der "Global Compact" der Vereinten<br />

Nationen, dem sich Konzerne anschließen<br />

können, in dem sie sich verpflichten, sich<br />

zu bemühen, eine Reihe von ökologischen,<br />

sozialen und menschenrechtlichen<br />

Prinzipien einzuhalten.<br />

Die OECD hat vor einiger Zeit ihre "Guidelines<br />

for Multinational Enterprises" überarbeitet,<br />

und auch der "European Code of<br />

Conduct for European Enterprises Operating<br />

in Developing Countries" enthält<br />

Mechanismen, wenig zukunftsfähiges<br />

Verhalten von Konzernen ins Licht der<br />

Öffentlichkeit zu rücken. Diese und eine<br />

Reihe weiterer Initiativen haben bisher<br />

den fortwährenden Missbrauch von Konzernmacht<br />

nicht unterbinden können, vor<br />

allem weil sie wenig Anreize zur Einhaltung<br />

bieten, die die finanziellen Anreize<br />

zur Nichteinhaltung ausgleichen könnten.<br />

Die in den Initiativen formulierten Standards<br />

sind nicht nur schwach, sondern<br />

eben freiwillig und damit weder sanktionier-<br />

noch einklagbar. Mechanismen <strong>für</strong><br />

Kontrolle und Monitoring über die Einhaltung<br />

von Richtlinien über das Maß hinaus,<br />

das die Konzerne selbst <strong>für</strong> richtig und<br />

wichtig erachten, gibt es nicht. Schließlich<br />

sprechen die Initiativen den betroffenen<br />

Menschen keine Rechte zu. Umfang,<br />

Themen und Konsequenzen sogenannter<br />

"stakeholder dialogues" definieren die<br />

Konzerne - nicht die betroffenen Menschen.<br />

<br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 5


<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung <br />

<br />

Ein global verbindliches Regime zur<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung muss her<br />

Die Idee, schädlichen Konzernaktivitäten<br />

verbindliche <strong>Regeln</strong> vorzusetzen, ist nicht<br />

neu, wie die Geschichte von Gesundheits-<br />

und Sicherheitsbestimungen oder Arbeitnehmerrechten<br />

und Umweltstandards<br />

zeigt. Allerdings hat deren Entwicklung bei<br />

weitem nicht dem Umfang und der Geschwindigkeit<br />

mitgehalten, mit der Märkte<br />

und Produktionsprozesse globalisiert<br />

wurden. Multinationale Konzerne haben<br />

an Macht und Einfluss gewonnen, die die<br />

Kraft vieler Entwicklungsländer um ein<br />

Vielfaches übersteigt, so dass häufig nicht<br />

sozial- und umweltpolitische Maßnahmen<br />

die Konzerne zügeln, sondern Konzerne<br />

die Entwicklung und Umsetzung von Politikzielen<br />

in diesen Ländern be- und verhindern.<br />

Vielmehr wetteifern Entwicklungsländer<br />

um die geringsten Standards, um<br />

Investitionen anzulocken und Konzerne im<br />

Land zu halten ("Race to the Bottom").<br />

Großkonzerne spielen ihre Macht<br />

gegen arme Länder aus<br />

Nicht nur sind die Standards dort in der<br />

Regel weitaus niedriger als in den reichen<br />

Ländern. Auch drängen Konzerne die<br />

Regierungen häufig, sie von bestehenden<br />

Standards auszunehmen bzw. diese einfach<br />

nicht umzusetzen. Der georgische<br />

Präsident Schwardnadse beispielsweise<br />

zwang nach Intervention durch BP seine<br />

Umweltministerin, eine Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

<strong>für</strong> den georgischen Teil der<br />

geplanten Pipeline vom Kaspischen Meer<br />

ans Mittelmeer zu unterzeichnen und<br />

damit gegen geltendes georgisches Umweltrecht<br />

verstoßen. Multinationale Konzerne<br />

zur Verantwortung zu ziehen oder<br />

gar auf Schadensersatz zu verklagen,<br />

übersteigt nicht nur häufig die rechtlichen<br />

und finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen.<br />

Zudem fallen bei multinationalen<br />

Konzernen Produktion und Absatzmärtke<br />

oder Besitzverhältnisse in unterschiedliche<br />

rechtliche Rahmenbedingungen, die<br />

zum Teil untereinander inkonsistent sind,<br />

was es schwer oder unmöglich macht<br />

ihrer rechtlich habhaft zu werden. <br />

6 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Dezentralisierung statt Privatisierung!<br />

Hinzu kommt die wachsende Tendenz, im<br />

öffentlichen Interesse eingeführte soziale<br />

und ökologische Beschränkung von Konzernaktivitäten<br />

nun dem Interesse eines<br />

möglichst ungehinderten Handels mit<br />

Waren und Dienstleistungen zu opfern.<br />

Dazu gehört auch, dass Konzerne mehr<br />

und mehr Aufgaben überantwortet bekommen,<br />

die vormals in öffentlicher Hand<br />

lagen, wie zum Beispiel das Gesundheitswesen<br />

oder die Wasserversorgung, wo<br />

das öffentliche Interesse (Wasser so<br />

sauber wie möglich) mit dem privaten<br />

Interesse an Profit (Wasser so sauber wie<br />

gesetzlich nötig) ausgetauscht wird.<br />

Friends of the Earth International erkennt<br />

an, dass ökonomische Aktivitäten nicht<br />

per se schlecht sind. Vor allem kleine und<br />

mittelständische Betriebe sind Motoren<br />

lokaler Wirtschaftskreisläufe, die <strong>für</strong> die<br />

Entwicklung von Wohlstand gerade in den<br />

armen Ländern große Bedeutung haben.<br />

Dabei sind solche <strong>Unternehmen</strong> durch<br />

ihre geringere Größe automatisch viel<br />

direkter lokalen Gemeinschaften verpflichtet.<br />

Auch in der Entwicklung zukunftsfähiger<br />

Technologien wie zum Beispiel im<br />

Bereich erneuerbarer Energien sind Kreativität<br />

und Fähigkeiten von <strong>Unternehmen</strong><br />

gefragt. Das darf aber nicht darüber<br />

hinwegtäuschen, dass wirtschaftliche<br />

Aktivitäten gerade der großen, multinationalen<br />

Konzerne den sozial- und umwelpolitischen<br />

Zielen der Gemeinschaften, in<br />

deren Umgebung sie operieren, verpflichtet<br />

sein müssen. Verantwortung darf nicht<br />

in erster Linie die Verantwortung gegenüber<br />

den Aktionären ("shareholders")<br />

heißen, sondern Verantwortung gegenüber<br />

aller durch die Konzerntätigkeiten<br />

betroffenen Menschen und Gemeinschaften<br />

("stakeholders").<br />

Rechte <strong>für</strong> Menschen, <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong><br />

Konzerne: wie sieht das aus?<br />

Ein globales Regime aus Rechten <strong>für</strong><br />

Menschen und <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> Konzerne muss<br />

nach Ansicht von Friends of the Earth<br />

International unter dem Dach der Vereinten<br />

Nationen stehen. Der Weltgipfel <strong>für</strong><br />

Nachhaltige Entwicklung hat dies implizit<br />

erkannt und in seinem Aktionsplan bereits<br />

gefordert, "basierend auf den Rio-<br />

Prinzipien aktiv die <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

voranzutreiben, auch durch die<br />

Entwicklung und wirksame Umsetzung von<br />

zwischenstaatlichen Vereinbahrungen und<br />

Maßnahmen." <br />

WTO-Investitionsabkommen mit<br />

verbindlichen <strong>Regeln</strong> reicht nicht<br />

Für ein mögliches Investitionsabkommen<br />

innerhalb der WTO haben einige Entwicklungsländer<br />

unter der Führung Kenias<br />

<strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> Investoren und Konzerne zum<br />

Schutz heimischer Entwicklungsziele<br />

gefordert. Die Richtung dieses Vorschlages<br />

ist begrüßenswert, aber weil die WTO<br />

eher die Interessen von Konzernen als die<br />

der Menschen verfolgt, würde ein Regime<br />

unter der WTO zwangsläufig erheblich<br />

zugunsten von multinationalen Konzernen<br />

verwässert, während gleichzeitig die WTO<br />

und die reichen Länder sich damit schmücken<br />

würden, den Forderungen nach<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung nachgekommen<br />

zu sein - während sie über das<br />

vorgeschlagene Investitionsabkommen<br />

gleichzeitig den Menschen Rechte nehmen<br />

und sie multinationalen Konzernen<br />

zuschustern.<br />

Erforderliche Regimeprinzipien aus<br />

Sicht von FoEI<br />

Das von Friends of the Earth International<br />

geforderte Regime würde Mechanismen<br />

einführen, über die von Konzernaktivitäten<br />

betroffene Menschen ihre Rechte geltend<br />

machen könnten. Da<strong>für</strong> müssen international<br />

gültige und verbindliche soziale und<br />

ökologische Pflichten <strong>für</strong> Konzerne eingeführt<br />

werden, die in der Konsequenz zu<br />

konsistenten, hohen Standards unternehmerischer<br />

Praktiken führen und verhindern,<br />

dass Regierungen auf die Lobbyisten<br />

der Konzerne reagieren und nicht<br />

auf die sozial- und umweltpolitischen<br />

Bedürfnisse ihrer Bürger. Das Regime<br />

müsste Sanktionen <strong>für</strong> Nichteinhaltung der<br />

Standards vorsehen und soziale wie ökologische<br />

Gerechtigkeit <strong>für</strong> Menschen und<br />

Gemeinschaften garantieren. Die wichtigsten<br />

Bestandteile eines Regimes wären<br />

nach Ansicht von Friends of the Earth<br />

International:


a.<br />

Konzernaktivitäten müssen hohen Standards<br />

in sozial- und umweltpolitischer,<br />

aber auch menschenrechtlicher Hinsicht<br />

genügen, die z.B. auf bestehenden internationalen<br />

Abkommen zum Umweltschutz<br />

oder Schutz von Arbeitsrechten basieren.<br />

Das Regime muss Regierungen die Möglichkeit<br />

verbriefen, nach dem Vorsorgeprinzip<br />

neue Standards und Gesetze zu<br />

erlassen oder zu verschärfen, die die<br />

Regierung <strong>für</strong> ihre sozial- und umweltpolitischen<br />

Entwicklungsziele <strong>für</strong> nötig erachtet.<br />

b.<br />

Das vorgeschlagene Regime muss Menschen<br />

und Gemeinschaften ihre Rechte<br />

auf Zugang und Kontrolle über ihre natürlichen<br />

Ressourcen garantieren, die sie <strong>für</strong><br />

nachhaltige Entwicklung und ein Leben in<br />

angemessenem Wohlstand und Würde<br />

benötigen. Das schließt Rechte <strong>für</strong> indigene<br />

Völker über Gemeinschaftsgüter wie<br />

Wälder, Wasserressourcen, Fischbestände,<br />

Mineralien und genetische Ressoucen<br />

und lokale Gemeinschaften mit ein. Konzernaktivitäten,<br />

die diese Rechte beeinträchtigen<br />

könnten, dürfen nur nach<br />

vorheriger Beratung und in Einvernehmen<br />

mit den betroffenen Menschen stattfinden,<br />

die von den Konzernen gerecht entschädigt<br />

werden müssen. Insbesondere<br />

verbriefen solche Rechte den Menschen<br />

auch das Recht, Konzernaktivitäten auf<br />

ihrem Land vollständig zu untersagen,<br />

wenn diese Aktivitäten sozial- und umweltpolitische<br />

Ziele untergraben könnten.<br />

c.<br />

Konzerne müssen <strong>für</strong> ihr Verhalten und<br />

z.B. die Nichteinhaltung internationaler<br />

Standards im Sinne des Verursacherprinzips<br />

voll haftbar gemacht werden können.<br />

Von Konzernaktivitäten betroffene Menschen<br />

müssen die Möglichkeit erhalten,<br />

ihre Rechte einzufordern und notfalls<br />

Konzerne und ihre Muttergesellschaften in<br />

deren Heimatländern zu verklagen. Das<br />

erfordert unter anderem auch die Einführung<br />

eines internationalen Rechtshilfefonds.<br />

Auf diese Weise können Konzerne<br />

der Haftung nicht dadurch entgehen, dass<br />

sie einfach die Zuständigkeiten angerufener<br />

Gerichte anzweifeln. <br />

d.<br />

Nur wirksame Sanktionen auf nationaler<br />

wie internationaler Ebene garantieren die<br />

Einhaltung von Pflichten, <strong>Regeln</strong> und<br />

Standards. Neben Strafen finanzieller Art<br />

könnten solche Sanktionen auch die Auslistung<br />

aus nationalen Börsen oder die<br />

Verweigerung öffentlicher Kredite beinhalten.<br />

e.<br />

Pflichten und <strong>Regeln</strong> müssen generell<br />

nicht nur <strong>für</strong> die Konzerne gelten, sondern<br />

auch <strong>für</strong> die Personen in den Chefetagen,<br />

so dass konkrete Personen <strong>für</strong><br />

die Einhaltung von national und international<br />

gültigen sozialen und ökologischen<br />

Standards, Abkommen und Gesetzen<br />

haften. Gegenwärtige Umweltabkommen,<br />

die sich bisher nur auf Staaten bzw. Regierungen<br />

beziehen, würden damit auch<br />

auf Konzerne und die verantwortlichen<br />

Personen anwendbar sein. Haftungsfragen<br />

müssen auch Schadensersatz und<br />

Ausgleichszahlungen <strong>für</strong> die Zerstörung,<br />

Beeinträchtigung oder Sanierung von<br />

Ökosystemen berücksichtigen.<br />

f.<br />

Konzerne müssen regelmäßig Berichte<br />

über Einhaltung und Übertretung von<br />

Sozial- und Umweltstandards vorlegen,<br />

die von unabhängiger Seite überprüft<br />

werden können. Konzernaktivitäten müssen<br />

im Einvernehmen mit der betroffenen<br />

Bevölkerung stehen. Das erfordert volle<br />

Transparenz über Planungen und mögliche<br />

soziale und ökologische Auswirkungen<br />

und den ungehinderten Zugang zu<br />

Informationen auch in der Vorbereitung<br />

von Umweltverträglichkeitsprüfungen.<br />

g.<br />

Nur mit einer starken, internationalen<br />

Struktur mit rigorosen und unabhängigen<br />

Umsetzungs- und Kontrollmechanismen<br />

lassen sich die vorschlagenen Bestandteile<br />

eines Regimes durchsetzen. Der Internationale<br />

Strafgerichtshof könnte zu<br />

einem unabhängigen Schiedsgericht <strong>für</strong><br />

Konzernverbrechen an ökologischen,<br />

sozialen und Menschenrechten erweitert<br />

werden. <br />

Gastautor: Jan Kowalzig, BUND<br />

Kontakt <br />

• Rechte <strong>für</strong> Menschen,<br />

<strong>Regeln</strong> <strong>für</strong> Konzernriesen<br />

BUND, Daniel Mittler, Jan Kowalzig,<br />

Referat Internationale Umweltpolitik,<br />

Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin<br />

Tel. 030 / 275864-68, Fax -40<br />

eMail: daniel.mittler@bund.net<br />

Internet: www.bund.net<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 7


Freiwillige Selbstverpflichtungen <br />

Selbstverpflichtungen der<br />

Wirtschaft und ihre Grenzen<br />

Skepsis überwiegt in der Debatte über<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

Die meisten Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGO) und Gewerkschaften waren<br />

stets skeptisch gegenüber freiwilligen<br />

Selbstverpflichtungen der Wirtschaft.<br />

Diese Skepsis hat ihre Ursachen nicht in<br />

der ideologischen Ablehnung privater<br />

Eigeninitiative und einer blinden Staatsgläubigkeit.<br />

Sie gründet vielmehr in den<br />

Erfahrungen mit der alltäglichen Praxis<br />

vieler <strong>Unternehmen</strong>. Allzu oft besteht bis<br />

heute eine erhebliche Kluft zwischen den<br />

verbalen Verpflichtungen der <strong>Unternehmen</strong><br />

zu ökologischem und sozialem Handeln<br />

und den realen Auswirkungen ihrer<br />

Aktivitäten auf Menschen und Umwelt. Der<br />

Liste von "best-practice"-Beispielen steht<br />

eine Liste von "worst-practice"-Beispielen<br />

gegenüber.<br />

Zielkonflikt der Wirtschaft zwischen<br />

kurz- und langfristigen Interessen<br />

Die Hoffnung auf das freiwillige Engagement<br />

der <strong>Unternehmen</strong> basiert auf dem<br />

Missverständnis, dass die freiwillige Verwirklichung<br />

sozialer, ökologischer und<br />

menschenrechtlicher Standards automatisch<br />

im Interesse der <strong>Unternehmen</strong> und<br />

ihrer Eigentümer liegt. Dies ist angesichts<br />

des globalisierten Wettbewerbsdrucks,<br />

dem viele <strong>Unternehmen</strong> ausgesetzt sind,<br />

und der wachsenden Macht institutioneller<br />

Anleger mit ihren hohen Renditeerwartungen,<br />

keineswegs der Fall. Es existiert in<br />

den <strong>Unternehmen</strong>sstrategien vielmehr ein<br />

Zielkonflikt zwischen den kurzfristigen<br />

wirtschaftlichen und den langfristigen<br />

gesellschaftlichen Interessen - mit anderen<br />

Worten ein Zielkonflikt zwischen der<br />

Maximierung des "Shareholder Value" und<br />

des "Stakeholder Value". Angesichts<br />

abstürzender Aktienkurse und weltweiter<br />

Rezessionstendenzen behalten in diesem<br />

Konflikt die Shareholder meist - und mikroökonomisch<br />

durchaus rational - die<br />

Oberhand. <br />

8 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

NGO-Kriterienkatalog <strong>für</strong> freiwillige<br />

Selbstverpflichtungen<br />

Dennoch lehnen manche NGOs freiwillige<br />

Selbstverpflichtungen der Wirtschaft nicht<br />

grundsätzlich ab. In einer gemeinsamen<br />

Stellungnahme an die UN-Kommission <strong>für</strong><br />

nachhaltige Entwicklung (CSD) listete eine<br />

Gruppe von Umwelt- und Entwicklungs-<br />

NGOs einen Katalog von Kriterien auf, die<br />

erfüllt sein müssen, damit freiwillige<br />

Selbstverpflichtungen "einen positiven<br />

Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung<br />

leisten” 1 . Der Katalog enthält folgende<br />

sieben Punkte:<br />

Substanz<br />

Der Text muss in Sprache und Zielsetzung<br />

klar und nicht verwässert sein, er muss<br />

sich auf die zentralen Themen und nicht<br />

auf unwichtige Details konzentrieren, und<br />

er darf keine Doppeldeutigkeiten und<br />

Schlupflöcher enthalten.<br />

Partizipation<br />

Alle betroffenen ”Stakeholder” müssen<br />

am Prozess beteiligt werden.<br />

Motivation<br />

Der Text muss ausreichende Anreize<br />

enthalten, um die freiwillige Erfüllung der<br />

Verpflichtungen zu gewährleisten.<br />

Integration<br />

Es muss sichergestellt sein, dass <strong>Unternehmen</strong><br />

soziale und ökologische Werte in<br />

ihren Firmenzielen verankern und in den<br />

Instrumenten der Erfolgskontrolle berücksichtigen.<br />

Transparenz<br />

Es muss sichergestellt sein, dass Informationen<br />

über die Produkte und Produktionsverfahren<br />

eines <strong>Unternehmen</strong>s in<br />

angemessenem Umfang rechtzeitig veröffentlicht<br />

werden.<br />

Unabhängige Verifizierung<br />

Die Verwirklichung des Kodex muss von<br />

unabhängiger Seite überprüft werden.<br />

Verantwortlichkeit/<br />

Rechenschaftspflicht<br />

In dem Kodex müssen Sanktionsmechanismen<br />

gegenüber Firmen, die den Kodex<br />

konsequent verletzen, verankert sein. <br />

1 Vgl. CSD (1998), para. 26.<br />

Innerbetriebliche Verhaltenskodizes<br />

unzureichend<br />

Beurteilt man die innerbetrieblichen Verhaltenskodizes<br />

der <strong>Unternehmen</strong> anhand<br />

dieses Kriterienkataloges, ist festzustellen,<br />

dass kein einziger den Autoren bekannter<br />

Kodex alle sieben Kriterien erfüllt.<br />

In der Regel sind weder die Partizipation<br />

der Betroffenen noch eine unabhängige<br />

Verifizierung vorgesehen. Die Erwartung,<br />

dass ein <strong>Unternehmen</strong> bei Nichteinhaltung<br />

eines Kodex sich selbst Sanktionen auferlegt,<br />

wäre absurd. Konsequenterweise<br />

nutzen NGOs und Gewerkschaften innerbetriebliche<br />

Verhaltenskodizes als Referenzrahmen<br />

in der Regel nicht. Eine positive<br />

Rolle können diese Formen der<br />

Selbstverpflichtung allenfalls als Instrument<br />

der innerbetrieblichen Bewusstseinsbildung<br />

spielen.<br />

Multistakeholder-Ansätze werden<br />

verstärkt eingesetzt<br />

Immer mehr <strong>Unternehmen</strong> sehen den<br />

begrenzten Nutzen der "ersten Generation"<br />

von unilateralen Selbstverpflichtungen<br />

- nicht zuletzt <strong>für</strong> die eigene Öffentlichkeitsarbeit<br />

- und konzentrieren sich<br />

inzwischen auf weitergehende Initiativen<br />

mit stärkerer Legitimationskraft. Dazu<br />

zählen in erster Linie die sogenannten<br />

Multistakeholder-Ansätze, die in den<br />

letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden<br />

geschossen sind. Bei diesen Modellen<br />

werden Gewerkschaften, Umwelt- und<br />

Menschenrechtsgruppen und andere<br />

Akteure der Zivilgesellschsft beteiligt. Aber<br />

auch sie weisen eine Reihe struktureller<br />

Schwächen und Grenzen auf.


Strukturelle Schwächen der<br />

Multistakeholder-Ansätze:<br />

a. Begrenzte Zahl<br />

Trotz des Booms der letzten Jahre ist die<br />

Zahl der Initiativen und der beteiligten<br />

<strong>Unternehmen</strong> verglichen mit ihrer weltweiten<br />

Zahl gering. Die UNCTAD 2 schätzt die<br />

Zahl transnationaler <strong>Unternehmen</strong> auf<br />

60.000, die ihrer Tochterfirmen auf über<br />

700.000. Sieht man von den relativ weit<br />

verbreiteten Umweltmanagementsystemen<br />

der ISO-14000-Serie ab, sind an den<br />

Multistakeholder-Initiativen insgesamt nur<br />

einige hundert <strong>Unternehmen</strong> beteiligt.<br />

Zumeist sind es <strong>Unternehmen</strong>, die in<br />

besonderem Maße auf Konsumentendruck<br />

reagieren (z.B. Kaufhausketten, Sportartikelindustrie),<br />

deren Produktion erhebliche<br />

Risiken birgt und die daher besonders im<br />

öffentlichen Rampenlicht stehen (z.B.<br />

Chemieindustrie), oder in denen Arbeitnehmerinteressen<br />

besonders gut gewerkschaftlich<br />

organisiert sind (z.B. Volkswagen).<br />

Die überwiegende Mehrheit der<br />

<strong>Unternehmen</strong> ist an Multistakeholder-<br />

Initiativen nicht beteiligt.<br />

b. Begrenzte Beteiligung<br />

Einzelne NGOs und Gewerkschaften spielen<br />

innerhalb von Multistakeholder-Initiativen<br />

eine herausragende Rolle, beispielsweise<br />

der WWF beim Marine Stewardship<br />

Council (MSC) oder die Internationalen<br />

Gewerkschaftsdachverbände bei<br />

den Globalen Rahmenabkommen mit<br />

einzelnen <strong>Unternehmen</strong>. Insgesamt ist<br />

aber sowohl die Breite als auch die Quantität<br />

zivilgesellschaftlicher Mitwirkung in<br />

den Initiativen begrenzt. In den meisten<br />

Initiativen sind nur relativ wenige NGOs<br />

und Gewerkschaften beteiligt. Zivilgesellschaftliche<br />

Gruppen aus Entwicklungsländern<br />

sind in fast allen Fällen unterrepräsentiert.<br />

In manchen Initiativen, wie den<br />

Globalen Rahmenabkommen, ist die Beteiligung<br />

von NGOs und lokalen Gruppen von<br />

vornherein gar nicht vorgesehen. <br />

2 United Nations Conference on Trade<br />

and Development<br />

c. Begrenzter Blickwinkel<br />

So selektiv wie die Beteiligung zivilgesellschaftlicher<br />

Gruppen ist auch der thematische<br />

Fokus der einzelnen Initiativen. Die<br />

einen haben vor allem ökologische Aspekte<br />

im Blick (z.B. ISO, MSC), die anderen<br />

konzentrieren sich auf die Verwirklichung<br />

der Kernarbeitsnormen der Internationalen<br />

Arbeitsorganisation ILO (z.B. SA<br />

8000, Globale Rahmenabkommen). Damit<br />

reflektieren die Initiativen in der Regel nur<br />

Teilaspekte unternehmerischer Verantwortung<br />

und nicht einen kohärenten<br />

Ansatz nachhaltiger Entwicklung, der<br />

ökologische, soziale, menschenrechtliche<br />

und ökonomische Ziele gleichermaßen<br />

umfasst. Die Initiativen entsprechen gelegentlich<br />

eher einem Ansatz von "corporate<br />

accountability à la carte". Das heißt, die<br />

<strong>Unternehmen</strong> picken sich die Verantwortungsbereiche<br />

heraus, in denen es ihnen<br />

am wenigsten weh tut Zugeständnisse zu<br />

machen. Aber die umweltfreundliche<br />

Produktion von Landminen kann ebenso<br />

wenig einem umfassenden Verständnis<br />

von <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung entsprechen<br />

wie die Herstellung eines 20-<br />

Liter-Autos, auch wenn sie ohne Kinderarbeit<br />

erfolgt.<br />

d. Begrenzte Überwachung<br />

Die Einhaltung der freiwilligen Selbstverpflichtungen<br />

wird im Rahmen von Multistakeholder-Initiativen<br />

in sehr unterschiedlichem<br />

Umfang überwacht. Während<br />

manche Initiativen die Zertifizierung und<br />

das Auditing durch kommerzielle Firmen<br />

vorsehen (z.B. Forest Stewardship Council,<br />

SA 8000), beschränken sich andere<br />

auf die innerbetriebliche Kontrolle (z.B.<br />

einige Globale Rahmenabkommen), und<br />

manche verzichten auf eine Überwachung<br />

vollständig (z.B. die Global Reporting<br />

Initiative). Der Einsatz kommerzieller<br />

Audit- und Zertifizierungsfirmen bei der<br />

Überwachung ökologischer, sozialer und<br />

menschenrechtlicher Standards wird von<br />

NGOs skeptisch beurteilt. Aber die NGOs<br />

selbst haben meist nicht die personellen,<br />

technischen und finanziellen Kapazitäten,<br />

um die Einhaltung von <strong>Unternehmen</strong>spflichten<br />

systematisch zu überwachen. Mit<br />

der vielgepriesenen Wachhund-Funktion<br />

sind sie überfordert. Effektiver sind möglicherweise<br />

Beschwerdeverfahren ("complaints-based-systems"),<br />

die aber nicht<br />

ohne eine unabhängige Instanz, die die<br />

Beschwerden entgegen nimmt und beurteilt<br />

(Schiedsgericht o.ä.), und wirksame<br />

Sanktionsmechanismen auskommen. Über<br />

beides verfügen Multistakeholder-Initiativen<br />

in der Regel nicht. <br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 9


Freiwillige Selbstverpflichtungen <br />

Mögliche Stärke: Trendsetter-Funktion<br />

Im positiven Sinne können Multistakeholder-Initiativen<br />

Trendsetter-Funktion haben,<br />

dass heißt in der Verpflichtung der<br />

beteiligten <strong>Unternehmen</strong> auf soziale,<br />

ökologische und menschenrechtliche<br />

Standards über die bestehenden gesetzlichen<br />

<strong>Regeln</strong> hinausgehen. Aber erst wenn<br />

alle <strong>Unternehmen</strong> dem gesetzten Trend<br />

folgen, d.h. "best practice" zur "normal<br />

practice" wird, kann eine positive Breitenwirkung<br />

erzielt werden. Aber spätestens<br />

hier sind die Grenzen der Freiwilligkeit<br />

erreicht. Denn dies geschieht erfahrungsgemäß<br />

nicht freiwillig, sondern nur, wenn<br />

staatliche oder zwischenstaatliche Institutionen<br />

die erforderlichen <strong>Regeln</strong> setzen.<br />

US-Studie fordert stärkere politische<br />

Einmischung<br />

Zu diesem Urteil kommt auch eine Untersuchung<br />

des California Global Corporate<br />

Accountability Project, das auf der Grundlage<br />

von Fallstudien über die Öl- und<br />

Hightech-Industrie eine "neue politische<br />

Agenda <strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung"<br />

("A New Policy Agenda for Corporate<br />

Accountability") formuliert. Darin heißt<br />

es: 3<br />

"Best Practice isn’t Good Enough: Public<br />

Policy is Needed - The case study lessons<br />

point to two broad conclusions. First,<br />

individual companies can do much on a<br />

voluntary basis to improve their own<br />

environmental and social commitment and<br />

performance. The performance span<br />

between leading companies, especially<br />

those committed to best practice, and<br />

lagging companies, is substantial. Second,<br />

without change in the policy frameworks<br />

that set rules and determine market incentives<br />

for all players, voluntary initiatives<br />

can go only so far. They cannot fully<br />

resolve the human and labor rights dilemmas<br />

that multinationals face in a highly<br />

differentiated global economy, nor deliver<br />

broad social objectives such as sustainability<br />

at home or abroad. Without complementary<br />

policies that change market<br />

incentives and generate a new, common<br />

floor for corporate social obligation, voluntary<br />

initiatives will generate limited and<br />

incremental change. At the macro level,<br />

and often the micro level as well, best<br />

practice is not good enough.” <br />

3 Natural Heritage Institute et al. (Hg.)<br />

(2002), S. 158.<br />

10 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Beispiel OECD<br />

Die OECD-Leitsätze <strong>für</strong> multinationale<br />

<strong>Unternehmen</strong> (siehe Seite 15) zeigen, in<br />

welche Richtung internationale <strong>Regeln</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung gehen können.<br />

Sie wurden von Regierungen verabschiedet<br />

und sind <strong>für</strong> diese verbindlich.<br />

Sie gelten <strong>für</strong> alle <strong>Unternehmen</strong> mit Sitz in<br />

den 33 Unterzeichnerstaaten der Leitsätze.<br />

Sie umfassen ein breites Themenspektrum,<br />

das ökologische und arbeitsrechtliche<br />

Fragen einschließt. Und sie<br />

verfügen über einen, wenn auch rudimentären,<br />

Beschwerdemechanismus. Sie<br />

haben aber auch gravierende Schwächen:<br />

Die <strong>Unternehmen</strong>spflichten sind, etwa im<br />

Umweltbereich, sehr vage formuliert; das<br />

Beschwerdeverfahren hängt von der<br />

Kooperationsbereitschaft und dem guten<br />

Willen der zuständigen Nationalen Kontaktstellen<br />

ab; Sanktions- und Entschädigungsverfahren<br />

sind bei Verletzung der<br />

Leitsätze nicht vorgesehen.<br />

Beispiel UN: Draft Norms<br />

Die so genannten Draft Norms der UN-<br />

Unterkommission zur Förderung und zum<br />

Schutz der Menschenrechte (siehe Seite<br />

17-20) haben das Potenzial, in Inhalt und<br />

Grad der Verbindlichkeit über die Leitsätze<br />

hinauszugehen. Sie können manche<br />

Schwächen der Leitsätze beheben, insbesondere<br />

wenn sie mit nationalen Rechtsinstrumenten<br />

verknüpft und durch internationale<br />

Instrumente, wie ein internationales<br />

Umwelthaftungsrecht, ergänzt würden.<br />

Derzeit kommt der Entwurf dieser<br />

Normen den Forderungen von NGOs und<br />

Gewerkschaften nach verbindlichen internationalen<br />

<strong>Unternehmen</strong>sregeln am<br />

nächsten. Zugleich steht er im Einklang<br />

mit dem Beschluss des Johannesburg-<br />

Gipfels, die Verantwortlichkeiten und<br />

Pflichten von <strong>Unternehmen</strong> ("corporate<br />

responsibility and accountability") u.a.<br />

durch die Entwicklung zwischenstaatlicher<br />

Abkommen und internationale Initiativen<br />

aktiv zu fördern. 4 <br />

4 Vgl. UN-Dok. A/CONF.199/20, Annex,<br />

para. 49.<br />

Mehr-Ebenen-Strategie erforderlich<br />

Aus ihren bisherigen Erfahrungen mit<br />

<strong>Unternehmen</strong>saktivitäten, der Anwendung<br />

freiwilliger Selbstverpflichtungen und dem<br />

Engagement der Regierungen in diesem<br />

Bereich haben NGOs die Konsequenzen<br />

gezogen. Bei internationalen Treffen und<br />

Strategiedebatten, wie zuletzt während<br />

des Weltsozialforums in Porto Alegre,<br />

zeichnete sich <strong>für</strong> ihre zukünftige Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

eine "Mehr-Ebenen-<br />

Strategie" ab:<br />

a. Verstärkte Unterstützung lokaler<br />

Gruppen<br />

Lokale Gruppen müssen in ihrer Auseinandersetzung<br />

mit transnationalen <strong>Unternehmen</strong><br />

unterstützt werden. Dies schließt traditionelle<br />

Formen der Öffentlichkeitsarbeit und<br />

des "naming and shaming" bis hin zu<br />

Boykotts ebenso ein wie die aktivere<br />

Nutzung von Beschwerdemöglichkeiten,<br />

etwa im Rahmen der OECD-Leitsätze, und<br />

von nationalen Klageverfahren. Über die<br />

"extraterritoriale" Anwendung nationaler<br />

Rechtsinstrumente gegenüber Transnationalen<br />

Konzernen (TNC) gibt es vor allem<br />

in Europa bisher kaum Erfahrungen. Eine<br />

Grundvoraussetzung da<strong>für</strong> ist der bessere<br />

weltweite Informationsfluss zwischen den<br />

Gruppen in Nord und Süd.<br />

b. Verbindliche <strong>Regeln</strong> auf nationaler<br />

und regionaler Ebene<br />

Ein verstärktes Eintreten <strong>für</strong> verbindliche<br />

<strong>Unternehmen</strong>sregeln auf der nationalen<br />

und regionalen Ebene ist notwendig.<br />

Beispiele sind der britische Vorschlag <strong>für</strong><br />

ein Gesetz zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

("Corporate Responsibility Bill") aus<br />

dem Jahr 2002 und der Vorschlag des<br />

Europäischen Parlaments <strong>für</strong> einen Verhaltenskodex<br />

<strong>für</strong> in Entwicklungsländern<br />

tätige europäische <strong>Unternehmen</strong> 5 . <br />

5 Europäisches Parlament: Entschließung<br />

zu <strong>EU</strong>-Normen <strong>für</strong> in Entwicklungsländern<br />

tätige europäische <strong>Unternehmen</strong><br />

im Hinblick auf die Entwicklung eines<br />

europäischen Verhaltenskodex, 15. Januar<br />

1999.


c. Trendsetter positiv verstärken<br />

Die Weiterentwicklung internationaler<br />

"Trendsetter-Initiativen" zwischen fortschrittlichen<br />

<strong>Unternehmen</strong>, NGOs und<br />

Gewerkschaften sollte forciert werden, um<br />

dadurch die Latte <strong>für</strong> alle <strong>Unternehmen</strong><br />

höher zu schrauben. Dies kann insbesondere<br />

dort sinnvoll sein, wo Regierungen<br />

sich wechselseitig blockieren und kurzfristige<br />

zwischenstaatliche Lösungen nicht in<br />

Sicht sind.<br />

d. International vernetzen<br />

Die internationale Kampagne <strong>für</strong> verbindliche<br />

<strong>Unternehmen</strong>sregeln muss fortgesetzt<br />

werden. Viele NGOs und Gewerkschaften<br />

sehen die Verankerung verbindlicher<br />

<strong>Unternehmen</strong>sregeln auf der globalen<br />

Ebene weiterhin als ein zentrales Ziel<br />

an. Die Draft Norms der UN-Unterkommission<br />

können da<strong>für</strong> einen Ausgangspunkt<br />

bilden. Neben den langfristigen Forderungen<br />

nach einer Rahmenkonvention zur<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung (Framework<br />

Convention on Corporate Accountability)<br />

wird es in nächster Zukunft vor allem<br />

darum gehen, Fortschritte in Teilbereichen<br />

zu erzielen, z.B. bezüglich eines internationalen<br />

Umwelthaftungsrechts oder der<br />

Forderung nach verbindlicher Offenlegung<br />

transnationaler Zahlungsflüsse von <strong>Unternehmen</strong><br />

an Regierungen, wie sie die<br />

Publish-What-You-Pay-Kampagne erhebt.<br />

Verantwortung geht über Umwelt,<br />

Arbeit und Menschenrechte hinaus<br />

In den internationalen Debatten von NGOs<br />

wurde aber auch deutlich, dass die Forderung<br />

nach stärkerer <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

sich zukünftig nicht auf den<br />

Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsbereich<br />

reduzieren darf. Zivilgesellschaftliche<br />

Organisationen müssen verstärkt auch<br />

andere Implikationen transnationaler<br />

Wirtschaftsaktivitäten in den Blick nehmen.<br />

Denn TNCs haben z.B. erheblichen Einfluss<br />

auf die Steuerpolitik und die Einnahmesituation<br />

von Staaten. (Mikroökonomisch<br />

durchaus rationales) Transfer-pricing<br />

und Gewinnverlagerungen in<br />

Niedrigsteuerländer reduzieren die<br />

Staatseinnahmen und können damit die<br />

staatliche Handlungsfähigkeit (z.B. im<br />

Umwelt- und Sozialbereich) erheblich<br />

einschränken. <br />

Ausländische Investoren haben aber auch<br />

Einfluss auf die Zahlungsbilanz eines<br />

Landes, auf seine Industriepolitik und<br />

selbst auf die öffentliche Meinung und die<br />

Politik insgesamt (z.B. durch Korruption<br />

und Verflechtungen zwischen Wirtschaft<br />

und Politik, Beispiel: Enron). Freiwillige<br />

Selbstverpflichtungen der Wirtschaft befassen<br />

sich mit diesen "Nebeneffekten"<br />

ihrer Aktivitäten in der Regel nicht. Und<br />

auch die Kampagnen von NGOs und Gewerkschaften<br />

haben sie in der Vergangenheit<br />

zu wenig beachtet, da sie meist<br />

nicht so offensichtlich sind, wie direkte<br />

Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverletzungen.<br />

NGOs müssen mehr Druck machen!<br />

Das Eintreten <strong>für</strong> internationale <strong>Unternehmen</strong>sregeln<br />

"jenseits der Freiwilligkeit"<br />

erfordert aber auch eine Schwerpunktverlagerung<br />

in den Strategien von NGOs und<br />

Gewerkschaften. Die zentrale Herausforderung,<br />

vor der zivilgesellschaftliche<br />

Organisationen gegenwärtig stehen, hat<br />

Peter Utting klar formuliert: 6<br />

"At present, much of the social force that<br />

is promoting corporate responsibility is<br />

channelling its energies and resources<br />

towards corporate self-regulation and civil<br />

regulation. Until greater public concern<br />

and civil society activism puts pressure on<br />

political parties, governments and multilateral<br />

organizations to support other regulatory<br />

approaches, it is unlikely that significant<br />

developments in this area will be<br />

made.” <br />

Gastautor: Jens Martens, WEED<br />

Dieser Beitrag ist ein überarbeiteter Auszug<br />

aus: Kerkow/Martens/Schmitt (2003):<br />

Die Grenzen der Freiwilligkeit. Handlungsmöglichkeiten<br />

und Erfahrungen von NGOs<br />

und Gewerkschaften bei der Anwendung<br />

freiwilliger Selbstverpflichtungen der Wirtschaft.<br />

Bonn/Berlin (WEED-Arbeitspapier)<br />

6 Utting (2002), S. 116.<br />

Kontakt <br />

• Selbstverpflichtungen der<br />

Wirtschaft und ihre Grenzen<br />

Jens Martens, WEED, Bertha-von-<br />

Suttner-Platz 13, 53111 Bonn<br />

Tel. 0228-766130, Fax -696470<br />

eMail: jens.martens@weed-online.org<br />

Internet: weed-online.org<br />

Literatur:<br />

DGB-Bildungswerk/terre des hommes/<br />

WEED (Hg.) (2003): Auslandsinvestitionen<br />

und <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

zwischen ökonomischer Liberalisierung<br />

und sozial-ökologischer Regulierung.<br />

Düsseldorf/Osnabrück/Berlin.<br />

International Council on Human Rights<br />

Policy (2002): Beyond Voluntarism.<br />

Human Rights and the Developing International<br />

Legal Obligations of Companies.<br />

Genf.<br />

Natural Heritage Institute et al. (Hg.)<br />

(2002): Beyond Good Deeds. Case<br />

Studies and a New Policy Agenda for<br />

Corporate Accountability. Berkeley.<br />

NGLS/UNRISD (2002): Voluntary Approaches<br />

to Corporate Responsibility.<br />

Genf (NGLS Development Dossier).<br />

CSD (1998): Responsible Entrepreneurship.<br />

NGO Perspectives and Recommendations.<br />

New York (Background<br />

Paper No. 3).<br />

UNCTAD (1996): Self-Regulation of<br />

Environmental Management. An analysis<br />

of guidelines set by world industry<br />

associations for their member firms.<br />

New York/ Genf (UNCTAD/DTCI/29, Environmental<br />

Series No. 5).<br />

UN Subcommission on the Promotion<br />

and Protection of Human Rights<br />

(2002): Draft Norms on Responsibilities<br />

of Transnational Corporations and<br />

Other Business Enterprises with regard<br />

to Human Rights. Genf (UN Dok.<br />

E/CN.4/Sub.2/2002/13, 14.8.2002).<br />

Utting, Peter (2002): Regulating Business<br />

via Multistakeholder Initiatives:<br />

A Preliminary Assessment. In: NGLS/<br />

UNRISD (Hg.) (2002), S. 61-130<br />

(s.o.).<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 11


Freiwillige Selbstverpflichtungen <br />

Freiwillige Initiativen - kein<br />

Ersatz <strong>für</strong> verbindliche <strong>Regeln</strong><br />

Friends of the Earth lehnen freiwillige<br />

Initiativen ab<br />

Der BUND und sein internationaler Dachverband<br />

Friends of the Earth International<br />

lehnen freiwillige Initiativen als Ersatz <strong>für</strong><br />

verbindliche <strong>Regeln</strong> ab. Derartige Initiativen<br />

seitens der Wirtschaft dienen dazu,<br />

die Einführung von klaren <strong>Regeln</strong> zu<br />

verzögern oder zu verhindern. Die freiwilligen<br />

"Forestry Principles" des Erdgipfels<br />

in Rio de Janeiro von 1992 beispielsweise<br />

führten zu langen Debatten über Aufbau<br />

und Arbeitsweise eines Stakeholder-<br />

Forums, das seine erste Zusammenkunft<br />

neun (!) Jahre später hatte. Freiwillige<br />

Selbstverpflichtungen der Industrie retten<br />

nicht die Erde. Sie sind bestenfalls wirkungslos<br />

und können sogar negative<br />

Auswirkungen haben.<br />

Das sagt jedenfalls die OECD in einer<br />

neuen Studie, die anhand mehrerer Beispiele<br />

außerdem herausfand, dass die<br />

Kombination von freiwilligen Initiativen mit<br />

anderen Instrumentarien wie zum Beispiel<br />

Abgaben, Steuern, Verboten oder Subventionen<br />

sogar häufig zur Abschwächung<br />

dieser anderen Instrumentarien führe.<br />

(<strong>EU</strong>R 06.03, S. 10.)<br />

Ungenaue Formulierungen können frei<br />

interpretiert werden<br />

Damit alles bleibt wie es ist, sind Ziele,<br />

Maßnahmen und Standards von Initiativen<br />

freiwilliger Selbstverpflichtung zunächst<br />

einmal sehr schwach. So muss sich niemand<br />

anstrengen, um sie einzuhalten.<br />

Dazu geraten die Formulierungen absichtlich<br />

möglichst ungenau und sind also<br />

offen <strong>für</strong> Interpretation und vage Verpflichtungen.<br />

Worauf sich die Beteiligten<br />

schnell einigen können, kommt wohlklingend<br />

in die Vereinbarung; alles übrige,<br />

darunter die wirklich problematischen<br />

Themen, bleibt unberührt oder wird in<br />

unscharfe Absichtserklärungen verpackt.<br />

<br />

12 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke<br />

Sind diese Absichtserklärungen einmal<br />

vereinbart, bleibt wenig Notwendigkeit<br />

und Motivation zurück, vereinbarte Ziele<br />

zu verfolgen und Standards einzuhalten.<br />

Vielmehr geht es darum, die mit der Initiative<br />

verbundenen Kosten gering zu halten<br />

und das <strong>Unternehmen</strong> in der Öffentlichkeit<br />

möglichst gut darzustellen. Schönklingende,<br />

aber wirkungslose Vereinbarungen<br />

feierlich zu unterzeichnen und sich werbewirksam<br />

damit zu brüsten, sind eine<br />

beliebte Alternative zu wirklichen Verhaltensänderungen<br />

der Konzerne - eine in<br />

Deutschland allerdings wenig erfolgreiche<br />

Strategie: nur 7% der Bundesbürger<br />

halten Großunternehmen bei deren Bemühen<br />

um Umweltschutz <strong>für</strong> vertrauenswürdig.<br />

PR-Strategien wichtiger als inhaltliche<br />

Verpflichtung<br />

Anstatt sich einen guten Ruf <strong>für</strong> ökologisches<br />

Verhalten zu verdienen, bauen<br />

multinationale Konzerne häufig auf mangelnde<br />

Transparenz der Initiativen, die es<br />

der Willkür der Konzerne anheim stellt, ob<br />

und in welchem Umfang Informationen<br />

über Fortschritte bei der Erreichung oder<br />

Einhaltung von Standards veröffentlicht<br />

werden. Nicht eine Initiative, sondern die<br />

PR-Strategien gibt vor, wie die Einhaltung<br />

der Vereinbarungen <strong>für</strong> die Öffentlichkeit<br />

nachvollziehbar dokumentiert wird. <br />

Statt einklagbarer Rechte Debatten<br />

über weichen Konsens<br />

Der Kern freiwilliger Initiativen ist auch<br />

gleichzeitig der größte Schwachpunkt: sie<br />

sind nicht nur nicht kontrollierbar, sondern<br />

auch nicht einklagbar, und wer sie<br />

nicht einhält, hat nicht mit Sanktionen zu<br />

rechnen. Das schränkt die Möglichkeiten<br />

betroffener Menschen ein, sich gegen die<br />

Konzernaktivitäten zu wehren oder über<br />

demokratisch etablierte Wege Konzerne<br />

zur Einhaltung der freiwilligen Vereinbarungen<br />

zu bewegen. Während Verordnungen<br />

und Gesetze Mechanismen enthalten,<br />

die es Betroffenen erlauben, sich bei<br />

Behörden zu beschweren, Klage zu erheben<br />

oder andere rechtsstaatliche Mittel<br />

anzuwenden, sehen die "Stakeholder<br />

Dialogues" vor, in langwierigen Debatten<br />

möglichst weiche Konsense herbeizuführen,<br />

anstatt radikale und notwendige<br />

Verhaltensänderungen des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

zu erzwingen. Damit verschiebt sich die<br />

Kompetenz der Politikgestaltung von<br />

gewählten Regierungen hin zu den Konzernen.<br />

Unbequeme Stakeholder werden<br />

ausgeladen<br />

Das zeigt sich auch bei der Entwicklung<br />

freiwilliger Standards, <strong>für</strong> die die Definitionsmacht<br />

über Art und Umfang der behandelten<br />

Themen häufig bei den <strong>Unternehmen</strong><br />

legt, die dann auch darüber<br />

entscheiden, wen sie zu ihren "Stakeholder<br />

Dialogues" einladen - und wen nicht.<br />

Konsequenzen dieser "Stakeholder Dialogues"<br />

liegen ebenfalls häufig im Ermessen<br />

der Konzerne - nicht der betroffenen<br />

Menschen. Damit können die Konzerne<br />

Prozess und Ergebnis leicht manipulieren,<br />

um wenig tun zu müssen, sich aber andererseits<br />

nach außen hin als offen und in<br />

der Sache bemüht darstellen.


Ohne Verbindlichkeit keine<br />

Verhaltensänderung<br />

Globale und regionale ökologische Probleme<br />

lassen sich nur durch Maßnahmen<br />

bewältigen, die ökonomische, soziale und<br />

ökologische Aspekte in Einklang bringen<br />

(was u.a. heißt: wirtschaftliche Tätigkeiten<br />

müssen in sozialen und ökologischen<br />

Grenzen statt finden). Verbindliche <strong>Regeln</strong>,<br />

ökonomische Anreizinstrumente und<br />

Förderprogramme können sich dabei<br />

gegenseitig ergänzen. <strong>Regeln</strong> schreiben<br />

klare und verbindliche Standards fest,<br />

ökonomische Instrumente schaffen Anreize<br />

zur Verhaltensänderung, und ökologische<br />

Förderprogramme können Schwachstellen<br />

des Marktes überwinden.<br />

Freiwillige Selbstverpflichtungen allerdings<br />

können solche Instrumente der Politik<br />

bestenfalls ergänzen. Was nicht passieren<br />

darf: endlos über freiwillige Initiativen<br />

debattieren, während die eigentlichen,<br />

verbindlichen Instrumente, die die notwendigen<br />

Veränderungen im Verhalten<br />

von multinationalen Konzernen erzeugen<br />

könnten, nicht vorhanden sind. <br />

Gastautor: Jan Kowalzig, BUND<br />

Kontakt <br />

• Freiwillige Initiativen -<br />

kein Ersatz <strong>für</strong> verbindliche<br />

<strong>Regeln</strong><br />

Daniel Mittler, Jan Kowalzig, BUND,<br />

Referat Internationale Umweltpolitik,<br />

Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin<br />

Tel. 030 / 275864-68, Fax -40<br />

eMail: daniel.mittler@bund.net<br />

Internet: www.bund.net<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 13


Internationale Vereinbarungen <br />

Die OECD-Leitsätze<br />

Ein sinnvolles Instrument zur<br />

Regulierung von <strong>Unternehmen</strong>?<br />

Die Weltwirtschaft wächst, immer mehr<br />

<strong>Unternehmen</strong> investieren im Ausland oder<br />

stehen in Geschäftsbeziehung mit ausländischen<br />

Firmen. Nicht immer zum Vorteil<br />

<strong>für</strong> die Menschen vor Ort. Besonders in<br />

Entwicklungsländern gibt es immer wieder<br />

Beispiele, wo sich ausländische <strong>Unternehmen</strong><br />

nicht an Mindestnormen halten.<br />

Internationale <strong>Regeln</strong> sind also erforderlich,<br />

damit nicht einzelne Länder gegeneinander<br />

ausgespielt werden. Da es noch<br />

keine weltweit verbindlichen Regelungen<br />

<strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong> gibt, werden verschiedene<br />

freiwillige Ansätze diskutiert. Ein<br />

wichtiges Instrument sind hier die OECD-<br />

Richtlinien <strong>für</strong> multinationale <strong>Unternehmen</strong>,<br />

zu deren Umsetzung sich die OECD-<br />

Länder verpflichtet haben. 7 Im Anschluss<br />

an die gescheiterten Verhandlungen <strong>für</strong><br />

ein multilaterales Investitionsabkommen<br />

(MAI) wurde dieser freiwillige Verhaltenskodex<br />

unter Mitarbeit auch von Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGO) und Gewerkschaften<br />

überarbeitet. <br />

7 OECD-Leitsätze <strong>für</strong> multinationale <strong>Unternehmen</strong>:<br />

Regierungsempfehlungen<br />

<strong>für</strong> verantwortungsvolles Verhalten von<br />

<strong>Unternehmen</strong>. 1976 von der Organisation<br />

<strong>für</strong> wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

& Entwicklung (OECD) verabschiedet,<br />

2000 erweitert und überarbeitet. Enthalten<br />

Prinzipien und Verhaltensweisen<br />

<strong>für</strong> alle Bereiche unternehmerischen<br />

Handelns, u.a.: Offenlegung von Informationen,<br />

die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen,<br />

Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung,<br />

Verbraucherinteressen.<br />

Die Leitsätze beziehen sich auf die<br />

Menschenrechte, die ILO-Kernarbeitsnormen,<br />

das Prinzip der Nachhaltigkeit<br />

und das Vorsorgeprinzip. Sie gelten<br />

weltweit <strong>für</strong> alle multinationalen <strong>Unternehmen</strong><br />

aus den 37 Unterzeichnerstaaten<br />

- unabhängig davon, wo diese<br />

ihre geschäftlichen Aktivitäten entfalten.<br />

Umsetzungs- und Beschwerdemechanismus:<br />

Mit Unterzeichnung der Leitsätze<br />

verpflichtet sich jede Regierung zur<br />

Einrichtung einer "Nationalen Kontaktstelle"<br />

(meist im Wirtschaftsministerium),<br />

die bei Beschwerdefällen ggf. ein<br />

Vermittlungsverfahren einleitet.<br />

14 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Möglichkeiten und Grenzen der<br />

Leitsätze<br />

Im Vergleich zu anderen freiwilligen Instrumenten<br />

ist hervorzuheben, dass die<br />

OECD-Leitsätze sehr umfassend sind und<br />

sich auf eine Reihe von internationalen<br />

Abkommen wie die Kernarbeitsnormen<br />

der International Labour Organisation<br />

(ILO) und die Menschenrechte beziehen.<br />

Auch die Verantwortung <strong>für</strong> die Zulieferbetriebe<br />

wird erfasst. Insbesondere durch<br />

die Existenz eines Beschwerdemechanismus<br />

sind die Leitlinien auch <strong>für</strong> die NGOs<br />

und Gewerkschaften bedeutsam und<br />

werden in jüngster Zeit als ein Instrument<br />

zur Regulierung von <strong>Unternehmen</strong> angewandt.<br />

Bei den nationalen Kontaktstellen,<br />

die jedes Unterzeichnerland einrichten<br />

muss, können Verstöße gegen die Leitsätze<br />

vorgebracht werden. Der Kontaktpunkt<br />

prüft die Beschwerde, spricht bei<br />

tatsächlichem Verstoß gegen die OECD-<br />

Leitlinien die Konzernleitung darauf an,<br />

fordert eine Stellungnahme ein und soll<br />

sich um eine Schlichtung des Streits bemühen.<br />

Falls dies scheitert, muss offiziell<br />

bekannt gegeben werden, dass das<br />

betreffende <strong>Unternehmen</strong> gegen die<br />

Leitsätze verstoßen hat. Im Verhältnis zu<br />

juristischen Instrumenten ist der OECD-<br />

Beschwerdemechanismus relativ einfach<br />

und ohne finanzielle Risiken oder umfangreiches<br />

juristisches Fachwissen anwendbar.<br />

Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass die<br />

Leitsätze nicht bindend sind. Die Rechte<br />

der Konzerne allerdings sind selbstverständlich<br />

verbindlich festgelegt. Außerdem<br />

sind im Rahmen der Leitsätze keine Sanktionen<br />

vorgesehen. Einzig durch die öffentliche<br />

Erklärung der Kontaktstelle über<br />

eine Nichteinigung kann es zu einem<br />

sogenannten "naming and shaming"<br />

kommen. Zu bemängeln ist auch, wie vage<br />

die Verantwortung der <strong>Unternehmen</strong> in<br />

Bezug auf ihre Zulieferer einbezogen wird:<br />

"Wo praktikabel", sollen diese zur Einhaltung<br />

der Leitsätze angehalten werden.<br />

Zudem wird derzeit in der OECD diskutiert,<br />

diese Verantwortung nur auf Zulieferbeziehungen<br />

mit sogenanntem "investment<br />

nexus" zu beschränken. Das würde einen<br />

großen Bereich von Vertrags- und Einkaufsbeziehungen<br />

der <strong>Unternehmen</strong><br />

außer Acht lassen, die natürlich ebenso in<br />

den Verantwortungsbereich der Multis<br />

gehören. <br />

Vielfach hängt die Umsetzung der Leitsätze<br />

und die Bearbeitung von Beschwerdefällen<br />

enorm vom Engagement der einzelnen<br />

Kontaktstellen ab. Oft sind die Verfahren<br />

viel zu langatmig und zäh, kann es<br />

Monate dauern, bis entschieden wird, ob<br />

der Fall überhaupt angenommen ist. Wie<br />

dann das weitere Verfahren läuft und in<br />

welchem Stadium sich der Fall befindet, ist<br />

nicht selten auch <strong>für</strong> die Beschwerdeführer<br />

intransparent.<br />

Vorgebrachte Beschwerdefälle<br />

Weltweit gab es seit der Überarbeitung<br />

der Leitsätze bislang rund 40 Beschwerdefälle.<br />

Zwei Drittel wurden von Gewerkschaften<br />

vorgebracht - selbstverständlich<br />

vor allem Konflikte, bei denen es um<br />

Arbeitsbeziehungen geht -, ein Drittel sind<br />

NGO-Beschwerden, die sich auf Menschenrechtsverletzungen,Gewerkschaftsthemen<br />

und Umweltfragen beziehen.<br />

Fünf Fälle in Deutschland<br />

Im Bundeswirtschaftsministerium, wo die<br />

deutsche Kontaktstelle angesiedelt ist,<br />

liegen derzeit fünf Beschwerden gegen<br />

multinationale Konzerne vor: Gegen BP,<br />

TotalFinaElf, Adidas, die WestLB und die<br />

Continental AG. Alle diese in den vergangenen<br />

15 Monaten eingebrachten Beschwerden<br />

wurden von NGOs wie Greenpeace,<br />

Germanwatch oder der Clean<br />

Clothes Campaign vorgebracht. Drei dieser<br />

Fälle beziehen sich auf Umweltfragen,<br />

insbesondere geht es um Erdölförderung<br />

und -transport in Russland, in Ecuador<br />

oder von Georgien in die Türkei. Bei den<br />

Beschwerden gegen Continental und<br />

Adidas handelt es sich vor allem um problematische<br />

Arbeitsbeziehungen.<br />

Debatten um Anwendbarkeit und<br />

Zuständigkeit<br />

Die schon vor längerer Zeit vorgebrachten<br />

Fälle gegen TotalFinaElf (TFE) und Continental<br />

lösten eine Reihe von Diskussionen<br />

um die Anwendbarkeit der Leitsätze aus:<br />

Im erstgenannten Fall geht es um Umweltverschmutzung<br />

bei der Erdölförderung<br />

in Russland. Da TFE das Öl nur<br />

einkauft, jedoch nicht selbst fördert, wird<br />

von der deutschen Kontaktstelle eingeschätzt,<br />

dass hier keine Investitionsbeziehungen<br />

vorliegen und die Leitsätze nicht<br />

anwendbar sein.


Die NGOs argumentieren jedoch, dass hier<br />

langfristige Geschäftsbeziehungen und<br />

Abhängigkeiten vorliegen und außerdem<br />

die neuerliche Definition "investment<br />

nexus" eine Einschränkung der Leitsätze<br />

darstellt. Immerhin hat das Wirtschaftsministerium<br />

trotzdem zu einem Vermittlungsgespräch<br />

außerhalb des OECD-<br />

Rahmens eingeladen. Weitere Schritte<br />

sind jedoch nicht absehbar.<br />

Der andere schon seit mehr als einem<br />

Jahr anhängige Fall beklagt die Verletzung<br />

von Arbeitnehmerbeziehungen bei einer<br />

mexikanischen Tochterfirma des Reifenkonzerns<br />

Continental. Hier geht es vor<br />

allem um die Zuständigkeit der Kontaktstelle.<br />

Da Mexiko auch OECD-Mitglied ist,<br />

soll die Behandlung eigentlich dort erfolgen.<br />

Die mexikanische Kontaktstelle war<br />

jedoch mehrere Monate unbesetzt, die<br />

Informationen über den Fall wurden nicht<br />

an Nachfolger weiter gegeben und seit<br />

über einem Jahr kam kein Vermittlungsprozess<br />

zustande.<br />

Bei der faktischen Abhängigkeit armer<br />

Länder von reichen ausländischen Investoren<br />

(Deutschland ist Mexikos wichtigster<br />

<strong>EU</strong>-Wirtschaftspartner und trägt zu 5%<br />

des Bruttoinlandsproduktes bei) sind<br />

Szenarien vorstellbar, in denen machtlose<br />

Kontaktstellen in ökonomisch schwachen<br />

Staaten dem Wirken einflussreicher Multis<br />

nichts entgegenzusetzen haben. Eine<br />

Chance haben OECD-Beschwerden überhaupt<br />

nur, wenn sie im Heimatland des<br />

Konzerns vorgebracht werden, weil die<br />

Kontaktstellen mehr Handhabe besitzen<br />

und hier Imageverlust und öffentliche<br />

Aufmerksamkeit drohen.<br />

NGOs treiben Umsetzung voran<br />

Neben der Vorbringung von Beschwerdefällen<br />

bemühen sich NGOs auch durch<br />

Arbeit auf struktureller Ebene, die Umsetzung<br />

der Leitsätze zu testen und zu verbessern.<br />

In Deutschland haben sich NGOs<br />

zu einem Arbeitskreis zusammengefunden,<br />

um ihre Erfahrungen mit den Leitsätzen<br />

und Beschwerdefällen auszutauschen<br />

und das Agieren gegenüber der deutschen<br />

Kontaktstelle zu diskutieren. Nach<br />

längeren Bemühungen sind inzwischen<br />

auch NGO-Vertreter im Beratungsgremium<br />

der deutschen Kontaktstelle vertreten und<br />

arbeiten - hoffentlich künftig gleichberechtigt<br />

- gemeinsam mit Ministeriumsvertretern,<br />

Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften<br />

in einem Arbeitskreis. <br />

In anderen Ländern gibt es zum Teil<br />

ähnliche Konstruktionen. Es gibt jedoch<br />

auch eine Reihe von OECD-Ländern, in<br />

denen die Kontaktstelle aus drei oder vier<br />

Parteien besteht: In Frankreich, Dänemark<br />

oder Schweden sind Gewerkschaften und<br />

Wirtschaft in der Kontaktstelle vertreten;<br />

in Finnland und Chile arbeiten NGOs sogar<br />

direkt in der Kontaktstelle mit.<br />

"OECD-Watch" dient internationaler<br />

Vernetzung<br />

Um sich international besser auszutauschen<br />

und auf OECD-Ebene mehr Einfluss<br />

zu gewinnen, haben sich internationale<br />

NGOs im März 2003 zum Netzwerk<br />

"OECD-Watch" zusammengeschlossen.<br />

Neben dem Erfahrungsaustausch über<br />

Beschwerdefälle und das Funktionieren<br />

der einzelnen Kontaktpunkte geht es<br />

OECD-Watch um die Einbringung von<br />

NGO-Positionen in die Debatte der OECD -<br />

beispielsweise bei den jährlichen Treffen<br />

der Kontaktstellen in Paris (immer im<br />

Juni). Dabei wird die Anwendbarkeit der<br />

Leitsätze, z.B. bei Zulieferfragen, debattiert.<br />

Es finden auch Konsultationen zwischen<br />

OECD-Watch und Unternehmerverbänden,<br />

die im BIAC 8 zusammengeschlossen<br />

sind, sowie Gewerkschaften, die im<br />

TUAC 9 organisiert sind. Als Kommunikationsmedium<br />

wurde ein Newsletter initiert,<br />

der u.a. auf der Germanwatch-Homepage<br />

www.germanwatch.org bezogen werden<br />

kann.<br />

Fazit<br />

Von den seit der Überarbeitung der Leitsätze<br />

eingebrachten Beschwerdefällen<br />

wurden bislang erst die wenigsten abgeschlossen.<br />

In einigen Fällen konnte eine<br />

positive Entwicklung erreicht werden, viele<br />

ziehen sich jedoch viel zu lange hin. Insgesamt<br />

ist es noch zu verfrüht, eine endgültige<br />

Aussage über den Erfolg des<br />

Instruments abzugeben. Die NGOs werden<br />

die Umsetzung der Leitsätze weiterhin<br />

kritisch verfolgen und mit weiteren Beschwerdefällen<br />

die praktische Nutzbarkeit<br />

ausprobieren.<br />

Gastautorin: Cornelia Heydenreich,<br />

Germantwatch<br />

8 Business Industry Advisory Committee<br />

9 Trade Union Advisory Committee<br />

Kontakt <br />

• Die OECD-Leitsätze<br />

Cornelia Heydenreich, Koordinatorin<br />

der deutschen NGOs zu den OECD-<br />

Leitsätzen im Projekt "KodexWatch",<br />

Germanwatch, Ziegelstr. 30, 10117<br />

Berlin<br />

Tel.: 030 / 2888356-0, Fax -1<br />

eMail: heydenreich@germanwatch.org<br />

Internet:<br />

www.germanwatch.org/kodex.htm<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 15


Internationale Vereinbarungen <br />

Die "Draft Norms" der UN-<br />

Menschenrechtskommission<br />

Ein verbindliches Dokument zur<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

Entstehungsgeschichte<br />

Mit ihrer Resolution 1998/8 vom 20. August<br />

1998 ebnete die Unterkommission<br />

zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte<br />

- ein Gremium der jährlich im<br />

Frühjahr in Genf tagenden UN-Menschenrechtskommission<br />

- den Weg zur Einrichtung<br />

einer Arbeitsgruppe, die den Auftrag<br />

erhielt, Arbeitsmethoden und Aktivitäten<br />

Transnationaler <strong>Unternehmen</strong> zu untersuchen.<br />

Die aus fünf unabhängigen Experten<br />

aus fünf Kontinenten bestehende "UN<br />

Working Group on the Working Methods<br />

and Activities of Transnational Corporations"<br />

wurde <strong>für</strong> drei Jahre eingesetzt und<br />

erstattet der Unterkommission regelmäßig<br />

Bericht über ihre Arbeit.<br />

Mit der Resolution 2001/3 (bzw. der<br />

Entscheidung 2001/101) verlängerte die<br />

Unterkommission im August 2001 das<br />

Mandat der Arbeitsgruppe <strong>für</strong> weitere drei<br />

Jahre. Das Aufgabengebiet wurde in einigen<br />

Punkten erweitert.<br />

Die Arbeitsgruppe soll u.a. verbindliche<br />

Normen zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

formulieren und Möglichkeiten zu deren<br />

Überwachung analysieren, mögliche Sanktionen<br />

bei Nichteinhaltung eingeschlossen.<br />

Des weiteren gehört es zu den Aufgaben<br />

des Gremiums, eine Liste der verschiedenen<br />

bestehenden regionalen wie<br />

internationalen Investitionsabkommen zu<br />

erstellen.<br />

Beide genannten Resolutionen der Unterkommission<br />

nehmen explizit Bezug auf die<br />

bürgerlichen und politischen sowie die<br />

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen<br />

Menschenrechte und auf das Recht auf<br />

Entwicklung.<br />

Auf ihrer 54. Sitzung im August 2002<br />

diskutierte die Unterkommission die von<br />

der Arbeitsgruppe inzwischen vorgelegten<br />

Draft Norms on Responsibilities of Transnational<br />

Corporations and Other Business<br />

Enterprises with Regard to Human Rights<br />

(siehe Dokument 5). Die Arbeitsgruppe<br />

wird anhand weiterer Kommentare die<br />

"Draft Norms” nochmals überarbeiten und<br />

zur 55. Sitzung der Unterkommission<br />

2003 erneut einbringen. <br />

16 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Zum Inhalt der "Draft Norms” und des<br />

"Draft Commentary”<br />

Es gibt zwei unterschiedliche Dokumente,<br />

die hier zu betrachten sind: zum einen die<br />

"Draft Norms" selbst. Das sind 18 Normen<br />

zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung, plus 5<br />

weitere Normen mit Definitionen. Neben<br />

diesen komprimierten "Draft Norms” gibt<br />

es den "Draft Commentary on the Norms<br />

of Responsibility of Transnational Corporations<br />

and Other Business Enterprises<br />

with Regard to Human Rights” (kurz:<br />

"Draft Commentary”). Dies ist das umfassendere<br />

und <strong>für</strong> die Debatte insgesamt<br />

wichtigere Dokument. Der "Draft Commentary"<br />

enthält Erläuterungen zu den einzelnen<br />

Normen, benennt konkret die Quellen,<br />

auf die die jeweilige Norm sich bezieht<br />

und gibt wichtige Hinweise <strong>für</strong> die mögliche<br />

Umsetzung.<br />

Keine der Normen ist neu. Vielmehr nehmen<br />

sie alle Bezug bzw. basieren auf<br />

einer Vielzahl bereits existierender Dokumente.<br />

Dabei handelt es sich zum Teil um<br />

rechtsverbindliche UN-Konventionen, wie<br />

den Internationalen Pakt <strong>für</strong> bürgerliche<br />

und politische Rechte, den Internationalen<br />

Pakt <strong>für</strong> wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />

Rechte oder die Genfer Konventionen.<br />

Zum anderen Teil handelt es sich um<br />

Erklärungen und andere, freiwillige Abkommen,<br />

wie z.B. die Erklärung von Rio,<br />

die Dreigliedrige Grundsatzerklärung der<br />

International Labour Organisation (ILO),<br />

die OECD-Richtlinien oder den Global<br />

Compact. Auch freiwillige Verhaltenskodizes<br />

von <strong>Unternehmen</strong>, von Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGO) herausgegebene<br />

Richtlinien sowie Rahmenabkommen<br />

zwischen Transnationalen <strong>Unternehmen</strong><br />

und Gewerkschaften wurden von der<br />

Arbeitsgruppe bei der Erstellung der<br />

"Draft Norms" berücksichtigt. Aus all<br />

diesen Quellen hat die Arbeitsgruppe 18<br />

Normen komprimiert, die konkret <strong>Unternehmen</strong>sverhalten<br />

betreffen oder betreffen<br />

können. Insgesamt nennt die Präambel<br />

des "Draft Commentary" weit mehr als<br />

30 Instrumente, die die Grundlage der 18<br />

plus 5 Normen sind.<br />

Die Arbeitsgruppe hat sich bei der Namensgebung<br />

mittlerweile <strong>für</strong> den Begriff<br />

"Norms” entschieden, um deren normativen<br />

Charakter in den Vordergrund zu<br />

stellen. Erste Entwürfe hatten noch Bezeichnungen<br />

wie "Code of Conduct”,<br />

"Guidelines” oder "Principles” getragen. <br />

Es ist klar, dass sich die "Draft Norms" in<br />

erster Linie auf Transnationale <strong>Unternehmen</strong><br />

(TNU) beziehen. Durch die schon im<br />

Titel genannten "other business enterprises”<br />

werden jedoch bewusst auch Zulieferer<br />

und Unterauftragnehmer einbezogen.<br />

Die Draft Norms halten durchgängig am<br />

Primat der staatlichen Verantwortung<br />

("responsibility") fest:<br />

"States have the primary responsibility to<br />

respect, ensure respect for, prevent<br />

abuses of, and promote human rights<br />

recognised in international as well as<br />

national law, including assuring that<br />

transnational corporations and other<br />

business enterprises respect human<br />

rights.” (Auszug aus der ersten Norm:<br />

General Obligations)<br />

Darüber hinaus schreiben sie den <strong>Unternehmen</strong><br />

jedoch innerhalb des eigenen<br />

Tätigkeits- und Einflussbereiches die<br />

durchaus bindende Verpflichtung ("obligation")<br />

zur Wahrung und Förderung der<br />

Menschenrechte zu:<br />

"Within their respective spheres of activity<br />

and influence, transnational corporations<br />

and other business enterprises have the<br />

obligation to respect, ensure respect for,<br />

prevent abuses of, and promote human<br />

rights recognized in international as well<br />

as national law.” (Auszug aus der ersten<br />

Norm: General Obligations)<br />

Bei der näheren Beschreibung dessen,<br />

was von den <strong>Unternehmen</strong> erwartet wird,<br />

um diese Verpflichtung zu erfüllen, greift<br />

die Arbeitsgruppe in ihrem "Draft Commentary"<br />

mit einigen Ausnahmen in der<br />

Regel auf das stärke "sollen” - im Vergleich<br />

zu dem schwächeren "sollten” -<br />

zurück.


Inhalt des "Draft Commentary"<br />

An dieser Stelle soll eine stichwortartige<br />

Übersicht über die behandelten Inhalte<br />

genügen:<br />

- Norm 1: Generelle Verpflichtung<br />

- Norm 2: Gebot der Nicht-Diskriminierung<br />

- Normen 3-4: Recht auf Sicherheit der<br />

Person<br />

- Normen 5-9: Arbeitnehmerrechte (u.a.<br />

Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit<br />

und der Kinderarbeit)<br />

- Normen 10-12: Anerkennung von Nationaler<br />

Souveränität und Menschenrechten<br />

10<br />

- Norm 13: Verbraucherschutz<br />

- Norm 14: Umweltschutz<br />

- Normen 15-18 behandeln die konkrete<br />

Umsetzung der vorherigen Normen<br />

- Normen 19-23: Definitionen<br />

Norm 8 enthält die Forderung nach einer<br />

Entlohnung, die einen angemessenen<br />

Lebensstandard <strong>für</strong> die Arbeitenden und<br />

deren Familien sicherstellt ("living wage").<br />

Mehrere Normen sprechen im Kommentar<br />

explizit das Recht auf Entwicklung an (s.<br />

z.B. Kommentar b. zu Norm 10). Interessant<br />

in Zusammenhang mit der Diskussion<br />

um die TRIPS 11 ist sicher auch der Kommentar<br />

d. zu Norm 10, der die <strong>Unternehmen</strong><br />

unter anderem auffordert, geistiges<br />

Eigentum zur Erreichung sozialen und<br />

wirtschaftlichen Wohlstandes einzusetzen<br />

und ein Gleichgewicht von Rechten und<br />

Pflichten verlangt:<br />

"Transnational corporations and other<br />

business enterprises shall protect and<br />

enforce intellectual property rights [...] in<br />

a manner conducive to social and economic<br />

welfare, such as the protection of<br />

public health, and to a balance of rights<br />

and obligations.” <br />

10 Die <strong>Unternehmen</strong> sind aufgefordert,<br />

nationales Recht sowie international<br />

vereinbarte Menschenrechtsnormen anzuerkennen<br />

und zu beachten, einschließlich<br />

des Verbots der Korruption.<br />

11 Trade-Related Aspects of Intellectual<br />

Property Rights<br />

Der Kommentar a. zur Norm 11 greift<br />

sinngemäß eine Forderung aus der<br />

"Publish What You Pay”-Kampagne auf,<br />

wenn er sagt:<br />

"Transnational corporations and other<br />

business enterprises shall enhance the<br />

transparency of their activities in regard<br />

to payments made to governments and<br />

public officials; openly fight against bribery,<br />

extortion, and other forms of corruption;<br />

and cooperate with State authorities<br />

responsible for combating corruption.”<br />

Umsetzung der "Draft Norms" und<br />

Beschwerderecht<br />

Von zentraler Bedeutung im Gesamtkontext<br />

sind die Normen 15 und 16, die sich<br />

mit der Umsetzung der "Draft Norms"<br />

befassen. Während die Norm 15 und die<br />

Kommentare dazu sich mit der firmeninternen<br />

Umsetzung befassen, fordert die<br />

Norm 16 ein regelmäßiges und unabhängiges<br />

Monitoring sowie ein Beschwerdeverfahren.<br />

Die umfassenden Kommentare<br />

zur Norm 16 regen u.a. ein regelmäßiges<br />

Berichtswesen an. Dies könnte z.B. über<br />

Staatenberichte erfolgen, oder über die<br />

verschiedenen thematischen Mechanismen<br />

der UN. Als Überwachungsinstanz<br />

könnte neben verschiedenen vorgeschlagenen<br />

Instrumenten der Selbstkontrolle<br />

(s. Norm 15 plus Kommentare) extern<br />

z.B. auch ein UN Sonderberichterstatter<br />

<strong>für</strong> die "Draft Norms" oder eine Arbeitsgruppe<br />

aus unabhängigen Experten dienen.<br />

Zudem wird ein Beschwerdeverfahren<br />

vorgeschlagen, dass die Vertraulichkeit<br />

der Beschwerde und den Schutz des<br />

Beschwerdeführers sicherstellt und dass<br />

bei Feststellung eines Verstoßes gegen<br />

eine Norm eine entsprechende Entschädigung<br />

der Opfer vorsieht. <br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 17


Internationale Vereinbarungen <br />

Im Streitfall sollen die nationalen Gerichte<br />

über die Beschwerde, respektive die<br />

Entschädigung, entscheiden. Es sind<br />

Zweifel angebracht, ob bei den enormen<br />

Unterschieden im Gerichtswesen und der<br />

mangelnden Unabhängigkeit der Gerichte<br />

in einer Reihe von Staaten die nationalen<br />

Gerichte die geeignete Entscheidungsinstanz<br />

sind. Allerdings bietet sich derzeit<br />

auch keine bessere Alternative an. Einige<br />

Kommentare, darunter auch die zur Norm<br />

16, zeigen zahlreiche unterschiedliche<br />

Möglichkeiten der Umsetzung oder Überwachung<br />

der Normen auf. Der Text selbst<br />

lässt jedoch offen, welche dieser Möglichkeiten<br />

die Arbeitsgruppe favorisiert, ob<br />

die Maßnahmen alternativ oder kumulativ<br />

vorgeschlagen werden, oder wer ggf. die<br />

Entscheidung bzw. die Auswahl treffen<br />

soll. Es scheint, als seien all die genannten<br />

Institutionen aufgefordert, in ihrer<br />

Arbeit auf die "Draft Norms" - so sie denn<br />

von der Sub-Commission verabschiedet<br />

werden - als Berufungsgrundlage zurückzugreifen.<br />

Es stellt sich allerdings die<br />

Frage, wie die Aufforderung an die Firmen<br />

nach Transparenz und regelmäßiger<br />

Auswertung der Erfüllung der Normen (s.<br />

z.B. Kommentar g. zu Norm 16) angesichts<br />

der schieren Anzahl von <strong>Unternehmen</strong><br />

tatsächlich in der Praxis umsetzbar<br />

bzw. überprüfbar ist.<br />

Großes Potenzial auf dem Weg zu<br />

mehr Verbindlichkeit<br />

Dennoch: die Stärken der "Draft Norms"<br />

überwiegen die Schwächen bei weitem.<br />

Zudem hatte die Arbeitsgruppe bis Mitte<br />

Januar 2003 Kommentare aus Wissenschaft,<br />

Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft<br />

angefordert. Daraus werden sich<br />

weitere Konkretisierungen und Verbessrungen<br />

des Draft ergeben. Insgesamt<br />

bietet der vorgelegte Entwurf ein großes<br />

Potenzial, der Verabschiedung eines<br />

verbindlichen Dokumentes zur <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

<strong>für</strong> die Wahrung und<br />

Förderung aller Menschenrechte einen<br />

guten Schritt näher zu kommen. <br />

18 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Bewertung und Ausblick<br />

Einige Beobachter gehen davon aus, dass<br />

die "Draft Norms" im August 2003 von<br />

der Sub-Commission on the Promotion<br />

and Protection of Human Rights auf deren<br />

55. Sitzung verabschiedet werden. Dass<br />

sie nochmals zur weiteren Überarbeitung<br />

an die Arbeitsgruppe zurückgegeben<br />

werden, ist allerdings zum jetzigen Zeitpunkt<br />

nicht ganz auszuschließen. Wichtig<br />

ist: die "Draft Norms" müssen als gutes<br />

und starkes Dokument die Ebene der<br />

Sub-Commission verlassen, sonst droht<br />

ihnen in der Menschenrechtskommission<br />

die völlige Verwässerung oder das Aus.<br />

Entscheidend <strong>für</strong> den Erfolg ist auch, dass<br />

die erläuternden Kommentare und vor<br />

allem die Umsetzungsmechanismen Teil<br />

der verabschiedeten "Draft Norms" werden.<br />

Bislang erfahren die "Draft Norms" einige<br />

Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen,<br />

darunter Amnesty International,<br />

Christian Aid, Friends of the Earth,<br />

Lawyers Committee for Human Rights,<br />

Human Rights Watch, Oxfam und andere.<br />

In Deutschland unterstützt das Forum<br />

Menschenrechte den Entwurf der Arbeitsgruppe.<br />

Nennenswerte Zustimmung seitens<br />

Regierungen und Wirtschaft blieb<br />

bislang jedoch aus.<br />

Die Deutsche Bundesregierung hat sich<br />

mit den Draft Norms bisher kaum beschäftigt.<br />

Dabei stellen sie eine notwendige und<br />

zentrale Ergänzung zum Global Compact<br />

dar, der immer mehr in die Kritik gerät<br />

und an dessen Effektivität inzwischen<br />

auch von Seiten einiger <strong>Unternehmen</strong><br />

Zweifel laut werden. Als Lern- und Dialogforum<br />

hat der Global Compact sicherlich<br />

weiterhin seinen Wert. Aber als Instrument<br />

zur Förderung von <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

reicht er bei weitem nicht aus.<br />

Ein rechtsverbindliches Instrument ist hier<br />

unerlässlich. <br />

Die Arbeitsgruppe versteht die "Draft<br />

Norms" vor allem als Interpretations- und<br />

Orientierungshilfe <strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong>, Verbände,<br />

Staaten, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen<br />

und andere "stakeholder".<br />

In dem Moment, in dem sie von<br />

der Sub-Commission verabschiedet werden,<br />

können die "Draft Norms" bereits als<br />

soft law nutzbar gemacht werden. Längerfristig<br />

können und sollen sie zu einem<br />

rechtsverbindlichen Dokument weiterentwickelt<br />

werden. Die Resolution 2001/3<br />

der Sub-Commission beinhaltet dies.<br />

Damit die "Draft Norms" nach der Verabschiedung<br />

durch die Sub-Commission den<br />

weiteren Weg durch die UN-Institutionen<br />

antreten können, ohne bis zur Unkenntnis<br />

verwässert zu werden oder ganz zu scheitern,<br />

wird noch viel Lobbyarbeit durch<br />

Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften<br />

nötig sein.


Sachlich ist die bislang mangelnde Unterstützung<br />

durch die Wirtschaft meines<br />

Erachtens nicht gerechtfertigt. Schließlich<br />

beruhen die "Draft Norms" auf bestehenden<br />

Konventionen und Erklärungen. Zur<br />

Einhaltung der dort festgelegten Rechte<br />

sind die <strong>Unternehmen</strong> bereits jetzt verpflichtet.<br />

Die "Draft Norms" stellen klar<br />

und übersichtlich zusammen, welche<br />

Inhalte dieser bestehenden Menschenrechtsinstrumente<br />

unternehmerisches<br />

Handeln betreffen. Sie machen damit<br />

handhabbar, was bislang unübersichtlich<br />

in verschiedensten Dokumenten verstreut<br />

existiert. Die <strong>Unternehmen</strong> selbst sollten<br />

ein Interesse an einem solchen Dokument<br />

haben, das es ihnen leicht macht zu prüfen,<br />

welche Verantwortung sie konkret zur<br />

Förderung und Wahrung der Menschenrechte<br />

tragen und wie sie ihr in der Praxis<br />

gerecht werden können. <strong>Unternehmen</strong>,<br />

die es ernst meinen mit dem heute so<br />

gern verwendeten Begriff der Corporate<br />

(Social) Responsibility, sollten auch die<br />

Möglichkeit der in den "Draft Norms"<br />

vorgesehenen unabhängigen Überprüfung<br />

nicht scheuen - würde sie doch die Beurteilung<br />

aller nach den gleichen Kriterien<br />

ermöglichen und damit einen gerechten<br />

und freien Wettbewerb der Transnationalen<br />

<strong>Unternehmen</strong> in Sachen <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

in Menschenrechtsfragen<br />

sicherstellen.<br />

Aufgabe <strong>für</strong> uns NGOs ist es m.E., die<br />

"Draft Norms" bekannter zu machen und<br />

den aktiven Dialog mit Politik und Wirtschaft<br />

über ihren Inhalt zu suchen. <br />

Gastautorin: Elisabeth Strohscheidt,<br />

Amnesty International<br />

Kontakt <br />

• Die "Draft Norms" der UN-<br />

Menschenrechtskommission<br />

Amnesty International Deutschland,<br />

Generalsekretariat, Greifswalder Str. 4<br />

10405 Berlin<br />

Tel. 0228-983730, Fax -630036<br />

eMail: info@amnesty.de<br />

Internet: www.amnesty.de<br />

Der Beitrag ist ein Auszug aus:<br />

DGB-Bildungswerk/terre des hommes/<br />

WEED (Hrsg.): Auslandsinvestitionen<br />

und <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung zwischen<br />

ökonomischer Liberalisierung<br />

und sozial-ökologischer Regulierung.<br />

Perspektiven und Strategien von NGOs<br />

und Gewerkschaften. Düsseldorf/Osnabrück/Berlin<br />

2003<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 19


Internationale Vereinbarungen <br />

Kritik am Entwurf der<br />

<strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie<br />

Umweltverbände: Minister sollen sich<br />

auf "Richtlinie mit Biss" einigen<br />

Im Vorfeld einer möglichen Einigung über<br />

die <strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie beim<br />

Umweltrat in Luxemburg haben fünf führende<br />

Umweltverbände die <strong>EU</strong>-Umweltminister<br />

aufgerufen, eine "robuste" Richtlinie<br />

zu entwerfen (siehe nächste Seite).<br />

Die Richtlinie müsse sicherstellen, dass<br />

statt des Steuerzahlers endlich die Verursacher<br />

von Umweltverschmutzung <strong>für</strong><br />

Schäden aufkommen.<br />

Aufruf führender Umweltverbände an<br />

die <strong>EU</strong>-Umweltminister<br />

BirdLife International, EEB, Friends of the<br />

Earth, Greenpeace und der WWF sind<br />

gemeinsam mit dem DNR der Ansicht,<br />

dass die <strong>EU</strong>-Umwelthaftungsrichtlinie<br />

einen starken Anreiz <strong>für</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />

darstellen muss, Umweltkatastrophen<br />

schon im Vorfeld zu vermeiden. Als Beispiele<br />

<strong>für</strong> vermeidbare Katastrophen<br />

nannten sie die Zerstörung der Doñana-<br />

Feuchtgebiete in Spanien 1998, die Verschmutzung<br />

des Flusses Tizsa (Theiß) in<br />

Ungarn und Rumänien 2000 und die<br />

Öltankerhavarien der "Erika" und der<br />

"Prestige".<br />

Verbraucher und Steuerzahler zahlen<br />

<strong>für</strong> die mangelnde Absicherung<br />

Nach Jahren der Vorbereitung <strong>für</strong> diese<br />

Richtlinie sei die Zeit da<strong>für</strong> gekommen,<br />

das "Verursacherprinzip" in die Realität<br />

umzusetzen. Die Umweltverbände riefen<br />

die Minister auf, dem Druck der Industrie<br />

zu widerstehen und sich auf eine Regelung<br />

zu einigen, die sicherstellt, dass nicht<br />

länger die Verbraucher am Ende die<br />

Rechnung begleichen müssen, um die<br />

Umwelt wieder herzustellen.<br />

<strong>EU</strong>-Parlament gab klares Signal<br />

Man könne nicht auf die nächste Umweltkatastrophe<br />

warten, um diese Richtlinie zu<br />

verabschieden, so die Umweltverbände<br />

weiter. Außerdem habe das Europäische<br />

Parlament im Mai diesen Jahres ein klares<br />

Signal <strong>für</strong> die Nachbesserung des Kommissionsvorschlags<br />

gegeben. Die europäischen<br />

Steuerzahler dürften nicht länger<br />

die Kosten und Konsequenzen ökologischer<br />

Folgeschäden tragen, die von verantwortungslosen<br />

<strong>Unternehmen</strong> angerichtet<br />

wurden. <br />

20 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Verwässerung der Richtlinie droht<br />

Nichtregierungsorganisationen be<strong>für</strong>chten,<br />

dass in den Verhandlungen wichtige<br />

Kernelemente der Richtlinie aufgehoben<br />

oder verwässert werden - und so nicht<br />

mehr als eine weitere zahnlose Richtlinie<br />

entsteht. Sie unterstützen viele der Nachbesserungen,<br />

die in der ersten Lesung<br />

des Europäischen Parlaments gemacht<br />

wurden. Weitreichende Ausnahmeregelungen,<br />

die quasi alle <strong>Unternehmen</strong> von der<br />

Umwelthaftung ausschlieen würden, die<br />

eine staatliche Genehmigung erhalten<br />

haben oder die auf dem Stand der Technik<br />

arbeiten, müssten verhindert werden.<br />

Die Richtlinie dürfe sich nicht nur auf<br />

grobe Verstöße gegen die Umweltauflagen<br />

beziehen. Außerdem sei der Kommissionsvorschlag<br />

abzulehnen, nach dem<br />

Schäden durch genetisch veränderte<br />

Organismen (GVO) nicht Gegenstand der<br />

Richtlinie sein sollten, da sie "ausdrücklich<br />

durch <strong>EU</strong>-Recht genehmigt sind".<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit hohem Umweltrisiko<br />

sollen sich verpflichtend absichern<br />

Die Umweltverbände rufen die <strong>EU</strong>-Minister<br />

auf, in der Richtlinie eine Verpflichtung zur<br />

finanziellen Versicherung von <strong>Unternehmen</strong><br />

vorzusehen, deren Geschäft mit<br />

einem sehr hohen ökologischen Risiko<br />

verbunden ist. Dabei sei es wichtig, dass<br />

im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines<br />

<strong>Unternehmen</strong>s nicht mehr die Öffentlichkeit<br />

die Kosten übernehmen muss, wie<br />

das etwa im Fall des Doñana-Minen-<br />

Unglücks geschehen war, das die europäischen<br />

Steuerzahler 250 Millionen Euro<br />

<strong>für</strong> die Schadensbegrenzung kostete.<br />

Prestige-Katastrophe kostet die <strong>EU</strong>-<br />

Steuerzahler etwa eine Milliarde<br />

Die Prestige-Katastrophe habe die europäischen<br />

Steuerzahler schätzungsweise<br />

eine Milliarde Euro gekostet - die bisherigen<br />

Regelungen würden nur 170 Millionen<br />

Euro von dieser Summe abdecken,<br />

rechneten die Umweltverbände vor. Die<br />

neue Rechtsprechung müsse sicher stellen,<br />

dass <strong>Unternehmen</strong> in Zukunft den<br />

vollen Preis der von Ihnen verursachten<br />

Schäden übernehmen müssen, so dass<br />

mittelfristig ein Abgehen von verantwortungslosen<br />

und risikoreichen Praktiken<br />

einsetze. <br />

Biodiversitäts-Begriff der Richtlinie zu<br />

eng gefasst<br />

Im Hinsicht auf die Reichweite der Richtlinie<br />

fordern die NGOs, dass alle Lebensräume<br />

und Arten geschützt werden, die<br />

durch <strong>EU</strong>-Recht geschützt sind. Dies<br />

entspricht den Verbesserungsvorschlägen<br />

des <strong>EU</strong>-Parlaments. Da<strong>für</strong> müssten die<br />

<strong>EU</strong>-Umweltminister den bis jetzt zu engen<br />

Fokus der Richtlinie ausweiten, um sicherzustellen,<br />

dass in der Zukunft Umweltkatastrophen<br />

wie die Minenabwasserkatastrophe<br />

von 1998 in Aznalcollar im Vorfeld<br />

verhindert werden oder zumindest alle<br />

Schäden beseitigt werden.


Die Forderungen der europäischen<br />

Umweltverbände<br />

Das vom 27. Mai datierte Schreiben der<br />

fünf Umweltverbände an Repräsentanten<br />

der <strong>EU</strong> dringt auf Änderungen des Umwelthaftungsrichtlinien-Entwurfs<br />

folgenden<br />

Punkten:<br />

1. Ausnahmen/Absicherungen:<br />

Die breiten Ausnahmeregelungen <strong>für</strong><br />

"genehmigtes Tätigsein" und das Agieren<br />

auf "dem Stande der Technik" müssen<br />

gestrichen werden.<br />

Die weitreichenden Ausnahmen, die durch<br />

diese beiden Regelungen verursacht<br />

werden widersprechen sowohl dem "Verursacherprinzip"<br />

als auch dem "strikten<br />

Haftungsprinzip" auf dem die Richtlinie<br />

basieren soll, da so nur im schlimmsten<br />

Fall der Fahrlässigkeit tatsächlich die<br />

Umwelthaftungsrichtlinie greifen würde.<br />

2. Finanzielle Sicherheit<br />

Die Richtlinie muss von <strong>Unternehmen</strong>, die<br />

mit hohem Umweltrisiko arbeiten, eine<br />

Form der finanziellen Absicherung verpflichtend<br />

verlangen (z.B. Versicherungen,<br />

Anleihen, Kreditbriefe, Reserven).<br />

Durch finanzielle Absicherung der Risikovorhaben<br />

und Tätigkeiten muss verhindert<br />

werden, dass die Kosten <strong>für</strong> die Schadensbeseitigung<br />

im Falle der Insolvenz<br />

nicht auf die Öffentlichkeit übertragen<br />

werden.<br />

3. Reichweite<br />

Letztendlich muss jede Aktivität, die Umweltschäden<br />

verursacht, von der Richtlinie<br />

erfasst werden.<br />

Die Richtlinie sollte von ihrer Bestimmung<br />

überall da zutreffen, wo der tatsächliche<br />

Schaden, den Aktivitäten verursachen,<br />

oberhalb gewisser Schwellenwerte liegt.<br />

Dabei sollten nicht Gerichte entscheiden<br />

dürfen, auf wen die Richtlinie zutrifft - und<br />

auf wen eben nicht. Nur auf diese Weise<br />

kann die Anwendung der Richtlinie auch<br />

sicher gestaltet werden.<br />

4. Definition von "Biodiversität"<br />

Im Rahmen der Richtlinie muss eine umfassendere<br />

Definition von Biodiversität<br />

entwickelt werden. In diesem Sinn ist der<br />

Vorschlag des Parlaments zu begrüßen,<br />

alle Lebensräume und Arten, die durch<br />

<strong>EU</strong>-Recht geschützt sind, in die Definition<br />

von "Biodiversität" miteinzubeziehen. <br />

Es muss <strong>für</strong> die Bürger einen angemessenen<br />

Weg geben, Klagen einzubringen.<br />

Auch hier ist die Forderung des Parlaments<br />

zu unterstützen, nach der Nichtregierungsorganisationen<br />

und Betroffene<br />

das Recht haben sollen, im Falle von<br />

drohender Umweltschädigung Klage einzureichen.<br />

Die erste Lesung des europäischen Parlaments<br />

hat am 14. Mai stattgefunden. In<br />

der ersten Lesung wurden Nachbesserungen<br />

im Bezug auf die Ausnahmeregelungen<br />

bei Vorliegen einer Genehmigung<br />

und bei Ausführung auf dem "Stand der<br />

Technik" eingebracht.<br />

Die griechische Präsidentschaft hat einen<br />

Kompromissvorschlag eingebracht, der<br />

bestimmte "mitigating factors" einführt,<br />

die eine Regierung in Betracht ziehen<br />

kann, wenn sie die Kosten zuordnet.<br />

Frankreich, Großbritannien, Österreich<br />

und Portugal sind allerdings nicht gewillt,<br />

diesen Kompromissvorschlag anzunehmen,<br />

und bestehen auf der von der Kommission<br />

vorgeschlagenen Regelung. (du)<br />

Kontakt <br />

• Kritik am Entwurf der <strong>EU</strong>-<br />

Umwelthaftungsrichtlinie<br />

European Environmental Bureau<br />

(EEB), Bld. de Waterloo, 34, B-1000<br />

Bruxelles<br />

Tel. 0032 2 / 2891090<br />

eMail: info@eeb.org<br />

Umfassenderes Papier des EEB zur<br />

Umwelthaftung im Internet:<br />

www.eeb.org/archive/<br />

umwelthaftungd.htm<br />

BirdLife International, Rue de la Loi, 81<br />

B-1040 Bruxelles<br />

Tel. 0032 2 / 2300830<br />

eMail: bleco@birdlifeeco.net<br />

Friends of the Earth Europe (FoEE),<br />

Rue Blanche, 29, B-1060 Bruxelles<br />

Tel. 0032 2 / 5420180<br />

eMail: info@foeeurope.org<br />

Greenpeace International, European<br />

Unit, Chaussée de Haecht, 159,<br />

B-1030 Bruxelles<br />

Tel. 0032 2 / 2801400<br />

eMail:<br />

european.unit@diala.greenpeace.org<br />

WWF, European Policy Office, Avenue<br />

de Tervuren, 36, B-1040 Bruxelles<br />

Tel. 0032 2 / 7438800<br />

e-mail: wwf-epo@wwfepo.org<br />

DNR, <strong>EU</strong>-<strong>Koordination</strong> und Internationales,<br />

Nika Greger, Prenzlauer Allee<br />

230, 10405 Berlin<br />

Tel. 030 / 443391-86, Fax -80<br />

eMail: nika.greger@dnr.de<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 21


Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />

Umwelthaftung in Europa<br />

Über die Notwendigkeit einer<br />

<strong>EU</strong>-Richtlinie zur Umwelthaftung<br />

Das Europäische Umweltbüro hat einen<br />

Bericht über die Einführung der Umwelthaftung<br />

auf <strong>EU</strong>-Ebene erarbeitet, in dem<br />

auch auf die Mindestforderungen und den<br />

Stand der Verhandlungen eingegangen<br />

wird. Da er als allgemeine Einführung sehr<br />

gut geeignet ist, dokumentieren wir im<br />

Folgenden die deutsche Übersetzung.<br />

(ng)<br />

1. Wozu brauchen wir ein<br />

Umwelthaftungsrecht?<br />

Immer wieder hielten und halten Umweltkatastrophen<br />

die Menschen in Atem.<br />

Beispielsweise die Chemieunglücke von<br />

Seveso und bei Sandoz, Unfälle von Öltankern<br />

wie der Amoco Cadiz oder der<br />

Exxon Valdez oder die Atomkatastrophe<br />

von Tschernobyl, um nur einige wenige<br />

spektakuläre Beispiele zu nennen. Hinzu<br />

kommt die schleichende Verschmutzung<br />

und Vergiftung, beispielsweise von Böden<br />

und Grundwasser durch undichte Mülldeponien<br />

oder durch unsachgerechtes<br />

Düngen und Spritzen in der Landwirtschaft.<br />

In fast allen diesen Fällen gilt noch<br />

immer, dass zwar der finanzielle Vorteil<br />

beim Verursacher bleibt. Die Schäden, die<br />

beispielsweise durch unzureichende<br />

Schutzmaßnahmen oder durch rein profitorientiertes<br />

Wirtschaften entstehen, werden<br />

aber fast immer von der Allgemeinheit<br />

getragen. Dadurch werden alle sonstigen<br />

Bemühungen konterkariert, das Verursacher-Prinzip<br />

zu verankern.<br />

Aus diesem Grunde gewinnt das Haftungsrecht<br />

in der umweltpolitischen Diskussion<br />

zunehmend an Bedeutung. Danach soll<br />

derjenige, der einen Umweltschaden<br />

verursacht, auch <strong>für</strong> dessen Wiedergutmachung<br />

finanziell einstehen. Die Wirkung<br />

wäre klar: Eine solche Androhung würde<br />

einen enormen Anreiz schaffen, künftig<br />

Schäden unbedingt zu vermeiden. Insofern<br />

gilt das Umwelthaftungsrecht als<br />

neues wesentliches und wirksames Instrument<br />

zur Vorbeugung und Vermeidung.<br />

<br />

22 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Da<strong>für</strong> sprechen auch Erfahrungen aus<br />

einem vergleichbaren Bereich, nämlich<br />

der Produkthaftung. Nach dem "Ersten<br />

Bericht über die Anwendung der Richtlinie<br />

zur Produkthaftung" trug diese dazu bei,<br />

das Bewusstsein und die Vorsicht der<br />

Produzenten zu vergrößern. Dadurch<br />

wuchs auch die Sicherheit der Produkte.<br />

Der Bericht im einzelnen: "Als Folge<br />

schenkten <strong>Unternehmen</strong> und Versicherer<br />

Belangen der Produktsicherheit besondere<br />

Aufmerksamkeit. Unternommene Schritte<br />

schlossen Aspekte der Produktgestaltung,<br />

der Herstellung, der Qualitätskontrolle,<br />

der Produktbeschriftung sowie<br />

detaillierter Information über den sicheren<br />

Gebrauch des Produktes ein, außerdem<br />

eine Gebrauchskontrolle und, soweit<br />

notwendig, eine größere Bereitschaft und<br />

Effizienz hinsichtlich des Rückrufs von<br />

Produkten."<br />

Umwelthaftung ist gewiß kein umweltpolitisches<br />

Allheilmittel. Aber sie ist eine wirksame<br />

und notwendige Ergänzung zu<br />

anderen Maßnahmen. Diese Ansicht vertritt<br />

auch das 5. Umwelt-Aktionsprogramm<br />

der <strong>EU</strong>. Danach ist Umwelthaftung ein<br />

Instrument, das sich sowohl an der Ursache<br />

als auch am Ausmaß des Schadens<br />

orientiert. Sie kann deshalb dazu beitragen,<br />

Lücken in der europäischen Umweltschutzgesetzgebung<br />

zu schließen, und<br />

die Wirksamkeit umweltpolitischer Maßnahmen<br />

steigern.<br />

Zunehmend bedeutsam wird die Umwelthaftung<br />

auch angesichts der Tendenz,<br />

staatliches Eingreifen durch unternehmerische<br />

Eigenverantwortung zu ersetzen.<br />

Eine solche Strategie erfordert im Gegenzug,<br />

dass Unternehmer auch die Folgen<br />

tragen müssen von unterlassenen oder<br />

unzureichenden Schutzmaßnahmen, und<br />

zwar in stärkerem Maße als bisher. Denn<br />

schließlich heißt "Eigenverantwortung"<br />

nicht nur größere Handlungsfreiheit,<br />

sondern auch stärkere Verantwortlichkeit.<br />

Beides sind Kehrseiten derselben Medaille.<br />

Wer eine größere Handlungsfreiheit<br />

will, muss auch die entsprechende Verantwortlichkeit<br />

tragen. <br />

1.1. Gibt es Ansätze <strong>für</strong> ein<br />

Europäisches Haftungsrecht?<br />

Bereits im März 1993 legte die Europäische<br />

Kommission ein Grünbuch über die<br />

Verantwortlichkeit <strong>für</strong> Umweltschäden vor.<br />

Dieses sollte als Diskussionsgrundlage <strong>für</strong><br />

weiterführende Strategien auf europäischer<br />

Ebene dienen. Als Folge erhielt die<br />

Kommission über hundert Stellungnahmen<br />

von vielen Mitgliedstaaten sowie von<br />

zahlreichen Umweltschutzorganisationen<br />

und Industrieverbänden. Seither veranstaltete<br />

die Kommission zahlreiche Workshops<br />

und gab zwei (im Literaturverzeichnis<br />

genannte) Studien in Auftrag,<br />

deren Ergebnisse in diesen Bericht eingeflossen<br />

sind: Zum einen über die ökonomischen<br />

Auswirkungen der Umwelthaftung,<br />

zum anderen über bestehende<br />

Umwelthaftungssysteme in den einzelnen<br />

Mitgliedstaaten sowie anderer europäischer<br />

Staaten und der USA.<br />

Im April 1994 forderte schließlich das<br />

Europäische Parlament die Europäische<br />

Kommission auf, einen Entwurf <strong>für</strong> eine<br />

Umwelthaftungsrichtlinie zu erarbeiten.<br />

Obwohl die Europäische Kommission <strong>für</strong><br />

1996 und 1997 mehrfach angekündigt<br />

hatte, im Bereich Umwelthaftung tätig zu<br />

werden, blieb dies bislang vor allem aufgrund<br />

des massiven Widerstandes seitens<br />

Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs<br />

aus. Insofern besteht noch immer<br />

dringend Handlungsbedarf.<br />

1.2. Was heißt Umwelthaftung?<br />

Umwelthaftung ist Mittel und Weg, um<br />

Verursacher von Umweltschäden zu zwingen,<br />

Schäden, die sie verursachen, wiedergutzumachen<br />

bzw. <strong>für</strong> deren Wiedergutmachung<br />

zu bezahlen. Insofern ist<br />

Umwelthaftung ein wesentlicher Ausdruck<br />

des Verursacher-Prinzips. Das heißt: Nicht<br />

die Allgemeinheit und damit der Steuerzahler<br />

muss <strong>für</strong> einen Umweltschaden<br />

aufkommen, sondern derjenige, der ihn<br />

verursacht hat.<br />

1.3. Die Umwelthaftung im Verhältnis<br />

zu bestehenden Instrumenten<br />

Grundsätzlich gibt es zwei rechtliche und<br />

politische Systeme, um gegen Umweltverschmutzung<br />

und Zerstörung unserer<br />

Lebensgrundlagen vorzugehen:


- Das Ordnungsrecht legt mit rechtlichen<br />

Vorgaben die Voraussetzungen fest,<br />

unter denen umweltrelevantes Handeln<br />

erlaubt bzw. verboten ist. Nachteil ist,<br />

dass das Ordnungsrechts angesichts<br />

der Vielzahl und Vielschichtigkeit von<br />

Gefahren einen Umfang an Gesetzen und<br />

Verwaltungsmaßnahmen erfordert, die<br />

<strong>für</strong> den Einzelnen kaum noch durchschaubar<br />

sind. Außerdem basiert der<br />

Erfolg des Ordnungsrechts auf einer<br />

entsprechenden Kontrolle. Eine Regelung<br />

aller umweltpolitischen Herausforderungen<br />

durch Ordnungsrecht würde<br />

einen Kontrollaufwand erfordern, der<br />

weder praktikabel noch finanzierbar ist.<br />

- Neben das Ordnungsrecht treten deshalb<br />

seit einigen Jahren immer mehr<br />

marktwirtschaftlich orientierte Instrumente,<br />

beispielsweise das Öko-Audit<br />

sowie die noch immer in weiter Ferne<br />

schwebende ökologische Steuerreform.<br />

- Ein Umwelthaftungsrecht wäre ein<br />

wesentlicher Baustein eines Systems<br />

marktwirtschaftlicher Instrumente. Es<br />

schreibt dem Unternehmer nicht vor, wie<br />

er Schäden zu vermeiden hat. Vielmehr<br />

lässt es hier dem Unternehmer freien<br />

Spielraum. Er kann selbst entscheiden,<br />

welche vorbeugenden Maßnahmen er zu<br />

welchen Kosten unternehmen möchte.<br />

Kehrseite ist natürlich, dass er auftretende<br />

Umweltschäden finanziell tragen<br />

und wiedergutmachen muss. Zum einen<br />

kann das dazu führen, dass bestimmte<br />

Handlungen nicht mehr vorgenommen<br />

werden, weil das Schadens- und damit<br />

das Haftungsrisiko zu groß ist. Auf diese<br />

Weise können Umweltschutzbelange<br />

sehr stark in unternehmerische Entscheidungen<br />

einfließen. Zum anderen<br />

wird sich das Maß des Risikos, finanziell<br />

zu haften, in den Preisen widerspiegeln.<br />

Dies wäre ein wesentlicher Schritt zur<br />

Verwirklichung des Verursacherprinzips<br />

und hin zu ökologisch ehrlichen Preisen.<br />

1.4. Welche Vorteile hat ein<br />

Umwelthaftungsrecht <strong>für</strong> die Umwelt?<br />

- Da der Verursacher <strong>für</strong> seinen Schaden<br />

aufkommen muss, besteht ein großer<br />

Anreiz, Schäden zu vermeiden.<br />

- Umweltpolitische Belange bekommen<br />

dadurch in <strong>Unternehmen</strong>sentscheidungen<br />

einen neuen Stellenwert. Dies gilt<br />

um so mehr, wenn schwerwiegende und<br />

entsprechend teure Schäden drohen. <br />

- Umwelthaftung schafft auch in Bereichen<br />

Anreiz zur Vorbeugung, die bislang von<br />

bestehenden Mitteln nicht umfasst werden.<br />

Insofern kann es Lücken schließen.<br />

- Ein Umwelthaftungsrecht ist ein wesentlicher<br />

Schritt zur Verwirklichung des<br />

Verursacher-Prinzips. Das heißt: Nicht<br />

die Allgemeinheit und damit der Steuerzahler<br />

kommt <strong>für</strong> Umweltschäden auf,<br />

sondern der Verursacher.<br />

- Durch das drohende finanzielle Risiko<br />

und durch entsprechend hohe Versicherungsbeiträge<br />

wird sich Umwelthaftung<br />

auch in Preisen widerspiegeln. Sie ist<br />

damit ein wichtiger Beitrag zur Verwirklichung<br />

des Prinzips "ökologisch ehrliche<br />

Preise".<br />

1.5. Welche Vorteile hat die Wirtschaft<br />

von einem Umwelthaftungsrecht?<br />

- Umwelthaftung ist ein marktorientiertes<br />

Instrument. Sie lässt der Wirtschaft einen<br />

weiten unternehmerischen Spielraum<br />

und schreibt keine bestimmten Maßnahmen<br />

vor. Vielmehr können <strong>Unternehmen</strong><br />

möglichst optimierte und kosteneffiziente<br />

Maßnahmen <strong>für</strong> ihren Betrieb<br />

maßschneidern. Davon profitieren<br />

vor allem kleinere und mittlere <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Aufgrund ihrer großen Dynamik<br />

sind sie besonders innovativ.<br />

- Nach Schätzungen einer Studie der <strong>EU</strong>-<br />

Kommission über die ökonomischen Aspekte<br />

einer Umwelthaftung beträgt der<br />

jährliche Schaden <strong>für</strong> die <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />

zwischen 4 und 7% des Bruttoinlandsproduktes.<br />

Dieser Schaden wird<br />

bislang von der Allgemeinheit getragen.<br />

Das heißt: Über Steuern finanzieren<br />

auch solche <strong>Unternehmen</strong> die Wiedergutmachung,<br />

die an den Schäden unbeteiligt<br />

sind. Umwelthaftung vermindert<br />

deshalb auch Wettbewerbsverzerrungen.<br />

- Das Argument der Wettbewerbsverzerrung<br />

gilt erst recht angesichts der sehr<br />

unterschiedlichen Haftungsniveaus in<br />

den einzelnen <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten. Sie<br />

bewirken unterschiedliche Kostenbelastungen<br />

und damit Wettbewerbsverzerrungen<br />

innerhalb der <strong>EU</strong>.<br />

- Ein europaweit einheitliches Umwelthaftungsrecht<br />

schafft Rechtssicherheit und<br />

Überschaubarkeit. Dies erleichtert<br />

grenzüberschreitende Investitionen innerhalb<br />

der <strong>EU</strong>.<br />

<br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 23


Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />

2. Entscheidende rechtliche<br />

Stichworte zur Umwelthaftung<br />

2.1. Was heißt zivilrechtliche Haftung?<br />

Ein zivilrechtliches Haftungsrecht existiert<br />

bereits heute in allen Mitgliedstaaten der<br />

Europäischen Union. Verallgemeinert<br />

bedeutet dies, dass wer Schaden erleidet,<br />

da<strong>für</strong> unter bestimmten Voraussetzungen<br />

Schadensersatz erhält. In der Regel setzt<br />

dies die Verletzung eines Rechtsgutes<br />

voraus. Geschützte Rechtsgüter sind<br />

beispielsweise das Leben, die körperliche<br />

Unversehrtheit und das Eigentum. Durch<br />

die Verletzung des Rechtsgutes muss ein<br />

Schaden verursacht sein. Das heißt: Der<br />

Schaden muss aufgrund der Verletzung<br />

des Rechtsgutes entstehen. Zwischen<br />

beidem muss also eine Kausalität bestehen.<br />

Außerdem erfordert eine zivilrechtliche<br />

Haftung in der Regel, dass die Verletzung<br />

des Rechtsgutes rechtswidrig ist. Das<br />

heißt: Der Handelnde muss gleichzeitig<br />

gegen ein Gesetz zum Schutze des<br />

Rechtsgutes verstoßen. Außerdem muss<br />

er dies schuldhaft tun, das heißt: vorsätzlich<br />

oder zumindest fahrlässig.<br />

All diese Voraussetzungen müssen von<br />

dem Kläger im Prozess dargelegt und<br />

bewiesen werden.<br />

Zwar bestehen in den einzelnen Mitgliedstaaten<br />

Abweichungen von diesen<br />

Grundsätzen, die teilweise auch die Position<br />

des Klägers erleichtern. Dennoch<br />

genügen die Bestimmungen nicht, um<br />

Umweltschäden ausreichend gerecht zu<br />

werden. Zum einen erfassen sie die Umwelt<br />

nur in Gestalt von Eigentum oder<br />

Gesundheit. Nicht jedoch betreffen sie den<br />

Schaden an einer Umwelt, die keinem<br />

gehört, zum Beispiel wildlebende Tier-<br />

oder Pflanzenarten, Luft und Wasser<br />

(soweit letzteres nicht unter das Eigentums-oder<br />

Nutzungsrecht beispielsweise<br />

eines Mineralbrunnens oder eines Wasserversorgungsunternehmens<br />

fällt). <br />

24 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Außerdem erfasst das zivilrechtliche Haftungsrecht<br />

in der Regel kaum Fälle, in<br />

denen der Umweltschaden im Rahmen<br />

eines genehmigten Betriebes entsteht,<br />

soweit alle Grenzwerte und Umweltschutzbestimmungen<br />

eingehalten werden. Keine<br />

Haftung entsteht weiterhin, wenn der<br />

Verursacher des Umweltschadens nicht<br />

schuldhaft gehandelt hat. Problematisch<br />

ist zudem, dass der Kläger beispielsweise<br />

die Kausalität zwischen Verletzung des<br />

Rechtsgutes und dem Schadenseintritt<br />

vollständig beweisen muss. Dies dürfte<br />

wohl nur in den wenigsten Fällen gelingen.<br />

2.2. Was heißt "strenges Haften"?<br />

Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Haftung,<br />

die auch im Rahmen eines Umwelthaftungsrechtes<br />

diskutiert werden. Dies<br />

ist zum einen eine fehlerabhängige Verschuldenshaftung<br />

und zum anderen eine<br />

fehlerunabhängige Gefährdungshaftung.<br />

Verschuldensabhängige Haftung heißt,<br />

dass der Verursacher nur dann <strong>für</strong> einen<br />

Schaden haftet, wenn er ihn fahrlässig<br />

oder vorsätzlich verursacht hat.<br />

Gefährdungshaftung bedeutet dagegen,<br />

dass es nicht darauf ankommt, ob sich<br />

der Verursacher fehlerhaft oder richtig<br />

verhalten hat. Entscheidend ist allein der<br />

Eintritt des Schadens, der allerdings<br />

durch ihn verursacht sein muss.<br />

2.3. Was heißt Kausalität, Beweislast<br />

und Umkehr der Beweislast?<br />

Kausalität bedeutet, dass der Schaden<br />

durch den Haftenden verursacht sein<br />

muß. Problematisch ist dies vor allem bei<br />

Distanzschäden, das heißt: wenn der<br />

Schaden weit entfernt von der Ursachenquelle<br />

entsteht, zum Beispiel bei Emissionen<br />

in die Luft (Stichwort: Waldsterben).<br />

Problematisch ist dies außerdem, wenn<br />

mehre voneinander unabhängige Handlungen<br />

zu einem Schaden führen, der<br />

durch eine Handlung alleine nicht eingetreten<br />

wäre. Problematisch sind weiterhin<br />

sogenannte Langzeit- und Sekundärschäden.<br />

Wenn zum Beispiel das Ufer eines<br />

Bergsees durch Öl verschmutzt wird, die<br />

Schadstoffe durch Regen in den See<br />

gelangen und dort als Folge einige Jahre<br />

später eine seltene Fischart ausstirbt. <br />

Bedeutsam sind diese Fragen der Kausalität<br />

vor allem im Zusammenhang mit der<br />

Beweislast. Nach geltendem Recht der<br />

<strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten muss fast ausnahmslos<br />

der Kläger die Kausalität darlegen und<br />

beweisen. Dies ist in den oben genannten<br />

Fällen, die meist die Regel sind, äußerst<br />

schwierig. Hinzu kommt, dass der Kläger<br />

häufig gar nicht die Einzelheiten eines<br />

Produktionsprozesses kennt. Zum Beispiel:<br />

welche Stoffe verwendet werden.<br />

Auch erfordert das detaillierte Darlegen<br />

und Beweisen der Kausalität meist eine<br />

wissenschaftliche Fachkenntnis, über die<br />

der Kläger in der Regel nicht verfügt.<br />

Fachleute und Umweltschützer fordern<br />

deshalb hier eine Umkehr der Beweislast,<br />

zumindest dann, wenn nach richterlicher<br />

Annahme eine hohe Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong><br />

eine Kausalität besteht. Dies würde konkret<br />

bedeuten, dass der Kläger "nur" eine<br />

hohe Wahrscheinlichkeit darlegen müsste,<br />

dass der Schaden von dem Beklagten<br />

verursacht wurde. Es würde dann dem<br />

Beklagten obliegen, zu beweisen, dass er<br />

den Schaden nicht verursacht hat.<br />

2.4. Was ist ein Umweltschaden?<br />

In nahezu keinem der <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />

sind bislang die Begriffe Umweltverschmutzung<br />

und Umweltschaden rechtlich<br />

verbindlich definiert. Die Europäische<br />

Kommission verweist hierzu in dem oben<br />

in Kapitel 1.1.genannten Grünbuch auf<br />

ihren Vorschlag zu einer Richtlinie über<br />

Abfallhaftung. Dort wird Umweltschaden<br />

als eine "wesentliche chemische oder<br />

biologische Verschlechterung der Umwelt"<br />

definiert.<br />

Problematisch ist auch die monetäre<br />

Berechnung von Umweltschäden. Dies gilt<br />

zumindest dann, wenn keine Wiederherstellung<br />

des ursprünglichen Zustandes<br />

und deshalb keine diesbezügliche Kostenrechnung<br />

möglich ist. Beispiel: Ausrottung<br />

von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten.


2.5. Was bedeutet Klagebefugnis?<br />

Die Klagebefugnis legt fest, wer klagen<br />

darf. Dies ist bislang in den <strong>EU</strong>-<br />

Mitgliedstaaten fast immer nur derjenige,<br />

der in seinen Rechten verletzt ist. Dies ist<br />

in der Regel der Eigentümer. Problematisch<br />

ist dies jedoch, wenn Umwelt geschädigt<br />

wird, die niemandem gehört.<br />

Zum Beispiel: Umwelt in Gestalt von wildlebenden<br />

Tier- und Pflanzenarten, Luft,<br />

Wasser. Problematisch ist weiterhin, wenn<br />

der Eigentümer selber der Verursacher<br />

ist. Hier zeigt sich eine Rechtslücke, die<br />

wohl größer ist als das, was bislang haftungsrechtlich<br />

abgedeckt ist.<br />

Um diese Lücke zu schließen, fordern<br />

Fachleute und Umweltschützer, Umweltschutzorganisationen<br />

ein Verbandsklagerecht.<br />

Das heißt: Umweltschutzorganisationen<br />

könnten dann auch als Nichteigentümer<br />

sowohl auf Beendigung der umweltschädigenden<br />

Handlung als auch auf<br />

Wiedergutmachung klagen. Dies würde<br />

ihre Kontrollposition wesentlich verstärken.<br />

Diese Auffassung vertritt auch die Europäische<br />

Kommission in ihrer Mitteilung zur<br />

Durchführung des Umweltrechts vom<br />

22.11.1996, KOM (96)500 endg. Darin<br />

betont sie die Notwendigkeit einer umweltrechtlichen<br />

Verbandsklage und kritisiert,<br />

dass der Zugang häufig durch untragbare<br />

Kosten erschwert wird. Positive<br />

Folge des verbesserten Zuganges zu den<br />

Gerichten sei eine allgemeine Verbesserung<br />

der praktischen Anwendung und<br />

Durchsetzung von Vorschriften, so die<br />

Kommission. Denn die Akteure würden<br />

sich dann stärker an Vorschriften halten,<br />

um Gerichtsverfahren zu vermeiden. <br />

2.6. Auf welchem Niveau muss die<br />

Umwelt wiederhergestellt werden?<br />

Die meisten Mitgliedstaaten sehen bei<br />

Umweltschäden, soweit sie bislang erfasst<br />

werden, grundsätzlich die Wiederherstellung<br />

des ursprünglichen Zustandes vor.<br />

Dies gilt allerdings in der Regel nur, soweit<br />

die Kosten nicht unangemessen sind.<br />

Problematisch ist zum einen die Frage, ab<br />

welcher Summe Kosten unangemessen<br />

sind. Fraglich ist zum anderen, welcher<br />

Zustand wiederhergestellt werden muss.<br />

Beispiel: Ein Biotop, in dem sehr seltene<br />

Vogelarten brüten, wird mit Öl verseucht.<br />

Muss das Gebiet dann in seiner ursprünglichen<br />

Funktion als Brutgebiet <strong>für</strong> diese<br />

seltenen Vögel wiederhergestellt werden?<br />

Oder reicht es, das Gebiet so zu reinigen<br />

und wiederherzustellen, dass es anderen,<br />

häufiger vorkommenden Arten genügt?<br />

Und bis zu welchen Kosten ist die<br />

bestmöglichste Sanierung angemessen?<br />

Diese Fragen bedürfen dringend einer<br />

rechtlichen Klärung durch ein<br />

Umwelthaftungsrecht. Dabei ist nach<br />

Ansicht des EEB grundsätzlich von der<br />

Wiederherstellung des ursprünglichen<br />

Zustandes auszugehen.<br />

2.7. Wer haftet <strong>für</strong> einen<br />

Umweltschaden?<br />

Dahinter steht die Frage, wer Verursacher<br />

eines Umweltschadens ist. Ist dies "nur"<br />

beispielsweise der emittierende Betrieb<br />

oder auch der Manager, der die entsprechenden<br />

Betriebsentscheidungen getroffen<br />

hat? Fraglich ist auch, inwieweit zum<br />

Beispiel Muttergesellschaften <strong>für</strong> Schäden<br />

ihrer Tochterunternehmen einstehen<br />

müssen. Dies ist zum Beispiel dann bedeutsam,<br />

wenn der Schaden sehr hoch<br />

und die Muttergesellschaft wesentlich<br />

finanzkräftiger als das Tochterunternehmen<br />

ist. Mangelnde haftungsrechtliche<br />

Berücksichtigung von Muttergesellschaften<br />

kann zudem dazu führen, dass Risikounternehmen<br />

auf besonders finanzschwache<br />

Tochterfirmen ausgelagert<br />

werden. Dies würde eine wirksame Umwelthaftung<br />

unterlaufen. <br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 25


Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />

Fraglich ist außerdem, ob und wie weit<br />

genehmigende Behörden <strong>für</strong> Umweltschäden<br />

haften, die aufgrund des von ihnen<br />

genehmigten Betriebes entstehen. Unklar<br />

ist auch, inwieweit Banken und andere<br />

Kreditgeber haften. Dies ist insbesondere<br />

dann interessant, wenn Umweltzerstörungen<br />

erst durch entsprechende Kredite<br />

möglich werden. Beispiel hier<strong>für</strong> sind<br />

große Staudammprojekte, die nur mit<br />

Billigung und Unterstützung von Banken<br />

realisiert werden können. Hier stellt sich<br />

die Frage, inwieweit sie nicht auch <strong>für</strong><br />

später auftretende Umweltschäden haften<br />

müssen. Dies gilt insbesondere dann,<br />

wenn die Bank die möglichen negativen<br />

Umweltauswirkungen durch entsprechende<br />

Umweltgutachten schon vor oder bei<br />

der Kreditzusage kannte.<br />

2.8. Was ist gesamtschuldnerische<br />

Haftung und Haftung nach Proporz?<br />

Diese Frage ist entscheidend <strong>für</strong> den Fall,<br />

daß mehrere einen Umweltschaden verursacht<br />

haben. Bei einer Haftung nach<br />

Proporz muss der Kläger jeden einzelnen<br />

Verursacher auf den jeweils durch ihn<br />

verursachten Schadensanteil verklagen.<br />

Dies bedeutet, dass der Kläger mehrere<br />

Prozesse mit einem entsprechend hohen<br />

Aufwand an Kosten und Zeit führen muss.<br />

Außerdem dürfte es in den meisten Fällen<br />

<strong>für</strong> den Kläger fast unmöglich sein, den<br />

genauen Schadensanteil eines jeden<br />

Verursachers genau zu beziffern.<br />

Fachleute und Umweltschützer fordern<br />

deshalb eine gesamtschuldnerische Haftung.<br />

Dies würde bedeuten, dass der<br />

Kläger entweder alle oder auch nur einen<br />

Verursacher in einem Prozess auf den<br />

gesamten Schaden verklagen kann. Das<br />

heißt: Er kann sich beispielsweise den<br />

finanzkräftigsten Verursacher aussuchen.<br />

Die einzelnen Höhen der Schadensanteile<br />

müssten dann die Verursacher untereinander,<br />

notfalls durch Prozess, klären. Dies<br />

dürfte ihnen auch leichter möglich und<br />

damit zumutbarer sein als dem fachlich<br />

meist außenstehenden Kläger. Außerdem<br />

würde nicht unbedingt der Geschädigte,<br />

sondern der verklagte Verursacher das<br />

finanzielle Risiko tragen, dass die übrigen<br />

Verursacher nicht genügend Geld haben,<br />

um ihren Schadensanteil zu tragen. <br />

26 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

2.9. Was bedeutet<br />

Versicherungspflicht?<br />

Hier wird diskutiert, ob und inwieweit ein<br />

Umwelthaftungsrecht mit der Versicherbarkeit<br />

von Umweltschäden einhergehen<br />

soll bzw. muss. Gegen eine Versicherungspflicht<br />

wird eingewendet, dass dies<br />

den Anreiz <strong>für</strong> potentielle Verursacher zur<br />

Schadensvermeidung vermindern könnte.<br />

Andererseits kann ohne Versicherung eine<br />

Haftung zum Konkurs eines <strong>Unternehmen</strong>s<br />

führen, zum Beispiel wenn der<br />

Schaden sehr groß ist. Auch kann ohne<br />

Versicherung eine Wiedergutmachung<br />

scheitern, falls die Kapitaldecke des Verursachers<br />

zu gering ist. Allerdings wehren<br />

sich Versicherer gegen eine allgemeine<br />

Versicherungspflicht <strong>für</strong> jeden potenziellen<br />

Umweltschaden. Außerdem fordern sie<br />

Schadensobergrenzen, um das eigene<br />

finanzielle Risiko einzugrenzen.<br />

2.10. Was ist ein Haftungsfonds?<br />

Hier zahlen <strong>Unternehmen</strong> Beiträge in<br />

einen gemeinsamen Fonds. Aus diesem<br />

wird dann die Wiedergutmachung von<br />

Schäden finanziert. Soweit jedes <strong>Unternehmen</strong><br />

ohne Rücksicht auf seine Präventionsmaßnahmen<br />

Beiträge entrichtet,<br />

besteht hier die Gefahr, dass umweltbewusste<br />

<strong>Unternehmen</strong> <strong>für</strong> schwarze<br />

Schafe mit bezahlen. Sie wären dann<br />

finanziell doppelt benachteiligt: durch<br />

höhere Kosten durch entsprechende<br />

Präventionsmaßnahmen sowie durch<br />

unangemessen hohe Beiträge.<br />

Gleichwohl sind Haftungsfonds eine sinnvolle<br />

Ergänzung zu einer Versicherung.<br />

Denn durch sie können auch solche Schäden<br />

wiedergutgemacht werden, die keinem<br />

konkreten Verursacher, aber beispielsweise<br />

einer Branche, zuzurechnen<br />

sind. Um umweltbewusste <strong>Unternehmen</strong><br />

nicht zu benachteiligen, könnten solche<br />

Haftungsfonds nach Ansicht von Fachleuten<br />

durch eine Schadstoffabgabe finanziert<br />

werden. Fachleute raten hier zudem<br />

zu möglichst regionalen Fonds. Das hieße:<br />

Schadstoffabgaben würden den Regionen<br />

zugutekommen, in denen sie entrichtet<br />

wurden. Dadurch würde die Verwendung<br />

transparenter und konkreter.<br />

Dies könnte zum einen die Akzeptanz von<br />

Schadstoffabgaben und Haftungsfonds<br />

steigern, zum anderen auch das Umweltbewusstsein<br />

von <strong>Unternehmen</strong> weiter<br />

erhöhen. <br />

3. Wozu ein einheitliches<br />

Europäisches Haftungsrecht?<br />

Alle in Kapitel 3 genannten rechtlichen<br />

Punkte sind in den einzelnen <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />

entweder überhaupt nicht oder<br />

nur sehr unzureichend und noch dazu<br />

sehr unterschiedlich geregelt. Noch immer<br />

haben die meisten <strong>EU</strong>-Mitgliedstaaten<br />

kein spezielles Umwelthaftungsrecht.<br />

Vielmehr werden die meisten Fälle (und<br />

damit die wenigsten) noch immer über<br />

das in Kapitel 2 beschriebene Zivilrecht<br />

behandelt, mit allen bereits genannten<br />

Mängeln.<br />

Doch gerade aufgrund der Mängel und<br />

Lücken erkennen immer mehr Mitgliedstaaten<br />

die Notwendigkeit, ein Umwelthaftungsrecht<br />

zu schaffen. Einige, wie zum<br />

Beispiel Deutschland, haben inzwischen<br />

ein nationales Umwelthaftungsrecht.<br />

Andere Länder sind gerade dabei, ein<br />

solches zu erarbeiten. Österreich hat den<br />

Entwurf eines eigenen Umwelthaftungsrechts<br />

erst einmal eingestampft, mit der<br />

Begründung, man wolle auf ein europäisches<br />

Vorgehen warten. Insofern wäre<br />

jetzt der richtige Zeitpunkt, europaweit ein<br />

einheitliches Haftungsrecht zu schaffen.<br />

Dieses würde außerdem dazu beitragen,<br />

grenzüberschreitende Haftungsfälle einheitlich<br />

und damit auch durchschaubarer<br />

zu behandeln.<br />

Im Übrigen zeigt gerade das Beispiel<br />

Deutschland, dass bisherige nationale<br />

Ansätze oben genannten Herausforderungen<br />

bei weitem nicht genügen. Das<br />

deutsche Umwelthaftungsgesetz von<br />

1990 gilt als das bislang am weitesten<br />

gehende Umwelthaftungsrecht innerhalb<br />

der Europäischen Union. Es baut auf dem<br />

Konzept der Anlagenhaftung auf, führt<br />

eine Gefährdungshaftung ein, erleichtert<br />

den Kausalitätsnachweis und erweitert bei<br />

Beeinträchtigung den Anspruch auf Wiederherstellung<br />

des ursprünglichen Zustandes.<br />

Außerdem wird <strong>für</strong> die Betreiber<br />

bestimmter Anlagen die Pflicht zur Deckungsvorsorge<br />

begründet. Im einzelnen<br />

bedeutet dies:


a. Gefährdungshaftung<br />

Das Umwelthaftungsgesetz etabliert erstmals<br />

<strong>für</strong> Umwelteinwirkungen von bestimmten<br />

Anlagen eine Gefährdungshaftung<br />

<strong>für</strong> entstehende Personen- und<br />

Sachschäden. Es kommt also nicht auf ein<br />

Verschulden des Anlagenbetreibers an,<br />

sondern nur noch darauf, ob durch eine<br />

Umwelteinwirkung, die von der Anlage<br />

ausgeht, ein Personen- oder Sachschaden<br />

entstanden ist. Zwar ist dies ein<br />

wesentlicher Schritt hin zu einer besseren<br />

Umwelthaftung. Allerdings bleiben auch<br />

hier weiterhin Lücken. Zum einen ist die<br />

Gefährdungshaftung auf bestimmte Anlagen<br />

beschränkt. Sie lässt andere umweltrelevante<br />

Aktivitäten wie das Inverkehrbringen<br />

umweltgefährlicher Produkte,<br />

das Versprüchen von Pflanzenschutzmitteln,<br />

das Befördern und Lagern gefährlicher<br />

Stoffe oder die Abfallablagerung<br />

außerhalb von Anlagen völlig außer acht.<br />

Außerdem umfasst es keine rein ökologischen<br />

Schäden, also Schäden an der<br />

Umwelt, die niemandem gehört und an<br />

der keiner ein Nutzungsrecht hat, also<br />

zum Beispiel an wildlebenden Tier- und<br />

Pflanzenarten. Weiterhin bleiben sämtliche<br />

Summations- und Distanzschäden ausgespart.<br />

Denn das Umwelthaftungsrecht<br />

erfasst nur den einzelnen Schädiger<br />

hinsichtlich des ihm zurechenbaren Schadens.<br />

b. Beweisregel<br />

Das Umwelthaftungsgesetz vermutet zwar<br />

den Ursachenzusammenhang zwischen<br />

Schadensfall und einer Anlage, falls diese<br />

im Einzelfall geeignet erscheint, gerade<br />

diesen Schaden ausgelöst zu haben. Falls<br />

der Anlagenbetreiber dies bestreitet, ist<br />

er verpflichtet, den entsprechenden<br />

Gegenbeweis zu führen. Allerdings gibt es<br />

auch hier eine wesentliche Beschränkung:<br />

Die Beweiserleichertung wird auf den<br />

rechtswidrigen Betrieb und auf Störfälle<br />

beschränkt. Dies reicht <strong>für</strong> eine wirksame<br />

Umwelthaftung nicht.<br />

c. Ersatzleistung<br />

Das Umwelthaftungsgesetz begünstigt die<br />

Naturalherstellung <strong>für</strong> Sachschäden.<br />

Dabei ist der Wiederherstellungsanspruch<br />

nicht deshalb ausgeschlossen, weil die<br />

Wiederherstellung den Wert der Sache<br />

übersteigt. Allerdings ist auch hier nicht<br />

jeder Einwand des Schädigers ausgeschlossen,<br />

die Wiederherstellung sei<br />

unverhältnismäßig. <br />

d. Deckungsvorsorge<br />

Schließlich fordert das Umwelthaftungsgesetz<br />

von einigen Anlagenbetreibern mögliche<br />

Schadensersatzpflichten abzusichern.<br />

Dies soll dadurch geschehen, daß<br />

bis zu bestimmten Schadensersatzhöhen<br />

Sicherheitsleistungen erbracht werden.<br />

All dies zeigt: Trotz einiger Ansätze bietet<br />

auch das deutsche Umwelthaftungsgesetz<br />

keine ausreichenden Lösungen <strong>für</strong> die in<br />

Kapitel 2 genannten Herausforderungen.<br />

<br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 27


Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />

4. Weitere Ansätze <strong>für</strong> ein<br />

Haftungsrecht<br />

4.1. Was ist die "Lugano-Konvention"?<br />

Im März 1993 verabschiedete der Europarat<br />

in Lugano eine Konvention über die<br />

Zivile Haftung <strong>für</strong> Schäden, die aus gefährlichen<br />

Umweltaktivitäten resultieren<br />

("Lugano-Konvention"). Der Europarat ist<br />

eine internationale Organisation von<br />

derzeit 32 europäischen Staaten mit der<br />

Aufgabe, eine engere Verbindung zwischen<br />

ihren Mitgliedstaaten, insbesondere<br />

hinsichtlich gemeinsamer Grundsätze und<br />

Ideale sowie hinsichtlich des sozialen und<br />

wirtschaftlichen Fortschritts, zu fördern.<br />

Bekanntestes Beispiel hier<strong>für</strong> ist die<br />

Schaffung der Europäischen Menschenrechtskonvention.<br />

- Ziel der Lugano-Konvention ist es, eine<br />

adäquate Wiedergutmachung <strong>für</strong> Schäden<br />

zu ermöglichen, die durch umweltgefährliche<br />

Handlungen entstanden<br />

sind.<br />

- "Umweltgefährdende Handlung" ist dabei<br />

ein sehr weiter Begriff. Er umfasst professionelle<br />

Tätigkeiten im Umgang mit<br />

gefährlichen Substanzen, genetisch veränderten<br />

Organismen und Mikroorganismen<br />

sowie Anlagen <strong>für</strong> Abfallbeseitigung.<br />

Diese Tätigkeiten werden in verschiedenen<br />

Anhängen durch entsprechende<br />

Listen weiter präzisiert. Gleichzeitig<br />

ist die Lugano-Konvention ein offenes<br />

System. Sie erfasst auch solche<br />

Tätigkeiten, die in den Anhängen nicht<br />

ausdrücklich genannt werden. Dies ergibt<br />

sich aus der allgemeinen Definition<br />

in Artikel 2, Absatz 1,2 und 3. Außerdem<br />

wird dies im Erläuterungsbericht zur<br />

Konvention ausdrücklich klargestellt.<br />

- Die Konvention sieht eine strenge, also<br />

verschuldensunabhängige Haftung (siehe<br />

Kapitel 2) vor. Derjenige haftet verschuldensunabhängig,<br />

der die tatsächliche<br />

Kontrolle über die gefährliche Aktivität<br />

zu dem Zeitpunkt hat, in dem der<br />

Schaden entsteht oder, etwa bei einer<br />

Mülldeponie, bekannt wird. Dies schließt<br />

beispielsweise den Manager, der entsprechende<br />

Betriebsentscheidungen<br />

trifft, mit ein.<br />

- Die Konvention verleiht Umweltorganisationen<br />

ein Klagerecht auf Wiederherstellung<br />

bzw. Reinigung der Umwelt, auf das<br />

Beenden eines ungesetzlichen Verhaltens<br />

sowie auf das Ergreifen vorbeugender<br />

Maßnahmen. <br />

28 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

- Die Konvention umfasst alle Arten von<br />

Schäden, auch an den Charakteristika<br />

von Landschaften und am kulturellen<br />

Erbe.<br />

- Die Konvention gibt der Wiederherstellung<br />

klaren Vorrang vor finanzieller Entschädigung.<br />

Allerdings wird dies auch<br />

hier dadurch eingeschränkt, dass die<br />

Wiederherstellung "angemessen" sein<br />

muss. Als "unangemessen" gilt dabei<br />

gemäß der <strong>EU</strong>-Abfallrichtlinie von 1991,<br />

wenn die Kosten "tiefgreifend den Nutzen<br />

überschreiten und wenn Alternativmaßnahmen<br />

zu wesentlich günstigeren<br />

Kosten vorgenommen werden können".<br />

Beispiel: Überschreiten die Kosten <strong>für</strong><br />

die Wiederherstellung eines Waldes unangemessen<br />

die Kosten <strong>für</strong> die Herstellung<br />

des Waldes an anderer Stelle, so<br />

kann der Wald an der anderen Stelle<br />

gepflanzt werden.<br />

Zwar bietet die Lugano-Konvention eine<br />

ganze Reihe von Ansätzen zur Lösung der<br />

in Kapitel 2 skizzierten Herausforderungen.<br />

Dennoch bleiben auch hier viele<br />

Probleme ungelöst. Zudem räumt sie den<br />

ratifizierenden Staaten sehr viel Ermessen<br />

und Freiheit bei der Umsetzung der Bestimmungen<br />

ein. Insofern ist zweifelhaft,<br />

ob die Konvention zur Schaffung eines<br />

einheitlichen Europäischen Umwelthaftungsrechts<br />

geeignet ist.<br />

Problematisch ist auch, dass bislang<br />

(Stand: 21. Juni 1997) erst neun Staaten<br />

die Lugano-Konvention gezeichnet haben,<br />

davon sogar nur sechs, die zur Europäischen<br />

Union zählen: Finnland, Griechenland,<br />

Italien, Luxemburg, Niederlande und<br />

Portugal. Die drei übrigen zeichnenden<br />

Länder sind die Nicht-<strong>EU</strong>-Staaten Liechtenstein,<br />

Island und Zypern. Zudem gibt<br />

es bislang keine einzige Ratifizierung. Das<br />

heißt: Die "Lugano-Kovention" wurde noch<br />

von keinem Staat als eigenes Gesetz in<br />

Kraft gesetzt. Die Konvention tritt jedoch<br />

erst dann in Kraft, nachdem der dritte<br />

Staat ratifiziert hat. Allerdings sind inzwischen<br />

einige Länder dabei, wie etwa<br />

Finnland, Griechenland und die Niederlande,<br />

rechtliche Vorbereitungen <strong>für</strong> eine<br />

Ratifizierung zu treffen. Insgesamt stehen<br />

Österreich, Belgien, Finnland, Griechenland,<br />

Italien, Luxemburg, Portugal, Schweden<br />

und die Niederlande der Lugano-<br />

Konvention positiv gegenüber. Abgelehnt<br />

wird sie dagegen von Dänemark, Deutschland<br />

und Großbritannien. Irland, Spanien<br />

und Frankreich haben bislang noch keine<br />

Stellung bezogen. <br />

Fachleute be<strong>für</strong>worten deshalb, dass die<br />

Europäische Union einerseits der Lugano-<br />

Konvention beitritt. Dadurch würden die<br />

Bestimmungen der Konvention Teil des<br />

<strong>EU</strong>-Rechts. Das hieße: Die Mitgliedstaaten<br />

wären verpflichtet, wenigstens die Bestimmungen<br />

der Lugano-Konvention in<br />

nationales Recht umzusetzen. Zusätzlich<br />

soll eine <strong>EU</strong>-Richtlinie die in der Konvention<br />

nicht oder nicht ausreichend behandelten<br />

Probleme aufgreifen und lösen.<br />

4.2. Ist das Haftungsrecht der USA ein<br />

mögliches Modell <strong>für</strong> Europa?<br />

Wenn es um Abbau von staatlichen Genehmigungsverfahren<br />

und um mehr unternehmerische<br />

Freiheit und Eigenverantwortung<br />

geht, werden die USA von Industrievertretern<br />

und manchen Politikern gern<br />

als anzustrebendes Modell propagiert.<br />

Kehrseite des geringeren staatlichen<br />

Einflusses ist jedoch eine Stärkung des<br />

Verbrauchers, wie sie hierzulande Traum<br />

vieler Verbraucher und Alptraum zahlreicher<br />

Unternehmer ist. Wesentlicher Bestandteil<br />

der starken Verbraucherposition<br />

ist ein entsprechend rigides Haftungsrecht.<br />

In nahezu allen in Kapitel 2 genannten<br />

Punkten geht das<br />

Umwelthaftungsrecht der USA wesentlich<br />

weiter als das, was derzeit in den <strong>EU</strong>-<br />

Mitgliedstaten existiert:<br />

Wesentliche rechtliche Grundlage des US-<br />

amerikanischen Haftungsrechts (neben<br />

dem Zivil- und Deliktsrecht) ist der föderale<br />

"Comprehensive Environmental Response,<br />

Compensation and Liability Act"<br />

zum Umgang mit Altlasten, auch bekannt<br />

unter der Abkürzung "CERCLA" bzw. unter<br />

dem Begriff "Superfund". CERCLA umfasst<br />

zum einen den Umgang mit rein ökologischen<br />

Schäden, also solche an einer<br />

Umwelt, die niemandem gehört. Zum<br />

anderen regelt CERCLA den Ersatz von<br />

Reinigungskosten. Insofern schließt der<br />

"Superfund" eine rechtliche Lücke, die<br />

sich ansonsten aus einer alleinigen Anwendung<br />

von Zivil- und Deliktsrecht ergibt.<br />

Allerdings ist die Anwendung von<br />

CERCLA beschränkt. So gilt CERCLA nicht<br />

<strong>für</strong> bestimmte Substanzen, wie etwa Öl,<br />

nukleare Materialien und Pestizide. Diese<br />

werden rechtlich gesondert erfasst.


Zwar verlangt auch das zivilrechtliche<br />

Haftungsrecht der USA ein schuldhaftes<br />

Verhalten. Anders ist dies jedoch bei<br />

CERCLA. Hier geht die Rechtsprechung<br />

von einer verschuldensunabhängigen,<br />

also strengen Gefährdungshaftung aus.<br />

Eine verschuldensunabhängige Haftung<br />

besteht auch im Bereich der umweltrelevanten<br />

Produkthaftung, soweit fehlerhafte<br />

Produkte verkauft oder im Verkaufsgespräch<br />

Produkte falsch dargestellt werden.<br />

So hatten beispielsweise Klagen<br />

gegen Produzenten Erfolg, die gefährliche<br />

Substanzen an Kunden verkauften, die<br />

diese Substanzen später nicht sachgerecht<br />

entsorgten, sondern in der Umwelt<br />

deponierten.<br />

Unter CERCLA haften folgende potentiell<br />

Beteiligte:<br />

- Gegenwärtige und vergangene Eigentümer<br />

und Unternehmer auf dem Gelände;<br />

- Hersteller von gefährlichen Substanzen<br />

(egal ob in Form von Produkten oder<br />

Abfällen), soweit sie die nicht sachgemäße<br />

Beseitigung in der Umwelt arrangierten;<br />

- Transporteure, die die Stoffe in die<br />

Umwelt verbrachten<br />

Bemerkenswert ist auch, daß nach<br />

CERCLA mehrere Verursacher gesamschuldnerisch<br />

haften (siehe Kapitel 2),<br />

außer in den seltenen Fällen, in denen<br />

sich die Schadenszufügung als teilbar<br />

zeigt.<br />

Es haften weiterhin Direktoren und Manager,<br />

Muttergesellschaften und Kreditunternehmen,<br />

soweit sie an den schadensverursachenden<br />

Handlungen beteiligt<br />

bzw. darin verwickelt sind.<br />

Gemäß CERCLA wird die finanzielle Wiedergutmachung<br />

von Schäden an natürlichen<br />

Ressourcen, wie etwa Oberflächen-<br />

und Grundwasser, Luft, geologische und<br />

biologische Ressourcen (zum Beispiel<br />

Tier- und Pflanzenarten) durch entsprechende<br />

staatliche Treuhandfonds geltend<br />

gemacht. Diese Kollektivfonds, die von<br />

potentiellen Verursachern finanziert werden,<br />

unterstehen der Regierung. <br />

Berechnungsmaßstäbe <strong>für</strong> die Höhe von<br />

Umweltschäden werden derzeit noch<br />

entwickelt. Allerdings sieht CERCLA <strong>für</strong><br />

jeden einzelnen Schaden eine Obergrenze<br />

von derzeit 50 Millionen Dollar vor. Diese<br />

Begrenzung gilt aber nicht, wenn der<br />

Schaden grob fahrlässig oder vorsätzlich<br />

verursacht wurde.<br />

Klagebefugnis:<br />

Jeder, auch ein Umweltverband, ist berechtigt,<br />

gegen eine "bevorstehende und<br />

erhebliche Gefahr <strong>für</strong> öffentliche Gesundheit,<br />

Sicherheit, Wohlergehen oder <strong>für</strong> die<br />

Umwelt, verursacht durch Behandlung,<br />

Lagerung oder Wegwerfen von festen<br />

Abfällen" (dazu zählen auch gefährliche<br />

und flüssige Abfälle etc.), Klage zu erheben.<br />

Eine solche weite Klagebefugnis gibt<br />

es auch in anderen Bereichen des Umweltrechts.<br />

Unter CERCLA können allerdings<br />

nur private Kläger ihre eigenen<br />

Reinigungskosten geltend machen. Wiedergutmachung<br />

<strong>für</strong> Schäden an den natürlichen<br />

Ressourcen kann dagegen nur<br />

die Regierung über die bereits genannten<br />

Treuhandfonds verlangen.<br />

Beweislast:<br />

Sowohl gemäß CERCLA als auch dem<br />

sonstigen allgemeinen Recht , obliegt es<br />

dem Kläger, die überwiegende Wahrscheinlichkeit<br />

darzulegen, dass der Beklagte<br />

haftet. Allerdings kann unter<br />

CERCLA die Beweislast durch eine widerlegbare<br />

Vermutung auch umgekehrt sein,<br />

wie zum Beispiel bei der oben genannten<br />

Annahme einer gesamtschuldnerischen<br />

Haftung.<br />

Nach Ansicht des EEB ist das amerikanische<br />

Haftungsrecht in vielen Punkten<br />

auch <strong>für</strong> Europa vorbildlich und nachahmenswert.<br />

Dennoch ist das amerikanische<br />

System nicht völlig auf das europäische<br />

übertragbar. Denn in vielerlei Hinsicht<br />

unterscheiden sich das amerikanische<br />

Rechtssystem grundlegend von dem<br />

europäischen. So spielt die öffentlichrechtliche<br />

Genehmigung in den USA eine<br />

viel geringere Rolle. Als Gegengewicht ist<br />

das Haftungsrecht entsprechend stark.<br />

Nach Ansicht des EEB darf die Entwicklung<br />

in Europa jedoch nicht dahin gehen,<br />

daß Haftungsrecht staatliche Gesetzgebung<br />

ersetzt. Haftungsrecht kann und<br />

darf nur eine Ergänzung zum ordnungsrechtlichen<br />

Handeln sein, als ein wesentlicher<br />

Baustein marktwirtschaftlicher Instrumente.<br />

<br />

Kontakt <br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 29


Einführung <strong>EU</strong>-Umwelthaftung <br />

5. Was fordert das<br />

Europäische Umweltbüro?<br />

Nach Ansicht des Europäischen Umweltbüros<br />

muss ein wirksames Umwelthaftungsrecht,<br />

das nicht nur ein zahnloser<br />

Tiger ist, folgende Standards erfüllen:<br />

Es muss sich um ein europäisches Haftungsrecht<br />

handeln und zwar um eine<br />

Richtlinie zum Umwelthaftungsrecht.<br />

Eine deutliche,<br />

verschuldensunabhängige Haftung<br />

Die Definition des Begriffes "Umwelt" muss<br />

ausreichend breit sein, um möglichst viele<br />

Arten von Umweltschäden zu erfassen.<br />

Vor allem muss er auch solche Arten von<br />

Umwelt einschließen, an denen kein Eigentumsrecht<br />

besteht. Nur so können<br />

auch Schäden, beispielsweise an Luft und<br />

Wasser sowie wild lebenden Tier- und<br />

Pflanzenarten, haftungsrechtlich berücksichtigt<br />

werden.<br />

Der Zugang zu rechtlichen Mitteln, wie<br />

etwa einer Klage, muss möglichst breit<br />

sein. Unabdingbar ist vor allem eine Klagebefugnis<br />

<strong>für</strong> Umweltschutzorganisationen<br />

und Einzelpersonen auch ohne Verletzung<br />

in einem eigenen Recht, wie etwa<br />

Eigentum. Dabei darf eine Klage nicht an<br />

der mangelnden Ausstattung mit finanziellen<br />

Mitteln scheitern. Außerdem muss es<br />

dem Kläger möglich sein, sowohl die<br />

Beendigung der umweltschädlichen Handlung<br />

als auch Schadensersatz zu verlangen.<br />

Die Anforderungen an den Nachweis der<br />

Kausalität zwischen Handlung bzw. Ereignis<br />

und dem eingetretenen Schaden<br />

müssen weniger streng sein. Denn im<br />

Falle eines Umweltschadens ist es <strong>für</strong> den<br />

Kläger häufig schwierig bis unmöglich,<br />

diese einzige und ausschließliche Kausalität<br />

nachzuweisen. Richtern muss es deshalb<br />

möglich sein, bereits aus einer ausreichend<br />

starken Vermutung, dass die<br />

Kausalität besteht, die Haftung des Unternehmers<br />

zu folgern.<br />

Im Falle mehrerer Verursacher bedarf es<br />

einer gesamtschuldnerischen Haftung.<br />

Dies erlaubt dem Kläger, in nur einem<br />

Prozess einen Verursacher auf den gesamten<br />

Schaden zu verklagen. <br />

30 DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03<br />

Durch entsprechende finanzielle Deckungsgarantien<br />

muss ausgeschlossen<br />

werden, dass besonders risikoreiche<br />

Handlungen auf besonders kapitalarme<br />

Tochterfirmen ausgelagert werden, die im<br />

Falle eine Schadens über keine ausreichende<br />

Kapitaldecke verfügen.<br />

Es darf keine Haftungsbegrenzungen<br />

geben. Denn ansonsten wird der Anreiz<br />

zur Vorbeugung und Vermeidung vermindert.<br />

So darf es zum Beispiel keine Haftungsbegrenzung<br />

<strong>für</strong> Abfalldeponien<br />

geben, nur weil sie staatlich genehmigt<br />

sind und bereits ein gewisses Maß an<br />

Verschmutzung besteht.<br />

Bis zu einer bestimmten Höhe müssen<br />

Schadensersatzforderungen durch eine<br />

Deckungsvorsorge abgesichert werden.<br />

Dies kann durch unternehmensbezogene<br />

finanzielle Rückstellungen oder durch<br />

rechtliche Garantien, wie etwa eine Bankbürgschaft<br />

geschehen. Darüber hinaus ist<br />

die Einführung einer Versicherungspflicht<br />

erforderlich. Denn Reparaturkosten <strong>für</strong><br />

Umweltschäden können so hoch sein,<br />

dass sie die Kapitaldecke eines Verursacher<br />

übersteigen.<br />

Es müssen Haftungsfonds errichtet werden.<br />

Sie dienen vor allem den Fällen, in<br />

denen die Verursacher nicht zu identifizieren,<br />

die Schäden aber bestimmten Branchen<br />

zuzurechnen sind. Ähnlich der in<br />

Kapitel 4.3. beschriebenen Treuhandfonds<br />

der USA könnten sie auf der Basis<br />

verschiedener Ursachenquellen (zum<br />

Beispiel ein Luftverschmutzungsfonds)<br />

oder verschiedener Schadensarten (zum<br />

Beispiel ein Waldschadensfonds) errichtet<br />

werden. Die Fonds müssen regional errichtet<br />

werden, damit das Geld den Regionen<br />

zu gute kommt, aus denen es kommt.<br />

Finanziert werden die Fonds - ebenfalls<br />

nach amerikanischem Vorbild - mit einer<br />

schadstoffbezogenen Abgabe. Nur dies<br />

entspricht dem Verursacher-Prinzip.


Interaktiv <br />

Verweise auf frühere<br />

<strong>EU</strong>R-Ausgaben<br />

Das <strong>EU</strong>-Rundschreiben und die Sonderteile<br />

beschränken sich in der Regel auf<br />

aktuelle Informationen. Daher wird in<br />

einigen Artikeln auf vorangegangene<br />

Ausgaben verwiesen, z.B. "<strong>EU</strong>R 04.02" als<br />

Hinweis auf Heft 4 des <strong>EU</strong>-Rundschreibens<br />

im Jahr 2002.<br />

Alle älteren Ausgaben sind im Internet<br />

zugänglich (www.dnr.de, "Publikationen",<br />

"<strong>EU</strong>R online", "Bisherige Ausgaben").<br />

<strong>EU</strong>-Rundschreiben im Internet<br />

www.dnr.de<br />

heißt die Internetseite des DNR. Ein Klick<br />

auf das blaue Titelblatt bringt Sie sofort<br />

zum <strong>EU</strong>-Rundschreiben. Dort finden Sie<br />

- den aktuellen Sonderteil<br />

- den aktuellen Hauptteil mit Inhaltsverzeichnis,<br />

Editorial, Serviceteil und vier<br />

ausgewählten Beiträgen<br />

- die bisherigen Ausgaben ab Januar<br />

2000 als Volltext-Archiv (PDF-Dateien)<br />

Gastautor/innen willkommen<br />

Wir freuen uns auf Ihre Beiträge in Absprache<br />

mit der Redaktion.<br />

Beiträge von Gastautor/innen stimmen<br />

nicht in allen Fällen mit der Meinung der<br />

Redaktion überein. Die Redaktion behält<br />

sich vor, Beiträge zu kürzen und zu überarbeiten.<br />

Kontakt <br />

• Umwelthaftung in Europa<br />

European Environmental Bureau<br />

(EEB), Roberto Ferrigno, Bld. de Waterloo,<br />

34, B-1000 Bruxelles<br />

Tel. 0032 2 / 289109-4, Fax -9<br />

eMail: roberto.ferrigno@eeb.org<br />

Internet: www.eeb.org<br />

Quelle: EEB: Umwelthaftung in Europa;<br />

Internet: www.eeb.org/archive/<br />

umwelthaftungd.htm<br />

Literatur:<br />

Andrea Bianchi, "The Harmonization of<br />

Laws on Liability for Environmental<br />

Damage in Europe: An Italian Perspective",<br />

Journal of Environmental Law Vol<br />

6 No 1, Oxford University Press, 1994<br />

Alfred Eberhardt, "Umweltschutz als<br />

Integrationsaufgabe - Ein Leitfaden <strong>für</strong><br />

Verwaltung, Politik und Wirtschaft",<br />

Economica Verlag, Bonn, 1996<br />

Europäische Kommission. "Contract<br />

B4/3040/94/000665/MAR/H1, Study<br />

of Civil Liability Systems for Remedying<br />

Environmental Damage", Study 1 and<br />

2, McKenna & Co, Dezember 1995<br />

Europäische Kommission, "Economic<br />

Aspects of Liability and Joint Compensation<br />

Systems for Remedying Environmental<br />

Damage" (Main Report)", März<br />

1996, Reference 3066<br />

Europäisches Umweltbüro, "European<br />

Environmental Bureau Position on the<br />

Green Book on Remedying Environmental<br />

Damage (COM(93)47 FIN) and<br />

a Comparison of the Green Book with<br />

an Earlier Draft Proposal of the Commission<br />

Services", October 1993<br />

Kurt Kiethe und Michael Schwab, "EG-<br />

rechtliche Tendenzen zur Haftung <strong>für</strong><br />

Umweltschäden", EuZW, Heft 14/1993,<br />

S. 437 ff.<br />

Joachim Schmidt-Salzer, "Verbraucherschutz,<br />

Produkthaftung, Umwelthaftung,<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung",<br />

Neue Juristische Wochenschrift (NJW),<br />

Heft 20/1994, S. 1305ff.<br />

X. Thunis, "Le temps de la responsabilité,<br />

Réfléxions sur la Convention du<br />

Conseil de l’Europe et sur le Livre vert<br />

concernant la réparation des dommages<br />

causés à l’environnement", Kluwer<br />

Éditions Juridiques Belgique, Aménagement-Environnement,<br />

1993, S. 215ff.<br />

weiterlesen Textende siehe Kontakt DNR <strong>EU</strong>-Rundschreiben Sonderteil 06.03 31

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