Owen Hatherley – These Glory Days - Edition Tiamat

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Cocker die Hälfte der Songs geschrieben hat, auch nicht weiter verwunderlich ist. Einzig The Long Blondes plünderten Pulps Look und thematische Vorlieben der Jahre 1990 bis 1994. Die ebenfalls aus Sheffield stammende Band wirkte ohnehin wie eine tanzende, heuchlerische und künstliche Hommage an His’n’Hers, dem Pulp- Album von 1994. In den letzten Jahren war bestenfalls das postfordistische Gejammer der Alben SyMptoMs von Mordant Music und North von Darkstar aufgrund der psychologischen und geografischen Nähe zu Pulp Anzeichen dafür, dass die Ahnenreihe doch noch nicht ganz ausgestorben ist. Aber beide konnten den Privatschulabsolventen in ihnen nicht verhehlen. Verglichen mit den vielen Blur- und Oasis-Epigonen, oder der Postpunk- Revivalband des Jahres 2000, Franz Ferdinand, hinterließen Pulp keinerlei Vermächtnis. Die Arctic Monkeys gehören zu den wenigen englischen Bands, die in den letzten zehn Jahren so etwas wie Zeitgeist definierten. Sie sind die einzigen, die mit ihrer nordenglischen Hemdsärmeligkeit, genauer mit blankem Zynismus und einer durchaus belebenden Wolllust, Vergleiche mit Pulp rechtfertigen. Aber weder ihr grindiger funky Rock noch ihre etwas selbstverachtende Rüpelhaftigkeit ähnelten ihren Sheffielder Vorgängern. Dass die oben genannte Ahnenreihe fast verschwunden ist, wird zwar oft beweint, doch Pulp werden nur selten in diesem Zusammenhang erwähnt. Manche rollen mit den Augen, wenn von Pulp gesprochen wird, andere ergehen sich in nostalgieschwangerer Bewunderung, die auf unangenehme Weise an den Ausverkauf erinnert, den die Kulturindustrie in den neunziger Jahren betrieben hat. Pulp werden nach wie vor entweder komplett abgelehnt, oder sie sind Teil einer »Das Beste der Neunziger«- Erinnerungsmaschinerie. Diese Polarisierung stammt aus der Zeit ihrer größten Erfolge. Pulp waren gewissermaßen die beste englische Popband der neunziger Jahre, und sie müssen den Vergleich 10

mit ihren Vorgängern nicht scheuen. Roxy Music entwickelten nicht einmal in ihren unterkühltesten Helmut- Newton-Zeiten eine derart zwingende Vision von Erfolg und Opulenz, um sie dann in Anomie und Psychose münden zu lassen wie Pulp in dem Song »This is Hardcore«. Selbst Morrissey hat keinen so perfekten Rundumschlag wie »Common People« hinbekommen. Die Welt, die sie auf den Alben aus der Zeit von 1990 bis 1994 heraufbeschwören, ist ähnlich obsessiv, sprachlich kompakt und inspiriert wie die von The Fall in ihren besten Zeiten. Besonders unter den in den siebziger und achtziger Jahren sozialisierten Kritikern besteht ein Konsens, dass sich The Smiths und vielleicht noch die späten My Bloody Valentine in die oben genannte Ahnenreihe stellen dürfen. Dabei wird ganz und gar außer Acht gelassen, dass Pulp es 1995 fertig brachten, ein Krautrock- Epos über den Klassenkampf an zweiter Stelle in der Hitparade zu platzieren. Zudem nutzen sie das öffentliche Wohlwollen drei Jahre später dafür, Zehntausende Leute dazu zu bringen, sich mit »This is Hardcore« einen sechsminütigen Grabgesang auf die Amateurpornografie zuzulegen. Einige der Gründe für diese ängstliche Kritik sind absolut verständlich: Pulps zweifellos vollführter Zusammengang mit diesem schrecklichen Britpop-Spektakel, ihre Retro-Referenzen und Jarvis Cockers doppelbödige Pop-Berühmtheit. Cockers Texte sind komplex und gut recherchiert, er lässt sich dabei von seinen ausgefallenen Vorlieben treiben. Er reimt niemals abstrakt, sondern stets realistisch, wie unversöhnlich dieser Realismus auch sein mag. Es ist kaum vorstellbar, dass Cocker einen Sprung vom Alltäglichen hin zu den wortkargen, bruchstückhaften Schrecknissen vollführt, wie es sein Idol und späterer Produzent Scott Walker auf dem Album Tilt getan hat. Trotz alledem ist Pulp eine Band, die sehr ernst genommen werden muss. Deswegen werde ich mich in diesem Buch mit den drei Themen befassen, die sich wie 11

Cocker die Hälfte der Songs geschrieben hat, auch nicht<br />

weiter verwunderlich ist. Einzig The Long Blondes plünderten<br />

Pulps Look und thematische Vorlieben der Jahre<br />

1990 bis 1994. Die ebenfalls aus Sheffield stammende<br />

Band wirkte ohnehin wie eine tanzende, heuchlerische<br />

und künstliche Hommage an His’n’Hers, dem Pulp-<br />

Album von 1994. In den letzten Jahren war bestenfalls<br />

das postfordistische Gejammer der Alben SyMptoMs von<br />

Mordant Music und North von Darkstar aufgrund der<br />

psychologischen und geografischen Nähe zu Pulp Anzeichen<br />

dafür, dass die Ahnenreihe doch noch nicht ganz<br />

ausgestorben ist. Aber beide konnten den Privatschulabsolventen<br />

in ihnen nicht verhehlen. Verglichen mit den<br />

vielen Blur- und Oasis-Epigonen, oder der Postpunk-<br />

Revivalband des Jahres 2000, Franz Ferdinand, hinterließen<br />

Pulp keinerlei Vermächtnis. Die Arctic Monkeys gehören<br />

zu den wenigen englischen Bands, die in den letzten<br />

zehn Jahren so etwas wie Zeitgeist definierten. Sie<br />

sind die einzigen, die mit ihrer nordenglischen Hemdsärmeligkeit,<br />

genauer mit blankem Zynismus und einer<br />

durchaus belebenden Wolllust, Vergleiche mit Pulp<br />

rechtfertigen. Aber weder ihr grindiger funky Rock noch<br />

ihre etwas selbstverachtende Rüpelhaftigkeit ähnelten<br />

ihren Sheffielder Vorgängern.<br />

Dass die oben genannte Ahnenreihe fast verschwunden<br />

ist, wird zwar oft beweint, doch Pulp werden nur selten in<br />

diesem Zusammenhang erwähnt. Manche rollen mit den<br />

Augen, wenn von Pulp gesprochen wird, andere ergehen<br />

sich in nostalgieschwangerer Bewunderung, die auf unangenehme<br />

Weise an den Ausverkauf erinnert, den die<br />

Kulturindustrie in den neunziger Jahren betrieben hat.<br />

Pulp werden nach wie vor entweder komplett abgelehnt,<br />

oder sie sind Teil einer »Das Beste der Neunziger«-<br />

Erinnerungsmaschinerie. Diese Polarisierung stammt aus<br />

der Zeit ihrer größten Erfolge.<br />

Pulp waren gewissermaßen die beste englische Popband<br />

der neunziger Jahre, und sie müssen den Vergleich<br />

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