PD Dr. med. Carl Friedrich Classen - DSAI - Deutsche Selbsthilfe ...

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Angeborene<br />

Immundefekte<br />

CF <strong>Classen</strong>, Univ.-Kinder- und Jugendklinik Rostock


Fallbericht:<br />

Neugeborenes Kind, untergewichtig mit 1980 g,<br />

Reifezeichen 40. SSW.<br />

Wegen beeinträchtigtem AZ, niedrigem Blutzucker und<br />

Untertemperatur und erfolgte antibiotische Therapie<br />

(Ampicillin/Sulbactam und Gentamicin),<br />

im Verlauf CRP-Anstieg auf 71 mg/l und<br />

Linksverschiebung; negative Blut-Kulturen und<br />

Abstriche.


23. Lebenstag:<br />

Fieber, erneute Hypoglykämie, klin. Verschlechterung -<br />

empirische antibiotische Therapie mit Cefotaxim und<br />

Teicoplanin.<br />

Rachenabtrich: Enterococcus faecalis<br />

Am 4. Tag bei anhaltendem Fieber Umstellung auf<br />

Vancomycin und Meropenem.<br />

Erholung.


Blutbild vom<br />

12. Mai (Geburt)<br />

Hb. 11,2 mmol/l<br />

Hk. 0,52<br />

Leuko. 5,61 Gpt/l<br />

Thrombo. 177 Gpt/l<br />

Diff.<br />

Metam. 3 %<br />

Stab. 0 %<br />

Seg. 43 %<br />

Eo. 2 %<br />

Baso. 0 %<br />

Lymph. 29 %<br />

Mono. 23 %


Blutbild vom<br />

Geburt 23. Tag (Infekt.)<br />

Hb. 11,2 mmol/l 7,7 mmol/l<br />

Hk. 0,52 0,37<br />

Leuko. 5,61 Gpt/l 3,9 Gpt/l<br />

Thrombo. 177 Gpt/l 367 Gpt/l<br />

Diff.<br />

Metam. 3 % 0 %<br />

Stab. 0 % 3 %<br />

Seg. 43 % 4 %<br />

Eo. 2 % 7 %<br />

Baso. 0 % 0 %<br />

Lymph. 29 % 74 + 3 %<br />

Mono. 23 % 9 %


Blutbild vom<br />

Geburt 23. Tag (Infekt.)<br />

Hb. 11,2 mmol/l 7,7 mmol/l<br />

Hk. 0,52 0,37<br />

Leuko. 5,61 Gpt/l 3,9 Gpt/l<br />

Thrombo. 177 Gpt/l 367 Gpt/l<br />

Diff.<br />

Metam. 3 % 0 %<br />

Stab. 0 % 3 %<br />

Seg. 43 % 4 %<br />

Eo. 2 % 7 %<br />

Baso. 0 % 0 %<br />

Lymph. 29 % 74 + 3 %<br />

Mono. 23 % 9 %


Verlauf der Differentialblutbilder ab Geburt bis 6. Woche:<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

erste Infektion zweite Infektion<br />

Geburt 3 Wo. 6 Wo.<br />

12.5.13.5.14.5.17.5.27.5. 4.6. 6.6. 7.6. 8.6. 9.6. 10.6.11.6.12.6.13.6.<br />

Pro<br />

My<br />

Meta<br />

Stab<br />

Seg<br />

Eo<br />

Baso<br />

Ly<br />

Mono


Aufällige Neutropenie zum Zeitpunkt der Infektion<br />

Klinisch gutes Ansprechen des Jungen auf die<br />

antibiotische Therapie.<br />

Erholung.<br />

Entlassung am 36. Lebenstag<br />

mit einem Gewicht von 3175 g.<br />

Kontrollen in der Nachsorge


12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Darstellung der Absolutwerte<br />

Geburt 3 Wo. 6 Wo. 8 Wo.<br />

Gesamt-Leukozyten<br />

Neutrophile


Stationäre Aufnahme zur Abklärung der Neutropenie<br />

Klinisch völlig unauffälliger 9 Wochen alter<br />

wohlgenährter Junge.<br />

Unauffällige Diagnostik:<br />

Virologie<br />

Klin. Chemie (Pankreas! LDH!)<br />

Sonographie des Abdomens<br />

Echokardiographie<br />

Knochenmarkpunktion . . . . .


Quelle: Begemann/Rastetter


Knochenmark des Patienten:<br />

Völlig fehlende Quelle: Ausreifung Begemann/Rastetter<br />

der Neutrophilen!


Diagnose:<br />

Schwere Neutropenie - Agranulozytose<br />

hohes Risiko von lebensgefährlichen Infektionen!<br />

Infektionsprophylaxe?<br />

Therapie mit G-CSF?<br />

. . . Ursache?<br />

. . . Differentialdiagnose?


Differentialdiagnose:<br />

Schwere congenitale Neutropenie<br />

Verbrauch der Neutrophilen<br />

Autoimmunneutropenie = chron. benigne N.<br />

Schwere allg. Knochenmarkerkrankung<br />

Leukämie, MDS, Osteopetrose etc.<br />

Reaktive Neutropenie<br />

Virusinfektion, <strong>med</strong>ikamententox. Neutropenie<br />

Syndrom einer congenitalen Neutropenie . . .


Mb. Kostmann


Mutationsanalyse bei uns.erem Patienten:<br />

(SCNIR, MHH Hannover)<br />

Heterozygote Missense-Mutation p.Phe43Leu<br />

in Exon 2 des ELANE-Gens.<br />

ELANE (= ELA-2): Neutrophilen- Elastase 2<br />

Th. mit G-CSF wird empfohlen, 90% Ansprechrate.


Weiterer Blutbildverlauf bei dem Kind -<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

Start G-CSF<br />

Total leukocytes<br />

Neutrophils


Seither geht es dem Jungen gut.


Was ist eigentlich Fieber?


Was ist eigentlich Fieber?<br />

(Körpertemperatur über 38,0-38,5 C)<br />

Die Erhöhung der Körpertemperatur ist eine<br />

Abwehrmaßnahme:<br />

Bei Fieber gehen viele Bakterien und Viren zugrunde.<br />

Fieber ist also ein Teil des Immunsystems.


Kinder neigen ganz besonders zu Fieber -<br />

besonders häufig,<br />

besonders hoch,<br />

und besonders plötzlich.<br />

Hohes Fieber bedeutet nicht automatisch, dass ein schlimmer Infekt<br />

vorliegt.<br />

(Trotzdem sollte ein fieberndes Kind natürlich ärztlich untersucht<br />

werden)


Der kindliche Organismus - Herz, Kreislauf - kann die erhöhte Temperatur<br />

sehr gut verkraften!<br />

Nur in einer Hinsicht reagieren Kinder deutlich empfindlicher auf Fieber als<br />

Erwachsene:<br />

Im Gehirn kommt es eher zur Auslösung von epileptischen Anfällen:<br />

Fieberkrämpfe.<br />

Diese sind aber zum Glück in den allermeisten Fällen ohne irgendwelche<br />

Spätfolgen.


Was kann bei häufigem Fieber dahinterstecken? (I) :<br />

- zufällige Infekthäufung - Infektketten<br />

typischerweise z.B. nach Kindergarten-/-krippeneintritt<br />

das ist eine Ausschlussdiagnose<br />

- Ist immer ein bestimmtes Organsystem betroffen?<br />

- Harnwegsinfekte: Harnabflußstörung?<br />

- Hirnhautentzündungen: Liquorfistel?<br />

- Luftwegsinfekte: tracheo-ösophageale Fistel?<br />

- Hautinfektionen: Besiedlung mit resistenten Keimen?<br />

- zu Infektneigung führende Grunderkrankung (erworben oder angeboren)<br />

- Ernährungsstörung<br />

- Immunglobulinverluste - renal (nephrot. Syndrom) bzw. enteral<br />

- infektiös: HIV, Tuberkulose, chron. Zytomegalie, Malaria<br />

- Sonstige: Mukoviszidose, Diabetes, Leukämie, Medikamente<br />

(Cortison, Zytostatika) u.a.<br />

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Was kann bei häufigem Fieber dahinterstecken? (II) :<br />

- rheumatische Erkrankung (Formenkreis Still-Syndrom)<br />

- Immundefekte/-regulationsstörungen im eigentlichen Sinne:<br />

- angeborene Immundefekte<br />

- Periodische Fieber-Syndrome (Mittelmeerfieber, Hyper-IgD-Syndrom etc.)<br />

- andere seltene angeborene Immunregulationsstörungen


Was ist eigentlich das Immunsystem?<br />

zellulär spezifisch zellulär unspezifisch<br />

humoral spezifisch humoral unspezifisch


zellulär spezifisch<br />

T-Lymphozyten<br />

humoral spezifisch<br />

Immunglobuline<br />

zellulär unspezifisch<br />

Granulozyten<br />

Makrophagen etc.<br />

humoral unspezifisch<br />

Komplementsystem<br />

Zytokine etc.


Der Verdacht auf einen Immundefekt ergibt sich aus:<br />

- auffällig vielen Infektionen (normale Zahl von Infektionen<br />

altersabhängig)<br />

oder<br />

- sogenannten opportunistischen Infektionen<br />

oder<br />

- ungewöhnlich schwer verlaufenden Infektionen<br />

gelegentlich: Stigmata eines komplexens Syndroms


Welches sind die wichtigsten angeborenen<br />

Immundefekte und Immunregulationsstörungen?<br />

(es gibt inzwischen ca. 200<br />

genetisch definierte<br />

Immundefekte, und noch<br />

einige weitere, die nur<br />

klinisch definiert sind!)


SCID: (Severe Combined ImmunoDeficiency)<br />

Beginn vor dem 6. Lebensmonat.<br />

Schwere opportunistische Erkrankungen (Pneumocystis etc.),<br />

Gedeihstörung, Soor<br />

Diagnostik: T-Zell-Funktion fehlend<br />

Therapie: sofort: PcP-Prophylaxe, Pilzprophylaxe, Isolation<br />

Knochenmarktransplantation (Gentherapie...)<br />

Prognose ohne KMT: die meisten Patienten versterben vor 1. Geburtstag


http://www.vanvliet.ch


CVID und Morbus Bruton:<br />

Zwei ausgeprägte Immunglobulin-Mangel-Syndrome<br />

Meist lebenslange Substitution erforderlich<br />

transitorische Hypogammaglobulinämie<br />

Säuglingsalter, meist unspez. Infekthäufung, abklingend im Kleinkindalter<br />

Heterogen. Monozytenstimulationsdefekt?<br />

Therapie: selten erforderlich - ggf. IgG-Substitution


Granulozyten:<br />

die Fresszellen des Immunsystems


Granulozytendefekte<br />

I. quantitativ:<br />

Mb. Kostmann<br />

Beginn Säuglings- bis Kleinkindalter<br />

Bakterielle Infektionen der Haut, oft nekrotisierend, schwere bakt.<br />

Infektionen, Pilzinfektionen<br />

Diagnostik: Fehlen der Granulozyten; im Knochenmark Reifungsarrest d.<br />

Promyelozyten. Verschiedene Varianten möglich<br />

Therapie: G-CSF-Therapie, selten KMT


Granulozytendefekte: II. funktionell<br />

Septische Granulomatose (CGD):<br />

Säuglings- bis Kleinkindalter. Rezidivierende bakterielle Infektionen der Haut,<br />

oft abszedierend, Aphthen, Abszesse an inneren Organen, v.a. Leber,<br />

Pilzinfektionen, v.a. Pilzpneumonie<br />

Therapie: Cotrimox./Itraconazol, Interferon,<br />

Granulozytentransfusionen, KMT - Gentherapie!<br />

www.szote.u-szeged.hu/radio/potlap2/amaj8b.htm


Weitere spezifische Syndrome<br />

DiGeorge-Syndrom:<br />

Beginn im frühen Säuglingsalter, sehr<br />

variabel, spontane Besserungstendenz<br />

Klinik: Herzfehler, Kalzimmmangel im Blut.<br />

Schwere Infektionen<br />

Diagnostik: T-Zell-Zahl niedrig.<br />

Thymus ganz klein<br />

Genetik: Chromosom-22-Defekt<br />

(CATCH-22), Zytogenetik<br />

Therapie: symptomatisch<br />

Herz<br />

Thymus<br />

Nebenschilddrüse


Hyper-IgE-Syndrom<br />

(Hiob-Syndrom)<br />

Cartagener-Syndrom<br />

Asplenie-Syndrom<br />

Hyper-IgM-Syndrom<br />

Reticuläre Dysgenesie<br />

Wiskott-Aldrich-Syndrom<br />

Ataxia Teleangiectasia<br />

Purtilo Syndrom<br />

... und viele andere


Wie geht man vor?


Frage nach der Familie:<br />

Sind die Eltern miteinander verwandt?<br />

Ist ein bekannter Immundefekt in der Familie?<br />

Gab es unklare Todesfälle in der Familie, frühkindliche Todesfälle?<br />

Ist eine andere chron. Erkrankung in der Familie<br />

(HIV, AIDS, Tbc, Mukoviszidose?)<br />

Frage nach Infekten -<br />

Infektkalender führen!


Körperliche Untersuchung:<br />

Dabei besonders wichtig:<br />

Ernährungszustand/Gedeihen,<br />

Narben,<br />

Haut- oder Schleimhautveränderungen,<br />

Lymphknotenstatus,<br />

Mandeln<br />

Lungenbefund, Herzfehler?<br />

Neurologische Auffälligkeiten, Stigmata, etc.


Labordiagnostik bei Verdacht auf angeborenen Immundefekt:<br />

Stufe 1:<br />

BB (mit Thrombozytengröße!), Differentialblutbild<br />

Immunglobuline IgG, IgA, IgM, IgD, IgE<br />

Programm zum Ausschluß anderer Grunderkankungen:<br />

Virologie HIV, CMV, EBV<br />

Nasen- und Hautabstrich auf resistente Kokken<br />

Urinstatus<br />

Tuberkulintest<br />

Schweißtest<br />

Spurenelemente im Blut (Zink), Eisenhaushalt, ggf. alpha1-Antitrypsin, ggf.<br />

Vitamine<br />

bei Blutbildauffälligkeiten: Knochenmarkpunktion<br />

bei Lymphknotenvergrößerung: Lymphknotenbiopsie<br />

bei hauptsächl. oberen Luftwegsinfekten: Nasenschleimhautbiopsie<br />

(Zilienfunktion?)<br />

Sono Abdomen: Asplenie? Sono Mediastinum: Thymus normal?<br />

Bei rez. lokalen Infektionen: lokale Diagnostik/Bildgebung


Stufe 2:<br />

Zeichen sprechen eher für Immunglobulinmangel:<br />

Immunglobulinsubklassen<br />

spez. Impftiter (Tetanus, Diphtherie, ggf. Pneumokokken)<br />

Isoagglutinine<br />

Zeichen sprechen eher für T-Zell-Defekt:<br />

Multitest Haut<br />

Lymphozytensubpopulationen<br />

T-Zell-Funktionen (in-vitro-Stimulation)<br />

spez. Impftiter (Tetanus, Diphtherie, ggf. Pneumokokken)<br />

Zeichen sprechen für Granulozytendefekt:<br />

Phagozytose/respir.-Burst-Test<br />

weitere Diagnostik in Absprache mit Speziallabor: Chemotaxis, Adhäsion<br />

Zeichen sprechen für Komplementdefekt:<br />

CH50<br />

einzelne Komplementkomponenten<br />

Zeichen sprechen für rezidiv. Fieber-Syndrom:<br />

Genetische Diagnostik<br />

Zeichen sprechen für anderen Defekt oder unklar:<br />

evt. gezielte molekulare Diagnostik.


Was kann ich für das Immunsystem tun?


Was kann ich für das Immunsystem tun? (I)<br />

Klären:<br />

Liegt eine Grunderkrankung vor, die gezielt behandelt werden muß?<br />

wenn nicht . . .


Was kann ich für das Immunsystem tun? (II)<br />

Nicht bei jedem Fieber gleich Antibiotika!<br />

(aber natürlich sollte ein fieberndes Kind ärztlich untersucht<br />

werden!)<br />

Nicht gleich Fiebersenkung bei leichtem Fieber!


Was kann ich für das Immunsystem tun? (III)<br />

Das Wichtigste ist eine normale gesunde<br />

Lebensführung, so, wie es eigentlich alle<br />

Eltern schon wissen:<br />

- viel frische Luft<br />

- viel Bewegung<br />

- ausgewogene Ernährung mit vielen frischen<br />

Nahrungsmitteln und Fleisch<br />

- die üblichen, empfohlenen Impfungen<br />

- keine Diät!<br />

- keine Vitaminpräparate!<br />

- keine Isolation!


Wenn ein Kind einen Infekt hat, dann bedeutet das:<br />

Das Kind trainiert sein Immunsystem!<br />

So, wie jedes Kind herumtoben muß, um seinen Körper zu<br />

kräftigen<br />

- auch wenn es dabei mal blaue Flecken bekommt -<br />

genauso muß jedes Kind Infekte durchmachen<br />

- auch wenn es mal hohes Fieber hat!

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