Laudatio Mueller-Stahl Engert - Deutsche Gesellschaft eV
Laudatio Mueller-Stahl Engert - Deutsche Gesellschaft eV Laudatio Mueller-Stahl Engert - Deutsche Gesellschaft eV
Armin Mueller-Stahl. Oder: Der Versuch einer Annäherung Es war im Jahr 1980. In Berlin-Dahlem. Im Haus des Verlegers Wolf Jobst Siedler. Eine Abendgesellschaft. Versammeltes West-Berlin. Dabei ein Ehepaar, unbekannt den meisten. Ich kannte den Mann. Vom Sehen. Aus dem Kino. Armin Mueller-Stahl. Der Schauspieler. Sein Name: Ein Begriff. Ruf wie Donnerhall. Für die zwischen Ostsee und Thüringer Wald. Für die zwischen Flensburg und Bodensee aber: kein Donner, deshalb kein Hall. Und im westlichen Berlin? Wer ist das, Mueller-Stahl? Denn lange bevor sich eine Mauer in den Weg stellte, war in West-Berlin in einem Prozess der Entfremdung das Empfinden für die eine Stadt als den gemeinsamen Lebensraum verloren gegangen. Ost-Berlin: ganz nah. Ost-Berlin: ganz fern. Dort war ja gar nicht mehr Berlin. Dort war der „Sektor“, dort war „Drüben“, dort war schlechthin „der Osten“.
- Seite 2 und 3: Wer von den Insulanern machte sich
- Seite 4 und 5: Die Erfahrung, dass das Bekenntnis
- Seite 6 und 7: Trotzdem ist die eigene Wesentlichk
- Seite 8 und 9: Es wäre hirnverbrannt gewesen, zu
- Seite 10 und 11: Unbequemlichkeit nachdenklich ertra
- Seite 12 und 13: Armin Mueller-Stahl zog nicht zurü
- Seite 14: Rückblick auf ein Land, in dem es
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>.<br />
Oder: Der Versuch einer Annäherung<br />
Es war im Jahr 1980. In Berlin-Dahlem. Im Haus des Verlegers Wolf Jobst<br />
Siedler.<br />
Eine Abendgesellschaft. Versammeltes West-Berlin.<br />
Dabei ein Ehepaar, unbekannt den meisten.<br />
Ich kannte den Mann.<br />
Vom Sehen.<br />
Aus dem Kino.<br />
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>. Der Schauspieler.<br />
Sein Name: Ein Begriff. Ruf wie Donnerhall. Für die zwischen Ostsee und<br />
Thüringer Wald.<br />
Für die zwischen Flensburg und Bodensee aber: kein Donner, deshalb<br />
kein Hall.<br />
Und im westlichen Berlin? Wer ist das, <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>?<br />
Denn lange bevor sich eine Mauer in den Weg stellte, war in West-Berlin<br />
in einem Prozess der Entfremdung das Empfinden für die eine Stadt als<br />
den gemeinsamen Lebensraum verloren gegangen.<br />
Ost-Berlin: ganz nah. Ost-Berlin: ganz fern. Dort war ja gar nicht mehr<br />
Berlin. Dort war der „Sektor“, dort war „Drüben“, dort war schlechthin „der<br />
Osten“.
Wer von den Insulanern machte sich schon für Aufführungen in Ost-<br />
Berliner Theatern, Opernhäusern, Kinos auf den Weg? Viele waren es<br />
nicht.<br />
Ich gehörte zu den wenigen. Ich, ein Ex-Zoni. Auch im Kino: ein Fremder<br />
auf vertrautem Boden. Und die Mutter in Dresden sagte: „Scheene Musik<br />
machen kann der <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> och. Mit der Geige.“<br />
Nun, an diesem Abend im Jahr 1980, sitzt dieser Mann mit seiner Frau an<br />
einem Tisch in Dahlem, in einem Haus, in einer Stadt, in einem Land, wo<br />
die Geografie über die Biografie bestimmt.<br />
Die Gespräche sind lebhaft. Sie laufen kreuz und quer. Stichworte<br />
genügen, um Assoziationen auszulösen. Erläuterungen überflüssig, man<br />
weiß Bescheid, man ist unter sich. West.<br />
An den beiden am Tisch – soeben sind sie noch in Köpenick zu Hause<br />
gewesen, ein paar Kilometer in der Luftlinie von Dahlem entfernt – laufen<br />
die Assoziationen der Tischgenossen erkennbar vorbei.<br />
Dieser Abend im Jahr 1980 bleibt im Gedächtnis: zwei an einem Tisch im<br />
westlichen Berlin. Sie waren da, aber sie gehörten nicht dazu.<br />
Vordergrund mit tiefem Hintergrund. Spaltung nicht abstrakt, Spaltung<br />
konkret. Spaltung: unsere, die deutsche Identität.<br />
Ein Thema, das unser Problem ist. Wir haben es mit hinein nehmen<br />
müssen in die Wiedervereinigung. Von 1945 bis 1990: 45 Jahre<br />
Deutschland West und Deutschland Ost, das waren 45 Jahre<br />
antagonistische Lebensformen und Lebensinhalte. Sie haben Mentalitäten<br />
geprägt. Nicht natürlich. Zwangsläufig.<br />
Und die, die dabei von der Geografie begünstigt wurden, sie waren<br />
Gewinner. Und die, die die Geografie benachteiligte, für die es 1945 keine<br />
2
Befreiung gab, weil der einen Diktatur die zweite auf dem Fuß folgte, sie<br />
waren Verlierer.<br />
Von 1933 an behandelt zu werden statt handeln zu können,<br />
Vormundschaft statt Mündigkeit, dazu das Bewusstsein der Vergeblichkeit<br />
seit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, ein<br />
Vergeblichkeitsbewusstsein, das sich erst auflöste am 9. November 1989,<br />
das alles bedeutete Last ohne Ausgleich.<br />
Die Geschichte kennt keine Gesetzmäßigkeit. Und in ihr birgt auch kein<br />
Weltgeist. Denn der Wind weht, wo und wie er will, und die Veränderung<br />
kommt, wenn sie keiner erwartet, Katastrophen eingeschlossen.<br />
Die Geschichte besteht aus Geschichten. Die Geschichte ist das allen<br />
Gemeine, in dem das Besondere, die persönlichen Geschichten, wurzeln.<br />
„Bekenntnis zu Deutschland“: Unter dieser Überschrift nannte der jüdische<br />
Dichter Joseph Roth, elend in der Emigration gestorben, das<br />
Nationalgefühl „die stillschweigende Voraussetzung jeder Gesinnung – so<br />
wie die menschliche Solidarität die stille Voraussetzung jeder wahrhaft<br />
menschlichen Existenz ist.“<br />
Joseph Roth schrieb sein „Bekenntnis zu Deutschland“ 1931. 1931: Da<br />
wurde bereits die Natürlichkeit, sich in einer Nation heimisch zu fühlen,<br />
überlagert von der gebrüllten Programmatik: Am deutschen Wesen soll die<br />
Welt genesen!<br />
Das hatte Folgen. Verheerende.<br />
Zu diesen Folgen zählt, dass der Generation, zu der Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong><br />
gehört, einer vom Jahrgang 1930, das Bekenntnis zu dem Land, das man<br />
„aus geheimnisvollen und also nicht zu erörternden Gründen sein<br />
Vaterland heißt“, schwer über die Lippen kommt.<br />
3
Die Erfahrung, dass das Bekenntnis zum Vaterland pervertiert,<br />
menschliche Solidarität gleichgesetzt wurde mit Schwäche, hat die Furcht<br />
zurückgelassen, Patriotismus könnte missverstanden werden. Als ein sich<br />
kommun machen mit dem Dumpfen und dem Dummen.<br />
Aus dieser Not heraus erklärt Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der gebürtige<br />
Ostpreuße, der, getrieben von den Zeitläufen, nicht sesshaft werden<br />
konnte, in seiner Autobiografie mit dem charakteristischen Titel<br />
„Unterwegs nach Hause“ seine Liebe zur deutschen Sprache, zum<br />
Frühling in diesem Land, zu seinen gelben Rapsfeldern, zur Ostsee.<br />
Einer versucht damit auszuweichen. Hinein in die Unverfänglichkeit:<br />
Sprache, Frühling, Raps, Ostsee.<br />
Und doch bleibt der Unbehauste beseelt von unstillbarer Sehnsucht nach<br />
Heimat. Einer mit dem Bedürfnis nach Verankerung und Entlastung<br />
zugleich, und dem dafür ein anderer Kontinent, Amerika, entgegenkommt.<br />
Dort, wo er nicht nur ein reiches berufliches Betätigungsfeld findet; dort,<br />
wo er, wie es heißt, zum Welt-Star wird, mit vielfältiger Anerkennung, bis<br />
hin zu Oscar-Nominierungen; dort, wo er nicht umstellt ist von<br />
Vergangenheit; Amerika, sein Synonym für Offenheit und Weite; das<br />
Land, das zu modeln ist nach der eigenen Vorstellung, weil es so groß ist<br />
und deshalb so viel Material bietet, Amerika, das die Staatsbürgerschaft<br />
gewährt; Amerika, das Land zum Rückversichern mit dem Flugschein in<br />
der Tasche.<br />
Aber so ist das nun mal mit den Erinnerungen: Aus dem Anzug sind sie<br />
nicht zu schütteln. Sie sind und sie bleiben konstitutiv. Zum Weltbürger<br />
wird keiner geboren. Zum Weltbürger wird einer aus seiner Not heraus,<br />
also: wider Willen. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> heute: mit dem Spielbein in<br />
Kalifornien. Stand aber geben die Ostsee bei Lübeck und auch wieder das<br />
Haus in Köpenick.<br />
4
Nach der Lektüre des Schriftstellers <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, seinen Erzählungen,<br />
seinen Gedichten, seinen Liedern, habe ich mich gefragt: Ist dieser Mann<br />
ein Homo politicus? Er, dessen Lebensweg die Politik entscheidend mit<br />
bestimmte, Politik aus den Texten nicht wegzudenken ist?<br />
Nein, ein Homo politicus ist Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> nicht. Das kann er auch<br />
nicht sein.<br />
Er, der zu den Erfindern des Relativsatzes zu zählen ist;<br />
er, der das Apodiktische nicht mag;<br />
er, der viele, viele Fragezeichen setzt und mit Ausrufen geizt;<br />
er, der Rigorosität verabscheut und Behutsamkeit schätzt;<br />
einer, der Gewissheiten sucht und doch nur das Ungewisse findet;<br />
einer, der nicht durch geschlossene Türen will, der, stell` ich mir vor,<br />
höchstens mal auf den Tisch haut, was ihm aber sofort Leid tut;<br />
ein Vorsichtiger, der Widrigkeiten zu umgehen versucht, auch dann, wenn<br />
sie noch nicht existieren;<br />
einer, der sich unter seinen vielfältigen Begabungen, trotz eines<br />
abgeschlossenen Musikstudiums, trotz seiner Leidenschaft für die Malerei,<br />
für den Beruf des Schauspielers entschied, weil er in Rollen stets ein<br />
anderer sein konnte.<br />
Spielen das, was nicht gelebt werden kann, oder: Spielen das, was nicht<br />
gelebt werden will.<br />
5
Trotzdem ist die eigene Wesentlichkeit für die jeweilige Rolle die<br />
Grundierung. Thomas Mann in der Erscheinung von <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>: sehr<br />
sympathisch. Der Konsul Buddenbrook: sehr bedächtig.<br />
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> startete mit seiner Schauspieler-Karriere in der DDR.<br />
Am Schiffbauerdamm, in der Volksbühne, im Film bei der DEFA. Es war<br />
eine Laufbahn, hin zu einem absoluten Höhepunkt.<br />
Warum blieb Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der nie ein Parteigänger war, über<br />
Jahrzehnte in der DDR?<br />
Auf die mir selbst gestellte Frage versuche ich eine Antwort.<br />
In Diktaturen wird die Kultur in einem Maße ernst genommen, nicht zu<br />
vergleichen mit ihrer Funktion in freien <strong>Gesellschaft</strong>en, mit ihrem freien<br />
Spiel der verschiedenen Kräfte.<br />
Diktaturen präsentieren sich selten nackt und bloß. Sie sind auf das<br />
Drapieren aus. Auch und vor allem mit der Kultur. Dienstbar soll sie sein.<br />
Für den schönen Schein. Kultur wird gebraucht und sie wird benutzt.<br />
Die Kultur ist ein eigen Ding. Sie hat nämlich die Freiheit des Individuums<br />
zum Dreh- und Angelpunkt. Aus dem eigenen Antrieb geschaffen, wirkt<br />
die Kultur auf die <strong>Gesellschaft</strong> ein. Mit ihrer Spontaneität kann sie Schule<br />
machen. Das aber wollen die Diktatoren verhindern. Die Kultur soll „auf<br />
Linie“ gebracht werden. Auf die Linie, die sie, die Übermächtigen,<br />
vorzeichnen.<br />
Das Regime in der DDR fürchtete die Kultur als Kraft. Konnte sie doch<br />
Freiräume, und waren die auch noch so klein, für Gedanken und Ideen<br />
eröffnen. Freiräume, die das Publikum ersehnte. Schon ein Zitat aus dem<br />
„Don Carlos“: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ konnte genügen, um in<br />
einem Theater einen Beifallssturm auszulösen.<br />
6
Kein Bundeskabinett hat sich je mit einem Theaterstück, mit einem Buch,<br />
einem Film beschäftigt. Das SED-Politbüro tat es.<br />
Nie zog ein Theaterstück, ein Buch, ein Film die <strong>Gesellschaft</strong> in toto im<br />
westlichen Deutschland in seinen Bann. In der DDR war das der Fall.<br />
Der Künstler als Ikone, Objekt der Identifikation für das Publikum. Auf der<br />
einen Seite.<br />
Auf der anderen: Der Künstler als Aufhänger für Misstrauen und Argwohn<br />
der Staatsmacht.<br />
Dieser Dualismus war eine Belastung. Dieser Dualismus aber war auch<br />
ein Reiz, der vermittelte – im Positiven wie im Negativen – Bedeutung,<br />
und die konnte wiederum das Selbstgefühl stärken.<br />
Für das Regime war das Gebot: Die Kultur muss unter Kontrolle gestellt<br />
und gehalten werden. Die Instrumente dafür waren Drohungen,<br />
Repressalien, Verbote.<br />
Im Werkzeugkasten aber waren auch Privilegien. Sie wurden gewährt und<br />
Botmäßigkeit wurde dafür verlangt. Mit einem hohen Einkommen, einem<br />
Haus, einem West-Auto, einer West-Reise wurde nicht nur versucht,<br />
persönlich einzubinden. Die Mechaniker der Macht wollten damit zugleich<br />
in einer scheinbar egalitären <strong>Gesellschaft</strong> eine Kluft zum Publikum<br />
aufreißen. Auch der Neid sollte ein Herrschaftsinstrument sein. Und<br />
sollten die Privilegierten wagen, wider den Stachel zu löcken, wurde ein<br />
doppelter Effekt eingeplant: Entzug der Privilegien und Diskreditierung<br />
gegenüber den Nichtprivilegierten. Wg. Undankbarkeit.<br />
Der Schriftsteller Heiner Müller sagte 1991 in einem Gespräch:<br />
„Die Privilegien waren eine wichtige Arbeitsbedingung. Mir ist wichtig, nur<br />
das, was von mir übrig bleibt … Ich hätte nicht so schreiben können, ohne<br />
die Reisen in die USA und sonst wohin. Das war wichtig für meine Arbeit.<br />
7
Es wäre hirnverbrannt gewesen, zu sagen, ich reise nicht dort hin, bevor<br />
alle reisen können. Das kann man unmoralisch finden, aber es ist so.<br />
Natürlich war das auch eine Politik der Partei, die Intelligenz unschädlich<br />
zu machen, durch Privilegien. Das hat funktioniert. Und ich nehme<br />
niemandem seine Kritik daran übel. Wenn diese Kritik allerdings vom<br />
Westen kommt, so ist sie allerdings ein bisschen fragwürdig. Weil die<br />
Bundesrepublik: Das ist grundsätzlich ein Privileg.“<br />
Heiner Müller und Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>: Freunde waren sie nicht. Sie<br />
waren wesentliche Gegensätze.<br />
Heiner Müller, der Rigorose. Einer, auf den die Selbstcharakteristik von<br />
Bert Brecht zutrifft: Hier habt Ihr einen, auf den könnt Ihr Euch nicht<br />
verlassen! Und das in jeder Beziehung. Das Leben als Stoff für ein Ego,<br />
das ausschließlich fixiert war an seinem Werk.<br />
Auf dieser Wellenlänge wollte und konnte Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der<br />
Differenzierte, nicht schwingen.<br />
Was den beiden aber gemeinsam war: Sie arbeiteten sich ab an der DDR.<br />
Die Widerstände, die Feindseligkeiten, denen sie ausgesetzt waren, sie<br />
mussten nicht nur belastend, sie konnten auch produktiv sein. Grenzen,<br />
die die Herrschaft markierte, testen, erweitern, überschreiten; mutig, listig,<br />
in stillem Einvernehmen mit dem Publikum, ein Glücksgefühl, wenn es<br />
gelang.<br />
Ein Schauspieler ist ein Teamarbeiter. Und unter den Bedingungen einer<br />
Diktatur kann aus einem Team eine Gesinnungsgemeinschaft, können<br />
aus Berufskollegen intime Freunde werden.<br />
In den Texten von Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> spielen Freunde eine zentrale<br />
Rolle. Für Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, den Ungewissen, sind Freunde die<br />
Inkarnation von Gewissheit, von Verlässlichkeit und Zuwendung.<br />
8
In der DDR glaubt er, diese Freunde gefunden zu haben. Einbettung.<br />
Auch durch ein Publikum, das in der geschlossenen Anstalt, die die DDR<br />
war, einem westlichen Deutschland unvorstellbares essentielles Verhältnis<br />
zu seinen Künstlern hatte.<br />
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>: nicht nur der Schauspieler. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>:<br />
einer von uns, einer, der zu uns gehört, der uns gehört. Ein Vademekum.<br />
Bis hinein in unsere Gegenwart bekommen <strong>Deutsche</strong>-Ost von <strong>Deutsche</strong>n-<br />
West zu hören: Ich an Deiner Stelle, ich wäre nie und nimmer in der DDR<br />
geblieben! Mich hätten keine zehn Pferde halten können!<br />
Bei solchen Reden, die Vorwürfe sind, schwingt die so tiefe Sottise mit,<br />
die in der alten Bundesrepublik einst die Runde machte: DDR übersetzt<br />
heißt: Der Dämliche Rest. Wenn einer sich die Frage stellte: Bleiben oder<br />
Gehen?, dann fielen beim Antwortgeben Bindungen ins Gewicht, die über<br />
das Private hinaus gingen.<br />
Darf einer, der zu den privilegierten Prominenten gehört, eine Leitfigur,<br />
ohne akute Not, ohne unkalkulierbares Risiko, der DDR den Rücken<br />
kehren und die anderen im Stich lassen? Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> blieb. Bis<br />
das Regime ihm die Garotte um den Hals legte.<br />
Im November 1976 wurde Wolf Biermann, in der DDR bereits mit<br />
Arbeitsverbot belegt, während einer erlaubten Konzertreise durch die<br />
Bundesrepublik, ausgebürgert. Nicht spontan. Geplant.<br />
Daraufhin verfassten 12 herausragende Schriftsteller der DDR, nein,<br />
keinen flammenden Protest, sie formulierten gegenüber der Staatsmacht<br />
eine Bitte:<br />
„Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter: Das hat er mit vielen<br />
Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat … müsste<br />
im Gegensatz zu anachronistischen <strong>Gesellschaft</strong>sformen eine solche<br />
9
Unbequemlichkeit nachdenklich ertragen können. Wir identifizieren uns<br />
nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Wolf Biermanns und<br />
distanzieren uns von den Versuchen, die Vorgänge um Biermann gegen<br />
die DDR zu missbrauchen. Biermann selbst hat nie … Zweifel darüber<br />
gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik<br />
eintritt. Wir protestieren gegen eine Ausbürgerung und bitten darum, die<br />
beschlossenen Maßnahmen zu überdenken.“<br />
Ausbürgerung. Das Muster dafür war bekannt. Die Nazis hatten es<br />
gefertigt, auch für Thomas Mann, die SED-Herrschaft übernahm das<br />
Muster.<br />
Über 100 Künstler solidarisierten sich mit der Petition für Wolf Biermann.<br />
Auch <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> beglaubigte sie mit seiner Unterschrift.<br />
Die Entschließung, der ein Entschluss vorausgehen musste, war eine Bitte<br />
an die Übermächtigen, die Gesetzmäßigkeit jeder wahren Kreativität<br />
anzuerkennen, die sich nicht mit Vorgegebenem begnügt, die Neues<br />
schaffen will. Das Neue aber ist für jede Diktatur der Feind. Weil es das<br />
Verändern einschließt.<br />
Nach dem 13. August 1961, nach der Blockade des Flüchtlingsstroms, als<br />
Intellektuelle in der DDR auf Tauwetter hofften, hatte Walter Ulbricht zu<br />
dem Schriftsteller Stephan Hermlin gesagt: „Jetzt haben wir die Mauer;<br />
und daran werden wir jeden zerquetschen, der gegen uns ist.“<br />
Die Worte Ulbrichts waren für das Regime dauerndes Programm. Und ihm<br />
getreu diktierte der Staatssicherheitsdienst nach der Bittschrift für<br />
Biermann eine „Richtlinie für Maßnahmen der Zersetzung“.<br />
Als Aufgaben wurden dabei benannt:<br />
„Systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufs, des Ansehens und<br />
des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener, wahrer,<br />
10
überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht<br />
widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben;<br />
Systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher<br />
Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen;<br />
Erzeugen von Misstrauen und gegenseitiger Verdächtigungen …, die<br />
Verwendung anonymer und pseudoanonymer Briefe, Telegramme,<br />
Telefonanrufe und so weiter.<br />
Kompromittierende Fotos, z. B. von stattgefundenen oder vorgetäuschten<br />
Begegnungen;<br />
die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen …<br />
Diese Mittel und Methoden sind entsprechend der konkreten Bedingungen<br />
des jeweiligen operativen Vorganges schöpferisch und differenziert<br />
anzuwenden, auszubauen und weiter zu entwickeln.“<br />
Diese geheime Richtlinie des Staatssicherheitsdienstes, die auch auf<br />
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> zielte, ist ein Dokument sondergleichen. Es ist die<br />
Anleitung, Menschen erst zu verstören, sie schließlich in ihrer Identität zu<br />
zerstören.<br />
Die totale Herrschaft ist eben nicht gekennzeichnet durch Willkür. Um<br />
Allmacht zu behaupten, geht sie vielmehr methodisch vor. Und der<br />
Psychoterror ist ein Ausfluss eines Systems.<br />
Du, <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, solidarisierst Dich mit Wolf Biermann, der unser Feind<br />
ist. Damit wirst Du verdächtig. Wir gewähren Dir aber die Chance, Dich zu<br />
bewähren. Du musst nur Deine Unterschrift unter die Petition für Biermann<br />
zurückziehen. Ganz einfach. Tust Du das aber nicht, werden wir auch<br />
Dich als Feind behandeln. Allein deshalb, weil Du an der Seite unseres<br />
Feindes stehst.<br />
11
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> zog nicht zurück. Er war kein Feind des Staates.<br />
Anständig aber, das war er und das wollte er bleiben. Eine Tugend, die<br />
der Macht zuwider lief. Sie reagierte. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> wurde isoliert.<br />
Kollegen wechselten die Straßenseite, um den Kontakt mit dem als<br />
aussätzig Gebrandmarkten zu vermeiden. Es war eine bittere Lehrzeit in<br />
Sachen Diktaturerfahrung. Mit Ummünzungen. Verrat wurde zu Treue,<br />
Lüge zu Wahrheit, Ehre zu Ehrlosigkeit.<br />
Im Archiv der Staatssicherheit wird Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> viel später die<br />
Berichte von Freunden nachlesen können, die sich als Charakterwracks<br />
herausstellen, als Verräter an einem, für den Freundschaft und Vertrauen<br />
ein absoluter Wert ist. Böse Buben? Nein. Arme Schweine. Zugespitzt<br />
könnte man sagen: Auch sie waren Opfer. Opfer eines Regimes, das die<br />
Schwäche, die Feigheit, die Bestechlichkeit, den Opportunismus von<br />
Menschen als feste Größen einkalkulierte und benutzte.<br />
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> zornig, resignativ: „Es gibt Tage<br />
da bin ich unversöhnt.<br />
da hätt` ich mir am liebsten<br />
die Menschen abgewöhnt.“<br />
Der Glaube an die Nische, den intimen Platz inmitten einer verschworenen<br />
Gemeinschaft. In dieser Nische, in der man frei von der Leber weg eine<br />
Lippe riskieren konnte, ohne Sanktionen gewärtigen zu müssen, dieser<br />
Glaube erwies sich als Irrtum.<br />
Denn auch in der Nische waren sie präsent, die Mithörer, die Mitschreiber,<br />
die die Zuträger waren für die Schild- und Schwertträger der Partei, die<br />
Geheimen vom Staatssicherheitsdienst.<br />
12
Es war das schlimmste Verbrechen dieses Systems: Bösartigkeit wurde<br />
befördert, auch erzwungen und jedenfalls belohnt. Bösartigkeit als Prinzip.<br />
Im September 1979 wird Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> der Antrag zum Verlassen<br />
der DDR genehmigt. Im Januar 1980 der endgültige Abschied. Was<br />
geschönt „Ausreiseabführung“ genannt wird ist tatsächlich Vertreibung.<br />
1980 wiederholt sich, was 1933 für Ungezählte begonnen hatte.<br />
Wer keine Wurzeln mehr hat, muss sich Flügel wachsen lassen. Ein<br />
schöner Spruch. Allerdings nur für das Poesiealbum. Denn die Flügel<br />
müssen auch tragen. Von Höhe gewinnen, ganz zu schweigen.<br />
Der jüdische Dichter Hermann Broch, Autor von „Tod des Vergil“,<br />
vermögend von Haus aus, verarmte nach seiner Emigration in die USA.<br />
Seine erbärmliche Situation kommentierte er: „Mein Verhältnis zu Gott ist<br />
derzeit das des Lehrlings zu seinem Chef, der ihm sagt: Jetzt bist Du<br />
bereits in allen Abteilungen gewesen, und morgen machen wir Pleite,<br />
damit Du das auch noch lernst.“<br />
Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der ein Star in der DDR gewesen war, musste nach<br />
seiner Vertreibung Arbeitslosenunterstützung in West-Berlin beantragen.<br />
Das war komisch, aber nicht zum Lachen.<br />
Es war die Demütigung für einen, der auf die 50 zuging, der auf einem<br />
Fundament gestanden hatte, das seine Lebensleistung war und dem<br />
plötzlich die Selbstgewissheit entzogen wurde. Nur deshalb, weil er sich<br />
der totalen Macht gegenüber selbst treu bleiben wollte.<br />
Was bedeutet es, anständig zu sein?<br />
Es bedeutet, dass einer handelt, ohne nach der Nützlichkeit zu fragen. Die<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> ehrt heute einen Anständigen. Sie tut das im<br />
13
Rückblick auf ein Land, in dem es an den Anständigen mangelte. Sie tut<br />
das in der Hoffnung, dass dieses Land Helden nicht nötig haben wird.<br />
Anständige genügen. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> wird geehrt als Beispielgeber.<br />
Berlin, 27.10.2011<br />
© Jürgen <strong>Engert</strong><br />
14