Laudatio Mueller-Stahl Engert - Deutsche Gesellschaft eV

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Armin Mueller-Stahl. Oder: Der Versuch einer Annäherung Es war im Jahr 1980. In Berlin-Dahlem. Im Haus des Verlegers Wolf Jobst Siedler. Eine Abendgesellschaft. Versammeltes West-Berlin. Dabei ein Ehepaar, unbekannt den meisten. Ich kannte den Mann. Vom Sehen. Aus dem Kino. Armin Mueller-Stahl. Der Schauspieler. Sein Name: Ein Begriff. Ruf wie Donnerhall. Für die zwischen Ostsee und Thüringer Wald. Für die zwischen Flensburg und Bodensee aber: kein Donner, deshalb kein Hall. Und im westlichen Berlin? Wer ist das, Mueller-Stahl? Denn lange bevor sich eine Mauer in den Weg stellte, war in West-Berlin in einem Prozess der Entfremdung das Empfinden für die eine Stadt als den gemeinsamen Lebensraum verloren gegangen. Ost-Berlin: ganz nah. Ost-Berlin: ganz fern. Dort war ja gar nicht mehr Berlin. Dort war der „Sektor“, dort war „Drüben“, dort war schlechthin „der Osten“.

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>.<br />

Oder: Der Versuch einer Annäherung<br />

Es war im Jahr 1980. In Berlin-Dahlem. Im Haus des Verlegers Wolf Jobst<br />

Siedler.<br />

Eine Abendgesellschaft. Versammeltes West-Berlin.<br />

Dabei ein Ehepaar, unbekannt den meisten.<br />

Ich kannte den Mann.<br />

Vom Sehen.<br />

Aus dem Kino.<br />

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>. Der Schauspieler.<br />

Sein Name: Ein Begriff. Ruf wie Donnerhall. Für die zwischen Ostsee und<br />

Thüringer Wald.<br />

Für die zwischen Flensburg und Bodensee aber: kein Donner, deshalb<br />

kein Hall.<br />

Und im westlichen Berlin? Wer ist das, <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>?<br />

Denn lange bevor sich eine Mauer in den Weg stellte, war in West-Berlin<br />

in einem Prozess der Entfremdung das Empfinden für die eine Stadt als<br />

den gemeinsamen Lebensraum verloren gegangen.<br />

Ost-Berlin: ganz nah. Ost-Berlin: ganz fern. Dort war ja gar nicht mehr<br />

Berlin. Dort war der „Sektor“, dort war „Drüben“, dort war schlechthin „der<br />

Osten“.


Wer von den Insulanern machte sich schon für Aufführungen in Ost-<br />

Berliner Theatern, Opernhäusern, Kinos auf den Weg? Viele waren es<br />

nicht.<br />

Ich gehörte zu den wenigen. Ich, ein Ex-Zoni. Auch im Kino: ein Fremder<br />

auf vertrautem Boden. Und die Mutter in Dresden sagte: „Scheene Musik<br />

machen kann der <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> och. Mit der Geige.“<br />

Nun, an diesem Abend im Jahr 1980, sitzt dieser Mann mit seiner Frau an<br />

einem Tisch in Dahlem, in einem Haus, in einer Stadt, in einem Land, wo<br />

die Geografie über die Biografie bestimmt.<br />

Die Gespräche sind lebhaft. Sie laufen kreuz und quer. Stichworte<br />

genügen, um Assoziationen auszulösen. Erläuterungen überflüssig, man<br />

weiß Bescheid, man ist unter sich. West.<br />

An den beiden am Tisch – soeben sind sie noch in Köpenick zu Hause<br />

gewesen, ein paar Kilometer in der Luftlinie von Dahlem entfernt – laufen<br />

die Assoziationen der Tischgenossen erkennbar vorbei.<br />

Dieser Abend im Jahr 1980 bleibt im Gedächtnis: zwei an einem Tisch im<br />

westlichen Berlin. Sie waren da, aber sie gehörten nicht dazu.<br />

Vordergrund mit tiefem Hintergrund. Spaltung nicht abstrakt, Spaltung<br />

konkret. Spaltung: unsere, die deutsche Identität.<br />

Ein Thema, das unser Problem ist. Wir haben es mit hinein nehmen<br />

müssen in die Wiedervereinigung. Von 1945 bis 1990: 45 Jahre<br />

Deutschland West und Deutschland Ost, das waren 45 Jahre<br />

antagonistische Lebensformen und Lebensinhalte. Sie haben Mentalitäten<br />

geprägt. Nicht natürlich. Zwangsläufig.<br />

Und die, die dabei von der Geografie begünstigt wurden, sie waren<br />

Gewinner. Und die, die die Geografie benachteiligte, für die es 1945 keine<br />

2


Befreiung gab, weil der einen Diktatur die zweite auf dem Fuß folgte, sie<br />

waren Verlierer.<br />

Von 1933 an behandelt zu werden statt handeln zu können,<br />

Vormundschaft statt Mündigkeit, dazu das Bewusstsein der Vergeblichkeit<br />

seit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, ein<br />

Vergeblichkeitsbewusstsein, das sich erst auflöste am 9. November 1989,<br />

das alles bedeutete Last ohne Ausgleich.<br />

Die Geschichte kennt keine Gesetzmäßigkeit. Und in ihr birgt auch kein<br />

Weltgeist. Denn der Wind weht, wo und wie er will, und die Veränderung<br />

kommt, wenn sie keiner erwartet, Katastrophen eingeschlossen.<br />

Die Geschichte besteht aus Geschichten. Die Geschichte ist das allen<br />

Gemeine, in dem das Besondere, die persönlichen Geschichten, wurzeln.<br />

„Bekenntnis zu Deutschland“: Unter dieser Überschrift nannte der jüdische<br />

Dichter Joseph Roth, elend in der Emigration gestorben, das<br />

Nationalgefühl „die stillschweigende Voraussetzung jeder Gesinnung – so<br />

wie die menschliche Solidarität die stille Voraussetzung jeder wahrhaft<br />

menschlichen Existenz ist.“<br />

Joseph Roth schrieb sein „Bekenntnis zu Deutschland“ 1931. 1931: Da<br />

wurde bereits die Natürlichkeit, sich in einer Nation heimisch zu fühlen,<br />

überlagert von der gebrüllten Programmatik: Am deutschen Wesen soll die<br />

Welt genesen!<br />

Das hatte Folgen. Verheerende.<br />

Zu diesen Folgen zählt, dass der Generation, zu der Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong><br />

gehört, einer vom Jahrgang 1930, das Bekenntnis zu dem Land, das man<br />

„aus geheimnisvollen und also nicht zu erörternden Gründen sein<br />

Vaterland heißt“, schwer über die Lippen kommt.<br />

3


Die Erfahrung, dass das Bekenntnis zum Vaterland pervertiert,<br />

menschliche Solidarität gleichgesetzt wurde mit Schwäche, hat die Furcht<br />

zurückgelassen, Patriotismus könnte missverstanden werden. Als ein sich<br />

kommun machen mit dem Dumpfen und dem Dummen.<br />

Aus dieser Not heraus erklärt Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der gebürtige<br />

Ostpreuße, der, getrieben von den Zeitläufen, nicht sesshaft werden<br />

konnte, in seiner Autobiografie mit dem charakteristischen Titel<br />

„Unterwegs nach Hause“ seine Liebe zur deutschen Sprache, zum<br />

Frühling in diesem Land, zu seinen gelben Rapsfeldern, zur Ostsee.<br />

Einer versucht damit auszuweichen. Hinein in die Unverfänglichkeit:<br />

Sprache, Frühling, Raps, Ostsee.<br />

Und doch bleibt der Unbehauste beseelt von unstillbarer Sehnsucht nach<br />

Heimat. Einer mit dem Bedürfnis nach Verankerung und Entlastung<br />

zugleich, und dem dafür ein anderer Kontinent, Amerika, entgegenkommt.<br />

Dort, wo er nicht nur ein reiches berufliches Betätigungsfeld findet; dort,<br />

wo er, wie es heißt, zum Welt-Star wird, mit vielfältiger Anerkennung, bis<br />

hin zu Oscar-Nominierungen; dort, wo er nicht umstellt ist von<br />

Vergangenheit; Amerika, sein Synonym für Offenheit und Weite; das<br />

Land, das zu modeln ist nach der eigenen Vorstellung, weil es so groß ist<br />

und deshalb so viel Material bietet, Amerika, das die Staatsbürgerschaft<br />

gewährt; Amerika, das Land zum Rückversichern mit dem Flugschein in<br />

der Tasche.<br />

Aber so ist das nun mal mit den Erinnerungen: Aus dem Anzug sind sie<br />

nicht zu schütteln. Sie sind und sie bleiben konstitutiv. Zum Weltbürger<br />

wird keiner geboren. Zum Weltbürger wird einer aus seiner Not heraus,<br />

also: wider Willen. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> heute: mit dem Spielbein in<br />

Kalifornien. Stand aber geben die Ostsee bei Lübeck und auch wieder das<br />

Haus in Köpenick.<br />

4


Nach der Lektüre des Schriftstellers <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, seinen Erzählungen,<br />

seinen Gedichten, seinen Liedern, habe ich mich gefragt: Ist dieser Mann<br />

ein Homo politicus? Er, dessen Lebensweg die Politik entscheidend mit<br />

bestimmte, Politik aus den Texten nicht wegzudenken ist?<br />

Nein, ein Homo politicus ist Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> nicht. Das kann er auch<br />

nicht sein.<br />

Er, der zu den Erfindern des Relativsatzes zu zählen ist;<br />

er, der das Apodiktische nicht mag;<br />

er, der viele, viele Fragezeichen setzt und mit Ausrufen geizt;<br />

er, der Rigorosität verabscheut und Behutsamkeit schätzt;<br />

einer, der Gewissheiten sucht und doch nur das Ungewisse findet;<br />

einer, der nicht durch geschlossene Türen will, der, stell` ich mir vor,<br />

höchstens mal auf den Tisch haut, was ihm aber sofort Leid tut;<br />

ein Vorsichtiger, der Widrigkeiten zu umgehen versucht, auch dann, wenn<br />

sie noch nicht existieren;<br />

einer, der sich unter seinen vielfältigen Begabungen, trotz eines<br />

abgeschlossenen Musikstudiums, trotz seiner Leidenschaft für die Malerei,<br />

für den Beruf des Schauspielers entschied, weil er in Rollen stets ein<br />

anderer sein konnte.<br />

Spielen das, was nicht gelebt werden kann, oder: Spielen das, was nicht<br />

gelebt werden will.<br />

5


Trotzdem ist die eigene Wesentlichkeit für die jeweilige Rolle die<br />

Grundierung. Thomas Mann in der Erscheinung von <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>: sehr<br />

sympathisch. Der Konsul Buddenbrook: sehr bedächtig.<br />

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> startete mit seiner Schauspieler-Karriere in der DDR.<br />

Am Schiffbauerdamm, in der Volksbühne, im Film bei der DEFA. Es war<br />

eine Laufbahn, hin zu einem absoluten Höhepunkt.<br />

Warum blieb Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der nie ein Parteigänger war, über<br />

Jahrzehnte in der DDR?<br />

Auf die mir selbst gestellte Frage versuche ich eine Antwort.<br />

In Diktaturen wird die Kultur in einem Maße ernst genommen, nicht zu<br />

vergleichen mit ihrer Funktion in freien <strong>Gesellschaft</strong>en, mit ihrem freien<br />

Spiel der verschiedenen Kräfte.<br />

Diktaturen präsentieren sich selten nackt und bloß. Sie sind auf das<br />

Drapieren aus. Auch und vor allem mit der Kultur. Dienstbar soll sie sein.<br />

Für den schönen Schein. Kultur wird gebraucht und sie wird benutzt.<br />

Die Kultur ist ein eigen Ding. Sie hat nämlich die Freiheit des Individuums<br />

zum Dreh- und Angelpunkt. Aus dem eigenen Antrieb geschaffen, wirkt<br />

die Kultur auf die <strong>Gesellschaft</strong> ein. Mit ihrer Spontaneität kann sie Schule<br />

machen. Das aber wollen die Diktatoren verhindern. Die Kultur soll „auf<br />

Linie“ gebracht werden. Auf die Linie, die sie, die Übermächtigen,<br />

vorzeichnen.<br />

Das Regime in der DDR fürchtete die Kultur als Kraft. Konnte sie doch<br />

Freiräume, und waren die auch noch so klein, für Gedanken und Ideen<br />

eröffnen. Freiräume, die das Publikum ersehnte. Schon ein Zitat aus dem<br />

„Don Carlos“: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ konnte genügen, um in<br />

einem Theater einen Beifallssturm auszulösen.<br />

6


Kein Bundeskabinett hat sich je mit einem Theaterstück, mit einem Buch,<br />

einem Film beschäftigt. Das SED-Politbüro tat es.<br />

Nie zog ein Theaterstück, ein Buch, ein Film die <strong>Gesellschaft</strong> in toto im<br />

westlichen Deutschland in seinen Bann. In der DDR war das der Fall.<br />

Der Künstler als Ikone, Objekt der Identifikation für das Publikum. Auf der<br />

einen Seite.<br />

Auf der anderen: Der Künstler als Aufhänger für Misstrauen und Argwohn<br />

der Staatsmacht.<br />

Dieser Dualismus war eine Belastung. Dieser Dualismus aber war auch<br />

ein Reiz, der vermittelte – im Positiven wie im Negativen – Bedeutung,<br />

und die konnte wiederum das Selbstgefühl stärken.<br />

Für das Regime war das Gebot: Die Kultur muss unter Kontrolle gestellt<br />

und gehalten werden. Die Instrumente dafür waren Drohungen,<br />

Repressalien, Verbote.<br />

Im Werkzeugkasten aber waren auch Privilegien. Sie wurden gewährt und<br />

Botmäßigkeit wurde dafür verlangt. Mit einem hohen Einkommen, einem<br />

Haus, einem West-Auto, einer West-Reise wurde nicht nur versucht,<br />

persönlich einzubinden. Die Mechaniker der Macht wollten damit zugleich<br />

in einer scheinbar egalitären <strong>Gesellschaft</strong> eine Kluft zum Publikum<br />

aufreißen. Auch der Neid sollte ein Herrschaftsinstrument sein. Und<br />

sollten die Privilegierten wagen, wider den Stachel zu löcken, wurde ein<br />

doppelter Effekt eingeplant: Entzug der Privilegien und Diskreditierung<br />

gegenüber den Nichtprivilegierten. Wg. Undankbarkeit.<br />

Der Schriftsteller Heiner Müller sagte 1991 in einem Gespräch:<br />

„Die Privilegien waren eine wichtige Arbeitsbedingung. Mir ist wichtig, nur<br />

das, was von mir übrig bleibt … Ich hätte nicht so schreiben können, ohne<br />

die Reisen in die USA und sonst wohin. Das war wichtig für meine Arbeit.<br />

7


Es wäre hirnverbrannt gewesen, zu sagen, ich reise nicht dort hin, bevor<br />

alle reisen können. Das kann man unmoralisch finden, aber es ist so.<br />

Natürlich war das auch eine Politik der Partei, die Intelligenz unschädlich<br />

zu machen, durch Privilegien. Das hat funktioniert. Und ich nehme<br />

niemandem seine Kritik daran übel. Wenn diese Kritik allerdings vom<br />

Westen kommt, so ist sie allerdings ein bisschen fragwürdig. Weil die<br />

Bundesrepublik: Das ist grundsätzlich ein Privileg.“<br />

Heiner Müller und Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>: Freunde waren sie nicht. Sie<br />

waren wesentliche Gegensätze.<br />

Heiner Müller, der Rigorose. Einer, auf den die Selbstcharakteristik von<br />

Bert Brecht zutrifft: Hier habt Ihr einen, auf den könnt Ihr Euch nicht<br />

verlassen! Und das in jeder Beziehung. Das Leben als Stoff für ein Ego,<br />

das ausschließlich fixiert war an seinem Werk.<br />

Auf dieser Wellenlänge wollte und konnte Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der<br />

Differenzierte, nicht schwingen.<br />

Was den beiden aber gemeinsam war: Sie arbeiteten sich ab an der DDR.<br />

Die Widerstände, die Feindseligkeiten, denen sie ausgesetzt waren, sie<br />

mussten nicht nur belastend, sie konnten auch produktiv sein. Grenzen,<br />

die die Herrschaft markierte, testen, erweitern, überschreiten; mutig, listig,<br />

in stillem Einvernehmen mit dem Publikum, ein Glücksgefühl, wenn es<br />

gelang.<br />

Ein Schauspieler ist ein Teamarbeiter. Und unter den Bedingungen einer<br />

Diktatur kann aus einem Team eine Gesinnungsgemeinschaft, können<br />

aus Berufskollegen intime Freunde werden.<br />

In den Texten von Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> spielen Freunde eine zentrale<br />

Rolle. Für Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, den Ungewissen, sind Freunde die<br />

Inkarnation von Gewissheit, von Verlässlichkeit und Zuwendung.<br />

8


In der DDR glaubt er, diese Freunde gefunden zu haben. Einbettung.<br />

Auch durch ein Publikum, das in der geschlossenen Anstalt, die die DDR<br />

war, einem westlichen Deutschland unvorstellbares essentielles Verhältnis<br />

zu seinen Künstlern hatte.<br />

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>: nicht nur der Schauspieler. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>:<br />

einer von uns, einer, der zu uns gehört, der uns gehört. Ein Vademekum.<br />

Bis hinein in unsere Gegenwart bekommen <strong>Deutsche</strong>-Ost von <strong>Deutsche</strong>n-<br />

West zu hören: Ich an Deiner Stelle, ich wäre nie und nimmer in der DDR<br />

geblieben! Mich hätten keine zehn Pferde halten können!<br />

Bei solchen Reden, die Vorwürfe sind, schwingt die so tiefe Sottise mit,<br />

die in der alten Bundesrepublik einst die Runde machte: DDR übersetzt<br />

heißt: Der Dämliche Rest. Wenn einer sich die Frage stellte: Bleiben oder<br />

Gehen?, dann fielen beim Antwortgeben Bindungen ins Gewicht, die über<br />

das Private hinaus gingen.<br />

Darf einer, der zu den privilegierten Prominenten gehört, eine Leitfigur,<br />

ohne akute Not, ohne unkalkulierbares Risiko, der DDR den Rücken<br />

kehren und die anderen im Stich lassen? Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> blieb. Bis<br />

das Regime ihm die Garotte um den Hals legte.<br />

Im November 1976 wurde Wolf Biermann, in der DDR bereits mit<br />

Arbeitsverbot belegt, während einer erlaubten Konzertreise durch die<br />

Bundesrepublik, ausgebürgert. Nicht spontan. Geplant.<br />

Daraufhin verfassten 12 herausragende Schriftsteller der DDR, nein,<br />

keinen flammenden Protest, sie formulierten gegenüber der Staatsmacht<br />

eine Bitte:<br />

„Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter: Das hat er mit vielen<br />

Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat … müsste<br />

im Gegensatz zu anachronistischen <strong>Gesellschaft</strong>sformen eine solche<br />

9


Unbequemlichkeit nachdenklich ertragen können. Wir identifizieren uns<br />

nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Wolf Biermanns und<br />

distanzieren uns von den Versuchen, die Vorgänge um Biermann gegen<br />

die DDR zu missbrauchen. Biermann selbst hat nie … Zweifel darüber<br />

gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik<br />

eintritt. Wir protestieren gegen eine Ausbürgerung und bitten darum, die<br />

beschlossenen Maßnahmen zu überdenken.“<br />

Ausbürgerung. Das Muster dafür war bekannt. Die Nazis hatten es<br />

gefertigt, auch für Thomas Mann, die SED-Herrschaft übernahm das<br />

Muster.<br />

Über 100 Künstler solidarisierten sich mit der Petition für Wolf Biermann.<br />

Auch <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> beglaubigte sie mit seiner Unterschrift.<br />

Die Entschließung, der ein Entschluss vorausgehen musste, war eine Bitte<br />

an die Übermächtigen, die Gesetzmäßigkeit jeder wahren Kreativität<br />

anzuerkennen, die sich nicht mit Vorgegebenem begnügt, die Neues<br />

schaffen will. Das Neue aber ist für jede Diktatur der Feind. Weil es das<br />

Verändern einschließt.<br />

Nach dem 13. August 1961, nach der Blockade des Flüchtlingsstroms, als<br />

Intellektuelle in der DDR auf Tauwetter hofften, hatte Walter Ulbricht zu<br />

dem Schriftsteller Stephan Hermlin gesagt: „Jetzt haben wir die Mauer;<br />

und daran werden wir jeden zerquetschen, der gegen uns ist.“<br />

Die Worte Ulbrichts waren für das Regime dauerndes Programm. Und ihm<br />

getreu diktierte der Staatssicherheitsdienst nach der Bittschrift für<br />

Biermann eine „Richtlinie für Maßnahmen der Zersetzung“.<br />

Als Aufgaben wurden dabei benannt:<br />

„Systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufs, des Ansehens und<br />

des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener, wahrer,<br />

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überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht<br />

widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben;<br />

Systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher<br />

Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen;<br />

Erzeugen von Misstrauen und gegenseitiger Verdächtigungen …, die<br />

Verwendung anonymer und pseudoanonymer Briefe, Telegramme,<br />

Telefonanrufe und so weiter.<br />

Kompromittierende Fotos, z. B. von stattgefundenen oder vorgetäuschten<br />

Begegnungen;<br />

die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen …<br />

Diese Mittel und Methoden sind entsprechend der konkreten Bedingungen<br />

des jeweiligen operativen Vorganges schöpferisch und differenziert<br />

anzuwenden, auszubauen und weiter zu entwickeln.“<br />

Diese geheime Richtlinie des Staatssicherheitsdienstes, die auch auf<br />

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> zielte, ist ein Dokument sondergleichen. Es ist die<br />

Anleitung, Menschen erst zu verstören, sie schließlich in ihrer Identität zu<br />

zerstören.<br />

Die totale Herrschaft ist eben nicht gekennzeichnet durch Willkür. Um<br />

Allmacht zu behaupten, geht sie vielmehr methodisch vor. Und der<br />

Psychoterror ist ein Ausfluss eines Systems.<br />

Du, <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, solidarisierst Dich mit Wolf Biermann, der unser Feind<br />

ist. Damit wirst Du verdächtig. Wir gewähren Dir aber die Chance, Dich zu<br />

bewähren. Du musst nur Deine Unterschrift unter die Petition für Biermann<br />

zurückziehen. Ganz einfach. Tust Du das aber nicht, werden wir auch<br />

Dich als Feind behandeln. Allein deshalb, weil Du an der Seite unseres<br />

Feindes stehst.<br />

11


Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> zog nicht zurück. Er war kein Feind des Staates.<br />

Anständig aber, das war er und das wollte er bleiben. Eine Tugend, die<br />

der Macht zuwider lief. Sie reagierte. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> wurde isoliert.<br />

Kollegen wechselten die Straßenseite, um den Kontakt mit dem als<br />

aussätzig Gebrandmarkten zu vermeiden. Es war eine bittere Lehrzeit in<br />

Sachen Diktaturerfahrung. Mit Ummünzungen. Verrat wurde zu Treue,<br />

Lüge zu Wahrheit, Ehre zu Ehrlosigkeit.<br />

Im Archiv der Staatssicherheit wird Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> viel später die<br />

Berichte von Freunden nachlesen können, die sich als Charakterwracks<br />

herausstellen, als Verräter an einem, für den Freundschaft und Vertrauen<br />

ein absoluter Wert ist. Böse Buben? Nein. Arme Schweine. Zugespitzt<br />

könnte man sagen: Auch sie waren Opfer. Opfer eines Regimes, das die<br />

Schwäche, die Feigheit, die Bestechlichkeit, den Opportunismus von<br />

Menschen als feste Größen einkalkulierte und benutzte.<br />

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> zornig, resignativ: „Es gibt Tage<br />

da bin ich unversöhnt.<br />

da hätt` ich mir am liebsten<br />

die Menschen abgewöhnt.“<br />

Der Glaube an die Nische, den intimen Platz inmitten einer verschworenen<br />

Gemeinschaft. In dieser Nische, in der man frei von der Leber weg eine<br />

Lippe riskieren konnte, ohne Sanktionen gewärtigen zu müssen, dieser<br />

Glaube erwies sich als Irrtum.<br />

Denn auch in der Nische waren sie präsent, die Mithörer, die Mitschreiber,<br />

die die Zuträger waren für die Schild- und Schwertträger der Partei, die<br />

Geheimen vom Staatssicherheitsdienst.<br />

12


Es war das schlimmste Verbrechen dieses Systems: Bösartigkeit wurde<br />

befördert, auch erzwungen und jedenfalls belohnt. Bösartigkeit als Prinzip.<br />

Im September 1979 wird Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> der Antrag zum Verlassen<br />

der DDR genehmigt. Im Januar 1980 der endgültige Abschied. Was<br />

geschönt „Ausreiseabführung“ genannt wird ist tatsächlich Vertreibung.<br />

1980 wiederholt sich, was 1933 für Ungezählte begonnen hatte.<br />

Wer keine Wurzeln mehr hat, muss sich Flügel wachsen lassen. Ein<br />

schöner Spruch. Allerdings nur für das Poesiealbum. Denn die Flügel<br />

müssen auch tragen. Von Höhe gewinnen, ganz zu schweigen.<br />

Der jüdische Dichter Hermann Broch, Autor von „Tod des Vergil“,<br />

vermögend von Haus aus, verarmte nach seiner Emigration in die USA.<br />

Seine erbärmliche Situation kommentierte er: „Mein Verhältnis zu Gott ist<br />

derzeit das des Lehrlings zu seinem Chef, der ihm sagt: Jetzt bist Du<br />

bereits in allen Abteilungen gewesen, und morgen machen wir Pleite,<br />

damit Du das auch noch lernst.“<br />

Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong>, der ein Star in der DDR gewesen war, musste nach<br />

seiner Vertreibung Arbeitslosenunterstützung in West-Berlin beantragen.<br />

Das war komisch, aber nicht zum Lachen.<br />

Es war die Demütigung für einen, der auf die 50 zuging, der auf einem<br />

Fundament gestanden hatte, das seine Lebensleistung war und dem<br />

plötzlich die Selbstgewissheit entzogen wurde. Nur deshalb, weil er sich<br />

der totalen Macht gegenüber selbst treu bleiben wollte.<br />

Was bedeutet es, anständig zu sein?<br />

Es bedeutet, dass einer handelt, ohne nach der Nützlichkeit zu fragen. Die<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> ehrt heute einen Anständigen. Sie tut das im<br />

13


Rückblick auf ein Land, in dem es an den Anständigen mangelte. Sie tut<br />

das in der Hoffnung, dass dieses Land Helden nicht nötig haben wird.<br />

Anständige genügen. Armin <strong>Mueller</strong>-<strong>Stahl</strong> wird geehrt als Beispielgeber.<br />

Berlin, 27.10.2011<br />

© Jürgen <strong>Engert</strong><br />

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