10.10.2013 Aufrufe

Leben auf einer Koralleninsel - Deutsch Pazifischen Gesellschaft

Leben auf einer Koralleninsel - Deutsch Pazifischen Gesellschaft

Leben auf einer Koralleninsel - Deutsch Pazifischen Gesellschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

aktiv betriebenen Austausch einen Konsens, der dann als „Stimme der Frauen“ in andere, oft<br />

männerdominierte Gremien in der niueanischen Politik oder Kirche getragen wird. In<br />

Auckland verfolgen Flechtgruppen gewöhnlich auch soziale Ziele innerhalb der niueanischen<br />

Migrationsgemeinschaft: Sie sind zugleich Selbsthilfegruppen für bestimmte<br />

Krankheitsbilder, die in der pazifischen Community häufig sind, etwa Adipositas oder<br />

Diabetes; sie helfen Neuankömmlingen bei der Organisation von Wohnraum und dem<br />

Umgang mit der Bürokratie; und viele betreiben niueanisch-sprachige Vorschulen für Kinder,<br />

die zu Hause mittlerweile nur mit Englisch <strong>auf</strong>wachsen.<br />

Kirche und Religion spielen eine große Rolle im <strong>Leben</strong> der meisten Niuer. Sind zwei oder<br />

mehr Personen zusammen, wird fast jede Tätigkeit mit einem offiziellen Gebet begonnen –<br />

sei es eine Mahlzeit, Parlamentssitzung oder die Ankunft neuer Straßenbaumaschinen an der<br />

Mole in Alofi. Im Mittelpunkt jeden Dorfes befindet sich eine Kirche, und die Regeln der<br />

Ekalesia Niue, der Nachfolgekirche der London Missionary Society, sind streng, besonders<br />

hinsichtlich der absoluten Sonntagsruhe. Kein Erdofen darf am Sonntag bei Sonnen<strong>auf</strong>gang<br />

mehr rauchen; es darf nicht gekocht, keine weltliche Musik oder Fernsehen konsumiert<br />

werden, solange es sich nicht um Hymnen oder Filme mit christlichem Thema handelt;<br />

weltliche Vergnügungen sind unerwünscht.<br />

Idealerweise sollte jeder den Tag in religiöser Kontemplation verbringen und die<br />

mehrstündigen Vormittags- und Nachmittagsgottesdienste besuchen. Jedem Dorfpastor steht<br />

seit den Tagen der frühen Missionierung eine Reihe von Kirchenältesten zur Seite, die die<br />

Einhaltung dieser Vorschriften überwachen. Obwohl es Wege gibt, die Regeln zu umgehen,<br />

bzw. Niuer, die sich schlicht nicht daran halten, bildet die Ekalesia Niue mit ihrer<br />

Verwobenheit in die dörfliche Sozialstruktur und ihrer sozialen Kontrolle einen nicht zu<br />

unterschätzenden „Staat im Staate“.<br />

Parallel zu den christlichen Vorstellungen existieren jedoch sehr viele vorchristliche, etwa der<br />

Glaube an lokale Gottheiten oder Geister. Verstorbene denkt man sich nach dem Tode in<br />

Form von – potentiell missgünstigen – Geistern noch anwesend. Die Totenruhe zu stören<br />

bzw. Gräber respektlos zu behandeln, bewusst gegen Tabus oder Landrechte zu verstoßen und<br />

Menschen absichtlich schlecht zu behandeln zieht nach Auffassung der allermeisten Niuer,<br />

unabhängig von ihrer Bildung oder Verweildauer in Neuseeland, übernatürliche Strafen nach<br />

sich – ein äußerst funktionales System der sozialen Kontrolle in <strong>einer</strong> egalitären <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

deren Mitglieder anderen Niuern nicht ohne weiteres Autorität über sich zugestehen.<br />

Der kleine Inselstaat Niue zeichnet sich also unter anderem durch eine egalitäre <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

starke soziale Kontrolle und direkten „face-to-face“- Kontakt aller Bewohner miteinander aus<br />

– Faktoren, die im Gegensatz zu den Verhältnissen in größeren Staatswesen Ozeaniens<br />

sicherlich stabilisierend wirken. Aufgrund der kargen Umwelt, der Lage im<br />

Wirbelsturmgürtel und der Abgeschiedenheit ist Niue ohne Subventionen allerdings nicht<br />

wirtschaftlich überlebensfähig; dem Individuum bieten sich kaum Möglichkeiten der<br />

Erwirtschaftung von Geld, und die Bodenbestellung ist äußerst mühsam. Die daraus<br />

resultierende starke Abwanderung schwächt die verbleibende Wirtschaftskraft sowie die<br />

Weitergabe kultureller Traditionen, die zur ethnischen Identität beitragen. Ob die<br />

stabilisierenden oder die destabilisierenden Elemente in Niues Zukunft die Oberhand<br />

gewinnen werden, bleibt abzuwarten.<br />

Fotos: Hilke Thode-Arora; Die Karte und alle Fotos stammen aus dem unten genannten Buch<br />

Weiterführende Literatur:<br />

Hilke Thode-Arora: Weavers of Men and Women. Niuean Weaving and its Social<br />

Implications.<br />

Berlin: Reimer Verlag 2009.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!