Leben auf einer Koralleninsel - Deutsch Pazifischen Gesellschaft
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kriegführenden Einheiten sein konnten, heute jedoch neben einigen Dialektunterschieden vor<br />
allem noch im rituellen Bereich und in der sozialen Praxis Bedeutung haben. Am<br />
augenfälligsten wird dies in der Unterteilung der kleinen, nur etwa 900 Bewohner<br />
umfassenden Hauptstadt in Alofi Nord und Alofi Süd, da die Trennlinie zwischen den<br />
Moieties direkt durch den Ort verläuft: Beide Stadtteile entsenden jeweils einen<br />
Abgeordneten ins Parlament, haben eigene Sportteams u.a.m.; Niuer zählen im Gegensatz zu<br />
Fremden daher auch vierzehn und nicht dreizehn Dörfer <strong>auf</strong> ihrer Insel, da Alofi-Nord und<br />
Alofi-Süd in den meisten <strong>Leben</strong>szusammenhängen als zwei getrennte Dörfer verstanden<br />
werden.<br />
Als Captain Cook 1774 Niue entdeckte, wurden er und seine Mannen bereits am Ufer von<br />
Kriegern in die Flucht geschlagen. Ursprünglich wollte er die große Felseninsel nach dem<br />
britischen Kronprinzen benennen, gab ihr nach diesem Vorfall aber dann den wenig<br />
schmeichelhaften Namen „Savage Island“. Auch den ersten europäischen Missionaren der<br />
London Missionary Society erlaubten die Niuer anfänglich nicht, das bewohnte Hochplateau<br />
zu betreten. Die LMS schickte daher zunächst samoanische Evangelisten, die innerhalb<br />
weniger Jahre die alte Kultur völlig veränderten – unglücklicherweise wirkte k<strong>einer</strong> von ihnen<br />
als Chronist, so dass sehr wenig über Niues Kultur zur Kontaktzeit bekannt ist.<br />
Niue ist einzigartig unter den geschichteten <strong>Gesellschaft</strong>en Polynesiens, denn es gab dort<br />
keine dauerhafte institutionalisierte und vererbbare hierarchische Struktur – keine Adels-<br />
schicht wie etwa <strong>auf</strong> Tahiti, Hawai’i oder Tonga, und keine hohen Titelträger oder matai wie<br />
<strong>auf</strong> Samoa. Familienverbände zogen <strong>auf</strong> ihrem Land umher und betrieben Brandrodungs-<br />
feldbau. Familienvorstände (patu) kamen zuweilen zu einem Rat zusammen; bei ihnen sowie<br />
erfolgreichen und durchsetzungsfähigen Kriegern lag offenbar ein Großteil der politischen<br />
Macht. Für mehrere Generationen existierte ein rituelles Zentrum an der Grenze der beiden<br />
Moieties Motu und Tafiti, später ein Ratsplatz im Nordwesten der Insel, wie archäologische<br />
Funde bezeugen.<br />
Zu dieser Zeit gab es einen gewählten Führer aller Familienverbände (patu iki), der jedoch<br />
k<strong>einer</strong>lei politische, sondern ausschließlich rituelle Befugnisse hatte: Ihm oblag die magische<br />
Beeinflussung des Wetters sowie das Wohlergehen der Inselbewohner. Traten gehäuft<br />
Trockenzeiten, Wirbelstürme, Hungersnöte, Kriege und Unfrieden <strong>auf</strong>, unterstellte man dem<br />
patu iki Pflichtverletzung, und es war legitim, ihn zu töten. Die kargen und unwägbaren<br />
Ressourcen Niues erlaubten offenbar keine dauerhafte Institutionalisierung <strong>einer</strong><br />
privilegierten Schicht durch Anhäufung von Nahrungsüberschüssen, geschweige denn die<br />
regelmäßige Herstellung von Luxusartikeln aus Federn und weiteren Materialien, wie von<br />
anderen polynesischen Inselgruppen bekannt. Auch die samoanischen und später die<br />
europäischen Missionare merkten schnell, dass sie nicht <strong>auf</strong> eine regelmäßige Versorgung<br />
durch kirchliche Abgaben hoffen konnten.<br />
Die europäischen Besucher und ersten Siedler durchschauten Niues egalitäre Sozialstruktur<br />
nicht gleich und erwarteten einen Entscheidungsträger, der für alle Niuer sprach.<br />
Entsprechend ihrem eigenen <strong>Gesellschaft</strong>smodell interpretierten sie das Amt des patu iki als<br />
„König“ und nutzten ihren Einfluss dafür, dass die Institution des patu iki Ende des 19.<br />
Jahrhunderts wiederbelebt wurde. 1901 annektierte Neuseeland die Insel; wenige Jahre später<br />
starb der letzte patu iki.<br />
Neuseeland musste schnell erkennen, dass Niue keine lukrative Kolonie, sondern ein<br />
Verlustgeschäft darstellte. Entsprechend bestand bald nur noch wenig Interesse an der Insel,<br />
und die dorthin entsandten Resident Commissioners, im besten Fall gleichgültig, im<br />
schlimmsten Fall brutal, konnten nahezu unkontrolliert ihre Regierung ausüben. Diese