Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Jürgen Liminski:<br />
Mehr als eine gute Zukunft<br />
Anmerkungen zu Umwidmung, Schließung und Stillegung von Gotteshäusern /<br />
Daten, Beispiele, gegenläufige Trends<br />
Zu Weihnachten werden die<br />
Kirchen wieder voll sein.<br />
Dann wird man sich erneut an<br />
die zwölf Millionen Gläubigen und<br />
mehr erinnern, die in den fünfziger<br />
Jahren jeden Sonntag in die Messe<br />
gingen und deren Zahl mittlerweile<br />
auf vier Millionen geschmolzen ist,<br />
nur an Weihnachten und auch zu Ostern<br />
nicht. Und manche Pfarrer und<br />
Pastöre werden Hoffnung schöpfen,<br />
dass „ihre“ Kirche doch ein Gotteshaus<br />
bleiben kann. Denn bundesweit<br />
sind 700 katholische Kirchen akut<br />
von Schließung oder Umwidmung<br />
bedroht, und bei den Protestanten<br />
sieht es nicht besser aus, im Gegenteil,<br />
sie werden in den nächsten Jahren<br />
3500 Gotteshäuser profanieren.<br />
Das hat mehrere Gründe. <strong>Der</strong> demographische<br />
Absturz in Deutschland<br />
ist einer. Zwar stellen die beiden großen<br />
Kirchen mit je gut 26 Millionen<br />
Mitgliedern (siehe Grafik Gläubige<br />
in Deutschland) immer noch zwei<br />
Drittel der deutschen Bevölkerung.<br />
Aber die evangelische Kirche verlor<br />
seit 1973 mehr als fünf Millionen<br />
Mitglieder, und bei der katholischen<br />
Kirche sank in den letzten vierzig<br />
Jahren der Anteil an der Gesamtbevölkerung<br />
von 43,8 auf 31,5 Prozent.<br />
Damit verbunden ist der Absturz der<br />
Einnahmen aus Kirchensteuern (siehe<br />
Grafik). Natürlich spielen dabei nicht<br />
nur der demographische Niedergang,<br />
sondern auch die Kirchenaustritte<br />
eine Rolle oder die mittelfristig gesehen<br />
stagnierende bis abfallende<br />
wirtschaftliche Entwicklung, die<br />
unmittelbar die Einnahmen aus den<br />
Kirchensteuern schmälert. Auch der<br />
riesige Immobilienbesitz – neben der<br />
Bahn sind die Kirchen die größten<br />
Immobilienbesitzer im Land – drückt<br />
mit seinen Renovierungs- und Sanierungslasten<br />
schwer auf die Haushalte.<br />
All das sind funktionale Gründe nach<br />
dem Motto: Weniger Gläubige und<br />
schwache Konjunktur bedeutet weniger<br />
Einnahmen. Die wirkliche Frage<br />
aber lautet: warum gibt es weniger<br />
Gläubige oder zumindest weniger<br />
Kirchgänger, wenn doch die Zahl<br />
der Mitglieder für jede Kirche immer<br />
noch bei 26 Millionen liegt?<br />
Dieser Frage stellen sich nicht alle<br />
Verantwortlichen. Sie haben auch<br />
mit der gegenwärtigen Situation zu<br />
kämpfen und den Schrumpfungsprozess<br />
zu managen. <strong>Der</strong> ist ganz unterschiedlich.<br />
Die Erzdiözese Köln, mit<br />
2,2 Millionen Katholiken die größte<br />
Diözese Deutschlands, hat im vergangenen<br />
Jahr nur vier Kirchen entweihen<br />
müssen, in diesem Jahre waren<br />
es gerade mal zwei. Die Diözese<br />
Essen dagegen muss 96 ihrer rund<br />
350 Kirchen schließen. Im SPD-dominierten<br />
Ruhrbistum hat sich die<br />
Zahl der Gläubigen in den letzten<br />
Jahrzehnten glatt halbiert. In Bayern<br />
hält sich die Zahl der bedrohten Kirchen<br />
in Grenzen, der protestantische<br />
Norden Deutschlands steht vor einem<br />
historischen Auflösungsprozess. Fast<br />
die Hälfte der rund 20.000 evangelischen<br />
Kirchen und Kapellen auf dem<br />
Gebiet der Bundesrepublik wird bis<br />
zum Ende des Jahrzehnts nicht mehr<br />
für Gottesdienste benötigt.<br />
Wohin mit den sakralen Bauten?<br />
Die Palette der Ideen reicht von der<br />
„Kulturkirche“ bis hin zum Ärztehaus,<br />
von der Musikschule bis zum<br />
Büro für Architekten. Die Katholische<br />
Pflegehilfe Essen will in der St.<br />
Vom Dienst an Gott zum Bedienen der Gäste: Restaurant-Raum in der ehemals evangelischen Martini-Kirche in Bielefeld.<br />
DER FELS 12/<strong>2006</strong> 357