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Sehr geehrter Herr Professor Jüttner, mehr durch Zufall wurde ich in ...

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From: Manfred Sill<br />

Sent: Wednesday, May 09, 2012 11:36 AM<br />

To: egon.juettner@bundestag.de<br />

Subject: Ihre E-Mail vom gestrigen 8. Mai an Frau M<strong>ich</strong>el-Brün<strong>in</strong>g<br />

<strong>Sehr</strong> <strong>geehrter</strong> <strong>Herr</strong> <strong>Professor</strong> <strong>Jüttner</strong>,<br />

<strong>mehr</strong> <strong>durch</strong> <strong>Zufall</strong> <strong>wurde</strong> <strong>ich</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Korrespondenz e<strong>in</strong>kopiert, <strong>in</strong> der auch Ihre im<br />

Betreff beze<strong>ich</strong>nete Nachr<strong>ich</strong>t wiedergegeben ist.<br />

Es gehört n<strong>ich</strong>t zu me<strong>in</strong>en Gewohnheiten, m<strong>ich</strong> <strong>in</strong> fremde Korrespondenz<br />

e<strong>in</strong>zumischen, aber <strong>ich</strong> kann m<strong>ich</strong> <strong>in</strong> diesem Fall e<strong>in</strong>es Kommentars n<strong>ich</strong>t enthalten.<br />

Sie schreiben von der Universalität der Menschenrechte und fordern, dass diese <strong>in</strong><br />

jedem Land e<strong>in</strong>gefordert werden müssten.<br />

Sie beze<strong>ich</strong>nen das cubanische Gesellschaftssystem als “Terrorsystem der Castro-<br />

Brüder”. Ich lebe seit nun<strong>mehr</strong> 9 Jahren mit me<strong>in</strong>er cubanischen Frau <strong>in</strong> Cuba <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em ländl<strong>ich</strong>en Gebiet, und <strong>ich</strong> fühle m<strong>ich</strong> dort sehr wohl. N<strong>ich</strong>t e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal b<strong>in</strong><br />

<strong>ich</strong> dort angefe<strong>in</strong>det oder schlecht behandelt worden, n<strong>ich</strong>t von Privatpersonen und<br />

n<strong>ich</strong>t von Behörden. Abgesehen von Bereitschafts- und Verkehrspolizisten mit<br />

Dienstpistolen sieht man <strong>in</strong> Cuba ke<strong>in</strong>e bewaffneten S<strong>ich</strong>erheitskräfte auf der Straße.<br />

Ich kann m<strong>ich</strong> <strong>in</strong> Cuba zu jeder Tages- und Nachtzeit an jedem Fleck der Insel ohne<br />

Angst aufhalten. Die Polizei und die S<strong>ich</strong>erheitskräfte haben s<strong>ich</strong> mir und me<strong>in</strong>en<br />

cubanischen Mitmenschen gegenüber immer korrekt verhalten. Mir ist aus Cuba<br />

n<strong>ich</strong>t e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Fall von Folter oder Misshandlungen <strong>durch</strong> S<strong>ich</strong>erheitsorgane zu<br />

Ohren gekommen. Der Staat bemüht s<strong>ich</strong> im Rahmen der bescheidenen<br />

ökonomischen Mögl<strong>ich</strong>keiten, die Grundbedürfnisse aller Bürger zu befriedigen. Das<br />

Gesundheitssystem erre<strong>ich</strong>t jeden Bürger bis <strong>in</strong> die abgelegensten Teile des Landes,<br />

me<strong>in</strong>e jetzt 5-jährige Tochter wächst <strong>in</strong> Cuba auf, und <strong>ich</strong> b<strong>in</strong> froh darüber. Alle<br />

K<strong>in</strong>der gehen zur Schule, man kümmert s<strong>ich</strong> um alle beh<strong>in</strong>derten Menschen.<br />

Rassistische Verhaltensweisen werden nirgends <strong>in</strong> Cuba geduldet, <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em<br />

cubanischen Betrieb werden diskrim<strong>in</strong>ierende Verhaltensweisen oder negative<br />

Äußerungen über Menschen anderer Hautfarbe toleriert.<br />

Bis 1959, also nachdem Cuba bereits 57 Jahre lang von den USA wirtschaftl<strong>ich</strong> und<br />

politisch dom<strong>in</strong>iert worden war traf ke<strong>in</strong>e der oben gemachten Aussagen auf das<br />

Land zu. Nur etwa die Hälfte der K<strong>in</strong>der g<strong>in</strong>g zur Schule, <strong>in</strong> den ländl<strong>ich</strong>en Gebieten<br />

lebten die Menschen <strong>in</strong> großem Elend, Hunger, Parasiten und fehlende ärztl<strong>ich</strong>e<br />

Versorgung waren die Regel, elektrischen Strom gab es <strong>in</strong> den ländl<strong>ich</strong>en Gebieten<br />

kaum. Das können Sie alles <strong>in</strong> der sozialwissenschaftl<strong>ich</strong>en Untersuchung “Rural<br />

Cuba” des US-Sozialwissenschaftlers Lowry Nelson von 1947 nachlesen. Jede Art<br />

von politischem Protest <strong>wurde</strong> unter Schusswaffengebrauch niedergeschlagen. Die<br />

USA <strong>in</strong>tervernierten <strong>mehr</strong>mals, um Streiks und Demonstrationen zu beenden und die<br />

Regierungswechsel nach ihren Interessen zu bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Es soll an dieser Stelle auch daran er<strong>in</strong>nert werden, daß die größte Wirtschafts- und<br />

Militärmacht der Erde seit über 60 Jahren mit allen (auch verbrecherischen)<br />

Methoden versucht, das rückgängig zu machen, was sie <strong>durch</strong> ihre eigene Politik<br />

nach 1902 mit verursacht haben. Und dass sie jährl<strong>ich</strong> offiziell 100 Millionen Dollar<br />

pro Jahr dafür ausgeben, um <strong>in</strong> Cuba, e<strong>in</strong> Land mit 12 Millionen E<strong>in</strong>wohnern,<br />

Unfrieden zu stiften und e<strong>in</strong>en Bürgerkrieg zu entfachen. Dafür nehmen die USA<br />

auch Tote <strong>in</strong> Kauf.


2<br />

All das ist wahr, le<strong>ich</strong>t nachprüfbar und sogar <strong>durch</strong> offizielle US-amerikanische<br />

Quellen belegbar.<br />

Wenn Sie wirkl<strong>ich</strong> gegen e<strong>in</strong>e gewaltsame Bekämpfung des cubanischen<br />

Gesellschaftssystems wären, müssten Sie zu allererst die US-Regierung kritisieren,<br />

die ja genau dies seit 60 Jahren tut und zwar mit Mitteln, die man nur noch als Krieg<br />

beze<strong>ich</strong>nen kann und die seit 1959 über 3000 Menschenleben <strong>in</strong> Cuba gekostet<br />

haben.<br />

Man kann s<strong>ich</strong>er über viele D<strong>in</strong>ge diskutieren, viele Probleme <strong>in</strong> Cuba s<strong>in</strong>d schlecht,<br />

unvollkommen oder gar n<strong>ich</strong>t gelöst. Viele Schwierigkeiten haben <strong>in</strong>terne Gründe,<br />

andere s<strong>in</strong>d extern bed<strong>in</strong>gt.<br />

Aber <strong>Herr</strong> Dr. <strong>Jüttner</strong>: E<strong>in</strong> Terrorregime?<br />

Wenn Cuba e<strong>in</strong> Terrorregime ist, wie sollten wir dann wohl die vielen anderen Länder<br />

beze<strong>ich</strong>nen, mit denen die Bundesrepublik zusammenarbeitet und <strong>in</strong> den letzten<br />

Jahrzehnten zusammengearbeitet hat, ohne dass auch nur e<strong>in</strong> kritisches Wort über<br />

die “Menschenrechte” <strong>in</strong> diesen Ländern zu vernehmen war? Blutrünstige Diktaturen<br />

auf dem gesamten Erdball gehörten und gehören dazu. Ich erlaube mir den Luxus,<br />

mir hier e<strong>in</strong>e Aufzählung zu ersparen. Im Jahresber<strong>ich</strong>t von Amnesty International<br />

s<strong>in</strong>d viele davon zu f<strong>in</strong>den.<br />

Sie s<strong>in</strong>d <strong>Professor</strong>, Akademiker, Mitglied des deutschen Bundestages. Ich muss<br />

sagen, <strong>ich</strong> b<strong>in</strong> erschüttert und empört darüber dass Sie, der Sie auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />

Namen im Parlament sitzen solch unglaubl<strong>ich</strong> niveaulose und falsche Behauptungen<br />

aufstellen über e<strong>in</strong> Land, das Sie wahrsche<strong>in</strong>l<strong>ich</strong> nie aus eigener Anschauung<br />

kennengelernt haben. Aber man muss n<strong>ich</strong>t e<strong>in</strong>mal alles selbst gesehen haben und<br />

kann trotzdem darüber Bescheid wissen.<br />

Ich weiß n<strong>ich</strong>t <strong>in</strong> welchen Fachgebieten Sie promoviert und habilitiert haben und<br />

aufgrund welcher politischen Kompetenzen Sie <strong>in</strong> den Bundestag gelangt s<strong>in</strong>d, aber<br />

<strong>ich</strong> kann nur hoffen, dass s<strong>ich</strong> bei Ihren Kenntnissen über Gesch<strong>ich</strong>te und die<br />

politische Gegenwart Cubas Ihr E<strong>in</strong>fluss auf außenpolitisch relevante<br />

Entscheidungen, die Cuba betreffen <strong>in</strong> Grenzen halten wird.<br />

Mit freundl<strong>ich</strong>en Grüßen<br />

Manfred Sill

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