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Sozialstandards<br />

Kernarbeitsnormen in Verträgen<br />

der Entwicklungszusammenarbeit<br />

Programmbüro Sozial- und Ökostandards


Herausgeber<br />

Deutsche Gesellschaft für<br />

Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH<br />

Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5<br />

Postfach 51 80<br />

65726 Eschborn<br />

Internet: www.gtz.de<br />

Programmbüro Sozial- und Ökostandards<br />

Telefon: ++49 (0)61 96 79-0<br />

Fax: ++49 (0)61 96 79-11 15<br />

Email: social-ecological-standards@gtz.de<br />

Verantwortlich & Redaktion<br />

Peter Kocks<br />

Autor<br />

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht, München<br />

Bildquellen<br />

Titelbild und Innenteil: J.Maillard, mit freundlicher Genehmigung<br />

der International Labour Organization (ILO)<br />

Produktion<br />

Walter Mühsam, pmk - projektmanagement kommunikation, Köln<br />

Email: muehsam@pmk-info.de<br />

Februar 2004<br />

Bemerkung<br />

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personen- und Berufsbezeichnungen<br />

in der Regel das Maskulinum verwendet. In solchen Fällen sind Frauen und Männer<br />

gemeint.<br />

Hinweis<br />

Die Produktion dieser Broschüre wurde unterstützt von dem Bundesministerium für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bonn<br />

Impressum


Inhaltsverzeichnis<br />

Kernarbeitsnormen in Verträgen der Entwicklungszusammenarbeit<br />

1. <strong>Der</strong> Gutachtensauftrag 5<br />

1.1 Gegenstand des Gutachtens 5<br />

1.2 Problemaufriss 6<br />

1.3 Aufbau des Gutachtens 7<br />

1.3.1 Vorbemerkung 7<br />

1.3.2 <strong>Der</strong> Aufbau im Einzelnen 7<br />

2. Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen 9<br />

2.1 Zum Begriff der internationalen Kernarbeitsnormen (Core Labour Standards) 9<br />

2.2 Definition der internationalen Kernarbeitsnormen auf der Grundlage 10<br />

der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte<br />

bei der Arbeit aus dem Jahr 1998 10<br />

2.2.1 Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit 10<br />

2.2.2 Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf 11<br />

2.2.3 Garantie von Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen 13<br />

2.2.4 Abschaffung der Kinderarbeit 13<br />

2.3 Zum Problem der Auslegung der internationalen Kernarbeitsnormen 14<br />

2.3.1 Auslegung durch den Internationalen Gerichtshof 15<br />

2.3.2 Auslegung durch das Internationale Arbeitsamt 15<br />

2.3.3 Auslegung durch das Sachverständigenkomitee 15<br />

2.3.4 Auslegung durch ad hoc einberufene Sachverständigenkommissionen 15<br />

2.3.5 Probleme bei der Ermittlung einer von allgemeinem Konsens<br />

getragenen Auslegung der Übereinkommen der IAO 16<br />

2.4 Defizite des von der IAO entwickelten Modells der internationalen<br />

Kernarbeitsnormen 17<br />

2.4.1 Defizite bei der Durchsetzung der internationalen Kernarbeitsnormen 17<br />

2.4.2 Selektive Erfassung relevanter Schutzstandards 18<br />

2.4.3 Formulierung der Normen ausschließlich als Staatenverpflichtungen 19<br />

3. Menschenrechte, Kernarbeitsnormen und Entwicklungszusammenarbeit 19<br />

3.1 Die Politik der Vereinten Nationen 19<br />

3.2 <strong>Der</strong> Vertrag über die Europäische Union 20<br />

3.3 Nationale Politikstrategien 20<br />

3.4 Menschenrechte und Finanzinstitutionen 21<br />

3.4.1 Weltbank 21<br />

3.4.2 International Finance Corporation 21<br />

3.4.3 Inter-Amerikanische Entwicklungsbank 22<br />

3.4.4 Asian Development Bank 22<br />

1


2<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

4. Kernarbeitsnormen und Welthandel 23<br />

4.1 Welthandelsorganisation 23<br />

4.2 Allgemeine Präferenzsysteme (APS) 24<br />

4.2.1 APS der USA 24<br />

4.2.2 EU-Richtlinie und APS 24<br />

4.3 Bilaterale Verträge 26<br />

4.3.1 Textilabkommen USA – Kambodscha 27<br />

4.3.2 Freihandelsabkommen USA – Jordanien 28<br />

4.4 Selbstverpflichtungen 29<br />

4.4.1 Sozial verantwortungsvolles Unternehmertum 29<br />

4.4.2 Verhaltenskodizes 30<br />

4.4.3 Ethischer Handel 30<br />

4.4.4 Sozialgütesiegel 31<br />

4.4.5 Global Compact 32<br />

4.4.6 Globale Rahmenabkommen 32<br />

5. Welthandelsrechtliche Vorgaben bei der Umsetzung von Kernarbeitsnormen 33<br />

5.1 GATT 33<br />

5.1.1 Meistbegünstigungsklausel 33<br />

5.1.2 Inländergleichbehandlung 34<br />

5.1.3 Ausnahmen 34<br />

5.2 Sonstige Übereinkommen 35<br />

5.3 Folgerungen 35<br />

6. Vergaberechtliche Vorgaben bei der Aufnahme von Kernarbeitsnormen 36<br />

6.1 Vorbemerkung 36<br />

6.2 WTO-Agreement on Government Procurement (WTO-GAP), 36<br />

6.3 Vergaberechtliche Probleme bei der Verankerung von Kernarbeitsnormen<br />

nach europäischem Recht 37<br />

6.3.1 Einleitung 37<br />

6.3.2 Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH 38<br />

6.3.2.1 Entscheidungen des EuGH zur Eignungsprüfung 38<br />

(1) „Kommission/Italienische Republik“ 1992 39<br />

(2) „Kommission/Italienische Republik“ 1994 40<br />

(3) Fazit 40<br />

6.3.2.2 Entscheidungen des EuGH zu den Zuschlagskriterien 41<br />

(1) Beentjes 41<br />

(2) Evans Medical 42<br />

(3) Nord-Pas-de-Calais 43<br />

(4) Concordia 44<br />

(5) Analyse der Rechtsprechung 46<br />

a) Voraussetzungen für die Zulässigkeit von<br />

vergabefremden Kriterien 46<br />

b) Vorliegen der Voraussetzungen bei Kernarbeitsnormen 47<br />

6.4 Vergaberechtliche Probleme nach deutschem Recht 48


Inhaltsverzeichnis<br />

6.4.1 Rechtslage nach § 97 GWB 48<br />

6.4.2 Spezielle vergaberechtliche Vorgaben bei Aufträgen<br />

unterhalb der Schwellenwerte 50<br />

6.4.3 Verfassungsrecht 51<br />

6.4.4 Sonstiges nationales Recht 51<br />

6.5 Zukünftige Entwicklung (Richtlinienvorschläge der Kommission) 52<br />

6.6 Primärrecht 55<br />

6.7 Folgerungen 57<br />

7. Möglichkeiten der Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen 58<br />

7.1 Vereinbarungsebene 58<br />

7.1.1 Aufnahme in Rahmenvereinbarungen 58<br />

7.1.2 Aufnahme in Einzelverträge 59<br />

7.1.2.1 Lieferverträge 60<br />

7.1.2.2 Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen 60<br />

7.1.2.3 Finanzierungszusagen, Darlehensverträge, Bürgschaften 60<br />

7.2 Technische Umsetzung 60<br />

7.2.1 Verweis auf die relevanten Normen der IAO 60<br />

7.2.2 Explizite Formulierung 61<br />

7.2.3 Verweis auf Selbstverpflichtungen 61<br />

8. Auslegung und Überprüfung der Kernarbeitsnormen im Rahmen<br />

einer Vertragsbestimmung 62<br />

8.1 Inhaltliche Auslegung<br />

8.1.1 Übereinstimmung mit der Spruchpraxis des Sachverständigenausschusses 62<br />

8.1.2 Autonome Auslegung durch die Vertragspartner 62<br />

8.2 Durchsetzbarkeit bei Streitigkeiten 62<br />

8.2.1 Gerichtliche Überprüfung 62<br />

8.2.2 Schiedsgerichtsvereinbarung 63<br />

8.2.3 Monitoring, Audit, Zertifizierung 64<br />

8.2.3.1 Social Accountability International 64<br />

8.2.2.2 Fair Labour Association 64<br />

8.2.2.3 Überprüfung durch die IAO 65<br />

9. Formulierungen für Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen<br />

in Verträgen der Entwicklungszusammenarbeit 65<br />

9.1 IAO 65<br />

9.1.1 Beschaffung von Gütern 66<br />

9.1.2 Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen 66<br />

9.2 Asian Development Bank (ADB) 67<br />

9.3 Federation of Consulting Engineers (FIDIC) 68<br />

9.4 Ghana Bridges for Feeder Roads Project 68<br />

9.5 India: Public Works Department 69<br />

9.6 Department of International Development (DFID) Interim Guidelines:<br />

proposed clauses 69<br />

3


4<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

10. Zusammenfassung und Ergebnis 70<br />

10.1 Rechtliche Möglichkeiten, die Umsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ)<br />

zu fördern 70<br />

10.1.1 Integration der Kernarbeitsnormen in das öffentliche Beschaffungswesen<br />

im allgemeinen 71<br />

10.1.2. Integration der Kernarbeitsnormen in das Beschaffungswesen der<br />

Entwicklungszusammenarbeit im besonderen 72<br />

10.1.2.1 in Rahmen- und Projektabkommen der Technischen Zusammenarbeit (TZ) 72<br />

10.1.2.2 in Darlehns- und Zuschussverträgen der finanziellen<br />

Zusammenarbeit (FZ) der KfW 73<br />

10.1.2.3 bei der Vergabe von Bürgschaften / Garantien für Exporte,<br />

Direktinvestitions- und ungebundene Finanzkredite 73<br />

10.2 Kontrollierbarkeit und Durchsetzbarkeit der rechtlichen Möglichkeiten<br />

mit einem vernünftigen Aufwand und Erzielung der gewünschten Wirkungen 73<br />

10.3 Entwicklung von Formulierungsvorschlägen zur Einbindung und<br />

Verankerung entsprechender Klauseln 74<br />

10.3.1 Rahmenverträge 74<br />

10.3.2 Einzelverträge 74<br />

10.3.2.1 Verträge im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens 74<br />

10.3.2.2 FZ-Verträge 75<br />

10.3.2.3 Bürgschaften / Garantien für Exporte, Direktinvestitions- und<br />

ungebundene Finanzkredite 75<br />

10.4 Entwicklung von realisierbaren Handlungsmöglichkeiten für das BMZ<br />

und andere Bundesressorts 76<br />

11. Literaturverzeichnis 78<br />

12. Abkürzungsverzeichnis 81


<strong>Der</strong> Gutachtensauftrag<br />

1. <strong>Der</strong> Gutachtensauftrag<br />

1.1 Gegenstand des Gutachtens<br />

Gegenstand des Gutachtens ist:<br />

a) die Darstellung der rechtlichen Möglichkeiten, die Umsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu fördern durch<br />

Integration dieser Normen<br />

(i) in das öffentliche Beschaffungswesen im allgemeinen und<br />

(ii) in das Beschaffungswesen der Entwicklungszusammenarbeit im besonderen<br />

in Rahmen- und Projektabkommen der Technischen Zusammenarbeit (TZ)<br />

in Darlehns- und Zuschussverträgen der finanziellen Zusammenarbeit (FZ) der KfW sowie<br />

bei der Vergabe von Bürgschaften / Garantien für Exporte, Direktinvestitionsund<br />

ungebundene Finanzkredite<br />

b) die Erörterung der Frage, inwiefern derartige rechtliche Möglichkeiten mit einem vernünftigen<br />

Aufwand durchsetzbar und kontrollierbar sind und die gewünschten Wirkungen erzielt<br />

werden können;<br />

c) die Entwicklung von Formulierungsvorschlägen, wie entsprechende Klauseln eingebunden<br />

und verankert werden können in:<br />

Verträge im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens<br />

Ausfuhrgewährleistungen und Kapitalgarantien und<br />

FZ-Verträge<br />

d) Die Entwicklung von realisierbaren Handlungsmöglichkeiten für das BMZ und andere Bundesressorts,<br />

wie sie sich aus den gefundenen Ergebnissen zu den vorgenannten Punkten ergeben.<br />

Die Kernarbeitsnormen beziehen sich auf folgende Regelungsbereiche:<br />

Vereinigungsfreiheit und Recht zur Kollektivverhandlung<br />

Verbot der Zwangsarbeit<br />

Unterbindung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit<br />

Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz<br />

Diese Kernarbeitsnormen sind im Einzelnen in folgenden Konventionen der IAO definiert:<br />

Nr. 29 Zwangsarbeit<br />

Nr. 87 Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts<br />

Nr. 98 Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen<br />

Nr. 100 Gleichheit des Entgelts<br />

Nr. 105 Abschaffung der Zwangsarbeit<br />

Nr. 111 Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf)<br />

Nr. 138 Beschäftigungsmindestalter<br />

Nr. 182 Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit<br />

5


6<br />

1.2 Problemaufriss<br />

<strong>Der</strong> Gutachtensauftrag<br />

Die Gutachtensfrage ist gerichtet auf die Gestaltung von Vertragsklauseln in Verträgen der<br />

Entwicklungszusammenarbeit, auf deren Durchsetzbarkeit und Kontrolle sowie auf das Aufzeigen<br />

von realisierbaren Handlungsmöglichkeiten. Mit der Aufnahme von Kernarbeitsnormen in<br />

Verträge der Entwicklungszusammenarbeit sollen internationale Normen in bilaterale Verträge<br />

umgesetzt werden. Die Beantwortung der konkreten Fragestellungen des Gutachtensauftrags setzt<br />

damit zunächst ein Eingehen auf grundsätzliche Fragen des Verhältnisses von internationalen<br />

Normen und nationalem Vertragsrecht voraus. Die internationalen Normen sollen durch die<br />

Aufnahme in Verträge Geltungskraft zwischen den Vertragsparteien erhalten. Eine solche rechtliche<br />

Wirkungsweise ist nicht etwa selbstverständlich, weil internationale Normen zunächst einmal<br />

durch die Ratifizierung nur die Staaten verpflichten, ihre nationale Rechtsordnung an diesen<br />

Standards auszurichten.<br />

Die andere Zielrichtung bedingt grundsätzliche Überlegungen über die internationalen Standards,<br />

ihre Entstehung, ihre Wirkungsweise, Kontrolle und Durchsetzbarkeit. Erst wenn diese<br />

Fragen geklärt sind, lässt sich beurteilen, ob und in welcher Weise die Geltungswirkung internationaler<br />

Normen unmittelbar auf das Vertragsrecht ausgedehnt werden kann und in welcher Weise<br />

sie kontrolliert und durchgesetzt werden können.<br />

Nun nimmt der Gutachtensauftrag eine Beschränkung auf Kernarbeitsnormen vor. Dieser<br />

Begriff hat einen internationalen Ursprung, der aufgezeigt werden muss, damit eine Erklärung<br />

für diese Beschränkung, die von der Sache her nicht unbedingt zwingend ist, gegeben wird. Mit<br />

der Begrenzung auf die Kernarbeitsnormen, wie sie die IAO definiert hat, erfolgt eine Konkretisierung<br />

auf acht IAO-Konventionen, für die zu erörtern ist, ob eine Umsetzung in Vertragsrecht<br />

möglich ist. Um dies prüfen zu können, ist der Regelungsinhalt dieser Konventionen darzustellen<br />

und zu analysieren. Insbesondere muss überlegt werden, ob die Normen der Konventionen zur<br />

Übernahme in Verträge geeignet sind oder einer konkretisierenden Interpretation bedürfen. Mit<br />

der Bezugnahme auf Kernarbeitsnormen in Verträgen werden zusätzliche Verpflichtungen begründet,<br />

die nicht unmittelbar die Hauptleistungen betreffen. Je nach Vertrag ist die Nähe zur<br />

Hauptverpflichtung eine unterschiedliche. Ob solche Nebenpflichten in Verträgen zulässig sind,<br />

bedarf einer eingehenden Prüfung. Insbesondere das Vergaberecht - neben anderen Bereichen<br />

des nationalen, supranationalen und internationalen Wirtschaftsrechts - könnte die Zulässigkeit<br />

solcher Vertragsbestimmungen, die die Einhaltung von Kernarbeitsnormen zur Vertragspflicht<br />

machen, einschränken.<br />

Nachdem dieser rechtliche Rahmen abgesteckt ist, kann für die einzelnen Vertragstypen geprüft<br />

werden, in welcher Form eine Bezugnahme auf Kernarbeitsnormen erfolgen kann und wie<br />

die Einhaltung einer solchen Verpflichtung überwacht und durchgesetzt werden kann. Dabei ist<br />

die Überlegung hilfreich, welche Beispiele aus anderen Bereichen es für die Übernahme von Kernarbeitsnormen<br />

gibt. Insoweit vorhandene Regelungen können als Formulierungsbeispiele dienen,<br />

sie identifizieren aber gleichzeitig die Felder, in denen eine erweiterte Geltung internationaler<br />

Standards bereits besteht und damit der Bedarf für eine weitere Regelung eingegrenzt wird.


<strong>Der</strong> Gutachtensauftrag<br />

1.3 Aufbau des Gutachtens<br />

1.3.1 Vorbemerkung<br />

Die Frage nach der Zulässigkeit der Aufnahme von Kernarbeitsnormen in Verträge der<br />

Entwicklungszusammenarbeit berührt mehrere Rechtsbereiche, die in sehr unterschiedlicher Art<br />

und Weise miteinander verzahnt sind. Zudem gibt es bereits seit geraumer Zeit - neben der allgemeinen<br />

Debatte über die "Sinnhaftigkeit" von Sozialklauseln, auf die hier nicht näher eingegangen<br />

werden soll 1 - eine spezifische Diskussion über die Einbindung von Kernarbeitsnormen in<br />

vertragliche Beziehungen, in deren Verlauf verschiedene Modelle der Um- und Durchsetzung<br />

entwickelt wurden. <strong>Der</strong> Aufbau des Gutachtens konnte sich daher im Aufbau nicht unmittelbar<br />

an den in den Terms of Reference (TOR) aufgeworfenen Fragen orientieren. Zunächst waren<br />

einige grundsätzliche Probleme der Implementierung von Kernarbeitsnormen, des Welthandelsund<br />

des Vergaberechts zu erörtern sowie eine Bestandsaufnahme des bisher Erreichten zu geben,<br />

um in einem abschließenden Teil auf die konkrete Fragestellung einzugehen.<br />

1.3.2 <strong>Der</strong> Aufbau im Einzelnen<br />

Die im Gutachtensauftrag auf der Grundlage der acht Übereinkommen der IAO erwähnten<br />

Kernarbeitsnormen haben einen sehr inhomogenen Regelungsgehalt und eine sehr unterschiedliche<br />

rechtstatsächliche Bedeutung. Zunächst wird kurz erläutert, welchen Regelungsinhalt die<br />

einzelnen Übereinkommen umfassen, welche Auslegungsprobleme sich ergeben können und welche<br />

Institutionen zur Auslegung berufen sind. Schließlich wird darauf eingegangen, welche Defizite<br />

sich bei der Durchsetzung der internationalen Kernarbeitsnormen ergeben. Überdies wird aufgezeigt,<br />

dass die Beschränkung auf die acht erwähnten Übereinkommen nicht unproblematisch ist,<br />

weil damit eine Reihe wichtiger Schutzvorschriften außer Acht bleiben, die wegen ihrer praktischen<br />

Relevanz hinsichtlich der geforderten Beachtung den Kernarbeitsnormen gleichgestellt<br />

werden sollten (Kap. 2).<br />

Die Aufnahme von Kernarbeitsnormen in (entwicklungspolitische) Verträge und Aktivitäten<br />

und deren Beachtung und Durchsetzung wird von einigen nationalen und internationalen Organisationen<br />

und Einrichtungen gefordert und gefördert. In den letzten Jahren sind im Rahmen des<br />

Völkerrechts und des Welthandelsrechts eine Reihe von Modellen entstanden, die diesem Anliegen<br />

Rechnung tragen wollen. Die Bundesrepublik Deutschland ist auf verschiedenen politischen<br />

Ebenen und als Mitglied einiger der Akteure sogar in diesen Prozess der Ausarbeitung von Modellen<br />

involviert. Bei diesen Modellen wurden Fragen der effizienten Umsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

diskutiert und teilweise Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen entwickelt.<br />

Diese Modelle können Vorbild für die Möglichkeiten sein, wie die Beachtung und Durchsetzung<br />

von Kernarbeitsnormen in Verträge der Entwicklungszusammenarbeit eingefügt werden kann.<br />

Deshalb wird aufgezeigt, welche Politiken und Strategien auf internationaler und nationaler Ebene<br />

zur Um- und Durchsetzung der Kernarbeitsnormen im Rahmen der Menschenrechte (Kap. 3)<br />

und des Welthandels (Kap. 4) bereits entwickelt wurden.<br />

Die Einführung von Kernarbeitsnormen in Beschaffungs- und Finanzierungsverträge kann<br />

zu Einschränkungen der Handelsfreiheit und zu Wettbewerbsnachteilen führen. Die Überein-<br />

1 Die Anwendung von Sozialklauseln ist keineswegs unumstritten, da sie vor allem von einigen<br />

Entwicklungsländern als neuer Weg zum Protektionismus angesehen werden.<br />

7


8<br />

<strong>Der</strong> Gutachtensauftrag<br />

kommen zum Welthandelsrecht und das Vergaberecht kennen eine Reihe von Vorschriften, die<br />

bestimmte Kriterien bei der Auswahl der Angebote grundsätzlich untersagen, um die Chancengleichheit<br />

der bei einer Ausschreibung konkurrierenden Anbieter zu wahren. Es wird diskutiert,<br />

in welchen Fällen die Rechtsprechung Ausnahmen von dieser strikten Handhabung zulässt.<br />

Daher werden die Vorgaben und Beschränkungen des Welthandelsrechts (Kap. 5) und des Vergaberechts<br />

(Kap. 6) für die Aufnahme von Kernarbeitsnormen in Verträge der Entwicklungszusammenarbeit<br />

diskutiert.<br />

Die Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen kann auf verschiedenen Regelungsebenen<br />

durchgeführt werden und technisch in unterschiedlicher Form erfolgen (Kap. 7).<br />

Schließlich stellt sich die Problematik der Auslegung der Kernarbeitsnormen bei Streitigkeiten<br />

und die Frage, welche Institution zur verbindlichen Auslegung befugt sein soll, um die vereinbarten<br />

Regelungen auch effektiv durchzusetzen (Kap. 8).<br />

Die Aufnahme von Kernarbeitsnormen bzw. die Einfügung von Mindeststandardklauseln<br />

wird von einigen Organisationen, unter anderem von der IAO selbst, bereits praktiziert. Diese<br />

Formulierungen werden als Grundlage für die zu entwickelnden Formulierungsvorschläge dargestellt<br />

(Kap. 9).<br />

In einem abschießenden Kapitel werden die im Auftrag formulierten Fragen beantwortet<br />

und einige Handlungsempfehlungen gegeben (Kap. 10).


Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

2. Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

2.1 Zum Begriff der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

(Core Labour Standards)<br />

Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, um internationale Kernarbeitsnormen<br />

(„core labour standards“), d.h. zum Schutz der Arbeitnehmer zwingend notwendige internationale<br />

Normen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts, zu definieren. Die Abgrenzung hat in zwei<br />

Richtungen zu erfolgen: es sind die Standards herauszustellen, die nicht nur regional, sondern<br />

universell Anerkennung finden. Außerdem ist eine Trennlinie zu ziehen zwischen allgemein wichtigen<br />

Schutznormen, auf die man sich im internationalen Bereich geeinigt hat und deren Beachtung<br />

empfohlen wird, und zwingend notwendigen, d.h. unverzichtbaren Normen, deren<br />

Außerachtlassung zu nicht tragbaren Belastungen für die Betroffenen führen würde.<br />

Ein Ansatz zur Definition von internationalen Kernarbeitsnormen wäre, eine Schnittmenge<br />

der von den verschiedenen Internationalen Organisationen 2 ausgearbeiteten und in Form von<br />

rechtsverbindlichen Konventionen 3 oder nicht-rechtsverbindlichen Empfehlungen 4 formulierten<br />

Vorgaben für die Gestaltung der nationalen Gesetzgebung zu bilden. Dabei wären die spezifischen<br />

arbeits- und sozialrechtlichen Normen, die auf eine Harmonisierung der verschiedenen<br />

nationalen Schutzsysteme abstellen und in der Regel progressiv zu verwirklichen sind, mit den<br />

Festlegungen zum Schutz der Menschenrechte in den grundlegenden Menschenrechtsabkommen<br />

miteinander abzugleichen; letztere werden nicht als an den Nationalstaat gerichtete Aufträge,<br />

sondern als dem einzelnen unmittelbar zuerkannte Rechtspositionen verstanden.<br />

Möglich wäre auch, ausgehend von den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen die jeweils<br />

für zwingend erachteten Schutznormen auf der Basis der Rechtsvergleichung herauszukristallisieren.<br />

Allerdings existiert auf internationaler Ebene bereits ein institutionalisierter Ansatz<br />

zur Bestimmung von „internationalen Kernarbeitsnormen“: die „Erklärung über grundlegende<br />

Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“, die die Internationale Arbeitsorganisation im Jahr 1998<br />

verabschiedet hat. Damit wurde erstmalig eine – wenn auch nicht rechtsverbindliche – Definition<br />

von „internationalen Kernarbeitsnormen“ von einer internationalen Organisation vorgelegt. Diesen<br />

Vorgaben kommt in der internationalen Diskussion besonderes Gewicht zu. Im Rahmen der<br />

WTO wird eine Anbindung an diese Mindeststandards überlegt 5 , die EU hat mit der Verordnung<br />

Nr. 2501/2001 des Rates vom 10.12.2001 bei der Ausgestaltung ihres Allgemeinen Präferenzsystems<br />

2 Zu erwähnen wären grundsätzlich die Internationale Arbeitsorganisation und die Vereinten Nationen auf<br />

internationaler Ebene sowie die verschiedenen regionalen Organisationen wie etwa der Europarat und die<br />

Organisation Amerikanischer Staaten.<br />

3 Als wichtigste Konventionen wären in diesem Bereich der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale<br />

und kulturelle Rechte (IPWSKR) sowie die (Revidierte) Europäische Sozialcharta und das Protokoll von<br />

San Salvador zu rechnen.<br />

4 Prominentestes Beispiel hierfür wäre die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die auch soziale<br />

Grundrechte enthält.<br />

5 Vgl. die Diskussionen auf der Ministerkonferenz von Singapur 1996, auf der zum ersten Mal die<br />

„international anerkannten Kernarbeitsnormen“ im Welthandelskontext erwähnt und die „Verpflichtung<br />

zur Achtung der international anerkannten grundlegenden Arbeitsnormen“ sowie die Zuständigkeit<br />

der IAO für diese festgestellt wurde, siehe dazu auch unten 4.<br />

9


10<br />

auf die Deklaration der IAO Bezug genommen und ihr damit nicht nur politische, sondern auch<br />

rechtliche Bedeutung zuerkannt 6.<br />

Aufgrund dessen werden in dem vorliegenden Gutachten unter „internationalen Kernarbeitsnormen“<br />

die in der Deklaration der IAO von 1998 enthaltenen Mindeststandards verstanden.<br />

Im Folgenden sollen sie im Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte und ihren Inhalt kurz<br />

charakterisiert, aber auch kritisch bewertet werden, bevor auf die Möglichkeiten zur Aufnahme<br />

derartiger Mindestforderungen in Verträge der Entwicklungszusammenarbeit eingegangen wird.<br />

2.2 Definition der internationalen Kernarbeitsnormen auf der<br />

Grundlage der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien<br />

und Rechte bei der Arbeit aus dem Jahr 1998<br />

Das Schwergewicht bei der Ausarbeitung der Erklärung über die grundlegenden Prinzipien<br />

und Rechte bei der Arbeit ist, diejenigen Rechte herauszustellen, die in verschiedenen internationalen<br />

Übereinkommen inner- und außerhalb der IAO entwickelt worden sind und die alle Mitgliedsstaaten<br />

der IAO, unabhängig davon, ob sie die entsprechenden Konventionen ratifiziert<br />

haben, bereits aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der IAO und damit aufgrund ihrer Bindung an die<br />

Verfassung der IAO einzuhalten haben. Ausgewählt werden damit die Normen, die auch grundrechtliche<br />

Bezüge aufweisen und in der Regel nicht nur in die internationalen Verträge, die sozialen<br />

Normen gewidmet sind - etwa den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und<br />

kulturelle Rechte (IPWSKR) und die Europäische Sozialcharta (ESC) -, sondern auch in politische<br />

Rechte kodifizierende Verträge wie den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische<br />

Rechte (IPBPR) und die Europäische Menschenrechtscharta (EMRK) Eingang gefunden haben.<br />

Dies gilt für das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit, das allgemeine Diskriminierungsverbot,<br />

die Garantie der Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Nur das Verbot<br />

der Kinderarbeit findet sich nicht in der EMRK und im IPBPR, sondern nur in der ESC und im<br />

IPWSKR. Ausgespart werden damit aber wesentliche Garantien im Bereich des Sozialrechts im<br />

engeren Sinn. Dies ist insofern hervorzuheben, als diese Rechte – historisch gesehen – zu den<br />

ersten gehören, denen die IAO eigene Konventionen gewidmet hat und die auch in den nationalen<br />

Rechtsordnungen als Priorität bei der Gesetzgebung angesehen wurden. In besonderem Maße<br />

gilt dies für die Garantie eines Arbeitsunfallschutzes im Fall von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten.<br />

2.2.1 Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit<br />

Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

Als „Zwangs- und Pflichtarbeit“ im Sinne von Übereinkommen Nr. 29 aus dem Jahre 1930<br />

gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner<br />

Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat (Art. 2 Abs. 1<br />

Übereinkommen Nr. 29). Nicht von dem Übereinkommen erfasst wird aber die Militärdienst-<br />

6 Vgl. die im Allgemeinen Präferenzsystem der EU vorgesehene Sonderregelung zum Schutz der<br />

Arbeitnehmerrechte, bei der auf die grundlegenden Übereinkommen der IAO und damit auf die Erklärung<br />

über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit abgestellt und auch auf die Bewertungen,<br />

Erläuterungen, Beschlüsse, Empfehlungen und Schlussfolgerungen der verschiedenen Aufsichtsorgane der<br />

IAO Bezug genommen wird, siehe dazu auch unten 4.


Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

pflicht, übliche Bürgerpflichten, Arbeitsleistung in Fällen höherer Gewalt, kleinere Gemeindearbeiten<br />

sowie – unter bestimmten Voraussetzungen – Gefangenenarbeit (Art. 2 Abs. 2 Übereinkommen<br />

Nr. 29). Die mit Übereinkommen Nr. 29 von den Vertragspartnern völkerrechtlich<br />

verbindlich übernommene Pflicht ist – legt man den Wortlaut zugrunde – nur progressiv: die<br />

Staaten haben darauf hinzuwirken, den Gebrauch der Zwangs- und Pflichtarbeit in all ihren Formen<br />

„möglichst bald“ zu beseitigen. Allerdings wird dies mittlerweile so verstanden, dass Zwangsarbeit,<br />

trifft nicht eine der explizit aufgezählten Ausnahmen zu, grundsätzlich verboten ist.<br />

Bei Übereinkommen Nr. 29 ist zu bedenken, dass es aus dem Jahr 1930 stammt und somit<br />

eine Vielzahl der Regelungen auf den kolonialen Kontext zugeschnitten und damit überholt sind.<br />

Dies gilt insbesondere für die detaillierten Regelungen zu Zwangs- oder Pflichtarbeit, die als<br />

Steuer gefordert bzw. für öffentliche Arbeiten von Häuptlingen in Ausübung von Verwaltungsbefugnissen<br />

beansprucht wird (Art. 10 ff). Auch wird davon ausgegangen, dass Zwangsarbeit –<br />

zumindest vorübergehend – noch weiter besteht; die Voraussetzungen für „zulässige“ Zwangsarbeit<br />

werden somit im einzelnen geregelt. <strong>Der</strong> Inhalt des Übereinkommens als Bestandteil der<br />

Kernarbeitsnormen wird aber auf ein Verbot der Zwangsarbeit, so wie es explizit auch im IPBPR<br />

(Art. 8) und in der EMRK (Art. 4), implizit im IPWSKR (Art. 6), und in der ESC (Art. 1 Nr. 2)<br />

enthalten ist, reduziert. Allerdings ist zu bedenken, dass sich die Normierungen in den einzelnen<br />

Menschenrechtspakten nach ihrem Wortlaut unterscheiden und auch von den jeweils zuständigen<br />

Auslegungsinstanzen unterschiedlich interpretiert werden.<br />

Übereinkommen Nr. 105 aus dem Jahre 1957 ergänzt Übereinkommen Nr. 29. Normiert<br />

werden fünf spezielle Fälle des Verbots der Zwangs- und Pflichtarbeit: (1) als Mittel politischen<br />

Zwangs oder politischer Erziehung oder als Strafe für bestimmte politische Meinungen; (2) als<br />

Mittel zur Rekrutierung von Arbeitskräften zur wirtschaftlichen Entwicklung; (3) als Maßnahme<br />

der Arbeitsdisziplin; (4) als Strafe für die Teilnahme an einem Streik; und (5) als Mittel zur rassischen,<br />

sozialen, nationalen und religiösen Diskriminierung. Die Vertragsparteien verpflichten sich,<br />

wirksame Maßnahmen zu treffen, um eine sofortige und vollständige Abschaffung solcher Zwangsund<br />

Pflichtarbeit sicherzustellen.<br />

2.2.2 Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf<br />

Bereits in der Verfassung der IAO von 1919 nehmen die Prinzipien der Gleichbehandlung<br />

und der Chancengleichheit einschließlich des Grundsatzes „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“<br />

eine wichtige Stelle ein 7. In der Erklärung von Philadelphia, die konstitutiver Bestandteil der<br />

Verfassung der IAO ist, wird das Prinzip nochmals explizit bekräftigt. Im Jahr 1951 wird mit<br />

Übereinkommen Nr. 100 den Vertragsparteien als verpflichtend vorgegeben, den Grundsatz der<br />

Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit zu fördern<br />

und, soweit es nach den bestehenden Verfahren zur Entgeldfestsetzung möglich ist, sicherzustellen.<br />

Dabei wird die Einführung von Methoden zur objektiven Bewertung der Beschäftigung<br />

aufgrund der erforderlichen Arbeitsleistung vorgesehen (Art. 3 des Übereinkommens 100). Die<br />

Vertragsparteien haben den Grundsatz zu verwirklichen auf der Grundlage der innerstaatlichen<br />

7 Vgl. Punkt 7 der in der Verfassung der IAO von 1919 zusammengestellten Grundsätze „von besonderer<br />

und Beschleunigung erheischender Wichtigkeit“: „der Grundsatz gleichen Lohnes ohne Unterschied der<br />

Geschlechts für eine Arbeit von gleichem Werte; abgedruckt bei Eckardt/Kuttig, Das internationale<br />

Arbeitsrecht im Friedensvertrage<br />

11


12<br />

Gesetzgebung, gesetzlich geschaffener oder anerkannter Einrichtungen zur Lohnfestsetzung sowie<br />

Gesamtarbeitsverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern (Art. 2 Abs. 2 der Übereinkommens<br />

Nr. 100).<br />

In Übereinkommen Nr. 111 aus dem Jahr 1958 wird der Begriff der Diskriminierung bezogen<br />

auf Beschäftigung und Beruf umfassend definiert:<br />

„jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung, die auf Grund der Rasse,<br />

der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung,<br />

der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft vorgenommen wird und die<br />

dazu führt, die Gleichheit der Gelegenheiten oder der Behandlung in Beschäftigung<br />

oder Beruf aufzuheben oder zu beeinträchtigen.“<br />

Gleichbehandlung wird als Politikziel formuliert:<br />

Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

„Jeder Mitgliedsstaat, für den diese Konvention in Kraft ist, übernimmt die Verpflichtung,<br />

eine nationale Politik zu erklären und zu verfolgen, die darauf ausgerichtet ist,<br />

mit für die nationalen Bedingungen und Praktiken geeigneten Methoden die Gleichheit<br />

der Gelegenheiten und der Behandlung bei Beschäftigung und Beruf zu fördern,<br />

wobei das Augenmerk auf die Eliminierung jeder Art von Diskriminierung in dieser<br />

Beziehung zu richten ist.“ (Art. 2)<br />

Auch hier werden also nach dem Wortlaut dem einzelnen keine Rechte zuerkannt, sondern<br />

vielmehr nur den jeweiligen Staaten die Verpflichtung aufgegeben, auf der politischen Ebene eine<br />

bestimmte Politik zu verfolgen. Diese umfasst nach Art. 3 des Übereinkommens den Erlass bzw.<br />

die Aufhebung von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften, die Einstellung von inkompatiblen<br />

Verwaltungspraktiken und die Sicherstellung einer nichtdiskriminierenden Vorgehensweise bei<br />

der Berufsberatung, Berufsausbildung und Arbeitsvermittlung.<br />

Nach Art. 1 Abs. 3 der Konvention Nr. 111 umfasst der Schutzbereich des Diskriminierungsverbots<br />

die Zulassung zur Berufsausbildung, den Zugang zu einer Beschäftigung allgemein sowie<br />

zu bestimmten Beschäftigungen und auch die Beschäftigungsbedingungen. Drei Formen der<br />

Ungleichbehandlung gelten jedoch nicht als Diskriminierung: (1) Unterscheidungen, Ausschließungen<br />

oder Bevorzugungen hinsichtlich einer Beschäftigung, die in den Erfordernissen dieser<br />

Beschäftigung begründet ist (Art. 1 Abs. 2); (2) Sondermaßnahmen, die auf die Bedürfnisse von<br />

bestimmten Personen aufgrund des Geschlechts, des Alters, einer Behinderung, Familienpflichten<br />

oder sozialer oder kultureller Stellung abzielen (Art. 5 Abs. 2); (3) Schutz- oder Hilfsmaßnahmen,<br />

die in anderen Instrumenten der IAO vorgesehen sind (Art. 5 Abs. 1). Außerdem sieht Art. 4 der<br />

Konvention als Rechtfertigungsgrund für diskriminierende Maßnahmen die Sicherheit des Staates<br />

vor.<br />

Anzumerken ist, dass die Staatsangehörigkeit nicht als Diskriminierungsgrund aufgeführt<br />

wird. Das in den Diskriminierungskatalogen aufgeführte Kriterium „nationale Herkunft“ ist damit<br />

nicht gleichzusetzen, sondern bezieht sich auf das Herkunftsland.


Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

2.2.3 Garantie von Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen<br />

Die Vereinigungsfreiheit ist als Basisbaustein der Tätigkeit der IAO anzusehen; sie wird bereits<br />

in den in der Verfassung von 1919 enthaltenen „Grundsätzen“ angesprochen und ist gleichermaßen<br />

in der Erklärung von Philadelphia enthalten.<br />

Gemäß Art. 2 des Übereinkommens Nr. 87 aus dem Jahr 1948 haben die „Arbeitnehmer und<br />

Arbeitgeber, ohne jeden Unterschied das Recht, ohne vorherige Genehmigung Organisationen<br />

nach eigener Wahl zu bilden und solchen Organisationen beizutreten.“ Dieses Recht wird in<br />

weiteren Bestimmungen des Übereinkommens Nr. 87 näher ausgeführt. Es umfasst u.a. das Recht,<br />

sich eine Satzung zu geben, Vertreter frei zu wählen sowie die freie Regelung der Geschäftsführung<br />

und Tätigkeit (Art. 3 des Übereinkommens Nr. 87). Ergänzend wird in Art. 2 des Übereinkommens<br />

Nr. 98 aus dem Jahre 1949 vorgeschrieben, dass Schutz gegen jede Einmischung in<br />

Bezug auf Bildung, Tätigkeit und Verwaltung der Gewerkschaften zu gewähren ist. Das Selbstbestimmungsrecht<br />

garantiert auch die Bildung bzw. den Beitritt zu Dachverbänden und internationalen<br />

Organisationen. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen dürfen im Verwaltungsweg<br />

weder aufgelöst noch zeitweilig eingestellt werden (Art. 4 des Übereinkommens Nr. 87).<br />

Übereinkommen Nr. 98 regelt – über die Normierungen in Übereinkommen Nr. 111 und 87<br />

hinaus – explizit das Diskriminierungsverbot im Hinblick auf Handlungen, die auf dem Recht<br />

auf Vereinigungsfreiheit beruhen. So darf die Anstellung nicht von einem Beitritt zu oder Austritt<br />

aus einer Gewerkschaft abhängig gemacht werden; gleichermaßen sind Entlassungen und<br />

andere Benachteiligungen aufgrund von Gewerkschaftszugehörigkeit bzw. Aktivitäten für eine<br />

Gewerkschaft verboten (Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens Nr. 98). Art. 4 des Übereinkommens<br />

Nr. 98 normiert das Recht auf Kollektivverhandlungen. Danach ist die Entwicklung und Anwendung<br />

von Verfahren zum freiwilligen Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen zur Regelung von<br />

Lohn- und Arbeitsbedingungen zu fördern.<br />

2.2.4 Abschaffung der Kinderarbeit<br />

Auch die Abschaffung der Kinderarbeit zählt zu den Verfassungsgrundsätzen der IAO; im<br />

ursprünglichen Text von 1919 8 ebenso wie in der Erklärung von Philadelphia ist sie an prominenter<br />

Stelle enthalten. Eines der ersten Übereinkommen der IAO, das Übereinkommen Nr. 5 über<br />

das Mindestalter in gewerblichen Betrieben aus dem Jahr 1919 ist dieser Thematik gewidmet. Es<br />

fixiert ein Mindestalter von vierzehn Jahren für die Beschäftigung in privaten und öffentlichen<br />

gewerblichen Betrieben und schreibt vor, dass diese Betriebe ein Register aller beschäftigten Personen<br />

unter sechzehn Jahren zu führen haben (Art. 3 und 4). Diese – noch auf einzelne Bereiche<br />

des Arbeitsmarkts beschränkten – Vorgaben werden in nachfolgenden Übereinkommen weiterentwickelt.<br />

In der Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit wird der<br />

aktuelle Stand der Rechtsentwicklung auf der Grundlage von Übereinkommen Nr. 138 und 182<br />

bestimmt.<br />

8 Vgl. Punkt 4 der Grundsätze: „die Beseitigung der Kinderarbeit und die Verpflichtung, die Arbeit Jugendlicher<br />

beiderlei Geschlechts so einzuschränken, wie es notwendig ist, um ihnen die Fortsetzung ihrer Ausbildung zu<br />

ermöglichen und ihre körperliche Entwicklung sicherzustellen“.<br />

13


14<br />

Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

Das Übereinkommen Nr. 138 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, eine innerstaatliche Politik zu<br />

verfolgen, die darauf abzielt, die tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit sicherzustellen. Dabei<br />

soll das Mindestalter für die Zulassung zur Arbeit fortschreitend auf einen Stand angehoben<br />

werden, bei dem die „volle körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen“ gesichert ist<br />

(Art. 1). Bei der Festsetzung des Mindestalters stehen den Vertragsstaaten verschiedene Alternativen<br />

zur Verfügung. Ein Ansatz ist, als Mindestalter 15 Jahre zu bestimmen; möglich ist aber<br />

auch, auf das Alter bei Beendigung der Schulpflicht abzustellen, sofern dies bei über 15 Jahren<br />

liegt. Von diesem Grundsatz gibt es aber verschiedene Ausnahmen. Zu Beginn kann auch ein<br />

Mindestalter von 14 Jahren festgesetzt werden; in diesem Fall muss aber fortlaufend Bericht erstattet<br />

werden, ob die Gründe für diese Regelung noch bestehen und ab welchem Zeitpunkt die<br />

Ausnahmeregelung nicht mehr in Anspruch genommen wird (Art. 2 Abs. 4 und 5). Ungefährliche<br />

Arbeiten, die mit der Schulpflicht in Einklang stehen, können ausnahmsweise bereits ab dem 13.<br />

Lebensjahr erlaubt werden (Art. 7 des Übereinkommens Nr. 138). Bei Arbeiten und Beschäftigungen,<br />

die „voraussichtlich für das Leben, die Gesundheit oder Sittlichkeit der Jugendlichen<br />

gefährlich sind“, liegt das Mindestalter bei 18 Jahren, kann aber in Ausnahmefällen auf 16 Jahre<br />

herabgesetzt werden (Art. 3 des Übereinkommens Nr. 138). Nach Art. 4 des Übereinkommens<br />

können für begrenzte Kategorien von Berufen allgemeine Ausnahmen gemacht werden, nicht<br />

jedoch, wenn dadurch Leben, Gesundheit oder Sittlichkeit gefährdet wird; auch besteht grundsätzlich<br />

die Möglichkeit, die Geltung des Übereinkommens auf bestimmte Wirtschaftszweige<br />

einzugrenzen (Art. 5 des Übereinkommens Nr. 138).<br />

Das 1999 verabschiedete Übereinkommen Nr. 182 greift aus dem Gesamtkontext „Kinderarbeit“<br />

diejenigen Formen heraus, die als besonders verwerflich angesehen werden, versucht also<br />

einen Mindest-Mindeststandard einzuführen. Als „schlimmste Formen der Kinderarbeit“ werden<br />

definiert: (a) alle Formen der Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken; (b) das Heranziehen,<br />

Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zur Prostitution, zur Herstellung von Pornographie<br />

oder zu pornographischen Darbietungen; (c) das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines<br />

Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten, insbesondere zur Gewinnung von und zum Handel mit Drogen;<br />

(d) Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird,<br />

voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist.<br />

Das Übereinkommen verpflichtet zum Verbot sowie zu unverzüglichen Maßnahmen zur tatsächlichen<br />

Beseitigung dieser Formen der Kinderarbeit, insbesondere durch Aktionsprogramme, die<br />

Einrichtung von Überwachungsmechanismen, Prävention und internationale Zusammenarbeit.<br />

2.3 Zum Problem der Auslegung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

Allerdings ist es nur ein erster Schritt, auf internationaler Ebene Mindeststandards in Form<br />

von rechtlich verbindlichen Normen festzulegen. Die Vorstellung, Rechtsnormen könnten eindeutige<br />

Vorgaben machen, die nicht der Auslegung bedürfen, ist eine Fiktion – ganz gleich, wie<br />

präzise die Normen auch gefasst sein mögen. Das gilt im internationalen Bereich ganz besonders,<br />

wo weitaus unterschiedlichere Vorstellungen herrschen als auf nationaler Ebene. So kann es nicht<br />

genügen, in einer Grundsatzerklärung nur auf bestimmte Konventionen als „internationale Kernarbeitsnormen“<br />

zu verweisen. Vielmehr ist auch zu klären, wer zur Auslegung im Einzelfall berufen<br />

ist, wie Streitigkeiten über die Auslegung zu klären sind und welche Grenzen der<br />

Rechtsfortbildung zu setzen sind, um nicht den bei Vertragsschluss erreichten Konsens in der<br />

Folgezeit zu unterminieren.


Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

2.3.1 Auslegung durch den Internationalen Gerichtshof<br />

In der Verfassung der IAO ist festgelegt, dass zur Auslegung der Verfassung wie auch der<br />

einzelnen Konventionen ausschließlich der Internationale Gerichtshof berufen ist (Art. 37 Abs. 1<br />

der Verfassung) 9 . In der Praxis hat sich diese Vorgabe aber als nicht praktikabel erwiesen; nur in<br />

sehr seltenen Fällen (insgesamt viermal) wurde der Ständige Internationale Gerichtshof in den<br />

30er Jahren in diesem Zusammenhang angerufen. <strong>Der</strong> nach dem 2. Weltkrieg zuständige Internationale<br />

Gerichtshof wurde überhaupt nicht befasst. Eine Rechtsprechung zu den Bestimmungen<br />

in der Verfassung und in den einzelnen Konventionen wurde somit nicht entwickelt; das institutionalisierte<br />

Auslegungsverfahren läuft leer.<br />

2.3.2 Auslegung durch das Internationale Arbeitsamt<br />

Nichtsdestotrotz ist die Auslegung der Bestimmungen der Verfassung und der Konventionen<br />

in vielen Fällen strittig, und zwar nicht nur, wenn es um die Frage geht, ob ein Staat, der eine<br />

Konvention ratifiziert hat, seinen Rechtspflichten auch tatsächlich nachkommt, sondern auch im<br />

Vorfeld der Ratifikation, wenn die Staaten, die bestimmte Vertragspflichten zu übernehmen bereit<br />

sind, den Umfang und Zuschnitt dieser Pflichten klären wollen. In diesem Zusammenhang<br />

hat sich eine informelle Form der Auslegung durch das dazu nicht autorisierte Internationale<br />

Arbeitsamt in Genf entwickelt. Es antwortet auf einzelne Anfragen präzise, betont dabei aber<br />

immer die Unverbindlichkeit der Hinweise. Die Anfragen und Antworten werden von der IAO<br />

veröffentlicht.<br />

2.3.3 Auslegung durch das Sachverständigenkomitee<br />

Ebenso wie das Internationale Arbeitsamt ist auch das seit 1926 tätige Sachverständigenkomitee<br />

zur IAO (Committee of Experts on the Application of Conventions and<br />

Recommendations) nicht zur Auslegung der Bestimmungen der Konventionen zuständig; nach<br />

der ursprünglichen und auch in der Folgezeit nicht abgeänderten Konzeption soll es ausschließlich<br />

technischen und beratenden Charakter haben und zur Interpretation des Rechts gerade nicht<br />

befugt sein. Dennoch wird die Tätigkeit des Sachverständigenkomitees bei der Abfassung der<br />

Stellungnahmen zu den Staatenberichten als „Rechtsprechung“ angesprochen; grundlegend sind<br />

einerseits die allgemeinen Überblicke („General Surveys“), andererseits die Stellungnahmen zu<br />

Einzelproblemen, die bei der Beurteilung der Rechtslage in den verschiedenen Mitgliedsstaaten<br />

auftreten.<br />

2.3.4 Auslegung durch ad hoc einberufene Sachverständigenkommissionen<br />

Schließlich ist auch noch zu bedenken, dass die im Zusammenhang mit Beschwerde- und<br />

Klageverfahren ad hoc einberufenen, jeweils aus drei Mitgliedern bestehenden Sachverständigenkommissionen<br />

bei ihrer Schlichtungstätigkeit gezwungen sind, die einzelnen Bestimmungen der<br />

Abkommen auszulegen, um zu einem Ergebnis im Hinblick auf die Einhaltung oder Nicht-Einhaltung<br />

der Vertragspflichten durch den jeweiligen Mitgliedsstaat zu kommen.<br />

9 Bis 1945 war der Ständige Internationale Gerichtshof zuständig.<br />

15


16<br />

Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

2.3.5 Probleme bei der Ermittlung einer von allgemeinem Konsens<br />

getragenen Auslegung der Übereinkommen der IAO<br />

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es äußerst problematisch ist, eine von einem<br />

allgemeinen Konsens getragene Auslegung der Übereinkommen der IAO – auch der in der Erklärung<br />

von 1998 als grundlegend erachteten Übereinkommen – zu finden. Will man aber die Kernarbeitsnormen<br />

nach dem Modell der IAO in Einzelverträge aufnehmen – sei es durch wörtliche<br />

Übernahmen, sei es durch Verweise -, so ist es unverzichtbar klarzustellen, was etwa unter „Zwangsarbeit“<br />

oder „Diskriminierung“ zu verstehen ist. Andernfalls können Verletzungen nicht eindeutig<br />

festgestellt und an die Verletzung derartiger Vertragsklauseln keine Sanktionen geknüpft werden.<br />

Die Problematik sei kurz an zwei Beispielen veranschaulicht:<br />

<strong>Der</strong> Schutzbereich des Diskriminierungsverbots nach Art. 1 Abs. 3 der Konvention<br />

Nr. 111 umfasst, wie bereits kurz dargestellt, unter anderem auch die Beschäftigungsbedingungen.<br />

Offen ist, ob davon auch die an die Arbeitsstelle anknüpfende Einbindung<br />

in soziale Sicherheitssysteme erfasst wird; ausgehend vom Wortlaut ließen sich<br />

Argumente für die eine wie auch die andere Position finden. Eine verbindliche Entscheidung<br />

zu der Frage ist nicht erfolgt; das Sachverständigenkomitee geht von einer<br />

Erstreckung des Diskriminierungsverbots auch auf die zu einem System sozialer<br />

Sicherheit zu zahlenden bzw. diesen Zahlungen gegenüberstehenden Leistungen aus.<br />

Das wohl bekannteste Beispiel ist die Frage, ob mit den Übereinkommen Nr. 87 und<br />

98 der IAO auch das Streikrecht garantiert wird. Die historische Auslegung spricht<br />

dagegen, da bei der Ausarbeitung der Konventionen gerade kein Kompromiss zu der<br />

Frage erzielt werden konnte, so dass man sich entschloss, einen entsprechenden<br />

Verweis nicht aufzunehmen. Dementsprechend lässt sich aus dem Wortlaut ein<br />

Streikrecht nicht entnehmen. Dennoch hält das Sachverständigenkomitee ebenso wie<br />

die Untersuchungsausschüsse zu Verstößen gegen die Vereinigungsfreiheit daran fest,<br />

dass ein Streikrecht aus den Konventionen Nr. 87 und 98 ableitbar sei.<br />

Damit erweist es sich als notwendig, dass bei der Aufnahme von Kernarbeitsnormen nach<br />

dem Modell der IAO in Einzelverträge geklärt wird, wer über die Auslegung der Normen entscheidet.<br />

Dabei sind verschiedene alternative Lösungen denkbar. Die Weichenstellung müsste im<br />

Hinblick darauf erfolgen, ob eine autonome Auslegung – unabhängig von den, wie dargestellt<br />

nicht autoritativen, im Rahmen der IAO gegebenen Interpretationen – gewünscht wird oder aber<br />

ob eine Ankoppelung an das Normverständnis der Institutionen der IAO bevorzugt wird. Letzteres<br />

erscheint im Hinblick auf eine Harmonisierung und Abgleichung von Mindeststandards auf<br />

internationaler Ebene als eindeutig vorzugswürdig. Es enthebt aber nicht der Notwendigkeit, für<br />

Zweifelsfälle bei der Vertragsauslegung eine eigenständige Instanz vorzusehen, die sich ihrerseits<br />

zwar an der Auslegung durch das IAA und das Sachverständigenkomitee der IAO orientieren<br />

könnte, die aber auch zur Beantwortung von Fragen zuständig wäre, zu denen sich aus der Spruchpraxis<br />

der Institutionen der IAO keine Antwort ergibt.


Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

2.4 Defizite des von der IAO entwickelten Modells<br />

der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

Das von der IAO in der Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit<br />

entwickelte Modell von internationalen Kernarbeitsnormen ist in mehrfacher Hinsicht nicht befriedigend.<br />

Neben den bereits angesprochenen Unsicherheiten bei der Auslegung der Normen<br />

lassen sich Defizite bei der Durchsetzung aufzeigen, die dazu führen, Alternativmodelle – wie<br />

eben die Aufnahme von entsprechenden Klauseln in Handels- oder Vergabeverträge – zu überlegen.<br />

Allerdings ist fraglich, inwieweit die von der IAO definierten Kernarbeitsnormen aufgrund<br />

ihrer Struktur dafür überhaupt tauglich bzw. inwieweit Anpassungen erforderlich sind. Außerdem<br />

werden nicht alle notwendigen Schutzstandards erfasst.<br />

2.4.1 Defizite bei der Durchsetzung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

Ziel der Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit ist nicht nur,<br />

diejenigen Standards aus der Fülle der Konventionen und Empfehlungen der IAO herauszugreifen,<br />

die als Kernarbeitsnormen anzusprechen sind, sondern auch, die Ratifikation der acht als<br />

grundlegend definierten Konventionen zu fördern 10 . In dem Follow-up-Verfahren zu der Erklärung<br />

werden deshalb von denjenigen Staaten, die die acht Konventionen noch nicht ratifiziert<br />

haben, entsprechende Berichte über den Stand der Gesetzgebung gefordert. Zugleich wird die Ratifikation<br />

dieser Übereinkommen mit politischem Druck, aber auch mit verstärkter technischer Hilfe gefördert.<br />

Um eine effektive Beachtung der Kernarbeitsnormen auch tatsächlich zu gewährleisten, reicht<br />

dieses System aus den folgenden Gründen nicht aus:<br />

Die Normen geben den Staaten, die Mitglieder der IAO sind, in der Regel bestimmte<br />

Politikziele vor. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird primär an der jeweils geltenden<br />

Gesetzeslage überprüft. Die tatsächliche Umsetzung der Normen kann von dem<br />

Kontrollkomitee, das auf Informationen aus dem der Kontrolle unterworfenen Staat<br />

angewiesen ist, nur sehr eingeschränkt überprüft werden.<br />

Das Kontrollsystem baut auf einem Dialog auf. Nur ganz ausnahmsweise (in der fast<br />

90jährigen Geschichte der IAO nur ein einziges Mal im Fall von Myanmar) werden<br />

Sanktionen ergriffen. Oftmals werden aber gleichbleibende Verstöße über viele Jahre<br />

angemahnt, ohne dass Änderungen erfolgen würden.<br />

Probleme werden tendenziell eher in den Ländern aufgedeckt, in denen gesellschaftliche<br />

Kontrollsysteme und Gewaltenteilung grundsätzlich funktionieren; nicht zu<br />

erfassen sind oftmals die Schwierigkeiten bei der Normumsetzung in Staaten mit<br />

prekären politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen.<br />

10 Die Anzahl der Ratifikationen der Übereinkommen ist zwar hoch im Vergleich zu den anderen<br />

Übereinkommen (Übereinkommen Nr. 29: 161 Ratifikationen; Übereinkommen Nr. 100: 160 Ratifikationen;<br />

Übereinkommen Nr. 105: 159 Ratifikationen; Übereinkommen Nr. 87: 141 Ratifikationen; Übereinkommen<br />

Nr. 98: 152 Ratifikationen; Übereinkommen Nr. 111: 158 Ratifikationen; Übereinkommen Nr. 138: 121<br />

Ratifikationen; Übereinkommen Nr. 182: ); allerdings gibt es immer noch eine Reihe von Staaten, die nur eine<br />

kleine Teilmenge der als grundlegend erachteten Übereinkommen ratifiziert haben. Dies gilt beispielsweise<br />

auch für die USA, die nur zwei der in der Deklaration genannten Übereinkommen ratifiziert hat.<br />

17


18<br />

Bestimmung der internationalen Kernarbeitsnormen<br />

Rechtsverletzungen des einzelnen werden vom System der IAO grundsätzlich nicht<br />

erfasst, es sei denn, sie wären systematisch und von politischer Brisanz.<br />

Die Arbeitsbedingungen in Internationalen Konzernen werden von dem auf die<br />

einzelnen Staaten als Mitglieder der IAO abstellenden System nicht erfasst.<br />

Die Bezugnahme auf Klauseln, die Kernarbeitsnormen festlegen, in Vergabeverträgen kann<br />

nur in sehr eingeschränktem Umfang als geeignetes Mittel zur Überwindung der aufgezeigten<br />

Defizite angesehen werden. Zumindest würde damit aber erreicht, dass über die Kontrolle der<br />

Gesetzgebung einzelner Staaten hinaus ein relevanter Bereich wirtschaftlicher Betätigung im zwischenstaatlichen<br />

Bereich in Übereinstimmung mit den Kernarbeitsnormen abgewickelt würde.<br />

Bestenfalls ließe sich damit eine Ausstrahlungswirkung auf andere Formen wirtschaftlicher Betätigung<br />

– auch solcher ohne internationalen Bezug – erwarten.<br />

2.4.2 Selektive Erfassung relevanter Schutzstandards<br />

Legt man internationalen Vergabeverträgen die in dem Modell der IAO entwickelten Kernarbeitsnormen<br />

zugrunde, so spart man damit aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer wesentliche<br />

Schutzstandards aus.<br />

Dies gilt zum einen im Hinblick auf Mindestnormen zur Arbeitssicherheit, die in Konvention<br />

Nr. 28 (Occupational Safety and Health) der IAO festgelegt sind. Aufgrund des grundrechtezentrierten<br />

Ansatzes bei der Abfassung der Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und<br />

Rechte bei der Arbeit sind diese Vorschriften nicht in den neu definierten Mindestbestand aufgenommen<br />

worden. Dass diese Vorgaben wesentlich sind und als Arbeitnehmerschutzklauseln in<br />

Verträge mit aufzunehmen wären, ist unbestreitbar. Zudem zeigt der Blick in die Geschichte der<br />

Arbeiterschutzgesetzgebung, dass Vorschriften im Bereich des Arbeitsschutzes zu den ersten fundamentalen<br />

Forderungen gehörten.<br />

Eng damit verbunden ist die Notwendigkeit, die Absicherung des einzelnen in einem Arbeiterunfallschutzsystem<br />

ebenfalls zu den Mindeststandards zu rechnen. Auch hierbei handelt es sich<br />

um ein Problem, das von einem auf allgemein geschützte Grundrechtespositionen ausgerichteten<br />

Ansatz nicht erfasst wird, dennoch aber im Interesse der jeweils betroffenen Arbeiter und Arbeiterinnen<br />

zentral ist.<br />

Weniger zwingend, dennoch aber in diesem Zusammenhang zu diskutieren ist, ob nicht auch<br />

sonstige sozialrechtliche Absicherungen für die Risiken Alter, Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit<br />

sowie im Fall der Mutterschaft zu den Kernarbeitsnormen gehören sollten.<br />

Die Tatsache, dass die IAO sozialrechtliche Schutzansprüche bei der Deklaration über die<br />

grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit nicht aufgegriffen hat, erklärt sich daraus,<br />

dass die entsprechenden Übereinkommen bisher nur von vergleichsweise wenigen Staaten ratifiziert<br />

worden sind. Gemessen am jeweiligen Ratifikationsstand war es folgerichtig, die sozialrechtlichen<br />

Konventionen nicht zum absoluten Kernbestand zu rechnen.


Menschenrechte, Kernarbeitsnormen und EZ<br />

2.4.3 Formulierung der Normen ausschließlich als Staatenverpflichtungen<br />

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die IAO-Konventionen regelmäßig Verpflichtungen<br />

an die Staaten formulieren, die nicht unmittelbar auf die Vertragsparteien von Vergabeverträgen<br />

zu übertragen sind. Will man in diesen Verträgen auf die entsprechenden Konventionen der IAO<br />

Bezug nehmen, wäre in jedem Einzelfall zu klären, wie die jeweilige Vertragspflicht konkret zu<br />

verstehen ist. In der Regel wären progressiv zu erfüllende Pflichten als unmittelbar geltend zu<br />

formulieren. Aber auch die jeweiligen Ausnahmetatbestände wären im einzelnen zu definieren<br />

3. Menschenrechte, Kernarbeitsnormen und Entwicklungszusammenarbeit<br />

Die Wiener Weltkonferenz über Menschenrechte und der Weltsozialgipfel in Kopenhagen<br />

1995 hatten grundlegende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie internationale Organisationen<br />

Entwicklungszusammenarbeit planen und durchführen. Im Zusammenhang mit der Verwirklichung<br />

der Menschenrechte ist deshalb die Durchsetzung von Kernarbeitsnormen bereits<br />

seit längerem Politikziel verschiedener Institutionen, in denen die Bundesrepublik Deutschland<br />

Mitglied ist bzw. einiger nationaler Organisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig<br />

sind. Die Durchsetzung von Kernarbeitsnormen in konkreten entwicklungspolitischen Vorhaben<br />

kann sich daher auf eine Reihe von Vorarbeiten dieser internationalen und nationalen Institutionen<br />

stützen oder sich deren Erfahrungen und Ergebnisse zu Nutzen machen. Außerdem können<br />

sie auf der politischen Ebene eventuell aufgrund eines größeren Einflusses dieser Organisationen<br />

die Durchsetzung von Kernarbeitsnormen forcieren und gegebenenfalls auf die bereits vorhandenen<br />

Ressourcen – etwa bei der Überwachung der Einhaltung der Kernarbeitsnormen - zurückzugreifen<br />

3.1 Die Politik der Vereinten Nationen<br />

In den Vereinten Nationen stehen mit dem Reformprogramm des Generalsekretärs seit 1997<br />

die Menschenrechte als durchgängiges Ziel aller Aktivitäten (« mainstreaming ») auf der Agenda.<br />

Positive Erfahrungen machte UNICEF, das seine Arbeit völlig auf die Kinderrechtskonvention<br />

(KRK) ausgerichtet hat. <strong>Der</strong> Hochkommissar für Menschenrechte ist verantwortlich für die<br />

Umsetzung des „mainstreaming“. Die Wiener Konferenz forderte eine stärkere Zusammenarbeit<br />

aller Teile der Vereinten Nationen in Menschenrechtsfragen. Die Menschenrechte sind auch in<br />

die UN Millenium Development Goals integriert. 11<br />

Anlässlich der Wiener Weltkonferenz 1993 wurde der Zusammenhang zwischen Menschenrechten<br />

und Entwicklung hergestellt und die Unteilbarkeit aller Menschenrechte unterstrichen.<br />

Auch wurde eine Klausel über die Auswirkungen von Aktivitäten der Vereinten Nationen auf die<br />

Menschenrechte aufgenommen. <strong>Der</strong> sog. « Rights-based approach » ist eine auf Menschenrechte<br />

hin orientierte Entwicklungszusammenarbeit in einem konzeptuellen Rahmen für menschliche<br />

Entwicklung, der normativ auf internationalen Menschenrechtsstandards basiert und operationell<br />

11 Mit den UN Millenium Development Goals wurden mehrere Ziele zur Verbesserung der Lage der Menschen<br />

in Entwicklungsländern formuliert, die bis 2015 erreicht werden sollen, wie z.B. die Halbierung der von<br />

Hunger betroffenen Menschen, aber auch die Sicherung ökologischer Nachhaltigkeit.<br />

19


20<br />

auf den Schutz und die Förderung der MR ausgerichtet ist. Dieser Ansatz integriert internationale<br />

Menschenrechte in Pläne, Politiken und Prozesse der Entwicklung. Zur Umsetzung wird Rückgriff<br />

auf Empfehlungen der Vertragsorgane für Menschenrechte genommen. UNICEF und IAO<br />

arbeiten mit diesem Ansatz, letztere nunmehr verstärkt durch « strategic bugeting » und<br />

Multidisciplinary Advisory Teams (MDT). 12<br />

Das United Nations Development Assistance Framework (UNDAF) setzt einen Rahmen<br />

zur Planung aller Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit in den Systemen der Vereinten<br />

Nationen auf Länderebene. Das Common Country Assessment (CCA) bildet die Basis für<br />

Planungsprozesse und gibt »Guidelines » für den Resident Coordinator. Diese Guidelines sind<br />

ein von Experten entwickeltes sog. „Mainstreaming Tool“. Das Kapitel über « decent work » geht<br />

weit über internationale Kernarbeitsnormen hinaus.<br />

3.2 <strong>Der</strong> Vertrag über die Europäische Union<br />

<strong>Der</strong> Vertrag über die Europäische Union sieht die Fortentwicklung und Förderung der Menschenrechte<br />

als ausdrückliches Ziel der Entwicklungszusammenarbeit an. 13 (Art. 177-2 EGV). Im<br />

Übereinkommen von Cotounu finden sich ausführliche Verweise zu den relevanten<br />

Menschenrechtsinstrumenten, einschließlich denen der IAO. Im Rahmen des Politischen Dialogs<br />

sind Menschenrechts-Assessments vorgesehen 14 sowie die Pflicht zur Beachtung der Kernarbeitsnormen<br />

und eine Zusammenarbeit in diesem Bereich 15 . Die Menschenrechte sind ein « Wesensmerkmal<br />

» des Vertrages, die ein Konsultationsverfahren auslösen können, bei besonderer<br />

Dringlichkeit auch « geeignete Maßnahmen » 16 . Für die Umsetzung der Menschenrechte sind beträchtliche<br />

finanzielle Mittel vorgesehen und die Kommission stellt vermehrte Aufwendungen<br />

für den Bereich der Internationalen Kernarbeitsnormen bereit.<br />

3.3 Nationale Politikstrategien<br />

Auf nationaler Ebene verweisen inzwischen so gut wie alle nationalen Strategien zur internationalen<br />

Entwicklungszusammenarbeit in irgendeiner Form auf die Menschenrechte, wobei sich<br />

jedoch qualitative Unterschiede ergeben: Menschenrechte als allgemeines Ziel, ausgesprochene<br />

Menschenrechtsprojekte, oder Menschenrechte als Querschnittsmaterie im Sinnes des<br />

Mainstreamings. <strong>Der</strong> letztgenannte Ansatz ist am anspruchsvollsten und bedarf einer expliziten<br />

Methodologie. Die meisten Hauptgeberländer beziehen sich auf Normen der Vereinten Nationen<br />

bzw. der ILO (z. B. Schweden, Großbritannien).<br />

12 Diese weltweit etwa 16 Multidisciplinary Advisory Teams (MDT) wurden im Rahmen der Active Partnership<br />

Policy (APP) gegründet und sollen die spezifischen regionalen Bedürfnisse durch einen beständigen Prozess<br />

des Dialogs und der Zusammenarbeit angehen. Eine Reihe von Spezialisten bietet Dienste u.a. im Bereich der<br />

Internationalen Arbeitsstandards, der Sozialen Sicherheit, der Arbeitssicherheit und der Beseitigung von<br />

Kinderarbeit an.<br />

13 Art. 177 Abs. 2 EGV.<br />

14 Art. 8 Abs. 4 Übereinkommen.<br />

15 Art. 50, Präambel.<br />

16 Art 96 Übereinkommen.<br />

Menschenrechte, Kernarbeitsnormen und EZ


Menschenrechte, Kernarbeitsnormen und EZ<br />

3.4 Menschenrechte und Finanzinstitutionen 17<br />

3.4.1 Weltbank<br />

Innerhalb der Weltbank gibt es eine laufende Diskussion darüber, inwieweit die Weltbank<br />

Menschenrechte in ihre Arbeit integrieren kann. 18 Trotz verschiedener Bekenntnisse zu der Unterstützung<br />

der Verwirklichung der Menschenrechte wird die Rolle der Weltbank sehr kritisch<br />

beurteilt. 19<br />

3.4.2 International Finance Corporation<br />

Die International Finance Corporation (IFC) ist Mitglied der Weltbankgruppe und die größte<br />

multilaterale Quelle für die Finanzierung von Projekten im privaten Sektor in Entwicklungsländern.<br />

Die Bundesrepublik ist Mitgliedsstaat bei IFC. 1998 wurde vom Verwaltungsrat der IFC ein<br />

policy statement zur Zwangsarbeit und Kinderarbeit abgegeben. 20 Dieses policy statement reflektiert<br />

aber nur unzureichend das Ziel der Abschaffung aller Kinderarbeit. Während für Kinderarbeit<br />

und Zwangsarbeit Definitionen 21 vorgegeben sind, wird für die anderen Kernarbeitsnormen<br />

nur auf nationale Gesetze und relevante, d.h. ratifizierte Übereinkommen abgestellt. 22<br />

Es existieren ausführliche Anweisungen für Mitarbeiter, soweit Kinderarbeit betroffen ist. 23<br />

Die Mitarbeiter haben sich auf das IAO-Übereinkommen Nr. 138 zu stützen. Projektvorschläge<br />

mit « schädlicher Kinderarbeit » werden nicht weiterverfolgt, wenn keine Änderungen vorgenommen<br />

werden (mitigation plan).<br />

Beobachtungen bei laufenden Projekten sind zu melden und Maßnahmen zu ergreifen, bis<br />

die Situation gelöst ist. Es bestehen Anweisungen an Projektbetreiber über ordnungsgemäßes<br />

Verhalten. Die Corporate Citizenship Facility dient als Einrichtung zur Förderung von Verant-<br />

17 Ausführlich dazu Ulrike Suchsland-Maser, Menschenrechte und die Politik multilateraler Finanzinstitute,<br />

Eine Untersuchung unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten an den Beispielen der Weltbank, des<br />

Währungsfonds und regionaler Entwicklungsbanken, Frankfurt a.M. 1999.<br />

18 Vgl. dazu World Bank, Development and Human Rights: The Role of the World Bank, Washington 1998.<br />

19 Vgl. etwa Korinna Horta, Rhetoric and Reality: Human Rights and the World Bank, Harvard Human Rights<br />

Journal, Vol. 15, Spring 2002, 228 – 244; ebenso Gernot Brodnig, The World Bank and Human Rights:<br />

Mission Impossible?, Carr Center for Human Rights Policy Working Paper T-01-05.<br />

20 International Finance Corporation, IFC Policy Statementon Forced Labor and Harmful Child Labor,<br />

March 1998, http://www.ifc.org/enviro/EnvSoc/childlabor/Child_and_Forced_Labor.pdf<br />

21 ‚Forced Labour’ consists of all work or service, not voluntarily performed, that is exacted from<br />

an individual under threat of force or penalty. ,Harmful Child Labor’ consists of the employment of children<br />

that is economically exploitative, or is likely to be hazardous to, or interfere with the child’s education,<br />

or to be harmful to the child’s health, or physical, mental spiritual, moral or social development.<br />

22 Zu den Erfahrungen des IFC vgl. International Finance Corporation, The Environmental and Social<br />

Challenges of Private Sector Projects: IFC’s Experience, Lessons of Experience Number 8,<br />

Washington D.C., 2002, http://www.ifc.org.<br />

23 IFCEnvironment Division, Harmful Child Labor: Interim Guidance, July 8, 1999.<br />

21


22<br />

wortung der Unternehmen in sozialen und Umweltbelangen. Personen, die durch ein IFC-Projekt<br />

betroffen sind, können sich (auch über Internet) beim Compliance Advisor / Ombudsman<br />

beschweren. 24<br />

3.4.3 Inter-Amerikanische Entwicklungsbank<br />

Die Bundesrepublik ist Mitglied der Inter-Amerikanischen Entwicklungsbank (IAEB). Aus<br />

den relevanten Dokumenten ergibt sich kein klares Verfahren, wie eine Überprüfung hinsichtlich<br />

der Kernarbeitsnormen vorgenommen wird. Während für Kinderarbeit und Zwangsarbeit international<br />

Definitionen vorgegeben sind, ist für die anderen Kernarbeitnormen jeweils nationales<br />

Recht maßgeblich. Die Bestimmungen bezüglich Kinderarbeit und Zwangsarbeit folgen denen<br />

der International Finance Coorporation.<br />

3.4.4 Asian Development Bank<br />

Menschenrechte, Kernarbeitsnormen und EZ<br />

Die Asian Development Bank (ADB), bei der auch die Bundesrepublik Deutschland Mitglied<br />

ist, stützt sich ausdrücklich auf die Tatsache, dass alle ihre asiatischen Mitgliedsländer -<br />

außer Bhutan – als Mitglieder der IAO durch eine Erklärung von 1998 den Kernarbeitsnormen<br />

verpflichtet sind. Im Beschaffungswesen wird festgelegt, dass:<br />

„ADB financed procurement of goods and services, contractors, sub-contractors amd<br />

consultants will comply with the country’s labor legislation (e.g. minimum wages, safe<br />

working conditions, and social security contributions, etc.) as well as with Core Labor<br />

Standards.“<br />

<strong>Der</strong> Fortschrittsbericht bezüglich der Sozialstrategie an den Verwaltungsrat der ADB vom<br />

September 2002, 25 stellt fest, dass<br />

„no ADB intervention has been reported to violate compliance to the core<br />

labor standards.“<br />

Vielmehr werden im Gegenteil eine Reihe von ADB Projekten aufgelistet, die zur Beseitigung<br />

von Verletzungen von Kernarbeitsnormen beigetragen hätten. Im Falle von vier Projekten<br />

wurden die Kreditnehmer aufgefordert, bestimmte Maßnahmen zu treffen. Ein Schulprojekt in<br />

Pakistan musste etwa Vorkehrungen zugunsten der Teilnahme von Mädchen und anderen benachteiligten<br />

Gruppen treffen. In Zusammenarbeit mit der IAO wurde ein Handbuch für ADB-<br />

Mitarbeiter entworfen, das die Kapazität der ADB zum Entwurf und bei der Durchführung von<br />

Projekten im Einklang mit den internationalen Kernarbeitsnormen erhöhen soll. Die Zusammenarbeit<br />

der IAO und der ADB wurde im Wege eines Memorandum of Understanding formalisiert.<br />

24 Zu diesem Überprüfungsverfahren vgl. Compliance Advisor Ombudsman, A Review of IFC’s Safeguard<br />

Policies, Core Business: Achieving Consistent and Excellent Environmental and Social Outcomes,<br />

January 2003, http://www.cao-ombudsman.org.<br />

25 Asian Development Bank, Social Protection Strategy, Progress Report to the Board of Directors,<br />

September 2002, S. 29 http://www.adb.org/Documents/Reports/Social_Protection/INI-252.pdf


Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

4. Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

4.1 Welthandelsorganisation<br />

Die Welthandelsorganisation ist 1995 aus den Uruguay-Verhandlungen (1986-1994) des GATT<br />

der International Trade Organisation (ITO) hervorgegangen. Die ITO wurde auf Betreiben der<br />

USA der ein Jahr vorher gegründeten UNO zur Gründung vorgeschlagen. Die Gründung der<br />

ITO scheiterte an der Weigerung der Ratifizierung der Charta der ITO, die u.a. eine Sozialklausel 26<br />

enthielt.<br />

Bei Gründung der WTO wurde keine vergleichbare Sozialklausel ausgearbeitet. Die Übernahme<br />

von Kernarbeitsnormen in die WTO ist ein Thema, welches Gegenstand heftigster Diskussionen<br />

27 und Kampagnen 28 ist. Fragen betreffend Kernarbeitsnormen kommen innerhalb der<br />

WTO indirekt auf. Als Beispiele von Maßnahmen betreffend Arbeitnehmerrechte, die WTOrelevant<br />

sind, seien genannt:<br />

innerstaatliche Regelungen, die zwischen Produkten auf der Basis von<br />

Arbeitsstandards unterscheiden,<br />

Einfuhrverbote wegen Menschenrechtsverletzungen,<br />

Anforderungen bez. Gütesiegel mit Arbeitsnormenbezug (Handelshemmnis)<br />

Öffentliches Beschaffungswesen (Massachusetts Fall – Burma, EU-USA).<br />

Als Rahmenbedingung gilt, dass die Streitbeilegungsorgane keine WTO-fremden Normen anwenden<br />

können, jedoch ist das WTO-Recht im Lichte dieser auszulegen. In bisherigen Fällen (USA-<br />

Shrimp Fall 29 ) wurde der Inhalt externer Abkommen als faktische Information berücksichtigt.<br />

26 Die ITO-Sozialklausel besagte, dass:<br />

- « Members recognize that all countries have a common interest in the achievment and mainenance of<br />

fair labour standards related to productivity, and thus the improvement of wages and working conditions<br />

as productivity permit. »<br />

- « unfair labour conditions create difficulties in international trade »<br />

- eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der IAO zur Hebung der Arbeitsstandards besteht,<br />

- die ITO in Sachen Arbeitsstandards (einschl. Streitbeilegung) mit der IAO konsultieren und<br />

kooperieren soll.<br />

27 Sean Turnell, Core Labour Standards and the WTO, Economic and Labour Review, Vol. 13, No. 1, June 2000.<br />

28 Vgl. z.B. Mark Anner, ICFTU Campaign for Core Labour Standards in the WTO, January 2001.<br />

29 United States-Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the Appellate Body<br />

12.10.1998, WT/DS58/AB/R. Die USA hatten ein Importverbot für Krabben aus Ländern, die kein von den<br />

USA anerkanntes Programm zur Vermeidung der Tötung von Seeschildkröten beim Fang implementiert<br />

hatten, verhängt. Das Verbot wurde vom AB für unvereinbar mit den GATT-Regelungen gehalten. Eine<br />

Rechtfertigung nach Art. XX GATT wurde zwar prinzipiell für möglich erklärt, im vorliegenden Fall aber<br />

abgelehnt, da die Voraussetzungen des „chapeau“ als nicht erfüllt angesehen wurden, vgl. dazu auch unten<br />

Ausführungen zu Fn. 63.<br />

23


24<br />

4.2 Allgemeine Präferenzsysteme (APS)<br />

Allgemeine Präferenzsysteme (APS) gewähren Staaten eine Vorzugsbehandlung bei der Einfuhr<br />

von Waren, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Seit geraumer Zeit wird auch<br />

die Erfüllung von Arbeitnehmerrechten zur Vorbedingung für die Gewährung von Präferenzen<br />

gemacht. Beispielhaft sollen hier die APS der USA und der Europäischen Union vorgestellt werden;<br />

erstere, weil sie ausdrücklich den Kernarbeitsnormen vergleichbare Standards aufstellen,<br />

letztere, weil die Bundesrepublik als Mitglied der Europäischen Union die europarechtlichen Bestimmungen<br />

beachten muss.<br />

4.2.1 APS der USA<br />

Die APS-Bestimmungen über Handel und Arbeitnehmerrechte sind im Trade Act 1974 niedergelegt.<br />

Ein weiteres Beispiel ist etwa der Carribean Economic Recovery Act 1983. Historischer<br />

Vorläufer ist das Gesetz betreffend die Gefängnisarbeit. Die APS-Bestimmungen beinhalten folgende<br />

« International anerkannte Arbeitnehmerrechte »:<br />

(1) das Vereinigungsrecht;<br />

(2) das Recht auf Kollektivverhandlungen;<br />

(3) das Verbot jeder Art von Zwangs- oder Pflichtarbeit;<br />

(4) ein Mindestalter für die Beschäftigung von Kindern, und das Verbot der<br />

schlimmsten Formen der Kinderarbeit; und<br />

(5) annehmbare Arbeitsbedingungen bezüglich Mindestlöhnen, Arbeitsdauer;<br />

sowie berufliche Sicherheit und Gesundheit.<br />

Es gibt keine weitere Definition oder Hinweis auf die IAO-Standards. Als Ausnahme ist die<br />

schlimmste Formen der Kinderarbeit gemäß IAO-Übereinkommen Nr. 182 zu nennen, die aber<br />

erst im August 2002 eingefügt wurde. Es fehlt das Verbot der Diskriminierung. Das IAO-Übereinkommen<br />

Nr. 111 wurde nicht ratifiziert, liegt aber im Senat. <strong>Der</strong> Präsident hat dem Kongress<br />

periodische Berichte über die Arbeitnehmerrechte vorzulegen (Teil der State Department Berichte<br />

über Menschenrechte). An den periodischen Überprüfungen nehmen Unternehmen und Gewerkschaften<br />

teil. <strong>Der</strong> Verfahrensausgang ist oft an den IAO-Empfehlungen orientiert, aber es<br />

besteht keine formelle Bindung. Kritisch ist anzumerken, dass die APS nur selektive Anwendung<br />

finden und allgemein wichtige Produkte wie z.B. Textilwaren von den APS ausgeschlossen sind.<br />

Die handelspolitische Bedeutung der APS ist daher gering. 30<br />

4.2.2 EU-Richtlinie und APS<br />

Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

Das Allgemeine Präferenzsystem (APS oder Generalized System of Preferences – GSP)<br />

stützt sich in dem Regelungswerk des GATT auf die sog. „enabling clause“, die eine Ausnahme<br />

zu der Meistbegünstigungsklausel darstellt, indem sie eine Vorzugsbehandlung von Entwicklungsländern<br />

erlaubt. Die „enabling clause“ ist 1979 in Form einer Entscheidung der Vertragsparteien<br />

30 Importe aus Staaten, die in den Genuss der APS kamen, machten nur 1/8 der Gesamtimporte der USA aus.<br />

Insgesamt wurden 1999 nur 1,3 % der US-Importe zollfrei aus APS-Ländern eingeführt, UNCTAD,<br />

Handbook on the Scheme of the United States of America – Generalized System of Preferences, (INT/97/<br />

A06), Juni 2000, http://www.unctad.org/en/docs/itcdtsbmisc58_en.pdf.


Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

des GATT zustande gekommen 31 und sollte vor allem das APS absichern, das von der Welthandelskonferenz<br />

1971 eingeführt worden war. Die Rechtsnatur und die Wirkung der „enabling clause“<br />

sind nicht genauer geklärt worden. Ebenso ist unklar, aber im Ergebnis unstreitig, dass sie unter<br />

dem WTO Regime weitergelten soll 32.<br />

Die Europäische Union hat mit Wirkung vom 01.01.1998 eine Sozialklausel in das APS eingeführt,<br />

wonach sie sich verpflichtet, Entwicklungsländern, die einige der Kernarbeitsnormen<br />

einhalten, Zollpräferenzen – und damit bessere Importbedingungen – einzuräumen. Diese Politik<br />

ist mit der Präferenzpolitik der USA vergleichbar, die jedoch stärker auf die Verweigerung entsprechender<br />

Handelserleichterungen bei Nichtbeachtung der Sozialstandards abgestellt ist 33 . Mit<br />

der Verordnung 2501/2001 des Rates vom 10. Dezember 2001 34 hat die EU ihr APS stärker auf<br />

das Normensystem der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) ausgerichtet. Vor der Reform<br />

von 2002 galt nur Zwangsarbeit als Aussetzungsgrund für die APS und es existierte keine Verbindung<br />

zu der Anwendungspraxis der IAO. Als Reaktion auf das schlechte Funktionieren der alten<br />

Regelungen wurde auf die IAO-Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der<br />

Arbeit vom 19. Juni 1998 verwiesen. Die Sozialklausel des APS stellt nun auf alle acht grundlegenden<br />

Konventionen der IAO ab und zieht zudem die Entscheidungen der IAO-Kontrollorgane<br />

heran. Die mit der Prüfung von Anträgen auf eine Sonderegelung befassten EU-Organe sollen<br />

„von den Bewertungen, Erläuterungen, Beschlüssen, Empfehlungen und Schlussfolgerungen der<br />

verschiedenen Aufsichtsorgane der IAO“ ausgehen. 35 Mit dieser Verschränkung wird die EU-<br />

Position mit der Position der IAO bezüglich Internationaler Kernarbeitsnormen in Einklang gebracht.<br />

36<br />

Verschiedene Verfahren sind bei der WTO das APS betreffend eingeleitet, aber noch nicht<br />

entschieden worden. Brasilien hat sich gegen die unter dem APS bestehenden Vergünstigungen<br />

unter der Bezeichnung „special arrangements supporting measures to combat drugs“ gewandt.<br />

Es hält die hieraus resultierende zollfreie Einfuhrmöglichkeit von löslichem Kaffee für bestimmte<br />

Länder für nicht vereinbar mit Art. I GATT und der „enabling clause“ 37 . Allerdings bestehen<br />

zwischen dieser Klausel und der Sozialklausel im APS der EU wesentliche Unterschiede. Die<br />

31 Differential and More Favourable Treatment, Reciprocity and Fuller Participation of Developing Countries,<br />

Decision of the Contracting Parties of 28 November 1979, L/4903, GATT, BISD 26S/203 (1980),<br />

Art. 1: “Notwithstanding the provisions of Article I of the General Agreement, contracting parties may<br />

accord differential and more favourable treatment to developing countries, without according such<br />

treatment to other contracting parties.”<br />

32 Stoll/Schorkopf, Rn. 125.<br />

33 Wolffgang/Feuerhake in Aufderheide/Gabrowski, 147, 153.<br />

34 ABl. L Nr. 346 v. 21.12.2001, 1 ff.<br />

35 Verordnung Nr. 2501/2001, Erwägungsgrund 19.<br />

36 Ausführlich dazu Ölz, Martin, Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation im Licht<br />

der neuen handelspolitischen >>Sozialklausel


26<br />

Sozialklausel enthält detaillierte Vorgaben, Regelungen zur Überprüfung durch die Kommission<br />

sowie Beobachtungs- und Durchsetzungsmechanismen, so dass sie bessere Aussichten auf Bestand<br />

hat 38. Indien und Thailand haben Verfahren gegen das APS der EU bei der WTO anhängig<br />

gemacht, in denen sie ebenfalls einen Verstoß gegen Art. I GATT (Meistbegünstigungsklausel)<br />

und gegen die „enabling clause“ geltend machen 39 . Indien wendet sich dabei ausdrücklich gegen<br />

die Sozialklausel 40 .<br />

Die ICFTU hat Ende 2002 die Aussetzung der an Weißrussland gewährten APS-Präferenzen<br />

gefordert. Nach Feststellungen des Normenausschusses der IAO von 2001 auf die Beschwerde<br />

belarussischer Gewerkschaften ist die Vereinigungsfreiheit nach der Konvention Nr. 87 nicht<br />

gewährleistet. 41 Am 11. Februar hat das Europäische Parlament eine Entschließung verabschiedet,<br />

in der es die Kommission auffordert, eine Untersuchung der Vereinigungsfreiheit und gegebenenfalls<br />

ein Aussetzungsverfahren für die Handelspräferenzen einzuleiten. 42 Formell besteht<br />

zwar kein Antragsrecht « Dritter », doch besagt die Verordnung Nr. 2501/2001:<br />

„Erhält die Kommission oder ein EU-Mitgliedsstaat Informationen, „die eine Aussetzung<br />

rechtfertigen könnten“ und von denen sie glauben, dass sie eine ausreichende<br />

Grundlage für eine Untersuchung sind, haben diese den Ausschuss für Allgemeine<br />

Präferenzen zu informieren. Nach Konsultation im Ausschuss kann die Kommission<br />

eine Untersuchung einleiten.“<br />

<strong>Der</strong> Fall liegt beim Ausschuss für Vereinigungsfreiheit.<br />

4.3 Bilaterale Verträge<br />

Bilaterale Verträge gewähren ähnlich wie Allgemeine Präferenzsysteme den Vertragspartnern<br />

Vorzugskonditionen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Als Beispiel werden zwei<br />

bilaterale Verträge vorgestellt, die die Vereinigten Staaten geschlossen haben und in denen die<br />

eingeräumten Präferenzen mit der Beachtung von Kernarbeitsnormen verknüpft werden. <strong>Der</strong><br />

Abschluss eines ähnlichen Abkommens mit Vietnam steht gegenwärtig zur Diskussion. 43<br />

38 Cremona in de Búrca / Scott, 151, 162 f.<br />

39 European Communities – Conditions for the granting of tariff preferences to developing countries,<br />

WT/DS246/1, 12.03.2002 (Indien); European Communities – Generalized System of Preferences,<br />

WT/DS242/1, 12.12.2001 (Thailand).<br />

40 Ausführlich Ölz, ZIAS 2002, 319 ff.<br />

Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

41 Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit<br />

und Verteidigungs<br />

42 Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union<br />

und Belarus: auf dem Weg zu einer künftigen Zusammenarbeit (2002/2164(INI)), Erwägung 26.<br />

43 Nicole J. Sayres, The Vietnam-U.S. Textile Agreement Debate: Trade Pattern, Interests, and Labor Rights,<br />

Report for Congress, The Library of Congress, Congressional Research service, June 21, 2002.


Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

4.3.1 Textilabkommen USA – Kambodscha<br />

Seit 1995 ist mit zunehmender politischer Stabilität der Textilwarenexport in die USA und<br />

die EU sprunghaft angestiegen. Während 1995 rund 18.700 Arbeiter in 20 Produktionsstätten<br />

beschäftigt waren, waren sechs Jahre später rund 188.000 Personen in 236 Fabriken tätig. Die<br />

Ausfuhr von Textilwaren in die USA entsprach 2001 80 Prozent aller kambodschanischen Exporte<br />

überhaupt. Kambodscha ist noch nicht WTO-Mitglied, die Aufnahme ist jedoch absehbar. Die<br />

USA sind dann ohnehin zum stufenweisen Abbau von Quoten für Textilien bis zum Jahr 2005<br />

verpflichtet. Vor diesem Hintergrund ist auch die Arbeitsrechtskomponente zu verstehen. In<br />

dem am 20. Januar 1999 geschlossenen bilateralen Abkommen wird die Verpflichtung Kambodschas<br />

festgeschrieben, ein Programm der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Textilsektor<br />

im Einklang mit nationalem und internationalem Arbeitsrecht durchzuführen. 44 Im Gegenzug<br />

verpflichten sich die USA zur finanziellen Unterstützung.<br />

Die IAO wurde gebeten, ein Projekt zur Überprüfung der Umsetzung und Beachtung der<br />

Kernarbeitsnormen auszuarbeiten und zu überwachen. Im Januar 2001 begann das Garment<br />

Sector Working Conditions Improvement Project, 45 das die teilnehmenden Firmen überprüft.<br />

Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, dass nur der formelle Sektor erfasst wird, nicht jedoch<br />

eine Verbesserung im umfangreichen informellen Sektor erreicht wird.<br />

Die Ziele und Aufgaben des Projekts:<br />

(1) Die Errichtung und Betreibung eines unabhängigen Systems zur Überwachung<br />

der Arbeitsbedingungen im Textilsektor;<br />

(2) Unterstützung der Regierung, falls erforderlich, bei der Ausarbeitung neuer<br />

Gesetze und Verordnungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen;<br />

(3) Bewusstseinsbildung unter Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezüglich<br />

internationaler Kernarbeitsnormen und Arbeitnehmer- und Arbeitgeberrechte im<br />

kambodschanischen Arbeitsrecht; Erhöhung der Fähigkeit der Arbeitgeber- und<br />

Arbeitnehmer, die Arbeitsbedingungen durch eigene Bemühungen zu verbessern;<br />

und die Erhöhung der Fähigkeit der Regierungsbediensteten, die Befolgung der<br />

internationalen Kernarbeitsnormen und des innerstaatlichen Arbeitsrechts<br />

sicherzustellen.<br />

Bei den Modalitäten besteht grundsätzlich keine Teilnahmepflicht für Unternehmen. Die<br />

Teilnahme ist jedoch Voraussetzung für die Partizipation an der Quotenausschöpfung. Es gibt ein<br />

Verfahren zur Registrierung, wobei in einem Memorandum of Understanding freier Zugang für<br />

Kontrolleure gewährleistet wird. Es ist eine Stellungnahme der Unternehmen zu den Berichten<br />

44 Zur Situation vgl. U.S. Embassy, Phnom Penh Cambodia, Political and Economic Affairs office,<br />

Labour Trends Report – April 2002, http://www.usembassy.state.gov/Cambodia/wwwf005.pdf<br />

45 International Labour Organization, Third Synthesis Report on the Working Conditions Situation in<br />

Cambodia’s Garment Sector, Juni 2002,<br />

http://www.ilo.org/public/english/dialogue/ifpdial/publ/cambodia3.htm<br />

27


28<br />

abzugeben sowie eine Diskussion dazu zu führen. Sofern keine Maßnahmen zur Abhilfe von<br />

Missständen getroffen werden, erfolgt nach gewisser Zeit eine Nennung im Quartalsbericht. 46<br />

Das bilaterale Handelabkommen wurde am 31. Dezember 2001 für weitere drei Jahre bis 31.<br />

Dezember 2004 verlängert, 47 wobei die USA zusätzlich zur „automatischen Erhöhung“ der Quote<br />

eine zusätzliche Erhöhung von 9 Prozent (von 14 Prozent) aufgrund der Situation bezüglich<br />

der Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften zugestanden. Das neue Abkommen sieht<br />

nunmehr eine jährliche zusätzliche Quotenerhöhung von bis zu 18 Prozent vor.<br />

4.3.2 Freihandelsabkommen USA – Jordanien<br />

Dieses Freihandelsabkommen 48 wurde am 24. Oktober 2000 unterzeichnet. Anders als im<br />

NAFTA-Abkommen werden die Kernarbeitsnormen nicht als Nebenaspekt behandelt, sondern<br />

in das Abkommen selbst aufgenommen. 49<br />

Zentrale Vorschrift ist Artikel 6:<br />

Bekräftigung der Verpflichtungen beider Teile im Rahmen der Erklärung von 1998<br />

zu agieren, Verpflichtung zur Umsetzung der Kernarbeitsnormen im nationalen Recht<br />

Bekräftigung, dass der Handel nicht durch eine Lockerung des Arbeitsrechts gefördert<br />

werden soll<br />

Recht beider Teile « domestic standards » zu setzen, die im Einklang mit den international<br />

anerkannten Kernarbeitsnormen stehen<br />

Verpflichtung zur effektiven Anwendung nationaler Gesetze bei freier Wahl der Mittel<br />

(« reasonable exercise of discretion », bona fide decisions regarding allocation of<br />

resources »)<br />

Interessant erscheinen die Bestimmungen betreffend der effektiven Anwendung. Im Vergleich<br />

dazu verlangen die APS der EU ebenfalls die effektive Anwendung, beinhalten aber keine<br />

vergleichbaren Detailregelungen. Amerikanische NGOs fürchten die Entfernung der Klausel über<br />

die Einhaltung von Kernarbeitsnormen 50 , deren Aufnahme nicht unumstritten war. 51 Sie fordern<br />

46 Am 23. September 2002 waren 204 Unternehmen zur Teilnahme am Projekt registriert, wobei bis zu diesem<br />

Zeitpunkt Kontrollergebnisse für 65 Unternehmen vorlagen, die 67.565 Frauen und 8.243 Männer<br />

beschäftigten.<br />

47 Für eine Verlängerung sprach sich u.a. das Lawyers Committee for Human Rights aus, vgl. Schreiben vom<br />

26.11.2001, http://www.lchr.org/workers_rights/wr_cambodia/wr_cambodia.htm<br />

48 Jagdish Bhagwati, The Jordan Free Trade Agreement: The Wrong Template, Testimony before<br />

Senate Finance Committee, 20. März 2001, www.senate.gov/~finance/032001jbtest.pdf<br />

49 dazu Richard Wilson, Worker Rights and the New Jordan Trade Agreement, 13. Dezember 2000,<br />

http://www.mafhoum.com/press3/87E18.htm<br />

50 Lawyers Committee (Fn. 47). - Fußnote 51 siehe gegenüberliegende Seite<br />

Kernarbeitsnormen und Welthandel


Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

ein internationales Überwachungssystem. Außerdem ist es ihr Bestreben, vergleichbare<br />

Arbeitnehmerschutzrechte in das Central American Free Trade Agreement (CAFTA) aufzunehmen,<br />

dessen Aushandlung für 2003 vorgesehen ist. 52<br />

4.4 Selbstverpflichtungen<br />

Neben den formellen staatlichen Initiativen zur Umsetzung der Kernarbeitsnormen gibt es<br />

eine Reihe von sonstigen Ansätzen, die sich auf freiwilliger Basis dazu verpflichten, die Durchsetzung<br />

sozialer Arbeitsbedingungen zu fördern. Diese Initiativen sind zum Teil aus der Umweltbewegung<br />

hervorgegangen. In den letzten Jahren ist jedoch die Erkenntnis gewachsen, dass<br />

ökologische und soziale Aspekte häufig eng zusammenhängen, so dass die Selbstverpflichtungen<br />

auf soziale Erwägungen ausgeweitet wurden. Selbstverpflichtungen können ein Modell für die<br />

konkrete Umsetzung von Kernarbeitsnormen in der Praxis bilden. Deshalb werden im folgenden<br />

einige wichtige Projekte vorgestellt; in einigen wirkt die IAO mit.<br />

4.4.1 Sozial verantwortungsvolles Unternehmertum<br />

<strong>Der</strong> Begriff des “Verantwortungsvollen Unternehmertums” ist nicht abschließend definiert.<br />

Er reicht jedoch deutlich weiter als die Respektierung der Kernarbeitsnormen und schließt folgende<br />

Bereiche mit ein: Bestechung und Korruption, Engagement in der lokalen Gemeinschaft,<br />

Umwelterwägungen.<br />

Die Europäische Kommission verwendet in ihrem Grünbuch über Europäische Rahmenbedingen<br />

für die soziale Verantwortung der Unternehmen folgende Definition: 53<br />

„... Konzept, das Unternehmern als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale<br />

Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen<br />

mit Stakeholdern zu integrieren“.<br />

Stakeholder sind Einzelpersonen, Gemeinschaften oder Organisationen, die die Geschäftstätigkeit<br />

eines Unternehmens beeinflussen oder von ihr beeinflusst werden. Es gibt interne<br />

Stakeholder (z.B. Arbeitgeber- und Arbeitnehmer) und externe Stakeholder (z.B. Kunden, Zulieferer,<br />

Anteilseigner, Investoren, NGOs, lokale Gemeinschaften).<br />

Am Anfang der Entwicklung standen unilaterale Verhaltenskodizes individueller Unternehmen,<br />

meistens ohne Verifizierung. Bis heute haben sich jedoch eine Vielzahl von Modellen,<br />

51 Bhagwati (Fn. 48) forderte den Finanzausschuss auf, dem Abkommen nur zuzustimmen, wenn die Arbeitsund<br />

Umweltstandards herausgenommen würden. Er schlug vor, diese Punkte der IAO und der UNEP zu<br />

überlassen, oder hilfsweise wie im NAFTA-Abkommen nur als Nebenbestimmungen aufzunehmen.<br />

52 Lawyers Committee for Human Rights, Before Central American Free Trade Agreement Can Move Forward<br />

Country by Country Assessment of Workers Rights Needed, 19. November 2002,<br />

http://www.lchr.org/media/2002_alerts/1119.htm. Verhandlungspartner des CAFTA sind die USA,<br />

Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Guatemala.<br />

53 Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung und Soziales, Europäische Rahmenbedingungen<br />

für die soziale Verantwortung der Unternehmen, Juli 2001,<br />

http://europa.eu.int/comm/employment_social /publications/2001/ke3701590_de.pdf<br />

29


30<br />

Instrumenten und Verfahren entwickelt. Initiativen zum Verantwortungsvollen Unternehmertum<br />

gingen meistens von den Unternehmen aus und werden immer öfter gemeinsam mit NGOs<br />

initiiert. Auch Regierungen setzen Maßnahmen zur Förderung von Sozialverantwortung.<br />

Die IAO hat die Datenbank „Business and Social Initiatives Database (BASI)“ 54 eingerichtet,<br />

die Informationen über mehr als 300 Initiativen enthält. 1998 waren es erst rund 200 Einträge.<br />

Zunächst entwickelten sich die Initiativen hauptsächlich in Industrieländern, inzwischen haben<br />

sich auch Initiativen in Entwicklungsländern gebildet.<br />

4.4.2 Verhaltenskodizes<br />

Verhaltenskodizes sind ausdrückliche, unilaterale Erklärungen zu den Werten und Aktivitäten<br />

eines Unternehmens, vielfach auch dessen Zulieferern. Ein Kodex gibt Mindeststandards vor<br />

in Verbindung mit einer Verpflichtung des Unternehmens, diese Standards einzuhalten und auch<br />

von Vertragsunternehmern, Nachunternehmern, Zulieferern und Lizenznehmern deren Einhaltung<br />

zu verlangen. Kodizes können sehr komplex sein und die Einhaltung abgeleiteter Standards<br />

erfordern; vielfach sind auch die Durchführungsmechanismen kompliziert. 55 Motivation für diese,<br />

in der Regel schriftlich erklärten Prinzipien oder Politiken bezüglich des unternehmerischen<br />

Verhaltens ist die positive Außenwirkung auf Konsumenten, die – ähnlich wie im Umweltbereich<br />

- verstärkt nach sozialverträglich hergestellten Produkten verlangen. Als Innenwirkung können<br />

sich positive Auswirkungen auf die Unternehmensführung ergeben. Problematisch ist, dass<br />

Verhaltenskodizes oft sehr allgemein gehaltene Regeln ethischen Verhaltens aufstellen.<br />

Unilaterale Kodizes oder Politiken enthalten nur in wenigen Fällen (weniger als 10 Prozent)<br />

Bezüge zu internationalen Arbeitsnormen, in manchen Fällen wird überhaupt keine Übereinstimmung<br />

mit IAO-Standards vorgefunden. Es existieren eine Reihen von « model codes » und<br />

« suscription codes » die von Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen oder Regierungen<br />

als Anleitung herausgegeben wurden und denen sich ein Unternehmen anschließen kann. Auch<br />

Multi-Stakeholder Initiativen nehmen an Zahl zu. Am meisten Bedeutung haben jene Initiativen<br />

erlangt, die sich auch auf Geschäftspartner (Zulieferer) beziehen, insbesondere Bekleidung, Schuhe,<br />

Nahrungsmittel. Hier ist ein höher Grad an Bezügen zu grundlegenden Übereinkommen (bis zu<br />

50 Prozent, je nach Übereinkommen) festzustellen. Unter Umständen ist das Unternehmen für<br />

die Einhaltung der Menschenrechte in der gesamten Zuliefererkette verantwortlich.<br />

4.4.3 Ethischer Handel<br />

Die Ethical Trading Initiative (ETI) wurde 1998 mit Hilfe finanzieller Mittel der britischen<br />

Regierung gegründet. Es ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, NGOs und Gewerkschaftsorganisationen<br />

mit dem Ziel der Identifizierung und Förderung von good practice bezüglich der<br />

Umsetzung von Verhaltenkodizes bezüglich international anerkannter Arbeitsnormen. Die Mitglieder<br />

verpflichten sich in ihrem Bereich Verhaltenskodizes anzunehmen, die internationalen<br />

Standards entsprechen. Zu diesem Zwecke steht ein ETI „Base Code“ zur Verfügung, der folgende<br />

Bereiche abdeckt:<br />

54 http://oracle02ilo.org/dyn/basi/vpisearch.first<br />

55 Grünbuch (Fn.53), S. 28.<br />

Kernarbeitsnormen und Welthandel


Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

Zwangsarbeit,<br />

Vereinigungsfreiheit und das Recht zu Kollektivverhandlungen,<br />

Arbeitsschutz,<br />

Kinderarbeit,<br />

„Living wage“,<br />

Arbeitszeit,<br />

Nichtdiskriminierung,<br />

Misshandlung am Arbeitsplatz.<br />

<strong>Der</strong> Base Code geht über die internationalen Kernarbeitsnormen hinaus. Die Bestimmungen<br />

über die grundlegenden Prinzipien und Rechte stehen im Einklang mit den IAO-Übereinkommen.<br />

Die Initiative versucht sicherzustellen, dass die Arbeitsbedingungen in Unternehmen,<br />

die Waren nach Großbritannien liefern, internationalen Standards entsprechen. ETI unternimmt<br />

keine Verifizierung und verleiht keine Sozialgütesiegel, sondern stützt sich auf Erfahrungsaustausch<br />

und Lernprozesse. 56<br />

4.4.4 Sozialgütesiegel<br />

Sozialgütesiegel (social label) sind Textangaben und bildliche Angaben auf Produkten, die<br />

die Kaufentscheidung der Verbraucher beeinflussen wollen durch Zusicherungen in Bezug auf<br />

die sozialen und ethischen Auswirkungen einer Geschäftstätigkeit auf andere Stakeholder. 57 Verschiedentlich<br />

wurde die IAO aufgefordert, in diesem Bereich aktiv zu werden, z.B. Training von<br />

Auditoren, Zertifizierung von Unternehmen.<br />

Das belgische Gesetz vom 27. Februar 2002 zur Förderung von Sozial Verantwortungsvoller<br />

Produktion, 58 das am 1. September 2002 in Kraft getreten ist, schafft ein Sozialgütesiegel für<br />

Produkte, die im Einklang mit den grundlegenden Übereinkommen der IAO hergestellt sind. Die<br />

Beantragung und Vergabe erfolgt beim zuständigen Wirtschaftsminister auf der Basis der Stellungnahme<br />

eines speziell geschaffenen 13-köpfigen Ausschusses, dem Vertreter der Konsumenten,<br />

NGOs, Ministerien und der Sozialpartner, sowie Vertreter der Regionen mit beratender Stimme<br />

angehören. Die Unternehmen müssen sich einem Kontrollprogramm unterwerfen. Es können<br />

auch Zertifizierungsorganisationen außerhalb Belgiens und Europas anerkannt werden, wenn sie<br />

die im Gesetz vorgesehenen Standards erfüllen.<br />

Die Meinungen über die Auswirkung von Verhaltenskodizes, Verifizierungen und Gütesiegeln<br />

sind gespalten. Manche sehen ein Risiko darin, dass das Aufzwingen von westlichen Standards in<br />

56 <strong>Der</strong>zeit nehmen rund 30 Unternehmen (z.B. Body Shop, Levi Strauss, Chiquita, Marks and Spencer),<br />

vier Gewerkschaftsorganisationen (ICFTU), und 16 NGOs (z.B. Anti-Slavery International, Oxfam,<br />

Save the Children) teil.<br />

57 Grünbuch (Fn. 53), S. 29.<br />

58 Loi visant à promouvoir la production socialement responsable, 27 février 2002, Moniteur Belge 12428<br />

vom 26.03.2002.<br />

31


32<br />

Entwicklungsländern letztlich den betroffenen Arbeitnehmern schadet und sie zur Flucht in die<br />

informelle Wirtschaft veranlasst. Ein spezielles Problem der Sozialgütesiegel ist ihre häufig fehlende<br />

Transparenz, die Uneinheitlichkeit der Zuerkennungskriterien und die Selektivität bei der<br />

Auswahl der Produkte.<br />

4.4.5 Global Compact<br />

<strong>Der</strong> Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, forderte im Rahmen des<br />

Weltwirtschaftsforums in Davos 1999 die Führer der Weltwirtschaft auf, in ihren Unternehmen<br />

universell anerkannte Werte und Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeit und Umwelt<br />

anzuerkennen und umzusetzen. Im Bereich Arbeit sind die Unternehmen aufgerufen, die<br />

internationalen Kernarbeitsnormen, wie sie sich aus der IAO-Erklärung von 1998 ergeben, zu<br />

respektieren. Unterstützung fand der Generalsekretär durch die IAO, den Hochkommissar für<br />

Menschenrechte, UNEP, UNDP.<br />

Vor diesem Hintergrund wurde die Initiative des Global Compact als ein auf Freiwilligkeit<br />

beruhendes offenes Netzwerk zur Förderung des verantwortungsvollen Unternehmertums im<br />

Juli 2000 in New York gegründet. Insgesamt beruht der Global Compact auf neun Prinzipien,<br />

wovon vier die Kernarbeitsnormen beinhalten. 59 Mittlerweile haben sich über 700 Unternehmen<br />

aus 48 Ländern dem Global Compact angeschlossenen. Weitere Teilnehmer sind internationale<br />

Gewerkschaftsorganisationen und andere gesellschaftliche Organisationen, Wirtschaftsuniversitäten,<br />

sowie verschiedene Teile des Systems der Vereinten Nationen.<br />

Ziel der Initiative ist einerseits die Verwirklichung der Global Compact Prinzipien innerhalb<br />

der teilnehmenden Unternehmen sowie das gemeinsame Engagement zur Lösung kollektiver<br />

Probleme. Das vorgesehene Aktionsinstrumentarium besteht aus Dialog, Lernprozessen, konkreten<br />

Projekten und lokalen Netzwerken. <strong>Der</strong> Global Compact besitzt keine<br />

Kontrollmechanismen, sondern setzt auf „the power of transparency, dialogue, and accountability<br />

to identify good practices and find practical solutions“. In Deutschland gehören 15 Unternehmen<br />

dem Global Compact an. 60<br />

4.4.6 Globale Rahmenabkommen<br />

Kernarbeitsnormen und Welthandel<br />

Bisher sind etwa 25 Globale Rahmenabkommen bekannt. Globale Rahmenabkommen sind<br />

eine relativ neue Entwicklung mit raschem Zuwachs (20 Globale Rahmenabkommen wurden<br />

zwischen 1999 und 2001 geschlossen. 61<br />

59 Guide to the Global Compact – A practical understanding of the visions and the nine principles,<br />

http://www.unglobalcompact.org/irj/servlet/prt/portal/prtroot/com.sapportals.km.docs/documents/<br />

Public_Documents/gcguide.pdf<br />

60 Allianz, BASF, Bayer, BMW, DaimlerChrysler, DB, Deutsche Telekom, Gerling, Helog, Lufthansa,<br />

Otto Versand, SAP, Sitec, Volkswagen.<br />

61 Es handelt sich meistens um Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich (Air France, Carrefour, Danone,<br />

Vivendi), Deutschland (Faber-Castell, Volkswagen), den Nordische Länder (IKEA, Statoil), Italien<br />

(Artsana und Merloni), und Spanien (Endesa, Telefonica), sowie je ein Abkommen in Griechenland,<br />

Niederlande, Neuseeland, Großbritannien, USA (Chiquita).


Welthandelsrechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

Auf der Seite der Arbeitnehmer gibt es eine Vielfalt von Konstellationen, so nationale, und<br />

internationale Gewerkschaften, manchmal auch Europäische Betriebsräte oder Kombinationsmodelle.<br />

Dominant sind internationale Organisationen. 62<br />

Inhaltlich verpflichten die Globalen Rahmenabkommen zur Einhaltung von Arbeitnehmerrechten<br />

oder Arbeitsstandards, manchmal auch von Umweltstandards. Manchmal sind es nur<br />

einzelne Punkte „single issues“, in den meisten Fällen erfolgt ein direkter Bezug auf: Verbot von<br />

Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Diskriminierung und das Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf<br />

Kollektivverhandlungen. Einige ergänzen mit: Arbeitsschutz, Entlohnung, Arbeitszeit, Berufsausbildung,<br />

etc. Darüber hinaus wird in einigen Fällen festgelegt: Informationspflicht,<br />

Konsultationspflicht (Entlassungen, Veränderungen), Monitoring (meist in den Strukturen: Gemeinsame<br />

Kommission, internationale Arbeitgeber-Arbeitnehmer Versammlungen).<br />

5. Welthandelsrechtliche Vorgaben bei der Umsetzung von<br />

Kernarbeitsnormen<br />

Da es bisher nicht gelungen ist, eine Einigung über die Verankerung von grundlegenden<br />

Arbeitnehmerrechten als sog. Sozialklausel in das Regelwerk der WTO zu erreichen, 63 ist zu untersuchen,<br />

inwieweit nationale Maßnahmen zur Durchsetzung von Kernarbeitsnormen nach<br />

WTO-Recht zulässig sind. Relevant sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem die Vorschriften<br />

des GATT 64.<br />

5.1 GATT<br />

5.1.1 Meistbegünstigungsklausel<br />

Zu beachten ist zunächst die Meistbegünstigungsklausel des Art. I GATT (Most Favo(u)red<br />

Nation Treatment – MFN). Diese besagt, dass jedes WTO-Mitglied verpflichtet ist, jedem Mitglied<br />

die gleichen Vorteile im Hinblick auf Zölle, Gebühren und andere Maßnahmen zu gewähren,<br />

wie dem am besten gestellten anderen Land. Ob eine Maßnahme, die nicht ein spezielles<br />

62 Als Beispiele für die Arbeitgeberseite sind etwa zu nennen:<br />

- Air France: „“Sozialcharta und ethischer Verhaltenskodex“ vom 25. Juni 2001. 54.000 Mitarbeiter<br />

- Ballast Nedam (NL): Vereinbarung über die Rechte eigener Angestellter und jener der Vertragspartner<br />

vom 18. März 2002, Bauunternehmen, Partner: International Federation of Building and Wood Workers<br />

(IFBWW), Niederländische Bauarbeitergewerkschaft.<br />

- IKEA: neues Abkommen vom Dezember 2001 ersetzt eines aus dem Jahre 1998; ebenfalls mit<br />

IFBWW, neuer Verhaltenskodex betreffend Auswahl der Zulieferer integriert.<br />

63 Vgl. oben S. 32.<br />

64 Die WTO dient der Umsetzung, Verwaltung und Durchführung der in dem Abschlussdokument der<br />

Uruguay <strong>Runde</strong> zusammengefassten multilateralen Vereinbarungen sowie der Verwirklichung der in diesem<br />

enthaltenen Ziele. Die multilateralen Verträge beinhalten neben der Gründungsakte der WTO Regelungen<br />

über den Handel mit Gütern (GATT) und Dienstleistungen (GATS), sowie Regelungen über den Schutz<br />

geistigen Eigentums (TRIPS) und die Streitschlichtung (DSU). Das Abschlussdokument der Uruguay-<strong>Runde</strong><br />

trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Vgl. Herrmann, ZeuS 2001, 453, 458ff.<br />

33


34<br />

Land diskriminiert, aber einige Länder abhängig von der Einhaltung bestimmter Arbeitsnormen<br />

anders als andere behandelt, gegen die Meistbegünstigungsklausel verstößt, ist noch nicht eindeutig<br />

geklärt.<br />

5.1.2 Inländergleichbehandlung<br />

Art. III (2) GATT verlangt, keine höheren internen Steuern oder Gebühren auf importierte<br />

Produkte zu erheben als auf gleichartige inländische Produkte. Gem. Art. III (4) GATT sind<br />

importierte Produkte in Bezug auf alle Regularien hinsichtlich des Angebots, Verkaufs, Transports,<br />

der Verteilung und des Gebrauchs genauso zu behandeln wie gleichartige inländische Produkte<br />

(sog. Inländergleichbehandlung – national treatment). Zunächst scheint diese Regelung<br />

eindeutig Maßnahmen in Bezug auf die Kernarbeitsnormen zu ermöglichen, nämlich dann, wenn<br />

die Maßnahmen nicht zwischen inländischen und importierten Produkten unterscheiden. Diskutiert<br />

wird jedoch, ob bei der Definition von gleichen Produkten, „like products“, im Sinne des<br />

Art. III GATT nur physikalische Eigenschaften eine Rolle spielen dürfen. Dann wären ausländische<br />

Produkte, bei deren Herstellung die Kernarbeitsnormen nicht eingehalten wurden, nach Art.<br />

III GATT ebenso zu behandeln wie inländische Produkte, bei denen die Kernarbeitsnormen<br />

eingehalten wurden, da es auf die nicht-physikalischen Aspekte nicht ankäme 65 .<br />

Zudem wird im Zusammenhang mit Art. III GATT vertreten, dass zwischen produktregulierenden<br />

Maßnahmen (regulatory measures on products) und Maßnahmen, die die Art und<br />

Weise der Herstellung von Produkten betreffen, zu unterscheiden ist, z.B. sog. „Process Production<br />

Methods (PPMs)“. Letztere sollen im Rahmen des Art. III GATT irrelevant sein. Maßnahmen,<br />

die die Beachtung der Kernarbeitsnormen sicherstellen sollen, würden bei diesem Verständnis<br />

nicht unter Art. III GATT fallen, sondern Art. XI GATT verletzen, der mengenmäßige Aus- und<br />

Einfuhrbeschränkungen verbietet.<br />

5.1.3 Ausnahmen<br />

Art. XX GATT sieht generelle Ausnahmen von den Grundprinzipien des GATT vor. Diskutiert<br />

wird vor allem, ob die Verwendung von Kernarbeitsnormen unter die Ausnahme des Art.<br />

XX (a) GATT, „necessary to protect public morals“, fallen könnte. Als Argument für diesen<br />

Ansatz wird vor allem auf Art. XX (e) GATT verwiesen, der eine Ausnahme für Produkte enthält,<br />

die im Strafvollzug hergestellt wurden („prison labor“). Für eine Einbeziehung von Kernarbeitsnormen<br />

in Art. XX (a) GATT sprechen die Ausführungen des Berufungsgremiums<br />

(Appellate Body – AB) in dem Shrimp/Turtle Fall 66 , der eine andere Ausnahme des Art. XX<br />

GATT betraf. <strong>Der</strong> AB führte aus:<br />

“The words of Article XX (g) ‘exhaustible natural resources’, were actually drafted<br />

more than 50 years ago. They must be read by a treaty interpreter in the light of<br />

contemporary concerns of the community of nations about the protection and<br />

conservation of the environment.“<br />

65 Ausführlich Howse, 3 J. Small & Emerging Bus. L. 131, 138 ff. (1999).<br />

66 Vgl. oben Fn. 29.<br />

Welthandelsrechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen


Welthandelsrechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

Möglicherweise könnte auch Art. XX (b) GATT herangezogen werden, der sich auf Maßnahmen<br />

zum Schutz von Leben und Gesundheit bezieht (measures necessary to protect human<br />

life and health). Um eine Ausnahme gem. Art. XX GATT zuzulassen, ist zudem der „chapeau“, d.<br />

h. der Einleitungssatz der Vorschrift, einzuhalten, der eine Ausnahme nur zulässt, sofern sie keine<br />

willkürliche oder nicht zu rechtfertigende Diskriminierung und auch keine versteckte Behinderung<br />

des internationalen Handels beinhaltet. Eine ungerechtfertigte Diskriminierung könnte dann<br />

vorliegen, wenn die Sanktionen nicht auf alle Länder, die die Kernarbeitsnormen nicht einhalten,<br />

gleichmäßig angewandt werden 67 . In der Entscheidung „Asbestos“ ist zum ersten Mal eine auf<br />

Umwelt- und Gesundheitsschutz beruhende Maßnahme als gerechtfertigte Ausnahme gem. Art.<br />

XX GATT anerkannt worden. Es handelte sich um ein französisches Importverbot von Asbest 68 .<br />

5.2 Sonstige Übereinkommen<br />

Relevanz für die Kernarbeitsnormen könnte außerdem das Übereinkommen über die Anwendung<br />

gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPSÜ) haben, das<br />

im Gegensatz zu dem Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBTÜ) auch für<br />

Maßnahmen gilt, die dem Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen dienen. Beide Übereinkommen<br />

sind Zusatzabkommen zum GATT. Die Abkommen sind umfangreich und in den<br />

Einzelheiten kompliziert in ihrer Anwendung 69 . Beide Verträge gehen dem allgemeineren GATT<br />

vor, wie aus der Panel Entscheidung „Asbestos“ hervorgeht 70 . Eine genauere Untersuchung dieser<br />

sehr speziellen Abkommen würde jedoch den Rahmen des Gutachtens sprengen. Unklar ist<br />

auch, welche Auswirkungen das General Agreement on Trade in Services (GATS), über welches<br />

zur Zeit verhandelt wird und das den Dienstleistungssektor betrifft, haben wird.<br />

5.3 Folgerungen<br />

Nach Ansicht der Gutachter ist davon auszugehen, dass die Verwendung von Kernarbeitsnormen<br />

zwar Art. I, III und / oder XI GATT verletzt, aber unter den Ausnahmetatbestand<br />

des Art. XX GATT fällt. In Anbetracht der bestehenden Diskussionen und fehlender<br />

Anhaltspunkte aufgrund von Entscheidungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass schon<br />

von vornherein keine Verletzung der Regelungen des GATT gegeben ist, so dass der Ausnahmetatbestand<br />

nicht mehr herangezogen werden müsste. Im Hinblick auf Art. XX GATT weisen<br />

die Entscheidungen in den Fällen „Shrimp/Turtle“ und „Asbestos“ eindeutig auf eine<br />

Rechtfertigungsmöglichkeit hin, auch wenn sie den Umwelt- bzw. Gesundheitsschutz betreffen.<br />

Da jedoch bisher keine Entscheidungen zu der Verwendung von Kernarbeitsnormen vorliegen,<br />

kann nur von diesen Entscheidungen auf das Ergebnis für die vorliegende Fragestellung<br />

geschlossen werden.<br />

67 Ausführlich wiederum Howse, 3 J. Small & Emerging Bus. L. 131, 142 ff. (1999); s. auch<br />

Stoll/Schorkopf, Rn. 169 ff.<br />

68 EC-Measures affecting Asbestos and Products containing Asbestos, WT/DS135/R vom 18.09.2000,<br />

in einigen Punkten korrigiert durch die Entscheidung des AB, WT/DS135/AB/R vom 12.03.2001.<br />

69 Vgl. dazu Herrmann, ZeuS 2001, 453, 477 ff.<br />

70 S. oben Fn. 68.<br />

35


36<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

6. Vergaberechtliche Vorgaben bei der Aufnahme von<br />

Kernarbeitsnormen<br />

6.1 Vorbemerkung<br />

Die Regelungen des öffentlichen Beschaffungswesens beinhalten möglicherweise Schranken<br />

für die Aufnahme von Kernarbeitsnormen in Verträge. Bei der Untersuchung der rechtlichen<br />

Hindernisse ist entsprechend dem Gutachtensauftrag zwischen dem öffentlichen Beschaffungswesen<br />

im Allgemeinen und dem auf die Entwicklungszusammenarbeit bezogenen öffentlichen<br />

Beschaffungswesen zu unterscheiden. Da neben gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Regelungen<br />

des deutschen Rechts noch ein WTO-Beschaffungsübereinkommen existiert, ist auch die<br />

Ebene des Völkerrechts in die Untersuchung einzubeziehen.<br />

6.2 WTO-Agreement on Government Procurement (WTO-GAP) 71,72<br />

Das WTO-Beschaffungsübereinkommen GPA vom 15.04.1994, das seit dem 01.01.1996<br />

Gültigkeit besitzt, ist ein plurilaterales Abkommen und gilt daher nur für diejenigen Staaten, die es<br />

ratifiziert haben. Es besteht keine Verpflichtung zu einem Beitritt für die WTO-Vertragsstaaten.<br />

Zu den Vertragsparteien gehören die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, Kanada, Hongkong,<br />

China, Island, Israel, Japan, Südkorea, Liechtenstein, Norwegen, Singapur, die Schweiz und<br />

die Vereinigten Staaten von Amerika. Als Vorbild für das GPA dienten die einschlägigen EG-<br />

Vergaberichtlinien. Das GPA findet Anwendung auf Beschaffungsverträge über Waren und Dienstleistungen<br />

jeder vertraglichen Form, die von den Beschaffungsstellen der Zentralregierung einer<br />

Vertragspartei oder den Ebenen unterhalb der Zentralregierung vergeben werden (Art. I GPA).<br />

Die jeweils verpflichteten Beschaffungsstellen und erfassten Güter sind in Anhang I des GPA für<br />

jede Vertragspartei detailliert aufgelistet. Für Deutschland werden auf Ebene der Zentralregierung<br />

sämtliche Ministerien sowie das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt angegeben.<br />

Waren sind vollständig vom Anwendungsbereich des GPA erfasst. Die Einbeziehung von Dienstleistungen<br />

und Bauleistungen können die Vertragsparteien durch Positivlisten steuern (Anlage 4<br />

und 5 zu Anhang I). Ebenso wie die EU-Vergaberichtlinien erfasst das GPA nur Aufträge oberhalb<br />

bestimmter Schwellenwerte. Kern des GPA ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, der<br />

auf das öffentliche Beschaffungswesen erstreckt werden soll, sowie das Ziel, eine möglichst hohe<br />

Transparenz für die nationalen Vergabeverfahren zu erreichen 73 .<br />

Deutschland hat das GPA zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Ob dem GPA in der EU<br />

unmittelbare Wirkung zukommt, ist umstritten. Die überwiegenden Argumente sprechen dagegen<br />

74 . Damit ist es nach der Rechtsprechung des EuGH weder möglich, dass sich der Einzelne<br />

auf Bestimmungen des GPA beruft, noch, dass das GPA für den EuGH Prüfungsmaßstab für<br />

71 Jean Heilman Grier, Government procurement, http://www.osec.doc.gov/ogc/occic/gpa.htm September 2001<br />

72 European Federation of Public Services Union (EPSU), Public Services and Procurement,<br />

http://www.epsu.org/projects/procure/PSIpap.cfm, August 2002<br />

73 Informationen zum Inhalt des GPA einschließlich der Anhänge sind über www.wto.org abrufbar.<br />

74 Auch der Gemeinschaftsgesetzgeber geht nicht von einer unmittelbaren Wirkung aus, vgl. jeweils den ersten<br />

Erwägungsgrund der Richtlinien 97/50/EG und 98/4/EG.


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

das gemeinschaftliche Sekundärrecht ist. Weder auf deutscher noch auf europäischer Ebene treten<br />

daher Schwierigkeiten aufgrund des GPA bei der Einbeziehung vergabefremder Kriterien auf.<br />

Sollte eine unmittelbare Wirkung von der Rechtsprechung dennoch bejaht werden, so ist zu dem<br />

Inhalt des GPA im Hinblick auf vergabefremde Kriterien festzustellen, dass große Ähnlichkeiten<br />

zum EG-Recht bestehen. Eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Einbeziehung vergabefremder<br />

Kriterien fehlt auch im GPA. Die Regelungen des GPA sind aber insgesamt noch unklarer<br />

als die der EG-Richtlinien. Eine klare Aussage zu der Zulässigkeit vergabefremder Kriterien<br />

lässt sich daher nicht treffen 75 .<br />

Leider ist es in dem Massachusetts Burma Law Fall nicht zu einer Entscheidung im WTO-<br />

Streitschlichtungsverfahren gekommen, die Aufschluss über diese Frage hätte geben können. Die<br />

Beschaffungsregeln des US-Bundesstaates Massachusetts untersagten den Abschluss von<br />

Beschaffungsverträgen mit Unternehmen, die mit oder in Myanmar (ehemals Burma) Geschäftsbeziehungen<br />

unterhielten. Die EU und Japan beantragten ein Streitbeilegungsverfahren bei der<br />

WTO 76 . Nachdem jedoch die Anwendung der Regelungen durch eine nationale Gerichtsentscheidung<br />

ausgesetzt worden war, wurde das Verfahren vor der WTO nicht weiter verfolgt.<br />

Letztlich hat der U.S. Supreme Court das Gesetz für verfassungswidrig erklärt 77 .<br />

6.3 Vergaberechtliche Probleme bei der Verankerung von<br />

Kernarbeitsnormen nach europäischem Recht<br />

6.3.1 Einleitung<br />

Eine Analyse der vergaberechtlichen Rechtslage bei der Verankerung von Kernarbeitsnormen<br />

in Verträgen erfordert zunächst eine Zweiteilung. Oberhalb der sog. Schwellenwerte 78 gelten die<br />

gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Vergaberichtlinien 79 . Im deutschen Recht schlägt sich diese<br />

Unterscheidung ebenfalls nieder, da oberhalb der Schwellenwerte das „neue“ Vergaberecht Anwendung<br />

findet, das mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz 1998 in das GWB implementiert<br />

75 Ausführlich Meyer, S. 288 ff.<br />

76 United States-Measure affecting Government Porcurement, WT/DS95/1, 21.07.1997 (Japan);<br />

United States-Measure affecting Government Procurement, WT/DS88/1, 26.06. 1997 (EU).<br />

77 Ausführlich Fitzgerald, 34 Cornell Int’l L.J. 1, 1 ff. (2001).<br />

78 Die Richtlinien sehen unterschiedlichste Schwellenwerte vor, die von rund 140 000 Euro bis zu rund<br />

5 300 000 Euro reichen, vgl. im Einzelnen Braun, NZBau 2002, 2, 8f. (abrufbar über www.nzbau.de).<br />

79/1 Richtlinie 93/36/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher<br />

Lieferaufträge v. 14.6.1993, ABlEG Nr. L 199 v. 9.8. 1993, S. 1 (Lieferaufträgekoordinierungsrichtlinie - LKR);<br />

Richtlinie 93/37/EWG des Rates zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge<br />

v. 14.6.1993, ABlEG Nr. L 199 v. 9.8.1993, S. 54 (Bauaufträgekoordinierungsrichtlinie - BKR);<br />

Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher<br />

Dienstleistungsaufträge v. 18.6.1992, ABlEG Nr. L 209 v. 24.7.1992, S. 1 (Dienstleistungskoordinierungs<br />

richtlinie - DKR); diese Richtlinien wurden geändert durch die Richtlinie 97/52/EWG v. 13.10.1997,<br />

ABlEG Nr. L 328 v. 28.11.1997, S. 1; außerdem Richtlinie 93/38/EWG des Rates zur Koordinierung der<br />

Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im<br />

Telekommunikationssektor v. 14.6.1993, ABlEG Nr. L 199 v. 9.8.1993, S. 84 (Sektorenkoordinierungsrichtlinie -<br />

SKR), geändert durch Richtlinie 98/4/EG v. 16.2.1998, ABlEG Nr. L 101 v. 1.4.1998, S. 1;<br />

37


38<br />

wurde. Das Vergaberechtsänderungsgesetz diente der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen<br />

Vorgaben. In Deutschland ist das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte in eine Rechtskaskade<br />

bestehend aus dem Kartellvergaberecht der §§ 97 ff. GWB, der Vergabeverordnung und dem<br />

Recht der Verdingungsordnungen (VOL/A, VOB/A, VOF) gegliedert. Unterhalb der Schwellenwerte<br />

ist es bei der alten Rechtslage geblieben. Es gelten im Wesentlichen die Verdingungsordnungen.<br />

Das gemeinschaftsrechtliche Primärrecht, das deutsche Verfassungsrecht und das<br />

sonstige nationale Recht 80 gelten natürlich für alle Auftragsvergaben.<br />

Begrifflich wird bei der Einbeziehung von Zielen wie den Kernarbeitsnormen von vergabefremden<br />

Zwecken im Vergabeverfahren gesprochen. Das liegt daran, dass es bei diesen Kriterien<br />

nicht darum geht, das Einkaufsverhalten des Staates an dem Ziel der möglichst sparsamen und<br />

wirtschaftlichen 81 Mittelverwendung zu orientieren 82 . Die Diskussion unter dem Stichwort vergabefremd<br />

erstreckt sich auf eine Reihe verschiedener Zwecksetzungen, so z.B. die Mittelstandsförderung,<br />

die Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen, die Bevorzugung von Ausbildungsbetrieben,<br />

den Ausschluss von Unternehmen wegen illegaler Beschäftigung oder Schwarzarbeit,<br />

das Erfordernis von Tariftreueerklärungen, die Verwendung von Umweltkriterien, die Frauenförderung<br />

oder die Erklärung der Nichtzugehörigkeit zu Scientology. <strong>Der</strong> Einhaltung von Kernarbeitsnormen<br />

ist bisher keine Aufmerksamkeit gewidmet worden 83 .<br />

6.3.2 Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH<br />

In den Vergaberichtlinien, die für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte Anwendung finden,<br />

wird differenziert zwischen der Eignungsprüfung und dem Zuschlag. So regelt Art. 15 Abs. 1<br />

LKR:<br />

„<strong>Der</strong> Zuschlag des Auftrags erfolgt auf Grund der in Kap. 3 dieses Abschnitts<br />

vorgesehenen Kriterien unter Berücksichtigung des Art. 16, nachdem die öffentlichen<br />

Auftraggeber die fachliche Eignung der Lieferanten, die nicht auf Grund von Art. 20<br />

ausgeschlossen worden sind, nach den in den Art. 22, 23 und 24 genannten Kriterien<br />

der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit geprüft haben.“<br />

79/2 zudem die Nachprüfungskoordinierungsrichtlinien: Richtlinie 89/665/EWG des Rates v. 21.12.1989 zur<br />

Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im<br />

Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABlEG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 33;<br />

Richtlinie 92/13/EWG des Rates v. 25.2.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften<br />

für die Anwendung der Nachprüfung der Gemeinschaftsvorschriften betreffend die Auftragsvergabe durch<br />

Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor,<br />

ABlEG Nr. L 76 v. 23.3.1992. Diese spielen aber im hier zu untersuchenden Zusammenhang keine Rolle.<br />

80 S. dazu unter 4.-6.<br />

81 Wirtschaftlichkeit ist hier nicht ganz korrekt verwendet, wenn die Rechtsprechung des EuGH beachtet wird.<br />

Dazu im Einzelnen weiter unten, vor allem das Urteil „Concordia“ (B.I.2.d).<br />

82 Boesen, Vergaberecht, § 97, Rz. 100; Martin-Ehlers, WuW 1999, 685.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

83 Für die USA ist jedoch auf das Urteil des US Supreme Court in dem Massachusetts Burma Law Fall<br />

zu verweisen. S. dazu oben. S. 32 und Fn. 77 (Vgl. auch Opitz, NZBau 2001, 12, 14, Fn. 21).


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

Die Zuschlagskriterien werden demnach erst dann relevant, wenn das Vorliegen von<br />

Ausschlussgründen und die finanzielle, wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit als bieterbezogene<br />

Kriterien geprüft worden sind. Diese Kriterien werden unter dem Begriff Eignung<br />

zusammengefasst. Entsprechende Regelungen enthalten die weiteren Vergaberichtlinien (Art. 18<br />

Abs. 1 BKR, Art. 23 Abs. 1 DKR). Die Rechtsprechung des EuGH differenziert dementsprechend<br />

zwischen diesen verschiedenen Schritten des Vergabeverfahrens. Im Rahmen der Eignungsprüfung<br />

lässt der EuGH keine vergabefremden Kriterien zu, bei den Zuschlagskriterien können<br />

vergabefremde Zwecke unter bestimmten Voraussetzungen in die Wertung mit einbezogen werden.<br />

Die Darstellung der Rechtsprechung im Folgenden richtet sich nach dieser Differenzierung<br />

und erfolgt daher nicht chronologisch.<br />

6.3.2.1 Entscheidungen des EuGH zur Eignungsprüfung<br />

(1) „Kommission/Italienische Republik“ 1992<br />

In zwei Entscheidungen des EuGH „Kommission gegen Italienische Republik“ hat der EuGH<br />

vergabefremde Kriterien bei der Eignungsprüfung für nicht zulässig erachtet.<br />

In dem ersten Urteil 84 ging es um ein Gesetz, das die Italienische Republik erlassen hatte,<br />

wonach u.a. der Konzessionär die Arbeiten zu einem Teil von 15 bis 30% an Unternehmen übertragen<br />

muss, die ihren Sitz in der Region haben, in der die Arbeiten durchgeführt werden. Außerdem<br />

sollten Bieterkonsortien ab 15 Mitgliedern dann bevorzugt werden, wenn daran ortsansässige<br />

Unternehmen beteiligt waren (Regionalpräferenz). <strong>Der</strong> EuGH nahm einen Verstoß gegen<br />

die Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge<br />

85 an, weil das neu eingeführte italienische Kriterium nicht bei den bieterbezogenen Kriterien<br />

der Richtlinie vorgesehen war.<br />

„Dazu ist festzustellen, dass nach Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 71/305 die<br />

öffentlichen Auftraggeber...anhand der nach Artikel 17 Buchstabe d dieser Richtlinie<br />

erteilten Auskünfte die Bewerber auswählen und sie auffordern, ein Angebot einzureichen.<br />

Aus Artikel 17 Buchstabe d ergibt sich, dass diese Auskünfte die Lage des<br />

Unternehmers sowie die wirtschaftlichen und technischen Mindestbedingungen des<br />

Auftraggebers für die Wahl der Unternehmer betreffen, wobei keine anderen als die in<br />

den Artikeln 25 und 26 genannten Anforderungen gestellt werden dürfen ... (Die<br />

Regionalpräferenz) ist ein Auswahlkriterium, das in den Artikeln 23 bis 26 nicht<br />

aufgeführt ist und das vor allem nicht einer der in den Artikeln 25 und 26 genannten<br />

wirtschaftlichen und technischen Bedingungen entspricht.“ 86<br />

84 EuGH, Urt. v. 3.6.1992, „Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik“,<br />

Rs. C-360/89, Slg. 1992, S. I-3401.<br />

85 Bauaufträgekoordinierungsrichtlinie (BKR), die nach mehreren Änderungen im Jahr 1993 komplett neu<br />

gefasst wurde durch die Richtlinie 93/37/EWG.<br />

86 A.a.O. (s. Fn. 6), Rz. 17f., 20.<br />

39


40<br />

(2) „Kommission/Italienische Republik“ 1994<br />

87 EuGH, Urt. v. 26.4.1994, “Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik”,<br />

Rs. C-272/91, Slg. 1994, I-1409.<br />

88 Lieferkoordinierungsrichtlinie, ebenfalls nach mehreren Änderungen vollständig neu gefasst durch die<br />

Richtlinie 93/36/EWG.<br />

89 Zu dieser Aussage des EuGH weiter unten in der Analyse der Rechtsprechung (B.I.2.e).<br />

90 A.a.O. (s. Fn. 8), Rz. 35.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

In dem zweiten Urteil Kommission gegen Italienische Republik 87 ging es um die überwiegende<br />

Beteiligung der öffentlichen Hand an einem Unternehmen. Auch hier hat der EuGH entschieden,<br />

dass die Lieferaufträgekoordinierungsrichtlinie die Eignungsprüfung abschließend und<br />

zwingend regelt.<br />

„Was den Klagegrund des Verstoßes gegen die Artikel 17 bis 25 der Richtlinie (77/62<br />

in der Fassung der Richtlinie 88/295 88) angeht, ist darauf hinzuweisen, dass diese<br />

Vorschriften die Kriterien für die qualitative Auswahl und den Zuschlag 89 des Auftrags<br />

abschließend und zwingend regeln und nicht die Möglichkeit vorsehen, die Teilnahme<br />

an der betreffenden Ausschreibung Einrichtungen, Gesellschaften, Konsortien oder<br />

Zusammenschlüssen vorzubehalten, deren Gesellschaftskapital sich einzeln oder<br />

insgesamt mehrheitlich in öffentlicher Hand befindet.“ 90<br />

(3) Fazit<br />

Regelungsgegenstand der Vergaberichtlinien im Hinblick auf die Eignungsprüfung ist die<br />

Vorgabe, in welcher Weise der Nachweis der Leistungsfähigkeit zu führen ist, nicht die inhaltliche<br />

Definition materiell-rechtlich zu verstehender Voraussetzungen wie „finanzielle und wirtschaftliche<br />

Leistungsfähigkeit“ oder „technische Leistungsfähigkeit“ 91 . Dennoch sind die für diese Prüfung<br />

in Frage kommenden Kriterien abschließend geregelt. In der noch unter dem Oberpunkt<br />

„Zuschlagskriterien“ zu analysierenden Entscheidung „Beentjes“ drückt der EuGH dies folgendermaßen<br />

aus 92 :<br />

„Zweck dieser Artikel (über die Leistungsfähigkeitsprüfung) ist es nicht, die Mitgliedstaaten<br />

in ihrer Befugnis zu beschneiden, darüber zu entscheiden, welcher Standard<br />

der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit für die Teilnahme<br />

an öffentlichen Ausschreibungen erforderlich ist, sondern zu bestimmen, mit<br />

welchen Nachweisen oder Beweismitteln die finanzielle, wirtschaftliche und technische<br />

Leistungsfähigkeit des Unternehmers dargetan werden kann...Gleichwohl geht aus<br />

diesen Bestimmungen hervor, dass die öffentlichen Auftraggeber die fachliche<br />

91 Vgl. EuGH, Slg. 1999, I-8607 = NZBau 2000, 149, Rz. 25; Ziekow, NZBau 2001, 72, 74.<br />

92 EuGH, Urt. v. 20.9.1988, „Gebroeders Beentjes BV gegen Königreich der Niederlande,<br />

Rs. 31/87, Slg. 1988, 4635, Rz. 17.


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

Eignung der Unternehmer nur auf der Grundlage von Kriterien prüfen können, die<br />

sich auf die wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit der Betroffenen<br />

beziehen.“<br />

Andere Nachweise als die in der Richtlinie ausdrücklich genannten dürfen nur zum Nachweis<br />

der Leistungsfähigkeit herangezogen werden, nicht aber zu anderen Zwecken 93 .<br />

6.3.2.2 Entscheidungen des EuGH zu den Zuschlagskriterien<br />

Wird ein vergabefremdes Kriterium als Zuschlagskriterium ausgestaltet, so muss der Bieter<br />

dieses in seinem Angebot berücksichtigen. Wenn sein Angebot die entsprechende Vorgabe nicht<br />

erfüllt, dann wird das Angebot beim Zuschlag nicht berücksichtigt. Die Eignung des Bieters wird<br />

nicht mehr in Frage gestellt.<br />

(1) Beentjes<br />

In dem Beentjes-Urteil 94 hat der EuGH zu der Frage Stellung genommen, ob ein Bieter vom<br />

Vergabeverfahren ausgeschlossen werden darf, der nicht in der Lage ist, bei der Ausführung des<br />

Auftrags Langzeitarbeitslose zu beschäftigen. <strong>Der</strong> Generalanwalt Darmon hatte zu dieser Frage<br />

die Auffassung vertreten, dass dieses Kriterium unzulässig sei, da es in keinerlei Beziehung zu den<br />

eigentlichen Merkmalen der zu erbringenden Leistungen stehe.<br />

<strong>Der</strong> EuGH 95 führte aus, dass Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 71/305 96 für die Erteilung des<br />

Zuschlags entweder ausschließlich auf den niedrigsten Preis, oder, wenn der Zuschlag auf das<br />

wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt, auf verschiedene, je nach Auftrag wechselnde Kriterien<br />

abstellt, z.B. Preis, Ausführungsfrist, Betriebskosten, Rentabilität und technischer Wert. Er folgert<br />

weiter:<br />

„Zwar überlässt die zweite Möglichkeit den öffentlichen Auftraggebern die Auswahl<br />

der Kriterien, auf die sie für die Erteilung des Zuschlags abzustellen beabsichtigen,<br />

jedoch kann sich die Auswahl nur auf Kriterien erstrecken, die der Ermittlung des<br />

wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. [...] Es ist darauf hinzuweisen, dass die<br />

Richtlinie kein einheitliches und erschöpfendes Gemeinschaftsrecht schafft, sondern<br />

dass es den Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Beachtung aller einschlägigen Vorschriften<br />

des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Verbote, die aus den vom Vertrag<br />

aufgestellten Grundsätzen auf dem Gebiet des Niederlassungsrechts und des freien<br />

93 EuGH, Slg. 1982, 417, Rz. 9, 15; EuGH, Slg. 1992, I-3401, Rz. 20.<br />

94 EuGH, Urt. v. 20.9.1988, „Gebroeder Beentjes BV gegen Niederlande“, Rs. 31/87, Slg. 1988, 4635.<br />

95 A.a.O. (s. Fn. 16), Rz. 18ff.<br />

96 S. dazu Fn. 7.<br />

41


42<br />

Dienstleistungsverkehrs folgen, unbenommen bleibt, materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche<br />

Bestimmungen auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge aufrecht<br />

zu erhalten oder zu erlassen.“ 97<br />

„Was den Ausschluss eines Bieters mit der Begründung anbelangt, dass er nicht in der<br />

Lage sei, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen, so ist zunächst festzustellen, dass eine<br />

solche Bedingung weder mit der Prüfung der fachlichen Eignung der<br />

Unternehmer...noch mit den in Artikel 29 genannten Kriterien für die Erteilung des<br />

Zuschlags etwas zu tun hat.“ 98<br />

„Was eine Bedingung wie die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen betrifft, so<br />

handelt es sich um eine besondere zusätzliche Bedingung, die in der Bekanntmachung<br />

erwähnt werden muss...“ 99<br />

Zusammenfassend ist dem Urteil zu entnehmen, dass die Richtlinien nicht generell vergabefremde<br />

Kriterien ausschließen, wobei die Einordnung dieser Kriterien aus dem Urteil nicht eindeutig<br />

hervorgeht. Denkbar ist, dass es sich entweder um ein Kriterium außerhalb von Eignung<br />

und Zuschlag oder ein Zuschlagskriterium handelt. Sofern letzteres der Fall wäre, könnte es sich<br />

entweder um ein Zuschlagskriterium unter dem Merkmal „wirtschaftlich günstigstes Angebot“<br />

handeln - die wohl eher anzunehmende Alternative, oder ein zusätzliches Kriterium, das zu den<br />

Optionen niedrigster Preis und wirtschaftlich günstigstes Angebot hinzu kommt. Grenzen der<br />

Zulässigkeit dieser Kriterien sind vor allem aus dem Primärrecht, insbesondere aus den<br />

Diskriminierungsverboten, zu entnehmen. Zudem müssen die Bedingungen ordnungsgemäß bekannt<br />

gemacht werden.<br />

(2) Evans Medical<br />

In der Literatur wird teilweise das Urteil Evans Medical 100 unter dem Aspekt vergabefremder<br />

Aspekte zitiert. In dieser Entscheidung ging es aber nicht um die Zulässigkeit eines solchen Kriteriums.<br />

<strong>Der</strong> EuGH hatte über die Frage zu entscheiden, ob die Zuverlässigkeit und Kontinuität<br />

der Belieferung mit bestimmten pharmazeutischen Erzeugnissen als Kriterium für die Erteilung<br />

des Zuschlags mitberücksichtigt werden durfte. Er stellte fest, dass der strittige Aspekt durchaus<br />

eine Rolle bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots spielen dürfe 101 .<br />

97 A.a.O. (s. Fn. 16), Rz. 19f.<br />

98 A.a.O. (s. Fn. 16), Rz. 28.<br />

99 A.a.O. (s. Fn. 16), Rz. 36.<br />

100 EuGH, Urt. v. 28.3.1995, “The Queen/Secretary of State for the Home Department, ex parte Evans Medical<br />

Ltd. und Macfarlan Smith Ltd”., Rs. C-324/93, Slg. 1995, I-563 = EuZW 1995, 369.<br />

101 A.a.O. (s. Fn. 22), Rz. 44ff.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

(3) Nord-Pas-de-Calais 102<br />

Die zweite Entscheidung des EuGH zu vergabefremden Kriterien erging am 26.09.2000 103 .<br />

Die französische Region Nord-Pas-de-Calais und das Departement Nord hatten im Amtsblatt<br />

EG Bekanntmachungen öffentlicher Bauaufträge über die Errichtung von Schulen veröffentlicht.<br />

In den Bekanntmachungen wurde angekündigt, dass die Angebote unter anderem anhand eines<br />

Zusatzkriteriums im Hinblick auf die Beschäftigung geprüft würden.<br />

Die Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich ein, in dem sie<br />

unter anderem die Verwendung dieses Zusatzkriteriums beanstandete. <strong>Der</strong> Vorwurf lautete, die<br />

französischen Behörden hätten dadurch, dass sie in bestimmten öffentlichen Ausschreibungen<br />

eine Bedingung bezüglich der Beschäftigung, die mit einer lokalen Maßnahme zum Kampf gegen<br />

die Arbeitslosigkeit zusammenhänge, ausdrücklich zum Zuschlagskriterium gemacht habe, gegen<br />

Art. 30 der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37 verstoßen. Die Berücksichtigung von Beschäftigungsmaßnahmen<br />

könne als Ausführungskriterium im Sinne des Urteils „Beentjes“ 104 angesehen<br />

werden; im vorliegenden Fall sei diese Möglichkeit jedoch in den fraglichen Bekanntmachungen<br />

als Zuschlagskriterium bezeichnet worden. Nach Art. 30 der Richtlinie müssten als Zuschlagskriterien<br />

entweder das Kriterium des niedrigsten Preises oder des wirtschaftlich günstigsten Angebots<br />

angewandt werden. Frankreich verteidigte sich - ebenfalls unter Berufung auf „Beentjes“<br />

- damit, dass dieses Urteil ein zusätzliches Zuschlagskriterium zugelassen habe.<br />

<strong>Der</strong> Gerichtshof verwies in seinen Ausführungen zunächst auf das Urteil in der Sache<br />

„Beentjes“ hinsichtlich der Kriterien für die Zuschlagserteilung, der Beachtung des Primärrechts<br />

und der Publizitätsvorschriften. Anschließend stellt er klar:<br />

„Soweit die Kommission vorbringt, das Urteil Beentjes betreffe eine Ausführungsbedingung<br />

des Vertrages und kein Zuschlagskriterium für einen Auftrag, so hatte, wie<br />

sich aus Randnummer 14 des Urteils Beentjes eindeutig ergibt, die Bedingung der<br />

Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, um die es in dieser Rechtssache ging, als<br />

Grund für den Ausschluss eines Bieters gedient und konnte daher nur ein Zuschlagskriterium<br />

sein.“ 105<br />

Am Ende wies der EuGH die Klage der Kommission mit dem Hinweis ab, dass diese beanstandet<br />

habe, dass ein solches Kriterium in der Bekanntmachung als Zuschlagskriterium überhaupt<br />

erwähnt worden sei. Sie habe nicht behauptet, dass das mit dem Kampf gegen die<br />

102 auch “Französische Schulen” genannt, vgl. Schima, NZBau 2002, 1, 4.<br />

103 EuGH, Urt. v. 26.9.2000, „Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik“,<br />

Rs. C-225/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-7445 = NJW 2000, 3629 = EuZW 2000, 755.<br />

104 Dort (s. Fn 16), Rz. 28, 37.<br />

105 „Beentjes“(s. Fn. 16), Rz. 14: „Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht zunächst darüber<br />

Auskunft erhalten, ob die Richtlinie 71/305 dem Ausschluss eines Bieters aus einem der folgenden Gründe<br />

entgegensteht: - Dem Bieter fehlt es an der für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen<br />

Erfahrung; - sein Angebot ist nach Ansicht des öffentlichen Auftraggebers nicht das günstigste; - er ist<br />

nicht in der Lage, Langzeitarbeitslose zu beschäftigen...“<br />

43


44<br />

Arbeitslosigkeit zusammenhängende Kriterium die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts,<br />

vor allem das Diskriminierungsverbot, nicht berücksichtige oder in der Bekanntmachung<br />

nicht veröffentlicht worden sei. 106<br />

Damit ist eine der offenen Fragen aus der Entscheidung „Beentjes“ beantwortet worden.<br />

Vergabefremde Kriterien sind bei den Optionen Zuschlagskriterien oder weitere Kategorie (außerhalb<br />

von Eignung und Zuschlag) 107 den Zuschlagkriterien zuzuordnen.<br />

(4) Concordia<br />

In einer aktuellen Entscheidung 108 hatte der EuGH sich mit der Berücksichtigung von Umweltkriterien<br />

im Vergabeverfahren zu befassen. Nach einer Ausschreibung der Stadt Helsinki für<br />

den öffentlichen Busverkehr sollte das Unternehmen den Zuschlag erhalten, das für die Stadt das<br />

gesamtwirtschaftlich günstigste Angebot machen würde, wobei drei Kategorien von Kriterien<br />

berücksichtigt wurden. Diese umfassten den für den Betrieb geforderten Gesamtpreis, die Qualität<br />

des Fuhrparks (Busse) und das Qualitäts- und Umweltkonzept des Verkehrsunternehmers.<br />

<strong>Der</strong> Stadtrat entschied sich für die HKL-Bussiliikenne (HKL), die in der Auswertung die meisten<br />

Punkte erreicht hatte. Die Gesellschaft Concordia kam lediglich auf den zweiten Platz. Daraufhin<br />

erhob sie Nichtigkeitsklage vor dem Wettbewerbsrat, wobei sie unter anderem geltend machte,<br />

dass die Vergabe von Zusatzpunkten für einen Fuhrpark, dessen Stickstoffemissionen und dessen<br />

Lärmpegel gewisse Grenzwerte unterschritten, unangemessen und diskriminierend sei. Es<br />

seien Zusatzpunkte für den Einsatz einer Art von Autobussen gewährt worden, die tatsächlich<br />

nur die HKL habe anbieten können.<br />

<strong>Der</strong> EuGH wies in seiner rechtlichen Würdigung 109 zunächst, wie schon in den Urteilen<br />

„Beentjes“ und „Nord-Pas-de-Calais“, auf die beispielhaft aufgezählten Kriterien hin, die bei der<br />

Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots angewendet werden dürfen und stellte wiederum<br />

klar, dass es sich um eine nicht abschließende Aufzählung von Kriterien handele 110 . Er<br />

führt fort:<br />

„Zweitens darf Art. 36 I lit. a nicht dahin ausgelegt werden, dass jedes Vergabekriterium,<br />

das der Auftraggeber festgelegt hat, um das wirtschaftlich günstigste<br />

Angebot zu ermitteln, notwendigerweise rein wirtschaftlicher Art sein muss. Es kann<br />

nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass Faktoren, die nicht rein wirtschaftlich sind,<br />

sich auf den Wert eines Angebots für diesen Auftraggeber auswirken können. Diese<br />

106 A.a.O. (s. Fn. 24), Rz. 48ff.<br />

107 Sind sie als zusätzliche Kriterien innerhalb der Eignungsprüfung ausgestaltet, so sind sie ohnehin,<br />

wie bereits festgestellt, unzulässig.<br />

108 EuGH, Urt. v. 17.9.2002, „Concordia Bus Finland Oy Ab gegen Helsingin kaupunki und HKL-Bussiliikenne“,<br />

Rs. C-513/99, NZBau 2002, 618.<br />

109 A.a.O. (s. Fn. 30), Rz. 53ff.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

110 Vorliegend ging es um Art. 36 Abs. 1 lit. a Richtlinie 92/50/EWG – Richtlinie des Rates vom 18.6.1992<br />

über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge.


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

Feststellung wird auch durch den Wortlaut dieser Vorschrift, in dem die Ästhetik eines<br />

Angebots ausdrücklich als Kriterium genannt wird, bekräftigt.“<br />

Mit Rücksicht auf das Ziel des gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechts, Hemmnisse für den<br />

freien Dienstleistungs- und Warenverkehr zu beseitigen, und in Anbetracht des Art. 6 EG (Einbeziehung<br />

der Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der<br />

Gemeinschaftspolitiken und –maßnahmen) folgert der EuGH,<br />

„dass Art. 36 I lit. a Richtlinie 92/50/EWG die Möglichkeit nicht ausschließt, dass der<br />

Auftraggeber im Rahmen der Beurteilung, welches Angebot wirtschaftlich am günstigsten<br />

ist, Umweltschutzkriterien anwendet.“<br />

Er stellt fest, dass, auch wenn Art. 36 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 92/50/EWG dem öffentlichen<br />

Auftraggeber die Wahl der Kriterien für die Zuschlagserteilung überlässt, nur Kriterien in<br />

Betracht kommen, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. Er verweist<br />

insofern auf die Entscheidungen „Beentjes“ 111 und „Evans Medical“. Weiterhin leitet der<br />

Gerichtshof bestimmte Voraussetzungen her, die diese Kriterien erfüllen müssen und überprüft<br />

im Einzelnen ihre Einhaltung im vorliegenden Fall. Zu den Voraussetzungen fasst er zusammen:<br />

„Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der öffentliche Auftraggeber, wenn er<br />

beschließt, einen Auftrag an den Bieter zu vergeben, der das wirtschaftlich günstigste<br />

Angebot gem. Art. 36 I lit. a Richtlinie 92/50/EWG abgegeben hat, Umweltschutzkriterien<br />

berücksichtigen darf, sofern diese Kriterien mit dem Gegenstand des Auftrags<br />

zusammenhängen, diesem Auftraggeber keine uneingeschränkte<br />

Entscheidungsfreiheit einräumen, im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung<br />

des Auftrags ausdrücklich genannt sind und bei ihnen alle wesentlichen Grundsätze<br />

des Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot, beachtet<br />

werden.“<br />

Um zu verhindern, dass dem Auftraggeber eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit eingeräumt<br />

wird, verlangt der EuGH, dass die verwendeten (Umwelt)kriterien objektiv und auf alle<br />

Angebote anwendbar sind.<br />

Zudem ist der Gerichtshof der Ansicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz der Berücksichtigung<br />

von Umweltschutzkriterien nicht allein deshalb entgegen stehe, weil das ausgewählte<br />

Verkehrsunternehmen zu den wenigen Unternehmen zähle, die in der Lage sind, einen Fuhrpark<br />

anzubieten, der diesen Kriterien entspricht 112 .<br />

Aus diesem Urteil geht eindeutig hervor, dass die Umweltkriterien als Bestandteil des Zuschlagskriteriums<br />

„wirtschaftlich günstigstes Angebot“ zu behandeln sind 113 . Dass für die Feststellung,<br />

nicht jedes Kriterium zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots müsse<br />

111 A.a.O. (s. Fn. 16), Rz. 19.<br />

112 A.a.O. (s. Fn. 30), Rz. 86.<br />

113 So auch Egger, NZBau 2002, 601, Fn. 1.<br />

45


46<br />

notwendigerweise rein wirtschaftlicher Art sein, auf die beispielhafte Erwähnung der Ästhetik in<br />

Art. 36 Abs. 1 lit. a Richtlinie 92/50/EWG verwiesen wird, hindert die Gültigkeit dieser Feststellung<br />

für die anderen Vergaberichtlinien, sofern sie dieses Kriterium nicht erwähnen, nicht. Lediglich<br />

zur Bekräftigung der genannten Feststellung wird auf das Kriterium Ästhetik verwiesen. Zu<br />

beachten ist jedoch, dass Art. 6 EG als Argument für die Zulässigkeit von Umweltkriterien herangezogen<br />

wird. Wie bedeutsam dieses Argument in der Entscheidung de EuGH ist, wird nicht klar.<br />

Damit ist für die Frage der Zulässigkeit sonstiger vergabefremder Kriterien auf die früheren<br />

Entscheidungen des EuGH zurückzugreifen.<br />

(5) Analyse der Rechtsprechung<br />

a) Voraussetzungen für die Zulässigkeit von vergabefremden Kriterien<br />

Die Rechtsprechung des EuGH lässt auch nach dem jüngsten Urteil keine eindeutigen Schlüsse<br />

hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zulässigkeit vergabefremder Kriterien zu. Auf den ersten<br />

Blick lässt sich eine Entwicklung in der Rechtsprechung erkennen, die Rechtsklarheit schafft.<br />

Eindeutig geht aus der Rechtsprechung die Unzulässigkeit vergabefremder Kriterien bei der Eignungsprüfung<br />

hervor. Die nach dem Urteil „Beentjes“ noch offenen Fragen sind scheinbar durch<br />

die folgenden Urteile beantwortet worden.<br />

So hat „Nord-Pas-de-Calais“ klargestellt, dass die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in<br />

„Beentjes“ als Zuschlagskriterium einzuordnen war. Durch die Entscheidung „Concordia“ scheint<br />

nun auch die Frage beantwortet zu sein, ob es sich bei den vergabefremden Kriterien um Kriterien<br />

innerhalb der Kategorie „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ handelt oder eine eigene Kategorie,<br />

die sich auf der gleichen Ebene wie der „niedrigste Preis“ und das „wirtschaftlich günstigste<br />

Angebot“ befindet. Eindeutig geht aus diesem Urteil hervor, dass die Umweltkriterien als ein<br />

Kriterium zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots einzuordnen sind. Daraus lässt<br />

sich scheinbar folgern, dass für die Zulässigkeit von vergabefremden Kriterien die vom EuGH in<br />

dem Urteil „Concordia“ hergeleiteten Voraussetzungen erfüllt sein müssen und damit ein handfestes<br />

„Prüfungsschema“ besteht.<br />

Zweifel drängen sich jedoch bei kritischer Hinterfragung dieses Verständnisses auf. Wie ist<br />

vor dem Hintergrund der Entscheidung „Concordia“ die Bemerkung des EuGH in „Beentjes“ zu<br />

verstehen, die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen habe nichts mit den in Art. 29 genannten<br />

Kriterien für die Erteilung des Zuschlags zu tun 114 ? In Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 71/305 geht es<br />

wie in dem Urteil „Concordia“ um die Vorschrift, die für die Erteilung des Zuschlags entweder<br />

ausschließlich auf den niedrigsten Preis, oder, wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste<br />

Angebot erfolgt, auf verschiedene, je nach Auftrag wechselnde Kriterien abstellt.<br />

<strong>Der</strong> Widerspruch zwischen den Urteilen lässt sich nur auflösen, wenn „Beentjes“ an dieser<br />

Stelle so zu verstehen ist, dass die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen nicht unter die in Art.<br />

29 Abs. 1 der Richtlinie 71/305/EWG beispielhaft aufgezählten Kriterien zur Ermittlung des<br />

wirtschaftlich günstigsten Angebots fällt, sondern ein weiteres Kriterium innerhalb dieser Kategorie<br />

darstellt, wie es der EuGH in „Concordia“ ausdrücklich zulässt. „Beentjes“ könnte aber an<br />

114 A.a.O. (s. Fn. 16), Rz. 28.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

dieser Stelle auch so verstanden werden, dass die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen ein<br />

Kriterium außerhalb von „niedrigstem Preis“ und „wirtschaftlich günstigstem Angebot“ darstellt.<br />

Ein unlösbarer Widerspruch besteht zu der Entscheidung „Kommission/Italienische Republik“<br />

von 1994, da der EuGH im Gegensatz zu den hier aufgeführten Urteilen dort eindeutig von<br />

einer abschließenden Regelung der Kriterien für den Zuschlag durch die dort in Streit stehende<br />

Richtlinie spricht. Außerdem bleibt, wie schon erwähnt, die Bedeutung des Verweises auf Art. 6<br />

EG in „Concordia“ unklar. Für andere vergabefremde Kriterien könnte der EuGH daher zu<br />

anderen Ergebnissen kommen. Dagegen spricht jedoch, dass er in „Beentjes“ und „Nord-Pas-de-<br />

Calais“ andere vergabefremde Kriterien bereits zugelassen hat. Außerdem stellt er in „Concordia“<br />

trotz des zusätzlichen Argumentes des Art. 6 EG strengere Anforderungen an die Zulässigkeit<br />

der Umweltkriterien, als in den vorherigen Entscheidungen, die sich nicht auf eine derartige Regelung<br />

des EG-Vertrages stützen konnten. Denkbar wäre es, dass der EuGH bei Umweltkriterien<br />

andere Anforderungen stellt als bei beschäftigungspolitischen Maßnahmen.<br />

Die vielen Unklarheiten in der Rechtsprechung des EuGH haben auch in der Literatur zu<br />

den unterschiedlichsten Positionen geführt. Das Urteil „Concordia“ konnte in der Literatur allerdings<br />

bisher nicht berücksichtigt werden. Die Meinungen variieren von schlüssiger Rechtsprechung<br />

und Zulässigkeit vergabefremder Kriterien 115 bis zu der Einschätzung, bei der Entscheidung<br />

„Nord-Pas-de-Calais“ handele es sich um ein eklatantes Fehlurteil, das hoffentlich ein Einzelfall<br />

bleiben werde 116.<br />

Trotz aller Zweifel ist nach Ansicht der Gutachter dem oben dargestellten Verständnis der<br />

Rechtsprechung zu folgen. Dies bedeutet, dass vergabefremde Kriterien als Zuschlagskriterium<br />

innerhalb der Kategorie „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ zulässig sind, sofern die in dem<br />

Urteil „Concordia“ festgelegten Voraussetzungen erfüllt werden.<br />

b) Vorliegen der Voraussetzungen bei Kernarbeitsnormen<br />

Das beschriebene Verständnis der Rechtsprechung zugrunde gelegt, müssen die Kernarbeitsnormen<br />

die in „Concordia“ aufgestellten Anforderungen erfüllen. Die Einhaltung aller<br />

wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wird später behandelt, stellt aber im Ergebnis<br />

keine größere Schwierigkeit dar. Ebenso ist die Einhaltung der Publizitätsvorschriften und das<br />

Erfordernis, dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit durch objektive<br />

und auf alle Angebote anwendbare Kriterien einzuräumen, leicht einzuhalten. Schwierigkeiten<br />

ergeben sich bzgl. der Voraussetzung, dass die vergabefremden Kriterien mit dem Gegenstand<br />

des Auftrags zusammenhängen müssen. An dieser Stelle wird die Unterscheidung zwischen dem<br />

öffentlichen Beschaffungswesen im Allgemeinen und dem öffentlichen Beschaffungswesen im<br />

Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit relevant. In der Entscheidung „Concordia“<br />

war der geforderte Zusammenhang eindeutig gegeben. Daher ist unklar, welche Anforderungen<br />

hieran zu stellen sind. Zwar ist durch die jüngste Entscheidung klargestellt, dass die Kriterien zur<br />

Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht notwendigerweise rein wirtschaftlich<br />

sein müssen, wie eng der Zusammenhang mit dem Gegenstand des Auftrags ausfallen muss, geht<br />

daraus jedoch nicht hervor. <strong>Der</strong> EuGH formuliert:<br />

115 Ziekow, NZBau, 2001, 72ff.<br />

116 Dreher, JZ 2001, 140f.<br />

47


48<br />

„Da ein Angebot sich notwendigerweise auf den Auftragsgegenstand bezieht, müssen<br />

auch die Zuschlagskriterien, die nach dieser Vorschrift festgelegt werden können, mit<br />

dem Auftragsgegenstand zusammenhängen.“ 117<br />

Letztlich lässt auch hier die Rechtsprechung des EuGH keine eindeutige Antwort zu. Bei<br />

dem von den Gutachtern vertretenen Verständnis der EuGH-Rechtsprechung als eine schlüssige<br />

Entwicklung von „Beentjes“ über „Nord-Pas-de-Calais“ bis zu „Concordia“ ist bei der Verwendung<br />

von Kernarbeitsnormen im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit aber<br />

auch unabhängig hiervon das Vorliegen des geforderten Zusammenhangs zu bejahen. In den<br />

beiden früheren Urteilen hat der EuGH beschäftigungspolitische Kriterien zugelassen. Da er in<br />

der Entscheidung „Concordia“ weder seine vorherige Rechtsprechung aufgibt, noch eine eindeutige<br />

Abgrenzung zu dieser trifft, ist davon auszugehen, dass er auch bei diesen Kriterien (z.B. der<br />

Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in „Beentjes“) von dem Vorliegen des notwendigen Zusammenhanges<br />

ausgeht. Damit ist dieses Erfordernis so weit zu fassen, dass auch das Erfordernis<br />

der Einhaltung von Kernarbeitsnormen im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit<br />

und im Allgemeinen den notwendigen Zusammenhang zu dem Auftrag aufweist.<br />

Auch an dieser Stelle bleiben jedoch Zweifel bestehen. Kann der EuGH ein derart weitgehendes<br />

Verständnis des Zusammenhangs mit dem Auftragsgegenstand gewollt haben? Möglicherweise<br />

hat er bei der Aufstellung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Umweltkriterien<br />

die Auswirkungen auf andere vergabefremde Kriterien nicht bedacht. Sollte die Rechtsprechung<br />

des EuGH daher, wie sich erst durch zukünftige Urteile herausstellen kann, nicht in der hier<br />

vertretenen Weise zu verstehen sein, müssten die Urteile „Beentjes“ und „Nord-Pas-de-Calais“<br />

losgelöst von dem Urteil „Concordia“ betrachtet werden. Dann wären nur die in den ersten beiden<br />

Urteilen aufgestellten Voraussetzungen (Zuschlagskriterium, Einhaltung des Primärrechts<br />

und der Publizitätsvorschriften) bei der Verwendung von Kernarbeitsnormen einzuhalten.<br />

6.4 Vergaberechtliche Probleme nach deutschem Recht<br />

6.4.1 Rechtslage nach § 97 GWB 118<br />

Gem. § 97 Abs. 4 HS 2 GWB, der für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte heranzuziehen<br />

ist, ist für die Zulässigkeit vergabefremder Aspekte bei der Auftragsvergabe eine bundes- oder<br />

landesgesetzliche Regelung notwendig, die diese Aspekte vorsieht. § 97 Abs. 4 GWB bestimmt:<br />

„Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen<br />

vergeben; andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur<br />

gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist.“<br />

Damit scheint zunächst eindeutig festgelegt zu sein, dass ein Bundes- oder Landesgesetz<br />

erforderlich ist, um eine Zulässigkeit von vergabefremden Kriterien im deutschen Recht zu erreichen.<br />

Einer näheren Untersuchung bedürfte die Feststellung, wie „Bundes- oder Landesgesetz“<br />

117 A.a.O. (s. Fn. 30), Rz. 59.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

118 <strong>Der</strong> Analyse wird das hier vertretene Verständnis der EuGH-Rechtsprechung als schlüssiges Gesamtkonzept<br />

zugrunde gelegt.


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

in diesem Zusammenhang zu definieren ist, ob es sich hierbei um eine Kompetenzverteilungsnorm<br />

handelt, etc. 119<br />

Zu beachten sind aber die Vorgaben des EuGH. § 97 Abs. 4 GWB bezieht sich im 1. HS auf<br />

Eignungskriterien (Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit). <strong>Der</strong> EuGH hat vergabefremde<br />

Kriterien nur als Zuschlagskriterien zugelassen. Nach der Entscheidung „Beentjes“ war noch<br />

unklar, ob es sich um Zuschlagskriterien oder eine dritte Kategorie neben Eignung und Zuschlag<br />

handeln sollte, mit den Entscheidungen „Nord-Pas-de-Calais“ und „Concordia“ hat der EuGH<br />

diese Zweifel ausgeräumt und vergabefremde Kriterien als Zuschlagskriterien zugelassen, nicht<br />

aber im Rahmen der Eignungsprüfung. Für den Zuschlag ist im deutschen Recht § 97 Abs. 5<br />

GWB maßgeblich, nach dem der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird. Bei<br />

systematischer Betrachtung kann sich § 97 Abs. 4 HS 2 GWB nicht auch auf § 97 Abs. 5 GWB<br />

beziehen. Ausnahmeregelungen beziehen sich innerhalb eines Absatzes grundsätzlich nur auf<br />

diesen Absatz, jedenfalls aber nicht auf folgende Absätze. Vor dem Hintergrund der gemeinschaftsrechtlichen<br />

Vorgaben liefe § 97 Abs. 4 HS 2 GWB dann leer. Mit dem Argument, der Gesetzgeber<br />

habe eine gesetzliche Ermächtigung zur Voraussetzung für die Verwendung von vergabefremden<br />

Kriterien machen wollen, könnte § 97 Abs. 4 HS 2 GWB dennoch auf § 97 Abs. 5 GWB bezogen<br />

werden. Die bisherige Rechtsprechung äußert sich zu dieser Problematik nicht. Einige Beschlüsse<br />

von Oberlandesgerichten 120 behandeln die Zulässigkeit von vergabefremden Kriterien nach § 97<br />

Abs. 4 und 5 GWB am Rande, bleiben aber unklar in ihren Ausführungen. <strong>Der</strong> Grund ist möglicherweise<br />

darin zu sehen, dass diese Beschlüsse vor der EuGH-Entscheidung „Nord-Pas-de-<br />

Calais“ ergangen sind. In dem ersten Beschluss, der diese Thematik anspricht, werden die<br />

Regelungen des § 97 Abs. 4 und 5 GWB zusammenfassend ohne Unterscheidung zwischen den<br />

Absätzen dargestellt 121 . Es wird der Eindruck erweckt, § 97 Abs. 4 HS 2 GWB beziehe sich eindeutig<br />

auf beide Absätze. Das OLG Jena weist auf § 97 Abs. 4 HS 2 GWB hin, geht aber im<br />

Übrigen hauptsächlich auf die Vereinbarkeit von vergabefremden Kriterien mit den EU-Vergaberichtlinien<br />

ein, die es in der Tendenz verneint 122 . Die inzwischen ergangenen EuGH-Urteile machen<br />

diese Erörterungen obsolet. Die weitere Entscheidung vom BayObLG weist auf die Regelung<br />

des § 97 Abs. 4 HS 2 GWB hin, äußert sich aber nicht zu der europarechtlichen Verknüpfung 123 .<br />

Sollte § 97 Abs. 4 HS 2 GWB nicht ebenfalls auf § 97 Abs. 5 GWB zu beziehen sein, so ist<br />

eine richtlinienkonforme Auslegung des § 97 Abs. 5 GWB im Sinne der Rechtsprechung des<br />

EuGH zu den vergabefremden Kriterien zu erwägen. Damit wäre eine Einbeziehung von vergabefremden<br />

Kriterien als Zuschlagskriterium ohne eine gesetzliche Ermächtigung im Sinne des § 97<br />

Abs. 4 HS 2 GWB zulässig, aber innerhalb der vom EuGH gesetzten Grenzen. Dagegen spricht<br />

jedoch, dass bzgl. der vergabefremden Aspekte keine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zu<br />

einer Berücksichtigung bei der Auftragsvergabe besteht, sondern lediglich die gemeinschafts-<br />

119 S. dazu im Einzelnen Heintzen, ZHR 165 (2001), 62ff.<br />

120 BayObLG, Beschluss v. 21.05.1999, NVwZ 1999, 1138; BayObLG, Beschluss v. 20.12.1999, NZBau 2000,<br />

259; OLG Jena, Beschluss v. 13.10.1999, NZBau 2001, 39.<br />

121 BayObLG, Beschluss vom 21.05.1999, NVwZ 1999, 1138, 1142.<br />

122 OLG Jena, Beschluss v. 13.10.1999, NZBau 2001, 39, 42.<br />

123 BayObLG, Beschluss v. 20.12.1999, NZBau 2000, 259, 261.<br />

49


50<br />

rechtliche Zulässigkeit dieser Aspekte aufgrund der Rechtsprechung des EuGH feststeht. Den<br />

Mitgliedstaaten ist lediglich die Möglichkeit zu einem Einsatz dieser Kriterien im Vergabeverfahren<br />

gegeben. Es ist keine Verpflichtung hierzu durch die Richtlinien geschaffen worden. Eine richtlinienkonforme<br />

Auslegung des § 97 Abs. 5 GWB ist daher nicht zwingend. Da die Vorschriften der §§<br />

97ff. GWB der Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien zum Vergaberecht dienten,<br />

ist die richtlinienkonforme Auslegung möglicherweise maßgeblich. Ob die Rechtsprechung tatsächlich<br />

zu diesem Ergebnis kommt, ist nicht abzusehen.<br />

Im Ergebnis bestehen drei Möglichkeiten, wie die Rechtslage im Hinblick auf § 97 GWB<br />

interpretiert werden kann. Entweder sind vergabefremde Zuschlagskriterien nur zulässig, wenn<br />

ein Bundes- oder Landesgesetz im Sinne des § 97 Abs. 4 HS 2 GWB besteht. Oder vergabefremde<br />

Kriterien sind aufgrund richtlinienkonformer Auslegung des § 97 Abs. 5 GWB ohne<br />

Bundes- oder Landesgesetz innerhalb der vom EuGH vorgegebenen Grenzen zulässig. Oder<br />

vergabefremde Kriterien sind aufgrund der Verknüpfung von europäischem und deutschem Recht<br />

nach der bestehenden Rechtslage nicht zulässig, da der EuGH sie nicht als Eignungskriterien<br />

zulässt, § 97 Abs. 5 GWB sie aber auch als Zuschlagskriterien nicht zulässt.<br />

Nach Ansicht der Gutachter ist der ersten Möglichkeit zu folgen. Zwar ist dieser Weg streng<br />

formal gesehen nicht zulässig, er kommt aber dem Willen des nationalen und des europäischen<br />

Gesetzgebers am nächsten. Zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verwendung von<br />

Kernarbeitsnormen als Zuschlagskriterien ist ein Bundes- oder Landesgesetz im Sinne des § 97<br />

Abs. 4 HS 2 GWB, das die Verwendung erlaubt. Dies gilt für das gesamte öffentliche Beschaffungswesen.<br />

6.4.2 Spezielle vergaberechtliche Vorgaben bei Aufträgen<br />

unterhalb der Schwellenwerte<br />

Das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte ist im Wesentlichen durch die Verdingungsordnungen<br />

124 geprägt, die lediglich den Charakter von Verwaltungsvorschriften haben. Sie werden<br />

von den Verdingungsausschüssen verfasst und aufgrund der zur Anwendung der Haushaltsordnungen<br />

(vgl. §§ 55 BHO/LHO) ergangenen Verwaltungsvorschriften selbst zu Verwaltungsvorschriften<br />

125 . Richtlinien der Bundesregierung oder eines Bundesministers betreffend spezieller,<br />

die Verdingungsordnungen ergänzender oder abändernder Vergabekriterien stellen im Bereich<br />

unterhalb der Schwellenwerte Innenrecht (d.h. verwaltungsinternes Recht) dar, ebenso wie die<br />

Verdingungsordnungen. Soweit die Zuständigkeit des Richtliniengebers gegeben ist, ist er befugt,<br />

ergänzende oder abändernde Regelungen zu treffen, sofern höherrangiges Recht nicht entgegensteht<br />

126 . Insoweit gelten die folgenden Ausführungen zum Europäischen Primärrecht und deutschem<br />

Verfassungs- und einfachgesetzlichem Recht.<br />

124 Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) Teil A, Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen<br />

(VOL/A), idF der Bekanntmachung vom 24.10.2000 (BAnz 200a); Verdingungsordnung für Bauleistungen<br />

(VOB) Teil A, Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen (VOB/A), idF der<br />

Bekanntmachung vom 30.5.2000 (BAnz 120 a); Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF),<br />

idF der Bekanntmachung vom 25.7.2000 (BAnz 173 a).<br />

125 Vgl. Boesen, Vergaberecht, 2000, Einleitung, Rz. 158, 128ff.<br />

126 Riese, Vergaberecht, 1998, S. 205.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

6.4.3 Verfassungsrecht<br />

<strong>Der</strong> Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Beschluss aus dem Jahr 2000 das<br />

Berliner Vergabegesetz für verfassungswidrig gehalten und die Angelegenheit dem Bundesverfassungsgericht<br />

vorgelegt 127 . Neben fehlender Kompetenz des Landesgesetzgebers und verschiedener<br />

Verstöße gegen Bundesrecht hat der BGH einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit<br />

des Art. 9 Abs. 3 GG festgestellt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch<br />

aus. Auch in der Literatur werden verfassungsrechtliche Hindernisse vor allem gegen die Einführung<br />

von Tariftreuegesetzen bzw. -erklärungen 128 diskutiert. Da die Kompetenzfrage bei der Verankerung<br />

von Kernarbeitsnormen jedoch eine andere ist und die negative Koalitionsfreiheit nicht<br />

betroffen ist, sind die Bedenken des BGH nicht auf die hier untersuchte Fragestellung übertragbar<br />

129 .<br />

Zu beachten ist Art. 3 Abs. 1 GG. Für das Auftragswesen geht die Chancengleichheit der<br />

Bewerber aus Art. 3 Abs. 1 GG hervor. Sofern eine Berücksichtigung vergabefremder Aspekte zu<br />

einer Diskriminierung bestimmter Unternehmen führt, muss diese Diskriminierung sachlich gerechtfertigt<br />

sein 130 . Bei Kernarbeitsnormen als vergabefremden Kriterien ist die Ungleichbehandlung<br />

von Unternehmen sowohl im öffentlichen Beschaffungswesen im Allgemeinen als auch in der<br />

Entwicklungszusammenarbeit nach Ansicht der Gutachter sachlich gerechtfertigt. Das vergabefremde<br />

Kriterium ist auf ein legitimes Ziel bezogen, zur Verwirklichung dieses Ziels nicht völlig<br />

ungeeignet, erforderlich und angemessen 131 .<br />

Des weiteren ist das Rechtsstaatsprinzip zu beachten, d.h. Verhältnismäßigkeit, Rechtssicherheit<br />

und Vertrauensschutz 132 . Auch in dieser Hinsicht stehen der Einbeziehung von Kernarbeitsnormen<br />

keine Hindernisse entgegen.<br />

6.4.4 Sonstiges nationales Recht<br />

Zu beachten sind im einfachen Recht § 20 Abs. 1 und 2 GWB, die ebenfalls ein<br />

Diskriminierungsverbot statuieren. Diese Vorschriften spielten vor allem in dem Berliner Verfahren<br />

zur Tariftreueerklärung eine Rolle. Das Bundeskartellamt hatte dem Berliner Senat untersagt,<br />

öffentliche Straßenbauaufträge nur an solche Unternehmen zu vergeben, die eine sog. Tariftreueerklärung<br />

unterzeichnet hatten. Das Bundeskartellamt, das Kammergericht und der BGH sahen<br />

das Land Berlin als marktstarkes Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 2 GWB bei der Nachfrage<br />

von Straßenbauleistungen an. Die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Zwecke mittels der<br />

verlangten Erklärung stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung derjenigen<br />

Bieter dar, die nicht bereit seien, die verlangte Erklärung abzugeben. Es komme zu einer<br />

127 BGH, Beschluss vom 18.01.2000, ZIP 2000, 426 = JZ 2000, 514 =NzBau 2000, 189.<br />

128 S. z.B. Däubler, ZIP 2000, 681; Bultmann, BuW 2001, 244; Schwab, NZA 2001, 701; Seifert, ZfA 2001, 1.<br />

129 Zu möglichen Verstößen gegen Bundesrecht s. unter V.<br />

130 Boesen, Vergaberecht, 2000, § 97, Rz. 136.<br />

131 Ausführlich zu der Problematik Art. 3 I GG Burgi, NZBau 2001, 64, 69ff., der einen Bezug zu der<br />

Leistungserbringung fordert, diesen aber z.B. bei Tariftreueerklärungen für gegeben hält.<br />

132 Boesen, Vergaberecht, 2000, § 97, Rz. 137.<br />

51


52<br />

Diskriminierung von Unternehmen, die nicht tarifgebunden seien, sowie von Unternehmen, die<br />

ihren Sitz außerhalb des Tarifgebiets Berlin hätten und somit berechtigt seien, niedrigere Tarife zu<br />

zahlen 133 . Aus der Entscheidung des BGH kann aber nicht geschlossen werden, dass auch bei der<br />

Einbeziehung von Kernarbeitsnormen ein Verstoß gegen § 20 GWB vorläge. Insoweit gelten die<br />

gleichen Erwägungen wie zu Art. 3 GG.<br />

Zu beachten sind zudem die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gem. § 7<br />

BHO, § 6 HGrG, sowie § 1 StWG (Stabilitätsgesetz) und Art. 109 Abs. 2 GG, die die Beachtung<br />

der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erfordern 134 .<br />

6.5 Zukünftige Entwicklung (Richtlinienvorschläge der Kommission)<br />

Bislang kann für die europarechtliche Auslegung des Vergaberechts nur auf die Rechtsprechung<br />

des EuGH zurückgegriffen werden. Am 5.10.2000 hat die Kommission zwei Richtlinienvorschläge<br />

gemacht, zum einen den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments<br />

und des Rates im Hinblick auf die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge,<br />

Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge (LDB-Richtlinie) 135 , zum anderen den Vorschlag<br />

für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die<br />

Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und<br />

Verkehrsversorgung (WEV-Richtlinie) 136 . Die LDB-Richtlinie fasst die bisherigen Richtlinien 92/<br />

50/EWG, 93/36/EWG und 93/37/EWG, Dienstleisungskoordinierungsrichtlinie, Lieferaufträgekoordinierungsrichtlinie<br />

und Bauaufträgekoordinierungsrichtlinie zusammen. Die WEV-Richtlinie<br />

ist der Nachfolger der Sektorenkoordinierungsrichtlinie, die hauptsächlich neu strukturiert<br />

wird. Seit dem 6.5.2002 liegen geänderte Richtlinienvorschläge der Kommission vor 137 . <strong>Der</strong> Rat<br />

hat am 21.05.2002 zu der LDB-Richtlinie und am 30.9.2002 zu der WEV-Richtlinie eine politische<br />

Einigung erzielt. Im weiteren Verfahren steht die zweite Lesung im Europäischen Parlament an. 138<br />

An dem (geänderten) Vorschlag der LDB-Richtlinie sollen exemplarisch die Inhalte zu vergabefremden<br />

Kriterien herausgestellt werden. Da hinsichtlich dieser Kriterien im Wesentlichen der<br />

Änderungsvorschlag interessant ist und die Änderungen der WEV-Richtlinie weitgehend dekkungsgleich<br />

mit denen der LDB-Richtlinie sind 139 , wird auf eine gesonderte Darstellung für die<br />

WEV-Richtlinie verzichtet.<br />

133 BKartA WuW/E Verg 7ff.; KG, WuW/E Verg 111ff.; BGH WuW/E Verg 297ff.; Bechthold,<br />

GWB, 3. Aufl., 2002, § 97, Rz. 27.<br />

134 Riese, Vergaberecht, 1998, S. 208f.<br />

135 KOM (2000) 275 endgültig, Internet:<br />

europa.eu.int/comm/internal_market/en/publproc/general/com275de.pdf<br />

136 KOM (2000) 276 endgültig, Internet: europa.eu.int/comm/internal_market/en/publproc/general/<br />

com276de.pdf<br />

137 LDB-Richtlinie: KOM (2002) 236 endgültig, ABlEG v. 27.8.2002, Nr. C 203 E, S. 210ff.; WEV-Richtlinie:<br />

KOM (2002) 235 endgültig.<br />

138 Gegen die Einführung von Ökokriterien wendet sich die die EVP-Fraktion im Europaparlament,<br />

da hierdurch Missbrauch und Bürokratie Tür und Tor geöffnet würde, FAZ vom 22. April 2003, S. 23.<br />

139 Braun, NZBau 2002, (abrufbar über www.nzbau.de), 2, 9 (Fn. 77).<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

In Erwägungsgrund 22 des Vorschlags führt die Kommission aus 140 :<br />

„Bedingungen zur Ausführung des Auftrages sind mit der Richtlinie vereinbar, sofern<br />

sie nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskriminierung der Bieter aus anderen<br />

Mitgliedstaaten führen und in der Bekanntmachung der Ausschreibung zwingend<br />

angegeben sind. Sie können insbesondere das Ziel verfolgen, Arbeit von benachteiligten<br />

oder ausgeschlossenen Personen zu fördern oder gegen Arbeitslosigkeit zu<br />

kämpfen.“<br />

Dieser Text beruht auf der Rechtsprechung des EuGH in der Sache „Beentjes“, wie die<br />

Kommission in dem Änderungsvorschlag erläutert 141 . Dementsprechend sieht die Kommission<br />

in Art. 23 Abs. 3 des Vorschlags unter dem Titel „Besondere Regelungen für die Verdingungsunterlagen<br />

und die Auftragsunterlagen“, Artikel 23 „Allgemeine Bestimmungen“, die Regelung vor 142 :<br />

„<strong>Der</strong> Auftraggeber kann zusätzliche Bedingungen zur Ausführung des Auftrags<br />

verlangen, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.“ 143<br />

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH sind diese Ausführungen jedoch unklar.<br />

Dieser hatte in der Entscheidung „Nord-Pas-de-Calais“ ausgeführt, dass es sich bei der Bedingung<br />

der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in „Beentjes“ um ein Zuschlagskriterium<br />

handelte. In Anbetracht der Tatsache, dass der EuGH damit gerade die Ansicht von Generalanwalt<br />

Alber in seinen Schlussanträgen abgelehnt hatte, ist die Einordnung der Kriterien durch<br />

die Kommission hier erstaunlich. <strong>Der</strong> Generalanwalt hatte in „Nord-Pas-de-Calais“ vertreten,<br />

dass es sich um sog. Ausführungskriterien in „Beentjes“ gehandelt habe, die er als Bedingungen<br />

definierte 144 , die Bestandteil des mit dem ausgewählten Bieter geschlossenen Vertrags werden<br />

sollen. Aufklärung kann insoweit möglicherweise die Änderung des Erwägungsgrundes 29 bieten.<br />

Dieser war in dem Ausgangsvorschlag auf die bisher üblichen Vergabekriterien bezogen 145 .<br />

„Die Auftragsvergabe muss ebenfalls auf der Grundlage objektiver Kriterien erfolgen,<br />

die die Einhaltung der Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung<br />

gewährleisten und sicherstellen, dass die Angebote unter echten Wettbewerbsbedingungen<br />

bewertet werden. Dementsprechend sind lediglich zwei<br />

Vergabekriterien zugelassen: das des „niedrigsten Preises“ und das des „wirtschaftlich<br />

günstigsten Angebots“.“<br />

Die Änderung sieht nunmehr vergabefremde Kriterien vor, die wiederum unter dem Begriff<br />

„Bedingungen zur Ausführung eines Auftrags“ zusammengefasst werden 146 .<br />

140 KOM (2000) 275 endgültig, S. 37.<br />

141 ABlEG v. 27.8.2002, Nr. C 203 E, S. 210, 218.<br />

142 KOM (2000) 275 endgültig, S. 54.<br />

143 Erwägungsgrund 22 und Artikel 23 wurden in dem Änderungsvorschlag nicht verändert.<br />

144 Schlussanträge des GA Alber vom 14.3.2000 in der Rs. C-225/98, (s. Fn. 25), Rz. 43ff.<br />

145 KOM (2000) 275 endgültig, S. 38.<br />

146 ABlEG v. 27.8.2002, Nr. C 203 E, S. 210, 219.<br />

53


54<br />

„Die Bedingungen zur Ausführung eines Auftrags sind mit der Richtlinie vereinbar,<br />

sofern sie nicht unmittelbar oder mittelbar zur Diskriminierung führen und in der<br />

Ausschreibung oder den Verdingungsunterlagen veröffentlicht werden. Sie können das<br />

Ziel haben, die praktische Ausbildung, die Beschäftigung von Personen, deren Eingliederung<br />

besonders schwierig ist, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder den Umweltschutz<br />

voranzutreiben, und - die Ausführung des Auftrags betreffend -<br />

beispielsweise in der Auflage bestehen, Langzeitarbeitslose einzustellen oder<br />

Schulungsmaßnahmen für Arbeitslose oder Jugendliche durchzuführen, die Bestimmungen<br />

der Kernübereinkommen der IAO einzuhalten, falls diese nicht in nationales<br />

Recht umgesetzt wurden, oder eine Anzahl behinderter Personen einzustellen, die<br />

über das von der nationalen Gesetzgebung vorgeschriebene Maß hinausgeht.“<br />

Außerdem wurde ein Art. 26 a „Bedingungen zur Ausführung des Auftrags“ eingefügt durch<br />

den Änderungsvorschlag mit folgendem Inhalt 147 :<br />

„<strong>Der</strong> Auftraggeber kann besondere Bedingungen zur Ausführung des Auftrags<br />

verlangen, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Ausschreibung<br />

oder den Verdingungsunterlagen angeführt werden. Die Bedingungen zur<br />

Ausführung eines Auftrags können insbesondere sozialen und Umweltbelangen<br />

Rechnung tragen.“<br />

Damit ist zwar nicht eindeutig erkennbar, ob vergabefremde Kriterien als Zuschlagskriterien<br />

nach der neuen Richtlinie zugelassen werden sollen. Dies scheint aber die Intention der Kommission<br />

zu sein (unabhängig von einem bestimmten Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand<br />

und damit im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung nicht nur für die Entwicklungszusammenarbeit<br />

sondern für das öffentliche Beschaffungswesen im Allgemeinen), insbesondere nach den<br />

Änderungen auf Anregung der Ausschüsse. In diesem Sinne sind wohl Art. 23 Abs. 3 und der<br />

Erwägungsgrund 22 ebenfalls zu verstehen. An den Vorschriften zum Zuschlag selbst hat die<br />

Kommission keine Änderungen vorgenommen, die vergabefremde Kriterien ausdrücklich einbeziehen<br />

würden.<br />

Interessant im Hinblick auf die Kernarbeitsnormen ist ein Änderungsvorschlag des Parlaments<br />

betreffend die mögliche Ablehnung von Angeboten mit ungewöhnlich niedrigem Preis, da<br />

ausdrücklich die Einhaltung der internationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften bei Bezug von<br />

Waren oder Dienstleistungen aus Drittländern angesprochen wird. Zu diesem Änderungsvorschlag<br />

nimmt die Kommission folgendermaßen Stellung 148 :<br />

„Im zweiten Teil ergänzt Abänderung 100 die Begründungen (warum das Angebot<br />

ungewöhnlich niedrig erscheint), die der Auftraggeber bei der Feststellung berücksichtigen<br />

muss, ob es sich um ein ungewöhnlich niedriges Angebot handelt, um eine<br />

weitere, nämlich die Einhaltung der Vorschriften über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen<br />

durch den Bieter und Unterauftragnehmer bei der Ausführung des<br />

147 ABlEG v. 27.8.2002, Nr. C 203 E, S. 210, 219.<br />

148 ABlEG v. 27.8.2002, Nr. C 203 E, S. 210, 220.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

Auftrags, sowie – im Falle der Lieferung von Gütern und Erbringung von Dienstleistungen<br />

aus Drittländern —die Einhaltung der wichtigsten internationalen arbeitsrechtlichen<br />

Vorschriften gemäß Anhang IXb bei ihrer Herstellung, so wie es in<br />

Abänderung 116 vorgeschlagen wird.<br />

Es kann sein, dass sich der Auftraggeber vergewissern möchte, dass das Angebot<br />

nicht etwa wegen Nichtbeachtung des Arbeitsrechts zu niedrig ist; aus diesem Grund<br />

übernimmt die Kommission diese Abänderung und stellt im Text klar, dass das<br />

Verzeichnis der Begründungen nicht erschöpfend ist.<br />

Was die internationalen arbeitsrechtlichen Vorschriften anbelangt, muss darauf<br />

hingewiesen werden, dass die Einhaltung dieser Vorschriften nicht Gegenstand der<br />

„Vergaberichtlinie “ ist. Wenn diese Vorschriften dagegen in nationales Recht überführt<br />

worden sind, dann kann ihre Einhaltung bei der Auswahl der Bewerber oder<br />

Bieter geprüft werden.<br />

Die Kommission übernimmt die Abänderungen 15 und 100 wie folgt:<br />

„Artikel 54<br />

Ungewöhnlich niedrige Angebote<br />

(1) Scheinen im Fall eines bestimmten Auftrags Angebote im Verhältnis zur Leistung<br />

ungewöhnlich niedrig zu sein, so muss der Auftraggeber vor Ablehnung dieser<br />

Angebote schriftlich Aufklärung über die Einzelposten des Angebots verlangen,<br />

wo er dies für angezeigt hält.<br />

Diese Aufklärung über die Einzelposten kann insbesondere folgende Aspekte<br />

betreffen:<br />

a) die Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens, der Erbringung der<br />

Dienstleistung oder des Bauverfahrens;<br />

b) die technischen Lösungen und/oder außergewöhnlich günstigen Bedingungen,<br />

über die der Bieter bei der Lieferung der Waren, der Erbringung der<br />

Dienstleistung oder der Durchführung der Bauarbeiten verfügt;<br />

c) die Originalität der vom Bieter vorgeschlagenen Lieferungen, Dienst- oder<br />

Bauleistungen;<br />

ca) die Einhaltung der am Ort der Leistungserbringung geltenden Vorschriften<br />

über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen;<br />

d) etwaige staatliche Beihilfen, die dem Bieter gewährt werden.“<br />

6.6 Primärrecht<br />

Festzustellen ist zunächst, dass der EuGH in der Entscheidung „Concordia“, anders als in<br />

den vorherigen Entscheidungen, eine konkrete Prüfung der von ihm aufgestellten Voraussetzungen<br />

vorgenommen hat. Dabei ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Verletzung des<br />

55


56<br />

Primärrechts durch die Einbeziehung von Umweltkriterien gegeben ist. Tatsächlich geprüft hat er<br />

insoweit nur das Diskriminierungsverbot, wobei er zu dem Ergebnis gelangt ist, dass allein die<br />

Tatsache, dass das verwendete Kriterium nur von einer kleinen Anzahl von Unternehmen erfüllt<br />

werden konnte, nicht zu einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot führt 149 .<br />

Ein möglicher Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wird vom EuGH in den Vordergrund<br />

gestellt. Von diesem werden unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aufgrund der<br />

Staatsangehörigkeit erfasst. Bei der Verwendung von vergabefremden Kriterien bei der Auftragsvergabe<br />

kann eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorliegen, wenn<br />

die betreffenden Bedingungen zwar auch von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten erfüllt werden<br />

können, jedoch nur mit größeren Schwierigkeiten als von den einheimischen Bietern 150 . Bei der<br />

Einbeziehung von Kernarbeitsnormen als vergabefremde Kriterien kommt es nach Ansicht der<br />

Gutachter grundsätzlich nicht zu einer solchen mittelbaren Diskriminierung. Das Vergabeverfahren<br />

kann so ausgestaltet werden, dass die Einhaltung des Diskriminierungsverbotes gewährleistet<br />

wird.<br />

Darüber hinaus gelten die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit auch für Maßnahmen,<br />

die unterschiedslos in- und ausländische Bieter betreffen, sofern diese Maßnahmen den Handel<br />

bzw. die Erbringung von Dienstleistungen behindern und nicht aus zwingenden Erfordernissen<br />

zu rechtfertigen sind 151 . <strong>Der</strong> EuGH beanstandete z.B. ein Vergabeverfahren, in dem den Bietern<br />

vorgeschrieben wurde, dass Betriebssystem UNIX zu verwenden. Die Vorgabe sei handelsbehindernd,<br />

da sie Interessenten, die ähnliche Systeme wie UNIX anwenden, davon abhalte, an<br />

der Ausschreibung teilzunehmen 152 .<br />

Bei der Verwendung von Kernarbeitsnormen erscheint schon fraglich, ob eine Behinderung<br />

des Handels oder der Erbringung von Dienstleistungen zu bejahen ist. Für eine Behinderung<br />

spricht, dass durch den Ausschluss von Angeboten, die die Einhaltung der Kernarbeitsnormen<br />

nicht gewährleisten, der Handel beeinflusst wird. Andererseits ist eine Einwirkung auf den Handel<br />

oder die Erbringung von Dienstleistungen bei der Verwendung eines vergabefremden Kriteriums<br />

immer gegeben. Auch in der Sache „Concordia“ war dies der Fall.<br />

<strong>Der</strong> EuGH hat aber eine Behinderung des Handels oder der Erbringung von Dienstleistungen<br />

trotz seiner Einzelfallprüfung nicht einmal thematisiert. Daher ist auch bei der Verwendung<br />

von Kernarbeitsnormen eine Behinderung abzulehnen. Selbst wenn diese von der Rechtsprechung<br />

einmal bejaht werden sollte, wäre sie nach Ansicht der Gutachter im Hinblick auf die<br />

Bedeutung der Kernarbeitsnormen aus zwingenden Erfordernissen gerechtfertigt. <strong>Der</strong> EuGH<br />

hat die Möglichkeit einer Rechtfertigung unter dem Aspekt des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer<br />

des Baugewerbes bereits bejaht 153 . Eine Mindestvergütung für aus einem anderen Mitgliedstaat<br />

entsandte Arbeitnehmer hat er in diesem Zusammenhang für zulässig erklärt, wenn die<br />

149 A.a.O (s. Fn. 30), Rz. 85f.<br />

150 EuGH, „Beentjes“ (s. Fn. 16), Rz. 30; EuGH, „Nord-Pas-de-Calais“ (s. Fn. 25), Rz. 81f; Ziekow,<br />

NZBau 2001, 72, 76f.<br />

151 EuGH, Slg. 1993, I-2361; EuGH, Slg. 1999, I-8453; Ziekow, NZBau 2001, 72, 77.<br />

152 EuGH, Slg. 1995, I-168, Rz. 27.<br />

Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

153 EuGH, Slg. 1996, I-1905 = EuZW 1996, 399; EuGH, Slg. 1999, I-8453 = EuZW 2000, 88.


Vergaberechtliche Vorgaben bei Kernarbeitsnormen<br />

betreffenden Bestimmungen hinreichend genau und zugänglich sind, um die Feststellung, welche<br />

Verpflichtungen beachtet werden müssen, nicht unmöglich oder übermäßig schwer zu machen 154 .<br />

Diskutiert wird in der Literatur 155 zudem ein Verstoß gegen die Vorschriften über die staatlichen<br />

Beihilfen, Art. 87ff. EGV. Vom EuGH wurde diese Frage bisher offen gelassen 156 . Bei der<br />

Einbeziehung von Kernarbeitsnormen ist schon das Vorliegen einer Beihilfe zu verneinen. Diese<br />

wird definiert als jede freiwillige staatliche Leistung, die einem Unternehmen ohne adäquate Gegenleistung<br />

gewährt wird und dieses unmittelbar oder mittelbar begünstigt 157 . Führt die Einhaltung<br />

der Kernarbeitsnormen bei einem Unternehmen dazu, dass es ein Produkt nur zu einem<br />

höheren Preis als andere Unternehmen anbieten kann, die die Einhaltung dieser Normen nicht<br />

gewährleisten können, so liegt eine adäquate Gegenleistung vor. Das Unternehmen, das die Einhaltung<br />

der Kernarbeitsnormen garantiert, hat normalerweise höhere Kosten als ein Unternehmen,<br />

das ein Produkt anbietet, das z.B. in Kinderarbeit hergestellt wird. <strong>Der</strong> Preis für das Produkt<br />

ist zwar höher, wenn die Kernarbeitsnormen eingehalten werden, aber gerade auch marktangemessen.<br />

Wie die Rechtsprechung sich zu dieser Frage stellen wird, ist aber, wie erwähnt, bisher<br />

unklar. In Anbetracht der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zu den vergabefremden Kriterien<br />

ist nicht damit zu rechnen, dass er einen Verstoß in dem hier untersuchten Fall des Einsatzes von<br />

vergabefremden Kriterien bejahen würde.<br />

6.7 Folgerungen<br />

Die überwiegenden Argumente sprechen nach Ansicht der Gutachter für eine Zulässigkeit<br />

von vergabefremden Kriterien sowohl nach gemeinschaftsrechtlicher Rechtslage als auch nach<br />

deutschem Recht für das öffentliche Beschaffungswesen im Allgemeinen ohne Beschränkung auf<br />

die Entwicklungszusammenarbeit.<br />

Unterhalb der Schwellenwerte bestehen Hindernisse geringfügiger Art, da zwar eine Vereinbarkeit<br />

mit höherrangigem Recht gegeben sein muss, hierzu aber nicht die Vergaberichtlinien und<br />

§ 97 GWB beachtet werden müssen. Soweit die Verdingungsordnungen vergabefremde Kriterien<br />

nicht zulassen, ist der Erlass von Richtlinien möglich, die diese vorsehen.<br />

Oberhalb der Schwellenwerte bestehen Unklarheiten hinsichtlich der Rechtslage. Zum einen<br />

geht aus der Rechtsprechung des EuGH nicht eindeutig hervor, welche Anforderungen an die<br />

Zulässigkeit von vergabefremden Kriterien zu stellen sind. Es bleibt unklar, ob für alle Arten von<br />

vergabefremden Zwecken die gleichen Maßstäbe gelten. Als Zuschlagskriterien hat der EuGH<br />

aber bereits mehrmals vergabefremde Kriterien unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen.<br />

Damit ist nach Ansicht der Gutachter von der Zulässigkeit derartiger Kriterien trotz vieler Unklarheiten<br />

in den Details der EuGH-Rechtsprechung auszugehen. Im deutschen Recht 158 ist vor<br />

allem fraglich, ob die Rechtsprechung § 97 Abs. 4 HS 2 GWB auch auf § 97 Abs. 5 GWB beziehen<br />

würde oder ob sie § 97 Abs. 5 GWB richtlinienkonform auslegen und damit vergabefremde<br />

154 EuGH, Slg. 1999, I-8453 = EuZW 2000, 88.<br />

155 Vgl. Boesen, Vergaberecht, 2000, § 97, Rz. 127ff.; Bartosch, EuZW 2001, 229ff.; Ziekow, NZBau 2001, 72, 78.<br />

156 Vgl. EuGH, Slg. 1990, I-889, Rz. 21.<br />

157 Boesen, Vergaberecht, 2000, § 97 Rz. 128.<br />

158 Das deutsche Recht wird vor dem Hintergrund des hier vertretenen Verständnisses der<br />

EuGH-Rechtsprechung untersucht.<br />

57


58<br />

Kriterien unter diese Vorschrift fassen würde. Sollte weder § 97 Abs. 4 HS 2 GWB zur Anwendung<br />

kommen, noch § 97 Abs. 5 GWB richtlinienkonform auszulegen sein – die unwahrscheinlichste<br />

Alternative, so wäre eine gesonderte gesetzliche Regelung erforderlich, die vergabefremde<br />

Kriterien als Zuschlagskriterien überhaupt ermöglicht. Die Gutachter vertreten die erste<br />

Möglichkeit, die ein Bundes- oder Landesgesetz notwendig macht, um vergabefremde Kriterien<br />

überhaupt zuzulassen.<br />

Möglicherweise wird durch die neuen Vergaberichtlinien der Europäischen Union Klarheit<br />

hinsichtlich der Zulässigkeit vergabefremder Kriterien geschaffen. Sollten die geänderten<br />

Richtlinienvorschläge übernommen werden, so wären vergabefremde Kriterien (für das öffentliche<br />

Beschaffungswesen im Allgemeinen) als zulässig zu erachten, ihre Einordnung im Vergabeverfahren<br />

bliebe jedoch weiterhin unklar.<br />

7. Möglichkeiten der Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen<br />

7.1 Vereinbarungsebene<br />

Mindeststandardklauseln können auf verschiedenen Ebenen aufgenommen werden. Die<br />

Ebene, auf der die Regelung getroffen wird, ist entscheidend für die Möglichkeiten der Durchsetzung,<br />

vor allem für die Art und Effizienz von Sanktionsmechanismen.<br />

7.1.1 Aufnahme in Rahmenvereinbarungen<br />

Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen<br />

Auf politischer Ebene ist zunächst daran zu denken, die Beachtung von Mindestsozialklauseln<br />

bereits in die Rahmenvereinbarung über die Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen. Diese<br />

Rahmenvereinbarung wird zwischen den Regierungen geschlossen. Im Notenwechsel zwischen<br />

den beteiligten Regierungen werden die Leistungen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland<br />

und der Regierung des Empfängerstaates beschrieben. Die Leistung der Bundesrepublik<br />

Deutschland besteht in der Regel in der Entsendung der Fachkräfte, der Lieferung von Sachmitteln<br />

und - je nach Vertragsgestaltung - in einem Finanzierungsbeitrag.<br />

Die Leistungen der Regierung des Empfängerlandes werden fallbezogen festgelegt und bestehen<br />

vornehmlich in der Unterstützung der Fachkräfte, der abgabenfreien Einfuhr von<br />

Sachmitteln und den persönlichen Garantien für die mit der Durchführung des Vorhabens betrauten<br />

Personen. Bislang sind Kernarbeitsnormen nicht Gegenstand dieser Rahmenvereinbarungen.<br />

Die Rahmenvereinbarungen beziehen sich, wie bereits das Wort erkennen lässt,<br />

nur auf die Rahmenbedingungen für das durchzuführende Projekt, nicht hingegen auf die Einzelheiten<br />

der Projektdurchführung. Es wäre nun zu überlegen, als weitere Vorgabe für die Durchführung<br />

des Projekts die Beachtung der Kernarbeitsnormen in die Rahmenvereinbarung<br />

aufzunehmen.<br />

Die Rahmenvereinbarungen legen wechselseitig die Leistungen der jeweiligen Regierungen<br />

fest. Es ist fraglich, ob die Beachtung von Normen Inhalt einer Leistungsbeschreibung sein kann.<br />

Denn es ist das Kennzeichen einer Leistung, dass diese konkret umschrieben und ausgeführt<br />

werden kann. Dies zeigt sich auch in den Punkten, die üblicherweise in Rahmenvereinbarungen


Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen<br />

aufgenommen werden. Bei der Lieferung der Sachmittel werden zwar beispielsweise nicht die<br />

einzelnen Gegenstände bezeichnet, wohl aber der verfügbare Kostenrahmen genau festgelegt. Bei<br />

den Leistungspflichten des Empfängerlandes steht beispielsweise nicht fest, welche Fachkräfte in<br />

das Empfängerland gesandt werden, doch kann überprüfbar nachvollzogen werden, ob eine vereinbarte<br />

Steuer- oder Visafreiheit gewährt wird.<br />

Die Beachtung der Kernarbeitsnormen kann keine solche Hauptpflicht einer Rahmenvereinbarung<br />

sein. Denn Hauptzweck der Rahmenvereinbarung ist die Förderung von Projekten<br />

der Entwicklungszusammenarbeit, nicht jedoch die Erfüllung völkerrechtlicher Abkommen. Neben<br />

dem Hauptzweck der Förderung bestimmter Projekte der Entwicklungszusammenarbeit<br />

schaffen die Rahmenabkommen aber auch die Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung.<br />

Sofern eine Klausel über die Beachtung der Kernarbeitsnormen in eine Rahmenvereinbarung<br />

aufgenommen wird, handelte es sich um Nebenpflichten, deren Überprüfung wahrscheinlich<br />

schwieriger, aber keineswegs unmöglich ist. Diese Frage ist jedoch im Rahmen der Durchsetzbarkeit<br />

zu diskutieren und hindert nicht grundsätzlich die Aufnahme von entsprechenden Klauseln<br />

in Rahmenvereinbarungen.<br />

In vielen Fällen ist das Partnerland ohnehin durch Ratifikation zur Einhaltung der Kernarbeitsnormen<br />

angehalten, so dass man daran denken könnte, die Aufnahme der Kernarbeitsnormen<br />

in Rahmenvereinbarungen habe ohnehin nur deklaratorischen Charakter. Außerdem<br />

geht die IAO davon aus, dass allein durch die Mitgliedschaft die Kernarbeitsnormen durch die<br />

Mitgliedsstaaten zu beachten sind. Die Aufnahme von Kernarbeitsnormen in Rahmenvereinbarungen<br />

ist aber nicht nur aus politischen Gründen zweckmäßig, indem ausdrücklich von<br />

den beteiligten Regierungen nochmals bekräftigt wird, auf welcher völkerrechtlichen Grundlage<br />

die Entwicklungszusammenarbeit getätigt wird.<br />

Mit der Aufnahme von Klauseln zur Beachtung der Kernarbeitsnormen wird zwischen den<br />

beteiligten Staaten eine konkrete Verpflichtung begründet, diese auch tatsächlich umzusetzen.<br />

Damit kann das strukturelle Defizit der Kernarbeitsnormen ausgeglichen werden, die nur als<br />

allgemeine Staatenverpflichtungen formuliert sind, auf deren Einhaltung sich jedoch ein einzelner<br />

Vertragspartner nicht berufen kann. 159 Mit der Aufnahme von Klauseln zur Beachtung der<br />

Kernarbeitsnormen in Rahmenvereinbarungen wird damit ein „aliud“ gegenüber der allgemeinen<br />

völkerrechtlichen Verpflichtung begründet. Somit hat die Aufnahme dieser Klauseln konstitutiven<br />

und nicht nur deklaratorischen Charakter. Die Aufnahme der Kernarbeitsnormen in Rahmenvereinbarungen<br />

kann insofern Auswirkungen auf die abzuschließenden Einzelverträge haben, als<br />

die beteiligte Regierung dazu angehalten ist, die Umsetzung von Kernarbeitsnormen im Einzelfall<br />

zu unterstützen, etwa durch Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes.<br />

7.1.2 Aufnahme in Einzelverträge<br />

Bei der Aufnahme einer Verpflichtungsklausel zur Beachtung der Kernarbeitsnormen in Einzelverträge<br />

mit Fachkräften, Lieferanten, Kreditnehmern oder sonstigen Beteiligten stellt sich die<br />

soeben angesprochene Problematik nicht. Sie ist in jedem Fall angezeigt, da selbst ratifizierte<br />

Abkommen nur die Völkerrechtssubjekte (Staaten) binden, nicht aber die beteiligten Einzelpersonen.<br />

Mittels der Aufnahme in die Einzelverträge erstreckt sich die Bindungswirkung auch –<br />

159 Vgl. oben 2.<br />

59


60<br />

aber auch nur - auf die an der Durchführung beteiligten Einzelpersonen. Hingegen führt die<br />

Einfügung einer Klausel, die Kernarbeitsnormen zu beachten, nicht automatisch zur Verpflichtung<br />

der beteiligten Regierung, die Kernarbeitsnormen zu respektieren oder deren Beachtung<br />

wirksam zu unterstützen. Dazu bedürfte es einer Aufnahme in die Rahmenvereinbarung.<br />

Bei den Einzelverträgen sind jedoch unterschiedliche Fallkonstellationen zu berücksichtigen:<br />

7.1.2.1 Lieferverträge<br />

Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen<br />

Bei Lieferverträgen ist aufzunehmen, dass der Lieferant keine Produkte liefert, die aus Produktionen<br />

stammen, bei denen die Kernarbeitsnormen nicht beachtet werden. Sofern der Lieferant<br />

die Produkte selbst herstellt, kann er unmittelbar verantwortlich gemacht werden. Schwieriger<br />

ist die Lage, wenn er nur Produkte Dritter weiterverkauft, da festgelegt werden muss, inwieweit<br />

der Vertragspartner seinerseits seinen Zulieferer kontrollieren muss und welche Sanktionen greifen,<br />

wenn der Zulieferer die Kernarbeitsnormen nicht beachtet.<br />

7.1.2.2 Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen<br />

Bei Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen können sich zwar grundsätzlich<br />

ähnliche Probleme der Einbeziehung Dritter stellen wie bei Lieferverträgen, doch ist – anders als<br />

bei Zulieferern von Waren – die Konstellation überschaubarer. Denn die Erbringung von Dienstleistungen<br />

erfolgt persönlich oder durch zumeist vorab bestimmte Personen mit entsprechenden<br />

Qualifikationen. Bei diesem begrenzten Personenkreis kann relativ leicht kontrolliert werden, ob<br />

die Kernarbeitsnormen eingehalten werden.<br />

7.1.2.3 Finanzierungszusagen, Darlehensverträge, Bürgschaften<br />

Bei Finanzierungszusagen, Darlehensverträgen und Bürgschaften bestehen zwei Verträge<br />

nebeneinander, nämlich Finanzierungsvereinbarung und eigentliche Leistungsvereinbarung. Es<br />

muss daher geprüft werden, ob in beide Vereinbarungen Klauseln über die Beachtung der Kernarbeitsnormen<br />

aufgenommen werden müssen. In der Regel dürfte die interne Beachtung der<br />

Kernarbeitsnormen durch die finanzierenden Institutionen nicht problematisch sein. Die finanzierende<br />

Institution kann sich verpflichten, keine Projekte zu unterstützen, bei denen die Kernarbeitsnormen<br />

nicht beachtet werden. 160 Auch kann eine Finanzierung nur unter der Voraussetzung<br />

gewährt werden, dass die Kernarbeitsnormen beachtet werden. Sofern als Sanktion die Kündigung<br />

der Finanzierung vorgesehen wird, ist zu klären, wie betroffene Dritte (z.B. bei Bürgschaften),<br />

die nicht selbst gegen Kernarbeitsnormen verstoßen haben, geschützt werden.<br />

7.2 Technische Umsetzung<br />

7.2.1 Verweis auf die relevanten Normen der IAO<br />

Die einfachste Möglichkeit, die Kernarbeitsnormen einzufügen - sei es in Rahmenvereinbarungen<br />

oder in Einzelverträge – ist die Verweisung auf den Katalog der relevanten Normen<br />

der IAO. Diese Verweisung führt dazu, dass die Normen, so wie sie von der IAO verabschiedet<br />

wurden, Bestandteil der Rahmenvereinbarung oder des Einzelvertrages werden. Diese Option ist<br />

160 Vgl. etwa die Politik der Asian Development Bank, dazu oben S. 31, 3 0 0.


Umsetzung von Klauseln zu Kernarbeitsnormen<br />

allerdings mit dem Nachteil behaftet, dass die Kernarbeitsnormen teilweise sehr weit formuliert<br />

sind und der diplomatische Sprachduktus nicht darauf ausgerichtet ist, unmittelbar für die Anwendung<br />

auf einen konkreten Sachverhalt zu dienen. Mit der Verweisung auf die relevanten<br />

Normen der IAO ohne weitere Anmerkungen oder Erläuterungen liegt die Gefahr einer einseitigen<br />

Interpretation durch eine der Vertragsparteien nahe, zumal – wie oben ausgeführt 161 - bei den<br />

Kernarbeitsnormen einige Punkte hinsichtlich der Auslegung strittig und nicht abschließend verbindlich<br />

geklärt sind (Streikrecht, Schutzbereich des Diskriminierungsverbots etc.).<br />

7.2.2 Explizite Formulierung<br />

Durch eine explizite Formulierung kann von den Parteien genau festgelegt werden, was im<br />

einzelnen von den Partnern gefordert wird. Eine solche detailliert formulierte Verpflichtung zur<br />

Beachtung von Kernarbeitsnormen kann Schwierigkeiten bei der Interpretation umgehen, etwa<br />

indem die erwähnten strittigen Auslegungsfragen (z. B. Streikrecht, Schutzbereich des<br />

Diskriminierungsverbots) vorab geregelt werden. Eine ausführliche Formulierung der Verpflichtungen<br />

stößt aber leicht an praktische Grenzen. Die Begrifflichkeit der Kernarbeitsnormen ist<br />

nicht immer eindeutig und der Inhalt teilweise sehr inhomogen. Die Ausarbeitung klarer Formulierungen<br />

ist ein Unterfangen, das durch sprachliche Differenzen wiederum Gegenstand von<br />

Missinterpretationen werden kann. Zudem ist nicht gewährleistet, dass alle Bereiche vollständig<br />

abgedeckt werden. Als Vorlage für Formulierungen könnten immerhin die Klauseln dienen, die<br />

die IAO selbst in ihren Verträgen zur Beschaffung von Gütern und bei der Erbringung von<br />

Dienstleistungen verwendet. 162<br />

7.2.3 Verweis auf Selbstverpflichtungen<br />

Die Vertragsparteien können sich auch vertraglich festlegen, eine Selbstverpflichtung einzugehen,<br />

sei es eine eigens formulierte Selbstverpflichtung, sei es durch Übernahme einer bereits<br />

existierenden Selbstverpflichtung, die eine der oben beschriebenen 163 bestehenden Initiativen entwickelt<br />

hat. Selbstverpflichtungen sind zwar die schwächste Form einer rechtlichen Bindung,<br />

andererseits wohl tatsächlich am einfachsten zu überprüfen, da die zu beachtenden Kriterien sehr<br />

individuell formuliert werden können und in der Regel (z.B. aus Vermarktungsgründen) ein gewisses<br />

Eigeninteresse an der Einhaltung der Selbstverpflichtung besteht.<br />

161 S. 22, 2.<br />

162 Siehe dazu unten S. 88, 9.<br />

163 S. 39, 4.<br />

61


62<br />

8. Auslegung und Überprüfung der Kernarbeitsnormen<br />

im Rahmen einer Vertragsbestimmung<br />

Sofern Kernarbeitsnormen in Vertragsbestimmungen aufgenommen werden, sei es in die<br />

Rahmenvereinbarungen oder sei es in Einzelverträge, stellt sich die Frage der Auslegung und<br />

Überprüfung bei Streitfällen. Die inhaltliche Auslegung betrifft Rahmenvereinbarungen und Einzelverträge<br />

in gleicher Weise. Hingegen ist bei der Durchsetzbarkeit zwischen Rahmenvereinbarungen<br />

und Einzelverträgen zu differenzieren.<br />

8.1 Inhaltliche Auslegung<br />

8.1.1 Übereinstimmung mit der Spruchpraxis des<br />

Sachverständigenausschusses<br />

Es bietet sich an, die Auslegung der Kernarbeitsnormen an der Spruchpraxis der<br />

Sachverständigenausschuss bei der IAO anzubinden. <strong>Der</strong> Sachverständigenausschuss ist dazu<br />

berufen, über die Interpretation der in den Konventionen enthaltenen Normen zu befinden. Da<br />

inzwischen etwa die Hälfte aller der IAO angehörigen Staaten alle acht Konventionen zu den<br />

Kernarbeitsnormen ratifiziert haben und ein weiteres Drittel mindestens sechs dieser Konventionen,<br />

ist der Sachverständigenausschuss ohnehin bereits in breitem Umfang mit der Überprüfung<br />

der Anwendung und Durchsetzung der Kernarbeitsnormen befasst. Seine Bemerkungen zu den<br />

Berichten sind für die betreffenden Staaten verbindlich. Die Staaten sind aufgerufen, den Bemerkungen<br />

Folge zu leisten, doch existieren in der Praxis keine effizienten Sanktionsmöglichkeiten. 164<br />

Eine Anbindung der Auslegung an die Interpretation durch den Sachverständigenausschuss würde<br />

aber die Einheitlichkeit der Auslegung wahren und Divergenzen mit der Auslegung der Kernarbeitsnormen<br />

durch ein anderes Gremium vermeiden.<br />

Die Anbindung der Auslegung an die Interpretation durch den Sachverständigenausschuss<br />

bietet sich insbesondere dann an, wenn die Verpflichtung zur Einhaltung der Kernarbeitsnormen<br />

in der Rahmenvereinbarung niedergelegt wird, da es sich hierbei um eine völkerrechtliche Vereinbarung<br />

handelt und der Sachverständigenausschuss seine Legitimation ebenfalls aus dem Völkerrecht<br />

bezieht. Hinsichtlich der in Einzelverträgen aufgenommenen Verpflichtung zur Einhaltung<br />

der Kernarbeitsnormen könnte die Interpretation durch den Sachverständigenausschuss eine ähnliche<br />

Funktion haben wie eine höchstrichterliche Rechtsprechung.<br />

8.1.2 Autonome Auslegung durch die Vertragspartner<br />

Die Vertragspartner können auch vereinbaren, die Klauseln und deren Beachtung autonom,<br />

d.h. unabhängig von der Auffassung des Sachverständigenausschusses, auszulegen. Eine solche<br />

autonome Auslegung birgt aber die Gefahr, dass die Vertragspartner sich nicht einigen können<br />

und dann doch wieder auf andere Gremien zur Interpretation der Klauseln zurückgreifen müssen.<br />

8.2 Durchsetzbarkeit bei Streitigkeiten<br />

8.2.1 Gerichtliche Überprüfung<br />

Rahmenvereinbarungen sind völkerrechtliche Verträge, für die nationalen Gerichten keine<br />

Überprüfungskompetenz zusteht. Eine gerichtliche Überprüfung durch ein nationales Gericht<br />

164 Vgl. oben S. 13, 2.<br />

Auslegung und Überprüfung der Kernarbeitsnormen


Auslegung und Überprüfung der Kernarbeitsnormen<br />

kommt daher nur bei der Aufnahme von Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen in<br />

Einzelverträgen in Betracht. Insoweit wäre von den Parteien vorab der Gerichtsstand und das<br />

anwendbare Recht festzulegen. Zu bedenken ist jedoch, dass die Kompetenzen der nationalen<br />

Gerichte in den jeweiligen Gerichtsverfassungsgesetzen vorgeschrieben ist. Je nach Ausgestaltung<br />

könnte dies dazu führen, dass das vorgesehene Gericht sich für nicht zuständig erklärt und<br />

die Klage nicht zur Entscheidung annimmt. Diese Gefahr besteht dann nicht, wenn ein deutscher<br />

Gerichtsstand vereinbart wird und ein Projektbeteiligter (z.B. die GTZ) mit Deutschland verbunden<br />

ist.<br />

In den meisten Fällen dürfte es sich um Streitigkeiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivilgerichtsbarkeit)<br />

handeln (z.B. bei Nichtabnahme von Waren wegen Verletzung von Kernarbeitsnormen<br />

bei der Herstellung). Wenn man die Beachtung der Kernarbeitsnormen als<br />

vertragliche Nebenpflichten charakterisiert, ist deren Verletzung im Rahmen des Vertrages zu<br />

prüfen und im Hinblick auf das Völkerrecht auszulegen. Damit ergibt sich das rechtstatsächliche<br />

praktische Problem, dass Zivilrichter sich fast nie mit völkerrechtlichen Fragestellungen auseinander<br />

setzen müssen und somit kaum über praktische Erfahrung in diesem Bereich verfügen.<br />

Dies könnte dazu führen, dass im Einzelfall die Kernarbeitsnormen nicht sachgemäß auslegt<br />

werden.<br />

8.2.2 Schiedsgerichtsvereinbarung<br />

Günstiger wäre es daher, eine Schiedsgerichtsvereinbarung zu treffen und das Schiedsgericht<br />

und dessen Besetzung vorab zu bestimmen, wobei es sich anbietet, für das Schiedsgericht Fachleute<br />

zu benennen, die im Bereich der Kernarbeitsnormen und ihrer Auslegung über besondere<br />

Kenntnisse verfügen. Eine Schiedsgerichtsvereinbarung könnte zudem auch bei Rahmenvereinbarungen<br />

angewendet werden, sofern die Vertragsstaaten darin festlegen, dass sie sich einem<br />

Schiedsgericht unterwerfen. Selbst wenn man die Anbindung der Auslegung an die<br />

Spruchpraxis des Sachverständigenausschusses favorisiert, ist noch nicht festgelegt, welcher Spruchkörper<br />

im Streitfall zuständig ist.<br />

Ideal wäre natürlich die Auslegung bei Streitfällen durch den Sachverständigenausschuss selbst,<br />

da somit ein Höchstmaß an Kohärenz gewährleistet würde. <strong>Der</strong> Sachverständigenausschuss ist<br />

jedoch ein Gremium der IAO mit einem fest umrissenen Aufgabenbereich, der nicht durch Dritte<br />

von außen einseitig erweitert werden kann. Hinzu kommt, dass dieser Ausschuss nur einmal jährlich<br />

tagt und in seiner bisherigen Funktion vornehmlich mit allgemeinen Fragen der Einhaltung<br />

der Konventionen beschäftigt ist, nicht jedoch mit konkreten Streitfällen, die eventuell wegen<br />

ihrer Dringlichkeit kurzfristig entschieden werden müssen. Überdies ist der Sachverständigenausschuss<br />

mit 20 Personen besetzt, was die Entscheidungsfindung etwas schwerfällig macht.<br />

Andererseits ist die IAO selbst daran interessiert, die Anwendung und Durchsetzung von<br />

Kernarbeitsnormen in den Mitgliedsstaaten zu fördern. Daher wäre es denkbar, auf politischer<br />

Ebene – etwa durch die Regierungen einzelner Mitgliedsstaaten – auf die IAO einzuwirken, ein<br />

kleineres Gremium zu schaffen, das zwar beim Sachverständigenausschuss angesiedelt ist, aber<br />

nicht sämtliche Mitglieder umfasst, sondern nur drei Mitglieder, allenfalls fünf. Ein solches Gremium<br />

könnte die Ressourcen und Kenntnisse des Sachverständigenausschusses nutzen, wäre aber<br />

schneller entscheidungsfähig.<br />

63


64<br />

8.2.3 Monitoring, Audit, Zertifizierung<br />

Eine weitere Möglichkeit der Überprüfung der vereinbarten Einhaltung der Kernarbeitsnormen<br />

wären Monitoring, Audit oder Zertifizierung. In den vergangenen Jahren wurden<br />

eine ganze Reihe von Verfahren zur Überprüfung von Standards entwickelt. Es erscheint ratsam,<br />

auf diese Verfahren bei einer internen Überprüfung zurückzugreifen oder sich einer darin spezialisierten<br />

Organisation zu bedienen. Eine Überprüfung durch eine externe Einrichtung hätte den<br />

Vorzug, dass bei Streitfällen eine objektive Beurteilung von außen gewährleistet ist. Es sollen im<br />

folgenden beispielhaft Möglichkeiten der Überprüfung aufgezeigt werden:<br />

8.2.3.1 Social Accountability International<br />

Social Accountability International (SAI) versteht sich als Antwort auf die unilateralen<br />

Verhaltenskodizes der 90-iger Jahre. 1997 wurde der Standard SA8000 im Rahmen eines breiten<br />

Konsultationsprozesses ausgearbeitet und veröffentlicht und 1998 SAI als „Accreditation agency“<br />

gegründet. SA8000 ist ein freiwilliger Standard. SAI verlangt nicht den Abbruch von Geschäftsbeziehungen<br />

mit Zulieferern, die den Standard nicht erfüllen. SAI ist keine Vorschrift sondern<br />

bietet einen Anreiz bei Betonung des wirtschaftlichen Interesses. SA8000 basiert auf internationalen<br />

Menschenrechtsnormen, einschließlich den IAO-Kernarbeitsnormen.<br />

Es existiert ein unabhängiges Verifizierungssystem nach dem ISO-Modell. Die Verifizierung<br />

erfolgt nicht durch SAI, sondern durch akkreditierte Agenturen und Institutionen. Die<br />

Akkreditierung setzt eingehendes Training der Mitarbeiter voraus. Zur Zeit gibt es neun akkreditierte<br />

Institutionen, darunter den TÜV. Die akkreditierten Institutionen führen alle sechs Monate<br />

Audits durch und werden durch SAI kontrolliert. Es ist ein integriertes Beschwerdesystem für<br />

betroffene Dritte (Gewerkschaften, NGOs) vorgesehen. Alle SA8000 zertifizierten Unternehmen<br />

sind auf einer Liste veröffentlicht (131 in 26 Ländern in 27 Industriezweigen 165 ). Als sehr<br />

kritisch wird die Tatsache angesehen, dass die Überwachung und Bestätigung der Einhaltung der<br />

sozialen Normen und Arbeitgeberrechte an gewinnorientierte Wirtschaftsunternehmen übertragen<br />

wird. 166<br />

8.2.2.2 Fair Labour Association<br />

Fair Labour Association sieht sich als Ergänzung zu den standardbezogenen Aktivitäten von<br />

Regierungen und internationalen Organisationen. Es handelt sich um eine Multi-stakeholder Initiative<br />

167 . NGOs sind im Beirat vertreten, das Lawyers Committee for Human Rights koordiniert<br />

internationale NGOs für die Teilnahme an der Kontrolle. Firmen und Universitäten verpflichten<br />

sich zur Beachtung eines gemeinsamen Verhaltenskodex. Dieser ist recht einfach und enthält alle<br />

IAO-Kernarbeitsnormen mit einigen Ergänzungen. FLA akkreditiert Monitore, darunter eine<br />

New Yorker Firma für Arbeitsaufsicht, eine internationale Verifizierungs- und Inspektionsfirma<br />

165 Stand Juli 2000.<br />

166 Wolfgang Weinz, Weltsozialordnung und globale Zivilgesellschaft – Zur Lage internationaler<br />

Gerechtigkeitsstandards, Vereinte Nationen 3/2000, 94 – 98 (97).<br />

167 Beteiligt sind überwiegend Unternehmen der Textilbranche (z.B. Adidas-Salomon, Nike, Reebok, Levi-Strauss),<br />

Universitäten (Bekleidung mit deren Logo- Lizenzvergabe).<br />

Auslegung und Überprüfung der Kernarbeitsnormen


Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen in EZ-Verträgen<br />

mit Sitz in Genf und Organisationen in Thailand sowie Bangladesh. Die FLA hat eine umfangreiche<br />

Anleitung für das Monitoring herausgegeben. 168<br />

8.2.2.3 Überprüfung durch die IAO<br />

Denkbar wäre auch eine Einbeziehung der IAO in die Überprüfung. Es wurde bereits ausgeführt,<br />

dass die IAO beauftragt wurde, im Rahmen des bilateralen Abkommens zwischen den USA<br />

und Kambodscha ein Projekt zur Überwachung der Einhaltung von Kernarbeitsnormen durchzuführen.<br />

169 Die Erfahrungen, die in diesem Projekt gewonnen wurden, können ausgewertet und<br />

nutzbar gemacht werden, zumal die IAO ein originäres Interesse an der Durchsetzung der Kernarbeitsnormen<br />

hat.<br />

9. Formulierungen für Klauseln zur Beachtung von<br />

Kernarbeitsnormen in Verträgen der Entwicklungszusammenarbeit<br />

Die Formulierung sollte sich an bereits bestehenden Formulierungen orientieren. Mehrere<br />

Organisationen haben Vertragsklauseln ausgearbeitet, die als Muster für Formulierungen dienen<br />

können. Die Klauseln werden für Verträge angewendet, die in der Regel die Beschaffung<br />

von Gütern betreffen oder die Erbringung von Dienstleistungen, im Falle des Ghana Feeder<br />

Roads Projekt auch ein von der britischen Entwicklungsbank finanziertes Projekt der<br />

Entwicklungszusammenarbeit. Die Klauseln sind – mit Ausnahme der bei der IAO und der<br />

ADB aufgeführten - einer Studie entnommen, die vom britischen Department for International<br />

Development (DFID) finanziert wurde und die sich mit der Umsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

im Bauwesen beschäftigt. 170 In der Studie wurden mehrere Projekte der Entwicklungszusammenarbeit<br />

dahingehend untersucht, welche Klauseln die Beachtung von Kernarbeitsnormen verwirklichen<br />

sollen. Es hat sich herausgestellt, dass nur wenige Klauseln die eigentlichen<br />

Kernarbeitsnormen, so wie sie in den Konventionen niedergelegt sind, ansprechen. Die Mehrzahl<br />

der Klauseln regelt Fragen des Arbeitsschutzes, der Sozialen Sicherheit und der Lohnbedingungen.<br />

Im folgenden werden, dem Gutachtensauftrag entsprechend, nur die Formulierungen<br />

aufgeführt, die sich explizit mit Kernarbeitsnormen beschäftigen.<br />

9.1 IAO<br />

Da die Kernarbeitsnormen von der IAO ausgearbeitet wurden und diese selbst zur Durchsetzung<br />

aus eigenem Interesse verpflichtet ist, erscheint es sinnvoll, sich primär an den Klauseln<br />

zu orientieren, die die IAO selbst bei der Beschaffung von Gütern oder der Ausschreibung für<br />

die Erbringung von Dienstleistungen verwendet.<br />

168 Fair Labour Association, Monitoring Guidance and Compliance Benchmarks, http.//www.fairlabour.org<br />

169 Vgl. oben S. 26 4.<br />

170 Sarah Ladbury / Andrew Cotton / Mary Jennings, Implementing Labour Standards in Construction –<br />

A sourcebook, Water Engineering and Development Vcentre, Loughborough University 2003.<br />

65


66<br />

In Betracht kommen zunächst die von der IAO selbst ausgearbeiteten und verwendeten<br />

Klauseln. Diese lauten wie folgt:<br />

9.1.1 Beschaffung von Gütern<br />

Terms and Conditions for the Purchase of Goods<br />

[…]<br />

9. Labour Clause<br />

9.1. The Supplier shall:<br />

Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen in EZ-Verträgen<br />

(a) Respect the prohibition of employment of children below 14 years of age or the<br />

minimum age for employment permitted by law or the age of the end of<br />

compulsory schooling in the area in question, whichever is the higher;<br />

(b) Respect the prohibition of forced or compulsory labour in all its forms;<br />

(c) Respect the freely exercised right of workers, without distinction, to organise,<br />

to further and defend their interest as well as the protection of those workers<br />

who exercise their right to organise;<br />

(d) Ensure equality of opportunity and treatment in respect of employment and<br />

occupation;<br />

(e) Ensure fair and reasonable conditions of health and welfare.<br />

9.2. The Supplier guarantees that neither the Supplier’s company, nor if any of its<br />

affiliates, nor any subsidiaries controlled by its company, is engaged in the sale or<br />

manufacture of anti-personnel mines or of components primarily utilized for the<br />

manufacture of anti-personnel mines.<br />

9.2. Any breach of these obligations and warranties shall entitle ILO to terminate the<br />

purchase order immediately upon notice to the Supplier, without any liability for<br />

termination charges or any other liability of any kind of the ILO.<br />

9.1.2 Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen<br />

Terms and Conditions for Contracts for services<br />

[...]<br />

2. Labour Clauses<br />

2.1 The Contractor shall respect the International Labour Standards of the<br />

International Labour Organisation. In particular, the Contractor shall in all<br />

circumstances respect the basic principles of these standards which are:


Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen in EZ-Verträgen<br />

(a) the freely exercised right of workers, without distinction, to organise, to further<br />

and defend their interests as well as the protection of those workers who exercise<br />

their right to organise;<br />

(b) prohibition of forced or compulsory labour in all its forms;<br />

(c) equal remuneration for men and women for work of equal value;<br />

(d) prohibition of employment of children below 14 (fourteen) years of age or the<br />

minimum age for employment permitted by the law of the country where the<br />

work is carried out or the age of the compulsory schooling in that country,<br />

whichever is higher;<br />

(e) equality of opportunity and treatment in respect of employment and occupation<br />

without discrimination on grounds of race, colour, sex, religion, political opinion,<br />

national extraction or social origin.<br />

2.2. The contractor shall ensure that wages are paid in legal tender in full and directly<br />

to the workers concerned.<br />

2.3. The Contractor shall ensure that the wages of its personnel, their hours of work<br />

and the other labour conditions including social security are at least as favourable<br />

as those established for work of the same industry concerned in the area where<br />

the work is carried out.<br />

9.2 Asian Development Bank (ADB)<br />

Die Asian Development Bank hat im Bereich der Umsetzung der Kernarbeitsnormen eine<br />

Vorreiterrolle in Asien eingenommen. ADB hat eine Reihe von Handbüchern herausgegeben,<br />

u.a. zum Beschaffungswesen 171 und für die Erbringung von Beratungsdienstleistungen 172 . Allerdings<br />

sind in diesen Materialien keine konkreten Vertragsformulierungen zu finden. Es wird aber<br />

durch folgende Formulierung klargestellt, dass die Kernarbeitsnormen zu beachten sind:<br />

„ADB financed procurement of goods and services, contractors, sub-contractors and<br />

consultants will comply with the country’s labor legislation (e.g. minimum wages, safe<br />

working conditions, and social security contributions, etc.) as well as with Core Labor<br />

Standards.“ 173<br />

171 ADB, Guidelines for Procurement under Asian Development Bank Loans, Februar 1999.<br />

172 ADB, Handbook for Users of Consulting Services, 5th edition, Manila, September 2002.<br />

173 Vgl. auch oben S. 31, 3.<br />

67


68<br />

9.3 Federation of Consulting Engineers (FIDIC)<br />

Die internationale Vereinigung für Zivilingenieure (FIDIC) hat ein Handbuch herausgegeben,<br />

das bei internationalen Verträgen in breitem Umfang Anwendung findet und das die Grundlage<br />

bildet, von der andere Standardbedingungen abgeleitet werden, wie z.B. die Unterlagen der<br />

Weltbank für Standardgebote für die Beschaffung von Arbeiten des zivilen Bauwesens der Weltbank<br />

(standard bidding documents for the procurement of works for civil engineering construction<br />

– SBDW). Dort finden sich folgende Klauseln:<br />

Compliance with Statutes, Regulations<br />

The Contractor shall conform in all respects, including by the giving of all notices and<br />

the paying of all fees, with the provision:<br />

(f) any National or State Statute, Ordinance, or other Law, or any regulation or<br />

bye-law of any local or other duly constituted authority in relation to the<br />

execution and completion of the Works and the remedying of any defects<br />

therein, and<br />

(g) the rules and regulations of all public bodies and companies whose property or<br />

rights are affected or may be affected in any way by the Works, and the<br />

Contractor shall keep the Employer indemnified against all penalties and liability<br />

of every kind for breach of any such provisions. Provided always the Employer<br />

shall be responsible for obtaining any planning, zoning or other similar<br />

permission required for the Works to proceed and shall idemnify the Contractor<br />

in accordance with Sub-Clause 22.3.<br />

9.4 Ghana Bridges for Feeder Roads Project<br />

Das Projekt ist ein Pilotprojekt der Regierung von Ghana, das vom Department for International<br />

Development der Regierung des Vereinigten Königreiches finanziert wird.<br />

Compliance with Laws and Regulations<br />

The Contractor shall comply in all respects with the requirements of all laws for the<br />

time being in force and shall ascertain from the Labour Department and shall strictly<br />

comply with all the regulations written or otherwise of the Commissioner of Labour<br />

or any of his duly appointed representatives affecting the employment of any class of<br />

employee under this contract and from time to time in force.<br />

Trade Unions Membership<br />

Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen in EZ-Verträgen<br />

The Contractor or Sub-Contractor shall recognise the freedom of his work people to<br />

be members of registered trade unions.


Klauseln zur Beachtung von Kernarbeitsnormen in EZ-Verträgen<br />

9.5 India: Public Works Department<br />

Die Public Works Departments in den indischen Bundesstaaten Orissa und Kerala verwenden<br />

in Bezug auf Kernarbeitsnormen folgende Klauseln:<br />

Engagement of Labour<br />

No female labourer shall be employed within the limits of a cantonment.<br />

The contractor shall not employ, for the purpose of this contract, any person, who is<br />

below the age of twelve years and shall pay to each labourer, for the work done by<br />

such labourer wages not less than the wages paid for similar work in the<br />

neighbourhood. The Engineer-in-charge and / or Assistant Engineer and / or<br />

Engineer-subordinate in immediate charge of work shall have the right to decide<br />

whether any labourer employed by the contractor is below the age of twelve years and<br />

to refuse to allow any labourer, when he decides him/her below the age of twelve<br />

years, to be employed by the contractor.<br />

9.6 Department of International Development (DFID) Interim Guidelines:<br />

proposed clauses<br />

DFID selbst hat einige Klauseln ausgearbeitet. Allerdings betreffen nur zwei Klauseln unmittelbar<br />

Kernarbeitsnormen:<br />

Rates of wages<br />

[…] Men and women shall receive equal rates of pay for the particular grade of work,<br />

trade or skill for which they are employed.<br />

Employment of children<br />

Children as defined by government regulation shall not be employed under any<br />

circumstances.<br />

69


70<br />

10. Zusammenfassung und Ergebnis<br />

10.1 Rechtliche Möglichkeiten, die Umsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit<br />

(EZ) zu fördern<br />

Die Förderung der Umsetzung von Kernarbeitsnormen in den Partnerländern der deutschen<br />

Entwicklungszusammenarbeit ist ein politisches Ziel, das von der Prämisse ausgeht, dass<br />

bislang die Kernarbeitsnormen in diesen Ländern nicht hinreichend beachtet werden. Letztlich<br />

steht hinter diesem Ziel die Aussage, dass die völkerrechtlichen Instrumentarien in vielen Fällen<br />

nicht greifen oder unzureichend sind. Wie ausgeführt 174 , sind die Staaten, soweit sie die entsprechenden<br />

Übereinkommen ratifiziert haben, ohnehin völkerrechtlich zur rechtlichen Umsetzung<br />

der Kernarbeitnormen im nationalen Recht verpflichtet, was impliziert, dass die Kernarbeitsnormen<br />

auch rechtstatsächlich durchgesetzt werden können. Da die Übereinkommen von der überwiegenden<br />

Zahl der Staaten ratifiziert wurden, 175 besteht eine weitreichende völkerrechtliche Bindung.<br />

Die IAO selbst geht sogar davon aus, dass jeder Staat kraft seiner Mitgliedschaft gehalten<br />

ist, die Kernarbeitsnormen umzusetzen.<br />

Die unbefriedigende Umsetzung der Kernarbeitsnormen ist in ihrer rechtlichen Struktur<br />

angelegt. Als völkerrechtliche Normen geben sie den Mitgliedstaaten der IAO bestimmte Politikziele<br />

vor, die sehr allgemein formuliert sind und deren Einhaltung nur sehr eingeschränkt überprüft<br />

werden kann. Sanktionen sind zwar vorgesehen, werden aus politischen Gründen aber nicht<br />

verhängt, so dass die Nichtbeachtung der Kernarbeitsnormen folgenlos bleibt und für den betroffenen<br />

Staat allenfalls politischer Schaden entsteht. Hinzu kommt, dass die Kontrollsysteme<br />

gerade in Staaten mit prekären politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, etwa bei Einschränkung<br />

der Vereinigungsfreiheit, nicht funktionieren. Auch ist nicht zu verkennen, dass einige Staaten<br />

ganz bewusst bestimmte Übereinkommen nicht ratifizieren und damit auch die Auffassung<br />

der IAO der universellen Verpflichtung der Beachtung der Kernarbeitsnormen widersprechen.<br />

Diese Nichtbeachtung einer universellen Verpflichtung ist aber zugleich eine Chance, die<br />

Umsetzung von Kernarbeitsnormen in Einzelfällen zu fördern. Denn aus (innen-)politischen<br />

Gründen scheuen sich einige Staaten, die Kernarbeitsnormen allgemein zu akzeptieren und mittels<br />

gesetzgeberischer Maßnahmen durchzusetzen. In Einzelfällen hingegen kann eine Beachtung<br />

und Durchsetzung der Kernarbeitsnormen durchaus opportun sein, da dies nicht notwendigerweise<br />

umfangreiche gesetzgeberische – und damit öffentlichkeitswirksame – Maßnahmen veranlasst<br />

und damit innenpolitisch eher gangbar sein könnte. Allerdings stellt sich insbesondere bei den<br />

Übereinkommen zur Vereinigungsfreiheit die Frage, inwieweit es tatsächlich realisierbar ist, die<br />

Vereinigungsfreiheit nicht allgemein, sondern nur einzelfallbezogen zu gewähren. 176<br />

174 Vgl. oben 2.4.<br />

175 95 Staaten haben alle acht Übereinkommen, 35 Staaten sieben, 15 Staaten sechs, 10 Staaten fünf,<br />

9 Staaten vier, 4 Staaten drei bzw. zwei, 2 Staaten ein und 1 Staat kein Übereinkommen ratifiziert<br />

(Stand 25.9.2003, www.ilo.org<br />

176 Diese Frage stellt sich deshalb, weil einige größere Staaten diese Übereinkommen nicht ratifiziert haben,<br />

so China, Indien, Thailand, Vietnam, Iran, Saudi-Arabien, Laos, aber auch die USA! Insgesamt haben<br />

aber nur 19 Staaten überhaupt kein Abkommen zur Vereinigungsfreiheit ratifiziert.<br />

Zusammenfassung und Ergebnis


Zusammenfassung und Ergebnis<br />

Für die Bundesrepublik Deutschland als einer der größeren Staaten im Bereich der<br />

Entwicklungszusammenarbeit eröffnen sich zwei Perspektiven, die Umsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Zum einen<br />

besteht nach wie vor die Möglichkeit, allgemein auf dem Parkett der internationalen Institutionen,<br />

in denen sie Mitglied ist, wie etwa der IAO, UNO oder Weltbank, die Umsetzung der Kernarbeitsnormen<br />

voranzutreiben. Zum anderen kann die Bundesrepublik Deutschland in Einzelfällen<br />

im Rahmen des Beschaffungswesens und/oder von Finanzierungsleistungen ihre Zusagen davon<br />

abhängig machen, dass die Kernarbeitsnormen eingehalten werden. Eine mögliche Option wäre<br />

zudem, nicht alle Übereinkommen in den Katalog der zu beachtenden Kernarbeitsnormen aufzunehmen,<br />

sondern nur bestimmte, für die Durchführung des Projekts besonders relevante Normen<br />

z.B. Verbot der Kinderarbeit, um überhaupt einen Fortschritt zu erzielen. Es muss allerdings<br />

festgehalten werden, dass eine solche Selektion dem universellen Ansatz der IAO widerspricht<br />

und die Staaten ermuntern könnte, innenpolitisch brisante Bereiche auszuklammern.<br />

10.1.1 Integration der Kernarbeitsnormen in das öffentliche<br />

Beschaffungswesen im allgemeinen<br />

Das Welthandelsrecht geht von den Grundsätzen der Meistbegünstigung und der Inländergleichbehandlung<br />

aus. Damit dürften Produkte, bei deren Herstellung die Kernarbeitsnormen<br />

nicht eingehalten wurden oder aus Staaten stammen, die die Kernarbeitsnormen nicht beachten,<br />

bei der Einfuhr nicht benachteiligt werden. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Integration<br />

der Kernarbeitsnormen in das öffentliche Beschaffungswesen im allgemeinen unter handelsrechtlichen<br />

Gesichtspunkten gleichwohl zulässig. Zwar ist diese Frage weder normativ noch durch<br />

die Rechtsprechung abschließend und eindeutig geklärt, doch ist eine Tendenz erkennbar, bei<br />

Maßnahmen, die sich auf den Schutz von Leben und Gesundheit beziehen, Ausnahmen von den<br />

strengen Bestimmungen des GATT zuzulassen. 177<br />

Bislang bezog sich die Diskussion auf den Umweltbereich, doch wäre nicht nachvollziehbar,<br />

weshalb im Bereich der Kernarbeitsnormen eine andere Konsequenz gezogen werden sollte. Die<br />

Aufnahme von Kernarbeitsnormen darf keine willkürliche oder nicht zu rechtfertigende Diskriminierung<br />

und auch keine versteckte Behinderung des internationalen Handels beinhalten.<br />

Im Vergaberecht könnte die Verpflichtung zur Einhaltung von Kernarbeitsnormen als vergabefremdes<br />

Kriterium gewertet werden. Auf der völkerrechtlichen Ebene ist die Europäische Union<br />

Vertragspartei des WTO-Agreement on Government Procurement (GAP). Nach vorherrschender<br />

Meinung wird eine unmittelbare Wirkung des von Deutschland unterzeichneten, aber nicht<br />

ratifizierten GAP verneint. Damit ist das GAP für den EuGH kein Prüfungsmaßstab für das<br />

gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht. Überdies erfasst das GAP ebenso wie die EU-Vergaberichtlinien<br />

nur Aufträge oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Eine definitive Regelung der Zulässigkeit<br />

vergabefremder Kriterien wurde nicht getroffen. Es besteht jedoch eine große Parallelität<br />

mit den EU-Vergaberichtlinien.<br />

Europarechtlich hat der EuGH im Bereich der Eignungsprüfung vergabefremde Kriterien<br />

für nicht zulässig erachtet. Bei den Zuschlagskriterien hat er hingegen zumindest bei der Beschäf-<br />

177 Vgl. oben 5.1.3.<br />

71


72<br />

tigung von Langzeitarbeitslosen und bei Umweltschutzstandards vergabefremde Kriterien zugelassen,<br />

sofern diese Kriterien objektiv und auf alle Angebote anwendbar sind. Weiter wird vom<br />

EuGH gefordert, dass die Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen<br />

müssen. Zumindest im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit spricht einiges für das Vorliegen<br />

dieses Zusammenhangs. Bei einer konsequenten Fortsetzung seiner Rechtsprechung müsste<br />

der EuGH somit zu dem Ergebnis gelangen, dass die Verpflichtung zur Beachtung der Kernarbeitsnormen<br />

als vergabefremdes Kriterium zuzulassen ist, sofern dieses nicht willkürlich aufgestellt<br />

wird, es in nachvollziehbarer Weise gefordert wird und nicht zur Diskriminierung von<br />

Anbietern führt.<br />

Bislang kann für die europarechtliche Auslegung des Vergaberechts nur auf die Rechtsprechung<br />

des EuGH zurückgegriffen werden. Im Oktober 2000 hat die Kommission zwei Richtlinienvorschläge<br />

gemacht, in denen die Frage der Einbeziehung von Sozialklauseln thematisiert wurde.<br />

Es besteht eine starke Tendenz, die Berücksichtigung von angemessenen Arbeitsbedingungen als<br />

vergabefremdes Kriterium für das öffentliche Beschaffungswesen als zulässig zu erachten. Sollten<br />

diese Richtlinien in der vorgesehenen Form verabschiedet werden können, wäre die Rechtslage<br />

eindeutig geklärt.<br />

Eine gesetzliche Klärung der Zulässigkeit vergabefremder Kriterien ist auch für das deutsche<br />

Recht zu fordern. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 97 Abs. 4, 2. Hs. GWB im<br />

Lichte der Rechtsprechung des EuGH könnten zwar vergabefremde Zuschlagskriterien ohne<br />

Gesetzesänderung zulässig sein. Angesichts der unklaren und nicht sehr eindeutigen Rechtsprechung<br />

sollte jedoch auf der Grundlage des § 97 Abs. 4, 2. Hs. GWB ein Bundesgesetz erlassen<br />

werden, das die Beachtung von Kernarbeitsnormen als vergabefremdes Kriterium zulässt.<br />

10.1.2. Integration der Kernarbeitsnormen in das Beschaffungswesen<br />

der Entwicklungszusammenarbeit im besonderen<br />

Da nach der hier vertretenen Ansicht bereits beim Beschaffungswesen im Allgemeinen die<br />

Beachtung der Kernarbeitsnormen als vergabefremdes Kriterium zulässig ist, sofern die oben<br />

genannten Voraussetzungen vorliegen, ergeben sich hinsichtlich der Zulässigkeit der Integration<br />

der Kernarbeitsnormen in das Beschaffungswesen der Entwicklungszusammenarbeit keine Besonderheiten.<br />

10.1.2.1 in Rahmen- und Projektabkommen der<br />

Technischen Zusammenarbeit (TZ)<br />

Zusammenfassung und Ergebnis<br />

In Rahmen- und Projektabkommen können Vorgaben zur Integration der Kernarbeitsnormen<br />

nur sehr allgemein eingefügt werden, da Vertragspartner die jeweiligen Regierungen sind. Diese<br />

können in zweierlei Hinsicht von der Integration der Kernarbeitsnormen berührt werden. Zum<br />

einen können sie sich verpflichten, legislativ die Voraussetzungen zu schaffen, die Kernarbeitsnormen<br />

zu beachten (z.B. durch entsprechende Gesetze über Beschäftigungsmindestalter).<br />

Zum anderen können sie sich politisch verpflichten, die Durchsetzung von Kernarbeitsnormen<br />

effektiv zu fördern, etwa durch die Verschaffung gerichtlichen Rechtsschutzes für die Betroffenen,<br />

Zulassung von Überprüfungen (z.B. Erteilung von Einreisevisa für Kontrolleure), Bereitstellung<br />

von Infrastruktur usw.


Zusammenfassung und Ergebnis<br />

10.1.2.2 in Darlehns- und Zuschussverträgen der finanziellen<br />

Zusammenarbeit (FZ) der KfW<br />

Bei Darlehns- und Zuschussverträgen der finanziellen Zusammenarbeit der KfW kann die<br />

Integration von Kernarbeitsnormen in Anlehnung an die bereits seit 1. Oktober 2001 in die<br />

Darlehns- und Finanzierungsverträge eingeführten Antikorruptionsklauseln angelehnt werden.<br />

<strong>Der</strong> Darlehnsnehmer bzw. Zuschussempfänger müsste sich verpflichten, dafür zu sorgen, dass<br />

die von ihm mit der Durchführung des Projektes betrauten Personen die Einhaltung der Kernarbeitsnormen<br />

gewährleisten. Die KfW-Entwicklungsbank müsste ihre Vertragspartner darauf<br />

hinweisen, dass bei einer Verletzung der Klausel Auszahlungen gestoppt und geleistete Zahlungen<br />

zurückverlangt werden können.<br />

Mit dieser Klausel würde die juristische Position der KfW Entwicklungsbank gestärkt. In<br />

Zweifelsfällen müsste der Vertragspartner seine angemessenen Bemühungen zur Einhaltung der<br />

Kernarbeitsnormen nachweisen. Ergänzend könnte eine Selbstverpflichtungserklärung für<br />

Consultants in die Vergaberichtlinien und für die Vergabe von Lieferungen und Leistungen integriert<br />

werden.<br />

10.1.2.3 bei der Vergabe von Bürgschaften / Garantien für Exporte,<br />

Direktinvestitions- und ungebundene Finanzkredite<br />

Bei der Vergabe von Bürgschaften und Exportgarantien sowie bei Direktinvestitions- und<br />

ungebundenen Finanzkrediten müsste sich der Bürgschafts-/Garantie-/Kreditnehmer verpflichten,<br />

selbst die Kernarbeitsnormen zu beachten und darüber hinaus keine Geschäfte mit Partnern<br />

zu tätigen, bei denen die Einhaltung der Kernarbeitsnormen nicht gesichert ist. Bei dieser letztgenannten<br />

Konstellation ist problematisch, dass mögliche finanzielle Sanktionen (z.B. Kündigung<br />

der Bürgschaft) den Bürgschaftsnehmer auch dann treffen würden, wenn zwar er selbst die Kernarbeitsnormen<br />

beachtet, nicht aber sein Partner, dessen Verhalten er nur begrenzt überwachen<br />

und beeinflussen kann. Es läge allerdings an ihm, sich vertraglich, etwa durch eigene Sanktionsoder<br />

Regressklauseln abzusichern bzw. sich ein Kündigungsrecht vorzubehalten.<br />

10.2 Kontrollierbarkeit und Durchsetzbarkeit der rechtlichen<br />

Möglichkeiten mit einem vernünftigen Aufwand und Erzielung<br />

der gewünschten Wirkungen<br />

Bei der Überwachung und Kontrolle der Einhaltung von Kernarbeitsnormen könnte auf die<br />

Instrumentarien zurückgegriffen werden, die schon im Umweltbereich und bei der Korruptionsbekämpfung<br />

entwickelt wurden, nämlich Monitoring, Audit und Zertifizierung. Unumgänglich<br />

erscheint es festzulegen, welches Gremium verbindlich über die Nichtbeachtung von Kernarbeitsnormen<br />

entscheidet. Da die IAO selbst bereits Projekte in diesem Bereich überwacht, bietet<br />

es sich an, die Kontrolle in Kooperation mit dieser Institution vorzunehmen bzw. auf deren<br />

Erfahrungen zurückzugreifen. Weitere mögliche Kooperationspartner sind die KfW, die über<br />

Erfahrungen auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung verfügt sowie das britische Department<br />

for International Development, welches ebenfalls die Entwicklung von Strategien zur Durchsetzung<br />

von Kernarbeitsnormen auf seine Agenda gesetzt hat. Soweit die Überprüfung durch<br />

Experten vorgesehen ist, sollte darauf geachtet werden, dass diese nicht institutionell mit der<br />

73


74<br />

Projektdurchführung verbunden sind. Eine außenstehende Person oder Institution ist einer internen<br />

Kontrolle oder Evaluierung vorzuziehen.<br />

Denkbar ist auch, dass bei der Projektdurchführung zwingend vorgeschrieben wird, eine<br />

Stelle einzurichten, bei der Betroffene oder Dritte (z.B. Gewerkschaften) die Nichtbeachtung von<br />

Kernarbeitsnormen vorbringen können, ohne persönliche Sanktionen (z.B. Verlust des Arbeitsplatzes)<br />

befürchten zu müssen. Zudem gilt es die Beteiligten (z.B. Exporteure, Banken) für das<br />

Thema zu sensibilisieren und entsprechend zu beeinflussen. Zu überlegen ist ferner, ob Unternehmen,<br />

die die Kernarbeitsnormen nicht einhalten, von weiteren öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen<br />

werden sollten. Selbstverständlich müssen die in der Projektarbeit tätigen dahingehend<br />

geschult werden, dass die Beachtung der Kernarbeitsnormen zu ihrem Anliegen wird.<br />

10.3 Entwicklung von Formulierungsvorschlägen zur Einbindung<br />

und Verankerung entsprechender Klauseln<br />

10.3.1 Rahmenverträge<br />

In Rahmenvereinbarungen könnten beispielsweise folgende Formulierungen aufgenommen<br />

werden:<br />

1. Die Regierung von [...] gewährleistet die Einhaltung der Kernarbeitsnormen,<br />

so wie sie in den IAO-Konventionen Nr... niederlegt sind und durch den<br />

Sachverständigenausschuss ausgelegt werden. Sie wird die entsprechenden<br />

Maßnahmen veranlassen, um die Beachtung dieser Kernarbeitsnormen nach<br />

nationalem Recht umzusetzen.<br />

2. Die Regierung von [...] verpflichtet sich, die Überprüfung der Einhaltung der<br />

Kernarbeitsnormen im Rahmen dieses Projekts zuzulassen und zu unterstützen.<br />

3. In Zweifelsfällen entscheidet mit verbindlicher Wirkung für die beteiligten<br />

Regierungen [Gremium].<br />

4. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland behält sich vor, bei festgestellter<br />

Nichteinhaltung einzelner Kernarbeitsnormen oder mangelnder Unterstützung<br />

bei der Überprüfung der Einhaltung der Kernarbeitsnormen das Abkommen mit<br />

einer Frist von [...] zu kündigen und / oder den Finanzierungsbeitrag<br />

zurückzuhalten.<br />

10.3.2 Einzelverträge<br />

10.3.2.1 Verträge im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens<br />

Bei Einzelverträgen wird empfohlen, für Liefer- und Dienstleistungsverträge die oben aufgeführten<br />

Formulierungen der IAO 178 zu übernehmen, wobei die Passagen, die nicht die<br />

178 Vgl. oben 9.1<br />

Zusammenfassung und Ergebnis


Zusammenfassung und Ergebnis<br />

Kernarbeitsnormen betreffen, selbstverständlich weggelassen werden können. Die Formulierungen<br />

sollten jedoch ergänzt werden wie folgt:<br />

In Zweifelsfällen entscheidet mit verbindlicher Wirkung für die beteiligten<br />

Vertragsparteien [Gremium].<br />

10.3.2.2 FZ-Verträge<br />

Bei Finanzierungsverträgen müssen die Formulierungen entsprechend abgewandelt werden:<br />

Die Finanzierung steht unter dem Vorbehalt, dass die Einhaltung der Kernarbeitsnormen<br />

durch den Vertragspartner gewährleistet ist.<br />

Bei Nichteinhaltung kann die Finanzierungszusage mit einer Frist von [...] gekündigt<br />

werden. [Ggf. kann noch eine Rückforderungsklausel aufgenommen werden].<br />

In Zweifelsfällen entscheidet mit verbindlicher Wirkung für die beteiligten<br />

Vertragsparteien [Gremium].<br />

10.3.2.3 Bürgschaften / Garantien für Exporte, Direktinvestitionsund<br />

ungebundene Finanzkredite<br />

Die Einräumung der Bürgschaft / Gewährung der Exportgarantie / des Kredites<br />

erfolgt unter dem Vorbehalt, dass die Einhaltung der Kernarbeitsnormen durch den<br />

Vertragspartner gewährleistet ist. <strong>Der</strong> Vertragspartner verpflichtet sich, seine eigenen<br />

Vertragspartner zu verpflichten, die Kernarbeitsnormen zu beachten.<br />

Bei Nichteinhaltung dieser Verpflichtung durch den Vertragspartner oder dessen<br />

Vertragspartner kann die Bürgschaft / Exportgarantie / der Kredit mit einer Frist von<br />

[...] gekündigt werden. [Ggf. kann noch eine Rückforderungsklausel aufgenommen<br />

werden].<br />

In Zweifelsfällen entscheidet mit verbindlicher Wirkung für die beteiligten Vertragsparteien<br />

[Gremium].<br />

Selbstverständlich bleibt es den Vertragspartnern überlassen, weitere Punkte aufzunehmen.<br />

So wird in der von DFID finanzierten Studie 179 darauf hingewiesen, dass die zusätzlichen Kosten<br />

für die Einhaltung von Kernarbeitsnormen berücksichtigt werden müssen und klargestellt werden<br />

muss, wer diese trägt. 180 Auch ist daran zu denken, die Art und Weise der Überprüfung der<br />

Einhaltung der Kernarbeitsnormen zu regeln (z.B. Zugangsrechte beim Monitoring, Einsicht in<br />

die Unterlagen o.ä.).<br />

179 Vgl. oben Fn. 170.<br />

180 Allerdings entstehen Zusatzkosten hauptsächlich beim Arbeitsschutz, der gerade nicht zu den<br />

Kernarbeitsnormen zählt.<br />

75


76<br />

10.4 Entwicklung von realisierbaren Handlungsmöglichkeiten<br />

für das BMZ und andere Bundesressorts<br />

1. Die Implementierung von Kernarbeitsnormen in konkrete Projekte der Entwicklungszusammenarbeit<br />

ist eine neue Entwicklung, so dass bislang nur wenige praktische Erfahrungen<br />

existieren. Am intensivsten hat sich bislang die bereits erwähnte Studie 181 mit diesem Thema<br />

befasst. DFID wird an der Thematik weiterarbeiten, so dass es sich anbietet, mit dieser Institution<br />

künftig einen Erfahrungsaustausch zu pflegen. Ebenso hat die IAO selbst einige Strategien zur<br />

Überprüfung der Einhaltung der Kernarbeitsnormen entwickelt, die nutzbar gemacht werden<br />

können.<br />

2. Wie aufgezeigt wurde, ist die Beschränkung auf die Kernarbeitsnormen zu eng und zudem<br />

sind diese zu unspezifisch formuliert. Arbeitsschutz, soziale Absicherung und Zahlung angemessener<br />

Löhne sind die eigentlichen Problembereiche, die auch überprüfbar sind. Es wird daher<br />

empfohlen zu überlegen, ob nicht vom engen Begriff der Kernarbeitsnormen abgerückt werden<br />

sollte zugunsten von Mindestarbeitsstandards.<br />

3. Die Vereinigungsfreiheit ist ein sehr politisches Thema und sie kann am wenigsten konkret<br />

überprüft werden. Selbst wenn die Möglichkeit der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft im Einzelvertrag<br />

statuiert ist, gibt dies nicht die Garantie freier Gewerkschaften durch den Staat. Die<br />

Vereinigungsfreiheit ist jedoch deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Gewerkschaften bei<br />

der Überprüfung der Einhaltung der Kernarbeitsnormen eine wichtige Rolle spielen können und<br />

in diesem Bereich eine wichtige Lobbyarbeit leisten. 182 Es wird daher angeregt, auf politischer<br />

Ebene verstärkt darauf zu dringen, dass der Dialog mit den Sozialpartnern stattfinden kann. Als<br />

Beispiel können die beabsichtigten Sanktionen gegen Belarus im Rahmen der APS der EU dienen.<br />

183 Diese Verfahren könnten ausgebaut und vor allem beschleunigt werden, um Sanktionen<br />

effektiver greifen zu lassen.<br />

3. Allgemein sollte auf nachgeordnete Behörden eingewirkt werden, dem Thema der Beachtung<br />

von Kernarbeitsnormen Aufmerksamkeit zu schenken, insbesondere bei Beschaffungen oder<br />

Anforderung von Dienstleistungen. Überdies sollte in der Öffentlichkeitsarbeit die Beachtung<br />

von Kernarbeitsnormen stärker thematisiert werden.<br />

4. Generell könnte die Bundesrepublik Deutschland ihren Einfluss in den Internationalen<br />

Institutionen geltend machen, die Kernarbeitsnormen effizienter durchzusetzen. Die Bundesrepublik<br />

ist Mitglied und Geldgeber in fast allen Institutionen, die sich mit der Durchsetzung der<br />

Kernarbeitsnormen befassen. Die Erfahrungen der ADB oder der UNO sollten genutzt und<br />

entsprechende Projekte intensiv unterstützt werden. Man könnte auch an eine Person oder Stelle<br />

denken, die die Erfahrungen aus den verschiedenen Institutionen sammelt und bündelt, da bisweilen<br />

der Eindruck entsteht, viele Dinge mit vergleichbarer Zielsetzung laufen ohne wechselseitige<br />

Kenntnis nebeneinander her.<br />

181 Vgl. oben Fn. 170.<br />

182 Besonders aktiv ist die International Federation of Building und Wood Workers (IFBWW).<br />

183 Vgl. oben S. 24<br />

Zusammenfassung und Ergebnis


Zusammenfassung und Ergebnis<br />

5. Die Durchsetzung der Kernarbeitsnormen kann zwar in Einzelfällen vertraglich ausbedungen<br />

werden, doch muss der Prozess vor allem auf politischer Ebene weiterentwickelt werden.<br />

Die Integration von Kernarbeitsnormen in Verträge der Entwicklungszusammenarbeit zeitigt<br />

einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand auf beiden Seiten. Dies könnte dazu führen, dass<br />

potentielle Vertragspartner auf eine Zusammenarbeit verzichten und sich Partnern zuwenden,<br />

die die Einhaltung von Kernarbeitsnormen nicht verlangen. Zumindest auf EU-Ebene sollte eine<br />

einheitliche politische Linie verfolgt werden; die Entwicklung einheitlicher Vertragsmuster wäre<br />

wünschenswert. Problematisch ist die Tatsache, dass ausgerechnet die USA als größter Welthandelspartner<br />

nur zwei Konventionen ratifiziert haben. 184<br />

6. Im Vergaberecht sollte eine Änderung des GWB veranlasst werden um die Beachtung von<br />

Kernarbeitsnormen als Vergabekriterien zuzulassen. 185 Auf der Ebene der EU sollte darauf gedrängt<br />

werden, die Vergaberichtlinien entsprechend zu verabschieden.<br />

7. Schließlich könnte überlegt werden, ob nicht nach dem Vorbild des belgischen Rechts ein<br />

Sozialgütesiegel geschaffen werden sollte. Dies könnte auf nationaler Ebene, eventuell auch auf<br />

EU-Ebene geschehen. Zuvor sollten allerdings die Erfahrungen, die in Belgien mit diesem Gesetz<br />

gemacht wurden, evaluiert werden.<br />

8. Die Integration von Kernarbeitsnormen in Verträge der Entwicklungszusammenarbeit ist<br />

eine völlig neue Rechtsmaterie. Im Verlauf der konkreten Umsetzung werden sicherlich noch eine<br />

Vielzahl von Fragen zu erörtern sein. Es wird daher angeregt, diesen Entwicklungsprozess auch<br />

in Zukunft juristisch zu begleiten.<br />

184 Übereinkommen 105 (Zwangsarbeit) und Übereinkommen 182 (Beseitigung der schlimmsten Formen der<br />

Kinderarbeit).<br />

185 Siehe oben S. 48.<br />

77


78<br />

11. Literaturverzeichnis<br />

Bartosch, Andreas Vergabefremde Kriterien und Art. 87 I EG: Sitzt das<br />

öffentliche Beschaffungswesen in Europa auf einem<br />

beihilferechtlichen Pulverfass?, EuZW 2001, 229<br />

Bechthold, Rainer Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,<br />

Kommentar, 2. Auflage, München 2002<br />

Boesen, Arnold Vergaberecht: Kommentar zum 4. Teil des GWB,<br />

Köln, 2000<br />

Braun, Christian Neue Tendenzen im europäischen Vergaberecht –<br />

Ein Ausblick, NZBau 2002, Heft #<br />

(abrufbar über www.nzbau.de)<br />

Braun, Michael Arbeitnehmerrechte im Welthandel, INEF-Report,<br />

Gerhard-Mercator-Universität Duisburg, Heft 14, 1995<br />

Bultmann, Stephan Wettbewerbsfremde Vergabekriterien im neuen<br />

Vergaberecht; BuW [?] 2001, 244<br />

Burgi, Martin Vergabefremde Zwecke und Verfassungsrecht,<br />

NZBau 2001, 64<br />

Cremona, Marise Neutrality or Discrimination? The WTO, the EU and<br />

External Trade in: de Búrca, Gráinne /<br />

Scott, Joanne (Hrsg.),<br />

The EU and the WTO, Oxford 2001, 151 ff.<br />

Däubler, Wolfgang Tariftreue statt Sozialkostenwettbewerb?, ZIP 2000, 681<br />

Deutsch, Klaus-Günter The World Trade Oranization Milliennium Round,<br />

/ Speyer, Klaus (ed.) London, New York 2001<br />

Dreher, Meinrad Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 26.9.2000 –<br />

Rs. C-225/98, JZ 2001, 140<br />

Literaturverzeichnis<br />

Egger, Alexander Nicht alles ist vergabefremd, NZBau 2002, 601<br />

Fitzgerald, Peter L. Massachusetts, Burma , and the World Trade<br />

Organization: A Commentary on Blacklisting,<br />

Federalism, and Internet advocacy in the al Trading Era,<br />

34 Cornell International Law Journal 1, 1 ff. (2001)


Literaturverzeichnis<br />

Heintzen, Markus Vergabefremde Ziele Vergaberecht, ZHR 165 (2001), 62<br />

Herrmann, Christoph W. Grundzüge der Welthandelsordnung – Institutionen,<br />

Strukturen und Bezüge zum Europäischen<br />

Gemeinschaftsrecht, ZeuS 2001, 453 ff.<br />

Horta, Korinna Rhetoric and Reality: Human Rights and the World Bank,<br />

Harvard Human Rights Journal, Vol. 15,<br />

Spring 2002, 228 – 244<br />

Howse, Robert The World Trade Organization and the Protection of<br />

Workers’ Rights, 3 The Journal of Small and Emerging<br />

Business Law, 131 (1999)<br />

Ladbury, Sarah/ Implementing Labour Standards in Construction –<br />

Cotton, Andrew/ A sourcebook, Water Engineering and Development<br />

Jennings, Mary Centre, Loughborough University 2003.<br />

Martin-Ehlers, Andrés Die Unzulässigkeit vergabefremder Kriterien,<br />

WuW 1999, 685<br />

Meyer, Nina Die Einbeziehung politischer Zielsetzungen bei der<br />

öffentlichen Beschaffung, Berlin 2002<br />

Ölz, Martin Die Kernarbeitsnormen der Internationalen<br />

Arbeitsorganisation im Licht der neuen<br />

handelspolitischen „Sozialklausel“ der Europäischen<br />

Union, ZIAS 2002, 319 ff.<br />

Opitz, Marc <strong>Der</strong> Wirtschaftlichkeitsbegriff des Kartellvergaberechts<br />

NZBau 2001, 12<br />

Riese, Christoph Vergaberecht, Berlin 1998<br />

Schima, Bernhard Wettbewerbsfremde Regelungen – falsche Signale vom<br />

Europäischen Gerichtshof?, NZBau 2002, 1<br />

Schwab, Brent Die vergaberechtliche „Tariftreueerklärung“ im<br />

Spannungsfeld von Arbeitsrecht und Wettbewerb,<br />

NZA 2001, 701<br />

Seifert, Achim Rechtliche Probleme von Tariftreueerklärungen<br />

ZfA 2001, 1<br />

Siebold, Dagmar E. Die Welthandelsorganisation und die Europäische<br />

Gemeinschaft, Berlin 2003<br />

79


80<br />

Literaturverzeichnis<br />

Suchsland- Maser, Ulrike Menschenrechte und die Politik multilateraler<br />

Finanzinstitute, Eine Untersuchung unter<br />

völkerrechtlichen Gesichtspunkten an den Beispielen der<br />

Weltbank, des Währungsfonds und regionaler<br />

Entwicklungsbanken, Frankfurt a.M. 1999.<br />

Wolffgang, Hans-Michael/ Kann – oder soll – das internationale Handelsrecht eine<br />

Feuerhake, Wolfram internationale Sozialordnung ersetzen? in: Aufderheide,<br />

Detlef / Dabrowski, Martin (Hrsg.), Internationaler<br />

Wettbewerb – nationale Sozialpolitik?,<br />

Berlin 2000, 147 ff.<br />

World Bank Development and Human Rights: The Role of the World<br />

Bank, Washington 1998<br />

Ziekow, Jan Vergabefremde Zwecke und Europarecht, NZBau 2001, 72


Abkürzungsverzeichnis<br />

12. Abkürzungsverzeichnis<br />

AaO am angegebenen OrtAB Appellate Body<br />

ABl. Amtsblatt<br />

ABIEG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft<br />

Abs. Absatz<br />

ADB Asian Development Bank<br />

AEM Allgemeine Erklärung der Menschenrechte<br />

APS Allgemeine(s) Präferenzsystem(e)<br />

Art. Artikel<br />

BAnz Bundesanzeiger<br />

BASI Business and Social Initiatives Database<br />

BayObLG Bayerisches Oberlandesgericht<br />

Bd. Band (Bände)<br />

BGBl. Bundesgesetzblatt<br />

BHO/LHO Bundeshaushaltsordnung/Landeshaushaltsordnung<br />

BkartA Bundeskartellamt<br />

BKR Bauaufträgekoordinierungsrichtlinie<br />

BMW Bayerische Motorenwerke<br />

BuW Betrieb und Wirtschaft<br />

bzgl bezüglich.<br />

bzw. beziehungsweise<br />

CAFTA Central American Free Trade Agreement<br />

CCA Common Country Assessment<br />

d.h. das heißt<br />

DB Deutsche Bahn<br />

DFID Department for International Development<br />

DKR Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie<br />

DSU Dispute Settlement Understanding<br />

EG Europäische Gemeinschaften<br />

EGV EG-Vertrag<br />

EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten<br />

ESC Europäische Sozialcharta<br />

etc. et cetera<br />

ETI Ethical Trading Initiative<br />

EU Europäische Union<br />

EuGH Europäischer Gerichtshof<br />

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht<br />

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />

EZ Entwicklungszusammenarbeit<br />

ff. fortfolgende<br />

FLA Fair Labour Association<br />

Fn. Fußnote<br />

FZ Finanzielle Zusammenarbeit<br />

GA Generalanwalt<br />

GATS General Agreement on Trade in Services<br />

GATT General Agreement<br />

81


82<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

Gem. gemäß<br />

GG Grundgesetz<br />

GPA Government Procurement Agreement<br />

GPS Generalized System of Preferences<br />

GTZ Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH<br />

GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />

HGrG Haushaltsgrundsätzegesetz<br />

HS Halbsatz<br />

IAA Internationales Arbeitsamt<br />

IAO Internationale Arbeitsorganisation<br />

ICFTU International Confederation of Free Trade Unions<br />

idF in der Fassung<br />

IFBWW International Federation of Building and Wood Workers<br />

IFC International Finance Corporation<br />

IGH Internationaler Gerichtshof<br />

ILO International Labour Organisation<br />

IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte<br />

IPWSKR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte<br />

ITO International Trade Organisation<br />

JZ Juristenzeitung<br />

KOM Kommission<br />

KRK Kinderrechtskonvention<br />

LDB Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge<br />

lit. littera (Buchstabe)<br />

LKR Lieferaufträgekoordinierungsrichtlinien<br />

Ltd. Limited<br />

MDT Multidisciplinary Advisory Team(s)<br />

MFN Most Favoured Nation Treatment<br />

MR Menschenrechte<br />

NAFTA North American Free Trade Agreement<br />

NGO Non-Governmental Organisation<br />

NJW Neue Juristische Wochenschrift<br />

Nr. Nummer<br />

NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht<br />

NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht<br />

OAS Organisation Amerikanischer Staaten – Organisation of American<br />

States<br />

OAU Organisation of American Unity<br />

OLG Oberlandesbericht<br />

PPMs Process Production Methods<br />

Rs. Rechtssache<br />

Rz. Randziffer<br />

S. Siehe<br />

S.o. Siehe oben<br />

SAI Social Accountability International<br />

SKR Sektorenkoordinierungsrichtlinie<br />

Slg. Sammlung


Abkürzungsverzeichnis<br />

sog. sogenannte(r)<br />

SPSÜ Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und<br />

pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (Agreement on the Application<br />

of Sanitary and Phytosanitary Treasures)<br />

StWG Stabilitäts- und Wachstumsgesetz<br />

TBTÜ Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (Agreement on<br />

Technical Barriers to Trade)<br />

TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights<br />

TZ Technische Zusammenarbeit<br />

UN United Nations<br />

UNDAF United Nations Development Assistance Framework<br />

UNICEF United Nations Children’s Fund<br />

UNO United Nations of Organisation<br />

Urt. Urteil<br />

USA United States of America<br />

v. von (m)<br />

Vgl. Vergleiche<br />

VN Vereinte Nationen<br />

VOB Verdingungsordnung für Bauleistungen<br />

VOB/A Verdingungsordnung für Bauleistungen / Teil A<br />

VOF Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen<br />

VOL Verdingungsordnung für Leistungen<br />

Vol. Volume (Band)<br />

WEV Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung<br />

WTO World Trade Oganization<br />

WTO-AGP WTO Agreement on Government Procurement<br />

WuW Wirtschaft und Wettbewerb<br />

z.B. zum Beispiel<br />

ZeuS Zeitschrift für europarechtliche Studien<br />

ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht<br />

ZHR Zeitschrift für das gesamte Handles- und Wirtschaftsrecht<br />

ZIAS Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und S<br />

ozialrecht<br />

ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht<br />

83


84<br />

Notizen


GTZ-Profil<br />

GTZ-Profil<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH ist ein weltweit<br />

tätiges Bundesunternehmen für internationale Zusammenarbeit. Sie arbeitet für das Ziel, die<br />

politische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung in den Ländern des Südens und<br />

Ostens positiv zu gestalten und damit die Lebensbedingungen und Perspektiven der Menschen zu<br />

verbessern. Mit ihren Dienstleistungen unterstützt sie komplexe Entwicklungs- und Reformprozesse<br />

und trägt zur nachhaltigen Entwicklung in der Welt bei.<br />

Die GTZ wurde 1975 als privatwirtschaftliches Unternehmen gegründet. Ihr Hauptauftraggeber<br />

ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).<br />

Darüber hinaus ist sie tätig für andere Bundesressorts, für Regierungen anderer Länder, für<br />

internationale Auftraggeber wie die Europäische Kommission, die Vereinten Nationen oder die Weltbank<br />

sowie für Unternehmen der privaten Wirtschaft. Die GTZ nimmt ihre Aufgaben<br />

gemeinnützig wahr. Überschüsse werden ausschließlich wieder für eigene Projekte der Entwicklungszusammenarbeit<br />

verwendet.<br />

In über 120 Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas, in den Transformationsländern<br />

Osteuropas und den GUS-Staaten beschäftigt das Unternehmen mehr als 11.000 Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter; rund 8.700 von ihnen sind einheimische Kräfte. Die GTZ ist in 67 Ländern mit<br />

eigenen Büros vertreten. Zusätzlich arbeiten rund 1.100 Personen in der Zentrale in Eschborn bei<br />

Frankfurt am Main.


Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5<br />

Postfach 51 80<br />

65726 Eschborn<br />

Telefon: ++49 (0)61 96 79-0<br />

Telefax: ++49 (0)61 96 79-11 15<br />

Internet: http://www.gtz.de

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