10.10.2013 Aufrufe

Lügen, dass es kracht - Claudia Kemfert

Lügen, dass es kracht - Claudia Kemfert

Lügen, dass es kracht - Claudia Kemfert

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

T i T e l<br />

<strong>Lügen</strong>, <strong>dass</strong><br />

<strong>es</strong> <strong>kracht</strong><br />

Keinem wichtigen Vorhaben dichten Lobbyisten so viel an wie der Energiewende:<br />

Sie kommt überstürzt! Macht uns arm! Zerstört die deutsche Industrie! Reißt uns ins<br />

dunkle Chaos! Höchste Zeit, mit den Mythen über ein gut<strong>es</strong> Projekt aufzuräumen<br />

Von <strong>Claudia</strong> <strong>Kemfert</strong><br />

14 Cicero 2.2013 2.2013 Cicero 15


T i T e l<br />

a<br />

ngela Merkels Fehler ist niemandem<br />

aufgefallen. Die Korr<strong>es</strong>pondenten<br />

bemerken ihn nicht.<br />

Sie sitzen vor der Kanzlerin in<br />

Berlin auf der jährlichen Pr<strong>es</strong>sekonferenz<br />

und fragen alle wichtigen innenund<br />

außenpolitischen Themen ab, auch die<br />

Energiewende. Später wird in den Medien<br />

viel die Rede davon sein, wie Merkel im<br />

siebten Jahr ihrer Amtszeit in sich ruht, wie<br />

souverän sie das Corps der versammelten<br />

Journalisten mit ihren G<strong>es</strong>ten dirigiert hat<br />

am 17. September 2012, jenem Montagmorgen,<br />

an dem sie auch di<strong>es</strong>e Sätze sagt:<br />

„Ich bin davon überzeugt, <strong>dass</strong> wir die Energiewende<br />

schaffen. Wir haben ja erst ein<br />

Jahr hinter uns und noch zehn, elf Jahre,<br />

in denen wir die Ziele erreichen können,<br />

die wir uns g<strong>es</strong>teckt haben.“<br />

Noch zehn, elf Jahre? Ein echter Propaganda-Erfolg.<br />

Und zwar von denen, die<br />

die Energiewende verhindern wollen. Eine<br />

der Behauptungen, mit denen sie derzeit<br />

Wirkung erzielen, lautet: Der Zeitplan ist<br />

zu eng, bis 2022 schaffen wir den Umbau<br />

der Energieversorgung nicht. Angela Merkels<br />

Fehler zeigt: Es wirkt, wenn Lobbyisten<br />

Unwahrheiten gebetsmühlenartig wiederholen.<br />

Es ist wie mit der Werbung. Wir<br />

halten uns für aufgeklärte, selbstb<strong>es</strong>timmte<br />

Konsumenten. Doch <strong>es</strong> stimmt nicht, das<br />

Unterbewusstsein nimmt die Botschaften<br />

auf, die uns von jedem Plakat entgegenleuchten,<br />

und am Ende beeinflussen sie unser<br />

Kaufverhalten. Im Konzept zur Energiewende<br />

sind Ziele zum Ausbau erneuerbarer<br />

Energien formuliert, die sich auf das Jahr<br />

2050 beziehen – auf 2050! Doch selbst<br />

die Kanzlerin, die das Konzept mitverabschiedet<br />

hat, glaubt inzwischen, <strong>es</strong> seien<br />

nur noch zehn, elf Jahre Zeit. Die Wahrheit<br />

ist: Bis Ende 2050 sind <strong>es</strong> noch 38 Jahre.<br />

ang<strong>es</strong>ichts von R<strong>es</strong>sourcenknappheit,<br />

Atomgefahren und Klimawandel, die<br />

uns bedrohen, ist die Energiewende ein<br />

sinnvoll<strong>es</strong>, ein dringend notwendig<strong>es</strong> Projekt.<br />

Es ist höchste Zeit zu handeln. Zumal<br />

die Energiewende auch ein nützlich<strong>es</strong><br />

Projekt ist, von dem die deutsche Volkswirtschaft<br />

profitiert. Denn der Umbau<br />

unserer Stromversorgung ist mit gewaltigen<br />

Impulsen für die Wirtschaft verbunden<br />

und lässt dabei die Brennstoffkosten<br />

sinken. Und schließlich ist die Energiewende<br />

ein erfolgreich<strong>es</strong> Projekt: Viel<strong>es</strong><br />

von dem, was vor wenigen Jahrzehnten<br />

<strong>Claudia</strong> <strong>Kemfert</strong> zählt zu den renommierten<br />

Fachleuten für Energie und Klimaschutz<br />

in Deutschland. Die 44 Jahre alte<br />

Ökonomin leitet die Energieabteilung am<br />

Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung<br />

in Berlin. Zudem ist sie Prof<strong>es</strong>sorin<br />

an der Hertie School of Governance.<br />

<strong>Kemfert</strong> ist parteilos, trat jedoch 2011<br />

im Wahlkampf in Nordrhein-W<strong>es</strong>tfalen<br />

für den CDU-Kandidaten Norbert<br />

Röttgen als Schatten-Energieministerin<br />

auf. Sie studierte Volkswirtschaft an<br />

den Universitäten Bielefeld, Oldenburg<br />

und im kalifornischen Stanford<br />

noch im Reich grüner Utopien g<strong>es</strong>ehen<br />

wurde, gehört heute zum Alltag. Saubere,<br />

grüne Energie ist technisch machbar und<br />

wirtschaftlich bezahlbar geworden.<br />

Deutschlands Energiewende, ein sinnvoll<strong>es</strong>,<br />

nützlich<strong>es</strong> und erfolgreich<strong>es</strong> Projekt?<br />

Wer die eigene Meinungsfindung auf das<br />

gründet, was die Medien täglich berichten,<br />

hat vermutlich ein ganz ander<strong>es</strong> Bild im<br />

Kopf: teuer, riskant, zum Scheitern verurteilt.<br />

Warum ist das so? Und wer hat recht?<br />

Zunächst einmal: Es geht um Dinge<br />

wie Brennstoffe, Stromleitungen, Kraftwerke.<br />

Dinge, die wir gewohnheitsmäßig<br />

kaum beachten. Nur viel zu wenige<br />

Menschen können den Betrag ihrer jährlichen<br />

Stromrechnung benennen. Doch das<br />

Thema grüne Energie polarisiert, und die<br />

Debatten darum sind in einer Weise emotional<br />

aufgeladen, die ang<strong>es</strong>ichts ihr<strong>es</strong> prosaischen<br />

Inhalts überrascht. Dabei ist die<br />

G<strong>es</strong>chichte der ökologischen Bewegung<br />

eine schwere Hypothek. Wer sich offen für<br />

grüne Ideen ausspricht, macht sich auch<br />

heute noch ein<strong>es</strong> träumerischen Ökoidealismus<br />

verdächtig. Kann man für die Energiewende<br />

sein, ohne als wirtschaftsferner<br />

Realitätsverweigerer zu gelten? Kann man<br />

ihre Umsetzung sachlich-konstruktiv kritisieren,<br />

ohne gleich das ganze Projekt infrage<br />

zu stellen? Und schließlich: Ist die<br />

Energiewende so schlecht wie ihr Ruf, oder<br />

hat sie in erster Linie ein Imageproblem?<br />

in den vergangenen Monaten hat sich<br />

eine politische Auseinandersetzung um die<br />

Energiewende entwickelt, die nicht eben zu<br />

ihrem Gelingen beiträgt. Ein Kampf um<br />

Strom tobt, und <strong>es</strong> ist zu befürchten, <strong>dass</strong><br />

di<strong>es</strong>er dem begonnenen Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong> Energieumbaus<br />

schadet. So wurde der deutschen<br />

Energiepolitik vor kaum zwei Monaten<br />

auf der Weltklimakonferenz in Doha<br />

b<strong>es</strong>cheinigt, <strong>dass</strong> die grüne Energiepolitik<br />

nach anfänglichen Erfolgen von ihrem<br />

Weg abgekommen ist; <strong>es</strong> drohen Stagnation<br />

und Rückschritte. Inzwischen scheint<br />

das von den Medien kolportierte Bild gar<br />

nicht mehr so falsch: An manchen Stellen –<br />

nicht an allen! – herrscht Chaos, und wir<br />

können noch scheitern. Ein erster Erfolg<br />

derer, die sich mit aller Macht gegen die<br />

Energiewende zur Wehr setzen.<br />

Gegen den Energieumbau stellen sich<br />

in erster Linie jene, die von der bisherigen<br />

Energieversorgung am meisten profitieren:<br />

große Konzerne, für die jeder<br />

Landwirt mit einem Windrad auf dem<br />

Feld Konkurrenz bedeutet. Denn die Herausforderungen<br />

liegen nicht allein in der<br />

Umstellung auf neuartige Energiequellen,<br />

sondern auch in einer damit einhergehenden<br />

Neustrukturierung d<strong>es</strong> Energiemarkts.<br />

Neue Mitspieler treten auf den Plan und<br />

machen den herkömmlichen Anbietern<br />

ihre Pfründe streitig. Das kann nicht jedem<br />

gefallen; insb<strong>es</strong>ondere die Betreiber<br />

von Atom- und Kohlekraftwerken haben<br />

sich di<strong>es</strong>em Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong>halb von Anfang an<br />

widersetzt. Ihr Kundenstamm schrumpft<br />

stetig, da sich inzwischen ganze Dörfer mit<br />

Sonnenkollektoren auf den Dächern oder<br />

durch die Energiegewinnung aus Biomasse<br />

selbst versorgen.<br />

Die Gegner der Energiewende haben<br />

Macht. Ein halbherziger Versuch, den<br />

Strommarkt zu liberalisieren, hat in den<br />

neunziger Jahren zur Entstehung weniger<br />

großer Energieversorgungsunternehmen<br />

geführt, die den Markt fast vollständig<br />

unter sich aufteilten und so zu einem<br />

wirtschaftlichen Schwergewicht werden<br />

konnten. Di<strong>es</strong>e starke Position ermöglicht<br />

<strong>es</strong> ihnen heute, sich durch Lobbyarbeit und<br />

Fotos: A1Pix/Your Photo todAY (seiten 14 bis 15), horst GAluschkA/Picture AlliAnce/dPA<br />

willige Handlanger in der Politik dem entgegenzustellen,<br />

was die Regierung längst<br />

b<strong>es</strong>chlossen hat. So tobt der Kampf um<br />

Strom auf verschiedenen Ebenen. Da ist<br />

vor allem die Politik: Im Schatten der<br />

Lobby alteing<strong>es</strong><strong>es</strong>sener Energieri<strong>es</strong>en<br />

konnte sich ein Umweltminister, der sich<br />

mit einem allzu grün anmutenden Programm<br />

vorwagte, nicht lange halten. Seinem<br />

Nachfolger im Amt, Umweltminister<br />

Peter Altmaier, gab der Bund der Industrie<br />

kurz nach seinem Antritt den Rat, er solle<br />

bloß nicht „den Röttgen machen“. Seither<br />

werden seine Bemühungen, die Energiewende<br />

aus der eingetretenen Stagnation<br />

wieder herauszuführen, vom FDP-geführten<br />

Wirtschaftsministerium blockiert – was<br />

zuletzt nicht nur von aufmerksamen Journalisten,<br />

sondern sogar einem Gremium<br />

aus vier Regierungsberatern, die das Projekt<br />

seit Oktober 2011 begleiten, kritisiert<br />

wurde. Halten wir uns das vor Augen: Ein<br />

Teil der Regierung leistet offenen Widerstand<br />

gegen den Fahrplan zur Energiewende,<br />

der von derselben Regierung nur<br />

zwei Jahre zuvor b<strong>es</strong>chlossen und in die<br />

Wege geleitet wurde.<br />

Die Auseinandersetzung wird auch in<br />

den Medien ausgetragen. Im September<br />

steht die Bund<strong>es</strong>tagswahl an, und darauf,<br />

<strong>dass</strong> die FDP sich in der Regierung halten<br />

wird, möchte niemand wetten. D<strong>es</strong>halb<br />

reicht <strong>es</strong> der alten Energielobby nicht,<br />

in den Hinterzimmern von Ministern und<br />

Abgeordneten die Fäden zu ziehen. Es gilt,<br />

die Bevölkerung umzustimmen. Die sprach<br />

sich bis Mitte d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> 2012 noch mit<br />

großer Mehrheit für die Energiewende aus.<br />

Womit wir wieder beim Bild wären, das<br />

in der Öffentlichkeit über die Ökostromwende<br />

kursiert. Was könnte die Bevölkerung<br />

umstimmen? Sie muss das Vertrauen<br />

in das Projekt verlieren. Zuschreibungen<br />

wie „sinnvoll, nützlich, erfolgreich“ müssen<br />

ins Gegenteil verkehrt werden.<br />

eine schwierige, aber keine unlösbare<br />

Aufgabe. Denn, wir haben <strong>es</strong> am eingangs<br />

zitierten Beispiel der Kanzlerin g<strong>es</strong>ehen:<br />

Wenn man Falsch<strong>es</strong> oft genug wiederholt,<br />

setzt <strong>es</strong> sich irgendwann in den Köpfen<br />

f<strong>es</strong>t. Aus Behauptungen wie der, die Energiewende<br />

sei mit nur zehn, elf Jahren ein<br />

zu hastig g<strong>es</strong>trickt<strong>es</strong> Programm – obwohl<br />

<strong>es</strong> in Wahrheit noch 38 Jahre sind –, entstehen<br />

f<strong>es</strong>t verankerte Glaubenssätze aus<br />

Halb- und Unwahrheiten. Auf di<strong>es</strong>e Weise<br />

droht sich ein mutig<strong>es</strong> und in seinen Dimensionen<br />

gewaltig<strong>es</strong> Zukunftsprojekt<br />

in ein Menetekel zu verwandeln: Stoppt<br />

die wahnsinnige Ökopolitik, sie wird uns<br />

in den Untergang treiben! Dabei werden<br />

die meisten der Falschaussagen, die solche<br />

Ängste schüren, bewusst von jenen g<strong>es</strong>treut,<br />

die die Energiewende im eigenen Inter<strong>es</strong>se<br />

zu torpedieren suchen.<br />

BrauCht die<br />

energiewende ein<br />

tempolimit?<br />

Es geht zu schnell, lautet einer der Vorwürfe,<br />

Mahnungen nach einem Tempolimit<br />

werden laut. Dabei liegt hier im doppelten<br />

Sinne ein Missverständnis vor: Zum<br />

einen beziehen sich die noch vor uns liegenden<br />

zehn Jahre auf das Datum 2022, zu<br />

dem die endgültige Abwicklung der Atomenergie<br />

geplant ist. Die Ziele der Energiewende<br />

– 80 Prozent der Stromversorgung<br />

aus erneuerbaren Energien und die Reduktion<br />

der Treibhausgasemissionen um<br />

80 bis 95 Prozent – sollen erst bis 2050<br />

erreicht werden. Zum anderen: Das Hin<br />

und Her von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb,<br />

von Laufzeitenverlängerung zum schnellen<br />

Ausstieg nach dem Reaktorunglück in Japan<br />

hat tatsächlich den Eindruck ein<strong>es</strong> hastigen,<br />

unüberlegten Handelns hervorgerufen.<br />

Das Konzept der Energiewende wurde<br />

jedoch schon vor Fukushima geplant und<br />

verabschiedet, mit einer panikartigen Reaktion<br />

hat <strong>es</strong> nichts zu tun. Man muss <strong>es</strong><br />

immer wieder richtigstellen: Der Atomausstieg<br />

und die Energiewende sind nicht<br />

<strong>dass</strong>elbe – im Gegenteil. Als das Konzept<br />

zur Energiewende von der schwarz-gelben<br />

Koalition im Oktober 2010 b<strong>es</strong>chlossen<br />

wurde, verlängerte sie zugleich die Laufzeiten<br />

der Atomkraftwerke. Eine Entscheidung,<br />

die sie nur d<strong>es</strong>halb rückgängig<br />

machte, weil die Zustimmung zur Atomenergie<br />

in der Bevölkerung nach den Ereignissen<br />

in Japan wegbrach.<br />

Ein „Tempolimit“, ein langsamerer<br />

Ausbau der erneuerbaren Energien, würde<br />

der Energiewende schaden, was manchen<br />

gelegen käme. Wenn der Ökostrom nicht<br />

so bald kommt, nutzt das den Betreibern<br />

von Kohlekraftwerken. Solange nämlich<br />

aus Altersgründen stillgelegte Kraftwerke<br />

und abg<strong>es</strong>chaltete Atommeiler nicht durch<br />

erneuerbare Energien ersetzt werden können,<br />

müssen neue Kohlekraftwerke gebaut<br />

werden, um die Stromversorgung zu<br />

sichern. Di<strong>es</strong>e haben jedoch eine Lebensdauer<br />

von 40 bis 60 Jahren. Sind sie erst<br />

einmal gebaut, b<strong>es</strong>teht für den unbegrenzten<br />

Zubau von grünem Strom keine wirtschaftliche<br />

Notwendigkeit mehr. Das ist<br />

gut für die Betreiber von Kohlekraftwerken.<br />

Die von der Bund<strong>es</strong>regierung ebenso<br />

wie von der EU ang<strong>es</strong>trebte spürbare Reduktion<br />

der Treibhausgase würde damit jedoch<br />

in weite Ferne rücken.<br />

Bringt die<br />

energiewende uns<br />

planwirtsChaft und<br />

soziale Verelendung?<br />

Hinter den vorgeblich sachlichen Diskussionen<br />

um die Energiewende und um<br />

ihre b<strong>es</strong>tmögliche Umsetzung verbergen<br />

sich oft handf<strong>es</strong>te Inter<strong>es</strong>sen. Wäre grüner<br />

16 Cicero 2.2013 2.2013 Cicero 17<br />

illustrAtionen: JAn rieckhoFF


T i T e l<br />

Strom langfristig unbezahlbar, gäbe <strong>es</strong> das<br />

Projekt Energiewende nicht. Natürlich<br />

sind <strong>es</strong> nicht Sonnen- und Windenergie,<br />

die zur sozialen Verelendung führen. Di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Argument entlarvt sich in seiner Fadenscheinigkeit<br />

schon dadurch, <strong>dass</strong> <strong>es</strong><br />

ausgerechnet von der FDP vorgetragen<br />

wird. Soziale Gerechtigkeit ist keine Frage<br />

der Energiepolitik, auch in Bezug auf die<br />

Strompreise nicht, sondern eine Frage der<br />

Lastenverteilung – hier geht <strong>es</strong> nicht darum,<br />

was wir bezahlen, sondern wer zahlt. Dabei<br />

kann man in der Tat Ungerechtigkeiten<br />

f<strong>es</strong>tstellen, die jedoch an der Steuer- und<br />

Subventionspolitik, nicht aber der Art unserer<br />

Energieversorgung f<strong>es</strong>tzumachen sind.<br />

Noch fadenscheiniger ist <strong>es</strong>, das Erneuerbare-Energien-G<strong>es</strong>etz<br />

– das maßgebliche<br />

Instrument zur Förderung der erneuerbaren<br />

Energien – als „Planwirtschaft“ zu verunglimpfen.<br />

Es ist schlicht Heuchelei zu<br />

behaupten, seine Abschaffung sei die Voraussetzung<br />

für eine b<strong>es</strong>ser organisierte<br />

Stromversorgung. „Mehr Markt, weniger<br />

Staat“, fordern die Kritiker d<strong>es</strong> EEG und<br />

schlagen ein alternativ<strong>es</strong> marktregulierend<strong>es</strong><br />

Instrument vor, die sogenannte Quotenregelung,<br />

die sie als das marktwirtschaftlichere<br />

Modell anpreisen.<br />

doch genau das gegenteil ist der Fall:<br />

Eine Quote zur Förderung d<strong>es</strong> Ökostroms<br />

brächte nicht mehr Marktgerechtigkeit,<br />

sondern käme vor allem den vier etablierten<br />

Großkonzernen zugute. Während<br />

das EEG jede produzierte Kilowattstunde<br />

Ökostrom vergütet und damit fördert,<br />

würde eine Quotenregelung b<strong>es</strong>timmte<br />

Mengen grünen Stroms f<strong>es</strong>tsetzen, die jeder<br />

Anbieter produzieren beziehungsweise<br />

handeln müsste. Auf di<strong>es</strong>e Weise, so hoffen<br />

die Befürworter, würde nur der am billigsten<br />

produzierte Ökostrom gehandelt, teurere<br />

Produktionsverfahren hätten keine<br />

Überlebenschance. Gut für den Verbraucher!<br />

– prophezeien die Kritiker d<strong>es</strong> EEG:<br />

Das Quotenmodell führe zu niedrigeren<br />

Strompreisen. Nun b<strong>es</strong>teht der Sinn einer<br />

Förderung aber gerade darin, technische<br />

Innovationen so lange finanziell zu stützen,<br />

bis sie marktwirtschaftlich werden und<br />

sich damit selbst finanzieren. Wenn sich<br />

eine Volkswirtschaft entscheidet, immer<br />

nur die zu einem gegebenen Zeitpunkt billigste<br />

Technologie zu unterstützen, mag das<br />

kurzfristig niedrige Preise bringen. Doch<br />

wer sich weigert, in zukunftsbringende<br />

Technologien zu inv<strong>es</strong>tieren, der verzichtet<br />

von vorneherein auf die Teilnahme an<br />

einem lukrativen Wettbewerb.<br />

Tatsächlich hat sich das in anderen EU-<br />

Ländern praktizierte Quotenmodell als innovationsfeindlich<br />

erwi<strong>es</strong>en, darüber hinaus<br />

wurde der Strom kein<strong>es</strong>wegs billiger<br />

für den Verbraucher. Die Erfahrung mit<br />

der Quote in Ländern wie Großbritannien<br />

zeigt: Sie macht <strong>es</strong> den etablierten Konzernen<br />

leicht, kleinere Anbieter zu verdrängen<br />

– und dem Verbraucher am Ende Bedingungen<br />

und Preise zu diktieren. Wer die<br />

Quote fordert, handelt nicht im Inter<strong>es</strong>se<br />

d<strong>es</strong> Verbrauchers, sondern spielt den großen<br />

Energieversorgern in die Hände. Anders<br />

das EEG, das bereits heute zahlreichen<br />

mittelständischen und kleinen Anbietern<br />

zur Existenz verholfen hat und so dazu beiträgt,<br />

das kartellrechtlich äußerst fragwürdige<br />

Oligopol der großen vier allmählich<br />

aufzuweichen. Und das zudem dafür sorgt,<br />

<strong>dass</strong> Deutschland in ein bis zwei Jahrzehnten<br />

über ein breit<strong>es</strong> Spektrum an Technologien<br />

zur Stromproduktion verfügen wird.<br />

führt die<br />

energiewende zu einer<br />

deindustrialisierung<br />

in deutsChland? und<br />

fördern wir mit der<br />

öKostromzulage die<br />

solarBranChe in<br />

China?<br />

Indem das EEG kleine wie große Anbieter<br />

gleichermaßen fördert, trägt <strong>es</strong> zu<br />

Liberalisierung und mehr Vielfalt auf dem<br />

Strommarkt bei. Insofern erstaunt <strong>es</strong>, <strong>dass</strong><br />

sich die wirtschaftsnahe FDP für die Quote<br />

ausspricht, oder <strong>es</strong> erstaunt wiederum<br />

auch nicht, sondern zeigt vielmehr, <strong>dass</strong><br />

die FDP ihre liberalen Ideen gerne hintanstellt,<br />

wenn <strong>es</strong> darum geht, Inter<strong>es</strong>sen<br />

etablierter Wirtschaftsmächte zu bedienen.<br />

noch weniger nachvollziehbar wird die<br />

Strategie der Energiewendegegner, wenn<br />

sie behaupten, das Vorhaben führe zu einer<br />

Deindustrialisierung in Deutschland.<br />

Sicher, die Ökostromzulage, die auf den<br />

Strompreis gezahlt werden muss, kann vereinzelt<br />

bewirken, <strong>dass</strong> energieintensive Betriebe<br />

wegen zu hoher Energiekosten im<br />

internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen<br />

geraten – hier sind Ausnahmeregelungen<br />

nötig, die die Politik der Industrie ja<br />

längst großzügig gewährt. Doch stehen vorübergehend<br />

höhere Stromkosten im Verhältnis<br />

zu den enormen Wachstumsimpulsen,<br />

die von der Energiewende ausgehen?<br />

Das Großprojekt d<strong>es</strong> Energieumbaus<br />

ist insb<strong>es</strong>ondere für Deutschland ein Konjunkturmotor,<br />

der gerade d<strong>es</strong>halb so rund<br />

läuft, weil unsere Industrie hervorragend<br />

aufg<strong>es</strong>tellt ist. Wir können unsere Anlagen<br />

selbst bauen, d<strong>es</strong>halb fördern wir mit<br />

nahezu jeder Inv<strong>es</strong>tition in neue Technologien<br />

die eigene Wirtschaft. Der Bau<br />

von Wind- und Solaranlagen, von neuen<br />

Kraftwerken, der Ausbau der Netze, aber<br />

auch die Gebäud<strong>es</strong>anierung und die Elektromobilität<br />

stellen ri<strong>es</strong>ige neue Märkte<br />

dar. Während jeder Euro, den wir für Öl<br />

oder Gas ausgeben, in den Kassen ausländischer<br />

Konzerne landet, kommen die<br />

Gelder der Energiewende zu einem großen<br />

Teil der deutschen, vor allem mittelständischen<br />

und regionalen Wirtschaft<br />

zugute und schaffen auf di<strong>es</strong>e Weise neue<br />

Arbeitsplätze. Tatsachen, die in krassem<br />

Widerspruch zu den Unkenrufen stehen,<br />

die Ökoenergie reiße uns finanziell in den<br />

Abgrund. Anders als Maßnahmen wie die<br />

„Abwrackprämie“ von 2009, die der schwächelnden<br />

Autoindustrie helfen sollte und<br />

deren Effekt nach drei Jahren bereits verpufft<br />

ist, steht am Ende di<strong>es</strong><strong>es</strong> Konjunkturprogramms<br />

eine moderne, umweltfreundliche<br />

Energieversorgung. Je mehr Länder<br />

sich dem deutschen Vorbild anschließen,<br />

d<strong>es</strong>to größer werden die Möglichkeiten,<br />

die hierfür entwickelte Technik zu exportieren.<br />

Doch anstatt solche Entwicklungen<br />

zu unterstützen, wettert man gegen die<br />

illustrAtionen: JAn rieckhoFF<br />

Teurer Ökostrom? Während die Kosten für<br />

erneuerbare Energien sinken, werden Kohle und<br />

Uran, Öl und Gas immer teurer werden<br />

dafür notwendigen staatlichen Hilfen und<br />

diffamiert überlebensnotwendige Inv<strong>es</strong>titionen.<br />

Mit dramatischen Folgen, wie sich<br />

am Beispiel der Solarbranche zeigt. Eine<br />

Reihe von Pleiten hat hier in den vergangenen<br />

Monaten dazu geführt, <strong>dass</strong> die Rufe<br />

lauter wurden, man möge di<strong>es</strong>er Industrie<br />

die Förderung streichen. Dabei liegt auch<br />

hier ein groß<strong>es</strong> Missverständnis vor, denn<br />

die Pleiten wurden durch einen unerwarteten<br />

Preisverfall verursacht, der gerade für<br />

den Erfolg der Fotovoltaik spricht. Ausgerechnet<br />

di<strong>es</strong>e als unbezahlbar teure Luxusvariante<br />

d<strong>es</strong> Ökostroms geltende Technologie<br />

wurde innerhalb der vergangenen<br />

zwei Jahre so billig, <strong>dass</strong> sie nun eine wirtschaftliche<br />

Alternative zu konventionellen<br />

Energieträgern darstellt.<br />

Auch bei Erfolg dauert <strong>es</strong> ein paar Jahre,<br />

bis junge Industrien anfangen, Rücklagen<br />

zu bilden. Wird ihnen die Unterstützung<br />

zu früh entzogen, kann sie das bei der<br />

kleinsten auftretenden Schwierigkeit ihre<br />

Existenz kosten. Die staatliche Förderung<br />

einer neuen Industrie verfrüht aufzugeben,<br />

schadet unserer Volkswirtschaft. Auf di<strong>es</strong>em<br />

Kurs droht tatsächlich eine Deindustrialisierung.<br />

Genau für di<strong>es</strong>en Weg aber hat<br />

die Regierung sich in Bezug auf die Solarbranche<br />

entschieden.<br />

in di<strong>es</strong>eM zusaMMenhang wird gerne behauptet,<br />

Deutschland fördere mit jeder Kilowattstunde<br />

Solarstrom die Solarindustrie<br />

in China, die die benötigten Solarzellen billiger<br />

herstellen und die deutsche Konkurrenz<br />

damit aus dem Feld schlagen könne.<br />

Das ist jedoch falsch: Da bei der Herstellung<br />

der Fotovoltaikanlagen die Materialkosten<br />

vergleichsweise hoch, die in<br />

Deutschland überdurchschnittlich hohen<br />

Produktions- und Lohnnebenkosten aber<br />

vergleichsweise gering sind, können auch<br />

in China Solarzellen derzeit – ang<strong>es</strong>ichts<br />

d<strong>es</strong> übersättigten Markt<strong>es</strong> – nur mithilfe<br />

staatlicher Subventionen herg<strong>es</strong>tellt werden.<br />

Doch die Chin<strong>es</strong>en setzen auf di<strong>es</strong>e<br />

Zukunftstechnologie und fördern sie. Auch<br />

in den USA wird in Solarenergie inv<strong>es</strong>tiert,<br />

wie die Entscheidung von Warren Buffett<br />

für den 2,5-Milliarden-Dollar-Kauf einer<br />

Groß-Solarenergieanlage in Kalifornien<br />

deutlich macht. Nur in Deutschland verschlechtert<br />

man die Bedingungen für Solarunternehmen,<br />

indem man ihnen die Unterstützung<br />

entzieht.<br />

treiBt die<br />

energiewende den<br />

strompreis in die<br />

höhe?<br />

Die Diskussion um die Energiewende<br />

wird von einer Reihe f<strong>es</strong>ter Verknüpfungen<br />

begleitet, die manchmal verschleiern,<br />

worum <strong>es</strong> in der Debatte eigentlich geht.<br />

Da wäre die Verwechslung von Energiewende<br />

und Atomausstieg. Da wäre die<br />

unlösbare Verknüpfung der erneuerbaren<br />

Energien mit dem politischen Erbe der<br />

Grünen, mit ökoideologisch motivierten<br />

staatlichen Eingriffen in einen vermeintlich<br />

freien Energiemarkt. Und da wäre der<br />

Strompreis. Sieht man sich di<strong>es</strong>en genauer<br />

an, werden zwei Dinge deutlich: Der Energiemarkt<br />

war nie frei von staatlichen Eingriffen,<br />

und der Strompreis hängt nicht allein<br />

an den Kosten der Stromproduktion.<br />

Viele glauben, die Ökostromproduktion<br />

verursache viel höhere Kosten als die<br />

konventionelle Stromproduktion. Und<br />

di<strong>es</strong>e Mehrkosten seien <strong>es</strong>, die den Strompreis<br />

in die Höhe trieben. Die erneuerbaren<br />

Energien würden so zu einem Luxusgut,<br />

das sich der Mittelstand gerade noch<br />

leisten könne, das die Menschen mit niedrigem<br />

Einkommen jedoch in den finanziellen<br />

Ruin stürze. Hartz-IV-Empfänger,<br />

die ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen<br />

können, werden von einer Talkshow<br />

zur nächsten gereicht, um di<strong>es</strong>e Th<strong>es</strong>e zu<br />

untermauern. Doch <strong>es</strong> ist nicht der grüne<br />

Strom, der dem Hartz-IV-Empfänger zu<br />

schaffen macht.<br />

Vergleicht man die konventionelle mit<br />

der ökologischen Stromproduktion, so ergibt<br />

sich, sehr vereinfacht darg<strong>es</strong>tellt, folgende<br />

Rechnung: Konventionelle Stromproduzenten,<br />

in erster Linie Atom- und<br />

Kohlekraftwerkebetreiber, haben die Phase<br />

der Inv<strong>es</strong>tition hinter sich. Die teuren Meiler<br />

sind gebaut, und nun folgen Jahrzehnte,<br />

in denen sie Gewinne abwerfen. Die erneuerbaren<br />

Energien hingegen befinden sich<br />

noch in der Phase der technologischen<br />

Entwicklung und der Inv<strong>es</strong>titionen. Anlagen<br />

müssen gebaut, Möglichkeiten zur<br />

Speicherung d<strong>es</strong> Stroms und zu seinem<br />

Transport g<strong>es</strong>chaffen werden. D<strong>es</strong>halb ist<br />

die Stromproduktion aus konventionellen<br />

Energiequellen zurzeit billiger als der grüne<br />

Strom. In ein, zwei Jahrzehnten wird sich<br />

di<strong>es</strong>e Rechnung verändert haben. Die Kosten<br />

für die Ökostromproduktion werden<br />

sinken, je mehr Anlagen gebaut und je ausgereifter<br />

die Technologien sind. Vor allem<br />

aber wird sie dann ohne die zusätzlichen<br />

Kosten auskommen, die bei konventionellen<br />

Kraftwerkebetreibern für Brennstoffe<br />

anfallen. Kohle und Uran, Öl und Gas kosten,<br />

Sonne und Wind dagegen nicht.<br />

Für die Gegenwart gilt: Durch die<br />

Ökostromzulage, mit der wir die notwendigen<br />

Inv<strong>es</strong>titionen in erneuerbare Energien<br />

finanzieren, bezahlen wir im Moment<br />

einen höheren Strompreis. Doch bereits<br />

18 Cicero 2.2013 2.2013 Cicero 19


T i T e l<br />

inFograFik<br />

Die NeueN Wege D<strong>es</strong> guTeN sTroms<br />

Wie kommt der Wind als Strom in die deutschen Steckdosen? Wo fließt er hin? Wie war<br />

der Energiemix früher, wie ist er künftig? Die Energiewende in Bildern und Zahlen<br />

Netzentwicklungsplan<br />

bis 2022<br />

Düsseldorf<br />

NorDsee<br />

Neubau gleichstrom<br />

Neubau Wechselstrom<br />

Netzverstärkung Wechselstrom<br />

startnetz (existierende Netze inklusive<br />

24 schon 2009 b<strong>es</strong>chlossene leitungen)<br />

mainz<br />

stuttgart<br />

Quellen: statistisch<strong>es</strong> bund<strong>es</strong>amt, bund<strong>es</strong>netzagentur, Arbeitsgemeinschaft<br />

energiebilanzen, bund<strong>es</strong>verband der energie- und Wasserwirtschaft, bMu<br />

Hamburg<br />

Hannover<br />

osTsee<br />

münchen<br />

Berlin<br />

Dr<strong>es</strong>den<br />

gewerbe,<br />

Handel,<br />

Dienstleistungen<br />

15,5<br />

Privathaushalte<br />

Bevölkerungsdichte<br />

einwohner pro km 2<br />

905 – 4356<br />

285 – 904<br />

150 – 284<br />

105 – 149<br />

37 – 104<br />

energieverbrauch nach<br />

Verbrauchergruppen, 2011<br />

Angaben in %<br />

industrie<br />

25,1<br />

30<br />

29,4<br />

Verkehr<br />

Brutto-energiemix<br />

in Deutschland nach Jahren<br />

Angaben in %*<br />

2050: leitszenario<br />

d<strong>es</strong> Bund<strong>es</strong>umweltministeriums<br />

2012<br />

2000<br />

1980<br />

(nur W<strong>es</strong>tdeutschland)<br />

* Fehlende zur hundert = sonstige erneuerbare<br />

steinkohle 2,7<br />

Braunkohle 2,2<br />

erdgas 1,3<br />

Wasser 7<br />

Wind 45,1<br />

sonne 14,2<br />

Kraft-Wärme-Kopplung<br />

27,4<br />

steinkohle 19,1<br />

Braunkohle 25,6<br />

Atomkraft 16<br />

erdgas 11,3<br />

Heizöl 6<br />

Wasser 3,3<br />

Wind 7,3<br />

sonne 4,6<br />

Biomasse 5,8<br />

steinkohle 23,9<br />

Braunkohle 27,1<br />

Atomkraft 32,7<br />

erdgas 6,7<br />

Heizöl 2,2<br />

Wasser 4,9<br />

Wind 1,9<br />

Biomasse 0,3<br />

steinkohle 26,4<br />

Braunkohle 30,4<br />

Atomkraft 14,3<br />

erdgas 17,4<br />

Heizöl 5,8<br />

Wasser 5,5<br />

heute belegen zahlreiche Berechnungen,<br />

<strong>dass</strong> di<strong>es</strong>e Zulage bald nicht mehr steigen<br />

und in ein paar Jahren sogar wieder fallen<br />

wird. Bei den konventionellen Energien<br />

verhält <strong>es</strong> sich genau umgekehrt. Während<br />

sie derzeit noch vergleichsweise billig<br />

sind, fallen insb<strong>es</strong>ondere bei der Atomkraft<br />

Entsorgungslasten an, die uns noch lange<br />

nach Stilllegung der Meiler teuer zu stehen<br />

kommen werden. Dasselbe gilt für die<br />

durch den CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke<br />

verursachten Umweltschäden. In<br />

der Zukunftsperspektive werden die grünen<br />

Energien billiger, die konventionellen<br />

teurer. Doch deren zusätzlich anfallende<br />

Kosten bildet der Strompreis nicht<br />

ab. Und daraus ist entstanden, was in den<br />

vergangenen Monaten in Pr<strong>es</strong>seberichten<br />

als „Strompreislüge“ bezeichnet wurde.<br />

die stroMpreislüge fußt auf dem Glauben,<br />

der Preis, den wir für Strom bezahlen,<br />

decke sich mit den Kosten der Stromproduktion.<br />

Di<strong>es</strong>e Annahme wiederum setzt<br />

voraus, <strong>dass</strong> die konventionelle Stromproduktion<br />

ohne staatliche Hilfen auskommt.<br />

Dass di<strong>es</strong> nicht stimmt, ist lange<br />

bekannt. Bereits 1988 veröffentlichte die<br />

EU ein Gutachten, in dem bemängelt wird,<br />

die Strompreise seien zu niedrig, was für<br />

künftige Generationen zu stark steigenden<br />

Strompreisen führen müsse. Doch als die<br />

Energieversorger in den sechziger Jahren<br />

zum Umrüsten auf die Atomenergie motiviert<br />

werden sollten, erklärte der Staat sich<br />

bereit, anfallende Kosten zu bezahlen. Bis<br />

heute und in noch langer Zukunft wird<br />

die teure Endlagerung d<strong>es</strong> Atommülls aus<br />

Steuern finanziert. Würde man di<strong>es</strong>e Kosten<br />

auf den Strompreis umlegen, würde der<br />

konventionelle Strom im Vergleich zum<br />

Ökostrom kein<strong>es</strong>wegs b<strong>es</strong>ser abschneiden.<br />

Für den Verbraucher b<strong>es</strong>teht der eigentliche<br />

Unterschied zwischen alter und neuer<br />

Energie also vor allem darin, <strong>dass</strong> der Staat<br />

sich aus der Förderung zurückzieht und<br />

di<strong>es</strong>e dem Stromkunden aufbürdet. Die<br />

Diskussion über steigende Strompreise –<br />

und über die sozialen Folgen – verfehlt ihr<br />

Thema, solange sie um die Mär vom teuren<br />

Ökostrom kreist. Sie müsste vielmehr von<br />

der Frage handeln, wie weit der Staat sich<br />

in der Energiewirtschaft engagieren und so<br />

für bezahlbaren Strom sorgen sollte. Doch<br />

der Staat, seit Jahrzehnten klamm, hat an<br />

einer solchen Debatte das geringste Inter<strong>es</strong>se.<br />

Die Politik verheimlicht tunlichst,<br />

<strong>dass</strong> der Staat sich nicht nur aus der Subvention<br />

von Strom zurückzieht – die alten<br />

Energien werden aus Steuern finanziert,<br />

die neuen über den Strompreis –, sondern<br />

an der steigenden Ökostromzulage auch<br />

noch kräftig verdient: Obwohl Güter, die<br />

zur Grundversorgung zählen, nur mit einer<br />

Mehrwertsteuer von 7 Prozent belastet<br />

sind, nimmt sich der Fiskus beim Strom<br />

die vollen 19 Prozent. Es gäbe viele Wege,<br />

die unteren Einkommen beim Strompreis<br />

zu entlasten, ein Erlass der Mehrwertsteuer<br />

wäre nur einer davon. Damit sind wir ind<strong>es</strong>sen<br />

nicht mehr bei der Frage, was uns<br />

der grüne Strom kostet, sondern wer ihn<br />

bezahlt. Eine Entlastung der Privatverbraucher<br />

scheint am wenigsten im Sinne der<br />

Regierung: Sie befreit lieber eine zunehmende<br />

Zahl von Industriebetrieben von<br />

der Ökostromzulage und verteuert damit<br />

den Strompreis für den Privatkunden.<br />

führt die<br />

energiewende ins<br />

VersorgungsChaos?<br />

Mit dem Bedrohungsszenario ein<strong>es</strong><br />

Blackouts lässt sich die Angst vor Neuem<br />

wunderbar schüren. Auch hier könnte man<br />

von einer unseligen Verknüpfung sprechen,<br />

denn wieder werden Ursache und Wirkung<br />

in einen falschen Zusammenhang gebracht.<br />

Im Zuge der Umstellung auf neue<br />

Energiequellen verändern sich die Anforderungen<br />

an die Stromnetze. Anders als<br />

die konventionellen Kraftwerke produzieren<br />

Wind- und Solaranlagen keinen gleichmäßigen<br />

Output an Strom, sondern liefern<br />

abhängig von den Wetterverhältnissen<br />

20 Cicero 2.2013 2.2013 Cicero 21<br />

inFoGrAFiken: <strong>es</strong>ther GonstAllA; illustrAtion: JAn rieckhoFF


T i T e l<br />

Wer hat jahrelang nicht in die Netze<br />

inv<strong>es</strong>tiert? Die Energieversorger.<br />

Wer zahlt jetzt? Die Verbraucher<br />

schwankende Mengen. Mit den sogenannten<br />

Smart Grids, den intelligenten Netzen,<br />

lassen sich solche Schwankungen bereits<br />

ausgleichen. Zudem ändern sich die<br />

Standorte der Stromproduktion – Atomkraftwerke<br />

im Süden weichen Windkraftanlagen<br />

im Norden, an die Stelle von<br />

Großkraftwerken treten zahlreiche kleine<br />

Versorger –, und so sind auch neue Transportwege<br />

notwendig. Insofern stimmt <strong>es</strong>:<br />

Wenn wir unsere Versorgung auf Ökostrom<br />

umstellen, müssen wir uns auch um die<br />

entsprechenden Netze kümmern, im anderen<br />

Fall drohen zwangsläufig Blackouts.<br />

nun ist selbst die viel g<strong>es</strong>choltene Politik<br />

nicht so blind, <strong>dass</strong> ihr das nicht klar wäre.<br />

Auf nationaler wie auf EU-Ebene wird<br />

seit langem an einer völlig neuen, EUweiten<br />

Netzinfrastruktur gearbeitet. Nur<br />

wurde dabei bisher die Rechnung ohne<br />

den Wirt gemacht. Denn bis zum Jahr<br />

2009 teilten die vier großen Energieversorger<br />

RWE, Eon, Vattenfall und ENBW<br />

das deutsche Stromnetz unter sich auf. Als<br />

B<strong>es</strong>itzer allein zuständig für deren Instandhaltung,<br />

b<strong>es</strong>chränkten sie über Jahre hinweg<br />

die dafür notwendigen Inv<strong>es</strong>titionen<br />

auf ein Minimum und strichen so höhere<br />

Gewinne ein. Mit dem Ergebnis, <strong>dass</strong> das<br />

Durchschnittsalter der Höchstspannungsmasten<br />

(380 kV) Anfang d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> 2008<br />

bei 32 Jahren und das der Hochspannungsmasten<br />

(220 kV) bei 50 Jahren lag. Das<br />

Durchschnittsalter!<br />

Die letzten größeren Stromausfälle, die<br />

Deutschland erlebt hat, waren denn auch<br />

ausschließlich auf di<strong>es</strong>e Überalterung der<br />

Stromleitungen zurückzuführen. Als nun<br />

die Energiewende in Gang kam, saßen die<br />

Energiekonzerne als B<strong>es</strong>itzer der Netze am<br />

Schalthebel der Macht. Es war klar, <strong>dass</strong><br />

jede Verzögerung beim Netzausbau dem<br />

Ökostromausbau schaden würde. Inzwischen<br />

wurden die Netze auf Druck der<br />

EU in eigene G<strong>es</strong>ellschaften ausgegliedert,<br />

drei von ihnen in Tochterg<strong>es</strong>ellschaften ihrer<br />

vorherigen Eigentümer. Und was macht<br />

22 Cicero 2.2013<br />

die Politik? Anstatt die Netzbetreiber für<br />

die entstehenden Schäden in Haftung zu<br />

nehmen und dabei deutlich zu machen, wo<br />

die Verantwortlichen für drohende Blackouts<br />

zu suchen sind, einigt man sich in der<br />

Bund<strong>es</strong>regierung darauf, <strong>dass</strong> die Verbraucher<br />

zahlen: über höhere Strompreise.<br />

Beim Umbau und der Erneuerung der<br />

Netzinfrastruktur wurden wichtige Entscheidungen<br />

viel zu lange verschlafen oder<br />

bewusst blockiert. Das liegt nicht an der<br />

Energiewende, sondern an einem Wirrwarr<br />

aus Kompetenzen und Zuständigkeiten.<br />

Beid<strong>es</strong> gilt <strong>es</strong> in Zukunft aufzulösen.<br />

Wie würde wohl Deutschlands Straßennetz<br />

aussehen, läge die Aufsicht darüber<br />

nicht zentral in einem Bund<strong>es</strong>ministerium?<br />

Und wie käme wohl der Netzausbau voran,<br />

wenn die Ökostromproduzenten auch über<br />

die Netze verfügten?<br />

energiewende und<br />

energiepolitiK<br />

Der Umbau unserer Energieversorgung<br />

stellt einen gewaltigen, hochkomplexen<br />

und langwierigen Proz<strong>es</strong>s dar, einen<br />

Wandel auf allen Ebenen. Die Erzeugung<br />

und vor allem der technisch aufwendige<br />

Transport von Strom müssen vom privaten<br />

Selbstversorger, der sich Solarzellen aufs<br />

Dach baut, bis hin zu der komplizierten<br />

Logistik einer europaweiten Verknüpfung<br />

d<strong>es</strong> Strommarkts koordiniert werden, woraus<br />

am Ende ein neu<strong>es</strong> Netz entsteht, in<br />

dem nahezu jeder von jedem abhängig ist.<br />

Bereits heute kann eine kaputte Leitung<br />

in Niedersachsen Stromausfälle in Österreich<br />

und bis nach Spanien verursachen.<br />

Wir brauchen ein hervorragend<strong>es</strong> Management<br />

di<strong>es</strong><strong>es</strong> Vorhabens, das entschlossen,<br />

mit viel Übersicht und noch mehr Weitsicht<br />

handelt, um den Proz<strong>es</strong>s d<strong>es</strong> Energieumbaus<br />

zu steuern. Die Energiewende ist<br />

ein schwierig<strong>es</strong> Vorhaben. Aber die Antwort<br />

auf die Grundfrage: Ökostrom – ja<br />

oder nein? ist im Grunde unglaublich einfach.<br />

Drei Fakten reichen aus, um den Kern<br />

der Zusammenhänge zu verstehen.<br />

Erstens: Fossile R<strong>es</strong>sourcen wie Öl, Gas<br />

und Kohle sind endlich. Sie werden knapper,<br />

und irgendwann wird der weltweit<br />

steigende Energiebedarf durch sie nicht<br />

mehr zu decken sein. Große Länder wie<br />

Indien und China, in denen erst allmählich<br />

eine vollständige Industrialisierung stattfindet,<br />

werden ihren Energieverbrauch in<br />

den nächsten Jahrzehnten noch gewaltig<br />

steigern.<br />

Zweitens: Das Verbrennen fossiler R<strong>es</strong>sourcen<br />

verursacht Treibhausgase, die das<br />

Klima gefährden. Trotz alarmierender Warnungen<br />

steigen jedoch auch die weltweit<br />

produzierten Treibhausgase immer noch an.<br />

Drittens: Erneuerbare Energien versprechen<br />

akzeptable Lösungen für beide<br />

Probleme. Sie sind unendlich – Sonne und<br />

Wind gibt <strong>es</strong> immer –, und sie verursachen<br />

weit<strong>es</strong>tgehend keine Treibhausgase.<br />

„Energiewende“ und „Energiepolitik“<br />

sind nicht <strong>dass</strong>elbe. Das eine ist die grundsätzliche<br />

Entscheidung unserer Politik, die<br />

Stromproduktion der Zukunft auf erneuerbare<br />

Energien umzustellen. Das andere<br />

ist die Umsetzung und G<strong>es</strong>taltung di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />

Proz<strong>es</strong>s<strong>es</strong>. Die Energiepolitik kann man<br />

kritisieren, die Energiewende müssen wir<br />

schaffen.<br />

<strong>Claudia</strong> <strong>Kemfert</strong>s Beitrag<br />

für Cicero ist die Essenz ihr<strong>es</strong><br />

Buch<strong>es</strong> „Kampf um Strom.<br />

Mythen, Macht und Monopole“,<br />

das am 29. Januar im<br />

Murmann-Verlag erscheint<br />

illustrAtion: JAn rieckhoFF

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!