Textbausteine
Textbausteine
Textbausteine
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
KEIN MENSCH IST PERFEKT<br />
Behinderte Menschen: Menschen wie Du und ich<br />
Caritas-Kampagne 2011<br />
<strong>Textbausteine</strong><br />
Gebet eines behinderten Menschen<br />
Vater im Himmel! Ich bin gelähmt,<br />
du gabst mir statt der Füße keine Flügel.<br />
Du willst, dass ich mit meinem Rollstuhl<br />
auf dem Boden bleibe.<br />
Auf diesem Weg mit all seinen Hindernissen.<br />
Es gibt steile Strecken, und ich meine,<br />
sie nicht mehr bewältigen zu können.<br />
Meistens geht es aber dann doch.<br />
Es gibt keine bequemen Ausweichmöglichkeiten<br />
für mich. In einsichtigen Momenten weiß ich,<br />
dass dies ein Vorzug meines Lebens ist.<br />
Oft bedrückt es mich,<br />
dass ich so viel fordern muss,<br />
um leben zu können.<br />
Verständnis, Kraft, Geduld<br />
und Freizeit meiner Mitmenschen<br />
werden ständig von mir beansprucht.<br />
Einmal nur unabhängig und auf<br />
niemanden angewiesen sein!<br />
Wenn ich es mir vorstelle,<br />
merke ich erst, wie arm<br />
mein Leben dann wäre.<br />
Ich bitte dich nicht um ein anderes<br />
oder gar besseres Leben,<br />
sondern um die Kraft für mein Leben.<br />
Amen!<br />
(Autor unbekannt)<br />
Alle gleich und doch ganz verschieden,<br />
wie schwierig das manchmal zu verstehen ist,<br />
dass der Nachbarhalm unter der gleichen Sonne<br />
und demselben Wind ganz anders herangewachsen ist,<br />
größer oder kleiner ist,<br />
sich weniger oder mehr im Winde wiegt.<br />
(Autor unbekannt)<br />
Wir haben eine Gesellschaft, in der ein jeder Angst hat vor dem Anderen,<br />
nicht vor dem anderen Menschen,<br />
sondern davor,<br />
dass der andere Mensch anders ist.<br />
(Peter Fonda)<br />
1
Auf der Schaukel sitzt ein Kind<br />
Auf der Schaukel sitzt ein Kind.<br />
Es kann nicht gehen, es kann nicht stehen.<br />
Es ist lahm und blind.<br />
Es sitzt zum ersten Mal auf der Schaukel.<br />
Aber es hat doch gar nichts davon,<br />
sagen die Leute,<br />
das arme Kind ist lahm und blind!<br />
Warum soll es nicht trotzdem schaukeln,<br />
fragt die Schwester.<br />
Und das Kind schaukelt und lacht<br />
und ruft ganz aufgeregt:<br />
Ich spüre den Wind!<br />
Ich spüre den Wind!<br />
(Do Solis-Rangel)<br />
Fragen<br />
Was erkennen wir nicht alles auf einem Foto?<br />
Den blauen Himmel, die weißen Wolken,<br />
die gelbe Sonne, den grünen Rasen,<br />
einen roten Ball, einen schwarzen Hund,<br />
einen violetten Schirm, einen braunen Hut,<br />
Oma, Opa, Mama, Papa, Geschwister.<br />
Wie sähe das alles aus, wenn wir nicht sehen könnten?<br />
Wir sitzen vor dem Fernseher,<br />
das Radio in der Küche ist an,<br />
auf der Straße fährt ein Auto vorbei,<br />
es klingelt an der Wohnungstür,<br />
ein Freund will mit uns sprechen.<br />
Wie hörte sich alles an, wenn wir nicht hören könnten?<br />
(Frank Tollkühn)<br />
Es ist normal verschieden zu sein<br />
Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird,<br />
braucht hinterher auch nicht eingegliedert zu werden<br />
(Richard von Weizsäcker)<br />
2
Prädikat<br />
Für euch gibt es<br />
etliche Besonderheiten<br />
Sonderheime<br />
Sonderschulen<br />
Sonderbusse<br />
sehr sonderbar<br />
Sonderbehandlung<br />
besonderes Mitleid<br />
abgesondert<br />
immer etwas besonderes<br />
besonders wertvoll<br />
besonders<br />
(Carsten de la Porte)<br />
LaPorte, Carsten: Prädikat. In: Schmitt, Martin; LaPorte, Carsten; Kampe, Roland: Schattensprünge.<br />
Gedichte über Behinderte. Hrsg.: Eine Stadt bringt was ins Rollen e.V.. Orig.-Ausg., 2.Auflage.<br />
Karlsruhe: De la Porte, 1998. S. 20<br />
Meine Behinderung<br />
hindert mich:<br />
die Gehsteige sind zu hoch<br />
Treppen sind unüberwindbar<br />
meine Füße gehorchen mir nicht<br />
meine Zunge ist stumm geblieben<br />
aber<br />
mein Rollstuhl<br />
ist doch keine Mauer<br />
da sind doch schon Steine genug<br />
in meinem Weg<br />
so komm<br />
Sich öffnen<br />
öffne deine Tür für mich<br />
versteck dich nicht<br />
nimm mich an der Hand<br />
geh nicht vorbei<br />
sprich mit mir<br />
nicht über mich<br />
mein Kopf bleibt dir verschlossen<br />
aber<br />
mein<br />
Herz<br />
(Martin Schmitt)<br />
Schmitt, Martin: Aufforderung. In: Schmitt, Martin; LaPorte, Carsten; Kampe, Roland:<br />
Schattensprünge. Gedichte über Behinderte; a.a.O., S. 103<br />
3
„Ich hätte vielleicht jetzt ein sehr langweiliges Leben, wenn ich nicht behindert wäre.<br />
Vielleicht wäre ich Lehrerin geworden oder hätte einen Typen geheiratet und eine<br />
langweilige Familie. Die Chance wäre klein, dass ich jetzt von Ihnen interviewt würde. Die<br />
Behinderung hat mein Leben sehr spannend gemacht, und ich denke, die Behinderung hat<br />
mich auch dazu gebracht, Sachen zu überdenken, die ich sonst nicht überdenken würde,<br />
weil ich gar keine Veranlassung dazu hätte. Aber das ist auch ein Vielleicht. Vielleicht wäre<br />
ich auch eine ganz tolle Professorin geworden, wer weiß? Ich lebe nun einmal mit diesem<br />
Körper und ich bin mit diesem Körper sehr zufrieden, auch wenn er immer schwächer wird.“<br />
(Ursula Eggli)<br />
Lied<br />
Du bist schön<br />
nicht schöner<br />
du bist anders schön.<br />
Du bist lieb<br />
nicht lieber<br />
du bist anders<br />
lieb<br />
Du bist sanft<br />
nicht sanfter<br />
du bist anders<br />
sanft<br />
Du bist weise<br />
nicht weiser<br />
du bist anders<br />
schön<br />
lieb<br />
sanft<br />
weißt<br />
du<br />
Ich<br />
lieb dich<br />
du, ich lieb dich<br />
du, ich lieb dich<br />
anders<br />
du, ich lieb dich<br />
du, ich lieb dich<br />
du, ich lieb dich<br />
anders<br />
Du bist nett<br />
nicht netter<br />
du bist anders<br />
nett<br />
Du bist gut<br />
nicht besser<br />
4
du bist anders<br />
gut<br />
Du bist ein Freund<br />
nicht treuer<br />
du bist anders<br />
Freund<br />
Du bist dick<br />
nicht dicker<br />
du bist anders<br />
dünn<br />
gut<br />
Freund<br />
dick<br />
du<br />
Ich<br />
lieb dich<br />
du, ich lieb dich<br />
du, ich lieb dich<br />
anders<br />
(Hermann van Veen)<br />
Inklusion beim Apostel Paulus<br />
Der Apostel Paulus zeigt uns im Philipperbrief konkret auf, wie ein Gemeindeverständnis<br />
inklusive Züge aufweisen kann. Es gibt kein hierarchisches Denken (von oben nach unten),<br />
wie er es auch an anderen Stellen betont, sondern ein Geben und Nehmen. Das beruht aber<br />
auf Gegenseitigkeit. Dabei ist entscheidend, dass sich Paulus mit den Philippern sehr<br />
verbunden fühlt, ja, dass sie offenbar auf einer Wellenlänge waren. Es war in diesem<br />
Miteinander aufeinander Verlass. Jeder wird mit seinen Möglichkeiten ernst genommen und<br />
gehört ganz zu der Gemeinschaft. Dieses ganzheitliche Gemeindeverständnis, das neben<br />
dem Geben und Nehmen auch die Verbundenheit im Gebet beinhaltet, ist aus heutiger Sicht<br />
inklusiv zu nennen. Es ist auch gut auf eine Gemeinschaft zu beziehen, die Menschen mit<br />
und ohne Behinderung im oben genannten Sinne ernst nimmt. Auch an anderen Stellen<br />
weist Paulus darauf hin, dass jeder Einzelne dazugehört und jeder mit seinen Gaben an der<br />
Gemeinschaft teilhat (z.B. im 1 Kor 12). Im Dankesschlusswort des Paulus an die Philipper<br />
wird inklusives Denken in die Wirklichkeit umgesetzt: „Nicht dass ich erstrebe das Geschenk,<br />
sondern ich erstrebe die Frucht, die sich mehrende auf eurem Konto“ (Phil 4, 17). „Frucht<br />
heißt für Paulus: das Gegenseitigkeitsverhältnis wird verwirklicht, nicht nur beschworen. Aber<br />
die Frucht kommt – und das ist das Entscheidende für Paulus – aus Gott selbst. Wer<br />
erfahren hat, dass Gott die Stütze seines Lebens ist, der wird Frucht bringen aus ihm.“<br />
(Andreas Heek). Der braucht auch nicht „danke“ zu sagen oder zu erwarten, denn<br />
gegenseitiges Helfen in hilfloser Lage wird dann selbstverständlich.<br />
Und heute? Die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass alle Menschen die Möglichkeit<br />
zur Teilhabe haben ist das, was den Auftrag der Kirche ausmacht. Eine Inklusion in der<br />
Kirchengemeinde bedeutet, einen großen Umdenkungsprozess einzuleiten. Es gilt<br />
Anhaltspunkte zu finden, bei denen angeknüpft werden kann, um das Vorhaben möglich<br />
machen zu können.<br />
5
Menschen als gleichwertige Partner akzeptieren und deren gegenseitige Beziehungen durch<br />
einen Dialog ‚auf gleicher Augenhöhe’ gestalten, könnte als Überschrift unter einer inklusiven<br />
Gemeinde stehen. Dabei gilt es nicht nur Barrieren baulicher Art abzubauen.<br />
(Diakon Thomas Schmidt)<br />
Ohne zu sprechen habe ich die Sprache gelernt,<br />
ohne zu laufen gehe ich durch die Literatur,<br />
ohne zu singen nehme ich Melodien in mich auf und verwandle sie zu Texten.<br />
(Veronika Raila)<br />
Dich<br />
dich sein lassen<br />
ganz dich<br />
Sehen<br />
dass du nur du bist<br />
wenn du alles bist<br />
was du bist<br />
das Zarte<br />
und das Wilde<br />
das was sich anschmiegen<br />
und das was sich losreißen will<br />
Wer nur die Hälfte liebt<br />
der liebt dich nicht halb<br />
sondern gar nicht<br />
der will dich zurechtschneiden<br />
amputieren<br />
verstümmeln<br />
Dich dich sein lassen<br />
ob das schwer oder leicht ist?<br />
Es kommt nicht darauf an mit wie viel<br />
Vorbedacht und Verstand<br />
sondern mit wie viel Liebe und<br />
mit wie viel<br />
offener Sehnsucht nach allem<br />
nach allem<br />
was du bist<br />
Nach der Wärme<br />
und nach der Kälte<br />
nach der Güte<br />
und nach dem Starrsinn<br />
nach deinem Willen<br />
und Unwillen<br />
nach jeder deiner Gebärden<br />
nach deiner Ungebärdigkeit<br />
Unstetigkeit<br />
Stetigkeit<br />
6
Dann<br />
ist dieses<br />
dich dich sein lassen<br />
vielleicht<br />
gar nicht so schwer<br />
(Erich Fried)<br />
Gebet eines behinderten Menschen<br />
Herr, in diesen Tagen spüre ich die ganze Begrenzung meiner Bewegungsfähigkeit, meines<br />
Handelns und meines Gehens. Ich fühle mich in jeder Beziehung eingeengt, und es kostet<br />
mich Überwindung, sie zu ertragen. Vor allem macht es mir sehr zu schaffen, dass ich auf<br />
Hilfe anderer angewiesen bin. Herr, Du kennst diese Schwierigkeit.<br />
Ich bitte Dich, gib mir die Kraft, damit fertig zu werden, und auch wieder so viel<br />
Bewegungsspielraum, dass ich diese Einengung nicht ganz so stark empfinde.<br />
Lass mich diese auch als Herausforderung sehen und annehmen. Versage mir die Hilfe<br />
nicht, die ich hierzu benötige. Schenke mir Mut und Zuversicht, Hoffnung und Vertrauen,<br />
dass Du mir nahe bist und mir beistehst.<br />
Herr, Du kennst alle meine Gedanken, Empfindungen und Regungen. Du kennst auch mein<br />
ganzes Unvermögen, das gelassen und geduldig zu ertragen, was Du mir auferlegt hast.<br />
Herr, ich denke, es ist genug, was Du mir bisher aufgeladen hast. Ich fühle mich in den<br />
letzten Jahren einfach überfordert, weil ich eine weitere Begrenzung meiner<br />
Bewegungsfähigkeit nicht mehr ertragen kann.<br />
Daher schreie ich erneut wie einst Hiob zu Dir: Herr, erbarme Dich meiner und mache mich<br />
frei. Hole mich heraus aus der Enge meines Lebens. Wie oft habe ich Dich schon gebeten,<br />
mich zu Dir zu nehmen, damit ich frei werde von aller Belastung, von allen Schmerzen, die<br />
mich quälen. Wie oft habe ich in diesen Tagen und Nächten zu Dir aufgeschrien, Du mögest<br />
mit mir Erbarmen haben. Aber Du hast mich nicht erhört.<br />
Ich weiß, dass ich mich nicht aus der Verantwortung für meine Familie stehlen kann, und ich<br />
will dies letztlich auch nicht. Darum bitte ich Dich auch weiter: Herr, löse meine inneren und<br />
äußeren Verkrampfungen, die mich peinigen und mich nicht zur Ruhe kommen lassen.<br />
Kräftige meine Beine, damit sie fester am Boden haften und wieder sicherere Schritte tun.<br />
Sei an meiner Seite und halte mich mit Deiner Hand. Lass mich wieder dankbar sein für<br />
jeden Schritt, der fester ist und mich freier macht. Schenke mir bei allem Tun größere<br />
Gelassenheit und innere Sicherheit in dem Bewusstsein, dass Du mir nahe bist.<br />
Amen.<br />
© Heinz Pangels, aus: Zwei Seiten hat der Himmel, Gütersloh 1997<br />
Seligpreisungen<br />
Selig sind die,<br />
die mich von Geburt an angenommen haben, wie Gott,<br />
der Schöpfer, mich geschaffen hat.<br />
7
Selig sind die,<br />
die mir Zuneigung und Zärtlichkeit schenkten,<br />
die mir Liebe und Geborgenheit vermittelten.<br />
Selig sind die,<br />
die auch dann JA zu mir sagten. wenn andere ganz erhebliche Bedenken hatten und ich von<br />
Amts wegen als "geistig minder-bemittelt" gehandelt wurde.<br />
Selig sind die,<br />
die mir ihre Hände entgegenstreckten und mir Halt gaben,<br />
wenn ich auf wackligen Füßen stand.<br />
Selig sind die,<br />
die meine Bewegungseinschränkungen sahen,<br />
mir halfen. diese soweit wie möglich auszugleichen.<br />
Selig sind die,<br />
die mir Mut machten. selbst ein JA zum Leben zu sagen.<br />
die mich. wo immer sie konnten, mit Geduld unterstützten.<br />
mich in meinem Vorwärtsdrängen stärkten.<br />
Selig sind die,<br />
die sich Mühe gaben. mich zu verstehen,<br />
wenn einmal meine Spastik mir die Sprache hemmte.<br />
Selig sind die,<br />
die sich mit mir freuten oder mit mir traurig waren.,<br />
wenn ich Freude empfand oder mir zum Weinen zumute war,<br />
die mit mir lachten und fröhlich waren.<br />
Selig sind die,<br />
die mich trösteten. wenn ich einmal Kummer hatte,<br />
die für mich da waren, wenn ich ihrer Hilfe bedurfte.<br />
Selig sind die,<br />
die mir durch ihren Beistand Sicherheit und Zuversicht gaben,<br />
die durch ihr Vertrauen zu mir mein Selbstvertrauen stärkten.<br />
Selig sind die,<br />
die mir einen Weg zeigten und mich streckenweise begleiteten,<br />
die mich medizinisch betreuten und mich mit Geduld pflegten.<br />
Selig sind die,<br />
die meine Begabungen und Fähigkeiten erkannten,<br />
die mich beruflich berieten und gefördert haben.<br />
Selig sind die,<br />
die mir einfach etwas zutrauten und mir vertrauten,<br />
die sich Zeit für mich nahmen, mich nicht im Stich ließen,<br />
wenn ich sie einmal brauchte.<br />
Selig sind die,<br />
die mir mit Geduld und Ausdauer beistanden,<br />
mich immer wieder zäh herausgefordert haben.<br />
8
Selig sind die,<br />
die mich mit allen meinen Fehlern und Schwächen angenommen<br />
und ertragen haben. die mit mir und an mir gelitten haben,<br />
die mich aber nie aufgaben.<br />
Selig die Frau,<br />
die mich so genommen, wie ich nun einmal war, die mir Verständnis entgegenbrachte und<br />
Aufmerksamkeit schenkte, die mir vertraute und auf mich baute, ein gemeinsames Leben mit<br />
mir führen zu können, die sich auch traute, Kinder von mir zu empfangen und zu gebären;<br />
die mir Geborgenheit und Sicherheit vermittelte, damit ich mich beruflich und privat entfalten<br />
konnte, die mir in guten und schweren Zeiten zur Seite stand, die alle Mühsal auf sich nahm,<br />
um mich vor falschen Anwürfen zu schützen, die auch heute noch nach über dreißig Jahren<br />
an meiner Seite steht und über mein Wohl und Wehe wacht.<br />
Selig die Eltern,<br />
die ihr behindertes Kind mit Liebe umsorgten. es groß zogen und<br />
ihm verhalfen, ein eigenständiges, sinnerfülltes Leben zu führen,<br />
die an ihr Kind glaubten und ihre ganze Kraft dafür einsetzten.<br />
Selig die Frauen und Männer,<br />
die einen jeden von uns aufgenommen, angenommen und<br />
ernst genommen haben, die mit Freude und Enthusiasmus<br />
uns zur Seite standen und mit uns kämpften, ein menschen-<br />
würdiges, mit Freude erfülltes Leben zu führen.<br />
Sie alle werden im Himmel Freude und Freunde haben und<br />
bei Gott Wohlgefallen finden.<br />
© Heinz Pangels, 1998 Erstveröffentlichung im „Anzeiger für die Seelsorge““ Nr. 05/1998, S. 254<br />
HERR,<br />
schenke uns<br />
offene Augen,<br />
dass wir den Nächsten sehen;<br />
offene Ohren zu hören,<br />
wo uns der Nachbar braucht;<br />
offene Hände, die weitergeben,<br />
was wir empfangen haben;<br />
starke Arme, die zupacken können,<br />
wo man uns braucht;<br />
feste Füße, die uns befähigen,<br />
weite Wege zu gehen;<br />
ein offenes Herz,<br />
das mitempfindet;<br />
Liebe,<br />
die sich ohne Gegenliebe verschenkt;<br />
Hoffnung,<br />
die Zuversicht auslöst;<br />
Glauben,<br />
der alles überwindet;<br />
Deinen Geist,<br />
der uns frei macht!<br />
© Heinz Pangels, in „Vertrauter Umgang“, S.33<br />
9
Zwei Ichs<br />
Immer wieder<br />
kommt es mir vor,<br />
als ob ich zwei Ichs hätte.<br />
Ein Ich,<br />
das das Gute will<br />
und ein Ich,<br />
das das Böse tut.<br />
Ein Ich,<br />
das für andere da sein möchte,<br />
und ein Ich,<br />
das nur an sich denkt.<br />
Ein Ich,<br />
das sagt:<br />
Du bist in Ordnung,<br />
und ein Ich,<br />
das sagt:<br />
Du bist unmöglich.<br />
Ein Ich,<br />
das an dich glauben möchte,<br />
Gott,<br />
und ein Ich,<br />
das mir den Weg zu Dir versperrt.<br />
(Petrus Ceelen)<br />
Die „Arche“ glaubt, das „Menschen mit einer geistigen Behinderung die Fähigkeit des<br />
Offenseins, des Staunenkönnens, der Spontaneität und Unkompliziertheit besitzen, und dass<br />
sie lebendige Erinnerung für eine reichere Welt der wesentlicheren Werte des Herzens sind.<br />
(aus der Satzung der „Arche“)<br />
Es geht darum, die Schwächsten und verwundbarsten Menschen in den Mittelpunkt zu<br />
stellen und ihre einzigartigen Gaben zu entdecken.<br />
(Henri Nouwen, Adam und ich, Eine ungewöhnliche Freundschaft, Freiburg 1998, S.47)<br />
Sind wir gut aufgrund dessen, was wir tun oder haben, oder aufgrund dessen, was wir sind?<br />
Bin ich jemand, weil die Welt mich zu jemandem gemacht hat, oder bin ich jemand, weil ich<br />
Gott gehöre, lange bevor ich der Welt gehörte?<br />
(Henri Nouwen, Adam und ich, Eine ungewöhnliche Freundschaft, Freiburg 1998, S.79)<br />
10
Gott hat immer mit solchen Menschen Geschichte geschrieben!<br />
ABRAHAM war zu alt ...<br />
JAKOB war ein Lügner ...<br />
LEA war hässlich ...<br />
JOSEF war ganz schön stolz ...<br />
MOSE stotterte ...<br />
JOSUA hatte Angst ...<br />
SIMSON hatte lange Haare und war ein Frauenheld ...<br />
RAHAB war eine Hure ...<br />
JEREMIA und TIMOTHEUS waren zu jung ...<br />
DAVID hatte eine Affäre und war ein Mörder...<br />
ELIA war selbstmordgefährdet ...<br />
JONA lief vor Gott weg ...<br />
PETRUS verleugnete Christus ...<br />
Die JÜNGER schliefen beim Beten ein ...<br />
MARTHA machte sich immer Sorgen ...<br />
Die SAMARITISCHE FRAU war geschieden ... mehr als einmal ...<br />
ZACHÄUS war zu klein ...<br />
PAULUS war zu gesetzlich und völlig contra ...<br />
Und LAZARUS war tot!!!<br />
Sie waren keineswegs perfekt.<br />
Doch mit solchen Menschen hat Gott Geschichte geschrieben.<br />
Und nun möchte er auch mit Dir Geschichte schreiben, und mit Gott an Deiner Seite:<br />
Da geht was!<br />
(Verfasser unbekannt)<br />
Wer an Gott glaubt, braucht nicht Gott zu sein und Gott zu spielen. Er muss nicht der<br />
Gesündeste, der Stärkste, der Schönste, der Erfolgreichste sein. Er ist nicht gezwungen,<br />
völliger Souverän seines eigenen Lebens zu sein.<br />
(Fulbert Steffensky)<br />
Loslassen<br />
die verkrampften hände loslassen<br />
raum geben für Dich<br />
ein bild ohne rahmen<br />
damit du wachsen kannst<br />
kein geträumtes glück<br />
sondern Du<br />
wirklich werden<br />
meine ängste loslassen<br />
mich selber loslassen<br />
und fallen<br />
in deine arme<br />
(Andreas Knapp, Werdet vorübergehende, Hockenheim 2001, S. 15)<br />
11
Gratuité<br />
Oft<br />
musste ich<br />
kämpfen<br />
völlig<br />
umsonst<br />
immer aber<br />
darf ich<br />
leben<br />
vollkommen<br />
umsonst<br />
(Andreas Knapp, Werdet vorübergehende, Hockenheim 2001, S-20)<br />
Psalm 8<br />
Herr, unser Herrscher,<br />
wie herrlich ist dein Name in allen Landen,<br />
der du zeigst deine Hoheit am Himmel!<br />
Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge<br />
hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen,<br />
dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen.<br />
Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk,<br />
den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:<br />
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,<br />
und des Menschen Kind,<br />
dass du dich seiner annimmst?<br />
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,<br />
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.<br />
Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,<br />
alles hast du unter seine Füße getan:<br />
Schafe und Rinder allzumal,<br />
dazu auch die wilden Tiere,<br />
die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer<br />
und alles, was die Meere durchzieht.<br />
Herr, unser Herrscher,<br />
wie herrlich ist dein Name in allen Landen.<br />
12
Hör dir das an<br />
Hör dir das an, Gott, ich will heute<br />
mit dem Auto unterwegs sein, morgen<br />
schließ ich den Kaufvertrag ab, das<br />
neue Haus wird in zehn Monaten<br />
stehn, dann ziehen wir ein, machen das<br />
dritte Kind, schicken das erste zur<br />
Schule, das Geschäft wird vergrößert, den<br />
Kompagnon schmeiße ich raus, kaufe das<br />
restliche Aktienpaket, übernehme den<br />
Vorsitz in der Waschmittelgesellschaft,<br />
wechsle die Freundin, der Bungalow im<br />
Tessin ist fällig, die Gören springen<br />
mir von der Tasche, die Frau hat eine<br />
Operation, ich bin Generaldirektor,<br />
vielleicht Prostata, gut, wird repariert,<br />
man ist sechzig, Konzern gesund, rapide<br />
wächst das Grundkapital, glänzende<br />
Aussichten für die nächsten zehn Jahre,<br />
was sag ich, für zwanzig – hör dir das an,<br />
Gott, und komme mir nicht dazwischen.<br />
(Rudolf Otto Wiemer in: Carsten Peter Thiede (Hrsg.): Wie Segel über dem Meer. Christliche Lyrik des 20. Jahrhunderts.<br />
R. Brockhaus Taschenbuch 402. Wuppertal (R. Brockhaus) 1986. S.131)<br />
geburt<br />
ich wurde nicht gefragt<br />
bei meiner zeugung<br />
und die mich zeugten<br />
wurden auch nicht gefragt<br />
bei ihrer zeugung<br />
niemand wurde gefragt<br />
außer dem Einen<br />
und er sagte<br />
ja<br />
ich wurde nicht gefragt<br />
bei meiner geburt<br />
und die mich gebar<br />
wurde auch nicht gefragt<br />
bei ihrer geburt<br />
niemand wurde gefragt<br />
außer dem Einen<br />
und der sagte<br />
ja<br />
(Kurt Marti in: Carsten Peter Thiede (Hrsg.): Wie Segel über dem Meer. Christliche Lyrik des 20. Jahrhunderts. R. Brockhaus<br />
Taschenbuch 402. Wuppertal (R. Brockhaus) 1986. S. 93)<br />
13
Begegnungen<br />
„Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?“<br />
Matthäus 16,26<br />
Ich traf einen jungen Mann,<br />
kerngesund, modisch gekleidet, Sportwagen,<br />
und fragte beiläufig, wie er sich fühle:<br />
Was ’ne Frage, sagte er, beschissen!<br />
Ich fragte, ein wenig verlegen,<br />
eine schwerbehinderte ältere Frau<br />
in ihrem Rollstuhl, wie es ihr gehe:<br />
Gut, sagte sie, es geht mir gut.<br />
Da sieht man wieder, dachte ich<br />
bei mir, immer hat man<br />
mit den falschen Leuten Mitleid.<br />
(Lothar Zenetti in: Carsten Peter Thiede (Hrsg.): Wie Segel über dem Meer. Christliche Lyrik des 20. Jahrhunderts. R.<br />
Brockhaus Taschenbuch 402. Wuppertal (R. Brockhaus) 1986. S. 139 )<br />
14