(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag
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Jahren auf. Es schloss die Akte am 30. Juni 1967 mit <strong>der</strong> lapidaren Feststellung: „Keine Perspektive<br />
für Werbung. Person reist nicht ein.“ 1205<br />
Der SPD-Politiker Dieter Schanz, <strong>Bundestag</strong>sabgeordneter von 1983 bis 1998, geriet 1984 aus<br />
einem völlig unpolitischen Grund in den Aktenvorgang des im Bezirk Leipzig lebenden IM<br />
„Manfred Siakou“. Schanz reiste immer wie<strong>der</strong> in die <strong>DDR</strong>, vor allem um seine Verwandten im<br />
Bezirk Frankfurt/O. zu besuchen. Das <strong>MfS</strong> zeichnete, wahrscheinlich während einer seiner Einreisen,<br />
seine Personendaten und die Details seines Personalausweises auf und fertigte damit im<br />
Jahr 1984 für den <strong>DDR</strong>-IM „Manfred Siakou“ ein sogenanntes Doppelgängerdokument an. Dabei<br />
handelte es sich um einen in <strong>der</strong> <strong>MfS</strong>-eigenen Fälscherwerkstatt hergestellten bundesdeutschen<br />
Personalausweis, <strong>der</strong> auf den Namen und die Personendaten von Schanz ausgestellt war, aber das<br />
Foto des <strong>DDR</strong>-IM „Manfred Siakou“ enthielt. „Manfred Siakou“ sollte unter dieser Identität Kurierreisen<br />
in die Bundesrepublik unternehmen. Schanz bekam davon nichts mit. 1206 In einem<br />
Gespräch mit Dieter Schanz im September 2012 bestätigte „Manfred Siakou“, dass er mit dem<br />
gefälschten Personalausweis unter dem Namen Dieter Schanz in <strong>der</strong> Bundesrepublik unterwegs<br />
war. 1207 Die zuständige <strong>MfS</strong>-Bezirksverwaltung Leipzig, Abteilung XV, entschied jedoch spätestens<br />
1988, den gefälschten Personalsausweis nicht mehr einzusetzen. Offenbar schreckte man<br />
davor zurück, da Schanz <strong>Bundestag</strong>sabgeordneter war. 1208 Außerdem entwarf <strong>der</strong> zuständige<br />
<strong>MfS</strong>-Mitarbeiter in Leipzig im Oktober 1988 den Plan, einen IM an Schanz heranzuführen, sodass<br />
die gleichzeitige Nutzung seiner Daten durch einen Doppelgänger nicht mehr opportun erschien.<br />
Das <strong>MfS</strong> zielte perspektivisch darauf ab, Schanz beständig abschöpfen o<strong>der</strong> gar anwerben zu<br />
können. Doch die Aussichten schätzten die verantwortlichen <strong>MfS</strong>-Mitarbeiter in Leipzig von<br />
vornherein als ungünstig ein, denn sie verfügten über keinen geeigneten IM. So blieb Schanz<br />
unbehelligt. 1209<br />
Erfolgreich war die HV A bei dem SPD-Politiker Gerhard Flämig, <strong>der</strong> dem <strong>Bundestag</strong> von 1963<br />
bis 1980 angehörte. Flämig, <strong>der</strong> aus Sachsen stammte, war nach Erkenntnissen <strong>der</strong> Bundesanwaltschaft<br />
1966 anlässlich eines Verwandtenbesuches in <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> (in Sachsen) von einem <strong>MfS</strong>-<br />
1205 Ebenda, Bl. 69.<br />
1206 Der Sachverhalt ist ausführlich dokumentiert in <strong>der</strong> Akte BStU, <strong>MfS</strong>, BV Leipzig, AP 1022/91 beigebraune<br />
Mappe, Bl. 1–19 u. 22–25. Schanz ist zu dem IM-Vorgang „Manfred Siakou“ erkennbar nur<br />
nachträglich hinzuregistriert; die ihn betreffende Karteikarte trägt neben <strong>der</strong> Reg.-Nr. XIII/895/77<br />
auch den Stempel „Dokument“ und die Reg.-Nr. XV/360/76 (Objektvorgang „Register“; in diesem Vorgang<br />
führte die HV A Personendaten von Bundesbürgern und an<strong>der</strong>en Westbürgern zusammen, die<br />
diese bei <strong>der</strong> Einreise in die <strong>DDR</strong> zwangsläufig abgeben mussten. Diese Personendaten konnten von<br />
<strong>der</strong> HV A zur Grundlage für Doppelidentitäten benutzt werden. Vgl. u. a. BStU, <strong>MfS</strong>, Abt. XII, 3185,<br />
Bl. 167 ff.); diese Auftragungen verwiesen darauf, dass die Personendaten von Schanz für ein gefälschtes<br />
Personaldokument verwendet wurden. Bedenkenswert ist allerdings, dass Bundesbürger bei Einreisen<br />
in die <strong>DDR</strong> ihren Pass, nicht ihren Personalausweis vorlegen mussten. Es lässt sich deshalb nicht sicher<br />
feststellen, bei welcher Gelegenheit o<strong>der</strong> auf welchem Wege es dem <strong>MfS</strong> gelang, Schanz’ Personalausweis<br />
abzulichten. IM „Manfred Siakou“ reiste seit Anfang <strong>der</strong> 1980er Jahre als Kurier/Instrukteur<br />
<strong>der</strong> Abt. XV <strong>der</strong> BV Leipzig häufig in die Bundesrepublik, seine achtbändige Akte liegt vor unter: BStU,<br />
<strong>MfS</strong>, BV Leipzig, AIM 1773/91. Zu IM „Siakou“ vgl. auch den Jahresbericht 1983 und die Jahresplanung<br />
1984 <strong>der</strong> Abt. XV <strong>der</strong> <strong>MfS</strong>-Bezirksverwaltung Leipzig; BStU, <strong>MfS</strong>, BV Leipzig, Abt. 00090, Bl. 10 u. 38. Die<br />
„Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ berichtete am 10.2.2012 in ihrer Lokalausgabe Oberhausen über<br />
diesen Datenmissbrauch: „Ein Doppelgänger bei <strong>der</strong> Stasi. Ein Spion <strong>der</strong> Stasi benutzte die Identität<br />
von Ex-<strong>Bundestag</strong>smitglied und SPD-Chef in Oberhausen Dieter Schanz“; im Internet unter<br />
http://www.<strong>der</strong>westen.de/staedte/oberhausen/ein-doppelgaenger-bei-<strong>der</strong>-stasi-id6337736.html<br />
(Stand: 29.5.2012).<br />
1207 Über dieses Gespräch berichtete Dieter Schanz im Rahmen eines öffentlichen Zeitzeugengesprächs am<br />
25.9.2012 im Bildungszentrum des BStU in Berlin.<br />
1208 BStU, <strong>MfS</strong>, BV Leipzig, AP 1022/91, beige-braune Mappe, Bl. 13. Der gefälschte Personalausweis ist<br />
vorhanden in: ebenda, Bl. 14–19; er befindet sich in einem Umschlag, auf dem ein <strong>MfS</strong>-Mitarbeiter den<br />
undatierten Vermerk anbrachte „Schanz, Dieter [...] <strong>Bundestag</strong>sabgeordneter <strong>der</strong> SPD → Keine Benutzg.!“.<br />
1209 BStU, <strong>MfS</strong>, BV Leipzig, AP 1022/91, gelbe Mappe, Bl. 2–5 u. 172.<br />
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