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(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag

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Vor <strong>der</strong> <strong>Bundestag</strong>swahl 1969 sammelte das <strong>MfS</strong> Materialien über <strong>Bundestag</strong>skandidaten aller<br />

im Parlament vertretenen Parteien sowie von <strong>der</strong> NPD und übergab sie <strong>der</strong> „Nationalen Front“<br />

zur propagandistischen Verwertung. 1075 Die „Nationale Front“ stellte daraus eine Broschüre unter<br />

dem Titel „Neonazis und Monopolvertreter. Kandidaten für den 6. <strong>Bundestag</strong>“ zusammen<br />

und „porträtierte“ darin <strong>Bundestag</strong>skandidaten von CDU/CSU und NPD, vereinzelt auch <strong>der</strong><br />

FDP. Als „Nazis und Neonazis“ wurden unter an<strong>der</strong>em <strong>Bundestag</strong>spräsident Kai-Uwe von Hassel,<br />

<strong>der</strong> CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel, <strong>der</strong> außen- und verteidigungspolitische Experte<br />

<strong>der</strong> CDU Werner Marx und <strong>der</strong> langjährige Bundesminister Gerhard Schrö<strong>der</strong> diffamiert.<br />

1076<br />

Gehörte es in den sechziger Jahren zu den Routineaufgaben des <strong>MfS</strong>, die NS-Vergangenheit<br />

bundesdeutscher Politiker zu erforschen und gegebenenfalls propagandistisch zu verwerten,<br />

stellte sich in den siebziger Jahren allmählich das Problem ein, dass immer mehr <strong>Bundestag</strong>skandidaten<br />

zu jung waren, um vor 1945 in den nationalsozialistischen Macht- und Verwaltungsapparat<br />

verstrickt gewesen zu sein. Zur <strong>Bundestag</strong>swahl 1976 recherchierte das <strong>MfS</strong> daher auch<br />

verstärkt nach den Verwandten 1. Grades <strong>der</strong> <strong>Bundestag</strong>skandidaten, vor allem <strong>der</strong>en Eltern, um<br />

an belastende Informationen zu gelangen. 1077 Ende 1979/Anfang 1980 weitete das <strong>MfS</strong> vergleichbare<br />

Recherchen auf die deutschen Abgeordneten des Europaparlaments aus. 1078<br />

Doch auch noch 1987/88 stellte das <strong>MfS</strong> unter <strong>der</strong> Überschrift „Revanchisten-Nachwuchs.<br />

‚Vertriebene und Flüchtlinge’ <strong>der</strong> CDU/CSU im 11. Deutschen <strong>Bundestag</strong>/MdB“ eine Übersicht<br />

über 36 <strong>Bundestag</strong>sabgeordnete zusammen, die im Wesentlichen ein gemeinsames Merkmal<br />

aufwiesen: Sie waren zwischen 1914 und 1945 auf dem Gebiet <strong>der</strong> späteren <strong>DDR</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> ehemaligen<br />

deutschen Ostgebiete zur Welt gekommen. 1079 Die meisten von ihnen gelangten im Kindesalter<br />

mit ihren geflüchteten o<strong>der</strong> vertriebenen Familien in den Westen Deutschlands.<br />

Gleichwohl erachtete das <strong>MfS</strong> es für erfor<strong>der</strong>lich, sie unter diesem Aspekt im Blick zu behalten.<br />

Dass das <strong>MfS</strong> in den späten achtziger Jahren noch gezielte Maßnahmen gegen diese Gruppe ergriffen<br />

hätte, ist nicht ersichtlich. In <strong>der</strong> gegenwärtigen, 17. Wahlperiode, gehört noch ein einziger<br />

<strong>der</strong> 36 aufgelisteten Abgeordneten dem <strong>Bundestag</strong> an.<br />

3.4. Fritz Erler – ein NS-Gegner im Visier des <strong>MfS</strong><br />

Aus gegebenem Anlass vertiefte das <strong>MfS</strong> seine Recherchen zu einzelnen Abgeordneten. So war<br />

das <strong>MfS</strong> in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> sechziger Jahre in die Kampagnen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> gegen die Notstandsgesetzgebung<br />

in <strong>der</strong> Bundesrepublik eingebunden. Für den Chef-Agitator im SED-<br />

Politbüro, Albert Norden, stellte das <strong>MfS</strong> deshalb unter an<strong>der</strong>em Informationen über die NS-<br />

Vergangenheit von Mitglie<strong>der</strong>n des Innen- und des Rechtsausschusses des Deutschen Bundesta-<br />

1075 Entsprechende Materialsammlungen sowie Korrespondenz zwischen <strong>MfS</strong> und Nationaler Front unter<br />

an<strong>der</strong>em in: BStU, <strong>MfS</strong>, ZAIG, 11123–11124; ferner ebenda, HA IX, 3399. Die „Nationale Front des Demokratischen<br />

Deutschland“ (ab 1973: <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>) war ein Verbund <strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> vorhandenen Parteien<br />

und Massenorganisationen unter Führung <strong>der</strong> SED.<br />

1076 Nationalrat <strong>der</strong> Nationalen Front des demokratischen Deutschland (Hg.): Neonazis und Monopolvertreter.<br />

Kandidaten für den 6. <strong>Bundestag</strong>. Berlin [Ost], August 1969, S. 1 f., 10–12, 23 f. u. 32–35. Diese<br />

Broschüre war als „Arbeitsmaterial“ deklariert und nur als Manuskript gedruckt worden. Es müsste<br />

noch untersucht werden, in welchem Ausmaß sie im damaligen Wahlkampf eingesetzt wurde. Ein<br />

Exemplar befindet sich in: BStU, <strong>MfS</strong>, ZAIG 11131, Bl. 4–150.<br />

1077 BStU, <strong>MfS</strong>, HA IX/11, AV 17/76, Bd. 1, Bl. 1–10.<br />

1078 BStU, <strong>MfS</strong>, HA IX/11, AK 6106/79, Bl. 1–22. <strong>MfS</strong>-intern waren an <strong>der</strong> sogenannten Aktion „Schwarz II“<br />

(Mitglie<strong>der</strong> des Europäischen Parlaments) die Hauptabteilung IX/11 („Aufklärung von Nazi- und<br />

Kriegsverbrechen“) und die HVA-Abteilung X („Desinformation“, „aktive Maßnahmen“) beteiligt. Die<br />

Europaparlamentarier wurden bis 1979 von den nationalen Parlamenten, denen sie auch angehörten,<br />

entsandt. Im Juni 1979 fand die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament statt, was das gesteigerte<br />

Interesse des <strong>MfS</strong> an diesem Personenkreis ab diesem Zeitpunkt erklären kann.<br />

1079 BStU, <strong>MfS</strong>, HV A 1399, Bl. 1 f.<br />

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