10.10.2013 Aufrufe

(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag

(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag

(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1944 involviert war. 1053 Gegen den SPD-Spitzenpolitiker Herbert Wehner führten SED und <strong>MfS</strong><br />

vor allem seit 1964 bis in die frühen siebziger Jahre Kampagnen durch. Darin beschuldigten sie<br />

ihn zu Unrecht, er habe im schwedischen Exil faktisch mit <strong>der</strong> Gestapo kollaboriert und Namen<br />

von in Deutschland lebenden Wi<strong>der</strong>standskämpfern preisgegeben. Das Wissen um seine verhängnisvolle<br />

Rolle im Moskauer Exil hielt das <strong>MfS</strong> zurück, weil es sonst Wilhelm Pieck und Walter<br />

Ulbricht ebenfalls hätte belasten müssen. 1054<br />

Als Undurchführbar erwies sich <strong>der</strong> Versuch <strong>der</strong> HV A, Willy Brandt 1959/60 eine Gestapo-<br />

Mitarbeit anzudichten. Markus Wolf ließ für dieses Propagandavorhaben 1959 eigens den Leipziger<br />

Schriftsetzer Georg Angerer, einen Bekannten Brandts aus <strong>der</strong> Emigration, ins Gefängnis<br />

werfen, um ihm propagandistisch verwertbare Aussagen abzupressen. Doch Angerer konnte die<br />

erhofften Aussagen nicht liefern. Er verließ das Gefängnis nach einem halben Jahr seelisch zerrüttet.<br />

Somit schied er in je<strong>der</strong> Hinsicht als Statist für eine HVA-Kampagne aus. 1055<br />

Auch das „Braunbuch“ ist unter den aktiven Maßnahmen zu nennen, das unter <strong>der</strong> Leitung<br />

des SED-Propagandachefs und Politbüromitglieds Albert Norden erarbeitet wurde und von 1965<br />

bis 1968 in drei Auflagen erschien. Es präsentierte die NS-Vergangenheit von 2 300 Personen, die<br />

in <strong>der</strong> Bundesrepublik in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens hohe Funktionen<br />

innehatten. In <strong>der</strong> Auflage von 1968 befanden sich darunter 15 Abgeordnete, die in <strong>der</strong> Wahlperiode<br />

1965 bis 1969 dem <strong>Bundestag</strong> angehörten. Außerdem führte das „Braunbuch“ weitere<br />

19 NS-belastete Politiker an, die in früheren Wahlperioden dem <strong>Bundestag</strong> angehört hatten. 1056<br />

Das „Braunbuch“ stellt dem <strong>Bundestag</strong> somit ein ganz passables Zeugnis aus.<br />

Bei dieser Art von Maßnahmen trat die <strong>DDR</strong> durch Pressekonferenzen o<strong>der</strong> eigene Publikationen<br />

offen als Urheber in Erscheinung; lediglich die spezifische Rolle des <strong>MfS</strong> blieb verdeckt.<br />

In den sechziger Jahren geriet die Präsenz des <strong>Bundestag</strong>s und an<strong>der</strong>er Bundeseinrichtungen<br />

in Berlin ins Visier <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Die <strong>DDR</strong>-Behörden gingen mit offenen und verdeckten Maßnahmen<br />

dagegen vor. Ein Beispiel dafür ist die „Aktion ‚Karo’“: Im Vorfeld einer <strong>Bundestag</strong>s-<br />

Plenarsitzung in Westberlin Anfang April 1965 protestierten <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Ministerratsvorsitzende<br />

Willi Stoph und Außenminister Lothar Bolz in Schreiben an den Berliner Regierenden Bürgermeister<br />

Willy Brandt und Bundesaußenminister Gerhard Schrö<strong>der</strong> erfolglos gegen diese Absicht.<br />

Während <strong>der</strong> <strong>Bundestag</strong>ssitzung in Westberlin führten die Streitkräfte <strong>der</strong> Sowjetunion und <strong>der</strong><br />

<strong>DDR</strong> westlich von Berlin Truppenübungen durch und die Sowjetunion ließ Düsenjäger über Berlin<br />

fliegen, um ein Drohszenario aufzubauen. Dem <strong>MfS</strong> kam damals die Aufgabe zu, allen <strong>Bundestag</strong>sabgeordneten<br />

die Durchreise durch die <strong>DDR</strong> nach Westberlin konsequent zu verweigern<br />

und die vorübergehende Sperrung <strong>der</strong> Verkehrswege von und nach Westberlin zu sichern. Zu<br />

1053 Brakelmann, Günter: Der Kreisauer Kreis. Chronologie, Kurzbiographien und Texte aus dem Wi<strong>der</strong>stand.<br />

Münster 2003, S. 74–76.<br />

1054 Staadt: Die geheime Westpolitik, 1993, S. 100–110. Knabe, Hubertus: Die unterwan<strong>der</strong>te Republik, 1999,<br />

S. 153–181. Zur Kampagne gegen Wehner siehe auch in diesem Gutachten S. 205 f. Als weiteres Beispiel<br />

für eine „aktive Maßnahme“ sei auf die von <strong>der</strong> „Nationalen Front“ und dem <strong>MfS</strong> lancierten Veröffentlichungen<br />

zum damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller hingewiesen. Siehe hierzu in diesem Gutachten<br />

S. 211.<br />

1055 Siehe hierzu S. 208 f.<br />

1056 Braunbuch, 1968. Ein Reprint <strong>der</strong> 3. Aufl. erschien 2002. Aus diesem Anlass setzte sich Jochen Staadt in<br />

einer Rezension kritisch mit dem Braunbuch auseinan<strong>der</strong>. Das Braunbuch beruhe „auf einer nach den<br />

Regeln <strong>der</strong> Desinformation im Verhältnis 80 : 20 erstellten Mixtur aus Wahrheit und Fälschung“.<br />

Staadt stellt die Tatsache <strong>der</strong> NS-Belastung vieler Bereiche des öffentlichen Lebens <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

in den ersten Nachkriegsjahrzehnten nicht infrage, kritisiert aber, dass die Verfasser des Braunbuchs<br />

„von Anfang an historische Quellen, die nicht in ihr Propagandabild passten, ausblendeten und systematisch<br />

einer quellenkritischen Kontrolle entzogen“. Staadt, Jochen: Rezension zu Norbert Podewin<br />

(Hg.): Braunbuch [...]. Reprint <strong>der</strong> Ausgabe 1968. Berlin 2002. In: Zeitschrift des Forschungsverbundes<br />

SED-Staat 8(2003)13. S. 185–190, hier 187. Der Historiker Götz Aly bemängelt an dem „Braunbuch“<br />

hingegen vor allem, dass es unvollständig geblieben sei, weil allzu viele Namen von NS-belasteten<br />

Funktionsträgern in <strong>der</strong> Bundesrepublik nicht aufgenommen worden seien. Siehe Aly, Götz: Zuverlässig.<br />

Lob des antifaschistischen Rentners. Rezensionsnotiz zum „Braunbuch“. In: Süddeutsche Zeitung<br />

v. 9.8.2002, hier zit. nach: Amos: Vertriebenenverbände, 2011, S. 125 f.<br />

271

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!