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(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag

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Fasst man die vorliegenden Erkenntnisse zusammen, so hat Wagner sehr wahrscheinlich im<br />

April 1972 als bestechlicher Abgeordneter die entscheidende Abstimmung zum Misstrauensvotum<br />

maßgeblich beeinflusst und von 1976 bis 1983 politische Informationen preisgegeben, die an<br />

die HV A gelangten. Wagner ist somit im Sinne des <strong>MfS</strong> tätig geworden. Aber es gibt keine hinreichenden<br />

Belege, dass er bewusst für den <strong>DDR</strong>-Geheimdienst arbeitete. Für die Vorgänge 1972<br />

fehlen <strong>MfS</strong>-Unterlagen. Für die Jahre 1976 bis 1983 gibt es hinreichend Belege, um Wagner die<br />

Weitergabe politisch interessanter Informationen zu bescheinigen. Die Registrierungsdaten lassen<br />

jedoch die Möglichkeit zu, dass Wagner seine Indiskretionen „nur“ gegenüber dem Journalisten<br />

Fleissman beging. Der Fall Wagner verweist auf einen Sachverhalt, <strong>der</strong> bislang kaum beachtet<br />

wurde: Die HV A konnte sich auch solcher Personen bedienen, die sie überhaupt nicht als IM<br />

führte – so wie Wagner 1972.<br />

2.6.8.3. Zwischenbetrachtung<br />

Im vorstehenden Abschnitt fällt noch mehr als in an<strong>der</strong>en Abschnitten das Übergewicht <strong>der</strong><br />

SPD-Abgeordneten auf. Die ausdifferenzierte Strategie des <strong>MfS</strong> gegenüber <strong>der</strong> SPD, wie sie die<br />

<strong>MfS</strong>-Offiziere Kurt Gailat und Peter Kühn in ihrer Promotion 1969 beschrieben hatten, scheint<br />

schon in den fünfziger und sechziger Jahren praktisch umgesetzt worden zu sein. 854 Das <strong>MfS</strong>,<br />

und insbeson<strong>der</strong>e die HV A, folgten hierbei <strong>der</strong> Sichtweise und <strong>der</strong> Strategie <strong>der</strong> SED-Führung.<br />

Denn auch Walter Ulbricht strebte danach, die SPD-Linke zu stärken und die Positionen <strong>der</strong> Parteiführung<br />

um Willy Brandt, Fritz Erler und Herbert Wehner zu schwächen. 855 Die <strong>MfS</strong>-Akten<br />

geben darüber punktuell Auskunft. Recherchen in den SED-Akten sowie in westlichen Aktenüberlieferungen<br />

– etwa in Nachlässen <strong>der</strong> betreffenden Abgeordneten o<strong>der</strong> im SPD-Parteiarchiv<br />

(Archiv <strong>der</strong> sozialen Demokratie) – könnten zur weiteren Aufklärung beitragen. Dort könnte<br />

geprüft werden, welche Abgeordneten regelmäßige und nicht geheime Kontakte mit SED-<br />

Vertretern unterhielten, die womöglich an gemeinsamen Erfahrungen in <strong>der</strong> Arbeiterbewegung<br />

o<strong>der</strong> im Wi<strong>der</strong>stand gegen den Nationalsozialismus anknüpften, sodass man eventuell von Abschöpf-Kontakten<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage partieller politischer Übereinstimmung ausgehen kann. In<br />

diesem Sinne wären die Biografien <strong>der</strong> Abgeordneten, von denen einige wie Erwin Welke o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> im folgenden Abschnitt genannte Otto Graf in <strong>der</strong> NS-Zeit inhaftiert waren, zu berücksichtigen,<br />

ebenso ihre politischen Standpunkte in den fünfziger und sechziger Jahren. So gehörten<br />

Fritz Wilhelm Hörauf und Heinrich Junker im Juni 1965 zu einer Min<strong>der</strong>heit von zwölf SPD-<br />

Abgeordneten, die im <strong>Bundestag</strong> gegen die Notstandsgesetze stimmten und sich somit offen gegen<br />

die Parteimehrheit stellten. 856<br />

Der HV A scheint es in den fünfziger und sechziger Jahren gerade unter diesen Abgeordneten<br />

leichtgefallen zu sein, Verbindungen aufzubauen und beständig Informationen zu erhalten. Dieser<br />

Sachverhalt soll nicht bagatellisiert werden. Doch aufgrund <strong>der</strong> dürftigen Aktenlage kann<br />

nicht eindeutig festgestellt werden, welche <strong>der</strong> genannten Abgeordneten die Grenze zur bewussten<br />

geheimdienstlichen Zusammenarbeit überschritten hatten.<br />

Um dieses Phänomen zu deuten, sei hier nochmals an die Thesen zum Charakter <strong>der</strong> Arbeiterbewegung<br />

des Sozialwissenschaftlers Theo Pirker erinnert. Traditionell, so Pirker, seien<br />

menschliche Verbindungen in <strong>der</strong> Arbeiterbewegung wichtiger gewesen als die Differenzen zwischen<br />

den Parteien o<strong>der</strong> Apparaten. Erst mit einem Generationenwechsel im Laufe <strong>der</strong> ersten<br />

854 Siehe Anm. 25.<br />

855 Staadt: Die geheime Westpolitik, 1993, S. 43–47. Es ist bezeichnend, dass Markus Wolf in seinen Memoiren<br />

die Strategie, die SPD mithilfe linker Sozialdemokraten spalten zu wollen, ausschließlich <strong>der</strong><br />

HV A zuschreibt und seine Rolle damit überhöht. Recht nebulös schreibt er in diesem Zusammenhang<br />

auch davon, „die Zahl <strong>der</strong> mit uns auf verschiedene Weise verbündeten SPD-<strong>Bundestag</strong>sabgeordneten<br />

und leitenden Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre erreichte bald Fraktionsstärke“; Wolf: Spionagechef,<br />

1997, S. 208.<br />

856 Pilwousek, Ingelore (Hg.): Otto und Wolfgang Graf. Leben in bewegter Zeit 1900–2000. München 2003,<br />

S. 54 u. 61. Zu Welke siehe den biografischen Eintrag in <strong>der</strong> Internet-Enzyklpädie Wikipedia. Zu Hörauf<br />

und Junker siehe Appelius: Als Pazifistin in Bonn, 1990, S. 134, Fn. 35.<br />

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