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(MfS) der DDR - Deutscher Bundestag

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Visier <strong>der</strong> HV A standen, ist dies ebenso falsch. Denn im Visier <strong>der</strong> HV A standen weitaus mehr<br />

Abgeordnete als nur jene 49 o<strong>der</strong> 132, die in IM-Aktenvorgängen erfasst waren.<br />

2.6.2. IM im Umfeld von <strong>Bundestag</strong>sabgeordneten<br />

Bei 52 <strong>der</strong> 132 <strong>Bundestag</strong>sabgeordneten, die in einem IM-Aktenvorgang <strong>der</strong> HV A registriert waren,<br />

lässt sich die Karteikartenerfassung einfach erklären. Diese 52 Abgeordneten gehörten in <strong>der</strong><br />

Regel zu den Umfeld-Personen eines IM und wurden in <strong>der</strong> jeweiligen IM-Akte mit erfasst. Was<br />

das praktisch bedeutete, variierte von Fall zu Fall. Die Abgeordneten konnten von dem jeweiligen<br />

IM ausspioniert werden; <strong>der</strong> IM konnte den Auftrag haben, den Abgeordneten als Informanten<br />

zu gewinnen; die gemeinsame Erfassung konnte aber auch nur auf einer beruflichen o<strong>der</strong> privaten<br />

Verbindung zwischen IM und Abgeordnetem beruhen, ohne dass diese Verbindung schon<br />

geheimdienstlich relevant geworden wäre.<br />

Ein inzwischen bekanntes Beispiel ist <strong>der</strong> IMA-Vorgang „Anna“. Wie man <strong>der</strong> Vorgangskarteikartei<br />

(F 22) in „Rosenholz“ entnehmen kann, eröffnete die HV A den IMA-Vorgang mit <strong>der</strong> Registriernummer<br />

XV/2873/62 im Jahre 1962. Bis Mitte <strong>der</strong> achtziger Jahre füllte „Anna“ zwölf Berichtsakten.<br />

In <strong>der</strong> Namenskartei (F 16) von „Rosenholz“ findet man 29 Karteikarten mit <strong>der</strong> Registriernummer<br />

XV/2873/62. Aufgrund zahlreicher Indizien und Selbstzeugnisse ist seit Langem<br />

bekannt, dass es sich bei „Anna“ um Johanna Olbrich handelte. Olbrich arbeitete von 1974 bis<br />

1985 unter dem Namen Sonja Lüneburg als Sekretärin für den FDP-Politiker, <strong>Bundestag</strong>sabgeordneten<br />

und Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann. 560 Tatsächlich lautet die erste<br />

Namenskarteikarte, die die HV A unter <strong>der</strong> Registriernummer XV/2873/62 anlegte, auf den Namen<br />

Johanna Olbrich. Im Laufe <strong>der</strong> folgenden Jahre kamen weitere Namenskarteikarten hinzu.<br />

Sie enthielten Daten von Personen aus Olbrichs Umfeld sowie Scheinidentitäten für ihre gefälschten<br />

Personalpapiere. Die Datierung ist stets ein wichtiges Indiz, um die Hauptperson des<br />

jeweiligen Aktenvorgangs festzustellen: Diejenige Person, für die zuerst eine Namenskarteikarte<br />

angelegt wurde, war im Regelfall die Hauptperson des Vorgangs. Die Personen, <strong>der</strong>en Namenskarteikarten<br />

später angelegt wurden, wurden als Umfeld-Personen o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en Gründen<br />

hinzuregistriert. 561 Die in „Rosenholz“ vorhandene Namenskarteikarte zu Martin Bangemann<br />

wurde am 13. August 1984 angelegt.<br />

Johanna Olbrich (IM „Anna“) hatte als Sekretärin Martin Bangemanns über lange Zeit hinweg<br />

die Möglichkeit, ihn auszuspionieren. Es ist deshalb nicht überraschend, dass Bangemann, als<br />

eine Zielperson <strong>der</strong> HVA-Spionage, im IM-Vorgang „Anna“ mit erfasst ist.<br />

„Rosenholz“ lässt indes auch Fragen unbeantwortet: So bleibt unklar, weshalb die Karteikarte<br />

zu Bangemann erst 1984 angelegt wurde, obwohl er bereits viel länger von Johanna Olbrich alias<br />

Sonja Lüneburg ausspioniert wurde – ausweislich <strong>der</strong> SIRA-Teildatenbank 12 seit 1975. Und es<br />

bleibt unklar, weshalb in vergleichbaren Konstellationen die ausspionierte Person und <strong>der</strong> IM<br />

nicht im selben Vorgang erfasst waren. So sind beispielsweise <strong>der</strong> Kanzleramtsspion Günter<br />

Guillaume und <strong>der</strong> damalige Bundeskanzler Willy Brandt nicht im selben Vorgang erfasst.<br />

Im IM-Vorgang von Günter Guillaume wurde hingegen die SPD-Abgeordnete Brigitte Freyh<br />

mit erfasst. 562 Die überlieferten <strong>MfS</strong>-Unterlagen geben keinen Hinweis darauf, weshalb die HV A<br />

die Abgeordnete Freyh dem Umfeld von Guillaume zuordnete.<br />

Man müsste in jedem einzelnen Fall genau prüfen, weshalb die HV A einen Abgeordneten<br />

dem Umfeld eines IM zurechnete. Dafür wäre es erfor<strong>der</strong>lich, die damaligen Abgeordneten o<strong>der</strong><br />

aber die IM zu befragen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Archive heranzuziehen, etwa die Archive <strong>der</strong> <strong>Bundestag</strong>sparteien<br />

bei den jeweiligen Parteistiftungen o<strong>der</strong> auch gut geführte Zeitungsarchive. Doch das<br />

kann im Rahmen dieses Gutachtens nicht geleistet, son<strong>der</strong>n nur angeregt werden. In einigen<br />

Fällen können die Verbindungen zwischen IM und Abgeordneten bereits so eng gewesen sein,<br />

dass die HV A unmittelbar davon profitierte, in an<strong>der</strong>en Fällen arbeitete die HV A womöglich erst<br />

560 Siehe Anm. 146.<br />

561 Siehe hierzu auch Müller-Enbergs: Rosenholz. Eine Quellenkritik, 2007, S. 89 f.<br />

562 BStU, <strong>MfS</strong>, Bestand Rosenholz, Reg.-Nr. XV/19142/60.<br />

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