Österreich Sport – Das Magazin der Bundes-Sportorganisation - BSO

Österreich Sport – Das Magazin der Bundes-Sportorganisation - BSO Österreich Sport – Das Magazin der Bundes-Sportorganisation - BSO

10.10.2013 Aufrufe

TITELGESCHICHTE ten in Salzburg und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Sportwissenschaften, nennt die Ursachen: „Die Gründe liegen vor allem in der Bewegungsförderung. WissenschaftlerInnen fordern schon seit langem die tägliche Stunde Bewegung und Sport, die wir nach wie vor nicht haben. Alle Befunde sowohl national als auch international weisen darauf hin, wie wichtig diese wäre, um auch gegen diverse Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen vorbeugen zu können. Gleiches gilt für Übergewicht und Adipositas. Die Kinder müssen sich eine Stunde pro Tag moderat bis anstrengend bewegen, das heißt, sie müssen außer Atem kommen, um hier adäquat vorbeugen zu können. In Österreich erfüllen diese Vorgabe nur 20 Prozent der Elfjährigen. Bei den 15-Jährigen sind es überhaupt nur noch zehn Prozent.“ Die Wissenschaftlerin sieht die Bildungs- und Gesundheitspolitik als auch den Sport gefordert: „Es geht um verschiedene Aspekte. Das eine ist: Mehr Schulsport, der Freude und Motivation an der regelmäßigen Bewegung vermittelt. Das zweite ist: Eine Gestaltung unserer Umwelt, die zu mehr körperlicher Aktivität einlädt, Stichwort: mehr Bewegungsräume im Alltag schaffen. Ebenfalls gefragt sind die Sportvereine. Teilweise leisten diese schon sehr gute Arbeit, aber die Frage ist: Wie bringen wir die Vorschulkinder in die Vereine? Das Zusammenspiel zwischen Schulen, Sportvereinen und Talentförderern muss weiter verbessert werden. Dies gilt besonders auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die nicht automatisch in Vereine gehen.“ Bei den Diskussionen um mangelnde Bewegung, falsche Ernährung und daraus resultierendem Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen möchte Ring-Dimitriou aber eines festhalten: Aussagen wie „Der kann das nicht, weil er so dick ist“ stimmen nicht. Studien zeigen, dass Übergewichtige zum Teil ähnlich gute Leistungen wie normalgewichtige Kinder erbringen. Der Einfluss des Übergewichts auf die Leistung hängt vor allem von der Testform ab. „Mir ist wichtig zu betonen, dass auch Adipöse, also fettleibige Kinder, jegliche Übungsform meistern können, wenn auch etwas langsamer“, so die Sportwissenschaftlerin. 10 ÖSTERREICH SPORT Die tägliche Turnstunde Die BSO hat eine Unterschriftenaktion für die „Tägliche Turnstunde“ gestartet. Hintergrund der Initiative ist sowohl der zunehmend ungesunde Lebensstil bei Kindern, aber auch Österreichs bescheidenes Abschneiden bei den Olympischen Spielen in London. „Die tägliche Turnstunde muss ein Anliegen von uns allen sein! Die Kinder müssen die Freude an der Bewegung wiederfinden und wir müssen sie dabei unterstützen, indem wir in den Schulen und Kindergärten ein positives Umfeld für mehr körperliche Aktivität schaffen. Sitzenbleiben im Kinderalltag darf nicht sein“, sagt BSO-Präsident Peter Wittmann. Ein Großteil der Schulen ist „kognitiv orientiert“ und nicht wie nach Wilhelm von Humboldt „körperlich und geistig ausgerichtet“. Die Vorstellung „mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) existiert im österreichischen Schulsystem nicht. Überspitzt formuliert: Kinder kommen nur mit dem Kopf in die Schule, an den Rest des Körper wird nicht gedacht. Neun Jahre ist die generelle österreichweite Schulstundenkürzung her, von der vor allem der Sport betroffen war. Insgesamt wurden laut Rechnungshof seit 2003 Turnstunden um bis zu fünf Prozent gekürzt. An der AHS-Unterstufe und Hauptschule gibt es über vier Jahre gerechnet eine Turnstunde weniger. Berufsbildende Schulen haben im Rahmen ihrer Autonomie noch stärker reduziert. Der (Schul) alltag ist richtig lahm geworden. Und das, obwohl Studien zeigen, dass alle kognitiven Leistungen mit Bewegungen beginnen. „Wir haben wissenschaftlich bestätigt, dass die tägliche Sporteinheit nicht nur die motorischen Fähigkeiten verbessert, sondern sich auch positiv auf die schulischen Leistungen auswirkt, soziale Unterschiede ausgleicht und das Aggressionspotential vermindert“, weiß die schwedische Forscherin Ingegerd Ericsson im „Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports“. Bewegtes Lernen Auf bewegtes Lernen als Unterrichtsfach setzt z. B. die „Neue Mittelschule Spittal/Drau“. Die Schule initiierte eine Studie, die vom Sportinstitut der Uni Wien begleitet wird.

„Wir wollen die Auswirkungen auf Motivation und Erfolg von Kindern zeigen, die am Sportgerät lernen. Gleichzeitig wollen wir Bewegungsfreude wecken, aber Neue Medien auch nicht verteufeln, sondern bewusst machen, dass sich ihr gezielter Einsatz positiv auswirkt“, erklärt Lehrer Hermann Rohrer. Aussehen tut das „Bewegte Lernen“ wie folgt: Vor jedem Sportgerät steht ein Pult für Unterlagen oder Laptop zum Lernen für die schuleigene E-Learning-Plattform. „So können die Kinder in der Bewegung lesen, sich gegenseitig abprüfen. Die Notebook-Klassen stellen außerdem MP3- Audiodateien für alle Klassen her, die man sich am Rad oder Laufband über Kopfhörer anhören kann“, sagt Rohrer. Insgesamt 200 Minuten pro Woche wird so in Bewegung gelernt. Bewegte Pause „Bewegte Pause“ nennt sich das Projekt, in das eine Volksschule in Wels vor einem Jahr eingestiegen ist. Es werden in den Pausen gezielt Bewegungsspiele angeboten. „Balancieren, jonglieren uvm.“, erklärt Bezirksschulinspektor Franz Payrhuber. Die Rückmeldungen von den LehrerInnen sind durchwegs positiv, denn nach der bewegten Pause funktioniert das kognitive Erfassen bei den Kindern deutlich besser und sie können wieder länger still sitzen. Warum aber die bewegte Pause an Österreichs Schulen eher die (positive) Ausnahme als Regel ist, erklärt Erziehungswissenschaftler Bernhard Rathmayr: „Es ist ein Aufsichtsproblem. Im Gegensatz zum Pausenhof braucht es für das Klassenzimmer keine Aufsicht. Im Gebäude heißt es generell: Es wird nicht gelaufen.“ Zudem ist Rathmayr überzeugt, dass vielen Lehrerinnen und Lehrern die Kompetenz fehlt mit „der Turbulenz vieler Kinder“ zurechtzukommen. In der Ausbildung lernen die angehenden PädagogInnen dies nämlich nicht. Bewegung: Eine Entscheidung der Gesellschaft „Wollen wir eine gesunde Gesellschaft haben, müssen wir auch Anstrengungen dafür unternehmen, nicht nur im Leistungssport. Wir müssen den Sport in der Gesellschaft höher hängen, aber nicht, damit wir mehr Erfolge feiern, TITELGESCHICHTE sondern weil es aus der Hirnforschung Belege gibt, dass Sport leistungsfördernd ist auf vielen Gebieten.“ Aussagen, die zuletzt sehr oft zu hören waren. In diesem Fall aber von keinem/keiner ÖsterreicherIn, sondern vom deutschen Hockeytrainer Markus Weise, der in einem „FAZ“-Interview aufhorchen ließ. Er bezeichnet eine Gesellschaft, die sich nicht offen zum Sport bekennt und die Möglichkeit sträflich ungenützt lässt, Bewegung in der Schule für Gesundheits-, Leistungs- und Sportzwecke voranzutreiben, als äußerst fragwürdig. Die österreichische Ärztekammer postuliert: „Die kranken Kinder von heute sind die kranken Erwachsenen von morgen. Der dadurch entstehende Schaden für die österreichische Volkswirtschaft geht in die Milliardenhöhe.“ Laut Hochrechnungen sollen bereits 2030 die Krankenkosten um rund 7,3 Mrd. Euro höher sein als 2011. Hält dieser INFOBOX Um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu fördern … • sollten sie täglich mind. 60 Minuten, bei mittlerer Intensität, körperlich aktiv sein • sollten sie an mind. 3 Tagen/Woche muskelkräftigende (z.B. Übungen mit dem eigenen Körpergewicht) und knochenstärkende (z.B. Hüpfen, Laufen) Bewegungsformen durchführen • ist es empfehlenswert, zusätzlich Aktivitäten auszuführen, die die Koordination verbessern und die Beweglichkeit erhalten ÖSTERREICH SPORT 11

„Wir wollen die Auswirkungen auf Motivation und Erfolg von<br />

Kin<strong>der</strong>n zeigen, die am <strong>Sport</strong>gerät lernen. Gleichzeitig wollen<br />

wir Bewegungsfreude wecken, aber Neue Medien auch<br />

nicht verteufeln, son<strong>der</strong>n bewusst machen, dass sich ihr<br />

gezielter Einsatz positiv auswirkt“, erklärt Lehrer Hermann<br />

Rohrer. Aussehen tut das „Bewegte Lernen“ wie folgt: Vor<br />

jedem <strong>Sport</strong>gerät steht ein Pult für Unterlagen o<strong>der</strong> Laptop<br />

zum Lernen für die schuleigene E-Learning-Plattform. „So<br />

können die Kin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Bewegung lesen, sich gegenseitig<br />

abprüfen. Die Notebook-Klassen stellen außerdem MP3-<br />

Audiodateien für alle Klassen her, die man sich am Rad<br />

o<strong>der</strong> Laufband über Kopfhörer anhören kann“, sagt Rohrer.<br />

Insgesamt 200 Minuten pro Woche wird so in Bewegung<br />

gelernt.<br />

Bewegte Pause<br />

„Bewegte Pause“ nennt sich das Projekt, in das eine Volksschule<br />

in Wels vor einem Jahr eingestiegen ist. Es werden<br />

in den Pausen gezielt Bewegungsspiele angeboten. „Balancieren,<br />

jonglieren uvm.“, erklärt Bezirksschulinspektor Franz<br />

Payrhuber. Die Rückmeldungen von den LehrerInnen sind<br />

durchwegs positiv, denn nach <strong>der</strong> bewegten Pause funktioniert<br />

das kognitive Erfassen bei den Kin<strong>der</strong>n deutlich besser<br />

und sie können wie<strong>der</strong> länger still sitzen. Warum aber die<br />

bewegte Pause an <strong>Österreich</strong>s Schulen eher die (positive)<br />

Ausnahme als Regel ist, erklärt Erziehungswissenschaftler<br />

Bernhard Rathmayr: „Es ist ein Aufsichtsproblem. Im Gegensatz<br />

zum Pausenhof braucht es für das Klassenzimmer<br />

keine Aufsicht. Im Gebäude heißt es generell: Es wird<br />

nicht gelaufen.“ Zudem ist Rathmayr überzeugt, dass vielen<br />

Lehrerinnen und Lehrern die Kompetenz fehlt mit „<strong>der</strong> Turbulenz<br />

vieler Kin<strong>der</strong>“ zurechtzukommen. In <strong>der</strong> Ausbildung<br />

lernen die angehenden PädagogInnen dies nämlich nicht.<br />

Bewegung: Eine Entscheidung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

„Wollen wir eine gesunde Gesellschaft haben, müssen<br />

wir auch Anstrengungen dafür unternehmen, nicht nur im<br />

Leistungssport. Wir müssen den <strong>Sport</strong> in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

höher hängen, aber nicht, damit wir mehr Erfolge feiern,<br />

TITELGESCHICHTE<br />

son<strong>der</strong>n weil es aus <strong>der</strong> Hirnforschung Belege gibt, dass<br />

<strong>Sport</strong> leistungsför<strong>der</strong>nd ist <strong>–</strong> auf vielen Gebieten.“ Aussagen,<br />

die zuletzt sehr oft zu hören waren. In diesem Fall aber<br />

von keinem/keiner <strong>Österreich</strong>erIn, son<strong>der</strong>n vom deutschen<br />

Hockeytrainer Markus Weise, <strong>der</strong> in einem „FAZ“-Interview<br />

aufhorchen ließ. Er bezeichnet eine Gesellschaft, die sich<br />

nicht offen zum <strong>Sport</strong> bekennt und die Möglichkeit sträflich<br />

ungenützt lässt, Bewegung in <strong>der</strong> Schule für Gesundheits-,<br />

Leistungs- und <strong>Sport</strong>zwecke voranzutreiben, als äußerst<br />

fragwürdig. Die österreichische Ärztekammer postuliert:<br />

„Die kranken Kin<strong>der</strong> von heute sind die kranken Erwachsenen<br />

von morgen. Der dadurch entstehende Schaden für die<br />

österreichische Volkswirtschaft geht in die Milliardenhöhe.“<br />

Laut Hochrechnungen sollen bereits 2030 die Krankenkosten<br />

um rund 7,3 Mrd. Euro höher sein als 2011. Hält dieser<br />

INFOBOX<br />

Um die Gesundheit von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

zu för<strong>der</strong>n …<br />

• sollten sie täglich mind. 60 Minuten, bei mittlerer<br />

Intensität, körperlich aktiv sein<br />

• sollten sie an mind. 3 Tagen/Woche muskelkräftigende<br />

(z.B. Übungen mit dem eigenen Körpergewicht)<br />

und knochenstärkende (z.B. Hüpfen, Laufen)<br />

Bewegungsformen durchführen<br />

• ist es empfehlenswert, zusätzlich Aktivitäten auszuführen,<br />

die die Koordination verbessern und die<br />

Beweglichkeit erhalten<br />

ÖSTERREICH SPORT 11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!