Auszug aus der Süddeutsche Zeitung 11/08 herunterladen
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Verschleppte Kin<strong>der</strong> - machtlose Mütter<br />
Wenn <strong>aus</strong>ländische Väter ihre Söhne und Töchter in ihr Heimatland entführen, sind dem<br />
deutschen Staat meist rechtlich die Hände gebunden<br />
Von Birgit Schreiber<br />
Bremen - Am Dienstagabend wartete Gracia Kranz, 29, am Bremer Flughafen auf die Ankunft des<br />
Lufthansa-Flugs LH 350. An Bord war ihr dreijähriger Sohn Faris, <strong>der</strong> vor dreieinhalb Monaten<br />
von seinem Vater, einem Tunesier, nach Nordafrika entführt worden war. An Bord war auch die<br />
frühere Auslän<strong>der</strong>beauftragte und grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. Sie hat das Kind<br />
befreit, ohne ihre Hilfe wäre es Gracia Kranz so ergangen wie den meisten Müttern, die versuchen,<br />
ihr Kind <strong>aus</strong> einem arabischen Land zurückzuholen.<br />
Kranz wäre gescheitert wie viele deutsche und europäische Eltern, <strong>der</strong>en Partner ihre Kin<strong>der</strong> ins<br />
Ausland verschleppen und nie wie<strong>der</strong>kehren. "1000 bis 1500 Kin<strong>der</strong> werden jedes Jahr entführt,<br />
knapp die Hälfte davon in Län<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Regierungen die Haager Konvention zur Kindesentführung<br />
nicht unterzeichnet haben. Das sind vor allem arabische Län<strong>der</strong>. Und nur etwa zehn Prozent dieser<br />
Fälle gehen gut <strong>aus</strong>", schätzt Christiane Hirts, Direktorin des europäischen "Committee for Missing<br />
Children". Hirts betreut in Deutschland zur Zeit etwa 250 Eltern, <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> ins Ausland<br />
verschleppt wurden. Sie kennt <strong>der</strong>en Verzweiflung genau, vor einigen Jahren musste sie selbst um<br />
ihr entführtes Kind kämpfen.<br />
Ohne eine Unterschrift unter die Haager Konvention zur Kindesentführung haben <strong>der</strong> deutsche<br />
Staat, das Auswärtige Amt, die Polizei, die Botschaften kaum eine rechtliche Handhabe. So ist es<br />
auch in diesem Fall. We<strong>der</strong> Kanzlerin Merkel noch Außenminister Steinmeier konnten ihre<br />
tunesischen Kollegen bisher zur Unterschrift bewegen. Das Auswärtige Amt muss sich in Fällen<br />
wie dem von Gracia Kranz meist damit begnügen, die Mütter in Briefen " . . . zur gütlichen<br />
Einigung mit dem an<strong>der</strong>en Elternteil bzw. <strong>der</strong> väterlichen Familie" aufzufor<strong>der</strong>n.<br />
Das entscheidende Problem für Frauen wie Gracia Kranz ist: Wenn ein Tunesier außerhalb<br />
Tunesiens ein Kind zeugt, hat dieses automatisch auch die Staatsbürgerschaft des Vaters. Und<br />
sobald sich dieses Kind in Tunesien befindet, greift das islamische Familienrecht. Danach sind<br />
Väter traditionell die gesetzlichen Vertreter des Kindes, und sie dürfen gemäß dem islamischen<br />
Recht seinen Aufenthaltsort bis zur Volljährigkeit bestimmen. Viele Mütter glauben, dass das<br />
deutsche Sorgerecht ihnen hilft, die Kin<strong>der</strong> zurückzuholen. Aber das ist ein Trugschluss, sagt die<br />
Münchener Rechtsanwältin Manuela Landuris, Expertin für tunesisches Familienrecht: Langwierige<br />
Verfahren vor Gericht sind nötig, und in <strong>der</strong> Regel wird verlangt, dass die Mütter dauerhaft in dem<br />
arabischen Herkunftsland des Vaters leben.<br />
Gracia Kranz engagierte Rechtsanwälte in Deutschland und in Tunesien, bat in <strong>der</strong> Deutschen<br />
Botschaft um Hilfe und schrieb an Außenminister Steinmeier. Im Antwortbrief ließ er mitteilen,<br />
dass we<strong>der</strong> tunesische Behörden noch deutsche Diplomaten helfen würden: "Die Botschaft in Tunis<br />
kann nicht die Rückführung Ihres Sohnes gegen den Willen des Kindesvaters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> väterlichen<br />
Familie durchsetzen." Gracia Kranz musste erkennen, dass ihr privates Engagement ebenso wie<br />
staatliche Unterstützungsmöglichkeiten an die Grenzen internationalen Rechts gestoßen waren.
Die Lage verän<strong>der</strong>te sich erst, als Marieluise Beck sich einschaltete. Die frühere<br />
Auslän<strong>der</strong>beauftragte <strong>der</strong> Bundesregierung und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, nutzte ihre<br />
Kontakte zu deutschen und tunesischen Diplomaten und Regierungsvertretern. Nach einem Treffen<br />
mit einem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin bat dieser den tunesischen Botschafter<br />
zum Gespräch. Einige Tage danach reiste Beck nach Tunis und sprach mit <strong>der</strong> stellvertretenden<br />
tunesischen Außenministerin. Schließlich machten die tunesischen Behörden <strong>der</strong> Familie des<br />
Entführers deutlich, dass ihr Land nicht an diplomatischen Verwicklungen mit Deutschland<br />
interessiert sei. Der tunesische Justizminister wies die Staatsanwaltschaft seines Landes an, das<br />
entführte Kind zu finden. Die Verwandten seines Vaters versteckten es bis zu diesem Zeitpunkt<br />
erfolgreich, meist in Südtunesien, bei Angehörigen. Nach längeren Verhandlungen zwischen den<br />
tunesischen Behörden und <strong>der</strong> Familie beugte die sich schließlich dem wachsenden Druck. Sie<br />
willigte ein, den Jungen in Tunis zu übergeben. Am Montag bestieg er zusammen mit Beck und<br />
einem Verwandten, <strong>der</strong> in Deutschland lebt, das Flugzeug nach Bremen.<br />
Wenn es nach Beck geht, soll sich künftig ein ständiger Krisenstab um Kindesverschleppungen ins<br />
Ausland kümmern. Der Grund: Mit <strong>der</strong> Zahl binationaler Partnerschaften wächst die Gefahr von<br />
Kindesentführungen. Außerdem soll das neue Gremium die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes<br />
entlasten. Nach Becks Angaben sind sie schon heute mit den aktuellen Fällen überfor<strong>der</strong>t.<br />
"Die Botschaft in Tunis kann nicht die Rückführung Ihres Sohnes gegen den Willen des<br />
Kindesvaters durchsetzen." Der dreijährige, von seinem Vater nach Tunesien entführte Faris ist<br />
wie<strong>der</strong> bei seiner Mutter Gracia Kranz (links). Neben ihm seine Schwester Janel,8, und die<br />
Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne), die half, Faris nach Deutschland<br />
zurückzubringen. Foto: Jörg Sarbach