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18 | Im sCHauFenster books nr. 1/2013 alle bü<strong>ch</strong>er finden sie au<strong>ch</strong> auf Im sCHauFenster | 19<br />
Vom Versu<strong>ch</strong>,<br />
Liebe zu kaufen<br />
Was haben eine zeitgenössis<strong>ch</strong>e französis<strong>ch</strong>e Autorin und eine<br />
italienis<strong>ch</strong>e Mar<strong>ch</strong>esa aus dem letzten Jahrhundert gemeinsam?<br />
Dieser Frage geht Camille de Peretti in «Der Zauber der Casati»<br />
ebenso einfühlsam wie ehrli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>.<br />
Benjamin gygax<br />
Wissen Sie, wer Luisa Casati war? Die wenigsten<br />
Mens<strong>ch</strong>en könnten auf diese Frage<br />
wohl die ri<strong>ch</strong>tige Antwort geben. Das ist<br />
eigentli<strong>ch</strong> überras<strong>ch</strong>end – und wäre für die<br />
Betreffende selbst wohl ziemli<strong>ch</strong> nieders<strong>ch</strong>metternd.<br />
Immerhin hatte die 1881 geborene<br />
Luisa ihr ganzes Leben darauf verwendet,<br />
dass man sie kennt. Luisa Adele<br />
Rosa Maria Amman, die To<strong>ch</strong>ter eines unermessli<strong>ch</strong><br />
rei<strong>ch</strong>en norditalienis<strong>ch</strong>en Web-<br />
mas<strong>ch</strong>inenherstellers, heiratete den verarmten<br />
Mar<strong>ch</strong>ese Camillo Casati Stampa di<br />
Soncino und inszenierte si<strong>ch</strong> mit altem<br />
Adel und neuem Geld in Europas High Society<br />
und Avantgarde. Man sagt, sie sei öfter<br />
porträtiert worden <strong>als</strong> die Jungfrau<br />
Maria oder Kleopatra. Und bis heute inspiriert<br />
der Stil der «göttli<strong>ch</strong>en Mar<strong>ch</strong>esa»<br />
Künstler und Modes<strong>ch</strong>öpfer, so zum Beispiel<br />
John Galliano, Yves Saint Laurent und<br />
Tom Ford. Do<strong>ch</strong> bekannt ist die Mar<strong>ch</strong>esa<br />
Luisa Casati, die 1957 in London mausarm<br />
starb, heute ni<strong>ch</strong>t mehr.<br />
vom abgrund auf die Überholspur<br />
Jetzt bes<strong>ch</strong>reibt die S<strong>ch</strong>riftstellerin Camille<br />
de Peretti in ihrem neuen Werk das spektakuläre<br />
Leben der italienis<strong>ch</strong>en Selbstdarstellerin<br />
und Mäzenin – und sie wird ihr<br />
damit wohl wieder zu etwas mehr Bekanntheit<br />
verhelfen. «Der Zauber der Casati»<br />
ist das vierte Bu<strong>ch</strong> der 33-jährigen<br />
Französin und das zweite, das ins Deuts<strong>ch</strong>e<br />
übersetzt wurde. Die Autorin selbst ist<br />
eine Frau, deren Leben ebenfalls einigen<br />
Stoff bietet. Camille de Peretti fühlte si<strong>ch</strong><br />
früh zum S<strong>ch</strong>reiben und zum Film hingezogen,<br />
studierte aber <strong>als</strong> fügsame und disziplinierte<br />
To<strong>ch</strong>ter aus wenig begütertem<br />
Haus an der ESSEC, einer der führenden<br />
privaten Wirts<strong>ch</strong>aftsho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ulen Frankrei<strong>ch</strong>s.<br />
Sie ma<strong>ch</strong>te eine Ausbildung zur Finanzanalystin,<br />
dann folgte der Absturz in<br />
eine s<strong>ch</strong>were Magersu<strong>ch</strong>t. «Mit 20 Jahren<br />
bra<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> zusammen und liess mitten während<br />
der S<strong>ch</strong>ulausbildung, die mi<strong>ch</strong> geradewegs<br />
zu einer Stelle im Höheren Dienst<br />
führen sollte, meine Ängste Oberhand über<br />
meinen Geist gewinnen. I<strong>ch</strong> kotzte, bis mir<br />
die Sinne s<strong>ch</strong>wanden. Ein Psy<strong>ch</strong>iater<br />
weckte mi<strong>ch</strong> auf und stellte si<strong>ch</strong> meiner<br />
Anorexie in den Weg; dank seiner Hilfe<br />
fand i<strong>ch</strong> ins normale Leben zurück.» Seither<br />
kanalisiert Camille de Peretti ihre disziplinierte<br />
S<strong>ch</strong>affenskraft in einem Leben<br />
auf der Überholspur. Sie gründete eine Firma<br />
für Eventmanagement und eine Theatergruppe<br />
in Paris, sie ist in Filmen zu sehen<br />
und zei<strong>ch</strong>net verantwortli<strong>ch</strong> für eine<br />
Fernsehserie über die französis<strong>ch</strong>e Kü<strong>ch</strong>e<br />
in Japan. «I<strong>ch</strong> habe geliebt, hatte Ehemänner<br />
– Ehemänner im Plural!», bilanziert<br />
die junge Autorin. «I<strong>ch</strong> bin gereist, bin den<br />
Männern, die i<strong>ch</strong> geliebt habe, gefolgt,<br />
na<strong>ch</strong> England, in die S<strong>ch</strong>weiz. I<strong>ch</strong> gebe<br />
viellei<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on mehr Gas <strong>als</strong> andere.»<br />
von der pubertät bis zum altersheim<br />
In ihrem ersten Bu<strong>ch</strong> «Thornytorinx» verarbeitete<br />
Camille de Peretti 2005 ihre Magersu<strong>ch</strong>t.<br />
Rückblickend sagt sie: «Dieses<br />
erste Bu<strong>ch</strong> war ni<strong>ch</strong>t zur Publikation bestimmt.<br />
Es sollte mir nur bestätigen, dass<br />
i<strong>ch</strong> in der Lage bin, eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te mit<br />
Anfang, Mittelteil und S<strong>ch</strong>luss zu s<strong>ch</strong>reiben.»<br />
Als es dann do<strong>ch</strong> herausgegeben<br />
wurde, lasen es viele ni<strong>ch</strong>t <strong>als</strong> Literatur,<br />
sondern <strong>als</strong> Erfahrungsberi<strong>ch</strong>t. Der Erfolg<br />
des Bu<strong>ch</strong>s habe den Na<strong>ch</strong>teil gehabt, dass<br />
sie ni<strong>ch</strong>t <strong>als</strong> S<strong>ch</strong>riftstellerin gesehen worden<br />
sei, sondern <strong>als</strong> «die arme Kleine, die<br />
so viel gekotzt hat», sagt Camille de Peretti.<br />
Der Blick auf die Autorin veränderte si<strong>ch</strong><br />
aber mit ihren nä<strong>ch</strong>sten Bü<strong>ch</strong>ern. Es folgten<br />
der Briefroman «Nous sommes cruels»,<br />
der von Choderlos de Laclos «Les Liaisons<br />
dangereuses» inspiriert wurde; und<br />
dana<strong>ch</strong> «Wir werden zusammen alt». Das<br />
ho<strong>ch</strong> gelobte Bu<strong>ch</strong> über einen Sonntag im<br />
Altersheim ist ein au<strong>ch</strong> formal ambitioniertes<br />
Werk: Jedes Kapitel entspri<strong>ch</strong>t einer<br />
Viertelstunde im Tagesablauf, beginnend<br />
um 9 Uhr am Empfang – und mit den<br />
64 Kapiteln führt die Autorin uns dur<strong>ch</strong>s<br />
ganze Haus.<br />
Biografie <strong>als</strong> spiegel<br />
Camille de Peretti entfernt si<strong>ch</strong> mit ihren<br />
Werken erzähleris<strong>ch</strong> immer weiter von ihrer<br />
eigenen Person, do<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> Erlebtes<br />
oder eine Erzählerin mit dem Namen<br />
Camille findet man in jedem Bu<strong>ch</strong>, au<strong>ch</strong> in<br />
ihrem jüngsten. «Der Zauber der Casati»<br />
ist ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> eine Biografie, sondern<br />
eine literaris<strong>ch</strong>e Annäherung. Die Autorin<br />
erzählt ni<strong>ch</strong>t nur die Lebensges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
skandalumwitterten Mar<strong>ch</strong>esa, sondern<br />
s<strong>ch</strong>iebt immer wieder eine Szene aus dem<br />
Leben der Erzählerin ein – und diese Szenen<br />
weisen zumindest starke Parallelen<br />
zur eigenen Biographie auf: Gehversu<strong>ch</strong>e<br />
im Film, eine ges<strong>ch</strong>eiterte Ehe mit einem<br />
Maler, der Weg zum S<strong>ch</strong>reiben. Und dabei<br />
geht die Autorin ni<strong>ch</strong>t zimperli<strong>ch</strong> mit si<strong>ch</strong><br />
selbst um. Au<strong>ch</strong> Camille su<strong>ch</strong>t den Sinn im<br />
Künstlerleben. Sie will S<strong>ch</strong>auspielerin sein<br />
und heiratet den Maler Caesar: «Er glaubte<br />
ni<strong>ch</strong>t an meine S<strong>ch</strong>riftstellerei, meinte, i<strong>ch</strong><br />
sei keine Autorin, sondern eine Bü<strong>ch</strong>erverkäuferin.<br />
Eine Musters<strong>ch</strong>ülerin, eine bes<strong>ch</strong>issene<br />
Kommerzkünstlerin, die den<br />
Me<strong>ch</strong>anismen eines Systems diente. Er al-<br />
lein sei der Künstler, i<strong>ch</strong> sei unwürdig, ihn<br />
zu inspirieren. Die ganze Zeit hätte i<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>ts getan, <strong>als</strong> seine Phantasie zu kastrieren.<br />
Da flü<strong>ch</strong>tete i<strong>ch</strong>. I<strong>ch</strong> ging weg und<br />
s<strong>ch</strong>rieb weiter Bü<strong>ch</strong>er, überzeugt, dass sie<br />
hö<strong>ch</strong>stens mittelprä<strong>ch</strong>tig waren. Und im<br />
Grunde waren sie es au<strong>ch</strong>. Man kann ni<strong>ch</strong>t<br />
einfa<strong>ch</strong> so bes<strong>ch</strong>liessen, eine Künstlerin zu<br />
sein.»<br />
kleine und grosse rebellionen<br />
Au<strong>ch</strong> wenn Camille de Peretti für ihr Bu<strong>ch</strong><br />
gewohnt akribis<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>er<strong>ch</strong>ierte, geht es<br />
ihr ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> um eine wahrheitsgetreue<br />
Lebenss<strong>ch</strong>ilderung der Casati. Dies<br />
deklariert die Autorin mit einem Satz, den<br />
sie dem Bu<strong>ch</strong> voranstellt: «Sie ist meine<br />
Figur, sie ist mein S<strong>ch</strong>atz. I<strong>ch</strong> darf sie sagen<br />
lassen, was immer i<strong>ch</strong> will.» Was die beiden<br />
Frauen zu verbinden s<strong>ch</strong>eint, ist ihre<br />
Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Liebe und Sinn in der Kunst.<br />
Luisa Amman und ihre S<strong>ch</strong>wester wurden<br />
na<strong>ch</strong> dem Tod des Vaters 1896 Vollwaisen.<br />
Sie wu<strong>ch</strong>sen in Watte gepackt, aber ohne<br />
Zuneigung auf. Mit ihrem Rei<strong>ch</strong>tum kaufte<br />
si<strong>ch</strong> Luisa die Rolle der Mäzenin, <strong>als</strong> sie<br />
merkte, dass es <strong>als</strong> Muse ni<strong>ch</strong>t so re<strong>ch</strong>t<br />
klappte. Gegen Geld liess sie si<strong>ch</strong> von über<br />
100 Künstlern malen, fotografieren und<br />
modellieren. «Jetzt erlebte sie erstm<strong>als</strong><br />
wirkli<strong>ch</strong> erregende Berühmtheit», s<strong>ch</strong>reibt<br />
Camille de Peretti. «Wie eine, die eben einen<br />
herrli<strong>ch</strong>en Zaubertrunk genossen hat,<br />
fühlte sie si<strong>ch</strong> in Si<strong>ch</strong>erheit und gab si<strong>ch</strong><br />
der Illusion hin, sie empfange mehr Liebe,<br />
<strong>als</strong> sie gab. Sie ma<strong>ch</strong>te Übers<strong>ch</strong>uss. Das<br />
unerträgli<strong>ch</strong>e Gefühl innerer Leere wi<strong>ch</strong>,<br />
sie fühlte si<strong>ch</strong> endli<strong>ch</strong> erfüllt. Leider war<br />
diese Wirkung nur von kurzer Dauer.» Voll<br />
Mitgefühl bes<strong>ch</strong>reibt die Autorin, wie die<br />
Ein der<br />
..<br />
Traume<br />
R<br />
oman,<br />
wahr werden<br />
..<br />
lasst<br />
Wie wird ein junger Tagedieb, der seine Kindheit in einer Höhle verbra<strong>ch</strong>t<br />
hat, zu einem glühenden Verfe<strong>ch</strong>ter der Freiheit? Wie wird ein jüdis<strong>ch</strong>er<br />
Betrüger zu einem berühmten Arzt? Und wie wird ein junges Mäd<strong>ch</strong>en<br />
ohne Perspektive zu einer ein ussrei<strong>ch</strong>en Modes<strong>ch</strong>öpferin?<br />
Die Antwort liegt in Venedig. Denn dort, im Labyrinth der Gassen und<br />
Kanäle der geheimnisvollsten Lagune Europas, zwis<strong>ch</strong>en der Pra<strong>ch</strong>t San<br />
Marcos und dem Elend der Spelunken von Rialto ndet si<strong>ch</strong> das gesamte<br />
Panorama des Lebens …<br />
Casati denno<strong>ch</strong> weiterkämpft: «Es bedarf<br />
do<strong>ch</strong> immerhin einer gewissen Art von<br />
Mut, Proust auswendig zu lernen, exzentris<strong>ch</strong>e<br />
Projekte auszuhecken, um Unbekannte<br />
zu beeindrucken, oder eine Nummer<br />
abzuziehen, um einen Kardinal zu foppen.<br />
Den Mut, morgens aufzustehen und si<strong>ch</strong><br />
dem Leben, das eigentli<strong>ch</strong> keinen Inhalt<br />
hat, zu stellen und Gründe zum La<strong>ch</strong>en zu<br />
su<strong>ch</strong>en.» Mit sol<strong>ch</strong>en Aussagen entzaubert<br />
sie die Selbstdarstellerin. Wie Camille de<br />
Peretti Mens<strong>ch</strong>en mit s<strong>ch</strong>arfem Blick erfasst<br />
und mit klarer Spra<strong>ch</strong>e, aber viel<br />
Wärme und Sympathie bes<strong>ch</strong>reibt, ist gekonnt.<br />
Deshalb darf man das Bu<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
nur jungen Frauen empfehlen, die si<strong>ch</strong> für<br />
ein It-Girl des frühen 20. Jahrhunderts interessieren.<br />
der zauber der Casati<br />
253 seiten<br />
CHF 31.90<br />
rowohlt<br />
ISBN 978-3-404-16777-7<br />
www.luebbe.de