Partizipation als Schlüssel für Bildung und Demokratie – Die ...
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Vortrag Prof. Dr. Raingard Knauer<br />
Symposion „Basiskompetenzen Zuhören <strong>und</strong> Sprechen“<br />
25. Februar 2011, 12:00 Uhr<br />
Jetzt entwickeln die pädagogischen Fachkräfte Gremien <strong>und</strong> Verfahrensabläufe, in denen Kinder mitentscheiden<br />
können. <strong>Die</strong>s sind einerseits häufig Gremien auf der Gruppenebene (z.B. Gruppenversammlungen<br />
oder Kinderkonferenzen), andererseits aber auch häufig einrichtungsübergreifende<br />
Gremien wie ein Kinderrat oder ein Kinderparlament.<br />
Eine solche Verfassung wird zunächst von den Fachkräften erarbeitet, dann mit den Eltern besprochen<br />
<strong>und</strong> schließlich in der Einrichtung erprobt. Nach einer Erprobungsphase wird die endgültige<br />
Verfassung festgeschrieben <strong>und</strong> von jeder Fachkraft unterschrieben. Eine solche Verfassungsentwicklung<br />
ist ein intensiver Prozess <strong>für</strong> das ganze Fachkräfteteam <strong>und</strong> geht mit einer Reflexion pädagogischer<br />
Gr<strong>und</strong>fragen einher.<br />
4. Wie durch Zuhören <strong>und</strong> <strong>Partizipation</strong> <strong>Demokratie</strong> gelernt werden kann.<br />
Wenn Kinder in Kindertageseinrichtungen erfahren, dass sie Rechte haben, wenn sie hier in eine Atmosphäre<br />
eintauchen, in der dialogisches Zuhören, Diskutieren <strong>und</strong> gemeinsam Entscheiden Alltag<br />
ist, dann erfahren sie gleichzeitig, wie <strong>Demokratie</strong> gelebt werden kann:<br />
„Eine demokratisch verfasste Gesellschaft ist die einzige Gesellschaftsordnung, die gelernt werden<br />
muss, alle anderen Gesellschaftsordnungen bekommt man so.“ 10<br />
Politische <strong>Bildung</strong> <strong>als</strong> demokratische <strong>Bildung</strong> beginnt weit vor der weiterführenden Schule. Sie beginnt<br />
dort, wo Kinder das erste Mal erfahren, wie eine öffentliche Gemeinschaft außerhalb ihrer Familie<br />
funktioniert. Kindertageseinrichtungen müssen in einer <strong>Demokratie</strong> <strong>als</strong> demokratische Orte<br />
konzipiert werden. Das bedeutet, den Kindern zu ermöglichen, sich zuständig zu fühlen, gemeinsam<br />
nachzudenken, gehört zu werden, mitzuentscheiden <strong>und</strong> immer wieder zuzuhören.<br />
Wie sich Kinder durch Beteiligung <strong>und</strong> gegenseitiges Zuhören auch kognitiv das Thema <strong>Demokratie</strong><br />
aneignen, wird in folgendem Beispiel, das auch auf der DVD von Lorenz Müller <strong>und</strong> Thomas Plöger<br />
eindrucksvoll festgehalten ist, deutlich:<br />
<strong>Die</strong> Kinder planen in einer Zukunftswerkstatt die Neugestaltung des Außengeländes ihrer Kindertageseinrichtung.<br />
In der Kritikphase werden die Kinder aufgefordert zu sagen, was ihnen am derzeitigen Außengelände<br />
gefällt <strong>und</strong> was sie schlecht finden. Sie diktieren den Erwachsenen ihre Bewertungen. Als<br />
die fünfjährige Senya zur Erzieherin sagt: „Der Mülleimer soll weg!“, entfacht sich eine Auseinandersetzung.<br />
Ein Junge hält dagegen: „Der Mülleimer muss bleiben!“ Andere Kinder kommen hinzu: „Sonst haben<br />
wir einen riesengroßen Müllspielplatz.“ <strong>Die</strong> Fachkräfte notieren beide Bewertungen: „Der Mülleimer<br />
soll weg“ <strong>und</strong>: „Der Mülleimer soll bleiben“.<br />
Anschließend klebt eine Fachkraft im Gruppenraum die Kärtchen mit den verschiedenen Beurteilungen<br />
an die Wand. Dabei wird der schon auf dem Außengelände diskutierte Widerspruch noch einmal deutlich.<br />
Der Mülleimer wird von einigen Kindern <strong>als</strong> störend beurteilt <strong>und</strong> hängt daher auf der Seite mit<br />
dem traurigen Smilie („Das soll weg!“). Von anderen wird er <strong>als</strong> notwendig erachtet <strong>und</strong> klebt daher<br />
auch auf der Seite mit dem lachenden Smilie („Das soll bleiben!). Senya, die auf dem Spielplatz lautstark<br />
<strong>für</strong> die Idee „Der Mülleimer soll weg!“ votiert hat, ist durch diesen Widerspruch irritiert. Man<br />
kann an ihrem Gesicht <strong>und</strong> ihren Bewegungen deutlich ablesen, welche Anstrengung <strong>und</strong> Mühsal es sie<br />
kostet, diese Problematik zu erfassen, <strong>als</strong> sie fragt: „Wenn der eine Kind sagt, das soll so sein, <strong>und</strong> der<br />
andere Kind sagt, das soll nicht so sein <strong>–</strong> was soll‘n wir denn da machen? Soll‘n wir einfach beides machen?<br />
Oder …? <strong>–</strong> Das ist so schwer!“ (Szene aus dem Film „<strong>Die</strong> Kinderstube der <strong>Demokratie</strong> 11 )<br />
Kindertageseinrichtungen, die <strong>Partizipation</strong> strukturell verankert haben, zeichnen sich durch eine<br />
hohe Zuhörqualität <strong>und</strong> damit auch durch eine hohe <strong>Bildung</strong>squalität aus. Wenn pädagogische Fach-<br />
10 Negt, Oskar 2010: Der politische Mensch. <strong>Demokratie</strong> <strong>als</strong> Lebensform, Göttingen.<br />
11 Müller / Plöger 2008, vgl. auch Hansen / Knauer / Sturzenhecker 2011<br />
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